Ein Lächeln zum Sterben
Gesellenstück
Als Kind war es bei mir oft so, dass wenn man mich sah und lächelte: Oh wie niedlich! Noch heute empfangen mich die meisten meiner Gegner mit einem Lächeln: Wie süß! Heute, wie damals, nehmen mich viele nicht ernst. Die meisten ahnen nicht einmal, dass sie gleich sterben werden. Sie sind überrascht, wenn ich mein Messer zücke. Einige halten es dann immer noch für einen Scherz, denken, meine Auftraggeber wollen durch mich nur ablenken von wirklicher Gefahr. Oder glauben, ich veralbere sie nur. Keiner glaubte, dass meine Rache mich befähigte und lachten mich aus. Aber sie irren sich:
Ich bin tödlich. Schon von Anfang an!
Als Eyk aufsah, erschrak er fast. Vor seinem Arbeitstisch stand ein Mädchen. Grad eben war sie dort noch nicht gewesen. Aber sie stand dort still und aufrecht, als stünde sie schon minutenlang dort. Mit aufmerksamen Blick sah sie ihn ganz ruhig an. Lächelte sogar schüchtern. Sie mochte wohl kaum 9 Jahre alt sein. Ihre goldbraunen Locken fielen lose um das zarte Gesicht mit den großen blauen Augen. Ihr Körper war sehr schlank, fast zu dünn, fast mitleidserregend. Ihre zartrosa Lippen lächelten. Das war ansteckend. Eyk steckte seine Feder zurück ins Tintenfass und sprach die Kleine lächelnd an:
"Kann ich dir helfen, kleines Fräulein?"
"Ich wartete nur, dass Ihr den Satz zu Ende schreibt, mein Herr.", die Stimme klang angenehm melodisch.
"Gut, ich habe ihn beendet."
"Dann werdet ihr jetzt sterben." Sie lächelte weiter sanft.
Eyk begann zu lachen, wer hatte sich solch einen Scherz ausgedacht? Feinde hatte er wohl viele, aber ein Kind zu ihm schicken? Ein Mädchen? Das war ja dreist! Sie wartete geduldig. Lächelte noch immer gelassen.
"Wie alt bist du, Mädchen."
"Ich werde neun, mein Herr."
"Und wie viele hast du schon getötet?"
"Niemanden. Ihr seid mein Gesellenstück."
"Warum?"
"Ihr habt meinen Vater zu Tode verurteilt." Das Mädchen blickte ernster und kam auf Eyk zu. Dieser richtete sich auf und lachte noch immer: "Ach, dann wird er Unrechtes getan haben!" Er war schließlich Richter in der Stadt! Da sah er den Dolch in ihrer Hand. Er war reich verziert und blitzte poliert im Licht. Sein Schaft schien aus Gold und Silber zu sein. Was für Kontrast zu ihrem schlichten, braunen Umhang und dem leichten, weißen Kleidchen! Unsicher runzelte er die Stirn. Gegen ein Kind würde er ja wohl ankommen.
Plötzlich ging es ganz schnell. Sie sprang mit einem Satz über den Tisch hinweg und schnitt noch im Sprung eine tiefe Wunde in seinen Hals. Er röchelte: Noch lebte er. Sein Stuhl fiel um und sie stach tief in seine kräftige Brust. Haut und Muskeln wichen dem scharfen Messer wie Papier. Mit großen Augen starrte er sie an, als sein Lebenslicht erlosch. Sie stand still da und lächelte freundlich.
Sie lauschte, draußen tat sich nichts. Beruhigt atmete sie auf, schloss die Augen des Richters und betrachtete ihn noch einmal. Er war knapp 50 und weder dick noch dünn. Sein dunkelbraunes Haar begann an den Schläfen grau zu werden. Sie legte seine Hände übereinander auf seinen Bauch.
"Ruhe in Frieden, Eyk." Sie wischte ihr Messer an seinem Umhang ab und versteckte es wieder in den Falten ihres Gewandes. Dann kletterte sie wieder aus dem Fenster, durch das sie gekommen war und zog sich an dem Seil, das sie am Schornstein befestigt hatte, hoch aufs Dach. Es dämmerte bereits zu Abend.
