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Ein Lächeln zum Sterben




Bruchstück




Wenn ich weiß, wer mein Opfer ist, fällt es mir leicht, mich zu konzentrieren. Ich weiß, was er getan hat, dass er verdient, zu sterben. Ich kenne seine Stärken und lasse sie ihm vorerst. Soll er ruhig noch ein wenig Freude vor seinem Tod spüren, um so größer ist mein Triumph, wenn er durch meine Hand stirbt. Ich liebe den Geruch des Blutes meiner Feinde, schon seid meinem ersten Mord. Erst war es nur meine Rache, jetzt auch die der anderen. Trotzdem lächeln alle, wenn sie mich sehen. Und ich lächle sanft zurück, da ich weiß, was sie nicht zu glauben wagen:
Ich habe Erfolg.
Immer.


Etwas überrascht sah Waldo von seinem Gebetsbuch auf. Noch vor einem Augenblick war er allein gewesen in seinem Gemach. Nun stand ein Mädchen vor ihm. Noch sehr jung, vielleicht neun oder zehn Jahre alt. Es war schon dunkel draußen. Durch das offene Fenster wehte ein zarter Sommerhauch hinein. Sie war recht dünn. Lange braune Locken fielen um den kindlichen Körper. Die Haut schimmerte, wie Marmor. Sie trug ein einfaches, weißes Gewand und war barfuss. Ein zartes Lächeln zierte ihren hübschen Mund. Freundlich und offen sahen ihre dunklen Augen auf ihm herab. Noch war sie ein Kind, aber sie versprach eine wirkliche Schönheit zu werden. Im Kerzenlicht schien sie ihm wie eine Heilige. Es war als träume er.
Eine Vision! Dachte Waldo. so fiel er vor ihr nieder, um sie zu huldigen. Da erhob das Kind seine schöne Stimme:
"Ich bringe Euch den Tod, Vater, betet noch einmal."
Ungläubig lächelte der dicke Mann zu dem Mädchen auf. Er hatte noch nie davon gehört, dass eine Vision einem Kirchenmann den Tod versprochen hatte. Vor allem nicht in solch zierlicher, strahlender Gestalt! Da zog das Mädchen einen Dolch hinter dem Rücken hervor:
"Betet, Vater." Das musste ein Trugbild sein!
"Warum soll ich sterben, liebes Kind?", er lächelte unsicher.
Hatte er wieder zuviel vom guten Wein des Ratsherrn gekostet? Oder wollte der Teufel ihn narren?
"Weil du Schlechtes getan hast."
Da lachte Waldo: "Das würde keiner dir glauben! Ich bin ein Mann der Kirche!"
Es musste doch jemand üblen Scherz mit ihm treiben. So etwas konnte er nicht glauben. Ein kleines Mädchen sollte ihn umbringen?
"Darum stirbst du ja durch meine Hand.", entgegnete das Mädchen gelassen und lächelte weiterhin. Das Lächeln sah so sanft aus, dass es Waldo gar nicht in den Sinn kam, dem Kind zu glauben. Doch als sie einen Schritt auf ihn zu machte, war er sich seiner Sache nicht mehr sicher:
"Ich rufe die Wachen!" Der dicke Mann richtete sich auf, da traf auch schon die Klinge seine Brust, ehe er auch nur hätte aufschreien können.
"Das glaube ich nicht, Vater." Schnell sprang das Mädchen zurück und zog ihren Dolch aus dem Leib des Priesters. Er fiel mit dumpfen Aufprall zu Boden. Das hatte sicher jemand gehört. Sie sah auf den toten Mann herab. Lächelte zufrieden und schloss seine Augen:
"Möge Gott dir vergeben, Waldo. Denn ich kann es nicht."
