Die Braut
Sowillo- Sonne. Mein Vater war ein Druide.
Wisst ihr heut noch, was echte Druiden waren? Nein, sie hießen nicht alle Miraculix und mixten Zaubertränke. Sondern waren unsere heiligen Männer. Sie beherrschten die Magie der Runen, heilten Kranke, bewarten das Wissen der Ahnen, beschworen Geister, lehrten uns den Willen der Götter, deuteten Sterne, lasen Zeichen der Natur und waren die Berater der Häuptlinge. Überall waren die Druiden geachtet.
Mein Vater war sehr freundlich und klug. Er lehrte mich, sein einzigstes Kind, was er einem Sohn beigebracht hätte. Nur falls ich tatsächlich nicht den Sohn des Druiden aus dem Nachbardorf zum Manne nahm. Denn der Druide war böse. Falsch und gefährlich. Ich hasste ihn und auch seinen Sohn.
Trotzdem wünschte sich Vater, ich würde die Frau eines Druidensohnes. Erben durfte nur ein Sohn. Doch so sehr Vater mir die Vorteile auch in den Sinn zu geben suchte: Ich hasste den Mann, dessen Weib ich werden sollte.
Damals war ich fast 16 Sommer alt. Nur wenige Monate zuvor war ein Jäger mit seiner Familie in unser Dorf gekommen. Seine Siedlung war von einem schweren Unwetter zerstört worden. In allen Familien gab es Tote zu beklagen. Er trauerte um die Mutter seiner Kinder.
Der Häuptling kam zu meinen Vater und bat ihn um Rat. Es konnte ja sein, dass diese Familie Unglück brachte. Doch Vater erschien in der Nacht der Geist einer Frau. Sie sprach zu ihm, dass der Sohn des Jägers einer reinen Seele einmal Glück und Freude schenken solle mit seiner Lieber. Einer bösen Seele sollte er jedoch strafen. So wurde beschlossen, die Familie könne bleiben.
Neugierig beobachtete ich den Jungen von dem der Geist gesprochen hatte. In der Tat ein besonderer Junge! Sein Name war Isatz. Eis. Seine Schwester war ein nettes Mädchen, wir freundeten uns an. Doch Isatz faszinierte mich. In der kältesten Nacht soll er geboren worden sein. Fast 3 Jahre vor meiner Geburt.
Ich war verliebt in ihn, ehe ich auch nur wusste, wie mir geschah. Seine eisblauen Augen bohrten sich in meine dunkelblauen. Oh wir waren so verschieden, aber zog mich an...
Während sein Haar rabenschwarz und glatt war, trug ich goldene Locken. Ich war ein fröhliches, lebhaftes Mädchen, das ständig sang oder lachte. Mit der Sonne stand ich auf und ging sie unter, legte ich mich nieder.
Isatz war anders. Seine schneeweiße Haut gab einen Kontrast zu meiner sonnengebräunten. Er liebte die Nacht, ich den Tag. Dieser junge Mann war so ruhig, schüchtern und in sich gekehrt. Während ich gesellig war, blieb Isatz lieber allein. Fast als wäre er stumm. So lang er nicht musste, sprach er nicht, lachen sah man ihn nie, nur manchmal lächelte er.... traurig sah dies aus...
Vater begann langsam zu zweifeln, wie DIESER Knabe Glück und Freude bringen sollte...
Eis
Ich bin Isatz. Mein Name ist eigentlich eine Rune. Sie steht für Eis.
Und genau das bin ich... kalt. Seid Mutter gestorben ist kann ich nicht mehr lachen. Ich habe es verloren. Aber dieses Mädchen zwang mich zum Lächeln...
Vater zog mit uns Richtung Osten auf der Suche nach gutem Jagdgebiet und einem Dorf mit Menschen, die nicht allzu geplagt sind. Vater hoffte, dass wir wieder "gesund" würden. Wunjo, meine kleine Schwester, fand in dem neuen Dorf schnell eine Freundin. Sowillo. Meine Sonne...
War meine Welt noch so kalt und dunkel, brachte dieses Mädchen Licht hinein. Oh hätte ich gern mit ihr gelacht. Ich konnte aber nur meine Lippen zu einem Lächeln verziehen. Eines das nie in meine Augen kam. Und sie sah es. Sie wusste das mein Lächeln nur ein trauriger Abklatsch war.
