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Ich erinnere mich….Heute erinnere ich mich gern und auch ohne jegliche Wehmut. Doch bis dahin war es ein schmerzhafter, aber lehrreicher Weg.
Prasselndes Feuer im Kamin, eine kuschelig warme Decke in einem ruhigen Eckchen oder noch besser, auf dem Schoß eines meiner beiden Menschen; sanft krault mich seine oder ihre Hand hinter den Ohren, unter dem Bauch (da hab` ich es besonders gern) oder unter dem Hals, und so sitzen wir stundenlang vor dem Kamin und freuen uns des Lebens. So stelle ich mir ein zufriedenes Katzenleben vor.

Es gab eine Zeit, in der mein Leben völlig in Ordnung war und sich so gestaltete, wie es sich für eine Katze oder einen Kater aus gutem Hause, gehörte.
Zwei liebevolle Menschen (im weiteren Dosenöffner genannt) nahmen mich, als ich alt genug dafür war, aus der Obhut meiner Mutter, welcher sie in die Hand versprachen, immer gut auf mich zu achten und für mich zu sorgen, mit in ihr zu Hause. Dies war zwar nur eine kleine Wohnung mitten in der Stadt, aber gemütlich und warm. Ich bekam täglich meine drei Mahlzeiten, ab und zu überließ man mir sogar die Wahl der Geschmacksrichtung der selben, (soviel aß ich eigentlich nun auch wieder nicht), verfügte über eine, nun ja zugegebener weise nicht immer saubere, aber eigene Katzentoilette, bekam meine täglich notwendigen Streicheleinheiten, auch wenn diese sich überwiegend auf den Abend erstreckten, da meine Dosenöffner beide arbeiten mussten, und konnte so oft ich wollte durch die Straßen stromern.

Mit der Zeit hatte ich mir einen guten Namen bei den Nachbarkatzen und Katern gemacht und wurde überall gefürchtet und geachtet. Ja, meine rechte Tatze war nicht ganz ohne. Das bekamen viele Konkurrenten zu spüren, bevor sie mich als ihren Anführer anerkannten.
Ich war weithin geachtet als einer, der etwas zu sagen hatte. Als einer, den man nicht so leicht beeindrucken konnte. Dem kein anderer Kater das Wasser reichen konnte.
Keiner hatte einen solchen linken Haken, wie ich. (Auch wenn man wie ich, aus bestem Hause war, und diesen natürlich nur in unabdingbaren Situationen benutzte!) Keiner konnte nachts so herzerweichend jaulen wie ich. Keiner kannte so gut wie ich alle umliegenden Plätze, an denen man ein bisschen Milch oder andere Leckereien ergattern konnte. Und keiner hatte bei den Katzendamen soviel Erfolg wie ich. Ja, ja, es stimmt, keine konnte mir widerstehen. Ich konnte sie alle haben. Kein Wunder. Ich bin ja auch kein gewöhnlicher Hauskater. Nein, nein. Wie ich bereits erwähnte, stamme ich aus gutem Hause. Meine Mutter…..nun ja, sie war wohl eine gemeine Hauskatze, aber mein Vater…… mein Vater war ein stattlicher, stolzer, schwarzer Perserkater. Von ihm musste ich mein unwiderstehliches Äußeres haben. Pechschwarzes, besonders weiches und auch längeres Fell. Nicht so stumpf und kurzhaarig wie die anderen Kater in meinem Revier. Und erst diese mir eigene Eleganz!
Ich wusste genau, wie ich die Katzendamenwelt beeindrucken konnte. Meine naturgegebene Anmut ließ sie reihenweise vor mir in die Knie gehen. Ich habe sie nicht gezählt, aber glaubt mir, meine Krallen reichen für eine Zählung nicht aus. Wenn ihr versteht was ich meine.

Ich war der Dreh- und Angelpunkt in meinem Revier. Nichts, aber auch gar nichts geschah ohne mein Wissen und meine Zustimmung.
Ja, ich war wer.
Oh glückliche Zeit, ich hab` Dich besessen,
oh glückliche Zeit, ich muss Dich vergessen!!!

Denn, wie der geneigte Leser am Anfang meiner Erzählung bereits lesen konnte, war es einmal vor langer Zeit ……… ! Mein Glück fand ein jähes, grausames Ende!
Meine beiden Dosenöffner, denen ich gestattet hatte mich zu adoptieren, verstanden sich nicht mehr. Sie stritten immer häufiger. Es vielen immer öfter böse, gemeine Wörter. Von dem ohrenbetäubenden Lärm, den die zugeknallten Türen verursachten ganz zu schweigen. Keiner hatte mehr richtig Zeit für mich. Die allabendlichen Streicheleinheiten vergaß man genauso wie die regelmäßige Befüllung meines Futternapfes. Von der täglichen Fellpflege will ich erst gar nicht sprechen. Die viel natürlich auch flach.

Es war eine schreckliche Zeit für mich. Immer öfter verbrachte ich ganze Tage und Nächte auf der Straße. Immer öfter trieb ich mich herum. Nach mehreren Wochen war ich nicht nur abgemagert. Auch mein ehemals wunderschönes Fell verlor durch die mangelnde Pflege seinen Glanz und die Haare standen mir Büschelweise struppig vom Körper. Die Katzendamen, die anfänglich, bevor ich gar zu zerzaust aussah, noch manchmal versuchten, mich zu trösten, würdigten mich bald keines Blickes mehr. Kein Wunder, sah ich doch bald aus, wie ein ganz gewöhnlicher Straßenkater. Von meiner einstigen Schönheit war nichts übrig geblieben.

Jetzt blieb kein Zweibeiner mehr bewundernd vor mir stehen und wollte mich unter allen Umständen streicheln. Einmal nur über mein wunderbar weiches Fell streichen. Niemand fütterte mich mehr mit ein wenig Milch oder anderen Leckereien. Im Gegenteil. Wenn ich mich in die Nähe der Zweibeiner traute, bekam ich oftmals einen Tritt und wurde mit bösen Worten davon gejagt. Und das mir. Dem einstmals schönsten Kater weit und breit. Die Welt ist grausam. Grausam, gemein und himmelschreiend ungerecht!

