Páola. 18.6.2011
Das zuckende Licht der einzigen funktionierenden Straßenlaterne spiegelte sich in den trüben Wasserlachen rund um das rostige Kanalgitter. Die quadratischen Ausnehmungen über dem Schacht wurden durch einen am Boden liegenden Mann blockiert und das Regenwasser konnte nicht abfließen.
Müllberge türmten sich vor überquellenden Containern und streunende Katzen duellierten sich um faulende Essensreste. An einem Ende der Gasse hing der klägliche Rest eines Basketballnetzes von der mit Graffiti besprühten Ziegelmauer. Die wenigen Fenster, durch die man in die in die Calle Gatto sehen könnte, waren blind vor Schmutz oder eingeschlagen. Im Grunde genommen glich diese düstere Gasse abseits der Touristenwege einer Müllhalde, einem stinkenden Ghetto inmitten der pulsierenden Stadt am Meer.
Flink huschte ein grauer Nager mit dünnem, haarlosem Schwanz unter den aufgeweichten Karton, als dort, wo die Calle in die Via Crescenzo mündete, blaues Licht in Wellen die Dunkelheit durchbrach.
Stimmen wurden hörbar.
„Commissario! Hier muss es sein!“, hallte es von den hohen Mauern wider. Der Sergente, der gesprochen hatte, schnappte nach Luft. Nicht, weil die Umrundung des Dienstfahrzeugs ihn außer Atem gebracht hätte. Nein, es war nur … dieser unerträgliche Gestank. Nach Verwesendem, Faulem .. nach Tod. Felipe Tamorra rümpfte die Nase. Im Fischhafen roch es vergleichsweise wie in einem Parfumladen. Entsprechende Aussagen seines Vorgesetzten waren vorprogrammiert.
Antonio Bescinas fluchte laut, als sein Fuß mit dem sündteuren Markenschuh in etwas Undefinierbares, Matschiges trat und kleben blieb.
„Dio mio! Nicht nur, dass es mitten in der Nacht ist, muss ich in den dreckigsten Winkel der Stadt gerufen werden. Wer wird das bezahlen?“ Damit war keinesfalls der nächtliche Einsatz gemeint. Viel mehr die Entschädigung für eine Reinigung seines Outfits. Mit der Taschenlampe leuchtete er auf die bräunlich verschmierten Schuhspitzen.
Bescinas war nicht sonderlich beliebt bei seinen Kollegen. Der Commissario war ein Snob und bildete sich etwas darauf ein, dass er jahrelang in Venedig Dienst getan hatte. Den Umstand, dass man ihn von der schöngeistigen Stadt mit ihrem Stil und Flair in die abgehalfterte Hafenstadt im Süden des Landes versetzt hatte, verdrängte der Fünzigjährige erfolgreich.
Sergente Tamorra versuchte, das Gezetere ob der verschmutzten Schuhe zu ignorieren. Man hatte die Beamten gerufen, weil eine Passantin markerschütternde Schreie gehört hatte, die aus der Calle Gatto stammen mussten.
„Katzengasse“, maulte Bescinas weiter und setzte vorsichtig den nächsten Schritt. Im Kegel des Lichts erblickte der Commissario eine Hand, die zur Faust geballt war und zu einem Arm gehörte, der schlaff am Körper eines massigen Mannes hing. Dieser Kerl stand jedoch nicht Bescinas gegenüber, um ihn zu begrüßen – vielmehr lag er am dreckigen Boden und bewegte sich nicht. „Bringt mir einer vielleicht ein paar Lampen her, damit man etwas sehen kann!“, verlangte der Commissario unwirsch.
Eilig brachten zwei weitere Beamte große Halogenstrahler herbei und beleuchteten den grausigen Fundort.
Der Kopf eines noch Unbekannten lehnte zerschmettert auf der Bordsteinkante. So, als hätte man das Haupt des Mannes mehrfach gegen den Beton getreten. Die Kopfbehaarung klebte blutverkrustet um den ballonartigen Schädel. Eigenartig war, dass der übrige Körper keine Verletzungen aufzuweisen schien.
Sergente Tamorra bückte sich und suchte mit spitzen Fingern in dem Jackett des Toten nach Papieren. „Das ist“, hüstelte der Beamte, „Pietro Vandelli. Inhaber des Spielzeugkonzerns ‚Captain Kitty‘.“
„Aha“, meinte Bescinas verständnislos. Ein Spielwarengeschäft mit diesem Namen sagte ihm gar nichts. Allerdings hatte der Commissario auch keine Kinder, Enkelkinder oder Verwandte, die er mit derlei Produkten beglücken wollte. Das bedeutete im Klartext, dass er keinen Bedarf an Spielwaren hatte. „Und was ist mit diesem Konzern ‚Captain Kitty‘ so besonders?“ Die sichtliche Nervosität des Sergente machte neugierig.
