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Cocktail-Flirt

Gelangweilt lehnte er sich gegen den Tresen. Obwohl er überhaupt keine Lust hatte, konnte sein Kumpel ihn überreden, mit ihm in diese neumodische Bar zu gehen. Oder war es ein Bistro? Irgendwie eine Kombination von beidem. Jetzt stand er hier und sein Freund flirtete mit einer Frau nach der anderen.

 

Kein Wunder! Er war das, was man eine „Schnitte“ nannte. Groß, sportliche Figur, dunkle füllige Haare und blaue Augen wie Terence Hill. Dazu eine männliche Stimme. Wenn er einer Frau was ins Ohr flüsterte und dabei sein Atem über ihren Hals kroch konnte man sehen, wie ihr die Schauer bis in den Schritt glitten. Manche verdrehten sogar leicht die Augen, als wenn das reichen würde, ihnen einen Orgasmus zu schenken.

 

Er selber war das totale Gegenteil. Mit deutlichem Bauchansatz, Geheimratsecken, grauen Augen und einer Durchschnittsstimme. Außerdem gehörte er zu den Männern, denen die Haare überall wuchsen. Wirklich überall!

 

Eine Bekannte verglich ihn mal mit einem Zwerg von Tolkien. Fand er weder witzig noch sonderlich motivierend. Aber immer noch besser als als Affe bezeichnet zu werden.

 

Während seine Augen durch die Reihen wanderten, schätzte er bei jeder Frau wie lange es wohl dauern würde, bis sie angeekelt vor ihm davon lief. Selbst wenn sie selber alles andere als attraktiv war, konnte sie schneller laufen als er „Hallo“ sagen.

 

Da war diese braunäugige, vollbusige aber schlanke Brünette, die nicht mal eine Millisekunde Interesse heuchelte. Berthold, sein Freund, wurde aber sofort abgecheckt und zum Drink eingeladen. Ehrlich! Frauen, die Männer auf einen Drink einladen!

 

Frustriert bestellte Siegfried sich noch einen Kurzen. Warum war er noch mal hier? Achja, damit Berthold besser dastand. Neben einem „Affen“ sah er ja noch mal um einiges attraktiver aus.

 

Aus dem Augenwinkel nahm Siegfried wahr, dass sein Kumpel schon wieder die Nächste am Start hatte. Wurde er dessen denn nie überdrüssig? Immer nur diese oberflächlichen One-Night-Stands. Ach nee, das hier waren wohl eher Ten-Minutes-Stands angesagt. Anflirten, Drink spendieren, aufs Klo gehen, rein und raus und fertig, Nächste bitte!

 

Ekel kam in ihm auf. Weniger weil er diese schnellen Nummer verabscheute, als das er nicht mal einen One-Minute-Stand hatte.

 

Der nächste Kurze floss seine Kehle herunter.

 

Dann erstarrte er plötzlich!

 

Im Spiegel sah er eine Frau, die ihm auf den Arsch guckte. Nee, da musste er sich wohl getäuscht haben. Das schwabbelige Ding konnte wohl kaum den Blick einer Frau auf sich ziehen. Aber vielleicht…

 

Er veränderte seine Position so weit, dass er ein wenig mit dem Hintern wackelte.

Da! Sie hat tatsächlich die Augenbraue hochgezogen! Nicht verächtlich, sondern so als wollte sie sagen „Hallo!“.

 

Okay, jetzt nicht die Nerven verlieren. Erst mal das Mädel abchecken. Nicht gerade groß, auch nicht gerade schlank, eine Narbe quer über dem Hals – egal, Hauptsache einen Treffer landen! Ihre langen, glatten Haare fielen rot gefärbt auf ihre Schultern. Und sie spielte mit ihnen, während sie ihm weiter auf den Arsch starrte.

 

Langsam, nur nicht zu schnell, drehte er sich um und lehnte sich lässig mit dem Rücken an den Tresen. Dabei versuchte er möglichst unbemerkt, den zweiten Knopf seines Hemdes zu öffnen. Brusthaare strahlen Männlichkeit aus. Und die Schultern blieben ja verdeckt.

 

Treffer!

 

Sie verschluckte sich und musste husten. Aber sie wendete den Blick nicht ab.

Er konnte es nicht fassen!

 

Jetzt wanderte ihr Blick über seinen ganzen Körper. Ihre Lippen umschlossen den Rand ihres Glases nicht völlig. Er konnte sehen, wie sie mit ihrer Zunge spielte. Es sah aus, als wäre sie unschlüssig, wie sie weiter vorgehen sollte.

 

Unbewusst musste er seine Lippen mit der Zunge befeuchten. Eine einfache Reaktion darauf, dass ihm fast der Atem stockte. Er konnte regelrecht spüren, wie sie mit ihren künstlichen Krallen seine Haare auf der Brust kämmte und dabei kleine schnurrende Geräusche machte. Und während ihr Blick etwas tiefer glitt, glaubte er ihre Hand ebenfalls tiefer zu spüren.