Ach ich war ein wirklich bedauernswerter Kater. Und wenn ihr nun glaubt, dass das schon alles gewesen sei, pah, dann irrt ihr gewaltig.
Irgendeines denkwürdigen Tages schien sich einer meiner Dosenöffner an mich zu erinnern und begann nach mir zu suchen. Natürlich verfügte ich früher über endlos viele Aufenthaltsorte, die ihnen nicht bekannt waren. Ich fand überall und nirgendwo ein Plätzchen. Jeder nahm mich gern mit und gab mir Obdach, nur damit ich mich einmal streicheln ließ. Was mich manches Mal ziemliche Überwindung kostete, dass dürft ihr mir glauben. Denn wer von so adeliger Herkunft ist wie ich es nun einmal bin, dem fällt es nicht immer leicht, sich von kleinen, klebrigen Kinderhänden, oder großen, grobschlächtigen Männerpranken kraulen zu lassen. Das ist nicht immer eine Freude, gerade wenn man ein solcher Ästhet wie ich es bin ist.
Aber diese, meine ehemaligen Fluchtburgen und Außenstützpunkte standen mir mittlerweile auf Grund meines bedauerlichen Zustandes nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung. Wie oberflächig diese Menschen doch sind. Bist du wer, also wie ich eben, ein wirklich gutaussehender, edler Kater z. b., wird dir die Aufmerksamkeit aller zu teil. Ändert sich an dein äußerer Allgemeinzustand allerdings, wirst du merken, wie schnell dir die Aufmerksamkeit entzogen wird. Keiner will dich mehr streicheln oder kraulen, oh nein! Es könnten sich ja Flöhe oder gar anderes Ungeziefer in deinem Fell verstecken. Genau die Dosenöffner, die früher bei meinem Erscheinen (denn ich Erscheine und trete nicht nur in das Blickfeld eines Menschen!) in absolute Ekstase verfielen, schreckten heute von einer Berührung am heftigsten zurück. ‚“Ihh,“ höre ich es immer öfter, „der hat doch sicherlich Flöhe und wer weiß was für Ungeziefer noch.“

Doch eines war für mich ganz klar! Von meinen, für mich bereits jetzt schon, ehemaligen Dosenöffnern wollte ich mich nicht mehr finden lassen. Wer mich, Albert I, so schändlich vernachlässigte, so gemein hinterging, so furchtbar grausam mich meiner selbst überließ, der hatte mich wahrlich nicht verdient! Ich würde auch ohne sie klar kommen (allerdings war mir noch schleierhaft wie. Denn in meinem Zustand, war ich, wie bereits erwähnt, keine Augenweide mehr, was für eine Katze aber eigentlich zwingend notwendig ist, um draußen zu überleben.) Mir standen also nicht mehr so viele Versteckmöglichkeiten zur Verfügung, was die Suche meiner einstigen Dosenöffner sehr erleichterte. Was soll ich lange drum herum lamentieren, sie fanden mich in der Garage des Nachbarn, in der ich in einem großen, ausgedienten Reifen ein einigermaßen warmes Plätzchen gefunden hatte.

„Da ist ja der kleine Albert“, rief einer der beiden. „Komm schnell zu Frauchen, wir haben dich so sehr vermisst, du kleiner Ausreißer!“ Bäh, da schüttelt es einen ja, bei soviel Scheinheiligkeit. Ihhgitt! „Oh mein kleiner Schatz. Wie furchtbar du aussiehst,“ rief der weibliche Dosenöffner. Ach, was du nicht sagst, und wessen Schuld ist das wohl? Leider konnte ich der nach mir greifenden Hand nicht mehr ausweichen und musste die halbherzigen Liebkosungen über mich ergehen lassen. Aber glaubt ja nicht, dass ich glücklich war mit der Situation. Nein, ganz und gar nicht. Augenblicklich legte ich mir einen Fluchtplan zurecht, den ich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit in die Realität umsetzen wollte. Für den Moment konnte ich allerdings nicht verhindern, dass man mich mit nahm. „Schau Albert, da sind wir wieder zu Hause“, hörte ich einen der Dosenöffner. „Jetzt bekommt der Albert erst einmal eine große Schale voll leckerer Milch.“ Schleimer. Ich bin doch nicht käuflich! Die Milch rühre ich nicht an, punkt. „Komm Albert, komm schnell. Hier ist deine Milch. Hmm, die ist aber lecker.“ Na prima, dann trink sie doch selber. Sichtbar beleidigt, und ohne den Teller mit der wirklich herrlich duftenden Milch eines Blickes zu würdigen, legte ich mich vor den Kamin. Nein, ein Albert I würde sich nicht herablassen und sich von der Hand, die ihn verraten hatte, füttern lassen. Nie und nimmer! Betont gleichgültig lag ich weiterhin vor dem Kamin, aber immer in „Habachtstellung“. Ich wartete nur auf die erste Gelegenheit, um durch die Tür wieder nach draußen auf die Straße entwischen zu können. Hier war nicht mehr mein zu Hause. Wer einen Albert nicht ehrt, ist des Alberts auch nicht wert, sagt ein altes, sehr bekanntes Katzensprichwort.

„Ach Albert, nun sei doch nicht beleidigt, “ versuchte mich einer der Dosenöffner zu locken. Beleidigt? Ich? Pah! Zutiefst verletzt ja, aber beleidigt, nein das trifft es nicht. „Ich habe auch noch eine Überraschung für dich,“ lockte die Stimme wieder. „Du kannst dich schon jetzt darauf freuen.“ Was das wohl wieder sein sollte. Überraschung! Das ich nicht lache! Überraschungen sind nun wirklich das letzte, was ich von euch erwarte. Ihr habt mich schon ausreichend überrascht, als ihr anfingt mich so unverzeihlich zu vernachlässigen. Durch halb geschlossene Lieder betrachtete ich die Dosenöffnerin. Es schien fast so, als habe sie tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Gut so. Sollte sie auch haben. Schlaflose Nächte sollte sie haben, nicht mehr zur Ruhe kommen sollte sie, auf Grund ihres schlechten Gewissens. Geschah ihr ganz Recht. Wer das Privileg hatte einen Albert sein eigen nennen zu können, und ihn so grausam behandelte, oder besser nicht behandelte, nämlich vernachlässigte, der hatte es nicht besser verdient!