Tamorra druckste herum. Man hatte ihm stets eingebläut, nichts Negatives über diese speziellen ‚Geschäftsleute‘ zu verlauten. Zu einflussreich waren die Hintermänner und eigentlichen Bosse dieser Klientel. Und mit der Mafia wollte niemand in Berührung kommen. „Vandelli hat in Sizilien eine Fabrik, wo er die Spielsachen von Kindern zusammenbauen lässt.“
„Das ist doch eine hervorragende Idee“, konterte Bescinas. „Da kann man gleich erkennen, ob das Produkt auch altersgerecht und zielorientiert ist.“
„Ähm“, räusperte sich der Sergente, „nicht zum Zweck des Probierens, Commissario. Kinderarbeit – wenn Sie verstehen. Pietro Vandelli hat viele der Waren von Kinderhänden fertigen lassen. Meist waren die Kids nicht älter als zehn oder elf Jahre.“
„Und warum hat niemand etwas dagegen unternommen?“, interessierte sich der Commissario nun doch etwas näher für die offensichtlich kriminellen Tatsachen.
Sergente Tamorra flüsterte beinahe, als er die Frage beantwortete: „Es waren Kinder von illegalen Flüchtlingen. Denen, die über das Meer kommen. Meistens aus irgendwelchen afrikanischen Ländern. Vandelli versprach den Eltern Aufenthaltsvisa und Arbeitsgenehmigungen, wenn die Kinder ein bisschen ‚helfen‘ würden.“
Bescinas ging um den Toten herum und betrachtete die rechte Hand des vermutlich Ermordeten. Vermutlich deshalb, weil der Geschäftsmann wohl kaum selbst seinen Kopf so lange gegen den Bordstein gedonnert hätte, bis der Tod eingetreten wäre. „Licht!“, herrschte der Commissario einen jungen Beamten an, der nicht rasch genug auf die Bewegungen des Vorgesetzten reagiert und den Strahl der Lampe korrigiert hatte. „Eine Spielkarte“, ächzte Bescinas ein wenig, als er sich mit dem Fundstück wieder aufrichtete.
Ein bisschen unbeweglich war der leitende Beamte der hiesigen Polizei schon geworden. Zuviel Pasta und dafür weniger Fisch …
„Das ist ‚Captain Kitty‘!“ Tamorra deutete auf das rundgesichtige Katzengesicht auf dem weißen Hintergrund der kleinen rechteckigen Karte.
Mit dem Blick eines erfahrenen Kriminalisten studierte der Commissario die Spielkarte. Sein „Sieht doch ganz niedlich aus“-Kommentar zu dem Logo der Firma ließ keinen Konsens zu, was er über das verspielt wirkende Tierchen dachte, das ihm von dem durchweichten Karton zuzulächeln schien.
„Da ich nicht annehme, dass dieser Geschäftsmann zum Kartenspielen hierhergekommen ist, wird es wohl einen triftigeren Grund dafür geben, dass ein Pietro Vandelli hier in der Gosse liegt. Vai!“, herrschte er einen den jungen Beamten an. „Sehen Sie nach, ob Sie ein Telefonino bei ihm finden. Möglicherweise können wir dann erfahren, wer unseren Toten zu diesem letzten Stelldichein geladen hat.“
In den verschlungenen Zellen seines Gehirns überdachte Antonio Bescinas bereits die Option, dass ein erfolgreicher Schlag gegen das organisierte Verbrechen ihn vielleicht wieder in die heimelige Stadt an der Oberen Adria befördern könnte. Vor seinem geistigen Auge erschien die Schlagzeile der la Repubblica
, eine der auflagenstärksten Gazetten des Landes:
Gigantischer Coup gegen die Mafia gelungen, Commissario Bescinas klärt mörderisches Verbrechen an einem unbescholtenen Geschäftsmann auf.
Dass bei „unbescholtener Geschäftsmann“ ein wenig die Wahrheit vertuscht würde, störte den gebürtigen Venezianer nicht wirklich.
In diesem Land überlebte der, dessen korrupte Pläne besser als die der anderen funktionierten.
Mehr als dreißig Jahre genoss er es, als angesehener Commissario durch die Lagunenstadt zu wandeln. Und im Lauf der vielen Jahre hatte er sich eine Zahl von diversen Annehmlichkeiten gegönnt. Warum hätte er ein großzügiges Geschenk, in vier- oder fünfstelligem Euro-Bereich angesiedelt, ablehnen sollen?
Blieb eben einer, der seiner ohnehin alterschwachen Erbtante den Abschied aus dem Leben erleichtert hatte, auf freiem Fuß. Wen schmerzte der Verlust der alten Dame denn? Den einzigen Hinterbliebenen, dem sie alles vererbt hatte? Wohl kaum.
Genau genommen unterstützte Bescinas mit solchen „Deals“ den Staat. Man ersparte sich die immensen Kosten für eine Altersversorgung, vielleicht sogar lebenserhaltende Maßnahmen durch Maschinen, die horrende Summen Geld verschlangen. Oder, im Falle einer – für den Commissario wirklich unnötigen - Verurteilung des Erben, dem Verschleudern von Steuergeldern für das „Durchfüttern“ eines Inhaftierten. Nein, wahrlich kein Grund, seine etwas differenzierenden Arbeitsmethoden ins schlechte Licht zu rücken oder gar zu verurteilen.
