Cover

Ein Tag im Museum


Eigentlich war es ein schöner Tag. Es war Frühling, die Sonne schien, der Himmel erstrahlte im schönsten azurblau und das Museum bei in der Stadt hatte eine Sonderausstellung mit extra langen Öffnungszeiten.
Alles in allem eigentlich ein super Tag für Oz Treyton. Er liebte es, durch Museen zu streifen, historische Filme zu sehen und Bücher zu lesen. Alles geschichtliche interessierte ihn und er wollte immer mehr wissen. Irgendwann würde er Geschichtsprofessor an der Universität sein. Oder Archäologe, aber nur in den größten Instituten der Welt. Sicher klang das sehr hochgegriffen, aber all seine Lehrer und auch früher seine Eltern sagten ihm, er sei sehr intelligent und hätte ein Händchen für geschichtliche Dinge. Und das wusste er selbst auch. Mathe, Physik, Sport und solche Dinge lagen ihm nicht wirklich, aber in Geschichte hatte er immer Bestnoten. Er wusste, was er konnte, war dabei jedoch nie arrogant oder versuchte, andere auszustechen oder belehrend zu wirken, wenn er ihnen etwas erklärte oder Sachverhalte richtig stellte. Alles in allem war er auch recht beliebt in seiner Schule. Er war kein Streber, ging oft mit seinen Freunden weg und wusste dennoch immer so viel. Das lag wohl auch großteils an seiner guten Auffassungsgabe. Er hörte Dinge und konnte sie, ohne sie aufzuschreiben, auch noch Tage später wiedergeben. Und auch wenn Sport nicht gerade sein Lieblingsfach und er nicht besonders gut darin war, war er dennoch schlank, fast schon dünn. Er aß gut, manchmal sogar sehr viel, was vor allem seine beste Freundin Dahlia ihm neidete. Sie passte immer auf, was sie aß und er konnte essen, was er wollte und wurde doch nicht dick.
Oz lächelte als er vor dem Museum stand und auf das Gebäude mit den drei Dinosaurierstatuen schaute. Die drei Statuen waren aus Bronze und standen auf steinernen Erhöhungen, von welchen Wasser herunterlief in einem rechteckigen Wasserbecken vor dem Eingang des Museums. Die Dinosaurier wirkten als würden sie die Besucher begrüßen wollen.
Oz war schon so viele Male in dem Museum gewesen, dass das Personal ihn schon lange persönlich kannte. Er hatte von seinem Großvater, bei dem er nach dem Tod seines Vaters und dem mysteriösen Verschwinden seiner Mutter lebte, einen Jahrespass für das Museum zum Geburtstag bekommen. Oft hat er hier auch schon während seiner Sommerferien ausgeholfen, hat sogar schon ein paar Mal Touristen durch das Museum geführt.
Gerade schickte er sich an, in das Gebäude zu gehen als er plötzlich merkte, wie ihn jemand von hinten festhielt. Erschreckt, weil er mit seinen Gedanken ganz woanders war, drehte er sich um und sah in das Gesicht seiner Freundin Dahlia.
„Na du, hängst du schon wieder hier rum?“
„Mensch Dahlia! Musst du dich so an mich heran schleichen?“
„Was heißt denn hier heran schleichen? Du warst so in deine Gedanken versunken, dass du wohl mein Rufen nicht gehört hast, wie? Und vor allem, was willst du denn schon wieder hier? Warst du nun mittlerweile nicht schon oft genug in diesem Gebäude?“
„Sie haben eine neue Ausstellung. Du kannst ja gerne mitkommen. Ein wenig historische Bildung würde dir auch nicht gerade schaden.“
„Na hör mal! Ich mag nicht so unangefochten gut in Geschichte sein wie du, aber dumm lasse ich mich noch lange nicht schimpfen!“
Oz seufzte. Das Mädchen aber auch gleich alles in den falschen Hals bekommen müssen.
„Ich habe nie behauptet, dass du dumm bist. Das spiegeln deine Noten ja wohl am besten wieder. Und wenn du diese nicht durchs heimliche Spicken oder flirten mit dem Lehrer bekommst, dann muss ja was dran sein“, sagte Oz und grinste Dahlia hämisch an.