Sie wusste soviel. Ich sah es in ihren dunkelblauen Augen. Dem traurigen Blick, der ihr strahlendes Lächeln plötzlich beschlich, nur für einen kaum merklichen Augenblick.
Manchmal sah ich sie im Wald. Sie sammelte Wildblumen, Beeren oder Kräuter und sang mit leiser, aber wundervoller Stimme Lieder. Bevor ich mein Lachen verlor, sang ich auch gern. Nun lauschte ich still dem schönen Gesang, der mir doch ein wenig Wärme gab...
Mittsommer
Das Mittsommerfest nahte. Oh, war ich gespannt! Bei uns war es Brauch, dass an jenem Tag alle heiratsfähigen Mädchen und Jungen der Nachbardörfer zu uns ins Dorf kamen. Wir Mädchen wurden festlich geschmückt. Mutter hatte mir ein gelbes Kleid geschenkt, das Gesicht weiß gepudert und die Lippen kirschrot gemalt. Das Haar wurde mir in goldenen Zöpfen um den Kopf geflochten und mit gelb-roten Blumen geschmückt
Es gab ein großes Festmahl auf der großen Wiese vor dem Dorf. Wir Mädchen sangen und tanzten den ganzen Tag zu Ehren der Sonne, baten um gute Ernte und einen kurzen Winter.
Am Abend wurde ein großes Feuer gemacht an dem frisch erlegte Beute gebraten wurde.Nun waren die jungen Männer an der reihe: Sie konnten sich eine Braut wählen, sie umwerben und ihre Liebe beweisen. Richtig um ihr Gunst buhlen mussten sie. Das war manchmal sehr lustig. Viele holten ihre Angebetete in die Mitte und tanzten wild mit ihr herum. Ach, was haben wir gelacht!
Nur ich war nervös: Würde auch mich einer wählen? WO war Isatz? Den ganzen Abend hatte ich ihn nicht gesehen... Würde ich diesem Hohlkopf von Druidensohn doch noch entkommen? Vater hatte ja gesagt, wenn mich auf diesem Fest ein anderer wählen würde, der mir lieber war, dürfte ich dessen Weib werden. Eigentlich betete ich darum, dass mich irgendein anderer Bursche nehmen würde. Alle nur nicht dieser Taugenichts! Der brachte mir tatsächlich vor allen Leuten ein Geschenk! Eine Kette mit einem Stein. Verächtlich warf ich ihm die Kette an die Brust und rief: "Die Sonne fängt man nicht mit Steinen!" Alle lachten. Da trat Isatz vor das Feuer und sprach: "Aber vielleicht mit Blumen und Liedern?" Überrascht wand ich mich um und wurde rot. Er stand mit einem Strauß gelber Blumen da und lächelt scheu. Dann kniete er nieder und begann zu singen:
"Meine Braut sollst du sein,
strahlend wie der Sonnenschein.
So wie ich dich einst sah,
ein Geschöpf der Sonne nah..."
Was hatte er doch für eine schöne Stimme! Doch mitten im Lied wurde er von einem Wutschrei unterbrochen. Sein Rivale war wütend aufgesprungen. "Miststück!" Schrie er und warf einen Dolch nach mir. Isatz reagierte blitzschnell: Er stieß mich zur Seite. Die Klinge fuhr in seinen Rücken.
So starb mein Bräutigam...
Für kurze Zeit hatte er mir Glück und Freude gebracht. Alle waren gerührt gewesen. Selbst Vater hatte wohlwollend gelächelt. Doch das Glück hatte nur eine Strophe lang gewährt...
Endlos gefroren
Isatz war tot. Mit ihm zerbrach mein Herz. Vor Schock konnte ich nicht einmal weinen. Als ich jedoch begriff, was geschehen war, schien mein Herz zu zerreißen. Vor Schmerz schrie ich auf und riss das Messer aus dem Leichnam meines Liebsten. In blinder Wut warf ich es ins Feuer und warf mich tränenüberströmt auf den noch warmen Leib.