Erst dieser erfolgsorientierte Schnösel, der in die Questura als neuer Vorgesetzter eingezogen war, hatte eine andere Auffassung von Rechtssprechung und brachte Bescinas zu Fall. Man legte dem Commissario nahe, den Dienst zu quittieren oder einer Versetzung nach Páola zuzustimmen.
Den Job aufzugeben hätte bedeutet, die Chance nicht zu wahren, dass auch anderswo ein so leichtes und einträgliches Leben möglich war.
Dieses Kaff, das gut dreihundert Kilometer unterhalb Neapels am Tyrrhenischen Meer lag, besaß nun allerdings nicht jenen Stellenwert, den Antonio sich erhofft hatte. Sei’s drum! ‚Captain Kitty‘ würde der Durchbruch zum Erfolg werden. Der Mord an einem lächerlichen Spielzeugfabrikanten würde wohl keine Herausforderung für einen versierten Kriminalisten darstellen. Und Bescinas würde seine eigenen Fähigkeiten schon ins rechte Licht rücken, wenn die Zeit gekommen war.
„Commissario!“ Die aufgeregte Stimme Tamorras holte den Venezianer aus seinen Träumen. „Das Telefonino von Signor Vandelli. Sie hatten recht, Commissario! Eine SMS und ein Anruf – kurz vor Mitternacht!“
„Und?“, nervte der Vorgesetzte. „Haben Sie auch herausgefunden, wer unseren Toten angerufen oder ihm eine Nachricht geschickt hat?“ Die Unselbständigkeit des Sergente ging ihm auf die Nerven.
„Si, Commissario!“
Die Zornesader an Bescinas Stirn schwoll bedrohlich an. „Si – was? Nun reden Sie schon, Tamorra. Oder muss ich Ihnen die Informationen wie Spaghetti aus der Nase ziehen?“
„Nun“, stotterte der Sergente herum, „der Anruf kam von Signora Vandelli und die Nachricht von ‚Captain Kitty‘.“ Der Beamte duckte sich ein wenig, als der schwergewichtige Commissario auf Herzschlagnähe an ihn herantrat.
Die Stimme klang wie das ohrenbetäubende Singen eines Zahnarztbohrers. „Sind Sie betrunken, Sergente? Was meinen Sie damit? Dass dieser blöde Kater oder die Katze eine Nachricht geschrieben hätte?“
Bescinas machte zwei Schritte zurück. Es war unbequem, dem um zwei Köpfe größeren Tamorra ins Gesicht sehen zu wollen. Spiegelte es doch unübersehbar die Tatsache wider, dass der Commissario in etwa gleich breit wie hoch war.
„Und was ist jetzt?“, wiederholte sich der Ungeduldige. „Meinten Sie mit Ihrer Aussage, dass man von der Firma eine Nachricht geschickt hat?“
Dunkelheit, die abseits der Halogenstrahler herrschte, verbarg die roten Flecken im Gesicht des Vorgesetzten. Ein akutes Warnsignal, das in den meisten Fällen einen lautstarken Ausbruch zur Folge hatte. Die Nerven des Ermittlers lagen blank. Immer noch tauchte die rasche Erfolgsaussicht von der Klärung eines spektakulären Mordes in den geistigen Mittelpunkt. Doch wenn es jetzt schon an den notwendigen Ermittlungen mangelte, rückte das Ziel einer baldigen Rückkehr nach Venedig in sehr weite Ferne.
Verlegen trat Tamorra von einem Bein auf das andere. Dieser Commissario konnte einem aber auch Angst einflößen mit seinem Gebrüll. „Ähm … nein, Commissario. Das heißt, ich weiß es nicht. Aber vielleicht sollten wir …“
„Nicht vielleicht“, schimpfte Bescinas weiter, „sogar ganz sicher, sollten Sie das ordentlich recherchieren. Ich fahre jetzt nach Hause. Sehen Sie zu, wie Sie hier weiterkommen. Rufen Sie die Spurensicherung zur Hilfe, oder was weiß ich. Und verständigen Sie Dottore Canossa. Er soll sehen, was den Mann so umgehauen hat.“
Der Commissario wandte sich schon zum Gehen, als er noch einmal innehielt, Tamorra musterte und meinte: „Bei Dienstbeginn will ich Ihren Bericht mit allen Fakten auf dem Schreibtisch haben. Das wäre doch gelacht, wenn wir den Mörder diesen Katzenvaters nicht dingfest machen können. Arrivederci!“
Drei staunende Beamte sahen einem wütend davonstapfenden Commissario nach. Mit linkisch aussehenden Ausweichmanövern versuchte der Alte, nicht wieder in eine Drecklache oder ähnlich Schmutziges zu steigen.
