Ich mag keine Umzüge. Ich mochte den ersten Umzug nicht, den zweiten auch nicht und auch jetzt werde ich meine Meinung über diesen, von Menschen völlig überflüssig geschaffenen Stress, nicht ändern.
So dachte ich nicht nur bei meinem dritten und bisher letzten Umzug. So denke ich auch heute noch und sehe mit Schrecken auf einen weiteren, noch in der Ferne versteckten, kartonüberladenen, unübersichtlichen, nicht enden wollenden und zeitlich nicht einzuschätzenden Katastrophentag, an dem mein Frauchen wieder einmal mit strahlendem Gesicht, als hätte sie eine atomverseuchte Frucht zum Frühstück gegessen, auf mich zukommen und sagen würde: "Lucky! Du wirst es nicht glauben, aber wir ziehen um!"
Auch wenn viele Menschen der Meinung sind, dass Tiere im Allgemeinen keine verschiedenen Gesichtsausdrücke haben, so würden dann selbst diese ungläubigen Realisten zugeben müssen, dass meiner dem einer getrockneten Weintraube gar nicht so unähnlich wäre.
Umzüge bedeuten Stress. Und diesen nicht nur für die zweibeinigen Verursacher, sondern leider auch für die vierbeinigen Sklaven der menschlichen Unterhaltung, kurz Haustiere genannt.
Wer von euch schon einmal einen Umzug miterleben durfte, wird mir ohne Umschweife zustimmen müssen. Sie sind überflüssig, aber die Menschen scheinen Überflüssiges und unnütze Dinge und Aktivitäten ja so sehr zu lieben, wie wir ihre Wurst- und Käseprodukte.
Bei meinem ersten Umzug war ich gerade einmal eineinhalb Monate alt. Gerade war ich noch bei meiner Mami und ahnte nichts Schlimmes, als mich die Menschen bei denen wir damals lebten, nahmen, mich in einen Käfig sperrten und mit mir davon fuhren. Ich schrie und weinte, aber niemand nahm Notiz von meinem unüberseh- und unüberhörbaren Unwillen, von meiner gewohnten Umgebung und meiner Mutter entfernt oder gar getrennt zu werden. Aber wie die Zweibeiner halt so sind, ignorierten sie gefließentlich meinen Ärger und meine Unmut über meine aktuell sehr unbefriedigende Lage und fuhren weiter.
Wie lange, weiß ich nicht und wohin noch viel weniger. Aber als wir ankamen, nahmen sie den Käfig, in welchem ich gezwungener Maßen steckte und übergaben mich an eine, wie ich damals noch nicht wusste, alten Frau mit zerknittertem Gesicht, einer riesigen Brille, einem stinkenden Stöckchen in der Hand, einer so genannten Zigarette, und einer sehr tiefen Stimme.
Ich zuckte und kauerte mich zusammen, als sie meine damaligen Menschen ansprach und sagte: "Ich danke Ihnen. Ich weiß, Kiara wird sich riesig über das kleine Ding freuen. Haben Sie ihm schon einen Namen gegeben?"
Als sie das fragte, kam ihr Gesicht plötzlich sehr, sehr nahe an meine Box heran und sie schaute hinein. Ich kann euch sagen, dass ich auf dieses Erlebnis lieber verzichtet hätte.
Weder mochte ich diese Frau damals, noch mag ich sie heute.
"Nein, er hat noch keinen Namen. Aaber ich denke, Ihre Nichte wird bestimmt noch einen schönen für ihn finden."
"Das denke ich doch mal, nicht mein kleiner süßer Fellball?"
Ich gab ein kurzes, unglückliches Miau von mir, um zu zeigen, dass ich ihren Ausdruck Fellball überhaupt nicht zu schätzen wusste. Aber wie auch nicht anders zu erwarten war, interpretierte sie meinen Einspruch völlig falsch.
"Ja, ich weiß, du hast bestimmt Hunger, was? Oder musst du auf dein Klo?"
Ich entschied mich dafür, einfach still zu sein und zu hoffen, dass sie nicht noch mehr Versuche unternehmen würde, mir ein menschliches Wort oder gar einen Satz zu entlocken.
Das war eine der ersten Dinge, die mir meine Mutti beigebracht hatte. Menschen sind seltsam und reden immer mit unsereins, als könnten wir ihnen in ihrer Sprache antworten und mit ihnen lange, ausführliche und wissenschaftlich detaillierte und abhandlungsreife Diskussionen führen. Nicht, dass wir es nicht könnten, aber leider sind die Menschen unserer Sprache nicht mächtig. Und somit schwieg ich für den Rest der Reise mit unbekanntem Ziel.
Nachdem mich die Frau in ihrem Auto auf dem Beifahrersitz verstaut und meinen bisherigen Besitzern ein Stückchen Papier in die Hand gedrückt hatte, fuhren wir weiter. Spätestens zu dieser Zeit war mir klar, dass ich weder den Hof, auf dem ich bisher lebte, noch meine Mami je wiedersehen würde. Um der Traurigkeit dieser Gewissheit zu entkommen, rollte ich mich zusammen und versuchte, ein wenig zu schlafen.
Nach einiger Zeit gelang es mir auch und ich wachte erst wieder auf, als der Wagen plötzlich still stand und der Motor ausging. Die Frau nahm meine Box und trug mich durch eine große Tür und dort die Treppe hinauf. Ich hob meinen Kopf und spitzte die Ohren. Es gab hier so viele neue Gerüche. Viele, die ich noch nie zuvor vernommen hatte.
Als wir dann, die Frau ganz außer Atem, vor einer weiteren Tür angekommen waren, klopfte sie. Nichts passierte. Sie klopfte erneut, aber scheinbar wollte ihr niemand Einlass in die Räume hinter diesem schützenden Stück Holz geben oder das Klopfen wurde einfach nur nicht gehört.
Nun klingelte sie und klopfte lauter an die Tür. Dann endlich öffnete sich diese und ein eindeutig jüngerer Mensch als ich einen bisher je gesehen hatte, trat heraus. Auf dem Hof, auf dem ich bisher lebte, lebten nur der Bauer und seine Frau. Ihre Kinder waren auch schon älter und sahen daher den Eltern sehr ähnlich. Aber dieses Mädchen hier war jünger. Sie strahlte als sie meine Box sah und winkte die ältere Frau aufgeregt in die Wohnung.
"Es tut mir leid, Tante Alice, aber ich hatte dein Klopfen nicht gehört. Ich hab grad sauber gemacht und dabei Musik gehört."
"Und wieso hast du dann doch die Tür geöffnet? Ich habe doch nur geklingelt", sagte sie und trat, sich umsehend, in die Wohnung ein.
"Ja, weißt du, immer wenn jemand klingelt, dann flackert das Licht im Bad und da habe ich ja gerade geputzt. Muss ein Wackelkontakt sein, vermute ich mal."
"Am hellerlichten Tag hast du das Licht an? Deine Stromrechnung war wohl noch nicht hoch genug, was?"
Das Mädchen verdrehte nur die Augen und stöhnte leise, was ich bei solch einer nervigen Beharrlichkeit auch sehr gut verstehen konnte.
"Ich habe ein Bad ohne Fenster, Tante Alice. Allerdings könnte ich mir natürlich auch eine Kerze nehmen, wenn ich auf Toilette muss. Nur werden diese leider Gottes auch immer teurer."
"Na ja, wie dem auch sei. Du solltest dem Hausmeister Bescheid sagen, dass er sich mal um dieses Problem kümmert."
"Wir haben hier keinen Hausmeister, Tante."
"Was? Ihr habt keinen Hausmeister? Was soll das denn bitte heißen? Jede Wohnanlage muss einen Hausmeister haben."
Das Mädchen seufzte und lehnte sich gegen eine Wand, während sie ihre Arme vor der Brust verschränkte.
"Vielleicht ist das ja bei dir in New York so, aber hier laufen die Uhren manchmal halt immer noch ein wenig anders."
"Ach komm schon, Kiara, so schlimm kann es hier doch auch nicht sein. Ist doch eine große und zivilisierte Stadt."
"Ja, dass schon, aber Zivilisation reicht halt nicht immer aus. Ich brauchte was kleines, günstiges und da blieb mir nur diese Wohnung. Und wenn es hier einen Hausmeister geben würde, würden die Mieten steigen und dann könnte ich hier auch nicht leben."
Tante Alice rümpfte nur leicht die Nase.
"Dann musst du halt deinen Vater fragen, ob er sich darum kümmert."
"Er hat genug anderes zu tun und kaum Zeit für solche Sachen."
Dem Mädchen schien diese Diskussion nun doch allmählich zu lang zu werden und mir ehrlich gesagt auch. Um die beiden auf ein anderes Thema, mich, zu bringen, gab ich ein trauriges und leises Miau von mir. Dann erst registrierten die beiden, dass ich auch noch anwesend und auch noch immer in dieser kleinen Box war.
"Ach je, du armes, kleines Ding. Da haben wir dich ja ganz vergessen, was?"
Diese Frau konnte es scheinbar einfach nicht lassen. Entweder war ich ein kleiner, süßer Fellball oder ich war ein kleines, armes Ding. Aber auf die Idee, dass ich eine kleine, hilflose, hilfsbedürftige, liebenswerte, süße Katze und Mitglied der nun hier herrschenden Gesellschaft war, kam sie natürlich nicht.
Nun kam das Mädchen lächeln auf meine Box zu und sagte sanft: "Na, mein Kleiner? Du bist ja niedlich. Hast bestimmt eine lange und anstrengende Reise hinter dir."
Die Reise selbst war weniger anstrengend als das Gespräch zwischen den beiden davor.
Dann nahm das Mädchen die Box und trug mich in einen anderen Raum. Dort stellte sie die Box auf den Boden, öffnete das Gitter, nahm mich heraus und setzte mich in einen Kasten mit kieselartigem Inhalt. Der Kasten war eine Katzentoilette und der Inhalt war ein sogenanntes Katzenstreu. Diese beiden Dinge kannte ich schon von meinen Vorbesitzern, nur das diese hier geschlossen war. Also eine Toilette mit Dach sozusagen. Und von dort begann ich dann die Wohnung zu erkunden.
Es war ja nicht wirklich viel. Wenn man von draußen herein kam, stand man gleich in dem Wohnzimmer, von welchem dann nach links das Bad und ein Stückchen weiter dann das Schlafzimmer abging, in welchem wir uns nun befanden.
Texte: Audrey K. K. Wolfeye
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Kiki & Bambi.