Sein Mörder stand nur einige Schritte entfernt. Verwirrt sah er mich an. Im verschwommenen Feld meines Blickes sah ich alles Stumm ablaufen. Nichts erreichte mich. Nicht, dass Isatz Vater aufsprang und den Mörder seines Sohn mit einem Speer erlegte. Nicht, wie meine Mutter zu mir stürzte. Nicht wie der Druide aufsprang und Rache rief. Nicht, dass Vater ihn zu beruhigen suchte. Nichts. Ich hörte nichts. Sah nichts. Ich weinte nur.
Das fest war vorbei. Man zerrte Isatz Vater und den Druiden auseinander. Löschte das Feuer. Irgendjemand brachte die Toten weg. Ich saß nur da und vergoß bittere Tränen.
Bald saß ich allein auf der blut-getränkten Erde. Nur vom kalten Vollmond bewacht.
irgendwann in der Nacht spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter. Doch ich sah nicht auf. es war mir egal. "Du bist die reinste Seele im ganzen Dorf...", wisperte eine Stimme. Wunjo. Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. "Doch... Du hast diesem bösen Mann die Gelegenheit gegeben, zu fliehen, als du die Klinge in die Flamme warfst... Du hättest Rache üben können..." "Ein toter Sohn reichte für diesen Abend...Jetzt wird sein Vater uns nach dem Leben trachten." Woher ich das wusste? ich spürte es tief in meiner verletzten Seele. Das Herz des Druiden war schwärzer als die Nacht und giftige als alle Nattern dieser Welt..
Vor mir sah ich Isatz traurige Augen. Hellblau wie Eis. dieses Bild war in meiner Seele eingefroren. Nie würde ich es wieder hergeben.
Schwarze Nacht
Monatelang war ich in meiner Trauer versunken. Mein Lachen war verklungen und Schmerz zeichnete nun mein Gesicht. Das Singen hatte ich mit Isatz ins Grab gelegt. Wozu fröhliche Lieder erklingen lassen, wenn nicht einmal mehr Tränen den Schmerz lindern?
Wie ich vorhergesagt hatte, versuchte der Druide, mir zu schaden. Alle Versuche scheiterten, meistens aber nur ganz knapp.
Nachts konnte ich kaum noch durchschlafen. Oft stand ich irgendwann auf, um zum Mond hinauf zu schauen. In der Nacht fühlte ich mich Isatz näher. Als ob er da wäre und meine Hand hielte.
Als ich einmal wieder zurück in die Hütte gehen wollte, sah ich einen Schatten, der sich zur Tür hinein bewegte. Vater? Bestimmt, seid dem Fest ließ er mich kaum aus den Augen. Immerhin hatte ich in meinem Kummer versucht, mir das leben zu nehmen...
"Papa, such mich nicht. ich bin schon wider zurück...", sprach ich zu dem Mann, den ich für meinen Vater hielt. Dieser drehte sich völlig überrascht um. Das war der Vater von Isatz Mörder! Erschrocken erkannte ich ein Messer in seiner Hand. Was wollte der denn damit?! Noch bevor ich weiterdenken konnte, stieß er damit in meine Richtung. Ich hatte das Gefühl, mich würde jemand beiseite stoßen. So fuhr die Klinge nur knapp neben mir in das Holz der Wand. Vor Schreck hatte ich kurz aufgeschrieen. Der Mann floh. Das war der erste Anschlag.
Es folgten noch mehrere. Nach einem vergifteten Tee, einen Pfeil, der mich knapp verfehlte, einem vergifteten Wolfshundwelpen und weiteren Schrecken, platzte mir, wie ihr sagen würdet, die Hutschnur...
Vor der Stunde des Urteils
Als mich wieder mal knapp ein frisch gefällter Baum verfehlte... Zum dritten mal innerhalb der vergangenen Wochen... Wendete ich mich voll Zorn an Vater. Schließlich war mein Leben ohne Isatz schon kaum noch was wert, ich wollte nicht auch ständig darum bangen! Vater erzählte mir, dass es Isatz Vater und Wunjo genauso ging. Zweimal hatte ich meine kleine Freundin sogar schon zufällig gerettet...Ich verlangte, dass wir das ganze vor den Ältestenrat brachten. Nicht einmal ein Druide sollte das recht haben, Menschen nach dem Leben zu trachten! aber er war nun mal ein heiliger Mann, also durfte nur der Ältestenrat ihn bestrafen.