„Spurensicherung!“ Sergente Tamorra schüttelte den Kopf. Was dachte der eingebildete Venezianer, wo sie hier waren. Das war nicht Rom, Neapel oder gar Venedig. Hier in Páola gab es eine Polizeistation, aber keine überdimensionierte Dienststelle wie in den Großstädten Italiens. Für knapp neuntausend Einwohner war das auch noch nie nötig gewesen. Nichts war bisher nötig gewesen. Erst, als dieser Besserwissen in die Stadt gekommen war. Ob freiwillig, oder unfreiwillig war egal. Er war da und machte ihnen allen das Leben zur Hölle.
Einzig das mit dem Dottore. Das konnte erledigt werden. Zwar würde Roberto Canossa nicht vor Begeisterung erglühen, um diese Zeit geweckt zu werden. Allerdings lag die Vermutung nahe, dass dessen Kopf ohnehin noch vom Spumantegenuss des Vorabends brummte und der Dottore gar nichts ans Telefon gehen würde.
Das war allerdings nicht Tamorras Problem, das sollte sich der streitsüchtige Commissario selbst mit dem Mediziner ausmachen. Wann Canossa zum letzten Mal eine Leiche seziert hatte, wollte dem Sergente gar nicht einfallen. In seiner Dienstzeit hatte dieses Ereignis sicher nicht stattgefunden. Tote gab es in Páola selten.
Licata. Sizilien. 20.6.2011
„Sie haben eine Barkasse am Strand gefunden. Sechs Familien. Acht Kinder!“ Es rauschte im Hörer des Telefons. Die Verbindung war schlecht.
„Non lo so“, palaverte der Mann am anderen Ende der Leitung. „Ich weiß nicht, was wir machen sollen, Pepe. Pietro ist tot. Vittoria hat vorhin angerufen. Melde dich in einer Stunde nochmal. Vielleicht weiß ich dann mehr.“
Giuseppe fluchte, was der sizilianische Wortschatz hergab. Er war stolzer Italiener und verabscheute die Aussicht, eine karriere- und männersüchtige Frau als Boss zu haben. Das Spiel der trauernden Witwe lag Vittoria nicht besonders. Die Hintergrundgeräusche des erwähnten, vorangegangen Telefonats waren eindeutig gewesen. Geklirr von Gläsern, lockende Männerstimmen, die mit ihren Aufforderungen ‚Vittoria, vogliamo giocare!‘ sicher nicht die Absicht äußersten, mit der verwitweten Geschäftsinhaberin Kartenspielen zu wollen. Es schien, als wäre der plötzliche und unerwartete Tod Pietros gerade recht gekommen.
Signor Vandelli war da schon aus anderem Holz geschnitzt gewesen. Treuer Ehemann und ein rechtschaffener Sizilianer, wie er im Buch steht. Und er hatte viele Freunde gehabt. Einflussreiche Freunde. Einen davon würde Giuseppe jetzt kontaktieren.
„Patron?“ Der Vertraute des Ermordeten fragte sicherheitshalber nach. Nervös drückte er einen Zigarettenstummel mit seiner Schuhsohle auf dem Asphalt aus. Schließlich hatte er noch nie mit einem der Granden persönlich gesprochen. Und nach diesem Telefonat würde er wohl auch nie wieder in diese Verlegenheit kommen.
An die Telefonnummer von Don Alfredo war er nur aus Zufall gekommen. Als Chauffeur von Vandelli begleitete er den Boss von ‚Captain Kitty‘ überall hin und bekam mit, wenn sein Chef im Volant des Wagens telefonierte. Und natürlich auch, wenn Vandelli eine Nummer noch einmal langsam wiederholte.
Die Ziffernfolge war so einprägsam gewesen, dass auch Giuseppe sie im Kopf behalten konnte.
„Chi sei?“, erkundigte sich eine rauchig-heisere Stimme nach dem Namen des Anrufers.
Im gleichen Moment, als Giuseppe „Sono io“ antwortete, begriff er, dass das Unsinn war. Was sollte Don Alfredo mit „ich bin es“ anfangen?
„Scusi, Patron! Hier ist Giuseppe. Der Fahrer von Signor Vandelli. Man hat ihn ermordet. Und …“
„Wer sagt das?“, unterbrach der Grande. „Wer spricht von Mord?“
„Na alle“, meinte der Chauffeur verwundert. Sollte Don Alfredo, der Allwissende, noch nichts davon gehört haben, was am Festland geschehen war? „Und die Signora …“
Es war unhöflich, aber der Patron ließ Giuseppe erneut nicht ausreden. „Die Signora interessiert uns nicht. Was ist mit den Geschäften?“
„Das …“, ließ sich der Anrufer ein bisschen Zeit mit der Antwort. Er wollte nicht wieder „abgewürgt“ werden.
„… genau ist das Problem. Pepe, der Fischer hat vorhin angerufen, dass wieder eine Ladung angekommen ist und wir wissen nicht, was zu tun ist. Und die Signora hat … wie soll ich sagen? … andere Verpflichtungen.“
Giuseppe hielt sein Telefonino ein bisschen weiter vom Ohr weg, sonst hätte ihm das folgende, verbale Donnerwetter des Patron wahrscheinlich das Trommelfell platzen lassen.