„Pah! Als ob ich es nötig hätte zu spicken oder mit den Lehrern was anzufangen. Danke, dass du mir soviel Moral zusprichst.“
“Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt. Das war doch nur ein Scherz. Aber deiner Geschichtsnote würde es echt gut tun, wenn du hier ab und zu mal vorbei schauen würdest.“
Dahlia verdrehte die Augen. Geschichte war nicht ihr Lieblingsbereich. Sie mochte Chemie, Sport, Musik und Literatur. Also fast könnte man sie als Gegenteil von Oz bezeichnen. Vielleicht war genau das der Grund, warum sie sich beide so gut verstanden und so gut mit einander klar kamen. Sie ergänzten sich halt einfach gut.
„Also, kommst du mit rein?“, fragte Oz und machte ein paar Schritte auf das Museum zu, bevor er sich wieder ein wenig zu Dahlia umdrehte. Diese zuckte mit den Achseln und lief ihm nach.
„Schaden kann es ja nicht, nicht war?“, fragte sie mit einem sarkastischen Unterton, der Oz nicht verborgen blieb, auf den er sich jetzt aber auch nicht einlassen wollte.

Oz ging an den anderen Leute, die in einer Schlange vor der Kasse standen, vorbei und direkt in den Saal mit den Dinosauriern.
Er mochte Dinosaurier. Wie bei fast jedem Kind fing es bei ihm auch schon in sehr frühem Alter an. Nur ließ es bei ihm nicht nach, so wie bei den meisten. Aber sein meistes Interesse hatte die altnordische Mythologie geweckt. Die Sagen, die Götter, die Mythen, Ragnarök das Göttersterben. Er hatte mittlerweile sogar die Edda und diese auch schon mehrfach gelesen. Er kannte die nordischen Sagen und Legenden besser als jeder andere in seiner Schule. Nur leider wurde dieses Thema da nicht weiter behandelt. Vor allem die Geschichte um den Weltenbaum Yggdrasil und den an dessen Wurzeln nagenden Nidhöggr begeisterte ihn. Bei Nidhöggr war man sich nicht wirklich sicher, ob es sich dabei um eine Schlange oder um einen Drachen handelte. Oz vermutete eine Art Schlangendrachen. Ein Drache, der einen langen, gewundenen Körper hat wie eine Schlange. Wahrscheinlich ohne Flügel. Aber so sicher war sich er dabei nicht.
Schlangen und Drachen waren ähnlich wie Dinosaurier. Und genau diesen stand er nun gegenüber. Besser gesagt ihren fossilen Überresten. Gerade stand er vor dem Skelett eines Tyrannosaurus Rex. Dahlia kam gerade auf ihn zu. Sie musste heute auch keinen Eintritt bezahlen, da Oz in seinem Jahrespass das Spezial dabei hatte, 4 Mal im Jahr eine beliebige Person kostenlos mit ins Museum zu nehmen. Allerdings musste sie sich noch ein Tape mit Sprachführung holen. Obwohl sie das nicht gebracht hätte, weil ihre Begleitung Oz Treyton hieß und er ihr ohne Probleme alles hätte erzählen können, was sie hätte wissen wollen. Aber er war dabei immer so ausschweifend und kam ewig nicht auf den Punkt, weil er noch drum herum tausend andere Dinge erzählen und erklären musste. Und die Frauenstimme auf dem Tape erklärte alles kurz und knapp, sodass man auch in endlicher Zeit durch das Museum kommen konnte. Mit Oz konnte eine solche Führung schon den ganzen Tag in Anspruch nehmen.
„Sag mal, wie oft warst du eigentlich schon hier, Oz?“, fragte Dahlia und nahm die Kopfhörer ab.
„Ach weißt du...so genau weiß ich das gar nicht. Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen.“
Dahlia hob ungläubig eine Augenbraue an. So richtig konnte sie dem keinen Glauben schenken. Oz wusste genau, was auf welchen Zentimeter des Museums stand, also warum nicht auch das? Obwohl, vielleicht war er einfach schon wirklich zu oft hier gewesen. Warum dachte sie überhaupt über solche Dinge nach? War es hier wirklich so langweilig für sie? Oder wollte sie sich nur von etwas ablenken? Sie schüttelte den Kopf, um all diese reichlich nutzlosen Gedanken los zuwerden und wandte sich wieder Oz und dem Dinosaurierskelett zu.
