Es war in einem Oktober vor einigen Jahren, um Mitternacht, als das Telefon klingelt und Bea, mehr oder weniger verständlich, eine Entschuldigung ob des späten Anrufs stotternd, anrief. Ich falle mit der ewig gleich lauteten Antwort dazwischen: "Wenn ich es nicht hören soll, höre ich es nicht. Es stört niemals meinen Schlaf, außer es ist wichtig, deshalb heb´ ich auch ab. Also atme tief durch und erzähle."
Eine befreundete Arbeitskollegin sah immer schlechter aus, deswegen hat sie sie angesprochen und saß bis eben mit ihr zusammen.
"Weißt du, Rosi hat ein Kind, einen Sohn, Kevin 21 Jahre jung. Vor einigen Monaten stellten die Ärzte einen inoperablen Gehirntumor fest. Das war im Juli. Die Ärzte rieten zu einen, vielleicht letzten, gemeinsame Familienurlaub, damit Kevin gestärkt in die Chemo geht. Sie hat nicht funktioniert.
Man hat ihn nach Hause entlassen, weil es keinerlei Behandlung mer gibt.
Jetzt ist Kevin halbseitig gelähmt, die andere Seite ist spastisch, seit einer Woche fällt es ihm zunehmend schwerer breiige Nahrung zu sich zu nehmen und wird jetzt auf Flüssignahrung umgestellt"
Bea schüttelt sich so, dass ihr Telefon zu Boden fällt , die Leitung war unterbrochen.
Auch dauert es noch ein Weilchen bis es wieder läutet. In der Zwischenzeit hörte ich in mich hinein, machte mir ein Bild von Kevin.
Da läutete wieder das Telefon, Bea hatte Probleme beim Zusammensetzen ihres Handy´s, wollte wieder eine Entschuldigungstirade loslassen.
Ich unterbrach: " Umstellung zur Flüssignahrung,…."
"Weißt du Rosi kann auch nicht mehr essen", sagte Bea "weil ihr Sohn nichts isst. Sie hat sicher schon 20 Kilo abgenommen." Bea stöhnt: "Was sagst du? Was kann man tun?"
Ich hatte schon vorhin in mich hinein gehört: " Bea, du musst deiner Freundin sagen, sie muss ihn loslassen, ihn der Heilung über lassen, für die er sich entscheidet."
Bea kannte das schon, egal ob Mensch oder Tier, wenn diese Worte fließen, fließt auch das Leben.
Das Festhalten durch Angehörige bedeutet mehr Leid für den zu Gehenden.
Lässt man Tiere los, gehen sie fast Augenblicklich, doch ich kann den Tod nicht wahrnehmen. Bei Tieren, wie bei Menschen muss ein im Herzen verbundener Mensch das Ritual begleiten,.
Im Laufe meines Lebens gab es das Ritual für etwa zwölf oder fünfzehn Menschen und alle gingen innerhalb einer Woche.
Ich habe mich mit dem Sterben auseinander gesetzt, als ich meinen Hund Quahl und Pein zufügte, immer noch irgend ein Mittelchen, doch ist die freie Entscheidung vorüber gegangen, bleibt bei Tieren die letzte Spritze, bei den Menschen Monate des Siechtums.
"Ich kann es nicht," wiederholte Bea und ich "Wenn du eine Freundin bist."
Am nächsten Tag redeten wir innerhalb der Familie darüber und meine Nichte meinte wie Bea, es wär da noch etwas anderes möglich, aber was, es würde nichts ändern.
Abgesehen davon spreche ich diesen Satz niemals mit Absicht, er durchdringt mein ganzes Sein und ich kann gar nichts anderes sagen, nicht einmal schweigen funktioniert, es fließt einfach aus mir heraus.
Wenn es keine Hoffnung gibt, darf mein keine schüren.
Einige Tage später rief Bea wieder an und erzählte mir, sie habe mit Rosi gesprochen und diese erklärte ihr, sie habe es Kevin schon frei gestellt zu gehen, wenn er zu starke Schmerzen hat.
Ich bat Bea sich Notizen zu machen, da ich nicht in der Lage bin, Zugeflossenes nochmals zu wiederholen.