Zu sagen, dass Don Alfredo eben nicht gut auf die Signora zu sprechen war, wäre eine maßlose Untertreibung.
In Palermo knallten – glücklicherweise nur – Türen. Il Patron berief eine eilige Sitzung ein, das ungeplante Ausscheiden von Vandelli hinterließ eine Lücke in der Kette der Handlungen. Und dass die Witwe andere Sorgen hatte, als jene, die Geschäfte weiterzuführen, war abzusehen gewesen. Ersatz für die Tätigkeit und den Posten des Geschäftsführers musste schleunigst gesucht werden. Man wollte die Waren, die Pepe avisiert hatte, nicht ‚verderben‘ lassen. Es war ohnehin schwieriger geworden, dass Flüchtlingsschiffe es, an der Auffanginsel Lampedusa vorbei, an die Küste Siziliens schafften.
Die Mühlen der Mafia begannen zu mahlen und nur ein paar Stunden später waren Entscheidungen getroffen.
Irgendwo in London … 20.6.2011
„Sind Sie sicher, Sir?“, erkundigte sich der Butler bei Mister Kitcatt.
Der gutaussehende Mann in seiner Marineuniform nickte und klopfte seinem dienstbaren Geist auf die Schulter. „Durchaus, James, durchaus!“
„Dann“, seufzte der Butler ergeben, „will ich Eurem Wunsch Folge leisten.“
Keith Kitcatt rückte die schwarze Blende über seinem linken Auge zurecht und blickte James solange nach, bis der das Gartentor hinter sich geschlossen hatte.
Es galt schließlich, dafür zu sorgen, dass Unrecht gesühnt und Recht gelehrt werden musste. In seiner Funktion als Rechtsberater der Royal Navy sah er zu oft, wie das Verbrechen Sieger über die Menschlichkeit blieb. Und auch, wenn Captain Kitcatt die Welt nur durch ein Auge betrachten konnte … Dieses eine Auge sah mehr, als mancher für möglich hielt. Weit über die Grenzen des Landes – bis dorthin, wo Unrecht geschah oder Korruption für das Alltäglichste der Welt gehalten wurde.
James würde bereits bei der Pressestelle angelangt sein.
Páola, 22.6.2011, Im Büro des Antonio Bescina.
Genervt hämmerte der Commissario seine Meldung in die Tastatur. Das übergeordnete Polizeirevier lag in Neapel. Wie auch immer hatte sich die Kunde vom Tod des Fabrikanten in Windeseile herumgesprochen. Geradeso, also wüsste jedermann schon seit Tagen Bescheid. Irgendwo gab es eine undichte Stelle, dessen war sich Bescinas sicher. Und dann erst dieser ausführliche Zeitungsartikel:
Aus verlässlicher Quelle konnte in Erfahrung gebracht werden, dass es sich bei dem ermordeten Pietro Vandelli nicht, wie irrtümlich angenommen, um den Inhaber der sizilianischen Spielwarenproduktion ‚Captain Kitty‘ handelt.
Die Fakten sprechen dafür, dass lediglich eine zufällige Namensgleichheit besteht und der Tote ein Fischer aus Agrigent (Sizilien) war.
Weiters ist durchgesickert, dass der zu Tode gekommene Pietro Vandelli zu einem Ring der verachtenswerten Menschenhändler gehörte, der illegal nach Italien eingereisten Personen gefälschte Dokumente bersorgte.
„Verdammt!“ Bescinas knallte la Repubblica
auf den Schreibtisch vor sich. Hier wurden offenkundige Tatsachen verdreht und Personen ausgetauscht, wie bei einem Kartenspiel. Etwas war mehr als faul und das stank zum Himmel. Parallelen zu seinen eigenen Ermittlungsvorlieben in Venedig zog der Commissario natürlich nicht.
Das Schlimmste an der Sache war nun allerdings, dass es gar nicht mehr so erstrebenswert schien, den Mörder dieses offensichtlichen Ganoven zu finden. Ganz Italien erklärte sich solidarisch mit jener Person, die einen Staatsfeind – als solche konnte man Angehörige von Schieberbanden bezeichnen – beseitigt hatte. Wie lobenswert – da es doch den Behörden selbst nicht gelungen war, diesen Mann zu fassen.
Oder sollte es ein Komplott sein, ihn an der Rückkehr nach Venedig zu hindern? Der Commissario hatte den Sergente seit längerem in Verdacht, dass dieser kontraproduktiv arbeitete um den unerwünschten Personalzuwachs hinauszuekeln. „Tamorra“, herrschte der Commissario in das Mikrofon der Sprechanlage für interne Kommunikation, „kommen Sie zu mir!“
Ein ‚Bitte‘ musste man sich denken, hören würde man es nie.
