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Ein Lächeln zum Sterben




Narrenstück




Viele glauben, ich wäre harmlos. Ein hübsches, kleines Mädchen mit sanften Lächeln und freundlichen Augen. Vielleicht bin ich auch genau das einmal gewesen. Doch ich habe auch einen Dolch. Ich liebe seine scharfe Klinge, aber selbst wenn ich ihn unter den Falten meines Umhanges hervorhole, lächeln meine Gegner noch. Sie lauschen lächelnd dem Klang meiner Stimme und betrachten mich wohlwollend. Sie können nicht glauben, dass sie in wenigen Augenblicken ihr Leben verlieren werden. Das war schon immer so. Aber ich belehre sie eines Besseren:
Ich bin eine sehr gute Mörderin.



Ein wenig erschrocken war Dorian schon, als plötzlich ein kleines Mädchen vor ihm stand. Es war dunkel und er hatte den Abend in einer Schenke verbracht. Er war eben auf dem Heimweg und hatte das Mädchen gar nicht gesehen. Das Mädchen war vielleicht schon gute zehn Jahre alt. Ihre schlanke Gestalt war von einem warmen Mantel umhüllt. der erste Schnee fiel friedlich auf die Straßen herab. Was für ein bezauberndes Lächeln sie hat, dachte der junge Henker. Er zählte eben erst 27 Lenze und übte schon seid fünf Jahren sein Amt aus.
"Guten Abend, mein Herr.", überrascht stellte er fest, dass zu der hübschen Kindesgestalt eine sehr angenehme Stimme gehörte. "Guten Abend." Er wollte an ihr vorbei. Es war bitterkalt und versprach nicht, wärmer zu werden. Doch das Mädchen stellte sich ihm in den Weg. "Was willst du?", brummte er sie unwillig an. "Euch töten, Herr.", sie sagte es ernst und lächelte trotzdem. Der Henker verdrehte die Augen: Ihm würde ja wohl ein solch zartes Ding nichts antun.
"Ihr glaubt mir nicht." Das war ja nicht einmal eine Frage sondern nur eine Feststellung. Das Mädchen seufzte und schüttelte lächelnd ihr Köpfchen: "Daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen, dass mich keiner ernst nimmt..." Dorian grinste: "Was soll das denn heißen?" "Oh... die anderen Beiden haben mir auch nicht geglaubt und dann waren sie ja doch tot.", sie sah schief zu ihm auf. Dorian runzelte die Stirn. In ihren Augen stand keine Lüge und keine Angst. Kinder fürchteten doch Mord und Totschlag, hatten Angst vor ihm, dem Henker... Oder?!
Nur zur Sicherheit richtete er seine kräftige Gestalt noch etwas auf und trat einen Schritt auf das kleine Mädchen zu: "Du hast zwei Männer umgebracht?" "Ja, Herr." "Wie alt bist du überhaupt?" "Ich bin zehn Jahre alt, mein Herr.", sie lächelte noch genauso sanft, wie zuvor. Das Mädchen war ihm unheimlich. So hübsch und sanft, wie sie schien, war sie wohl doch nicht. Oder hielt man ihn zum Narren? "Wer schickt dich?", ein Kind mordete ja wohl nicht aus eigenem Gutdünken! Er wich nur einen halben Schritt zurück und doch erfassten es ihre Augen. Ihr Lächeln schmolz auf einmal. Mit viel dunklerer Stimme als zuvor antwortete das Mädchen ihm: "Mein Herz schickt mich und das Blut meines Vaters, den du gehängt hast." Ehe er sich versah, blitze ein Dolch im Mondlicht auf und stach nach ihm. Erschrocken wich Dorian zurück. Das Metall hatte seine Brust nur knapp verfehlt und stattdessen seinen Arm gestriffen. Blut drang aus dem flachen Schnitt: Dieses Kind war ja gefährlich!
Er wollte fliehen oder um Hilfe rufen, doch das Mädchen sprang in die Luft und brachte ihn mit einem gezielten Tritt gegen dir Brust zum Fall. Mit streckensgeweiteten Augen lag er keuchend da und sah, wie sie mit sicherem Schritt auf ihn zu trat. Keine Emotion und auch kein Lächeln erhellte ihr Antlitz: "Du bist bestechlich. Das solltest du nicht sein." Da durchdrang ihr Dolch sein Gewand und brachte sein Herz zum Stillstand. Sein letzter Blick lag auf ihrem hübschen, noch kindlichen Gesicht, dann schloss er die Augen.