Oben wartete Amano auf sie. Ihr Meister und Lehrer.
"Wie ist es gelaufen, Tochter?" Amano hatte sie in der Menge gefunden, bei der Hinrichtung ihres Vaters.
"Wie am Schnürchen, Herr.", Vela lächelte zufrieden.
"Gehen wir, dann kannst du es auch den anderen berichten, sie warten sicher schon gespannt. Ich denke, wir können dir nun einen Namen geben, Tochter." Gütig grinste der schlanke Mann sein Findelkind an. Aufgeregt nahm sie seine Hand, nachdem sie das Seil vom Schornstein gebunden hatte. Sicher schritt sie mit ihm zum Ende des Daches und sprang neben ihm auf das Dach des Nachbarhauses.
Velas Vergangenheit kannte jeder im Clan der Wölfe, wie sie sich nannten.
Ihr Vater war ein einfacher Maurer gewesen und hatte beobachtet, wie ein Kirchenherr ein Dienstmädchen vergewaltigte. Empört war er dem Mädchen zur Hilfe geeilt, war sie doch zusätzlich die Cousine seiner Frau. Der Kirchenherr ließ ihn noch am selben Abend verhaften und behauptete, dass der Maurer ihm ein wertvolles Schmuckstück gestohlen hätte. Vela hatte all das beobachtet. Sie hatte sich gut auf dem Dach des Hauses versteckt. Die Mutter war im Winter zuvor gestorben am Husten und so war Vela allein mit ihrem Bruder und dem Vater. Ihr großer Bruder Vasic aber war aus seinem Versteck herausgesprungen, um dem Vater zu helfen. Vela war damals acht Jahre alt. Ihr Bruder war eben elf geworden. Ein Soldat stieß ihn zu Boden, doch Vasic rappelte sich auf und griff nach dem Feuerhaken. In seiner Wut schlug er diesen in die Schulter des Soldaten. Dieser brüllte vor Schmerz auf, sein Kumpane erschlug noch im selben Augenblick das Kind mit seinem Schwert. Vela und ihr Vater waren wie betäubt.
Schon stand sie auf und wollte ihr kleines Kräutermesser nach dem Mann werfen, aber ihr Vater sah sie so entsetzt an, dass sie die Hand wieder sinken ließ. Lautlos weinend sank sie auf dem Dach in sich zusammen. Tränenblind sah sie zu, wie man ihren Vater abführte. Es war Herbst. Kühler Wind zerzauste ihre Haare. Sie fror. Noch bis tief in die Nacht saß sie dort und weinte. Im Morgengrauen raffte sie sich auf und sprang vom Dach. Immer noch mit Tränen in den Augen hob sie ihren toten Bruder an und schleifte seinen leblosen Körper vor die nächste Kirche. Schluchzend brach sie vor dem Portal zusammen, bemerkte weder den Regen, der kalt auf sie nieder rieselte, noch die aufgehende Sonne, die scheu ihre ersten Strahlen über die Stadt sandte. Da hatte Amano sie zum ersten Mal gesehen. Eine verzweifelte Gestalt, vor Kälte zitternd und weinend über einen reglosen Körper gebeugt. Als der Priester sie ansprach, schrak sie auf und lief fort. Sie irrte den ganzen Morgen durch die Gassen und fühlte nur die Leere in sich. Zum Nachmittag drängten sich viele Menschen zum Marktplatz und Vela ließ sich willenlos von der Menge treiben. Dort auf dem Galgenboden stand ihr Vater! Entsetzt schrie das Kind auf und kämpfte sich durch die vielen Leute durch. Eben als sie vorn ankam stieß man den Hocker unter des Vaters Füßen weg. Hilflos baumelte er da, starrte sein einigstes Kind mit großen Augen an, das da unten kniete und vor Schmerz schrie. "Vater! Vater!", schrie sie immer wieder heiser und völlig blind vor Tränen. Sie sah nicht, wie sich die Soldaten zu ihr durchkämpften. Bemerkte nicht, wie die Leute vor ihr zurückwichen.
Da packte sie plötzlich jemand am Arm und hob sie auf: "Komm! Schnell!"