„Na, dann fang mal an“, sagte sie auffordernd.
„Anfangen? Womit?“
„Na mit deinen Erklärungen. Müssten diese nicht eigentlich genau in dem Moment anfangen?“
Oz schüttelte den Kopf und seufzte leicht.
„Du bist ziemlich kindisch heute. Was ist mit dir los? Hat Bob Schluss gemacht?“
„Was? Nein – “, Dahlia’s Stimme zeigte leichte Verunsicherung und sie wurde rot, „ natürlich nicht...wie kommst du darauf?“
Oz zuckte mit den Schultern. „Ach nur so. Du benimmst dich immer so eigenartig, wenn mit einem deiner Kerle Schluss ist.“
„Das klingt ja schon fast neidisch.“
„Worauf denn bitte? Das mit mir keiner Schluss macht?“, Oz lachte.
„Tch – “, Dahlia verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich nervös im Ausstellungsraum um. „Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt hierher gekommen bin“, sagte sie nun etwas aufgebracht.
„Ich kann dir sagen warum.“
„Ach...und warum bitte?“
„Weil du nicht alleine sein willst. ...nachdem Bob Schluss gemacht hat.“ Und wieder fing Oz an zu grinsen.
„Ach ja? Vielleicht wollte ich ja auch einfach nur ein wenig Zeit mit meinem besten Freund verbringen!“, fauchte sie ihn an.
„Hat Bob deshalb Schluss gemacht?“, fragte er mit einem aufgesetzten Schrecken in der Stimme. Dahlia funkelte ihn wütend an, stemmte die Hände in die Hüfte, legte den Kopf leicht schief und bog den Rücken leicht durch. Ein schlechtes Zeichen.
„Weißt du was?“; sagte sie und er merkte, dass sie sauer und verletzt war und er dieses Mal dann doch ein wenig zu weit gegangen war. „Du kannst mich mal.“ Und mit diesen Worten drehte sie sich um und ging auf den Ausgang zu.
Oz seufzte, sah ihr nach bis sie verschwunden war und drehte sich dann zu dem Dinosaurierskelett um. „Ich wette, du hattest nicht solche Problem“, sagte er resigniert zu den Überresten dieses einst so mächtigen Tieres.

„Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“
Als Oz mit dem Fahrrad auf dem Grundstück seines Großvaters ankam, bemerkte dieser sofort, dass etwas den Jungen bedrücken musste. Sein Großvater kannte Oz besser als jeder andere Mensch. War er doch derjenige gewesen, der ihn nach dem Verschwinden seiner Mutter aufgezogen hatte. Oz brauchte gar nichts zu sagen und dennoch wusste sein Großvater immer, was mit ihm los war.
„Ach, ich habe Dahlia verärgert.“
„Na, nach nur einem kleinen Scherz klingt das aber nicht, wenn man sich auch so dein Gesicht ansieht. Komm rein. Ich mach dir einen warmen Kakao, dann kannst du mir alles erzählen.“ Mit diesen Worten und einem warmen Lächeln, klopfte Oz’ Großvater ihm leicht auf den Rücken und sie gingen ins Haus.