„Signor Commissario!“ Felipe salutierte nur andeutungsweise. Dass der Commissario sauer darauf war, wie sich die Geschehnisse entwickelt hatten, war sonnenklar. Und wem er dafür die Schuld in die Schuhe schieben würde, ebenfalls … . Der Sergente verzog leicht angesäuert die Mundwinkel, als Brescina ihm einen ‚ganz besonderen‘ Einsatzplan in die Hand drückte.
Vorallem die begleitenden Worte … die mutierten richtiggehend zu einem handfesten Mordmotiv.
„Nun“, säuselte Brescina und versuchte, einen väterlichen Ton in seine Stimme zu legen, „da es uns nicht gelungen ist, einen wahren Verbrecher zu erkennen und dingfest zu machen, sollten wir, das heißt insbesondere Sie, Sergente Tamorra, dessen Recherchen so grottenschlecht waren, uns auf andere Fertigkeiten konzentrieren. Wenn Sie schon keinen Mann identifizeren können und mich damit blamieren wollen, dass ich den Tod eines Geschäftsmannes melde, der vermutlich in die Fänge der Mafia geraten ist, dann …“ Mit einem boshaften Lachen im Gesicht lehnte Brescina sich in seinem Bürosessel zurück, „ … werden Sie es sicherlich auch schaffen, die Falschparker in unserer Stadt aufzuspüren und entsprechende Mandate zu verteilen.“
Hinter dem Rücken ballte Tamorra seine Hände zu Fäusten. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Der Tote war zu hundert Prozent der Geschäftsmann Vandelli. Dass die Identität des Mannes bewusst vertauscht wurde, war sicher eine rasche Antwort der ‚Herren aus Sizilien‘. Mit dieser Rochade schlug die Cosa Nostra zwei Fliegen mit einer Klappe. Irgendjemand, der Vandelli ähnlich sah, würde dessen Platz einnehmen. Der Witwe des Ermordeten konnte man sich entledigen, ohne viel Aufsehen zu erregen. Denn der nun ‚richtige‘ Inhaber von ‚Captain Kitty‘ war verheiratet und somit wäre eine Frau zu viel im Spiel.
Brescina wusste das genauso gut, nur war sein Ego beleidigt worden und das verkraftete der alternde Commissario nicht.
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Bereits der Morgen nach dem Auffinden der Leiche war chaotisch gewesen. Der Sergente hatte weisungsgemäß seinen Bericht auf den Schreibtisch des Vorgesetzten deponiert. Mit der Notiz, dass Dottore Canossa verständigt wurde. Die sterblichen Überreste darbten in der Zwischenzeit in der Kühlkammer des Hafens, wo sonst die Fischer ihre Fänge bis zum Verkauf aufbewahren konnten.
„Tamorra!“ Der Beamte erschrak, als der Commissario plötzlich hinter ihm auftauchte und mit dem Einsatzbericht vor der Nase herumfuchtelte. „Was heißt, der Dottore ist verständigt? Wo ist der pathologische Befund?“
„Der Dottore war unpässlich und hat versprochen, die Autopsie so rasch als möglich durchzuführen“, rechtfertigte sich der Sergente.
„Unpässlich“, wiederholte Brescina süffissant. „Besoffen wie ein, ein …“ Die passenden Worte wollten ihm in diesem Moment partout nicht einfallen. „Dann stellen Sie mal eine Verbindung zu diesem Nichtsnutz her, der seinen Doktortitel im Grappafass gefunden hat.“
Ohne abzuwarten, ob Tamorra noch etwas hinzufügen wollte, war der Commissario in sein Büro gestapft und trommelte dort ungeduldig mit seinen Fingern auf dem Telefonhörer herum.
Als es endlich klingelte, riss Brescina den schwarzen Hörer richtiggehend vom Apparat.
„Wann“, begann er, ohne eine Begrüßung oder Vorstellung in Betracht zu ziehen, „gedenken der Signore seine Arbeit zu tun? Glauben Sie, ich möchte auf die Ergebnisse Ihrer Untersuchungen warten, bis der Tote verfault ist?“
Wüsste der Commissario, dass in diesem Moment der Dottore die Hörmuschel zwischen Schulterblatt und Ohr eingeklemmt hatte, um die Hände für das Einschenken eines Gläschens Amaretto frei zu haben – er würde vor Wut platzen. Roberto Canossa ließ die Schimpftiraden an sich vorüberziehen und hörte gar nicht richtig hin. Solche Strebertypen wie dieser Brescina waren ihm unsymphatisch, wenn nicht sogar verhasst.
Die Stimme Brescinas überschlug sich bereits. Dann wurde es still. Der Sergente, der an der nur angelehnten Tür gelauscht hatte, versuchte einen Blick durch den zentimeterbreiten Spalt zu werfen.
In dem Zimmer saß ein perplexer Commissario, der den Telefonhörer anstarrte, als käme er von einer anderen Galaxie. Tamorra grinste. Er kannte die Gewohnheiten des Dottore und auch seine Macken. Und – Canossa würde sich nicht dauerhaft beleidigen lassen. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er den Fehdehandschuh ergriffen und gekontert. Der Mediziner war nicht zimperlich in seiner Ausdrucksweise.