Das junge Mädchen richtete sich auf und sah sich wachsam um. All ihre Sinne waren geschärft. Niemandes Schritte störten den lautlosen Fall der Schneeflocken. Der Schnee blieb auf ihrer Kapuze und ihrem Umhang hängen. Auch in ihren Wimpern verfing sich die eine oder andere Flocke. Ihr Atem stand in einer weißen Wolke vor ihr. Sonst aber regte sich nichts auf dieser Straße. Sie sah auf den Toten herab. Sein rotes, warmes Blut verfärbte den Schnee unter seinem erkaltenden Leib. "Nun, ruhe in Frieden, Dorian. Gott möge dir deine Sünden verzeihen.", flüsterte sie mit einem friedlichen Lächeln. Schon begann der Schnee den Leichnahm zu ihren Füßen zuzudenken unter sein eisiges Leichentuch. Noch einmal sah sich das Mädchen um. Am Ende der Straße sah sie leichtes Flackern. Die Wächter kamen auf ihrem Rundgang vorbei. Es wurde Zeit, zu gehen. Sie zog sich auf das niedrige Dach, des Ladens vor dem sie stand und sprang von einem Dach zum anderem, sicher und lautlos, wie eine Katze. Kurz vor der Stadtmauer sprang sie von dem Dach auf die Straße und versteckte sich in einem leerstehenden Stall. Nur wenige Stunden noch, dann würden die Tore geöffnet und sie konnte mit den ersten, müden Händlern und Bediensteten aus den Stadttoren schlüpfen. Nur einschlafen durfte sie nicht.
Hier in diesem Stall hatte sie einen Korb mit schmutziger Wäsche abgestellt, in dem sie auch ihren Dolch verbergen würde. Ein Mädchen wie sie kam leicht durch die Tore, man hielt sie sicher für ein Dienstmädchen. Noch war sie auch zu jung, um fürchten zu müssen, dass jemand sie belästigen könnte. Um nicht zu frieren, machte das Mädchen in diesen dunklen Stunden Übungen, die ihr von ihrem Meister beigebracht worden waren. Sie sollte ihren Körper immer unter Kontrolle haben und auch unter Schmerz nicht zusammenbrechen. Also stellte sie sich einfach solange auf ein Bein, bis sie beinahe umkippte. Dann auf das andere. Sie zog sich solange an dem Balken rauf, bis sie schwitzte und ihre Arme schmerzten. Dann betete sie zu Gott um Vergebung für den Mord. Kaum hatte sie ihr Gebet abgeschlossen, krähte auch schon der erste Hahn über den Dächern der Stadt. Leise lugte sie aus ihrem Versteck, noch immer fiel Schnee, aber nicht so stark, wie in der Nacht. Noch einmal streckte sie sich, nahm ihren Korb, dann schlich sie auf die Straße und strebte auf das Stadttor zu, wo schon die ersten Menschen gähnend und müde durch das Portal liefen. Niemand bemerkte das kleine Mädchen, das friedlich lächelnd die Stadt verließ.
"Guten Morgen, Daga.", aus dem kleinen Wäldchen vor den Stadttoren, trat ein junger Mann. Sie kannte ihn gut, er gehörte mit zu den Männern ihres Lehrmeisters. "Guten Morgen, Colin." Das Mädchen wusste, warum ihr Meister diesem Jungen den Namen "Welpe" gegeben hatte: Er blickte so treuherzig drein und war auch nicht besonders klug, aber doch war er einem Raubtier gleich. Wenn er den Auftrag hatte, jemanden auszuschalten, konnte er sehr geduldig lauern, bis der richtige Augenblick gekommen war. Danach konnte er ganz unauffällig wieder verschwinden, da niemand ihn für eine Gefahr hielt. Keiner wusste genau, wie alt Colin war, aber Daga mochte ihn irgendwie. Er erinnerte sie an ihren Bruder, wenn er lachte. Und er war der Einigste, der ihre Tränen nach dem Fieber gesehen hatte. Colin beschützte sie auch manchmal einwenig. Zwar begehrte Daga dagegen auf, aber der junge Mann nahm das einfach unerschütterlich hin.
"Was tust du in dem Wald?", fragte Daga den jungen Mann. Dieser grinste etwas einfältig, zuckte die Schultern und legte einen Arm um ihre schmale Schulter: "Komm, Herr Amon wird schon ungeduldig auf deine Rückkehr warten, kleine Daga." Sie lächelte milde, wahrscheinlich war er doch gar nicht so dumm. Da prallte plötzlich eine geballte Ladung Schnee am Arm ihres Begleiters ab. Dieser lachte fröhlich und formte schnell selbst einen weißen Ball. Dann drehte er sich blitzschnell um und warf seinen Schneeball nach einem Jungen der weiter hinten auf der Straße angelaufen kam. Daga war verunsichert. Was sollte sie tun? Die beiden Jungen bewarfen sich gegenseitig mit Schnee, lachten und riefen sich dumme Worte zu. Spaß. Solche Dinge waren dem Mädchen fremd geworden. Sie spürte, wie sehr ihr diese Ausgelassenheit fehlte, doch sie konnte sich nicht entschließen, dieses Spiel mit zu machen. Es machte sie traurig, aber sie spürte nur Leere. Also eilte sie lieber in ihren Unterschlupf, zum Ernst zurück, an den sie sich so gewöhnt hatte. Zu der Strenge hin, mit der sie sich zurechtfand, die sie nicht verwirrte. Hin zu ihrem Lehrmeister, der ihre Leere mit Lernen auszufüllen wusste.