Sie wischte ihre Klinge an seiner reich verzierten Kutte ab und verbarg sie wieder in ihrem Gewand. Schnell sprang sie zum Tischchen, auf dem die Kerze brannte und blies auch dieser Flamme das Leben aus. Dann legte sie ihren braunen Umhang wieder um, entschwand leise, wie ein Schatten, durch das Fenster und verschmolz mit den Schatten der Straßen. Da erklang auch schon ein erschrockener Aufruf aus dem offenen Fenster Waldos. Doch das Mädchen war längst schon verschwunden. Keiner hatte sie gesehen. Auf dem leib des Priesters lag eine verdorrte kleine Blume...
Im Quartier erwartete Amano seine Schülerin schon. Er hatte sie hart erprobt, sie weiter trainiert und ihr Opfer beobachten lassen. sie war im Umgang mit Pfeil und Bogen genauso sicher, wie mit dem Dolch. Ein halbes Jahr hatte sie auf ihren Tag warten müssen. Manchmal war sie ungeduldig, dann aber hatte sie es langmütig hingenommen und geduldig ihre Aufgaben erfüllt. Nie beschwerte sie sich, auch nicht über einfache Botengänge. Ein Junge hatte gesagt, der Priester sei in sein Gemach gegangen, um zu beten. Der alte Mann betete immer bei offenen Fenster. Amano hatte Nachtwache, er wollte der erste sein, der sie nach ihrer Tat sah. Also hatte er sie heute Nacht hatte geweckt. ein Junge hatte gesagt, der Priester sei in sein Gemach gegangen, um zu beten. Als sie zur Tür hereinkam, brachte sie eine warme Sommerbriese mit hinein. Sie lächelte ihn sanft an. Wie trügerisch konnte ihre Sanftheit sein. Er wusste, dass sie die Todgeweihten genauso ansah. Sie wiegte die Opfer in Sicherheit und zuckte doch mit keiner Wimper, wenn neben ihr Blut vergossen wurde. Ihre augenscheinliche Zartheit war solch ein Schauspiel und verbarg ein fast erloschenes und erfrorenes Herz. Alles was in ihr noch brannte, war die Rache. Ihre wahren Emotionen verbarg sie entweder gut oder sie waren einfach mit ihren Verwandten gestorben. Sie war nach ihrer Krankheit so gleichmütig geworden, wie kein anderer im Clan. Wie hatte er einem solchen Kind dieses Handwerk beibringen können?! Sie zu einem Mordwerkzeug machen können, dass sein ziel nicht verfehlen konnte?! Vielleicht hatte Penos Recht: Sein Findelkind war geboren, zum Töten, besser sie mordete für das Gute, als für das Schlechte.
Deshalb hatten sie ihr den Namen "Daga" gegeben, weil es auf Spanisch "kleine Waffe" bedeutete. Dieses Mädchen war eine tödliche Waffe. Möge Gott geben, dass sie sich nie gegen ihren Clan wendete! Oder gegen jemanden, der ihr unbedacht Unrecht widerfahren ließ. Denn er bemühte sich zwar, ihr beizubringen, dass nicht jede Ungerechtigkeit aus böser Absicht geschah, aber wusste nicht, ob sie es ihm glaubte, da sie stets nur lächelte und sagte, verstanden zu haben.
"Er ist tot, Herr.",
"Sonst wärst du nicht hier, Tochter.",
"Er hat mich ausgelacht und wollte sogar die Wachen rufen. Er hat es nicht mehr geschafft.",
"Hast du ihm Frieden gewünscht?"
"Nein, dafür soll Gott seinem untreuen Diener erst vergeben. Ich habe es nicht vermocht."

