Länger als drei Stunden darf es auf keinem Fall sein
Der krank dahinsiechende Körper verliert immer mehr an Kraft und die geistige Kontrolle über das zu Kontrollierende muss eingeteilt werden.
“Was ist dir wichtig? Womit kannst und willst du leben? Ist die Entscheidung, die du triffst, für dich noch lebenswert?”, diese und noch viele andere Fragen schwirren durch deinen Kopf. Sie lassen dich keinen Augenblick los und du weißt, alle möglichen Antworten hängen von der Kontrolle über den Schlaf ab.
Multiple Sklerose, schon weit über die Schubphase hinweg, Reparatur unmöglich, die Erhaltung des noch Vorhandenen ist einzig was zählt.
Ich, der die Bewegung von Körper und Geist untrennbar verbunden sehe, muss jetzt entscheiden. Muss Teile zu Gunsten anderer bewusst aufgeben!
“Na mach, komm, entscheide!”, nicht länger darf ich den kopf in den Sand stecken, “Was ist Multiple Sklerose überhaupt? Was gehört von all den, für nichtig erklärten Störungen, dazu?”
Seit kurzem Internet und PC Besitzer werde nun zu einem Benützer und was ich da zu lesen hab, macht es den Fragen in meinem Kopf nicht leichter. Alles, was ich außer einer Grippe, Röteln, Mumps, einigen Brüchen, Operationen zu deren Reparatur und die des Blinddarms, scheint dazu zugehören.
Die Entscheidung hängt davon ab, was gehört für einem zu Lebensqualität und was nicht und die Antwort weiß ich jetzt, aber diese hängt davon ab:
“Kann ich meinen Schlaf so kontrollieren, dass ich ihn auf keinem Fall länger als drei Stunden nutze?”
Seit der Diagnose sind zwei Monate vergangen und einen davon verbrachte ich zur Kur und da entdeckte ich, dass ich vor einer großen Erntscheidung stehe.
Die Kontrolle über meine Muskulatur muss unterschieden werden.
Ich war schon mal in der Situation, mich mit Blasenschwäche zu beschäftigen, nach der Geburt meines ersten Sohnes, meine damalige Erklärung, auch die der Ärzte, der Kleine hatte Spaß daran, während der ganzen Schwangerschaft darauf zu sitzen. Beim Ultraschall stellte der Arzt fest: “Entweder setzt der sich der Kleine zum Bildermachen immer zurecht oder er verändert seine Haltung nicht!” Er kann das auf einer Stelle verharren immer noch sehr gut und zur Geburt war seine Beteilung, das Ausstrecken seiner Beine.
Ich hatte in der nächsten Zeit viel damit zu tun, meine gequälte Blase zu pflegen und dies wurde auch zu einem wichtigen Bestandteil meiner Arbeit. Irgendwann vergaß ich die Ursache, woher dieses Thema seine Wichtigkeit für mich erfuhr und so verneinte ich Fragen, ob ich ein derartiges Problem habe. Hatte ich ja nicht, zumindest nicht mehr.
Jedoch gruselige Geschichten hörte ich zur Kur, da wurde regelmäßig die Blase geschallt, ob und wie sehr sie sich entleert. Krankheitskollegen erzählen von gebotoxter Blase, die mittels eines Schlauches zu bestimmten Zeiten entleert wird oder das Leben mit einer Windel, welches aber sehr traumatisches Auswirkungen auf die Psyche hat.
Die Kontrolle über meine Ausscheidungsorgane bestimmt meine Lebensqualität. Denn es würde nicht nur bei der Blase bleiben und einmal hab ich es erlebt. Während des Kuraufenthaltes musste ich feststellen, dass das Trainieren der äußeren Muskulatur mein Denken überforderte und zum Nachteil der Inneren wurde und ich jegliche Therapie mit dem Toilettengang beginne und beende.
Einmal war ich in diesem riesigen Bewegungsroboter geschnallt und trotz vorzeitigen Ausstieg, schaffte ich den Großgang nicht zu seinem bestimmten Platz.
Zum allerersten Mal überfällt mich dunkelste Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, wegen einer besetzten Toilette.
Der Trost, von der mir zu Hilfe eilenden Schwester und der später auftauchenden Ärztin: “Das gehört zu ihrer Krankheit, aber wir sind dafür gerüstet.”, zeigte mir den Windelaufbewahrungsraum meines Stockwerkes und gab mir ein paar Pillen. Von denen ich auch heute nicht weiß, wofür alles, da ich von den Kollegen schon Listen hatte, was wie lange funktionierte und keines davon überschreitet die fünf Jahresgrenze.
Zu dieser Zeit konnte ich auf die Frage: “Haben sie eine Blasenschwäche?”, antworten, “Nein! Außer ich schlafe länger als drei Stunden!”
Seither sind fast sechs Jahre vergangen, ich ging nicht mehr zur Kur, obwohl ich sie zweimal jährlich genehmigt hätte, aber ich habe mich entschieden.
Ich kann bewegungslos sein, aber mein Leben benötigt einen frohen, beweglichen Geist und eine kontrollierte innere Muskulatur. Das habe ich gut hinbekommen und schlafen? Ich kann mich gut daran erinnern, wie geschockt ich war, als ich einmal sechs Stunden am Stück schlief. Mittlerweile kommt es regelmäßig ein zwei mal im Monat vor, dass ich solange schlafe.
Texte: glanzibild
Tag der Veröffentlichung: 19.12.2010
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