Vater ging zum Häuptling und erzählte diesem von dem Unfrieden. Aufrichtig empört sandte dieser Boten aus, um den Ältestenrat ein zu berufen. Es dauerte Wochen, ehe alle Druiden, Häuptlinge und Dorfältesten (jeweils der älteste Mann und die älteste Frau eines Dorfes) der Region einfanden. In dieser Zeit versuchte unser "Freund" sogar, das Haus von Isatz Familie ab zu brennen! Nur gut, dass ich in jener Nacht wieder nicht schlafen konnte und durchs Dorf spaziert war. Schon während der ersten Flammen hatte ich Wunjo und ihren Vater wecken können. Hilflos sahen wir zu, wie das Strohdach und die Holzwände in den Flammen zu Asche wurden.
Als der Ältestenrat versammelt war wurde gerichtet. Wir mussten alle einzeln in das Haus des Häuptlings, wo die dreißig Männer und fünf Frauen saßen. Jeder berichtete, was der Druide getan hatte. Jeden Tag, war einer dran. Am Tag zuvor hatten Vater und der Häuptling den Vorfall vom Fest geschildert. Isatz Vater musste zuerst antreten. Wunjo und ich warteten nervös. Es war fast schon Nacht, als er sich zu uns gesellte. Wunjo plagte ihn mit ihren Fragen, doch er schwieg. Als sie zu Bett ging kam er noch einmal zu mir. "Tochter...", so nannte er mich seid Isatz gestorben war und ich war dankbar dafür. "Du wirst ihnen alles sagen müssen... Auch, was du für meinen Sohn gefühlt hast. Sie werden dich so oder so danach fragen. Verstecke deine Tränen nicht. Dieser Rat ist aus klugen Menschen zusammengestellt. Viele von ihnen sind alt und erfahren, andere jung und doch weise. Wenn du ihnen etwas verschweigst werden sie es trotzdem wissen. Hab keine Angst, die werden gerecht urteilen. Die Götter werden ihr Urteil lenken" Dann ging er fort. Zum ersten Mal seid Monaten ohne gebeugtes Haupt.
Ich sah ihm nach. Er war alt geworden, in der Zeit, seid er sich allein mit Wunjo ums Überleben plagen musste. Noch zu gut erinnerte ich mich an den Tag, als er mit seinen Kindern zu uns kam.
Er war einige Jahre jünger, als mein Vater und ein kühner Jäger mit Leib und Seele. Von Weitem sah es fast noch aus, als wäre er nur der große Bruder von Isatz. Sein schwarzes Haar schien seinen eigenen Willen zu haben, war aber nicht sehr lang. Er schnitt es immer wider kurz. Sein Sohn auch...
Seine Augen waren grau-blau, aber beinahe so hell, wie Isatz'. In ihnen glänzte eine unbeugsame Überlebenskraft und ein ungebrochener Stolz. Sein schlanker Körper war sehnig und von der Jagd gestählt. Er ging aufrecht und überragte jeden Mann im Dorf. Nicht ein graues Haar oder eine tiefe Falte verriet sein Alter. Nichts schien diesen Mann unter zu kriegen. Doch nun... Sein Haar war fast weiß geworden, tiefe Sorgenfalten zierten Stirn und Mundwinkel. Sein gerader Rücken war mittlerweile vom Gram gebeugt, seine federnden Schritte, wie von einer schweren Last gebremst... Daschan war alt geworden. Und das über einen Sommer. Der Herbst hatte schon begonnen...
Daschan... gestern erst war er mir den roten Blättern einer Eiche zu mir gekommen und sagte: "Der Herbst ist da. Nun werde ich Dreiundvierzig Jahre alt... Bald werde ich nicht mehr jagen können. Wer wird dann um meine Tochter sorgen?" "Ich werde ihr eine große Schwester sein.", ich hatte einen Kuss auf seine raue Hand gegeben. Diese Hände, wie Isatz sie hatte... Lang, schlank und voller Kraft. Er hatte gelächelt: "Du wirst eine gute Schwester sein, Tochter." Erst da hat er mir seinen Namen genannt. Daschan. Solch einen Namen hatte ich nie zuvor gehört, aber das sollte mich nicht wundern. Nie zuvor hatte ich solch helle Augen wie bei ihm und Isatz gesehen... Die Götter haben diese Menschen geschickt. Sie kommen ganz gewiss nicht aus unseren Wäldern...
Heute jedoch war ein leichter Abglanz seines alten Erscheinungsbildes zurück gekommen. Als hätte man ihm eine Last genommen... er hoffte wieder...
Würde ich morgen Abend auch wieder so voll Hoffnung sein?
Dunkles Dämmerlicht...
Am nächsten Morgen weckte mich der frühe Gesang von Vogelstimmen. Ihr zartes Lied schien mich aufbauen zu wollen. Meine Eltern schliefen noch. So stand ich auf und trat vor das Haus. Stirnrunzelnd beobachtete ich einen Mann, der eilig in die Wälder huschte. War das wieder der Druide? Sein Betragen hatte mich Misstrauen gelehrt.
"Sowillo?", ich sah hinunter. Ein kleiner
Junge mit braunen Haar und haselnussbraunen Augen blickte zu mir auf. Der Enkel des Häuptlings. "Tamar? Guten Morgen... Was bringt dich zu mir, mein freund." Ich schenkte ihm ein Lächeln. Er war ein liebes Kind. Nach Isatz Tod hatte er mir jeden Tag einen Blumenstrauß gebracht. Schließlich mochte ich Blumen. Wenn er groß ist, sagte er, heiratet er mich, damit ich nicht so traurig wegen Isatz bin. Wie gesagt, ein liebes Kind...
"Großvater sagte, der Rat will dich sehen und ich sollte dich wecken..." Ich nickte. "Ich folge dir." seine kleine Hand um griffen meine Finger und er zog mich zu dem Haus. Als Dank gab ich ihm ein Küsschen auf die Stirn. Freudig sprang er davon, während ich ihm traurig hinterher sah. Würde ich eines Tages auch wieder so froh sein?
Ich schob die Decke vor dem Eingang beiseite und trat ein.
Dunkelheit umfing mich. In der Mitte des runden Hauses räucherte und qualmte ein kleines Feuerchen. Es roch nach Fichtenharz. Im Dämmerlicht sah ich rings um das Feuer Menschen sitzen. Viele waren schon würdevoll im Alter ergraut. Man erkannte jedoch sofort den Jüngsten in der Runde. Ein Mann saß genau gegenüber vom Eingang. Er zog meinen Blick auf sich.
Dunkles Haar wallte schwer über seine Schultern und reflektierte rötlich das Licht des Feuers. Die Nase war gebogen, wie der Schnabel eines Adlers. Volle Lippen bildeten eine strenge Linie. Seine Augen schienen schwarz und durchbohrten meinen Blick. Seine Haut hatte die Farbe von alten Leder. Irgendwie passte er nicht hier her... Nicht in diese Gegend... Nicht in unser Land...
Ich ließ die Decke zurückfallen. Ein schwacher Luftzug ließ die Flammen zittern. Alle sahen mich an. Vater nickte mir zu, wollte mir offenbar Mut machen. Hatte er nicht eben noch schlafend auf seinem Lager gelegen?
Verwirrt erwiderte ich seinen Blick.
Da erhob sich der Mann, der so auffällig anders war...
"Du bist also Sowillo. Tochter des Druiden Ashmkeé und Enkelin des Häuptling Ondem." Seine Stimme war rau und so dunkel, dass selbst die dunkelste Nacht dagegen wie der Vollmond selbst wirken musste. Er sprach fehlerfrei, aber betonte die Worte so anders, als wir... Leise hatte er gesprochen, doch es schwang unendliche Kraft darin mit. Das Getuschel, dass bei meinem Eintritt begonnen hatte legte sich mit einem Mal.