Ich war so damit beschäftigt, mich an dem fast glaubhaft traurigen Anblick meiner Dosenöffnerin zu weiden, dass ich nicht bemerkte, wie sich zwei große Hände von hinten meiner bemächtigten und hoch hoben. „Na, das ist ja ein Prachtexemplar, wenn auch im Moment ziemlich zerrissen“, sagte jemand und betrachtete mich eingehend aus jeder möglichen Perspektive. Na endlich mal wieder ein Mensch mit Geschmack, auch wenn der Rest der Bemerkung überflüssig war. Ich wusste selbst nur zu gut, welch traurigen Anblick ich gerade bot. „Ok, “ sagte die mir unbekannte Stimme,“ ich nehme ihn jetzt mit. Mit etwas Glück finden wir jemanden, der sich seiner annimmt. Ansonsten…..“. Wie? Was? Mitnehmen? Mich? Wohin? Und was bedeutete das Wort „ansonsten“? Was sollte das ganze? Ich fing an zu fauchen und machte den schönsten Buckel, den ich fähig war zu produzieren. Ich wehrte mich mit allen Kräften gegen das Ungetüm, in das man mich setzen wollte. Dieser Feind aller Katzen. Der Katzenkorb. Aber die letzten Wochen hatten mich doch sehr geschwächt, und so saß ich nach einer Weile heftigsten Widerstandes (selbst kratzen half nicht, hatte der Mensch mit der unbekannten Stimme doch unfairer weise Handschuhe an! Was sind denn das für Kampfmethoden? Feige!) in diesem so verhassten Katzenkorb. Die Verfrachtung in einen solchen, bedeutete nie etwas Gutes. Meistens stand der Tierarztbesuch an, der unangenehm genug war. Aber irgendetwas sagte mir, dass es nicht zum Tierarzt ging.
„Ach Albertchen, es tut mir so leid,“ schluchzte mein ehemaliger weiblicher Dosenöffner. „Aber glaube mir, wir wollen nur dein Bestes.“ Verräterin! Gemeine, gewissenlose Verräterin! Ich wusste doch, dass an der leckeren Schale Milch ein Haken sein musste! Sie gaben mich weg! Mich Albert den I!!! Sie hatten mich gesucht, um mich abzugeben! Menschen! Was soll man da noch sagen. Zwar werden wir Katzen nur zu gern als weiteres Familienmitglied bezeichnet, aber wenn die Situation nicht mehr stimmig ist, entledigt sich man ohne mit der Wimper zu zucken unserer. Geht man so mit Familienmitgliedern um? Warum dürfen diese kleinen schreienden, krabbelnden, stinkenden, sabbernden Ungeheuer, die man Kinder nennt eigentlich bleiben? Die machen doch nur Dreck und nerven. Von denen trennt man sich nie. Die sind doch viel unbequemer als unser eins und sind auch Familienmitglieder!!!

Ohne meine einstigen Dosenöffner noch eines Blickes zu würdigen ergab ich mich in mein unvermeidliches Schicksal. Natürlich nur scheinbar, nur scheinbar. Der Katzenkorb wurde hochgehoben und ich hörte doch tatsächlich ein unterdrücktes Schluchzen. Welch eine Heuchelei!!! Bühnenreifer Auftritt! Adieu, ihr wart meiner niemals würdig.

Ich hasse Autofahrten! Und doch musste ich sie über mich ergehen lassen. Was muss mir vom Schicksal so grausam gebeutelten noch alles widerfahren?
Doch bei nüchterner Betrachtung und nach Abzug meines gekränkten und schwer gedemütigten Selbst, was natürlich einen schier überkaterliche Kraftaufwand für einen meiner Klasse bedeutete, konnte es eigentlich nicht mehr viel schlimmer werden, beruhigte ich mich während dieser schrecklichen Tortur, des Fahrens. Ja wirklich, was konnte mich noch schlimmeres erwarten? War nicht alles, was jetzt kommen würde, besser als die jüngste Vergangenheit? Hatte der Mensch mit der fremden Stimme nicht gesagt:“ Vielleicht finden wir jemanden, der sich seiner annimmt“? Ein neuer Dosenöffner? Einer, der meinen Wert, meine Einmaligkeit wirklich zu schätzen wüsste? Einer, der mich lieben und verehren würde, wie es mir selbstverständlich zustand? Ich blickte an mir herunter und bezweifelte augenblicklich diesbezügliche Chancen? Kritisch unterzog ich meine Rückseite, soweit mir dies möglich war, einer Inaugenscheinnahme. Ja, es stimmte wirklich und immer noch. Ein bedauernswerter Zustand. Eilends begann ich mich zu putzen, und mein einst einmalig schönes Fell intensiv zu bearbeiten. Sicherlich, die Kluten, die sich auf Grund der mangelnden Bürstung meines Fells gebildet hatten, und unter uns gesagt, nicht nur meine Ästhetik aufs empfindlichste störten, sondern auch furchtbar juckten, und in der Tat ein Paradies für Flöhe und andere Parasiten waren, würde ich auf die Schnelle nicht beseitigen können. Emsig und akribisch putzte ich jede Stelle meines geschundenen einst so edlen Körpers. Ein Griff mit meinem Pfötchen in die Ohren zeigte mir nach einer Geruchsprobe der Pfote, dass sich dort zu allem Übel auch noch Milben eingenistet hatten. Auch die juckten furchtbar; aber sie rochen auch extrem stark. Das würde doch jeden mögliche Interessenten sofort abschrecken müssen! Ich versuchte mein Bestes um meiner gesamten Mitbewohner Herr zu werden. Vielleicht konnte ich meinen Allgemeineindruck ein wenig verbessern. Die Hoffnung stirbt doch bekanntlich zu letzt, oder?

Das Auto bog in eine Einfahrt ein. Viel konnte ich leider durch die kleine vergitterte Öffnung meines widerwärtigen Transportmittels nicht erkennen, aber das was ich sehen konnte, erschien recht passabel. Ich konnte Teile von Blumen entdecken, Bäume erahnen und dieser Geruch erst! Würzig, erdig, frisch strich er mir in die feine Nase. Die Geräuschkulisse schmeichelte meinen Ohren. Außer zartem Vogelgezwitscher, dem Muhen einer Kuh (als gebildeter Kater kannte ich dieses selbstverständlich. Zu meinen besseren Zeiten, hatte ich mit meinen früheren Dosenöffnern des öfteren Urlaub auf dem Bauernhof gemacht), dem leisen Schnauben von Pferden, (prima, dann war auch ein herrlich duftender, warmer Platz im Heu in der Nähe!) waren keine unangenehmen Geräusche zu vernehmen. Kein Zweifel, wir mussten uns auf dem Land befinden. Ich konnte keinen Straßenlärm hören, kein Geschrei dieser kreischenden kleinen Nervensägen mit Namen Kinder, keine anderen, arme empfindsame Katzenohren wie die meinen beleidigenden schrecklichen Zivilisationsgeräusche. Es schien hier himmlisch friedlich zu sein. Sollte ich tatsächlich….. ? Glück? Ich nahm mir fest vor, mich von meiner besten Seite zu zeigen, natürlich nur, wenn die Ansprache meines möglichen neuen Dosenöffners mir gegenüber von Respekt und der Erkenntnis um meine Einzigartigkeit getragen war. Mag mein Aussehen noch so desolat sein, dass konnte geändert werden. Meine edle Gesinnung jedoch, mein wertvoller Charakter, meine unübersehbare Grazie und Anmut die mussten trotzdem ganz augenscheinlich wahrgenommen werden! Das konnte ich schließlich erwarten! Ich war immer noch Albert der I.

Derart präpariert ging es furchtbar schaukelnd weiter. Erwähnte ich bereits, dass ich Katzentransportbehältnisse jeglicher Art hasse? Immer muss ich peinlichst genau darauf achten, dass ich dabei meine letzte Mahlzeit bei mir behalte. Unwürdig!
Durch meine kleine Öffnung konnte ich sehen, dass sich eine Tür öffnete und eine Gestalt den Korb mit mir als Inhalt in Empfang nahm. Behutsam wurde mein schaukelndes Domizil endlich auf die Erde gesetzt und die Tür geöffnet. Zwei kleine, weiche Hände schoben sich mir entgegen und begannen mich mit großer Vorsicht zu streicheln. Hmmmmm, nicht unangenehm, musste ich zugeben. „Möchtest du raus kommen mein Schöner, “ sagte die Gestalt und beugte sich mit dem Gesicht zur Öffnung meines Korbes. Ja, das war die Anrede, die mir gebührte. Hier handelte es sich zweifelsohne um eine Katzenkennerin. Sie hatte meinen Wert umgehend erkannt. Ich ließ sie gnädig weiter kraulen und leckte ihr kurz die Hand. (Natürlich kannte ich noch alle Tricks und Kniffe. Was bei Katzendamen wirkte, verfehlte seinen Zweck bei Menschendamen auch nicht. Da sind alle Weibchen gleich! Sie wollen umschmeichelt werden, jede, egal welcher Gattung sie entstammte.) Die Wirkung blieb natürlich nicht aus. „Oh“, hörte ich ihre verzückte Stimme. „Ich glaube er mag mich. Er hat mir die Hand geleckt. Na, dann komm doch heraus Albert. So ist doch dein Name, oder?“ Wenn du das schon weißt, warum fragst du denn noch, oder glaubst du wirklich, dass ich dir antworte?! Menschen sind doch so einfältig. Sprechen ständig in dieser so schwer verständlichen infantilen Sprache, die sie auch bei diesen Monstern, die sie Kinder nennen, anwenden mit uns, und wundern sich allen Ernstes, dass keine Konversation zu Stande kommt. Auf ein solches Niveau lässt sich keiner meiner Artgenossen herab, und sei es der letzte, verlauste Straßenkater. Das ist nicht unser Stil. Aber vermutlich werden die Zweibeiner das niemals verstehen, und weiterhin annehmen, dass wir uns nicht artikulieren können. Ein weit verbreiteter Irrtum!

Vorsichtig steckte ich meine entzückende kleine Nase ( ich weiß, was ich weiß…) ein wenig aus dem Korb heraus. Naja, meine mögliche neue Dosenöffnerin sah eigentlich ganz annehmbar aus, zumindest für einen Menschen. An die Klasse einer Katzendame würde sie natürlich niemals heran reichen, aber sie sah wirklich, hmmmm, ja…….nett aus. Ja, nett und lieb. Ich setzte eine Pfote vor die andere, legte meinen traurigsten Blick auf (hatte ich jahrelang vor dem Spiegel geübt, und beherrschte ich perfekt) und miaute leise. Ganz leise.
Die erwartete Reaktion folgte auf dem Fuß. Liebevoll wurde ich auf den Arm genommen und zärtlich gedrückt. „Och du armer, stolzer Kater. Wer hat dich denn so zu gerichtet? Das ist ja grausam, “ säuselte sie leise in mein Ohr, Ohhhhhhhhh, hhhhhmmmmmmm……jaaaaaaaa, ja, ja, jaaaaaaaaaa……..wie gut das tat!!! Endlich Verständnis. Endlich ehrliche Anteilnahme! (Ich glaubte ihr vorbehaltlos und all meine Zweifel und Bedenken waren bei diesen Worten wie weg gewischt.) Das war sie! Das konnte sie nur sein! Die einzig wahre. Die, die einem nur einmal im Leben begegnet. Die traumhafteste, würdigste Dosenöffnerin der Welt. (Ein altes Katzensprichwort besagt, dass man nur ein einziges Mal in seinen ganzen Katzenleben, den oder die richtige Dosenöffnerin findet). Ich hatte sie gefunden, da war ich mir sicher. Es musste doch einen Katzengott geben. Er hatte mich nicht verlassen!

Wohlig kuschelte ich mich in den Arm, auf dem ich mich befand. Ich tat all das, was man von einem süßen, kuscheligen Kater verlangt (obwohl dies ja eigentlich nicht meiner Natur entsprach. Normalerweise wurde ich bekuschelt, nicht umgekehrt. Ich war doch wer! All` diese unterwürfigen, klischeehaften Anbiederungen meiner Artgenossen, waren mir bislang zuwider. Man biederte sich als stolzer Kater nicht an. Dein Dosenöffner muss sich dir anbiedern, alles andere ist unwürdig!) Allerdings wollte ich dies nette, ja, auch angenehme Dosenöffnerin (gebe ich ja auch zu, wenn auch nur zähneknirschend!) für mich gewinnen. Sie sollte begeistert von mir sein, mich behalten wollen, denn ich, Albert der I. hatte sie zu meiner einzig wahren Dosenöffnerin erkoren. Ja, das ist eigentlich Ehre genug, ich weiß. Aber ein wenig kuscheln……….alle Weibchen werden schwach!!! (Erwähnte ich doch bereits.) Es war aber auch ein zu herrliches Gefühl nach meiner langen, schrecklichen Odyssee der letzten Wochen, wieder in einem warmen Arm zu liegen, dessen Besitzerin sich durchaus des Wertes den sie im Arm hielt, bewusst war. Jaaaaaaaaaaaa, das Leben kann so schön sein und gerecht. Aber nun ja, wir wollen nicht übertreiben, denn weniger steht mir natürlich nicht zu!

„Miau,“ entsetzt hob ich meinen Kopf aus der kuscheligen Armbeuge. Was war das? Von mir kam dieses Miauen nicht. Neugierig und misstrauisch sah ich mich vorsichtig um. „Miau, “ erklang es schon wieder in meiner unmittelbaren Nähe. Nein, dass konnte nicht wahr sein! Unter mir erblickte ich einen ebenfalls schwarzen Artgenossen, allerdings die einfache, unscheinbare, völlig unansehnliche Straßenkaterausgabe von mir. Ein ganz gewöhnlicher Straßenkater! Wie unappetitlich! „Miau“. Schon wieder. Diesmal aber kam es aus einer anderen Richtung, denn mein schwarzer Straßenkaterdoppelgänger (bitte, eine schrecklich misslungene Kopie meiner selbst natürlich nur…), stand direkt unter mir, ich saß noch immer auf Arm, der mich so liebevoll gehalten hatte, allerdings war meine Haltung mittlerweile entsprechend angespannt, und beäugte mich unverhohlen neugierig. Ich sah mich wiederholt vorsichtig und noch misstrauischer um. Aus der hintersten Ecke des Raumes schlich langsam eine hässlich getigerte Katze. Sie musste schon älter sein, denn sie lief langsamer und bedächtiger als ihr schwarzer Kumpel. Das war ein starkes Stück. Noch immer ungläubig auf die weitere Katze starrend, ließ mich ein erneutes „Miau“ zusammen zucken. „Miau, miau“. Freudig erregt kam eine weitere, diesmal bunte, sogenannte „Glückkatze“, (was auch immer das sein mag. In Katzeninsiderkreisen munkelt man, das sie von Dosenöffnern bevorzugte „Familienmitglieder“ seien sollen. Es entzieht sich allerdings völlig meiner Kenntnis, was dafür der Grund sein sollte.) mit erhobenem Schwanz auf uns zu. Auch sie zählt lediglich zur Kategorie der „gemeinen Hauskatze“ und ist meines Erachtens nach, nicht im Entferntesten in meiner Klasse anzusiedeln. (Menschen sind einfach unverständlich gewöhnlich!) Mittlerweile standen drei einfache, gewöhnliche, nicht im Geringsten meinem Format entsprechende Katzen und Kater zu Füssen meiner neuen Dosenöffnerin. Das war zuviel! Mit protestierendem Fauchen sprang ich zutiefst empört von dem schützenden Arm. Nein, so hatten wir nicht gewettet! Das war nicht zumutbar. Du sollst keine anderen Katzen haben, neben einem Albert, sagt eine alte Katzenweisheit. Der Sinn dieser Weisheit dürfte jedem Einleuchten und erklärt sich selbst. Es bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erklärungen. Natürlich hatte ich gehofft einen neuen Dosenöffner zu finden. Aber diese Situation war einfach unerträglich. Nicht akzeptabel. Wie scheinheilig! Gespielte Freude über meine Ankunft, vorsichtige Annäherungsversuche, erste Streicheleinheiten und gegenseitige Akzeptanz wurde mir vorgegaukelt nur um mich vorsichtig darauf vorzubereiten, dass ich hier nicht der erste und einzige Kater sein sollte. Wie hinterhältig und gemein! Ein Albert der I. teilt seinen Menschen niemals mit anderen, unterpriviligierten Artgenossen. Bevor ich meine Herkunft so verriet, mich auf dieses Niveau herab ließ, würde ich lieber bis ans Ende meiner Tage, als Straßenkater leben wollen. Selbst das war nicht so schlimm, wie die Tatsache, einer unter vielen sein zu müssen. Wahrscheinlich würden die anderen hier lebenden Katzen auch noch das Recht der Erstankunft in Anspruch nehmen und erwarten, dass ich mich unterordne. Welch ein Ansinnen! Blasphemie! Nein, mit mir nicht. Auf dem Boden sitzend hielt ich die anderen Katzen durch einen beachtlichen Buckel, den ich immer noch im Hand umdrehen zustande brachte, und gewaltigem Fauchen, sowie dem nach wie vor imposanten Ausfahren meiner Krallen, auf Abstand. Mich beschnuppern? Wohl von Sinnen! Mit einem einzigen Blick erfasste ich die Räumlichkeit in der wir uns befanden und machte umgehend das Beste, von außen kaum zu erreichende Versteck aus. Mit einem Satz war ich unter dem anvisierten Regal verschwunden. Zugegeben, ich hatte wenig Platz darunter, es war sehr niedrig, aber der Blick in alle Richtungen war gegeben und die Tatsache, dass ich für die anderen nicht erreichbar war. All dies überwog die Enge meines Versteckes. Hier saß ich und hier würde ich bleiben, bis…….. ja, bis sich die Tür das nächste Mal öffnen würde und ich hinaus laufen konnte.
Allen Bemühungen der Dosenöffnerin, die mich so schändlich hintergangen hatte, mich aus meinem Versteck zu locken, widerstand ich standhaft. Meine drei Artgenossen beäugte ich durch enge Augenschlitze, und fauchte ununterbrochen. Kommt mir ja nicht zu nahe, lasst mich alle in Ruhe und verzieht euch, sollte das heißen. (Mit gemeinen Haus- und Straßenkatzen kann man keine vernünftige, gehobene Konversation betreiben. Sie verstehen nur ihre eigene Sprache, das einfache Fauchen.) Meine Bemühungen blieben nicht umsonst, die Konkurrenz zog sich respektvoll zurück, und auch das Menschenweibchen gab ihre Versuche, mich doch noch aus meiner Position zu locken, nach einiger Zeit auf.
Sie versuchte es später noch einmal, in dem sie glaubte, mich mit Fressen locken zu können. Dieses Ansinnen an sich ist schon ungeheuerlich. Doch die Beschaffenheit des Fressens, mit dem sie mich ködern wollte, schlug dem Fass den Boden aus. Trockenfutter!!! Ich kann nur hoffen, dass jeder versteht, was das für einen Kater meiner Klasse bedeutet! Eine größere Beleidigung gibt es für einen Albert den I. nicht!!! Unfassbar!

Na, die würden sich wundern. Wenn ich über etwas im Übermaß verfügte, so war dies Ausdauer. Niemals würde ich mein Versteck verlassen und auch nur einen einzigen Bissen von dieser Zumutung fressen. Gut, das Wassernapf stand direkt neben dem Trockenfutter, und das brauchte ich leider doch recht häufig und viel. Auch die Katzentoilette musste ich irgendwie erreichen können, obwohl schon der Gedanke, mir diese mit anderen, gewöhnlichen Hauskatzen teilen zu müssen, meine Blase schrumpfen ließ. Nun gut, kommt Zeit, kommt Rat, sagt ein Katzensprichwort. Und irgendwann würde sich die Tür öffnen müssen.

Doch ich täuschte mich. Die Tür öffnete sich nicht in absehbarer Zeit und wenn doch, dann nur so kurz, dass es mir unmöglich war, zu entwischen. Knurrend und sicherheitshalber von Zeit zu Zeit immer wieder übel fauchend (ein Albert muss sich des gemeinen Straßenkatzenjargons bedienen! Noch nie im Leben musste ich meine Herkunft derart mit Füssen treten. Ich bin nur dankbar, dass wir Tiere nach der Entlassung durch unsere Eltern in das Leben, diese in der Regel niemals wieder sehen. Diese Schmach hätte mein Vater, der stolze Perserkater nicht überleben!) saß ich in meinem Versteck.

Zwei Tage verbrachte ich so unbehelligt von meinen Artgenossen und dem Menschenweibchen zu. Allerdings fühlte ich mich mehr und mehr ganz und gar nicht versteckt, sondern viel eher eingesperrt. Und das Gefängnis hatte ich mir selbst gesucht. Ich bekam Hunger, ganz schrecklichen Hunger, vom Durst ganz zu schweigen. Auf die Katzentoilette habe ich mich nachts unbemerkt schleichen können. Unbemerkt von den anderen, wohl bemerkt. Das machte mir so schnell keiner nach! Aber der Hunger setzte mir sehr zu. Immer wieder glitt mein Blick auf den Fressnapf mit diesem ekeligen Trockenfutter. Nein und nochmals nein. Niemals Trockenfutter!

Langeweile ist eine furchtbare Erfahrung. Irgendwann wird es öde die anderen Katzen von meinem Versteck aus zu beobachten und ihre albernen Spielereien zu verfolgen. Ich zermarterte mir den Kopf, wie ich mich ablenken könnte. (Allein, um nicht ständig das Knurren meines armen Bäuchleins zu vernehmen!)
Die rettende Idee kam mir in der zweiten Nacht, in der ich mich plötzlich ziemlich einsam zu fühlen begann. Ich würde ein Tagebuch führen. Natürlich nur ein gedankliches, aber es würde mich ablenken.

Tag 1, 2 und 3
Nach vermeintlich liebevoller und angemessener Würdigung meiner Person und Aufnahme, nach Vortäuschung falscher Tatsachen, stelle ich schlagartig ernüchtert fest, ich bin die vierte Katze im Hause. Ein undenkbarer Zustand für einen Albert. Ich bin empört und auf das tiefste verletzt ob dieser arglistigen Täuschung.
Nehme Position in sicher, von außen nicht erreichbarer Ecke unter Holzregal ein. Habe von hier aus alles im Blick, im Besonderen die Tür, von der ich hoffe, dass sie sich möglichst bald öffnen wird.
Halte meine Artgenossen, die allesamt gewöhnlich sind und ganz und gar nicht in meiner „Liga“ spielen, durch gemeinen Straßenkatzenjargon, auch fauchen genannt, und weitern Drohgebärden auf Abstand. Am zweiten Tag wissen sie, dass hier einer ist, dem man Respekt zu zollen hat. Einer, der sich nicht gemein macht, mit dem einfachen Fußkatzenvolk.
Aber Hunger habe ich trotzdem.

Tag 4
Habe mich heute Nacht erneut auf die Katzentoilette schleichen müssen. Wie unwürdig. Meine Toilette mit mehreren teilen zu müssen! Gut, dass ich das Fressen bislang nicht angerührt habe, genauso wenig das Wasser; müsste ansonsten öfter auf die Toilette. Einfach widerlich.
Aber ich habe Hunger und das Knurren meines Bäuchleins wird immer lauter. Glaube ich wecke damit die anderen auf. Sie schauen zumindest immer etwas irritiert, wenn das Knurren vernehmbar ist.

Tag 5
Kann an nichts anderes mehr denken als an Fressen. Pfui! Trockenfutter! Mir, dessen Gaumen nur die feinsten Leckereien, wie Pastetchen, zartes Geflügel an köstlichem Gelee, herzhaftes Wild an einer Preiselbeersoße, gewöhnt ist. Ich muss aufhören, daran zu denken, ertrinke sonst im eigenen Sabber.
Warum musste mein einst so wunderbares Leben eine derartig grausame Wendung nehmen? Ich bin deprimiert.
Und ich habe Hunger und Durst!

Tag 6
Das Menschenweibchen versucht wie jeden Tag, mich mit vermeintlich liebevoller Ansprache aus meinem Versteck zu locken. Nein, mit mir nicht, du Medusa! Du täuscht mich nicht noch einmal.
Fühle mich sehr allein heute. Mehr als sonst. Kann nur über vergangene, wunderbare Zeit sinnieren. Fange an ausschließlich vom Fressen zu träumen und wache nachts auf, weil meine Decke, die mir das Menschenweibchen doch recht vorsichtig untergeschoben hat, (auch darauf falle ich nicht herein!) nass gesabbert ist. Ich will nicht vom Fressen träumen. Ich bin stark und werde durchhalten.
Aber ich habe immer noch Hunger!!!!

Tag 7
Halte es vor Hunger und Durst fast nicht mehr aus. Ertappe mich immer häufiger dabei, dass ich meine Nase vorsichtig aus meinem Versteck schiebe und in Richtung Fressnapf zu schnuppern beginne. Dem Fressnapf mit Trockenfutter! Habe Trockenfutter noch nie probieren müssen. Vielleicht ist es ja doch nicht so schlecht wie sein Ruf.
Traurig und hungrig sehe ich meinen Artgenossen beim fressen zu und merke zu meinem Entsetzen, dass mir dabei das Wasser im Mund zusammen läuft. Von Trockenfutter!!!
Oh nein! Ich habe Hunger, großen Hunger. Sogar auf Trockenfutter!

Tag 8
Glaube ab heute an Wunder! Es muss einen Katzengott geben, denn heute Morgen, nach einer furchtbaren Nacht, in der ich vor Hunger kaum einschlafen konnte, stand ein Schälchen mit Wasser und Futter vor meinem Versteck. Natürlich Trockenfutter, aber eigentlich riecht es gar nicht so schlecht. Da alle anderen noch schlafen mache ich mich augenblicklich über diese „Gottesgabe“ her und verschlinge alles auf einmal.
Mir ist schlecht. Vielleicht hätte ich nicht so schlingen sollen.

Tag 9
Wieder stand nach dem Erwachen wie durch ein Wunder Futter und Wasser vor mir. Heute behalte ich das Fressen auch bei mir. Wenn nun die Sache mit der Katzentoilette nicht noch wäre, könnte ich mich an meine Situation fast gewöhnen. Die Decke, die man mir untergeschoben hat, ist weich und kuschelig, das Trockenfutter schmeckt wider Erwarten recht gut, was will ich mehr. Spielen und rumtollen ist für einen Albert sowieso unter seiner Würde und außerdem würde mein doch recht fortgeschrittenes Alter, dies auch verhindern. Ich bin schließlich nicht mehr der jüngste mit meinen 19 Jahren!

Tag 10
Bin heute Morgen aufgewacht, weil ich eine Berührung auf meinem Pfötchen spürte. Diese gewöhnliche, kleine sog. Glückskatze hatte ihre Pfote unter das Regal, unter dem ich immer noch ausharre geschoben und ganz leicht auf meiner Pfote abgelegt. Ja was bildete die sich denn ein! Ich bin ein edler Persermix und sie eine gemeine Hauskatze! Ich muss ja schon sehr bitten, meine Dame, wollte ich gerade fauchen, überlegte es mir aber aus mir völlig unerklärlichen Gründen doch. Sie schlief noch und schnurrte leicht im Schlaf. Für eine einfache Hauskatze hatte sie eigentlich ein süßes Gesicht. Albert! Ich rufe mich selbst zur Räson. Welch verachtenswerte Gedankengänge!!! Ich hatte die wunderschönsten Edelkatzendamen gehabt, jede einzelne von ihnen von edlem Geblüt und ein Schmuckstückchen. In dieser, meiner persönlichen Damengalerie hatte eine gewöhnliche Katze selbstverständlich keinen Platz.
Ich hielt trotzdem still und empfand ihre Pfote merkwürdigerweise nicht als unangenehm.
Fühlte mich auf einmal nicht mehr ganz so allein.

Tag 11
Schleiche mich nach wie vor heimlich auf die Katzentoilette. Wird jetzt allerdings, bei täglicher Nahrungsaufnahme immer schwieriger, diese Gänge ausschließlich in die Nacht zu verlegen.


Tag 12
Heute weiß ich, dass es keinen Katzengott gibt. Habe am frühen Morgen, als alles noch dunkel war bemerkt, dass es das Menschenweibchen ist, welches mir Fressen und Wasser heimlich vor mein Versteck stellt. Und zufrieden hat sie dabei so etwas wie „fein gemacht Albert“, gemurmelt. Schande! Ich bin reingelegt worden!

Tag 13
Tue einfach so, als würde ich nicht merken, wer mir mein Fressen hinstellt. Lasse mich zu keiner Gefühlsregung hinreißen. Nein, und nochmals nein! Ein Albert nicht!

Tag 14
Werde mitten in der Nacht wach. Meine Decke ist zwar warm und weich, aber ich spüre zusätzlich eine andere, viel angenehmere Wärme neben mir. Neben mir liegt die kleine Glückskatze und rutscht, ich hoffe doch sehr im Schlaf, Stück für Stück näher an mich heran. Fieberhaft überlege ich, was zu tun sei. Ich müsste sie sofort empört in ihre Schranken weisen, natürlich. Aber es ist angenehm, diesen kleinen, warmen Körper an meinen gekuschelt zu spüren. (Fast hatte ich vergessen, wie sich das anfühlt! Erinnerungen werden wieder wach. Erinnerungen an wunderschöne, edle Katzendamen………seufz). Aber das waren nur Erinnerungen. Diese kleine Katze neben mir war real und gab mir ein ganz merkwürdiges Gefühl. Ich akzeptierte diese Situation. Und mir fiel einigermaßen konstatiert auf, dass mich dies nicht einmal allzu große Überwindung kostete.

Tag 15
Ich hasse Tierärzte! Heute bekam ich Besuch von einem, oder besser gesagt, ich wurde von einem überfallen. Anders kann man diesen fiesen Übergriff nicht nennen! Ich bin aufs äußerste empört! Mit einem Ruck hatte er mich aus meinem doch wohl nicht ganz so sicheren Versteck gezogen und quittierte mein Fauchen und Kratzen lediglich mit einem kurzen Brummen und einem Klaps auf mein Hinterteil. Eine solch entwürdigende Behandlung ist mir noch widerfahren. Ich melde Protest an! Ein kurzer Blick in die Ohren, den Mund, ein Abtasten den Bauchs und zu meinem Entsetzen mehrere Impfungen gegen wer weiß was für Krankheiten. So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte seinem eisernen Griff nicht entkommen. „Nein,“ hörte ich seine brummige Stimme. „Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen. Er ist absolut gesund, eben altersentsprechend. Kein Grund zur Besorgnis. Ist Lediglich ein großer Raufbold und eine Kratzbürste.“ Wie bitte? Ich habe mich wohl verhört? Raufbold? Kratzbürste? Ich? Ich muss schon sehr bitten. Der weiß wohl nicht, mit wem er es zu tun hat! Ein Albert ist weder ein Raufbold noch eine Kratzbürste!!! Er ist von edelster Geburt und gehört hier mit Sicherheit nicht hin! Kann ihm das mal einer vermitteln?
Unerwartet bekomme ich Hilfe von dem Menschenweibchen. „Nein, das glaube ich nicht, “ höre ich sie sagen. „Er hat nur Angst. Hat sein zu Hause verloren, ist wochenlang auf sich allein gestellt gewesen, wird dann wieder eingefangen vom alten Besitzer, nur um letztendlich doch weg gegeben zu werden. Menschen sind grausam. Der arme Kerl muss ja völlig durcheinander sein.“ Ich merke, wie sich der Griff des Tierarztes lockert, sich dafür aber zwei weiche Hände um mich legen. „Nicht wahr mein Schatz, “ säuselt sie. „Du bist weder böse noch kratzbürstig. Die Menschen haben dir nur sehr weh getan. Aber auch du wirst dich schon noch an uns gewöhnen, wie die anderen auch. Haben alle ihre Zeit gebraucht.“ Huch? Wie wird mir? Albert, bleib standhaft, das ist die Verräterin. Aber sie sagt doch so liebe, verständnisvolle Dinge, als ob sie mich wirklich verstehen würde. Ich spüre die warmen, liebevollen Hände, die mich vorsichtig und so schön zärtlich kraulen und gebe mich für einen Moment diesem wunderbaren Gefühl hin. Albert! Sie ist wie alle Weibchen auch gefährlich!
Verwirrt rette ich mich unter mein schützendes Regal. Ich versuche meine durcheinander purzelnden Gedanken zu ordnen und fühle mich seltsam.
Heute hoffe ich, dass die kleine Glückskatze wieder zum ankuscheln kommt. Das ist komisch. Sie ist doch eigentlich unter meinem Niveau!

Tag 16
Wache neben der Glückskatze auf und fühle mich das erste Mal seit Wochen ausgeruht und besser. Die kleine Katze schläft noch. Sie ist wirklich süß, wie sie da so liegt. Die kleine rosa Zungenspitze lugt ein wenig aus ihrem leicht geöffneten Mund. Einfach niedlich. Albert, nicht doch! Was denn? Wenn es doch wahr ist. Außerdem fühle ich mich mit ihr nicht mehr allein. Sie scheint mich zu mögen, obwohl ich mich nicht von meiner besten Seite gezeigt habe. Oder ahnt sie, wie es mir geht? Was hatte das Menschenweibchen gesagt. Ich würde Zeit brauchen, wie alle anderen. Waren vielleicht alle meine Artgenossen auf die gleiche, unfreiwillige Weise hier her gelangt? Teilten wir etwa das Gleiche Schicksaal? Darüber musste ich in Ruhe nachdenken.

Tag 17
Heute ließ ich zu, dass das Menschenweibchen mich ein wenig kraulen durfte. Natürlich in meinem Versteck. Sicher ist sicher! Oh, das tut ja so gut, auch wenn ich das gar nicht will!

Tag 18
Heute Morgen bot sich mir ein seltsames Bild. Alle drei anderen Katzen saßen beim Aufwachen vor meinem Versteck und sahen mich unverwandt und eindringlich an. Ich muss zugeben, das mich dass irritierte. Plötzlich fing die kleine, süße Glückskatze an zu sprechen, und zwar in einer mir verständlichen, kultivierten Sprache. „Wir alle wissen, wie du dich fühlst, weil wir alle genau wie du unfreiwillig hier her gekommen sind. Alle hatten wir einmal ein anderes zu Hause, oder auch gar keines. Es ist nicht schön, von seinen Menschen fort gegeben zu werden, das ist richtig. Man ist traurig und fühlt sich schrecklich verlassen. Mich haben meine Menschen ausgesetzt, als ich erst zehn Wochen alt war. Und Leo, “ sie zeigte auf den schwarzen Kater, „Leo sollte mit wenigen Wochen von seinen Menschen ertränkt werden. Sie hatten zu viele Katzenbabys. Schmuser, “ fuhr sie fort, und wies dabei auf die getigerte Katze, „haben ihre Menschen zusammen mit ihrer Mama und vier Geschwistern an der Autobahn ausgesetzt. Wenn unser Menschenweibchen sie nicht zufällig gefunden hätte, hätte das keiner von ihnen überlebt. Du siehst, du bist nicht der einzige mit einem schlimmen Schicksaal hier. Im Gegenteil. Ich weiß, dass du von edlem Geblüt bist und viele Jahre wie ein Kind von deinen Menschen geliebt worden bist. Das ist mehr, als die meisten von uns je hatten. Du magst ein besonders schöner, anmutiger Kater sein, und bislang auch erlesen behandelt worden sein, aber hier, hier sind wir alle gleich. Wir sind zwar, wie du glaubst, nur gewöhnliche Haus- oder Straßenkatzen, aber ich glaube, im Moment sind wir in einer besseren Position als du. Nicht, weil wir glauben etwas Besseres zu sein, sondern weil wir wissen, dass wir alle es hier sehr gut haben. Wir haben ein wunderschönes zu Hause bei lieben Menschen gefunden, die uns sicherlich nie wieder weggeben werden. Jeder von uns ist wirklich ein Familienmitglied, und davon trennt sich hier niemand.“ Sie leckte sich eines ihrer Pfötchen. „Und du solltest langsam anfangen, ein wenig dankbarer zu sein, “ sagte sie. „Du hättest es wirklich schlimm treffen können, nämlich dann, wenn du im Tierheim gelandet wärst. Da kommen alle Katzen hin, für die niemand sorgen möchte. Unsere Menschen haben schon einige Katzen von dort hier her geholt und darum wissen wir, wie schlimm es dort ist. Du hast wirklich keine Ahnung, wie gut es dir hier geht. Und es kann noch besser werden, wenn du endlich dein dummes Versteck verlässt.“ Damit drehte sie sich um, sprang auf den nächsten Stuhl und rollte sich schnurrend zusammen. Die beiden anderen Katzen nickten mir zu und trollten sich ebenfalls auf ihre Plätze.
Ich blieb allein, mit einem Kopf voll von dem Gehörten und meinen eigenen Gedanken. Konnten sie recht haben? Aber ich bin doch Albert der I. Ja, der bist du. Und wer ist Albert der I.? Ein wunderschöner, anmutiger, stolzer Kater von sehr edlem Geblüt. Ja, das auch, aber in erster Linie bist du nur ein Kater. Zwar ein sehr schöner und auch stolzer, aber nur einer von vielen, vielen tausenden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nicht besser, aber auch nicht schlechter, als alle anderen.
Hmmmm, darüber muss ich in Ruhe nachdenken!

Tag 19
Ich bin sehr nachdenklich. Haben die anderen Recht? Leo, der schwarze Kater, Schmuser, die getigerte Katze und nicht zuletzt und vor allem die kleine, so süße Glückskatze? Ich weiß immer noch nicht, wie sie heißt. Muss sie bei Gelegenheit fragen. Bin auch ich nicht mehr als ein normaler Kater? Nichts Besonderes? Nichts Einzigartiges?

Tag 20
Ich muss immer noch nachdenken. Mein bisheriges Weltbild hat einen gewaltigen Riss bekommen. Sind wir wirklich alle gleich? Unterscheiden wir uns nicht durch Geburt und Herkunft? Ist eine edle Herkunft nicht gleich zu setzen mit Eigenschaften wie einem besonderen Charakter, hervorstechenden Eigenschaften oder beeindruckender Persönlichkeit?
Obwohl……. Wenn ich angestrengt nachdenke, kann ich mich nicht daran erinnern, dass gerade diejenigen meiner früheren Freunde, die sich für ganz besonders erlesen und priveligiert bezeichneten, im Grunde die schlimmsten Raufbolde waren und sich oftmals schlimmer benahmen, als alle Straßenkatzen zusammen. Und auch das Bild von den schönen, edlen Katzendamen bekam plötzlich in der Erinnerungen doch die ein oder andere Macke. Waren die meisten von ihnen nicht recht oberflächig, zickig und eingebildet? Waren sie nicht immer nur an Katern interessiert, die ihnen die besten und teuersten Leckereien bieten konnten, und die feinsten, kuscheligsten Plätzchen im angesehensten Viertel kannten?
War die Welt, wie ich sie bislang gesehen hatte, gar nicht so glanzvoll wie ich glaubte? Wo waren denn meine Freunde, als ich von meinen Menschen fort lief, weil sie sich nicht mehr kümmerten? Standen sie mir zur Seite? Halfen sie mir, mich in dieser Situation zu Recht zu finden? Brachten sie mir Essen oder spendeten sie mir Trost? Nein, all dies taten sie nicht. Im Gegenteil. Ich konnte sie nicht mehr finden, nachdem sich herum gesprochen hatte, dass ich erhebliche Probleme hatte. Damals hatte ich mir darüber nicht weiter Gedanken gemacht. Es war halt so. Irgendwann würden sie schon wieder auftauchen; dachte ich wenigstens. War das alles nur Illusion? Seine heile Welt nur schöner Schein?
Ich bin unendlich traurig und rolle mich ganz klein zusammen. Eine kleine, weiß-braun-rote Pfote schiebt sich über meine und ein kleiner Körper kuschelt sich an meinen. Meine kleine Glückskatze.

Tag 21
Was für ein wunderbarer Tag. Das Leben ist schön. Ich bin fröhlich, heiter, fühle mich wie neugeboren und glücklich. Vorsichtig schiebe ich die kleine Pfote die immer noch auf meiner liegt bei Seite, um meine Nachtgefährtin nicht zu wecken. Was für eine Katzendame!!! Zärtlich betrachte ich sie. Süße, kleine, wunderbare Glückskatze. Und sie mag mich. Mich, Albert den…… Nein, den würde sie ganz und gar nicht mögen. Bestimmt nicht. Sie mag Albert, einfach nur Albert einen schon alten, ehemals sehr einsamen, traurigen Kater.
Ich krabble aus meinem Versteck und recke mich wohlig. Ich gehe zu Leo und Schmuser und stupse sie leicht zur Begrüßung an. Leo hebt den Kopf und gähnt. „Na dann, willkommen im Club“, sagt Schmuser.
Ich stehe vor der Zimmertür und kratze daran. Erst zaghaft, dann immer heftiger und lauter. „Frauchen, Frauchen, lass mich rein und hab` mich lieb, “ rufe ich lautlos. Mein Menschenweibchen öffnet endlich die Tür und mit einem gelungenen Sprung lande ich auf ihrem Arm. „Ja Albert, “ ruft sie erstaunt. „Was ist mit dir denn passiert?“ Sie drückt mich richtig fest an sich und sagt: “Hallo und Willkommen zu Hause Albert.“


Anmerkung der Autorin:
Albert wurde fast 23 Jahre alt. Für eine Katze ein biblisches Alter. Als er nicht mehr richtig sehen und nur noch mühselig laufen konnte, durfte er friedlich im Arm seines einzig wahren Dosenöffners einschlafen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 16.01.2011

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