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Leseprobe

 

 

Bodyguard

 

Evelyne Amara

 

Impressum

November 2018 Copyright & Urheberrecht Evelyne Amara, Bayern

Copyright Bilder: Coka/Fotolia (Adobe Stock),

Siegfried Poepperl/siegfried-p.de/unsplash

Coverdesign: Evelyne Amara

Korrektorat und Lektorat: Jörg Querner

Kontakt(at)evelyne-amara.com

Evelyne Amara

c/o Autorenservice Donner

Egerlandstr. 12

96148 Baunach

Alle Rechte vorbehalten.

 

Kapitel 1

 

 

 

Ich nippe gerade an meinem Caffè Latte, als mein Vater mit mehreren seiner Handlanger im Gefolge in mein Wohnzimmer stürmt. Anzugtypen-Unternehmensklone, so weit das Auge reicht. Sie gehen neben meinem großen und breiten Vater unter, der mit seiner Präsenz für gewöhnlich den Raum dominiert. Doch diesmal gibt es eine Disharmonie, einen muskulösen Typen mit einer Lederjacke und einem leicht herausgewachsenen Militärkurzhaarschnitt. Heuert mein Vater neuerdings Schlägertypen an?

Was habe ich jetzt schon wieder ausgefressen? Mein Vater ignoriert mich schon mein ganzes Leben lang. Nur wenn ich schlechte Presse bringe, scheine ich für ihn zu existieren. Da ich mich nicht erinnern kann, kürzlich einen Skandal verursacht zu haben, ist mir sein Erscheinen schleierhaft.

»Das ist sie. Tun Sie alles, was nötig ist, wie wir es besprochen haben«, erklingt die befehlsgewohnte Stimme von Jerome Maynard, Multimillionär, Medienmogul, Privatinvestor und dem schlechtesten Vater des Millenniums.

Verschnupft sehe ich ihn an. »Guten Morgen, Dad.« Meine Stimme klingt ironisch. Zumindest begrüßen könnte er mich. Das gebieten die guten Manieren, wenn man denn welche hätte …

Warum wundert es mich nicht, dass er meinen Gruß ignoriert? Wird sich das jemals ändern?

»Hallo, Dad, warum ist gerade jeder und sein Hund in meinem Wohnzimmer, während ich versuche, in Ruhe zu frühstücken? Das hier ist keine öffentliche Veranstaltung.« Hat der schon mal was von Privatsphäre gehört?

Doch mein Vater winkt ab. Er lässt mich einfach stehen wie ein Schulmädchen, das etwas Schlimmes ausgefressen hat. »Ich habe gleich eine Besprechung. Mr. Preston, kümmern Sie sich um diese Angelegenheit.« Er spricht zu seinem Handlanger, als wäre ich gar nicht anwesend oder bestenfalls nur ein Projekt für ihn.

War natürlich klar, dass er mich wieder ignoriert. Das scheint mein Schicksal zu sein. Ich könnte ebenso gut mit der Wand reden. Die würde wahrscheinlich noch eher antworten als mein Vater. Und was es noch schlimmer macht, ist, dass ich in den Augen des Lederjacken-Typen Mitleid erkenne. Mitleid! Ich bin Tabitha Alyssa Maynard, eine der bekanntesten Frauen von New York, und habe es nicht nötig, von jemandem bemitleidet zu werden. Dummerweise bemitleide ich mich manchmal selbst, was meinen Vater betrifft. Ich frage mich, was ich ihm angetan habe. Er könnte es mir ja mal sagen, würde er denn mal wirklich mit mir sprechen … Aber das lässt er durch Kindermädchen, Hausangestellte, Chauffeure, seine Sekretärin, Mr. Preston und alle möglichen anderen skurrilen Gestalten erledigen.

»Das ist Nicholas Sands. Er ist Ihr neuer Bodyguard«, sagt Mr. Preston, einer der Haupt-Handlanger meines Vaters. Er ist ungefähr vierzig Jahre alt und der typische Corporate-Klon: glattrasiert, zurückgekämmtes, mittelbraunes Haar und ein gefühlloser Blick aus grauen Augen. Nichts an seinem Gesicht ist bemerkenswert, im Gegensatz zu dem abgerissenen Typen neben ihm. Im negativen Sinne bemerkenswert, möchte ich anmerken. Er ist zwar groß, gutaussehend, muskulös und dunkelhaarig, aber diese ausgewaschenen Jeans und die bereits an einigen Stellen abgewetzte schwarze Lederjacke und das dunkelbraune Haar … Die Männer, mit denen ich mich umgebe, tragen Armani und wissen, was ein Friseur ist, und verwechseln das nicht mit diesem leicht herausgewachsenen Militärhaarschnitt.

Ein Mann, der mir auf Schritt und Tritt folgt? Wie kommt mein Vater denn auf diese abstruse Idee? Noch dazu irgend so ein Typ von der Straße. Welch gruselige Vorstellung. Es genügt schon, dass mein Ex das bisweilen macht, doch der ist nicht gefährlich, außer für meine Nerven.

Ich gähne gelangweilt. »Ich brauche keinen Bodyguard, habe nie einen gebraucht. Was soll das, Dad? Das kann doch nicht dein Ernst sein.« Ich habe kaum ausgesprochen, da rauscht er schon ab, den größten Teil seiner Klon-Armee im Gefolge, als hätte er mich gar nicht gehört. So war es schon immer, und das wird sich bei ihm wohl niemals ändern. Er verrennt sich in irgendwas, drückt es mir rein und verschwindet.

Frustriert streiche ich mir eine hellblonde Strähne aus dem Gesicht und lasse mich zurück in die Polster meines Sofas sinken. Ich trage meinen Hello-Kitty-Schlafanzug und meine plüschigen, rosa Schläppchen. Mein Vater hätte wenigstens warten können, bis ich mich angezogen habe, doch er hat noch nie Rücksicht auf mich genommen.

Er hört mir nie zu. Er gibt Anweisungen und ignoriert mich, wenn ich nicht gerade Skandale verursache. Selbst die sind mir inzwischen zu langweilig geworden. Früher hatte ich die provoziert, um wenigstens für kurze Zeit seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, auch wenn sie negativer Art war. Mittlerweile bin ich einfach nur noch resigniert und desillusioniert.

Wenn die Mieten in New York nicht so hoch wären, wäre ich schon längst ausgezogen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass reine Bequemlichkeit einer der Hauptgründe ist, warum ich nach wie vor im Haus meines Vaters lebe. Die Bediensteten und all das … Er hat eine wahnsinnig gute Köchin, die auch auf meine Wünsche eingeht. Würde ich allein leben, würde ich mich vermutlich hauptsächlich von Broten, Salat und Joghurt ernähren.

Natürlich bewohne ich einen anderen Flügel als mein Vater. Es wäre ja auch schlimm, wenn er mir versehentlich begegnen müsste. Ich frage mich, was ich ihm getan habe, aber ich glaube, ich ahne, warum er mich hasst …

»Als Ihr Vater gestern mit Penny Davis essen war, wurde ein Typ mit einer Waffe gesichtet. Er gelang ihm leider, zu fliehen, bevor die Bodyguards ihn schnappen konnten«, unterbricht Mr. Preston meine Gedanken.

Penny Davis … Nachdenklich kratze ich mich am Kopf. Der Name kommt mir bekannt vor. Das ist ein C-Promi aus irgendeiner Reality-Show, die ihre fünfzehn Sekunden Ruhm schon vor einiger Zeit hinter sich gelassen hat, denn im vergangenen Jahr ist es ziemlich ruhig um sie geworden, mal abgesehen von ihrer Affäre mit einem abgehalfterten Schlagerstar auf Koks. Sie ist, soweit ich weiß, nur wenig älter als ich mit meinen zweiundzwanzig Jahren.

Ich starre ihn an. »Wer ist Penny Davis?« Die Frage äußere ich nur, um Mr. Preston aus dem Konzept zu bringen. Ich kann mir ja eigentlich denken, in welchem Zusammenhang sie mit meinem Vater steht …

»Die derzeitige Geliebte Ihres Vaters.« Am Zucken von Mr. Prestons Augenlid merke ich, dass ihm das Gespräch unangenehm ist. Das kriegt er immer, wenn er nervös ist, und ich liebe es, die Handlanger meines Vaters nervös zu machen. »Sie sieht Ihnen ähnlich, Ms. Maynard. Wir wissen nicht, ob die Kugel für Ihren Vater oder Sie vorgesehen war.«

»Das halte ich für ein Gerücht.« Nicht, dass diese Penny Davis unbedingt hässlich wäre, aber sie hat ein ganz anderes Gesicht als ich. Während ihres rund ist, ist meines herzförmig. Ihre Augen sind dunkel und meine graublau. Ihre Lippen sind nach Schlauchbootart aufgespritzt, während meine naturbelassen sind. Was die alle wohl an diesen Schlauchbootlippen schön finden?

»Sie hat eine ähnliche Körpergröße und dieselbe Haarfarbe und Haarlänge wie Sie. Von weitem kann man sie mit Ihnen verwechseln«, meint Mr. Preston.

Ich weiß nicht, was ich widerlicher finde, dass mein Vater Frauen dated, die fast das gleiche Alter haben wie ich – wie pervers ist das denn? –, oder dass mich möglicherweise jemand ermorden will.

»Und was ist mit seiner Frau?«, frage ich überflüssigerweise, da seine Ehe meinen Vater bisher nie daran gehindert hat, andere Frauen zu treffen.

»Die Scheidung hat er vor einem Monat eingereicht.« Ein gequälter Ausdruck liegt in seinen Augen.

Dass mein Vater sich scheiden lassen will, ist mir absolut neu. Aber sollte mich das überraschen? Ich erfahre so etwas meist als Letzte und dann oft erst aus der Zeitung …

Überrascht sehe ich ihn an. »Gut, dass ich das auch mal erfahre.« Natürlich trieft meine Stimme vor Sarkasmus.

Meine Stiefmutter und Stiefschwester wohnen noch hier im Haus, natürlich in einem anderen Flügel. Offenbar will mein Vater, aus welchen Gründen auch immer, die Öffentlichkeit noch nicht darüber informieren. Das Haus ist groß genug, um das Trennungsjahr auch hier durchzuführen.

Ob meine Stiefmutter versucht, meinen Vater umzubringen, weil sie durch die Scheidung zu viel verlieren würde? Ich habe keine Ahnung, was in ihrem Ehevertrag steht. Vermutlich hat sich mein Vater hinreichend abgesichert, sodass es für sie keinen Unterschied machen sollte. Außer natürlich, sie tut es, weil er sie mit seinem Verhalten verletzt … Dann bin ich aber definitiv nicht in der Schusslinie.

Diese Gedanken behalte ich jetzt mal lieber für mich, denn ich hasse es, jemanden einfach so zu beschuldigen. Schließlich habe ich keine Beweise, und eigentlich finde ich Ava nicht mal so unsympathisch.

»Nur weil ein Typ mit einer Waffe im selben Gebäude gesehen wurde wie mein Vater und seine Mätresse, heißt das noch lange nicht, dass ich in Gefahr bin. Wissen Sie, wie viele Leute hier Waffen mit sich herumtragen? Meine Oma wurde mit ihrer begraben, weil sie die nie aus der Hand gelegt hat.« Okay, die letzte Aussage ist leicht übertrieben. Dass sie ständig eine Glock G19 in ihrer Handtasche mit sich herumgetragen hat, ist allerdings eine Tatsche. Meiner Meinung nach war das überflüssig, denn bis sie im Notfall darin ihre unter allem möglichen Krempel begrabene Waffe gefunden hätte, hätte jeder Bösewicht sie bereits mehrmals ermordet.

»Er hatte die Waffe bereits gezogen und wollte sich Ihrem Vater nähern. Als einer der Bodyguards seine Pistole gezückt hat, ist er getürmt.«

»Wer sollte mich ermorden wollen? Ich habe niemandem etwas getan.« Ich halte das immer noch für weit hergeholt, auch wenn das Verhalten des Mannes verdächtig war.

»Wir glauben, dass es sich um einen geschäftlichen Rivalen Ihres Vaters handelt.«

»Als hätte ich etwas mit seinen Geschäften zu tun.«

»Das haben Sie nicht, aber Sie könnten im wahrsten Sinne des Wortes in die Schusslinie geraten.«

»Und deswegen hat er jetzt ein schlechtes Gewissen und drängt mir einen Bodyguard auf. Aber welche Qualifikationen hat dieser Typ denn schon?« Ich schaue besagten Typ schräg von der Seite her an. Er steht selbstsicher dort in seiner alten Jeans und mit dem Dreitagebart. Er sieht eher aus wie einer aus einer wilden Rockergang als ein seriöser Bodyguard. Ich frage mich, aus welcher Gosse mein Vater ihn herausgezogen hat. Vermutlich will er damit Geld sparen. Schließlich handelt es sich ja nur um mich.

Für seine Geliebten scheut er hingegen keine Kosten. Er überhäuft sie mit Juwelen, teurem Essen, Pralinen und Friseurgutscheinen für ihre Hunde. Einige hat er mit seinem Hubschrauber rumgeflogen, bis sie ganz grün im Gesicht waren, und andere hat er auf die Malediven verschleppt. Mich hat er nie dorthin mitgenommen. Vermutlich hätte ich nur gestört.

Und ich darf mich, wie man ja jetzt sieht, mit drittklassigem Pöbel zufriedengeben. Ein richtiger Bodyguard trägt einen nicht zu billigen schwarzen Anzug und hat das akkurat geschnittene Haar zurückgekämmt, damit es ihm nicht ins Gesicht hängt, wenn er Bösewichte erschießt. Außerdem trägt er eine schwarze Sonnenbrille, damit ihn die Sonne nicht blendet und der Bösewicht nicht erkennt, dass er schon längst ins Visier genommen wurde. So weit zumindest zu den Klischees aus den Filmen.

Ich will nicht ganz naiv klingen und weiß auch, dass ich es mit meinen Worten übertrieben habe, aber ich denke, es ist das Mindeste, dass so ein Typ was hermacht. Ich meine, er bewegt sich in der High Society und nicht auf dem Saufgelage eines Outlaw-Motorradclubs.

»Nicholas Sands ist einer der besten Bodyguards der Vereinigten Staaten«, sagt Mr. Preston in seinem üblichen schulmeisterlichen Ton, der mich schon das eine oder andere Mal zum Einschlafen gebracht hat.

War natürlich klar, dass er versucht, mir die Fehlentscheidungen meines Vaters schmackhaft zu machen. Das gehört zu seiner Jobbeschreibung.

»Das mag ja sein, aber nur, weil irgendein Typ in der Nähe meines Vaters mit einer Waffe herumgelaufen ist, heißt das noch lange nicht, dass ich in Gefahr bin.« Man kann es ja schließlich auch übertreiben.

»Ihr Vater will kein Risiko eingehen.«

»Dann sollte er sich nicht mit so vielen Leuten anlegen.«

»Man kann keine Erfolge im Leben erringen, ohne sich mit einigen Leuten anzulegen. Es gibt immer jemandem, dem nicht passt, was man tut.«

»Wohl wahr.« Dem kann ich nicht widersprechen, denn auch ich kann davon ein Liedchen singen. Als ich mit meiner eigenen Handtaschenkollektion vor ein paar Wochen auf den Markt ging, gab es ein paar Leute, die meinen Erfolg hatten verhindern wollen. Aber die würden ja wohl kaum so weit gehen, mich umzubringen. Das ist ja absurd. Bei mir geht es um Handtaschen, Nagellacke und einer bisher eher bescheidenen Modelinie. Mein Vater macht ganz andere Deals. Dabei geht es um Immobilien, Warentermingeschäften und was weiß ich noch. Mittlerweile hat er seine Hände fast überall drin. Dass er dabei einigen Leuten auf die Füße getreten ist, kann ich mir gut vorstellen.

»Aber nicht alle bringen einen gleich um. Warum sollte jemand riskieren, dafür in den Knast zu wandern? Außerdem könnte es ja ein persönlicher Feind von Penny Davis gewesen sein«, sage ich. Nur weil mein Vater womöglich den falschen Leuten auf die Füße getreten ist, heißt das nicht, dass ich mein Leben deshalb fortan einschränken muss und mir irgendein Typ auf Schritt und Tritt folgt.

»Das untersuchen wir ja noch. Bis wir keine sichere Entwarnung haben, wird Mr. Sands Ihnen nicht von der Seite weichen.«

Das passt mir gar nicht. Ich lasse mich gar nicht gerne überwachen. Bestimmt ist er eher ein Babysitter als ein Bodyguard, damit ich nichts Unüberlegtes tue. Seit jenem Ereignis vor einem halben Jahr habe ich ohnehin den Eindruck, dass er mich durch unterschiedliche Leute immer wieder überwachen lässt. Ja, ich hatte schlechte Presse verursacht, aber was er mir angetan hat, war noch viel schlimmer gewesen.

Ich grinse spöttisch. »Will Mr. Sands wohl auch mit mir aufs Klo gehen oder unter die Dusche?«

Mr. Preston sieht mich daraufhin natürlich säuerlich an. Schließlich ist er für seine Humorlosigkeit von hier bis nach Singapur bekannt. Dadurch passt er natürlich zu meinem Vater wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

»Ich werde alles tun, was nötig ist«, meldet sich erstmals Mr. Sands zu Wort.

Seine Stimme ist tief, leicht rau und ungeheuer maskulin. Er ist wohl einer von den ganz Harten, die vor nichts zurückschrecken und bei gar nichts rot werden. Na, der wird noch sein blaues Wunder erleben.

Ich richte meinen Blick auf den Hünen. Der Typ ist mindestens 1,85 m groß. Zwar bin ich nur 1,59 m, habe es trotzdem gerade deswegen perfektioniert, jemanden, der so viel größer ist als ich, niederzustarren. »Sie haben ja gewiss eine Schweigepflichterklärung unterzeichnet?«, frage ich ihn nicht ohne eine gewisse Arroganz in der Stimme.

»Natürlich hat er das«, sagt Mr. Preston. »So etwas habe ich in meiner gesamten Laufbahn noch nie vergessen.«

Ja, der gute Mr. Preston, Mädchen für alles und die perfekte Sekretärin für meinen alten Vater, noch besser als Mrs. Williamson, die diesen Job eigentlich innehat. An ihm bleibt immer der persönliche Verwaltungskram meines Vaters hängen. Ich würde mich eher erschießen, als den Deppen vom Dienst für meinen Alten zu spielen.

Leider muss ich zugeben, dass ich finanziell noch immer von ihm abhängig bin. Immerhin arbeite ich daran, das zu ändern.

»Wie lange ist Ihr Vertrag gültig?«, frage ich Mr. Sands.

»So lange die Bedrohung andauert.«

Ich zucke betont gleichgültig mit den Achseln. »Wenn Sie sonst nichts Besseres zu tun haben.« Ist ja sein Problem und nicht meins.

»Ich ersuche Sie, zu tun und zu lassen, was Mr. Sands Ihnen sagt. Er ist schließlich ein Spezialist«, sagt Mr. Preston.

Ich lache laut auf. »So weit kommt es noch. Ich nehme von niemandem Befehle entgegen.« Träum weiter, du Idiot. Meinen Stolz bewahre ich mir. Er ist das Einzige, was mir niemand wegnehmen kann.

»Es ist nur zu Ihrem Besten.«

Er meint wohl, zu meines Vaters Besten. Wenn der Alte mir das Leben nicht schwer machen kann, ist er doch nicht glücklich. Mit dieser Aktion versucht er nur, mich zu kontrollieren. Es würde um meine Sicherheit gehen … Dass ich nicht lache. Der Vorfall mit Penny hat ihm nur einen Vorwand geliefert, mir das Leben schwer zu machen.

»Ja, mein Vater weiß immer, was zu seinem Besten ist. Guten Tag, Mr. Preston«, sage ich in einem sarkastischen Tonfall und rutsche auf dem Sofa ein wenig zur Seite, um besser an meinen Laptop zu kommen, der auf dem Couchtisch vor mir steht.

Ich klappe den Laptop auf und schalte ihn an. Dann google ich nach dem Event von gestern Abend.

Mein Vater ist mit Penny zu einem der besten Italiener New Yorks gegangen. Ich bin ja der Ansicht, dass die Mafia das Lokal betreibt. Immer, wenn man sich dort blicken lässt, stehen da ein paar Typen mit dunklen Anzügen. Wer auch immer der vermeintliche Attentäter war, er kann nur ein Anfänger gewesen sein. Sonst hätte er nämlich gewusst, dass man in solch einem Restaurant keine Waffe zu ziehen braucht, ohne in Gefahr zu geraten, von einem der Kellner niedergeschossen zu werden. Ich habe von solch einem Fall gelesen. Das läuft in diesem Staat als verhältnismäßige Selbstverteidigung, denn das Ziehen der Waffe ist eine tödliche Bedrohung.

Vermutlich hat nicht einer von den Bodyguards meines Vaters den Typen entdeckt, sondern einer vom Restaurant selbst. Wundern würde mich gar nichts mehr.

»Ihr Vater meint es nur gut.«

Ich blicke von meinem Laptop auf. Mr. Preston ist also leider immer noch hier, und dieser Bodyguard-Verschnitt, den mein Vater vermutlich in einer dunklen Bikerspelunke in der Bronx aufgetrieben hat, natürlich auch. »Ich bin nicht wirklich von Interesse für ihn. Alles, was er tut, dient nur seinem Bild in der Öffentlichkeit, um seine Geschäfte zu fördern.« Ich mag von Natur aus hellblond sein und einige Leute mögen mich als oberflächlich ansehen, aber ich bin nicht völlig verblödet. Was meinen Vater betrifft, mache ich mir keine Illusionen.

Als Nächstes schaue ich nach, wie meine neue Nagellackkollektion bei den Nagellackbloggerinnen angekommen ist, an die ich Rezensionsfläschchen verschickt habe.

Wie stets sind die Geschmäcker verschieden, aber über die Qualität sind sich die meisten einig. Das leuchtende Mittelblau namens »Carnaby Street in Spring« ist am besten weggekommen, gefolgt von einem sehr hellen Rosé mit einem Pearl-Finish, das ich »Piccadilly Pink« genannt habe.

Mr. Preston wirft einen Blick auf seine Armbanduhr mit dem schwarzen Lederband. »Ich muss jetzt gehen, denn ich habe noch einiges zu erledigen. Mr. Sands wird sich um Sie kümmern. Bye.« Mit diesen Worten verlässt er den Raum.

Ich nippe an meinem Kaffee und werfe aus dem Augenwinkel einen Blick zu Mr. Sands. Er steht in der Ecke wie eine Statue.

»In der Küche ist noch Kaffee, wenn Sie einen möchten.« Ich will ja nicht vollkommen unhöflich sein …

Ich erhebe mich, stelle meine ausgetrunkene Tasse in die Spülmaschine und marschiere anschließend in mein Schlafzimmer. Mr. Sands hat die Nerven, mir zu folgen. Aufmerksam sieht er sich um. Denkt er etwa, hier würden mir Scharfschützen in meinem Wandschrank auflauern? Dann ist er ja noch paranoider als mein Vater.

Zumindest ins Bad lässt er mich allein … Ich dusche in Ruhe, enthaare mich, creme mich ein und schminke mich.

Als ich in ein großes, weißes Badetuch gewickelt aus dem Badezimmer zurückkomme, steht er neben dem Fenster und sieht hinaus.

»Und, haben Sie schon ein paar Scharfschützen in den Büschen erkennen können?« Ich gebe mir keine Mühe, den Sarkasmus in meiner Stimme zu unterdrücken.

»Ich bin das Grundstück bereits abgelaufen. Die Büsche hier in unmittelbarer Nähe des Fensters müssen zurückgeschnitten werden.«

Ich verdrehe die Augen. »Wenn es denn sein muss. Aber sie spenden Schatten, wenn ich mal am Pool liegen möchte.«

»Dafür wurden Sonnenschirme erfunden.«

»Ich möchte mich jetzt ankleiden.«

»Halten Sie sich vom Fenster fern.«

»Hören Sie, das ganze Grundstück ist von einer hohen Mauer umgeben. Kein Unbefugter kommt hier so ohne weiteres rein.«

Er sieht mich ernst an. »Nicht das gesamte Grundstück. Im hinteren Teil befindet sich nur eine Hecke.«

»Und neben der Hecke ist ein Maschendrahtzaun.«

»Er verläuft nicht über die gesamte Länge der Hecke.«

Enerviert verdrehe ich die Augen. »Wenn da jemand durch will, braucht er eine Motorsäge. Das würden wir hören. So etwas kann man gar nicht unauffällig machen.« Ich glaube einfach nicht, worüber ich gerade mit diesem Typen diskutiere.

»Es gibt immer Möglichkeiten«, sagt er.

»Wie dem auch sei: Ich werde mich jetzt umziehen.«

Endlich verlässt der penetrante Kerl mein Schlafzimmer, und ich gehe zu meinem begehbaren Kleiderschrank, um mir Unterwäsche und ein flaschengrünes Kleid zu holen. Dazu wähle ich ein paar hochhackige schwarze Riemchensandalen und meine schwarze Lieblingshandtasche. Da ich eher klein bin, trage ich gerne hohe Schuhe.

 

Kapitel 2

 

 

 

Als ich mein Schlafzimmer verlasse, renne ich fast in Mr. Sands rein.

Ich starre ihn böse an, während er nicht mal mit der Miene zuckt. »Müssen Sie mich so erschrecken?«

»Ich tue nur meinen Job.« Sein Blick gleitet über mich. Er wirkt professionell und nicht an mir als Frau interessiert. Ich weiß nicht, ob mich das beruhigen soll oder ob es mich doch ein wenig verletzt. So kühl sieht mich sonst keiner an, außer meinem Vater und vielleicht Mr. Preston und Letzterer hatte jahrelang Zeit gehabt, sein stoisches Gehabe zu perfektionieren. Vermutlich steht das als Voraussetzung in den Arbeitsverträgen meines Vaters.

»Sie sollten in der nächsten Zeit nicht unnötig das Haus verlassen«, sagt er.

»Aber ich muss unbedingt einkaufen.«

»Dafür gibt es Bedienstete. Schicken Sie einfach jemanden los.«

»Ich brauche ein Kleid für die nächste Benefizveranstaltung. Das muss ich selbst auswählen und natürlich anprobieren.«

»Das, was Sie jetzt tragen, ist vollkommen ausreichend. Außerdem ist es fraglich, ob eine Teilnahme an dieser Benefizveranstaltung ratsam ist.«

»Ob ich dorthin gehe oder nicht, ist allein meine Entscheidung. Alles andere ist Freiheitsberaubung. Wenn ich ein Kleid trage, in dem ich schon bei solch einer Veranstaltung in der Öffentlichkeit gesehen wurde, brauchen Sie mich fortan nicht mehr zu beschützen, weil mich mein Vater dann höchstpersönlich umbringen wird. Das Auftreten nach außen ist für ihn extrem wichtig, wie Sie wissen sollten. Aber das merken Sie schon noch, wenn Sie erst mal eine Weile für ihn arbeiten, falls er Sie nicht zuvor rausschmeißt.« Ja, ich bin biestig, aber es nervt mich total, dass er mir ständig folgt. Es würde wohl jeden belasten, ständig über die Schulter geschaut zu bekommen.

Als ich das Haus verlasse, folgt er mir auf dem Fuß und steigt auch neben mich in den Fond der schwarzen Limousine. Zum Glück ist die recht breit, sodass ich von ihm wegrutschen kann.

»Wann ist diese Benefizveranstaltung?«, fragt er.

»Morgen.«

»Um wie viel Uhr?« Er klingt ungeduldig.

Ich verdrehe die Augen. »Um sieben Uhr abends.« Es würde mir ja gerade noch fehlen, dass mir dieser Typ dabei am Rockzipfel hängt. »Und keine Sorge. Da werden genügend große Jungs anwesend sein, um mich zu beschützen.«

Der Blick seiner irritierenden ozeanblauen Augen trifft mich. »Sie machen sich über mich lustig.«

Meine Mundwinkel zucken. »Das würde ich nie wagen, aber es ist albern, dort mit einem Beschützer aufzutauchen. Ich bin ein großes Mädchen und kann auf mich selbst aufpassen.«

»In diesem Fall nicht. Falls Sie hingehen, werden Sie eine kugelsichere Weste tragen.« Diesen bestimmenden Tonfall habe ich schon immer an meinem Vater gehasst, aber der bezahlt wenigstens meine Rechnungen …

»Aber mit Sicherheit nicht. In so etwas sehe ich bestimmt total unförmig aus. Die reicht mir bestimmt bis zu den Knien«, sage ich schnippisch.

»Es gibt auch kürzere Modelle.«

»Es wird jeder denken, ich hätte zugenommen.« Dass die Lästerpresse über mich herfällt, hat mir gerade noch gefehlt.

»Lieber dicker aussehen, als tot sein.«

»Wenn mir jemand in den Kopf schießt, hilft mir so eine blöde Weste auch nicht. Ich kann ja dort wohl kaum mit einem Helm aufkreuzen.« Womit habe ich es verdient, derartige Diskussionen führen zu müssen? Ich befinde mich nicht in Gefahr nur wegen irgendwelcher Businessdeals meines Vaters. Diese Typen interessieren sich doch überhaupt nicht für mich. Wenn sie auf jemanden ein Auge geworfen haben, dann ist das mein Adoptivbruder Jayden, der das Imperium meines Vaters eines Tages übernehmen soll. Für meinen Vater bin ich doch nur eine Randfigur und das immer schon gewesen. Für meinen Vater zählen nur Söhne. Er würde die Firma nie einer weiblichen Führung überlassen. Das weiß so ziemlich jeder, und für seine geschäftlichen Rivalen sollte das ein alter Hut sein.

»Der Brustkorb ist meist das Hauptziel eines Schützen bei sich bewegenden Objekten, weil das die Treffsicherheit erhöht.«

»Ich bin kein Objekt.«

»Für so jemanden schon.«

Und für meinen Vater auch. Zumindest behandelt er mich so. »Okay, das wollte ich jetzt wissen«, sage ich.

»Was ist das für eine Benefizveranstaltung?«, fragt Mr. Sands und sieht mich dabei interessiert an.

Zumindest fragt er und spricht mit mir. Mein Vater hört mir meistens nicht zu und bestimmt dann irgendwas Haarsträubendes über meinen Kopf hinweg.

»Wir sammeln Spenden für krebskranke Kinder.«

Er kräuselt nachdenklich die Stirn. »Gab es da nicht schon vor einem halben Jahr eine solche Benefizveranstaltung, an der Sie teilgenommen haben?«

Überrascht sehe ich ihn an. »Ich hätte Sie nicht für den Typ gehalten, der so etwas in der Zeitung verfolgt.« Viele Leute halten mich für die naive, blonde, dumme, absolut oberflächliche zukünftige Erbin eines Millionenimperiums, die sich nur für Kleider, Schuhe, Nagellacke und Partys interessiert.

»Ein Freund von mir ist ein Mitglied des Satanic Kangaroos Motorcycle Clubs. Daher weiß ich, was damals geschehen ist.« Sein Blick wird düster.

Panik steigt in mir auf. Er weiß, was damals gesehen ist … Entgeistert starre ich ihn an. Ich schlucke, doch der Kloß in meinem Hals will nicht weichen. Es ist ein Ereignis in meinem Leben, das ich am liebsten für immer aus meinem Gedächtnis löschen würde.

Ich räuspere mich. »Wer sollte auch nicht davon wissen?« Meine Stimme hört sich fremd an und wie aus weiter Ferne.

»Eine Spende nur nicht anzunehmen, weil sie von einem Motorradclub stammt, ist diskriminierend. Die Kinder, für die das Geld gesammelt wurde, sind diejenigen, die darunter leiden. Und das nur, weil irgendein Politiker denkt, es könne ihm schaden, mit Bikern in Verbindung gebracht zu werden.«

Ich nicke. »Das sehe ich genauso. Man sollte das Wohl der Kinder allem voranstellen.«

Erleichtert atme ich auf. Er weiß es also doch nicht, worüber ich verdammt froh bin. Und bevor er davon Wind bekommt, ist er hoffentlich aus meinem Leben wieder verschwunden. Viele Lakaien meines Vaters kommen und gehen. Vielleicht kündigt er ja schneller, wenn er erfährt, für was für einen Mann er arbeitet. Dass ich in Gefahr schwebe, glaube ich nicht. Dafür pisst mein Vater einfach zu vielen Leuten ans Bein, und es ist trotzdem noch nie etwas passiert.

»Das war nicht auf dem Mist des Politikers gewachsen. Mein Vater hatte ihn damals gebeten, die Benefizveranstaltung zu verschieben und einen neuen Termin mit allen Beteiligten zu vereinbaren, doch diesmal ohne die Biker«, sage ich.

Erstaunt sieht Mr. Sands mich an. »Warum macht er so etwas?«

»Mein Vater wollte damals Senator werden und dachte wohl, es würde ihm schaden, wenn der Motorradclub auf seiner Liste der Spender steht. Es gibt doch immer wieder diese Propaganda gegen die Biker. Er wollte nicht, dass das auf ihn abfärbt. Auch diese Information unterliegt selbstverständlich Ihrer Schweigepflicht.« Na super. Jetzt höre ich mich schon an wie Mr. James ›Ich habe einen Stecken in meinem Hintern‹ Preston. Ich sollte mich wirklich erschießen, bevor ich dreißig werde und ebenfalls in eine solche Spaßbremse mutiere. Immerhin teile ich die Hälfte meiner Gene mit meinem Vater.

Natürlich nur, sofern an den Gerüchten nichts dran ist, dass ich einem Seitensprung entstamme … Das würde einiges erklären, wohl auch, wie er mich behandelt oder besser gesagt ignoriert. Vielleicht hat er ja schon heimlich einen Gentest durchführen lassen. Man braucht nicht viel dafür. Ein Glas, aus dem man zuvor getrunken hat, genügt vollkommen. Vermutlich verstößt er mich nur nicht wegen des Skandals, den so etwas verursachen könnte. Genauso wie er nur geheiratet hat, weil er sich politische Vorteile davon versprochen hat. Einige Leute in hohen Positionen hierzulande sind erschreckend konservativ.

»Das ist mir bewusst. Hat auf dieser Veranstaltung auch Ihr Vater seine Hände im Spiel?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, was ich da mache, geht ihn nichts an.« Als würde ich noch mal an einer Spendenveranstaltung teilnehmen, die mein Vater organisiert. Von so etwas bin ich endgültig kuriert. Das muss ich mir nicht mehr geben. Damals hatte Mr. Preston mir gesagt, dass mein Vater meine aktive Teilnahme wünschte, weswegen ich den Rockerclub in die Liste der Spender eingetragen hatte, nachdem sie an mich herangetreten waren. Dass mein Vater dies alles sabotierte, machte es für mich sehr peinlich.

Mr. Sands’ Mundwinkel zucken. »Ich dachte, Sie wollen Ihren Vater nicht provozieren, sodass sie nicht mal ein Kleid zweimal tragen, weil es schlechte Presse bringen könnte.«

Aha, der Typ hat also doch Humor. Ich könnte schwören, er unterdrückt ein Lächeln.

»Das habe ich nicht behauptet. Ich habe nur gesagt, dass es das täte. Was mein Vater von mir denkt, ist mir schon seit einer Weile egal.« So ganz stimmt das zwar nicht, denn er ist immer noch mein Vater, der einzige Verwandte, den ich auf der Welt habe. Aber immerhin bin ich nicht mehr so davon abhängig, um jeden Preis von ihm wahrgenommen zu werden.

»Es könnte sein, dass Ihr Vater mit Ihrer Teilnahme an dieser Benefizveranstaltung nicht einverstanden ist.«

Verdammt, ich hätte ihm nichts davon sagen sollen. Am Ende verpfeift er mich. Mein Vater weiß noch nichts von dieser Veranstaltung. Aber früher oder später hätte Mr. Sands es ohnehin herausgefunden.

Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe. »Weil er sich um mich sorgt oder wegen seiner politischen Ambitionen?«

»Es steht mir nicht zu, darüber zu spekulieren. Tatsache ist, dass ich beauftragt wurde, Ihr Leben zu schützen. Und ich nehme meine Aufträge verdammt ernst.«

Seiner Mimik nach zu urteilen meint er jedes Wort so, wie er es sagt.

»Sie sind also auch ein Biker?«, frage ich mit einem Blick auf seine Lederjacke.

»Nein. Das ist zu zeitaufwändig und verträgt sich daher nicht mit meinem Job.«

»Ernsthaft?« Als würde das die meisten davon abhalten, diesem Lifestyle zu folgen. Zumindest kann ich mir das nicht vorstellen, aber ich kann ja mal Joe fragen, dem Road Captain der Satanic Kangaroos, den ich, man glaubt es kaum, inzwischen als einen guten Bekannten betrachte. Allerdings weiß ich noch immer nicht allzu viel über das Clubleben. Auch wenn er eine freundliche Person ist, so leben wir doch in ziemlich verschiedenen Welten.

Der Name des Clubs mag befremdlich erscheinen, doch ist er nicht ungewöhnlich. Man denke nur an den alteingesessenen kalifornischen Club des Namens The Pissed Off Bastards of Bloomington, der sogar in dem Film Der Wilde mit Marlon Brando auftauchte.

Er nickt. »Ja, ernsthaft. Erst mal hat man eine Zeit als Prospect, in der man sich dem Club beweisen muss. Die dauert meist mindestens ein Jahr. Es wird generell erwartet, dass man die meisten Wochenenden mit dem Club verbringt.«

»Da werden sich deren Frauen mit den kleinen Kindern aber freuen.«

»Nicht jede Frau macht das mit. Das ist richtig. Da braucht man schon jemanden, der viel Verständnis aufbringt oder noch besser mitfährt.«

Was mit kleinen Kinder natürlich nicht möglich ist, denn ein Clubtreffen ist kein Kindergarten. »Ist das der Grund, warum Sie da nicht dabei sind? Wegen Ihrer Frau und der Kinder?«, frage ich neugierig. Wobei so ein Bodyguard-Job vermutlich auch nicht das Ideale ist, wenn man eine Familie hat. Ich stelle die Frage eigentlich, weil ich neugierig auf ihn bin. Ein bisschen zumindest. Es ist natürlich nichts Persönliches.

»Ich habe keine Frau und keine Kinder.« Sein Gesichtsausdruck wirkt nun verschlossen. Ich habe wohl einen wunden Punkt getroffen. Entweder würde er gerne so etwas haben oder er gehört zu den chronisch Bindungsunfähigen, von denen es nicht wenige hier in New York gibt. So genau kann ich das anhand seiner Mimik nicht einschätzen, obwohl ich sonst nicht schlecht darin bin.

»Es geht mich ja auch nichts an«, sage ich. Dieses Fettnäpfchen hätte ich mir sparen können. Er trägt schließlich keinen Ring. Natürlich sagt das nichts darüber aus, ob er Kinder hat oder eine Beziehung ohne Trauschein führt. Und viele tragen ihre Eheringe aus praktischen Gründen nicht. Wobei mich wirklich nicht interessieren sollte, was die Lakaien meines Vaters privat so treiben.

Den Rest der Strecke verbringen wir schweigend. Ich bin froh, als wir das Geschäft erreichen, in dem ich shoppen möchte.

Meine Freundin Eileen wartet, wie wir es vergangene Woche miteinander abgesprochen haben, bereits vor dem Laden auf mich. Auf der Straße ist wie immer viel los, aber ich bin das geschäftige Treiben gewohnt.

Die Passanten sind buntgemischt: Businessleute in grauen und schwarzen Anzügen und Kostümen auf dem Weg zum nächsten Termin, Joggende, Leute, die ihren Hund ausführen, Rapper, Kinder, Frauen mit Tragetüchern oder ultramodernen Kinderwagen, in denen sie ihre Babys transportieren. Je nachdem, an welcher Ecke man gerade steht, riecht es nach Popcorn, teurem Parfum, Schweiß, Zigarettenqualm und Autoabgasen.

Ich freue mich auf die Zeit mit Eileen. Sie ist die beste Ratgeberin, die es gibt. Nur leider kann ich mich nicht so frei mit ihr unterhalten, wie ich das gerne möchte, wenn ich den Wachhund meines Vaters die ganze Zeit über im Gepäck habe. Das nervt mich jetzt schon gewaltig.

Mein Chauffeur hält in der Nähe des Geschäfts an. Er hat wirklich verdammtes Glück, denn Parkplätze sind hier rar.

Mein Bodyguard und ich steigen aus.

Eileen streicht sich eine rote Locke aus dem Gesicht. Dann umarmt sie mich flüchtig. Ein Hauch von Miss Dior dringt in meine Nase. »Hi, Süße. Lange nicht gesehen. Wir müssen unbedingt öfters was zusammen unternehmen.«

»Du hast ja so oft keine Zeit. Du warst ja erst wieder in Paris«, sage ich.

Sie nickt. »Ja, da hast du recht.«

»Wegen dieses Kerls?«

Sie schüttelt bedauernd den Kopf. »Nein, nicht mehr. Der kann mich mal. Wer ist das denn?« Ihr Blick ruht jetzt auf Mr. Sands.

»Das ist nur Mr. Sands, mein Bodyguard. Dad musste ihn mir unbedingt drauf drücken. Er wird schon langsam paranoid. Offenbar hat er zu vielen Leuten auf die Füße getreten. Aber ich denke, er will mich damit nur kontrollieren, weil er denkt, ich liefere ihm wieder einen Skandal.«

»Er sieht echt heiß aus«, haucht sie mir ins Ohr. Ihre grünen Augen funkeln.

»Ich dachte, du stehst auf einen etwas anspruchsvolleren Typ Mann«, sage ich lakonisch.

»Er wirkt doch sehr gepflegt. Aha, du hast was gegen ihn, weil dein Vater ihn dir drauf gedrückt hat und er bei diesem Spiel mitspielt.«

Ich verdrehe die Augen. »Das kann gar nicht sein.«

Eileen grinst. »Streite es nicht ab. Ich kenne dich dafür viel zu lange. Ich weiß nicht, wer mir mehr leidtun sollte: du oder Mr. Sands.«

»Er wird keine leichte Zeit mit mir haben. Und ja, du hast recht. Ich bin einfach unleidlich, wenn man mir etwas gegen meinen Willen rein drückt.«

»Was ich durchaus verstehen kann. Ich habe letztens in der Zeitung gelesen, dass auf deinen Vater geschossen wurde. Diesmal scheint er dir nicht einfach nur was reindrücken zu wollen. Da könnte wirklich was dran sein. Diese Frau sieht dir ja ziemlich ähnlich. Nicht vom Gesicht her, aber sie hat dieselben Haare.«

»Die sind gebleicht und sie hat Extensions, meine sind zu 100 Prozent echt.«

»Ja, aber von hinten seht ihr euch ziemlich ähnlich.«

»Solche billigen Kleider trage ich nicht.«

»Außerdem gehst du nie mit deinem Vater essen, nicht zu Hause und in der Öffentlichkeit erst recht nicht. Ich glaube nicht, dass es der Killer auf dich abgesehen hatte. So jemand informiert sich eingehend über euch vor der Tat. Entweder war die Kugel wirklich für Penny Davis bestimmt oder für deinen Vater.«

»Das denke ich auch.«

»Was sagt Ava zu der Sache mit Penny?«

»Ich habe sie seitdem noch nicht gesprochen. Ich gehe nicht oft in den Flügel, in dem Dad wohnt. Sie werden sich scheiden lassen.«

Eileen runzelt die Stirn. »Du meine Güte. Denkst du, dass sie hinter der Sache mit dem Attentat stehen könnte?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich kann es mir nicht vorstellen, auch wenn das Motiv eindeutig da ist. Sie ist eine liebe und nette Person. Allerdings kann man niemanden in den Kopf schauen.« Seit mein Vater sich von Mary hat scheiden lassen, habe ich keine richtige emotionale Beziehung mehr zu seinen Frauen aufgebaut. Man weiß ja schließlich nie, wann er sie ablegt wie eine schlechte Angewohnheit. In dieser Hinsicht verstehe ich ihn überhaupt nicht.

»Machst du dir Sorgen um deinen Vater?«

Ich seufze. »Trotz allem irgendwie schon. Er ist der einzige Verwandte, den ich habe, mal abgesehen von meinem Adoptivbruder. Aber der wollte ja nie was mit mir zu tun haben.« Von Anfang an hat er mich links liegen gelassen und ist meinem Vater in den Arsch gekrochen. Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine richtige Familie.

»So ein eingebildeter Typ. Ich kann nicht verstehen, dass dein Vater ihn über dich stellt.«

»Er ist so patriarchalisch eingestellt. Ich glaube, er hasst es, dass meine Mutter gestorben ist, bevor sie ihm einen Sohn hatte gebären können. Für ihn bin ich immer nur zweite Wahl, weil ich kein Mann bin.«

»Meinst du, weil Ava ihm bis jetzt keinen Sohn geboren hat, lässt er sich von ihr scheiden?«, fragt Eileen.

Das könnte durchaus sein. Da Ava bereits eine leibliche Tochter hat, hat sie ihre Fruchtbarkeit ja bereits bewiesen. Während der Ehe mit Avas Vorgängerin Mary hat mein Vater Jayden adoptiert. Damals war ich sechs und er acht Jahre alt gewesen. Mary hat versucht, mir eine Mutter zu sein. Leider wurde sie ausgetauscht und verschwand für immer aus meinem Leben.

Ich zucke mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, aber es könnte durchaus sein. Bei Mary damals war ich mir ziemlich sicher gewesen, dass er sie aus diesem Grund ausgetauscht hat. Andererseits hat er ja inzwischen seinen heißgeliebten Adoptivsohn.«

Ich seufze. Als würde es keine Rolle spielen, dass Mary mir eine gute Mutter war. »Es ist ja nicht so, als würde ich die Handlungsweisen meines Vaters immer nachvollziehen können. Ich denke, er hat Ava geheiratet, weil er sich davon politische und geschäftliche Vorteile versprochen hat.« Jedenfalls habe ich nicht mitbekommen, dass sie besonders zärtlich miteinander umgegangen wären. Aber ich weiß ja nicht, wie es in deren vier Wänden ausgesehen hat.

»Wir sollten ins Haus gehen. Im Freien bieten Sie eine bessere Zielscheibe«, sagt Mr. Sands.

Ich verdrehe die Augen. »Ja, ja, wir gehen ja schon, wenn es denn unbedingt sein muss.«

Eileen und ich betreten eines der Geschäfte. Wie immer empfangen uns die Geschäftsführerin und eine ihrer Verkäuferinnen und führen uns in die großzügigen Räumlichkeiten.

Man bietet uns Champagner an, als wir auf der eleganten, cremefarbenen Couch Platz nehmen. Auf dieser könnten locker mindestens acht Leute sitzen, ohne dass es beengend wirkt. Wir stellen die Champagnerkelche vor uns auf den ovalen Designerglastisch.

Wenn ich schon seinen Wachhund ertragen muss, dann nutze ich es auch aus, noch eine Kreditkarte meines alten Herrn zu besitzen. Das sollte mich für die ganzen Umstände entschädigen.

Eileen und ich lassen uns einige Kleider zeigen.

Meine Freundin lässt ihre Finger über eines der Kleider gleiten. »Rot steht dir besonders fabelhaft.«

Ich seufze. »Rot wirkt leider nicht professionell. Ich habe eine Studie gelesen, der zufolge eine Person in roter Kleidung als dümmer eingeschätzt wird. Auch würden Frauen eine Frau in Rot eher als Konkurrentin ansehen.« Es genügt ja schon, dass ich hellblond bin. Auch wenn einige das nicht glauben, weil sie selbst diese Vorurteile nicht haben, man wird tatsächlich von erstaunlich vielen für ein dummes Blondchen gehalten.

»Oh, Mann, du hast Probleme. Ich würde dafür morden, in Rot nicht wie ein Feuerhydrant auszusehen.«

Eine der Verkäuferinnen kommt mit einem falschen Lächeln angestöckelt. »Die aktuellen Trendfarben sind Khaki und Sonnengelb.«

Natürlich denkt sie, ich springe auf jeden Trend auf, auch wenn ich in diesen Farben wie das Erbrochene eines Hundes aussehe. Diese Moderaffkes sind nicht zu unterschätzen. Sie würden buchstäblich sogar dem armen Eskimo einen Kühlschrank verkaufen, nur um Profit zu machen.

Ich ignoriere ihren Rat und nehme ein grünes, ein schwarzes, ein cremefarbenes und ein rotes Kleid. Wie konsequent ich doch bin, aber ich liebe einfach Rot, zumal es sich um einen der kühlen, blaustichigen Rottöne handelt, die mir so gut stehen. Mit diesen laufe ich an der Couch, auf der Mr. Sands sitzt, vorbei zu den Umkleidekabinen.

Eileen sitzt in der Mitte der Couch und Mr. Sands ganz links, vermutlich weil die linke Seite sich in der Nähe des Schaufensters befindet. Zwischen den beiden könnten noch mehrere Personen passen. Während Eileen an ihrem Champagner nippt, lässt Mr. Sands seinen unangetastet. Sein Blick ist auf das Schaufenster gerichtet, wo Passanten vorübergehen.

In der geräumigen Umkleidekabine schlüpfe ich aus meinem Kleid und in das grüne. Ich würde es als etwas heller als Smaragdgrün bezeichnen mit einer ähnlichen Blausättigung.

Wieder laufe ich an Mr. Sands vorbei zu den großen Spiegeln.

»Und wie sehe ich aus?«, frage ich.

»Das ist etwas zu hell für dich. Hat es nicht einen leicht warmen Einschlag?«, fragt Eileen.

Ich nicke. »Ja, du hast recht.« Das war mir bei der künstlichen Beleuchtung weiter hinten im Laden gar nicht aufgefallen, aber jetzt in der Nähe der Fenster sehe ich es auch. Also gehe ich wieder in die Umkleidekabine und ziehe diesmal das cremefarbene Kleid mit dem gewagten fetzenartigen Schnitt an. Wieder laufe ich an Eileen und Mr. Sands vorbei.

»Und, was meint ihr?«

Meine Freundin nickt. »Der Schnitt ist total en vogue.«

»Und was sagen Sie, Mr. Sands?«, frage ich.

Sein Blick gleitet über mich. »Das Kleid ist kaputt. Das sieht aus, als wären Sie damit im Aktenschredder hängengeblieben.«

Mit zu Schlitzen verengten Augen sehe ich ihn an. »Sie haben ja gar keine Ahnung von Mode.«

»Wenn das Mode sein soll, dann habe ich lieber keine Ahnung«, meint er lapidar.

Die Verkäuferin, auf deren Namensschild »Millicent« steht, lobt es in den höchsten Tönen, was mich nicht verwundert, denn der Preis des Kleides ist recht hoch. Das gibt letztendlich den Ausschlag.

»Ich nehme das rote«, sage ich schließlich und gehe zur Kasse, um zu bezahlen.

Ich nehme die große Papiertüte, die mir Millicent gegeben hat, und will sie Mr. Sands in die Hände drücken, doch der nimmt sie nicht entgegen.

Ich starre ihm in die Augen. »Sie nehmen das. Sie sind der Angestellte meines Vaters.«

Mr. Sands sieht mich völlig unbeeindruckt aus seinen schönen blauen Augen an. »Ich wurde nicht als Packesel eingestellt. Außerdem kann ich Sie nicht verteidigen, wenn ich die Hände voll habe.«

»Noch mal: Ich bin nicht in Gefahr. Mit den Geschäften meines

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: November 2018 Urheberrecht & Copyright Evelyne Amara
Bildmaterialien: Coka/Fotolia, Siegfried Poepperl/siegfried-p.de/unsplash
Cover: Evelyne Amara
Lektorat: Lektorat Anti-Fehlerteufel
Korrektorat: Jörg Querner
Tag der Veröffentlichung: 22.11.2018
ISBN: 978-3-7438-8713-8

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