Musikstück
Von Anfang an, hatte die Musik einen merkwürdigen Reiz auf mich. Sie konnte mich fühlen lassen. Aber sie regte trotzdem nicht an meinem Gewissen. Sterben müsste auch der beste Musiker, sollte er mein Opfer werden. Gnade und Mitleid sind Worte, deren Bedeutung ich nicht empfinde. Wenn ich nämlich eines kann, dann ist es das Töten. Das ist mein Handwerk. mein Musikinstrument und ich finde die Melodie des Sterbens einfach entzückend. Nur das Stöhnen eines Sterbenden kann diese Todesmusik zuweilen stören:
Also stirb leise!
James fand Gefallen an der hübschen Erscheinung, die da plötzlich vor ihm stand. Das Mädchen war vielleicht um die 14 Jahre alt. Das blasse Licht der Wintersonne fiel durch das Fenster des Zimmers auf ihre bleiche Haut und gab dieser einen sanften, goldenen Schimmer. Er sah erst nur ihre vollen Lippen, welche von einem zauberhaften, schwachen Lächeln verziert wurden. Dann zog sie ihre Kapuze zurück. Braune Locken fielen dick und schwer auf die zarten Schultern. Sie gaben das Sonnenlicht golden und rot glänzend wieder. Was für ein hübscher Rahmen zu den dunkelblauen Augen! Die Augen hatten sowieso ihren eigenen Zauber. Sie waren so undurchdringlich, wie das Meer selbst. Dunkle Wimpern umrahmten im sanften Bogen den schönen Blick und fesselten James. Was für ein schönes Kind! Wie mochte sie wohl erst im jungen Erwachsenenalter aussehen?! Sie war doch jetzt schon so hübsch!
James spürte, wie die Gier sich in seinem Schoß regte. Er musste dieses Mädchen besitzen! Diese zarte Blume wäre eine Zierde in seinem Haus! Sie würde ihm Kunden anlocken! Unbedingt musste er sie mit nach England nehmen! Was würde sie ihm nur für Geld einbringen!
"Ihr denkt falsch, James. Ich bringe Euch kein Geld. Ich bringe Euch das Ende.", eine melodische, ungewöhnlich tiefe Stimme schlich von ihren Lippen in seine Ohren. Wie konnte eine solch junge Stimme schon eine solche Tiefe bergen, aber doch so süß sein?! "Das Ende...?", er war immer noch viel zu hingerissen von dem Klang ihrer Worte und dem Anblick ihrer Augen. Das Ende? Welches Ende? "Ihr werdet sterben, James. Betet lieber noch einmal. Beichtet Eure Sünden. Fleht Gott an, er möge Euch verzeihen, für all die jungen Seelen, die Ihr beschmutzt habt!" Wo war die samtene Wärme aus ihrer Stimme hin? Plötzlich legte sich Kälte in den Klang. Weich und sanft wie Schnee aber genauso kühl. Beinahe wie unterdrückte Wut. Worüber ärgerte sich diese Schönheit denn nur? Beschmutzt hatte er keine junge Seele. Nein, er hatte sie beehrt, veredelt! Es war sein heiliger Auftrag, junge Zierden zur Freude eines jeden Mannes zu machen! Das war doch wohl nichts Schlechtes!
Empört brachte James diese Worte diesem Engel vor, der da vor ihm stand. Kalte Wut blitzte auf in den blauen Augen des Mädchens. Sie zog die Nase angeekelt kraus und schüttelte ihre Locken. "Das war eine Sünde und wie Ihr darüber redet ist es Gotteslästerung!" James lachte laut und drängte das Mädchen an die Wand: "Dann spür du mal deine Gotteslästerung, ich hab schon eine ganz schöne Latte!" Erschrocken japste das Mädchen auf, doch sie fasste sich sofort: "Nimm deine dreckigen Griffel von mir, du elendes Stück Scheiße!" Ihre Stimme war ganz leise, ganz dicht an seinem Ohr. Eiskalt und schneidend wie die Klinge seines Schwertes.