Sein Satz: „Hören Sie, Sie lackierter Lagunenhai. Ihr Geschwafel geht mir auf die Nerven und geht mir am Allerwertesten vorbei. Sie kriegen den Bericht, wenn er fertig ist, und keinen Tag früher. Und jetzt le … sen Sie einfach ein bisschen Zeitung und entspannen sich. Ciao!“ hätte den Sergente jubeln lassen.
Der Dottore konnte sich das erlauben. Nicht so der Sergente, der in unmittelbarer Nähe des Streihahns, und auch mit ihm arbeiten musste.
Für den restlichen Vormittag war Brescina unauffindbar gewesen. Er leckte wohl seinen Wunden.
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Tamorra schlug die Hacken zusammen und verließ mit dem Einsatzplan für Parkplatzsünder grußlos den Büroraum.
Gemeinsam mit den Beamten, die bei der Auffindung der Leiche dabei waren, ging der Sergente auf Streife und in seinem Kopf manifestierten sich sehr böse Gedanken.
Palermo, 22.6.2011
„Ein guter Schachzug, Don Alfredo!“, resümierte Vincenzo Astina, die rechte Hand des Granden. Beifällig nickten drei ältere Semester, allesamt schwarzhaarig und mit dicker Sonnenbrille auf der Nase, und versuchten mit zusammenklatschenden Händen den Hauch von Applaus zu vermitteln. Der Patron stierte hingegen auf sein Glas Chianti und klopfte mit den Fingerspitzen Stakkato auf die Marmortischplatte. Er musste Farbe bekennen, wollte er sein Gesicht wahren.
„Die Aktion war gut – keine Frage. Nur stammte die Idee mit dem Identitätentausch nicht von mir.“
„Giuseppe?“, argumentierte Don Paolo, einer der Älteren, mit einem angelegentlichen Achselzucken.
„Nie im Leben“, widersprach der Patron. „Verschwendet keinen Gedanken daran, dass dieser Giuseppe dahinterstecken könnte. Dieser Chauffeur ist sicher loyal, aber kein Kind von geistigen Höchstleistungen. Von diesem Pepe ganz zu schweigen.“
Astina schenkte sich einen Grappa ein. Das Grübeln ging weiter. „Was ist mit Signora Vandelli?“
Die Witwe des Ermordeten war ein Spieler zu viel auf dem Schachbrett des Lebens.
„Der Säuberungsprozess, der in solchen Fällen üblich ist, hat stattgefunden“, erklärte Don Alfredo nüchtern. Sie konnte dieses ‚Bäumchen wechsel dich‘-Spielchen nicht inszeniert haben. Wer argumentiert und prognostiziert seinen eigenen Tod, der dafür die einzig logische Schlussfolgerung war?
Steckte hier eine neue Mafiazelle dahinter, die sich noch nicht geoutet hatte?
Denn Fakt war, dass der Patron mit dem Ableben des Fabrikanten Vandelli in keinster Weise zu tun gehabt hatte.
Wieso auch? Pietro war ein verlässlicher Geschäftspartner gewesen, der sich immer an die Abmachungen gehalten hatte. Wer also war für die Ermordung von Vandelli zur Verantwortung zu ziehen?
Don Alfredo klatschte sich an die Stirn. Das Naheliegendste kam im zuletzt in den Sinn. Die vier Männer in Gesellschaft des Patron sahen interessiert zu ihrem Oberhaupt.
„Ich erinnere mich“, raunte der Boss der Cosa Nostra, „dass Informanten berichtet hatten, dass die Signora am Tag des Verbrechens mit ihrem Mann auf dem Festland gewesen war, um angeblich eine Messe für Kinderspielartikel in Neapel zu besuchen. Nur Vittoria war nach Sizilien zurückgekehrt. Was sagt uns das? Wir wissen jetzt wenigstens, wer für den Tod von Pietro verantwortlich ist.“
Don Paolo nickte zustimmend: „Du hast recht, Don Alfredo. Nun gut, die Witwe ist sogesehen bestraft worden. Doch warum dieser aufgescheuchte Medienrummel um einen Toten, den man angeblich falsch identifiziert hat. Und woher dieses Insiderwissen um Dinge, die vor Ort keiner wissen kann.“
Rätselraten und eine allgemeingültige Erklärung von Vincenzo: „Und alles so hochgespielt, als gäbe es in Italien keine anderen Probleme“
Der Patron beschloss, sich näher über diesen Antonio Brescinas zu informieren. „Ich werde ein wenig diesen Commissario ins Visier nehmen, der die Angelegenheit ins Rollen gebracht hat. Wer weiß, welche Rolle er in diesem Spiel bekleidet. Der zwielichtige Ruf des Venezianers ist nicht grundlos bis an die Ohren unserer Organisation, geeilt.“
Verfolgte dieser korrupte Commissario etwa eigene Pläne? Die würde man ihm auszutreiben wissen. Unfälle passierten ständig auf den überfrequentierten Straßen des Landes.