Amon lächelte: das Kind war sehr klug für seine einfache Herkunft.
"Gut Tochter, lass uns beten, dass Gott der Wölfin in dir vergibt."
Das war Brauch im Clan. Amon war eigentlich einmal ein Mönch gewesen. Dann aber hatte er den Prior ermordet, der Amons Bruder zu Unrecht hatte hinrichten lassen. Danach hatte Amon Buße getan, doch er wollte nicht sterben, also verließ er das Kloster. Eine Bande Auftragsmörder nahm den jungen Mann auf und lehrte ihn, was er können musste. Irgendwann nahm er alleine Aufträge an und kaufte sich das Haus, in dem er nun lebte. Andere Mörder nahmen bei ihm Zuflucht. Irgendwann schworen er und seine Bande sich, nur für das Recht zu morden und jeden ihrer Aufträge zu prüfen. Sie hatten Mittelsmänner in den umliegenden Städten. Wann immer sie Kinder von ungerecht Hingerichteten fanden, nahmen sie sie auf und lehrten sie, Rache zu üben. Die meisten Jungen rächten ihre Eltern und gingen dann in das normale Leben zurück. Manche aber blieben für immer im Clan. Wahrscheinlich würde auch das Mädchen zu den Kindern gehören, die im Clan bleiben würden. Sie hatte verlernt, zu lieben.

"Geh schlafen, Daga."
"Ja, Herr."
Auf dem Dachboden hatten die Männer ihr mit Brettern einen kleinen Platz abgeteilt, so dass sie nicht bei den Männern schlafen musste und einen Bereich hatte, wo sie sich allein waschen und umkleiden konnte. Seufzend sah Amano seinem Findelkind hinterher. Sie würde bald zehn Jahre alt werden und hatte schon zwei Männer getötet, ohne auch nur den Hauch eines schlechten Gewissens zu verspüren. Im Gegenteil, sie konnte kaum erwarten, als nächstes auch dem Henker das Leben zu rauben mit ihrem stillen Lächeln und der wohlklingenden Stimme. Doch würde sie geduldig warten, bis ihr meister es ihr erlaubte. Er seufzte. Sollte ein solch schönes Kind nicht in ein Leben hineinwachsen, das von liebe geprägt war, statt von Hass und Mord?
"Worüber grübelst du, Bruder?",
die Stimme gehörte Bledig, dessen Name bedeutete "Wie ein Wolf", weil er eine so knurrende Stimme hatte.
"Ich fürchte, wir sind nicht gut, für sie.", Amon blickte dem Mädchen nach, dabei war es schon längst verschwunden und hatte auch die Dachluke verschlossen.
" Sie braucht die Rache."
"Ich weiß... aber... ist dir aufgefallen, dass sie nie lacht und nie weint?"
"Ja. Sie ist kalt geworden mit dem Fieber. Und sehr beherrscht. Sie trägt ihren Namen zu Recht."
"Genau das bereitet mir Sorge."
Bledigs narbiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln:
"Wart ab, bis sie erst alt genug ist. Irgendwann wird auch ihr ein junger Mann d
as Herz erwärmen und sie das Lachen lehren." "Ich hoffe es."
"Geh schlafen, Bruder, ich übernehme die Wache."
Die kleine Daga lag wach in ihrem Lager. Sie hatte die Männer gehört. Lachen... Wie lange war es her, dass sie gelacht hatte? Sie konnte sich nicht erinnern. Aber es war ihr auch egal. Sie hatte schon ihr Ziel vor Augen und denjenigen, der als Nächstes durch ihre hand sterben sollte. Den Henker. Durch seine Hand waren schon zu viele Unschuldige gestorben. Heute hatte sie nur ein weiteres Bruchstück ihres Rachefeldzuges erfüllt. Mehr war dieser Mann der Kirche nicht gewesen. Sie hatte ihre Aufgabe gut gemacht. Stolz lächelte sie und schlief ein. Ihr Ziel rückte immer näher, dann konnte sie sehen, was sie aus ihrem Leben machen wollte. Weder Glück noch Schmerz kamen an ihr taubes Herz. Vielleicht aber, wenn sie ihre Rache hatte?

Impressum

Texte: Alle Rechte bei Avena Fatua Das Cover ist eine eigene Fotografie...
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Lukasevangelium 9 : 24 Bibel

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