Wer war dieser Kerl, dass alle solch einen Respekt vor ihm hatten?! Es war kaum zu fassen, dass der Ältestenrat einen solch jungen Mann zum Leiter der Versammlung machte. und was für eine Macht umgab ihn da eigentlich? Er hatte eine Aura, die selbst mich einschüchterte aber gleichzeitig faszinierte. Wenn er alt war, dann höchstens 25 Lenze. Federn und Perlen schmückten sein Haar und seine Kleidung. Ein Druide. So jung schon? Und dann schon so respektiert? Er war sehr groß. So groß wie Daschen? Er wirkte größer. Seine Schultern waren breit. Seine Arme waren kräftig und stark.
Ich schwieg und neigte nur stumm mein Haupt. ich trug nur ein schlichtes Lederkleid. Kein Schmuck. Mein Haar trug ich offen. Barfuss stand ich vor den vielen Fremden. Fünfunddreißig Augenpaare musterten mich mit mehr oder weniger kritischen Blick. jeder schien anders zu denken. ich seufzte ergeben. das würde ein langer Tag werden...
Vergänglichkeit...
Plötzlich stand dieser merkwürdige Fremde direkt vor mir. Warum hatte ich nicht gesehen, dass er sich bewegt hat?! War ich wirklich so unaufmerksam gewesen? Verwirrt sah ich ihn an. Ich war groß für ein Mädchen, aber trotzdem musste ich den Kopf in den Nacken legen. Er stand keine zwei Schritte von mir entfernt. Ihn umgab eine Aura aus Macht und Magie. Sie kitzelte auf meiner sensiblen Haut. So stark hatte ich das noch nie gefühlt, weder an einem Druiden, noch an mir. Wie war es möglich, dass ein Mensch solch eine Aura besaß, dass man das Gefühl bekam, man könne sie greifen?
"Wer war Isatz, Sowillo?" Seine Stimme rüttelte mich wach, als wäre ich in Trance gewesen. Mir schwindelte, hatte ich doch tatsächlich vergessen, zu atmen!
"Isatz... Er war der schönste Mensch, den ich je sah. Seine Augen hatten die Farbe von Eis. Seine Haut war bleich, wie Schnee und kalt, als würde er immer frieren... Er hatte eine angenehme Stimme, vor allem wenn er sang..." Ich senkte mein Haupt wieder dem Boden zu. Verstohlene Tränen rannen die Wangen hinab. Die Stimme des Fremden wurde weicher: "Sprich weiter, Mädchen." "Isatz lachte nie fröhlich, wie andere Jungen. Eigentlich war er oft traurig. Manchmal lächelte er nur, damit ich es tat, aber seine Augen... Die Traurigkeit war ihm in die Seele gefroren, wie mir damals die Fröhlichkeit eingebrannt war... Ich habe ihn einmal gefragt, was ihn so traurig mache... Isatz sagte, er war schon als Kind so...ruhig. Er fühlte schon als Kind, als hätte er Eis um das Herz... Und seid die Mutter gestorben war, konnte er nicht einmal mehr lächeln... Es tat mir leid. Doch Isatz wollte nicht, dass ich seinetwegen bedrückt war..."
Eine warme Hand legte sich unter mein Kinn, zwang mich, den Kopf zu heben. Das Gesicht des Mannes war angenehm markant. Seine Augen waren gar nicht schwarz. Sie waren dunkelbraun...
"Deine Tränen..." , setzte er an, dann jedoch führte er mich in die Mitte des Raumes. Verwirrt sah ich zu Vater. Seine Gesichtszüge entglitten völlig. Ungläubig sah er mich an. "Sprich weiter.", das kam von einer alten Frau, die direkt neben dem Platz saß, von dem der Fremde aufgestanden war.
"Isatz war beeindruckend. Er lief schneller, als die Wölfe und Pferde. Er liebte die Nacht. sobald die Sonne versunken war, fühlte er sich freier. Oft half er mir bei Arbeiten. Seine Hände waren so geschickt! Isatz half mir Körbe flechten, wir gingen gemeinsam im Wald Kräuter suchen oder fischen. Isatz bedeutete mir viel. Niemanden habe ich so geliebt, wie ihn. Niemanden traute ich so wie ihm..." Das Wasser lief unaufhaltsam aus meinen Augen.