Doch James war nicht umsonst schon mit Mitte zwanzig einer der reichsten Händler seiner Umgebung. Er war unerbittlich. Außerdem wäre sie nicht die erste Frau, die er gegen ihren Willen nehmen würde! Mit seinen kräftigen Armen packte er das zarte Mädchen und hob es auf den Tisch, der neben der Tür stand. Vor Schreck weiteten sich ihre Augen, als er ihr hart einen Kuss auf die Lippen drückte. Eine Hand hatte er in ihre Haare gegraben, die andere glitt ihren Körper herab. Ihre Brüste erwachten eben erst aus dem Kindesschlaf und wagten sich vorsichtig aus dem zarten Körper wie Knospen eines Baumes. Doch waren sie schon schön fest. Sie keuchte erschrocken, als James Hand in ihren Schoß glitt und ihr Kleid hochschob. Heftig trat sie nach ihm, da riss er an ihren Haaren. Dafür kratzte sie ihm das Gesicht. James fühlte das Blut auf sein er Wange. Ihm gefiel es, wie sich diese kleine Schlampe wehrte. Grinsend zog er ihren Kopf noch mehr in ihren Nacken und fing an, ihren Hals abwechselnd sanft und grob zu küssen. Am ganzen Körper zitterte sie. Als er aber sein Wams anhob und sie kurz losließ, um ihre Beine auseinander zu drücken, sprang sie auf. In einer Hand hielt sie auf einmal einen Dolch und hieb nach ihm. Knapp verfehlte die Klinge seinen Arm. Wütend schlug er ihr ins Gesicht, trotzdem traf beim zweiten Mal ihre Klinge seine Brust. Keuchend sackte er zusammen. Er röchelte, da schnitt sie ihm die Kehle durch. James war schneller tot, als er hätte "Amen" sagen können.
Lauschend stand das Mädchen da, blickte auf den jungen Toten herab. Ihre Lippe blutete. Sie war bei James' Schlag aufgeplatzt. Ihre linke Wange fühlte sich schmerzhaft taub an. Das gab sicher einen blauen Fleck. Sie tatstete vorsichtig ihr Gesicht ab. Es schwoll schon an. Wütend spuckte sie aus und traf genau den Nacken des Toten. "In der Hölle sollst du braten, James!", zischte das Mädchen und zog ihre Kapuze wieder ins Gesicht.
Unauffällig mischte sie sich in den Strom der Menschen, die auf der Straße vorbeiliefen. Den Toten im Gastzimmer fand man erst am Abend. Da hatte das Mädchen längst schon die Stadt verlassen.
Collin wartete schon ungeduldig im Wald vor der Stadt. Er saß auf einem kräftigen, braunen Wallach und hielt die Zügel der Schimmelstute. Daga sollte längst da sein! Er hatte ein paar Einkäufe in der Stadt erledigt und die Pferde dazu mitgenommen. Die Satteltaschen seines Wallachs waren voll mit Lebensmitteln und anderen wichtigen Dingen. In den Satteltaschen der Stute waren Papier und Tintenfässchen. Wo blieb denn das Mädchen? Er war von Anfang an gegen diesen Auftrag gewesen. Collin hatte den Kerl schon mal gesehen. Ein unnachgiebiger gemeiner Kerl...
Da knackte es im Unterholz. Wachsam griff Collin nach dem Kurzschwert an seinem Gürtel, da traf ihn auch schon ein Schneeball im Gesicht. Daga trat aus dem Unterholz: "Na Bruder, hast du dich etwa erschreckt?!" Aber ihre Stimme war nicht wärmer als sonst. Daga hatte ihren Humor zwar nicht verloren, aber scheinbar ihr Lachen. Seufzend sah der junge Mann das Mädchen an. Sie schaute nicht einmal auf. Ihre Kapuze war weit ins Gesicht gezogen. Misstrauisch runzelte er die Stirn. Etwas stimmte da doch nicht! "Was ist schiefgegangen, Daga?" Er mochte vielleicht nicht der Hellste sein, aber er wusste doch, wenn die Kleine etwas verbarg! "Nichts. Er ist tot." "Warum siehst du mich nicht an, wie sonst auch." Sie zuckte die Schulter und nahm ihm die Zügel ihres Pferdes ab.