Die raue Stimme war freundlich aber bestimmt. Das rüttelte sie wach. Sie sprang auf und starrte zu einen dünnen Mann auf. Sein Gesicht war narbig und er hatte eine recht große Nase. Seine grauen Augen blickten sie sanft an. Vela nahm die Hand, die er ihr reichte. Sie wusste einfach, dass er ihr helfen würde. Ohne zu zögern folgte das kleine Mädchen dem Fremden. Er schob sich durch die Menge, zog eilig das Kind von den Wachen fort und verschwand mit dem Mädchen in einer der kleinen Straßen, von denen die Stadt so viele hatte.
Tagelang hing ihr Vater noch dort am Strick. Doch Vela ging nie hin, um nach ihm zu schauen. Sie wurde schwer krank und bekam Fieber. Der Fremde hatte sie in ein kleines Häuschen vor der Stadtmauer gebracht. Dort lebten noch einige Jungen und Männer mit ihm. Jeder kümmerte sich liebevoll um sie. War sie doch so ein zartes, junges Ding. Ihre braunen Locken waren kurz und zerzaust. Einer der Jungen kämmte es ihr aber jeden Tag. Schon nach wenigen Wochen war Vela wieder gesund, aber noch etwas schwach. Das Mädchen lernte, Essen zu kochen und Wäsche zu waschen. Sie lernte nähen und Hühner schlachten. Irgendwann fand sie einen Dolch, der einem von den Männern gehörte. Er hatte einen goldenen Schaft mit silbernen Linien. Einige schöne Steine zierten den Griff. Er lag gut und doch schwer in ihrer Hand. Instinktiv schwang sie ein wenig mit ihm herum, visierte den nächsten Baum an und warf den Dolch. Die scharfe Klinge drang tief in das Holz ein. Der Besitzer des Messers war eben zur Tür getreten, um seinen Dolch zu suchen und sah staunend zu.
Als Vela ihn bemerkte, wurde sie rot: "Verzeiht, Herr..." "Hast du das schon einmal getan?"
"Ja öfter, Herr... So haben mein Bruder und ich Tauben gejagt... Er warf mit Steinen und dann warf ich mein Messer... Aber Eures liegt viel besser..."
"Nun.. ich habe den Dolch von einem wohlhabenden Spanier... Ich denke... Er gehört jetzt dir."
Das kleine Mädchen sah sprachlos den gütig lächelnden Mann an. Sein schwarzes, krauses Haar passte gut zu den lebhaften, braunen Augen.
Sie konnte gar nicht anders, als zurück zu lächeln: "Danke, Herr!"
"Ich bin Penos, Kind. Ganz einfach Penos. Und du?"
"Vela, Herr Penos."
Er grinste: "Dann Vela... üb mir schön mit dem Dolch... Vielleicht brauchst du ihn einmal..." Er ging einfach.
Vela lag lange wach. Ihr Schmerz über den Tod des Vaters und des Bruders wurde zu glühender, nein brennender Wut. Die beiden waren unschuldig an ihrem Tod! Um alles in der Welt mussten sie gerächt werden. Sie hatte schon beobachtet, dass ihre Hausgenossen, viele Dolche hatten. Sie hatte oft gesehen, wie sie mitten in der Nacht verschwanden und kurz vor Morgengrauen zurückkamen. Alle waren sie schlank, von stahlharten Muskeln geprägt. Wie oft hatte sie schon gesehen, wie einer der Männer einem Jungen beibrachte, mit Pfeil und Bogen zu schießen. Wie viele Puppen hatte sie schon gefunden, mit Einstichwunden?!
Entschlossen ging sie zu ihrem Retter:
"Herr Amano. Ich will meinen Vater und meinen Bruder rächen. Lehrt mich, was ich könne muss."
Der Mann betrachtete sein Findlingskind:
"Du wirst Blut vergießen."
Er fragte nicht, woher sie wusste, dass er ihr das beibringen konnte. Er ließ eher die Frage offen, ob sie bereit war.
Vela war bereit: "Herr, ich habe schon mit fünf Jahren, tauben getötet. Auch diese haben Blut."
Er lächelte mild: "Menschen sind keine Tauben."
"Nein, sie sind dümmer, Herr. Sie haben meinen Bruder getötet. Ein wehrloses Kind. Sie haben meinen Vater zu Unrecht verurteilt und getötet. Einen einfachen Mann. Ich will, dass sie niemanden mehr töten können. Nehmt mich in Lehre, Herr."
"Hast du keine Angst?"
"Vor wem denn, Herr? Wenn Sie mich nicht lehren, werde ich allein versuchen sie zu töten. Mir ist mein Leben ohne Rache nichts wert."
"Von nun an bist du namenlos, Tochter, bis du den ersten Mann getötet hast. Aber sei geduldig."
Ein Jahr lang arbeitete Vela hart. Sie lernte Tricks, im Ringkampf auch gegen die älteren Jungen zu bestehen. Ihr Messer traf stets ihr Ziel, gleich ob sie es warf oder im Nahkampf einsetzte. Sie musste lange Strecken schnell laufen. Dafür wurde sie mit Geld zum Markt geschickt, um Essen zu kaufen. Hin sollte sie rennen und rück zu so schnell gehen, wie sie konnte, ohne die Lebensmittel zu verlieren. Schon beim dritten Mal, fiel nicht einmal der Apfel mehr runter. Auf die höchsten bäume musste sie klettern und Kirschen oder Birnen ernten. Sie lernte mit Pfeil und Bogen, ihr Ziel zu treffen. Man brachte ihr bei, an Häuserwänden und Mauern hoch zu klettern. Als Amano meinte, sie sei so weit, eine Aufgabe zu bekommen, nahm er sie mit. Er musste in einer fremden Stadt jemanden töten, der die Frau eines Händlers missbraucht hatte. Vela sollte ihn begleiten.
Stundenlang saßen sie auf dem Dach des Mannes und lauschten oder beobachteten. Vela bekam den Auftrag, heraus zu finden, wie gut, das Haus bewacht wurde. Also schlenderte sie völlig harmlos um das Haus und zählte heimlich die Wachen. Wobei sie darauf achtete, zwischen den Menschen auf der Straße nicht aufzufallen. Als sie zurückkehrte lächelte Amano sie stolz an: "Gut gemacht, selbst ich hab dich aus den Augen verloren." An diesem Tag übte sie, stundenlang einfach still zu warten. Geduldig und wachsam.
Die Männer halfen ihr, herauszufinden, welche Männer mit dem Tod ihrer Verwandten zu tun hatten. Dann sollte sie festlegen, wer zuerst sterben sollte. Sie entschied sich für den Mann, der nach dem Kirchenvater am berühmtesten war, dieser weilte nämlich eben in einem anderen Land. Sie wollte Aufregung verursachen, wollte ihre Feinde ablenken, damit ihnen nicht auffiel, dass sie bald sterben sollten. Ihre Wahl fiel also auf den Richter. Sie musste sich aber noch drei Wochen gedulden, bestimmte ihr Lehrer. Er wollte, dass sie seine Gewohnheiten studierte. Außerdem unterstützte er ihre Entscheidung: Der Richter war das Kämpfen nicht gewohnt und deswegen ungefährlicher, als die Wachen. Seine Schülerin sollte vorerst leichtes Spiel mit ihm haben, sie zuckte mittlerweile nicht mal mehr mit der Wimper, wenn jemand neben ihr starb. denn, wenn sie nicht den Richter auskundschaftete, begleitete sie manchmal einen der Jungen. Sie sollte die gefährlicheren Opfer kurz ablenken. Dazu ging sie lächelnd auf denjenigen zu und fragte ihn einfach irgendetwas. In dem Moment traf auch meist schon die Klinge sein Herz. Aber selbst, wenn ihm die Kehle durchgeschnitten wurde, lächelte sie immer noch gleichgültig.
"Heute ist dein Tag, Tochter.", hatte ihr Meister am Morgen gesagt...
Mit einem Herz voll Stolz kehrte sie an Amanos Seite zu ihren Freunden zurück.
Etwa zur selben Zeit fand man Eyks Leiche. Auf seiner Brust lag eine kleine, verwelkte Blume...
Texte: Alle rechte liegen bei Avena Fatua
Das Cover ist eine Fotografie, die ich slebst gemacht und bearbeitet habe.
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Wer anderen eine Grube gräbt,
fällt selbst hinein.
Sprüche 26 : 27
Bibel