Alle sahen mich an, als wäre ich ein Wunder. Selbst der Fremde. Da sie mir aber nicht sagten, was ungewöhnlich war. Sprach ich weiter.
"Isatz war mein Gegenstück. So wie es Sonne und Mond gibt, so gab es uns. Wir brauchten einander und durften doch nicht miteinander leben. Ich war schon einem anderen versprochen. Wir redeten zwar nie davon, aber wir wussten beide, dass es so war. Nur auf dem Mittsommerfest konnten wir es ändern. Vater hatte gesagt, auf dem Fest durfte ich einen anderen wählen, vorausgesetzt, er wählte auch mich. Wenn nicht musste ich den Sohn des Druiden Haschgab zum Manne nehmen..." "Und wie fandest du jenen Mann?" "Ich verachtete ihn mit ganzem herzen. Er war genau wie sein Vater. Böse, uneinsichtig, hinterhältig und gemein, aber nicht so klug, wie sein Vater. Er wollte mich nur besitzen, mein Wissen missbrauchen für sein Zwecke. Er war mir wirklich zu wieder. Auch mochte er keine Tiere und Blumen, er verachtete andere Menschen, hielt sich für mehr wert."
Eine alte Frau nickte: "Es stimmt, was das Mädchen spricht. Der Knabe war ein unangenehmer Mann." Die Dorfälteste.
"Was geschah auf dem Fest?" "Der mir Zugesprochene zog mich nur in die Mitte der Feiernden und schenkte mir eine Kette mit einem Kiesel auf dem die Rune Sowillo eingeritzt war. Verächtlich gab ich ihm das wertlose Ding wieder. Andere schenkten ihrer Braut Schmuck aus wertvolleren Material und seine Familie war keine arme! Ich sagte ihm, dass man die Sonne nicht mit Ketten und Steinen fangen könne. Da erklang Isatz Stimme und fragte, ob sie denn mit Blumen und Liedern leichter zu haben sei." Mittlerweile weinte ich. Kummervoll wischte ich meine Tränen weg und fuhr fort: "Sein Gesicht wurde von einem scheuen Lächeln geziert. Aber dieses mal lächelten auch seine hellen Augen! Mir schlug das Herz vor Glück. Und dann begann er zu singen. Die Worte haben sich in meinem Herz festgesetzt... Nie war solch reine Männerstimme in meinen Ohren geklungen! Nie war ich so froh! Ich wollte ihn vor allen Menschen umarmen. Wollte laut gestehen, was er mir war... Aber.. Aber..." Ich schluchzte verzweifelt: "Es durfte nicht sein."
In meinem Kopf erklang wieder das Lied:
"Meine Braut sollst du sein,
strahlend wie der Sonnenschein.
So wie ich dich einst sah,
ein Geschöpf der Sonne nah..."
Sein wunderbarer Gesang schallte wieder hinter meiner Stirn. Die Erinnerung war so frisch. Das Leben war so vergänglich...
"Warum, Sowillo. Was geschah?" "Ihr wisst es doch!", sagte ich unter Tränen.
"Ja. Wir wissen es, kleine Sonne." Der Fremde nannte mich bei dem Kosenamen, den Vater, mir gegeben hatte.
Nachtruhe
Als ich das Haus des Häuptlings verließ war es bereits dunkel geworden. In beinahe allen Hütten waren die Lichter schon erloschen. Während der Rat noch diskutierte schienen alle anderen zu schlafen. Wunjo saß vor dem Eingang unserer Hütte. Als sie mich erkannte sprang sie auf und lief zu mir. Im Flüsterton plagte sie mich mit Fragen. Ich schüttelte den Kopf: "Ich kann nicht darüber reden. Noch nicht, Kleine..."
Dies war die erste Nacht seid Isatz Tod, in der ich nicht aufwachte. Irgendwie war mir ein Stein vom Herzen gefallen. Eine Last von den Schultern genommen...
Texte: alle Rechte bei Avena Fatua
Tag der Veröffentlichung: 19.07.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dank an all meine Freunde, die immerzu versuchen, mir den Glauben an Liebe zurück zu geben.
Und an Schandmaul deren Lied "Die Braut" mich erst auf die Idee brachte^^