Collin musterte das Mädchen. Sie war ihm schon sehr ans Herz gewachsen. Wie eine Schwester. Seid sie zu ihnen gekommen war, hatte sie sich sehr verändert. Mit dem Tod ihrer Verwandten hatte sie viel von ihrer Lebhaftigkeit eingebüßt. Was muss sie einmal für ein fröhliches Mädchen gewesen sein! Doch der Tod, den ihr Dolch brachte, hatte ihre Ernsthaftigkeit noch bestärkt. Man sah sie nie lachen. Ihr Lächeln hatte keine Wärme und erreichte nicht ihre Augen.
Damals war sie ganz klein und dünn gewesen mit ihren 8 Jahren. Wie war sie doch gewachsen. Jetzt, sechs Jahre später, reichte sie ihm schon bis an die Schulter. Auch hatte ihr Gesicht fast schon alles Kindliche verloren. Es war schmaler geworden. Weiblicher. Auch ihr schlanker Körper war stark und biegsam geworden. Langsam rundeten sich ihre Hüften. Sie versprach eine schöne, junge Frau zu werden. Mit Stolz und Zärtlichkeit striff Collins Blick die Gestalt des Mädchens. Wenn sie nur einfach unbeschwert lächeln könnte! Noch immer hielt sie stur ihr Haupt gesenkt.
Aus einem inneren Impuls lenkte er einfach sein Pferd neben ihre edle Stute. Dann legte er ihr sanft die Hand unters Kinn und zwang ihr Gesicht, ihn anzuschauen. Erschrocken zog er die Luft ein: Sie war geschlagen worden! Ihre Unterlippe war geschwollen. Dunkelroter Grind lag darüber. Ihre Wange war blau und rot und auch dick. Die Schwellung drückte sogar ihr unteres Lid einwenig hoch! Wut loderte in ihm hoch. Wer hatte sein3em Schützling solche Gewalt antun können! "WER?!", er flüsterte es nur. Trotzdem zuckte Daga leicht zusammen. Sie wich seinem Blick aus. Tränen liefen plötzlich aus ihren Augen. "Was hat er noch getan?" Sie schüttelte den Kopf nahm die Zügel auf und trieb ihr Pferd an. Verwirrt sah Collin ihr hinterher. Da war mehr passiert, als nur ein Schlag. Sonst würde sie nicht weinen...
Daga ritt nicht nachhause sondern ins Freudenhaus von Eva. So konnte sie unmöglich ihrem Meister unter die Augen treten. Sie musste sich einer Frau anvertrauen! Dieser Schweinehund hätte ihr fast die Jungfräulichkeit genommen! Daga wusste genug darüber von den Mädchen, die bei Eva arbeiteten. Einige von ihnen waren nach einer Vergewaltigung bei Eva gelandet und Eva hatte sich um sie gekümmert. Daga sprang von ihrem Pferd und warf Albinas Zügel einem Stallburschen zu. Die Stute schwitzte. Daga war geritten, wie der Teufel selbst.
Eva kam ihr eben entgegen und ließ erschrocken das Kleid fallen, das sie in den Händen gehalten hatte, als sie bemerkte, wie Dagas Gesicht aussah. Sie nahm das Mädchen einfach in den Arm und ließ es weinen. Eva hatte dieses Kind noch nie weinen sehen. Nie hatte sie mehr Gefühl gezeigt, als eine Puppe. Doch nun schien sie völlig verzweifelt. Irgendetwas musste sie erschrocken haben. Jemand hatte sie geschlagen, das hatte Eva gesehen. Aber wer von Amons Männern wäre so ehrlos und würde die Kleine schlagen?! Verwirrt und beruhigend hielt sie das Mädchen einfach fest.
Langsam ebbte das Schluchzen ab. Eva sagte noch immer kein Wort und wartete geduldig, bis das Mädchen sich ihr anvertrauen würde. "Können wir reden?", flüsterte Daga an ihrem Busen und Eva führte sie in ein kleines Nebenzimmer. Ein Mädchen schickte sie nach einer Tasse Tee und setzte Daga vor sich auf eine gepolsterte Bank. Dann ließ Eva sich auf einen Stuhl nieder und setzte sich der Kleinen gegenüber. Stockend berichtete ihr Amons Findelkind von dem Vorfall in James' Zimmer. Sie erzählte von der Angst und Hilflosigkeit, als er sie geküsst hatte und seine Hand zwischen ihre Beine geschoben hatte. Schweigend hörte die Frau dem Kind zu. Immer wieder wischte Daga ihre Tränen fort. Als sie geendet hatte, sprach Eva ruhig und bedacht: "Nun du bist schon sehr hübsch geworden und deine Augen machen dich älter als du bist, meine Liebe. Sie vernebeln den Männern ihren Verstand, aber das Verhalten dieses Mannes war ehrlos. Er hat verdient zu sterben. Sei froh, dir ist nichts geschehen, liebes Kind. Wie vielen anderen Mädchen hat er schon Gewalt angetan!" Daga nickte gefasst. Sie hatte geweint, sie hatte gesprochen. Sie fühlte sich viel leichter. Ihre Demütigung hatte sie mit dem Mord schon gerächt. Sie konnte stolz sein darüber.
Eva versorgte das wunde Gesicht. Kalten Tücher legte sie auf die geschwollene Wange. Dann ließ sie eine Salbe bringen und trug diese auf Dagas aufgeplatzte Lippe auf. "Bleib noch ein paar Tage in meinem Haus und ruhe dich aus. Dann sieht auch dein Gesicht viel besser aus. Amon würde sich doch nur unnötig aufregen, beim Anblick deiner Verletzung." Daga lächelte tapfer, was etwas schief aussah, weil auch die Lippe geschwollen war. Eva ließ das Mädchen auf ein Zimmer bringen, das unterm Dach war und leer stand. Eva hatte es eigens für das Mädchen säubern lassen, als sie damals zu ihr gebracht wurde. Es war hell und geräumig. Ein großes, weiches Bett stand an der Wand und ein blauer, leichter Vorhang umgab es. Auch vor den Fenstern hingen dünne, blaue Vorhänge. Ein Spiegel hing über einem Schränkchen, indem stets einige saubere Kleider für Daga lagen. Ein dicker, blauer Teppich lag vor dem Bett auf dem Boden. Eva hatte ihn einmal von einem orientalischen Händler erstanden. Dann betrachtete sie das Mädchen, das dieses Zimmer bewohnte. Was war sie doch groß geworden! Fast reichte sie an Eva heran und war doch noch nicht fertig mit wachsen! Zärtlich wandere der Blick der Frau über das Mädchen. Eine schlanke, biegsame Gestalt, voll Kraft und Energie. Und dieses Kind brachte den Tod zu Menschen...
Eva schloss die Tür des Zimmers und lauschte im Flur dem Klang der zarten Stimme, die leise im Zimmer erschallte. Daga sang ein Lied, dass sie wohl einmal in der Stadt erlauscht hatte. Ihre Stimme war merkwürdig dunkel und tief für ihr zartes Alter und doch ganz rein. Was klang diese Musik schön in Evas Herz. Sie seufzte: Der Tod nahm einen merkwürdigen Weg durch Dagas Hand. Das stand schon einmal fest.
Texte: Alle Rechte an Wort und Bild liegen bei Avena Fatua.
Tag der Veröffentlichung: 25.05.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
"Vor einem Sturz
ist das Herz
überheblich."
Sprüche 18 : 12