"Warum so eilig, kleine Daga?", sie hatte das Haus fast erreicht, als ein Fremder sie ansprach. Verunsichert blieb sie stehen und betrachtete ihn. Er war gar nicht soviel älter, als sie. Um die fünfzehn vielleicht. Sein Haar hatte eine seltsame, dunkelrote Farbe. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Seine Augen waren noch verwirrender. Eines war hellblau, wie ein klarer Sommerhimmel. Das andere war von leuchtenden Grün, wie die jungen Blätter an den Bäumen im Frühjahr. Sie runzelte die Stirn: wer war das?! Er war nicht sehr groß. Doch er ging ganz aufrecht und hatte einen wachen Blick, so dass er größer wirkte. Er lächelte sie freundlich an und trat einen Schritt auf sie zu. Ihr Instinkt fällte augenblicklich eine Entscheidung: Angriff! Er kannte ihren Namen, wusste sicher, wer sie war, also war er gefährlich, denn sie kannte ihn nicht. Der Wäschekorb viel zu Boden, da hielt sie schon den Dolch in ihrer Rechten. Etwas irritiert sah der Junge sie an und hielt inne: "Ich habe nicht vorgehabt, dich anzugreifen..." "Wer bist du?", zischte ihn das Mädchen an. Ihr Blick war konzentriert und wachsam. "Ich heiße Vormic.", er war nur unklug genug, ihr näher zu kommen. Mit einer fließenden Bewegung griff Daga an. Diesmal war er darauf vorbereitet, trotzdem sie ihn doch überrascht hatte, konnte er wenigstens ihre Hand mit dem Dolch abfangen. Der Aufprall aber riss ihn von den Beinen, wobei er das Mädchen mit sich riss. So lag er da also im Schnee und wehrte Dagas heftige Angriffe ab, als Amon die beiden fand. Das Mädchen war schon stark, aber der Junge geübt. Amon beobachtete die beiden Kämpfenden eine Weile, ehe er begann zu lachen: "Tochter- du bringst mir den Jungen noch um." Mit einem letzten, warnenden Blick, gab das Mädchen auf und ließ von dem Knaben ab. Aufrecht stand sie neben ihrem Meister und packte den Dolch zurück in ihr Gewand.
Stolz legte Amon seine große Hand um die zarten Schultern: "Heut hast du also schon zwei Prüfungen bestanden. Obwohl ich nie gedacht hätte, dass du meinen Neffen angreifen würdest. Du bist eine sehr gute Kämpferin, du wirst deinem Namen wirklich gerecht." "Vergebt mir, Herr... Ich.. habe nicht gewusst, wer er ist..." Währenddessen rappelte Vormic sich auf und betrachtete seine Gegnerin. Man traute ihr wirklich nicht zu, dass soviel Kraft in einer solch zierlichen Person steckte. Der Bursche war noch etwas außer Atem. Dann aber kniete er vor Daga: "Du bist eine sehr starke und gefährliche Gegnerin, ich werde dich nie mehr herausfordern- irgendwann wirst du mir ebenbürtig sein." Unschuldig lächelnd nahm sie das Kompliment an: "Und dann will ich eine Revanche." Vormic sah zu ihr auf und grinste: "Viel lieber kämpfe ich an deiner Seite, als gegen dich." Amon nickte wohlwollend: "Dafür habe ich dich kommen lassen, mein Junge. Komm mit, wir wollen am Feuer reden, nicht in dieser Kälte." Verwirrt sah Daga den Jungen an, doch dann beschloss sie, abzuwarten. Ihr Meister würde sie früh genug informieren.
Der Fremde war also Amons Neffe... Kritisch betrachtete sie ihn auf dem Heimweg. Von der Gestalt her, war er seinem Onkel tatsächlich ähnlich, aber die roten Haare und die verschiedenen Augen wollten ihr so überhaupt nicht passen. Auch die helle Haut mit den kleinen Sommersprossen ähnelte ihrem Lehrer nicht. Und die Züge des Knaben waren zu fein und zu weich... Aber er war ja auch noch kein Mann... Etwas an ihm war interessant, auch wenn sie es nicht zu sagen wusste. Sie würde ein Auge auf ihn haben, er war genauso wenig harmlos, wie sie, obwohl er so freundlich aussah...

Impressum

Texte: Das Cover ist selbst fotografiert, alle Rechte liegen bei Avena Fatua
Tag der Veröffentlichung: 04.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Alles kann, wer glaubt. Markusevangelium 9 : 23 Bibel

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