Taylor Treyton war knappe 75 Jahre alt, hatte einen weißen Haarkranz auf dem Kopf, einen weißen Vollbart und trotz des hohen Alters leuchtend lebensfrohe blaue Augen. Er war ein sehr netter, nachsichtiger und geduldiger alter Mann. Bei den Nachbarn beliebt und von seinem Enkelkind geliebt. Taylor Treyton war der Vater von Oz’ Mutter, Caroline. Sein Vater Brian starb bei einem Autounfall als Oz fünf Jahre alt war und seine Mutter verschwand nur zwei Jahre später. Keiner weiß, wohin sie gegangen war. Am Morgen machte sie ihm noch die Brote für die Schule und als er am Nachmittag wieder nach Hause kam, war sie weg. Die Polizei suchte wochenlang nach ihr, aber sie fanden nichts. Auch hatte sie keinen Abschiedbrief oder dergleichen hinterlassen, sodass die Polizisten schon von einer Entführung ausgegangen waren. Aber es kamen weder Erpresserschreiben, noch Erpresseranrufe, was diese Theorie auch zunichte machte. Es sei denn, dass nach der Entführung etwas schief gelaufen wäre, aber daran glaubte die Polizei nicht. Auch ein Überfall mit anschließender Verschleppung und Tötung wurde einkalkuliert, aber für nichts gab es Beweise. Und so kam der Fall seiner verschwundenen Mutter eine Nummer und kam zu den ungelösten Fällen. Eine Nummer unter vielen. Abgestempelt und vergessen, bis sich eines Tages vielleicht mal wieder ein Beamter darum bemühen würde, den Fall aufzurollen und zu versuchen, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Was Oz anging, so glaubte er nicht mehr daran, dass seine Mutter noch gefunden werden würde. Er war sich sicher, dass sie ihn niemals einfach so zurück gelassen hätte. Ganz gleich, was sie auch vorgehabt hätte. Sie wäre gekommen und hätte ihn geholt. Da war er sich ganz sicher. Die Polizisten sagten ihm auch manchmal, dass sie vielleicht einen Grund hatte, zu verschwinden. Und ihn nicht hatte mitnehmen können. Das letzte Mal, als sie ihm das sagten, schrie er die Polizisten an und sagte, dass sie ihn niemals allein gelassen hätte. Dann rannte er aus dem Polizeipräsidium und zurück nach Hause zu seinem Großvater. Dieser hatte dann Mühe, Oz wieder zu beruhigen. Er machte wie so oft, wenn Oz traurig war, eine Tasse heißen Kakao, ging zu seinem Zimmer, klopfte an, ging hinein und setzte sich zu ihm ans Bett. Dann redeten sie oft einige Stunden, manchmal aber auch nur einige Minuten. Die ruhige, verständnisvolle Stimme seines Großvaters brachte Oz immer wieder zur Ruhe. Und oft hatte er sich gefragt, wieso sein Großvater so war. Sicher, er war schon recht alt, hatte dadurch viel Lebenserfahrung gesammelt und wusste viele, viele Dinge, die Oz nicht wusste. Aber er schien noch etwas anderes an sich zu haben. Das fand Dahlia auch immer. Eine Art alte Weisheit, nannte sie es einmal. Als würde er schon ewig leben und wüsste deshalb so vieles. Er wusste ja nicht nur Dinge aus dem alltäglichen Leben, sondern auch wie die Menschen waren. Oz kannte niemanden, der solch eine gute Menschenkenntnis hatte, wie sein Großvater. Er schien in den Augen der Menschen deren Gedanken und Gefühle lesen zu können. Bei ihm bekam der Spruch ‚Die Augen sind der Spiegel der Seele.’ eine ganz neue Bedeutung. Aber nicht in beängstigender Weise. Man sah in ihnen Halt und Verständnis und die Leute wussten, dass sie mit ihren Problemen zu ihm gehen konnten. Wahrscheinlich deshalb war er auch so beliebt in der Nachbarschaft.
Oz stellte also sein Fahrrad in die Garage und ging dann ins Haus. Dort stellte er seine Schultasche in die Ecke und setzte sich an einen der Barhocker, die um die Küchenbar aufgestellt waren. Sein Großvater folge ihm, nahm sich einen kleinen Topf aus dem Regal und kochte Milch auf. Dann holte er auch einer Dose im Schrank den Kakao. Es war echter Kakao, den er von Freunden aus Brasilien bekam. In die heiße Milch gab er ein paar Stücke 70% kakaohaltige Schokolade und tat dann, als diese geschmolzen waren, den Kakao dazu. Dann noch einen Schuss fettarme Sahne, um den Kakao noch cremiger zu machen und fertig war Oz’ Lieblingsgetränk. Taylor Treyton goss den Kakao in zwei große Tassen und setzte sich dann neben seinen Enkel an die Bar. Er schob ihm eine Tasse hin und sah ihn an.
„So und nun erzähle mir mal, was heute passiert ist, dass du so ein trauriges Gesicht machst.“

Impressum

Texte: Audrey K. K. Wolfeye
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /