Daniel krümmte seinen geschundenen Körper. Die Schmerzen, die er fühlte, waren nicht zu beschreiben, nicht in Worte zu fassen.
„Warum musste ich auch versuchen, dem Wunsch des Königs gerecht zu werden?“, presste der Jüngling zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen heraus.
„Weil du Macht ausüben willst. Mehr als dein Verstand es je fassen wird!“
Wunsch des Königs? Macht? Und woher war diese krächzende Stimme gekommen? In Daniels Kopf schwirrten die Gedanken planlos umher.
Er versuchte mit seinen Augen das Dunkel des Raumes zu durchdringen. Doch war das Einzige, das er in diesem Moment wahrzunehmen vermochte, lediglich das monotone Platschen von Wassertropfen. Die Gleichartigkeit des Geräusches, das die endlose Stille unterbrach, schien sich in seinem Kopf permanent zu verstärken und zehrte an den Nerven.
Um nicht den Verstand zu verlieren, brüllte Daniel in die undurchdringliche Finsternis: „Wer bist du? Wer spricht hier? Wo bin ich?“
„Hmm, ein bisschen viele Frage auf einmal. Meinst du nicht?“
Hohles Lachen vervielfachte sich im Echo der Höhle. „Nun gut!“,
knarrte die unangenehme Stimme weiter. „Ich will deinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen. Du kennst mich. Und deine zweite Frage ist einfallslos und dumm. Findest du nicht auch?“
Daniel hielt sich beide Ohren mit den Händen zu. Zu grausig war das hämische „hä-hä-hä“,
das die Stille zerschnitt. Wie ruhig hingegen erschien in diesem Moment das gleichmäßige Tropfen des Wassers, das vorhin an seinen Nervenbahnen gerüttelt hatte und jetzt vollkommen verstummt war.
Die fremdartige Stimme erklang erneut. „Du bist in meinem Haus. Dem Felsen von Stalat!“
„Felsen von Stalat?“ Daniel glaubte sich in einem schlechten Traum. Was hatte er an diesem verfluchten Ort zu suchen? Viel mehr noch plagte ihn die Frage, wie er hier her gekommen war.
„Deine Träume“,
erinnerte die Stimme aus dem Nichts, „Daniel, deine Träume haben dich zu mir geführt.“
Langsam dämmerte es dem Laufburschen des Königs. Ja, sein Traum – mit ausgebreiteten Schwingen durch die Lüfte fliegen können, wie einer der Drachen vom ‚Hohen Berg‘. Macht fühlen und wissen, dass Mensch und Tier vor seiner Kraft erzitterten.
„Stimmt!“,
lautete die krächzende Bekräftigung.
„Lies nicht ständig in meinen Gedanken“, schimpfte Daniel wütend.
„Sei still“,
polterte der noch immer unsichtbare ‚Gastgeber‘, „und freue dich lieber. Du wirst fliegen und einer der mächtigsten Dracos deiner Zeit werden!“
So die Prophezeiung der Stimme, die noch immer keinem Körper zugeordnet werden konnte. „Die Sache hat nur einen Haken!“
Platsch – Platsch. Das Wasser tropfte wieder vernehmlich auf den Fels.
„Haken? Wovon sprichst du jetzt wieder?“, murrte Daniel, der sich aus all dem Gesagten keinen Reim machen konnte. Langsam hatten sich die Augen des Jünglings an das Dunkel gewöhnt.
Das gleißende Licht, das eine Kreatur in einen strahlenden Kranz tauchte, schmerzte in seinen Pupillen.
Erschrocken sank Daniel in die Knie und ächzte mit belegter Stimme: „Merdalon!“
Der Dämon von Serlangen richtete sich vor dem Burschen zu seiner imposanten und schaurigen Größe auf. In seinen glühenden Pranken hielt er die rotgoldenen Federschwingen, die für Daniels Rücken bestimmt waren. „Deine Flügel! Nimm!“
Zaghaft rührte Daniel seine Hände, streckte sie nach vorn. Nur eine minimale Distanz trennte ihn von seinem Verlangen. Dann ein Aufflackern von Vernunft und die Hände sanken rasch zurück in seinen Schoß. „Der Haken“, schluckte der Bursche, „was ist das für ein Haken, den du meinst?“
Erneut erklang das hämische Lachen, das so in den Ohren schmerzte. „Du wirst nur ein einziges Mal fliegen. Dein Flug wird dich zu den Feuern des Todes bringen. Dort wirst du verglühen, wie alle Drachen vor dir! Ein angemessener Preis für einen überheblichen Wunsch! Nun nimm!“
„Neeeeiiiin!“
Gellend war der Schrei, der selbst Merdalon zu einem Verziehen seiner durchfurchten Grimasse veranlasste.
„Hat dich dein Mut verlassen? Um nicht zu sagen, dass Feigheit von dir Besitz ergriffen hat?“
„Ni sara tetem Merdalon – ni sara ocater tubelon!“ Daniel wand sich vor Schmerzen, als er diese Worte hinausschrie.
Der Strahlenkranz um Merdalon erglühte wie eine hungrige Feuersbrunst. Flammen leckten gierig und loderten um die Gestalt in seinem brennenden Kreis. Von einem Moment zum anderen begannen die Feuerzungen zu zucken, vollführten einen letzten Tanz und ein Funkenregen erleuchtete die Höhle.
Unbeschreiblich war der ungläubige Ausdruck auf der Fratze des Dämons. Hass – Entsetzen – Unverständnis, die gesamte Palette, die ein Mienenspiel aufwarten konnte.
„Woher-kennst-du-diese …“
Es bereitete Merdalon sichtlich Mühe, noch einen zusammenhängenden Satz zu formulieren … „Worte?“
Daniels Stimme klang jetzt sicher und fest: „Auch aus meinem Traum.“
Das Flackern um die Gestalt Merdalons erlosch in dem Augenblick als die Kreatur in sich zusammensank und mit dem Boden verschmolz.
Leises Dahinplätschern von Wasser war zu hören. Sonst nichts. Oder doch?
Mit geschlossenen Augen griff Daniel nach seinem Arm, wo kurz zuvor noch brennende Wunden für unsagbare Schmerzen gesorgt hatten. Nichts! Da war nichts mehr – keine Verletzungen.
Vogelzwitschern.
Der Bursche schlug die Augen auf. Über ihm die tiefhängenden Zweige einer alten Weide.
Irgendwo am Horizont wuchsen die ‚Hohen Berge‘ in den Himmel und das Schlagen mächtiger Drachenflügel war zu hören.
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Bildmaterialien: Coverfoto Renate Zawrel
Tag der Veröffentlichung: 18.03.2012
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