Cover

Begonnen hatte es mit grünen Augen. Im Schatten, der über diese Augen fiel, waren sie fast schwarz. Aber als das Licht durch das Fenster des Zuges sich in diese Augen ergoß wurden sie grün. So grün wie die Blätter eines jungen Baumes. Und mit dem Schatten des Grüns, das die Nadeln eines Weihnachtsbaumes hatte...
Sie war jünger als ich. Vielleicht nicht viel, aber mindestens drei oder vier Jahre. Ihr Gesicht war hübsch. Nicht atemberaubend schön, aber hübsch genug, um sich über diese Zartheit mit zu freuen. Warum sollte ich sie auch beneiden? Orange-rote Locken waren zu einem losen Knoten hochgesteckt. Aber die wiederwilligen Haare hatten sich teilweise daraus gelöst und kräuselten sich um ihre zarte Wange, an ihrem Hals herab und streichelten ihre zarten, schmalen Schultern. Sicher war sie größer als ich, aber so schlank. Sie sah zerbrechlich aus. Obwohl sie nicht so blass war, wie viele andere rothaarige Mädchen. Ihre Nase war klein, zierlich und gearde. Aber ihre schönen, vollen Lippen lächelten nicht. Nein im Gegenteil, sie blickte so ernst vor sich hin. Abwesenheit spiegelte sich in den grünen Augen. Schwermütige Abwesenheit. Viel zu ernsthaft und zu wenig lebensfroh für ein solch junges Mädchen. Aber ich kannte dieses Gefühl...
Auf dem Leeren Sitz neben ihr stand eine Tasche aus dem selben dunklen Jeansstoff, wie ihre Hose. Davor Lag ein kleines Heftchen. So ein Notitzbüchlein, kenn ihr sicher alle. Der Einband war schwarz und matt. Darauf stand in einer geschungenen, kleinen Handschrift etwas Weißes. Das Wort konnte ich von meinem Platz aus nicht lesen. Sie saß im selben Abteil, wie ich. Mir gegenüber.
Gedankenverloren strich sie sich eine eigensinnige Strähne hinter das kleine, zierliche Ohr. Dabei verrutschte der Ärmel ihres wollweißen Pullovers. Mehrere rote Striemen wurden entblößt. Die zarte Haut ihres Armes war übersät mit alten und neuen Wunden. Es tat mir beinahe weh. Wie lange hatte ich zum Aufhören gebraucht...?
Ihr Blick senkte sich rasch und verlegen bekamen ihre Wangen einen zartrosa Hauch. Mir war klar, dass ihr diese Narben unangenehm waren. Also sah ich aus dem Fenster.
Draußen standen die Wälder, an denen wir vorbeirauschten, in bunten laub. Die Äste einiger Apfelbäume waren fast kahl und bogen sich trotzdem unter der schweren Last ihrer Früchte. Die meisten Felder waren schon abgeerntet. Zugvögel sammelten sich in großen Scharen auf ihnen udn suchten anch Proviant für ihre lange Reise in den Süden. Über den Wiesen erhob sich blasser, weißer Nebel und wallte geheimnisvoll über sie hinweg. Die Wolken am Himmel waren dick und grau, schwer vom Regen, den sie über das Land trugen, bis an den Ort, wo sie sich entladen könnten udn mit ihrem Wasser den Durst der Erde stillen könnten.
Herbst.
Später würde ich erfahren, dass der herbst ihre liebste Jahreszeit war. Ich würde verstehen lernen, warum sie ihn so mochte. Sie würde mir eine völlig neue Sichtweise auf diese Zeit geben. Sie würde diesen Dingen eine ganz besondere Aura anziehen, die ich bis da noch nie gesehen habe. Sie würde dem Herbst eine bittersüße und traurigschöne Weste schenken und es mcih sehen lassen. Aber noch nicht an jenem Tag. An diesem Tag waren die grauen Wolken noch ein Balast für mein Gemüt. Der Regen ging mir auf die Nerven. Der Nebel kroch mir in die Glieder und der frische Wind war nur der Todfeind meiner Frisur. An diesem tag saßen wir uns gegenüber. zwei Fremde, die aus dem Fenster schauten. Sicher jede mit ganz anderen Gedanken, als die Andere. Und ich war ahnungslos, dass ich sie kennenlernen würde. Sie verstehen und mögen lernen würde...
Am nächsten Bahnhof sprang sie auf, schnappte ihre Tasche, zögerte und lief zur Tür. Als sie aus dem zug auf den Bahnsteig hüpfte, leicht wie eine Feder, fiel mein Blick auf ihren Platz. Das Buch! Sie hatte es vergessen. Ich griff es, eilte ihr hinterher, aber der Zug setzte zur Fahrt an, als ich die Tür erreichte. Enttäuscht und nach Atem ringend sah ich zu, wie sie verschwand. Ein wippender, leuchtender Schopf in Mitten der grauen Menge von Menschen. Dann glitt der Bahnhof an mir vorbei. Ich stand noch immer da, starrte ins Leere. Langsam, irgendwie erschöpft schlurfte ich an eminen Platz zurück. Die anderen passagiere nahm ich gar nicht war. Ich sah auf das Buch herab. Das Wort lautete "Herbstlied". Was es ihr wohl bedeuten mochte?
Beinahe hätte ich vergessen aus zu steigen. So vertief war ich in dieses eine Wort.


Jeden Tag nahm ich das Buch mit, wenn ich in den Zug stieg. Die Hoffnung, das fremde Mädchen wieder zu sehen und ihr das Buch zurückgeben zu können hielt wochenlang an. Wäre es nicht schön, ein leichtes Lächeln in dieses traurige Gesicht zu zaubern? Sie fuhr nie wieder im selben Zug mit, wie ich.
Nach 2 Monaten siegte schließlich doch die Neugier. Eines Tages, ich war auf dem Heimweg, fiel mir das Buch in meiner Umhängetasche ein. Was stand da wohl drin?
Wenn man pessimistisch ist, könnte man sagen, die erste Seite war der Anfang vom Ende. Man könnte aber auch sagen, die erste Seite, war ein Grund weiter zu lesen und die Welt mit anderen Augen sehen zu lernen.




"Hallo Fremde.
Das Buch ist für dich.
Wirklich.
Ich glaube du wirst es verstehen.
Ich wollte es jemanden geben,
der sich nicht nur mit mir erinnert,
ich wollte einmal im Leben verstanden werden.
Dich habe ich ausgesucht..."



Mit klopfenden Herzen schlug ich das Buch zu. Erschrocken. Eine Gänsehaut lief mir über den Rücken. Das war so unheimlich. Ich sah mich um. Suchte nach ihr. Aber ich wusste, sie war nicht da.
Also las ich das Buch. Das Buch eines fremden Mädchens. Ich ahnte nicht, was mich da erwartete. Aber ich spürte, dass ich etwas Besonderes gefunden hatte.


Heute liest du es. Erinnerst dich. Vielleicht siehst auch du danach die Welt mit anderen Augen....

Denn ich vergesse nicht...





5. August




Heut regnet es, schon den ganzen Tag.
Regen ist schön. Das Geräusch, das er macht, gefällt mir.
Er trommelt auf Häuserdächer und Straßen. Er klopft gegen Fensterscheiben. Er plätschert in Pfützen.
Und doch so gleichmäßig, monoton, beruhigend...
Außerdem befreit er den Duft der Erde aus dem Boden, damit unsere verstopften, unempfindlichen Nasen ihn auch riechen können.
Er wäscht den Schmutz von den staubeigen Straßen und Autos.

Als ich klein war, sagte Mama einmal, dass es regnet, wenn die Engel weinen, weil ein guter Mensch gestorben ist.
Ich glaube, das ist nicht wahr. Als Mama starb, schien die Herbstsonne durch das Fenster auf ihr Gesicht. Und Mama war ein guter Mensch.
Sie war so schlimm krank. Viele Jahre lang. Aber sie hat nie geklagt. War immer lieb und nett zu allen. Sogar zu dem übellaunigen Mann aus dem Nachbarhaus. Sie sagte immer, er sei eben alt und krank.
Dass sie krank war, sagte sie mir nicht. Gemerkt habe ich das erst, als sie immer schwächer wurde und immer dünner...
Da war ich schon 13 Jahre alt...

Mama mochte den Regen auch. Sie sagte ohne Regen, gibt es keine Blumen. Und sie liebte bunte Blumen sehr. Ihr gefiel es auch, wenn die Regentropfen ihr Gesicht abwuschen.
Damals sind wir manchmal in den Regen hinausgelaufen und sind durch Pfützen gesprungen.
Dann haben wir uns warm geduscht, trockene Kleider angezogen und uns Geschichten erzählt...


9. August




Der Regen hat heut aufgehört.

Es gab einen Regenbogen. der hat so kräftig gestrahlt, dass er mich an ein Bild erinnert hat, das Mama mir einmal mit Buntstiften gemalt hatte.
Über den Regenbogen lief unsere Katze Pipi. Am Tag zuvor war sie gestorben. Ich war erst 5 Jahre alt und hab schrecklich geweint.

Mama hat mir erzählt, dass Pipi jetzt auf den nächsten Regenbogen wartete, um auf ihm in den Katzenhimmel zu klettern...



11.August




Heute Nachmittag war ich im Wald.

Als Kind bin ich oft mit dem Fahrrad da gewesen. Jetzt laufe ich all die Wege lang. Seit Mamas Tod war ich nicht mehr dort. Ein Jahr also.

Die Sonne schien durch das grüne Blätterdach. Bei einer Lichtung setzte ich mich auf einen Baumstamm.
An solchen Orten waren Mama und ich damals ab und zu, nachdem Papa weg war. Hier hatte Mama mir Märchen erzählt von kleinen Feen und Waldgeistern. Ich habe die meisten Geschichten vergessen. Aber eine fiel mir heut ein:

Vor vielen, vielen Jahren verlief sich ein kleines Mädchen in diesem Wald. Seine Familie war sehr arm, darum trug sie keine Schuhe. Sie hatte mit ihrer vielen Brüder Verstecken gespielt. Als sie mit Suchen dran war, verlor sie die Orientierung und lief immer tiefer in den Wald hinein.
Als es dunkel wurde, stolperte das kleine Mädchen immer öfter über die Äste, die den Boden bedeckten. Ihre bloßen Füße waren bald wund und schmerzten. Weinend, frierend und hungrig setzte sie sich auf einen umgestürzten Baumstamm.
Da lief ein großer Hirsch des Weges. Es war kein gewöhnlicher Hirsch, das sah die Kleine sofort. Seine Augen schauten einfach zu klug für einen Gewöhnlichen. Auch er sah das weinende Kind und blieb stehen.
"Lieber Hirsch, kannst du mir den Weg nachhause zeigen? Ich weiß nicht mehr, wo ich bin!", sprach das Mädchen zu dem mächtigen Tier. Dieses neigte seinen edlen Kopf mit dem prächtigen Geweih und trat auf sie zu. Dem Kinde wurde doch etwas mulmig zu Mute. Was war, wenn in diesem Hirsch ein böser Geist wohnte?
Das Tier aber legte sich vor ihr hin und sah sie geduldig an. Er blickte so sanft, dass das Mädchen all seine Angst vergaß. Es stand auf und strich sanft über das weiche Fell. Er schubste die Kleine mit seine Nase vorsichtig auf seinen Rücken. Sie war klug und setzte sich richtig darauf. Dann umschlang sie seinen Hals mit ihren dünnen Ärmchen.
Das riesige Tier erhob sich stolz und trug das Mädchen heim.
Als die Eltern am nächsten Morgen ihre Tochter vor der Türe schlafend fanden, waren sie sehr erleichtert. Doch als sie die Augen aufschlug erschraken sie sehr: Die blauen Augen das Mädchen waren plötzlich andersfarbig! Eines war grün und eines braun!
Von da an sah man sie oft mit den Tieren des Waldes reden.."

Als ich heute einen Hirsch sah, hab ich an die Geschichte denken müssen...


16. August



Langsam wird es frisch.

Bis gestern war es so warm, dass ich ohne Jacke draußen herumlief. Heute musste ich dann doch eine überziehen.
In wenigen Wochen hat Mama Geburtstag. Ich wüsste gern, wie es ihr jetzt geht...
Was ist überhaupt der Tod? Ein endgültiges Ende? Oder lebt danach ein Teil von uns weiter?
Die letzten Monate vor ihrem Tod plagte Mama ein böser Husten. Er wurde ihr ständiger Begleiter. Selbst nachts. Sie schien Schmerzen zu haben. Ihr hübsches Gesicht bekam Sorgenfalten. Als ich sie an einem Herbstmorgen wecken wollte, hustete sie nicht. Ihr Gesicht war so friedlich. So schön. Sie lächelte sogar. Das hatte sie lange nicht getan.
Irgendwie wusste ich, dass sie nicht mehr lebte. Ich wartete auf die Trauer. Den Schmerz. Den Schock. Aber alles, was ich fühlte war Erleichterung. Sie hatte endlich keine Schmerzen mehr.
Die Hilflosigkeit kam jedoch gleich darauf: Was sollte ich nun mit Mama machen? Wen konnte ich fragen? Die Nachbarn! Die wussten doch, was zu tun war! Ich rannte raus, klopfte an jeder Tür und niemand öffnete. Erst an der letzten Tür kam jemand. Der alte, mürrische Man.
"Was willst du denn?!", brummte er. Ich war viel zu durcheinander, um Angst vor ihm zu haben: "Mein Mama...ist tot... Können Sie mir helfen?" Als ihm alle Gesichtszüge entglitten, war ich ganz erschrocken. Der arme Mann war ja schockierter als ich! Trotzdem eilte er mit mir in Mamas Haus zurück. Im Schlafzimmer hielt er kurz inne, dann fühlte er ihren Puls und schüttelte traurig den Kopf. Er sah mich besorgt an. "Gib mir bitte mal das Telefon." Er rief die Polizei an und einen Arzt.
Die wollten mich mitnehmen, aber ich wollte zuhause bleiben. Ich konnte doch nicht einfach hier weg! Also versprach der alte Mann, sich um mich zu kümmern. So ließen die Beamten mir schließlich doch meinen Willen.
Verwandte hatte ich keine. Mama hatte mal eine Brieffreundin gehabt. ich suchte deren Briefe und schrieb ihr, dass Mama verstorben sei und sie ihr also nicht mehr schreiben brauche, weil Mama ihr ja nicht antworten könne. Bestimmt war sie sehr erschrocken darüber, denn ich bekam nie eine Antwort von ihr. Das tat mir sehr leid.
Langsam wurde mir klar, wie alleine ich doch ohne meine liebe Mutter war. Nur der alte Mann sah jeden Tag nach mir. Er brachte mir etwas zu essen und Bücher voller Gedichte. Das war gut.
Er hieß Bruno. Die Gedichte hatte seine Frau geschrieben. Manchmal saßen wir da und sahen aus dem Fenster. Oder er zeigte mir Bilder. meistens schwiegen wir. Schweigen ist Gold. Ich wollte nicht über Mama reden. Auch weinen wollte ich nicht. Oder allen leid tun. Mama hatte mal gesagt, wenn sie weg ist, muss ich tapfer und stark sein. Außer ihr hatte ich ja niemanden. Sicher hatte sie nicht gedacht, dass das so früh käme.
Aber sie hatte auch nicht gewusst, dass Bruno und ich Freunde würden. Er ging auch mit mir zur Beerdigung. Nur 3 Leute standen an Mamas Grab. Der Priester, Bruno und ich. Das war gut. Mutti hätte nicht gewollt, dass viele Leute um sie weinen. Auf der wiese hinter dem haus hatte ich Mama einen Blumenstrauß gepflügt. Sie hatte Wiesenblumen gemocht. Bruno hatte ihr eine weiße Rose aus seinem Garten mitgebracht. Er mag Rosen, weil sie gut riechen, sagte er. Ich schnupperte daran. Ja, die riechen wirklich schön.



22. August



Es regnet wieder.

Bruno ist grad eben tropfnass zur Tür reingekommen. "Sauwetter heute.", sagte er und grinste, weil er weiß, dass ich Regen mag.
Bruno ist damals mit in mein Haus gezogen. Das war gut, ich wollte hier gar nicht raus. Und er hat mich adoptiert, sonst wär ich in ein Heim gekommen. Mit 16 und in der 11. klasse. Das wäre ja erst was geworden!
Außerdem brauchte ich die Erinnerungen.


30. August



Bruno ist erkältet.

Der arme Kerl liegt mit Schnupfen und Husten im Bett. Ich hab ihm ganz viel Tee gekocht und ihm Bücher vorgelesen. Er hat viele schöne Romane.
Am Meisten mag ich "Die Bücherdiebin". Endlich mal ein Buch, wo Tod nicht als böse hingestellt wird.

3. September



Es wird Herbst.

Der Baum an der Straßenecke, ein Fächerahornbaum, bekommt die ersten bunten Blätter.
Der Herbst ist die schönste Jahreszeit. Und die Traurigste. Der Herbst und der Tod sind gar nicht so verschieden. Auch der Tod hat seine Schönheit.
Der Mensch verteufelt ihn nur. Vielleicht ist der Tod gar nicht böse. Vielleicht ist er uns nur unheimlich, weil von dort noch keiner zurückkam und uns erzählt hat, wie es ist, tot zu sein. Kommt danach etwas oder ist es dann endgültig vorbei?
Wenn ich den Herbst beobachte, wird es still in meinem herzen. Bunte Blätter. Nebel. Wind. Frieden...
Er schenkt uns doch einen atemberaubenden Blick auf den Tod. Oder? Blätter sterben ab und fallen zu Boden. Aber sie sind nicht grau oder schwarz. Sie sind gelb. Orange. Rot. Braun. Grün. oder alles zusammen. Aber sie sind bunt nicht wahr? Trotzdem sind sie tot.
Und sie fallen ganz leise vom Baum. Schweben. Der Wind trägt sie manchmal sehr weit fort. Zieht sie an, wie ein Kleid, damit wir ihn nicht nur spüren sondern auch sehen können. wind macht die Seele frei.
Ich stelle mir vor, dass ich meine Probleme verbrenne und die Asche in den Wind streue. Dann bringt er die Sorgen weg. Verstreut sie auf der Welt. Asche ist brüchig und leicht. Sie verteilt sich gut. Danach sind meine Sorgen fort. Ich kann sie ja nicht mehr finden.
Außerdem kann der Wind meine Träne aus den Augen sammeln und forttragen. Es funktioniert zwar nicht immer, aber irgendwie erleichtert mich der Gedanke...
Manchmal bringt er den Nebel mit.
Damals glaubten die Leute, der Nebel und der Tod arbeiten zusammen. Aber wenn ich einen nebeligen Sonnenaufgang sehe, frage ich mich, warum sie dann Angst davor haben, zu sterben. Nebel schluckt die Geräusche. Dämpft das Licht. Verhüllt alles in seinem dampfenden Inneren. Nebel ist so still, geheimnisvoll und faszinierend schön. Wie der Tod...
Was macht dem Menschen nur solche Angst am Tod? Klar, es ist traurig, wenn jemand stirbt, den man lieb hat. Aber ihm geht’s doch besser als vorher. Selbst wenn’s endgültig ist. Dann hat der Tote ja auch keine Probleme mehr! Ist das etwas Schlechtes???


8. September



Bruno ist immer noch krank.

Aber wenigstens hustet es nicht mehr so schlimm.

Immer mehr Bäume werden bunt. Es ist so schön, all die bunten Farben friedlich mit einander zu sehen. jedes Herbstblatt ist einzigartig. Bunt. Schön. Aber vergangen.
Heute war ich auf dem Friedhof. Mama hat doch Geburtstag. Ich hab ein Tellerchen mit Katzenfutter hinter ihren mit Efeu bewachsenen Stein gestellt. Mama mochte Katzen. Eigentlich mochte sie sowieso alle Katzen, aber am Liebsten Katzen. Die schnurren ja immer so schön und können so gut schleichen. Schleichen bedeutet nicht nur, leise und still zu sein. Schleichen erfordert ein gewisses Geschick. Ich glaube, Mutti fand beides toll.
Was mir grad auffällt: Sind Katzen nicht tödliche Samtpfoten? Ohne den Tod hätten sie ja gar keine Nahrung. Trotzdem mögen sie die Menschen. Dabei sind sie doch kleine Mörder. Zwar hübsch, weich und süß, aber doch Mordwaffen. Und zweckmäßig zudem. Sie fangen Mäuse und streicheln geschundene Seelen... Der Tod gibt sich durch Katzen doch eine fellige Schönheit, inklusive Schnuren und Schmusen. Ganz schön kreativ.
Wie kann denn sowas böse und schlecht sein?


19. September



Die Linde über Mamas Grab wirft ihre gelben Blätter ab.

Das sieht schön aus. Ich stelle mir vor, dass die Blätter Mama zudecken. So friert sie nicht. Falls sie es überhaupt merkt. Und wenn nicht, verstecken die Blätter wenigstens ihr Grab. Dann schauen keine fremden Augen auf Mama herab. Das hätte ihr bestimmt nicht gefallen.
Der Friedhof ist so schön. Und im herbst besonders. Friedhöfe sind still. Friedlich. Aber auch tränenbeschwert.
Wie viele Tränen wohl schon die Wege zu Mamas Grab getränkt haben?
Und trotzdem bin ich gern dort. Ich liebe den Frieden dort.
Es ist so traurig schön...

traurig - um der Tränen willen
schön- wegen der friedlichen Atmosphäre



20. September



Bruno geht es schlechter.

Er hat Fieber. Scheinbar fällt es ihm schwer, die Augen offen zu halten. Zwar klagt er nie, aber er sieht immer so müde aus. Sogar geschimpft hat er, als ich den Arzt rufen wollte. Wenn es ihm in 2 Tagen nicht besser geht, rufe ich trotzdem den Doktor an.
Es ist so schwer, zu sehen zu müssen, wie mein guter, lieber Bruno leidet. Ich hab Mama schon viel zu lange dabei zugesehen. Noch einmal möchte ich nicht hilflos daneben stehen. Wenn der Arzt meinem Freund die Schmerzen erträglicher machen kann oder sonst irgendwie helfen kann, soll er das auch tun.
Bruno hat Angst vor dem Tod.
Mama nicht.
Also ist das etwas ganz anderes!


23. September



Ich hätte nicht so lange warten sollen.

Letzte Nacht ist Bruno gestorben. Morgen ist Mamas Todestag. Warum liegt das alles so nahe beieinander?
Hätte ich einen Arzt gerufen, wäre Bruno nicht tot.
Er hat so schlimm gehustet, dass ich aufgewacht bin. Besorgt bin zu ihm rüber gelaufen. Als ich an seinem Bett stand, hatte er schon aufgehört mit husten. Ich war zu spät.
Aber seine Augen waren aufgerissen. Seine schönen, hellblauen Augen starrten panisch an die Decke. der Mund stand offen, wie zu einen Schrei. Er sah nicht friedlich aus, wie Mama damals. Hätte er nicht solche Angst gehabt, wäre er sicher friedlicher gestorben.
Dieses Mal habe ich geweint. Hätte der Tod mich nicht gleich mitnehmen können? dann hätte ich Bruno vielleicht beruhigen können. Es war meine Schuld. Der Arzt hätte ihm helfen können.
Warum hatte ich dumme Kuh nur so lange gezögert?!
Es fühlte sich an, als hätte sich ein dicker, schwerer Mantel um mich gelegt, aber er war nicht warm. Er war eiskalt. Ich war völlig taub. mir war kalt, ich fror, aber das merkte ich überhaupt nicht.
Woher ich das Messer genommen hab, weiß ich gar nicht mehr. Warum ich damit meine Arme zerschnitten hab, kann ich auch nicht mehr sagen. Aber das Brennen, der schmerz... Es fühlte sich so richtig an, als wollte es mich trösten. Der Schmerz war so absolut, dass er alles andere verdrängte. Keine Gedanken. nur Schmerz und Blut. Es war so befreiend und erleichternd. Ich hab es sogar irgendwie genossen und mich noch ein paar mal ganz bewusst geschnitten. es tat unglaublich gut.
Mein blut war so schön warm. mir war doch so kalt und es hinterließ angenehm warme Spuren... Floß dunkel, zäh und träge über meine kalte, blasse Haut, wie um mich zu streicheln...


25. September



Morgen wird Bruno beerdigt.

Ich werde nächste Woche 18. Deshalb darf ich alleine zuhause bleiben. Aber die Polizisten werden jeden Tag nach mir sehen. Ich musste versprechen, sie auch einzulassen. Das werde ich tun.
Brunos Notar war vorhin da. Bruno hat mir alle seine Bücher vererbt! Auch alles andere: Unser Haus, den Plattenspieler mit seinen Platten, die Bilder und eine ganze Menge Geld.
Hab mir nie Gedanken gemacht, dass Bruno reich sein könnte. Aber der Notar sagte, dass ich mit den monatlichen Zinsen in Höhe von 600 Euro (und das ist angeblich nur eines von Brunos Konten!) bequem leben kann. Die bekomme ich auf mein Konto überwiesen. Erst mit 25 kann ich ganz auf das Geld zugreifen. vorher soll ich jede größere Ausgabe mit dem Notar klären. Er ist ein netter Mann, das denke ich, sollte kein Problem sein... Und Hallo: 600 Euro! Wow, also ich war wirklich überrascht... Von einem anderen Konto werden Miete, Strom und Heizkosten und so bezahlt bis ich 25 bin. Ich bin noch gar nicht richtig klar im Kopf. Was soll ich nur mit soviel Geld? ich meine, im Moment mach ich Abi und dann wollte ich eigentlich Medizin studieren. Ein Anschreiben von der Uni hab ich schon... Mit Stipendium...
Eigentlich interessiert mich das Thema Geld und so nicht sehr. Aber es war eben irgendwie... eine Überraschung. Eine Ablenkung von Brunos Tod. Immerhin muss ich mir erst mal keine Sorgen machen, wovon ich leben soll.
Ich werde Bruno jetzt einen riesengroßen Strauß bunter Rosen kaufen. Für mich hat er seinen Rosengarten verkauft, den er so geliebt hat. Dann soll der letzte Duft, den er mitnimmt auch von Rosen stammen. Das hätte er sich bestimmt gewünscht.
Ohne Bruno ist es furchtbar still im Haus und ganz leer. Keiner schimpft mehr über das schlechte Wetter, die Nachbarn, die Kälte oder den Mist, der in der Zeitung steht.
Niemand bittet mich, ihm ein Buch aus dem Regal zu geben, einen Tee zu kochen, ein Stück auf dem Klavier zu spielen oder eine Platte aufzulegen.
Keiner schlurft durch die Wohnung und murmelt vor sich hin, weil er seine Brille nicht finden kann, dabei hat er sie in der hand.

Ich fühl mich so schrecklich leer. Als wäre ich ein Geist. Würden die Schnitte nicht so jucken, wäre ich mir nicht sicher, ob ich noch lebe...


26. September



Wenn ich nicht schreiben könnte,
würde ich mit Sicherheit verrückt werden.
Brunos kleines Grab ist in einer ganz anderen Ecke vom Friedhof als Mamas. Vielleicht ganz gut so. Dann habe ich jedes Mal einen kleinen Spaziergang, wenn ich die Beiden besuchen möchte. das werde ich aber nicht all zu oft machen. Mein Herz ist so zerrissen von der Leere, dass mich die Stille dort fast erdrückt. Außerdem ist es so unruhig und zerwühlt in mir. Ohne Frieden. So was gehört nicht auf den Friedhof. Er ist doch ein friedlicher Ort. Mein Herz schlägt so laut und unregelmäßig, es würde die Ruhe dort stören und den Ort beleidigen.

29. September



Ich habe Geburtstag.

Es ist erst 5 Uhr morgens.
Nach Brunos Tod, hat mich der Arzt zwei Wochen krankgeschrieben. Bloß gut. Die Blicke meiner Klassenkameraden wären im Moment zuviel für mich. Alle, die mich zu Gesicht bekommen, bemitleiden mich.
Ich will kein Mitleid. Ich will Ruhe. Stille. Frieden.
Die Dunkelheit da draußen vor dem Fenster scheint so schön leblos. Nur leise, gedämpfte Geräusche. Lautloser Nebel. Vereinzelt stört der Schrei eines Vogels das Schweigen. Wie sehr sehne ich mich nach der Freiheit der nächtlichen Finsternis! Sie verbirgt einen vor mitleidigen Blicken und unangenehmen Begegnungen.
Ich bleibe fast die ganze Nacht wach. Manchmal gehe ich im Dunkeln draußen spazieren. streife über die Felder vor der Stadt. Aber das erleichtert mich längst nicht so sehr, wie die Schnitte.
Die vernarben. Einige waren scheinbar etwas tiefer. Sie hören auf zu jucken. Das macht mich wahnsinnig...

30. September



Der Wald ist ganz bunt.

So viele tote Blätter an den dunklen Ästen. wenn sie zu Boden fallen, machen sie Platz für neue Blätter. Sie bieten sich den Bäumen sogar als Nahrung an, damit neue Blätter wachsen können und der Baum überlebt...
In der Zeitung stand: "Es ist Erntezeit!". Ich sah aus dem Fenster: Es ist ja auch Herbst.
Das Sommergetreide, die Äpfel... es wird geerntet, wenn es reif ist. Getreide wird im Stadion der "Todreife" geerntet. da ist es doch auch schon am Sterben. Also wird totes Getreide zu unserer Nahrung. Und kein Mensch hat damit ein Problem.
Weil keiner darüber nachdenkt. Der Tod ist überall um uns herum. Da hat niemand Angst davor. Wieso haben die dann alle solche Furcht davor, selbst tot zu sein?!
Vielleicht ist meine Theorie ganz gut:
Der Tod ist ihnen unheimlich. Keiner weiß, wie es ist, tot zu sein. Niemand kann sagen, was nach dem Tod passiert. Ob nun Himmel und Hölle, wie die Kirche sagt. oder Wiedergeburt bei den Buddhisten. Vielleicht aber auch einfach NICHTS.
Dieses NICHTS ist mir am Sympathischten. Friede (weil kein Krieg oder streit), Ruhe (keine Gedanken und Gefühle mehr) und Stille (ich hab noch kein grab reden hören!). Klingt verlockend, finde ich.
Aber auch die anderen Möglichkeiten... Was kann denn böser, grausamer und schlimmer sein, als das Leben und der Mensch selbst?
In Afrika sterben viele Menschen am Hunger. Im Tod haben sie kein Hunger mehr. Ist das nicht eine Art Befreiung...? Anderswo sterben die Leute an schlimmen, qualvollen Krankheiten. Da ist doch der Tod eine Erlösung!


5. Oktober



Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder
Und der Herbst beginnt...

So fängt ein Lied an, dass ich mal in der Grundschule lernen musste. Jetzt lernen wir es im Gymnasium wieder. Eine Klassenkameradin brachte mir vorhin den Text vorbei..
Ironisch oder? Wir sind im letzten Jahr Abitur und lernen Kinderlieder aus der Grundschule...
Ich singe nicht gern. Meine Stimme ist so merkwürdig rau und es klingt bei weitem nicht so schön, wie der Gesang von Vögeln. Außerdem stört es die Ruhe. Es ist einfach zu laut und lebendig.
Aber ich habe wieder angefangen, Klavier zu spielen. Das habe ich nach Mamas Tod nur noch sehr selten gemacht. Unser altes Klavier war ziemlich eingestaubt. Es sah schön aus, wie der Staub lautlos im Sonnenlicht glitzerte...
Ich habe das Herbstlied gespielt. Eigentlich ist die Melodie fröhlich. Etwas langsamer und in den tieferen Tönen gespielt, gefällt es mir besser. Wahrscheinlich würden Mama und Bruno sich mehr über die originale Version freuen. Aber ich kann das Klavier leider nicht auf den Friedhof bringen.
Schade eigentlich. Ich könnte für den Tod spielen..
Vielleicht nimmt er mich dann gleich mit...?

10. Oktober



Gestern habe ich Plätzchen bekommen.
Und ein altes Liederbuch.

Die alte Frau, die gegenüber wohnt, hat mir das vorbei gebracht. Sie sagte, sie hört mich immer spielen (Ich sitze jetzt jeden Tag am Klavier, es tröstet mich). Ihr gefällt meine Art, Melodien zu verändern. Als Dankeschön gab sie mir die Plätzchen. Sie ist nämlich krank, aber meine Musik macht sie immer froh, hat sie mir erzählt. Irgendwie tat sie mir leid. Sie war so alt und klein. Nur um mir Danke zu sagen, ist sie zu mir an die Tür gelaufen. Dabei zitterten ihre Hände doch so sehr. wie schwer musste ihr der Weg gefallen sein?
Das Buch schenkte sie mir, für den Fall, dass mir die Melodien ausgehen. Ist das nicht lieb von ihr?
Ich hab es mir später angesehen. Bei einigen Liedern sind Notizen gewesen, wie man den Akkord besser spielt und so. Offenbar war sie selber eine Musikerin...?
Heute habe ich mein Fenster aufgemacht und ein Lied aus dem Buch gespielt, damit die es besser hören kann.
Zwei Stunden später hat ihr Mann an meiner Tür geklingelt. Er bedankte sich für mein Klavierspiel. Damit hatte seine Frau schön friedlich einschlafen können und sei lächelnd in den Tod gegangen. Ihm standen die tränen in den Augen, aber irgendwie schaffte er es, trotzdem zu lächeln. Es tat mir so leid für ihn. Immerhin kenne ich das Gefühl...
Werde auch ich eines Tages mit einer schönen Melodie im Ohr und einem Lächeln auf den Lippen sterben?


13. Oktober



Heut war mein erster Schultag.

Ich gehöre dort nicht mehr hin.
Vor dem Fenster fielen bunte Ahorn-Blätter zu Boden.

Ich bin wie ein Blatt.


Leise (ich rede kaum noch)

Farbig (meine Haare sind rot und die Augen grün)

Schön (hat Bruno jedenfalls immer behauptet)

Einzigartig (wie alle anderen auch...)

Vergangen (die Gegenwart ist mir so fremd)

und tot (meine Augen haben an Glanz verloren...)


15. Oktober



Auf nimmer Wiedersehen.

Heut gebe ich das Tagebuch einem Mädchen. Ich sehe sie oft im Zug, wenn ich von der Schule heimfahre.

Ihr Haar ist goldbraun und die Augen so dunkel, wie Schokolade.
Sie ist eigentlich klein. Aber irgendwas hat sie an sich, was sie groß wirken lässt. Selbst Männer, die groß und kräftig sind, wichen ihrem Blick aus. Sie geht aufrecht, wie eine Königin und lächelt immer ganz leise vor sich her, als wäre alles nur halb so schlimm.
Wenn mir jemand das Leben zurückbringen kann, dann sie. Und wenn nicht, kann sie meine Erinnerungen ertragen. sie verstehen und der Welt schenken...
Ich weiß es einfach.
Sie kann mir die Angst vor dem Leben
und anderen die Furcht vor dem Tod nehmen.
Das spüre ich.
Auch wenn sie es nicht mehr rechtzeitig schafft.
Mich wird zum ersten Mal jemand verstehen.
Sie wird mich verstehen.
Ohne übertriebenes Mitleid.

Weil sie hat dieses etwas in den Augen,
dass ich auch habe.
Aber sie lebt viel intensiver.
Sie hat etwas in den Augen,
was um den Tod weiß
und keine Angst davor hat.
Sie fürchtet den Tod nicht,
aber sie sehnt sich auch nicht danach.
Jedes Lachen,
jede Geste von ihr ist voll Leben.
Und sie lebt gerne.
Sie trotzt dem Tod.

Doch in ihrem Blick,
da sind ganz tiefe Narben.
Gut versteckt unter dem Glanz des Lebenswillens.
Aber ein paar Narben sehe ich manchmal.
Schmerzen und Tod.
Und auch auf ihrem Arm hat sie Narben.
Älter als meine.
Sie hat zum Leben zurückgefunden...
Sie wird verstehen...
Das weiß ich einfach,
in einem anderen Leben wären wir
vielleicht die besten Freundinnen.



So ein Schicksalsschlag!
Ich hatte zu lang gezögert, mit lesen!
Sie hatte mir keinen Namen und keine Orte hinterlassen, wo ich sie finden konnte.
Aber ich suchte sie trotzdem.
Mit jeder Zeile, ihres Buches, wusste ich: So bin ich auch!
Mit nur einem Unterschied:
Ich will leben!


Das Leben ist schön. Die Tatsache hätte ich einfach gern gezeigt.

Monate später stand ich auf einem Friedhof.
Am Ende fand ich 3 Gräber:

Erst:

Bruno Karl Ernsting
geb.: 16. Juni 1916
gest.: 23. September 1999

Ruhe in Frieden, mein Freund.




Ich war am richtigen Ort!
Mit wild schlagenden Herzen suchte ich nach dem Grab der Mutter. nur um mir die Bestätigung zu holen.

Und ich fand es, weiter hinten, unter einer Linde:

Tabita Mehrents
geb.: 8. September 1979
gest.: 24. September 1998
Ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag
Charlie Chaplin

Ich liebe dich, Mama.




Wo konnte ich das Mädchen finden? Irgendwie hatte ich es auf einmal eilig.
Und dann fiel mein Blick auf das benachbarte Grab.
Es war frischer.
Auf den anderen beiden Gräbern hatten dicke Blumensträuße gelegen.
Auf diesem hier stand nur ein einfaches Holzkreuz:

Viola Mehrents
geboren 29. September 1981
gestorben 16. Oktober 1999




Ich war zu spät.
Wie vom Donner gerühert stand ich vor dem Grab.
Die ersten Frühlingsblumen wagten sich aus der erde und umgaben Violas Grab mit einem zarten Hauch Wärme und Schönheit.

Aber ich wollte ihr den Wunsch erfüllen.
Denn ich hatte sie verstanden.

Ich kaufte einen Herbstkranz mit einem Spruchband:


"Der Tod und der Herbst sind gar nicht so verschieden..."




Heute bin ich selbst die Mutter von zwei erwachsenen Kindern und Großmutter einer wunderschönen Enkelin, die ironischer Weise dieser Fremden ein bisschen ähnlich sieht...

ich habe nie jemanden von ihr erzählt. Auch meinen Mann nicht, der letztes Jahr gestorben ist.

Es wurde Zeit,
Violas Erinnerungen an die nächste Generation weiter zu geben.


Denn ich vergesse nicht...

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Texte: Das Bild ist aus dem Internet, ich habe es bearbeitet. Alle anderen Rechte an Wort und Sinn liegen bei Avena Fatua. Die Figuren sind erfunden, Ähnlichkeiten mit der Realität sind unbeabsichtigt.
Tag der Veröffentlichung: 22.03.2011

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Widmung:
Manu': Ich weiß, das Leben ist schwer. Ich denke an dich in deinem Verlust. Meinen Freunden und meiner Familie... Selbst hier nach werdet ihr nicht verstehen, aber vielleicht fühlen. An Opa: Ich werde dich vermissen. das Schlimme ist, ich konnte mich nicht einmal verabschieden von dir... Und dem Tod: Ich fürchte dich nicht.

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