Ich diktierte: "Im Namen der allmächtigen Liebe, des Lichtes und der Heilung, bitte ich um Unterstützung für deine Entscheidung zur Heilung, die für dich die richtige ist.
Meine ganze Liebe unterstützt dich"
(Da ich keinen zu Gehenden in meiner Nähe habe, ist es nur annähernd der Wortlaut.)
Sie soll eine dicke große weiße Kerze entzünden und brennen lassen.
Jetzt passierte ein Hopala, so nenn ich die Stopps, die darauf hinweisen, dass etwas nicht stimmig ist.
"Der Vater, es gibt ein Problem mit dem Vater, dass muss sie unbedingt klären, denn da ist etwas, was ihn hält.
Sie soll dann den Raum, auch in jedem kleinsten Winkel, mit Rosenwasser-Essig- wasser-Gemisch. Das Wasser aus einer Quelle oder Weihwasser. Nach der Reinigung auch versprühen, damit alle Ängste, Kummer und Sorgen nicht mehr Kevin anlasten.
Dann die Kerze entzünden, dann am besten mit dem Vater, die Hände halten und den Spruch aufsagen. Im Hintergrund kann immer leise Musik spielen."
Bea setzte sich mit Rosi in Verbindung. Nach vierzehn Tagen meldete Bea sich wieder, sie hatte den Nachmittag mit Rosi verbracht und die erzählte ihr.
Das Problem Vater war, der Erzeuger hatte ein schlechtes Gewissen, da er nicht nur die Frau sondern auch seinen Sohn verlassen hatte.
Sie holte Vater, Erzeuger, sogar die Großmutter zu Kevin, jeder sagte, das was zu klären war, gemeinsam reinigten sie den Raum, ließen sanfte Musik spielen, bildeten einen Kreis mit Kevin, entzündeten die Kerze und baten um Heilung, egal in welche Richtung.
Von diesem Moment an, wich das Lächeln nicht mehr aus Kevins Gesicht, er hatte ach keine Krämpfe mehr, immer war zumindest einer von ihnen bei ihm.
Es war so friedlich, so sanft und am fünften Tag rief sie um sechs Uhr morgens beim Notarzt an und meldete: "Ich glaube mein Sohn stirbt gerade." Der Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen.
Wegen eines Schreibfehlers kamen Polizei und der Distrikt Arzt erst um siebzehn Uhr, sie konnten in dieser Zeit spüren, wie Kevin endgültig seinen Körper verließ.
Sie öffneten das Fenster, damit Kevin leichter gehen konnte,
Die Kerze ging aus und es läutete an der Tür
Der normale Ablauf bei einem Todesfall nahm seinen Lauf.
Alles war so friedlich, bis sie am Grab vor dem weißen Sarg stand und dieser zu sinken begann, da schien es ihr das Herz zu zerreißen,
Plötzlich spürte sie Kevin neben sich, der sagte: "Nach allem, was du getan hast, glaubst du doch nicht wirklich, dass ich dort drinnen bin!" Beinahe hätte sie gelacht, ihr Sohn stand neben ihr und stützte sie.
Er erzählte ihr etwas, was sie auch mir schenken sollte.
"Trifft man auf einem Menschen in Liebe, schenkt man diesen einen Anteil seines Herzens und erhält einen fürs eigene, diese Anteile sind fest verankert.
Es ist der Anteil, den man von einem Menschen besitzt, bevor man geboren wurde, während man lebt und auch wenn man gestorben ist
Wir sind ewig verbunden!"
Ich kann nicht sagen, wie oft ich dieses Geschenk weiter verschenkte, unzählige Male
Als Rosi Kevins behandelten Arzt traf, meinte dieser:
"Schrecklich, dass er so schnell gestorben ist. Eigentlich hätte er noch ein gutes halbes Jahr haben müssen."
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Tag der Veröffentlichung: 14.06.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Zwei Freundinen,
die sich nicht scheuten,
das schwerste Gespräch
einer Mutter zu führen.
Wenn einem das Herz zerreisst,
trotzdem aus Liebe entscheiden.