 

Der Kellner brachte ihr einen neuen Drink, einen Cocktail mit Schirmschen und Strohhalm. Und dieser Halm brachte seine Fantasie zum Leuchten, als sie langsam, mit Genuss daran zog, um von dem Getränk zu nippen. Dabei machte sie einen Augenaufschlag, der definitiv nur für ihn bestimmt war.

 

Sein Herz pochte noch stärker, lies das Blut durch seine Adern wallen und in sein bestes Stück vordringen. Er musste dringend an eine kalte Dusche denken, sonst würde das hier echt peinlich.

 

Das war aber gar nicht so einfach. Jetzt nahm die Frau die aufgespießte Kirsche zwischen zwei Finger, leckte den Saft mit spitzer Zunge ab und ließ sie ganz langsam in ihrem Mund verschwinden. Und in dem Moment, wo sich die rot geschminkten Lippen um die rote Frucht schlossen, schenkte sie ihm wieder diesen Augenaufschlag, der ihm den Atem stahl.

 

Es wurde Zeit seine Position zu verändern. Er beugte sich leicht nach vorne, so dass seine Bundfaltenhose Falten schlug und das gewachsene Glied nicht als solches wahrnehmbar war. Über das Gesicht der Rothaarigen flog ein Hauch von Enttäuschung als sie das sah. Aber ihr Lächeln wurde intensiver und sprach eine eindeutige Sprache.

 

Und sie weitete das Spiel aus. Ihre Hände, die bisher ganz brav das Glas gehalten hatten, kamen in Bewegung. Langsam und mit viel Gefühl strich ihre rechte Hand am hohen Cocktailglas entlang. Dabei konnte er sehen, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte, so als würde sie schwer atmen. Als könnte sie sich kaum noch zurück halten. Er schluckte.

 

Ihr leichter V-Ausschnitt öffnete und schloss sich dabei immer wieder, ohne einen direkten Blick auf das Dekolleté zu erlauben. Der Stoff, der sich sanft um ihre Rundungen spannte und die harten Brustwarzen bei jedem Atemzug hervorspringen ließ, versprach eine üppige Überraschung.

 

Als ihre Hand an der bauchigen Glasmitte ankam, hielt sie kurz inne, atmete tief ein, befeuchtete sich den Mund, biss sich ganz sanft auf die Lippe und zog diese leicht in den Rachen hinein – wie jemand, der kurz davor war, sexuelle Befriedigung zu erlangen. Dabei legte sie ihren Kopf leicht in den Nacken und ließ ihn kreisen. Ihre Hüfte wand sich ein wenig im Takt mit der über den Glasbauch gleitenden Hand.

 

In seinen Gedanken konnte er ein kleines Stöhnen hören, dass aus ihrer Kehle drang. Und das Geräusch sanften Stoffes, der aneinander rieb. Sein Hals wurde immer trockener, aber er wagte es nicht den Augenkontakt wegen einer Nichtigkeit von einem Drink zu lösen. Nicht jetzt! So kurz davor!

 

„Siegfried? Hey, Siegfried!“

 

Berthold schob sich vor seinen Kumpel und fuchtelte mit der Hand vor seinen Augen.

 

„Lebst Du noch?“

 

„Mann! Geh mir aus dem Blickfeld, Alter!“

 

Der Kumpel lachte und rührte sich keinen Millimeter.

 

„Hier, ich will Dir jemanden vorstellen! Das ist Sandra.“

 

Ungeduldig und leicht zornig schubste Siegfried seinen Freund zur Seite. Er hatte jetzt keine Zeit für diese Null-Acht-Fünfzig-Tussi. Er brauchte einen Abschluss. Und dann die Telefonnummer…

 

„Was soll das denn? Ist da `ne Schnepfe, die Dich interessiert?“

 

Neugierig drehte er sich um, konnte aber weit und breit niemanden entdecken, der seinem Freund auch nur den Hauch einer Aufmerksamkeit widmete.

 

Als Siegfried endlich wieder freie Sicht hatte, war sie weg. Einfach weg! So schnell konnte sie doch nicht verschwunden sein! Das war doch nur eine Minute, wenn überhaupt!


Aber alles Suchen half nicht. Sie blieb verschwunden.

 

Schnell verabschiedete sich der untersetzte Mann von seinem Freund, schnappte sich seine Jacke und eilte zum Ausgang. Er konnte sie noch erwischen, da war er sich sicher.

 

Er stolperte auf den Gehweg und drehte sich suchend im Kreis. Seine Augen konnten keinen Rotschopf finden. Niemanden, der auch nur annähernd der Frau glich, der seine Fantasie angeregt hat wie schon seit Jahren niemand mehr.

 

Sauer trat er gegen einen Laternenpfahl und fluchte. Beim nächsten Mal würde er einfach rübergehen, das nahm er sich fest vor. Beim nächsten Mal würde er nicht einfach nur …

 

Vor sich hinmurmelnd machte Siegfried sich auf den Weg nach Haus, um dort mit seinen Erinnerungen und dem aufgestauten Lebenssaft allein zu sein.

Impressum

Texte: Angela Zabel
Bildmaterialien: Angela Zabel
Cover: Angela Zabel
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2014

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