Ein schwarzer Maserati erregte Aufsehen auf der Fähre von Messina nach Reggio di Calabria.
Páola, 22.6.2011
Tamorra hatte seine ‚Einnahmen‘ von diesem Tag an der Polizei-Info deponiert. Er hatte darauf verzichtet, dem süffisant lächelnden Vorgesetzten noch einmal zu begegnen. Auf diffuse Anschuldigungen konnte er leidlich verzichten. Auch die beiden jungen Beamten, die unfreiwillig den Dienst eines Parkplatz-Sheriffs mit dem Sergente teilen mussten, waren nicht gut auf Brescina zu sprechen.
Der Tag der Vergeltung würde kommen. Wenn nicht heute, dann morgen. Lange konnte das nicht mehr so bleiben, wie es war.
Auf dem Parkplatz des Kommissariats stieg der Sergente in seinen schwarzen Maserati. Das einzige Geschenk, das er je von seinem Vater erhalten hatte.
Entspannt lehnte er sich in dem kühlen Ledersitz zurück und strich behutsam, fast liebevoll über die glänzenden Armaturen. Es klang wie ein Schnurren, als der Motor angelassen wurde.
Commissario Brescina warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz vor siebzehn Uhr. Die Sonne brannte noch vom Himmel. Ein Abstecher zum nahen Sandstrand würde vielleicht seine üble Laune besänftigen. Mehr noch als die Abkommandierung des Sergente zum Strafdienst.
Man musste sehen, ob es hier in diesem Küstenkaff vielleicht auch die Möglichkeit gäbe, sich ein bequemeres Leben zu machen. Erste Kontakte waren geknüpft. Was war schon Ladendiebstahl? Das Kavaliersdelikt eines hungernden Mannes, der für seine Bambini sorgen musste. Es kam doch nicht darauf an, ob dieser besorgte Vater zwei oder drei Brotlaibe mitgehen ließ. Ein anderes Mal hatten unter Umständen sowohl der Vater als auch Brescina den unbändigen Wunsch nach einer gute Flasche Wein. Teilen macht glücklich.
In der Gelateria herrschte reges Gedränge. Sommerzeit war Eiszeit und der Commissario konnte nicht widerstehen. Brescina musste sich beeilen, dass das Gelati in seinen Händen nicht dahinschmolz, ehe er am Strand angelangt war. Wer ließ sich bei der Hitze allerdings auch sieben Eiskugeln auf seine Tüte quetschen? Der gutmütige Angestellte aus dem Eissalon hatte noch zwei Extrawaffeln und einen Stoß Servietten dazugepackt. Dennoch, geschmolzenes Pistazieneis hinterließ bereits eine klebrige Spur auf der rechten Hand des Commissario.
Noch ein paar Schritte über die schwach frequentierte Uferstraße.
Wie aus dem Nichts schoss ein schwarzer Maserati aus einem Parkplatz. Der PS-starke Wagen beschleunigte in Sekundenschnelle. Eine Bremsspur würde man später nicht finden.
Ein ungläubiger Blick traf das heranrasende Automobil. Commissario Brescina war unfähig, sich zu bewegen.
Der Fahres des Wagens musste ihn doch gesehen haben. Er würde doch nicht …?
Ein dumpfer Aufprall. Wie eine willenlose Puppe flog Brescina durch die Luft, um danach am Asphalt aufzuprallen und reglos liegenzubleiben. Gebrochene Augen starrten blicklos in den Himmel. Geschmolzenes Eis vermischte sich mit dem Blut des Verunglückten.
Der Maserati hielt nur kurz an. Die Fahrertüre öffnete sich, ein Mann mit blankgeputzten Schuhen stieg aus dem Wagen und blickte zurück auf die verkrüppelte Gestalt am Boden.
„Scusi!“
Die Breitreifen drehten kurz am Stand, als das Fahrzeug sofort in einen hohen Gang geschaltet und das Gaspedal durchgetreten wurde.
London, 23.6.2011
Via Satellitenfunk erfuhr Keith Kitcatt von den aktuellen Geschehnissen auf der Welt. Es war ein Spleen des honorigen Marine-Offiziers, dass er immer und zu jeder Zeit informiert sein wollte, was anderswo geschah. Die neueste Meldung ließ ihn zufrieden schmunzeln. Etwas Ordnung war wieder hergestellt.
Ein Zeitungsartikel hatte gereicht, Schuldige nervös zu machen und derart zu manipulieren, dass Böse von Bösen gerichtet wurden.
Die neuesten Meldungen ließen den graumelierten Captain lächeln und seine Miene erhellte sich.
Ob es wohl daran lag, dass seine Enkelin mit einem hellrosa ‚Hello Kitty‘-Shirt ins Zimmer stürmte und ihn mit seinem Nickname ansprach?
Oder daran, dass sie mit einem unwiderstehlichen Lächeln forderte: „Captain Kitty, spielen wir wieder fangen?“
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Tod in Páola
© Renate Zawrel
24.Mai 2012
Bewerb: Captain Kitty
33.126 Zeichen (incl. Leerzeichen)