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Bereits vor fünfzehntausend Jahren schlug sich der Mensch mit dem Problem rum, dass die Nacht eine dumme Zeit darstellt, sich im Freien herumzudrücken. Da an die elektronische Massenzeitvernichtungsmaschinerie wie Fernseher oder Computer nicht zu denken war, blieben nur andere Menschen, mit denen man sich beschäftigen konnte. Die permanente Vermehrung der eigenen Art ist auf Dauer auch ziemlich anstrengend und so ging der Mensch dazu über, sich in Gespräche zu vertiefen. Im Grunde hat sich an menschlicher Konversation bis heute nicht viel geändert. Manchmal ist sogar die gleiche Sprache zu erkennen (man braucht sich heutzutage nur mal für ein halbes Stündchen in ein öffentliches Verkehrsmittel zu setzen, um dies zu verstehen). Es wurden Geschichten erzählt, erlogen oder gemutmaßt, dass einem die Ohren bluteten.
Aber nach fünfzehntausend Jahren intellektueller Evolution hat sich eine Konversationsart entwickelt, die im Universum einzigartig ist und der Psychologie Rätsel aufgibt. Unscheinbar ist dies mit dem Namen ‚Rollenspiel’ bedacht worden.
Im Grunde ist ein Rollenspiel lediglich eine interaktiv gestaltete Erzählung. Aber um dies wirklich auch nur annähernd erahnen zu können, müssen schon Beispiele herhalten. Denn man darf nicht vergessen, dass selbst hartgesottenste amerikanische Elite- Marines vor der Ausdauer eines vernarrten Rollenspielers kapitulieren müssen, wenn dieser nach fünfunddreißig Stunden bewegungslosen Spielens einfach eine Dose Katzenfutter vertilgt und ohne mit der Wimper zu zucken die nächsten zehn Stunden in Angriff nimmt. Dagegen war Vietnam das reinste Zuckerschlecken!

Der Meister:
Diese Figur stellt die Verkörperung der Tragödie einer verhunzten Kindheit dar. Ein Träumer, ein Spinner, ein emotionales Wrack, aber auch ein Lügner, ein Schummler, ein Sadist, wirklich hart gesagt: ein unberechenbarer Irrer, der auch noch die Fäden in der Hand hat.
In der einen Sekunde ein väterlicher, verständnisvoller Kumpel, in der nächsten ein alptraumgebierendes faschistisches Arschloch. Dreh einem Meister nie den Rücken zu und gib ihm nie Deine Adresse!


Spielertyp 1, der Träumer:
Er glaubt felsenfest und immer daran, dass alles was geschieht einen tieferen Sinn hat und jede auch noch so hirnverbrannte Aktion sich auf das Abenteuer auswirkt. Er redet stundenlang und ist nur mit einem saftigen Tritt in die Fresse zu stoppen oder mit dem immer wirksamen „Du bist tot!“- Satz. Ein solcher Spieler ist stets davon überzeugt den wichtigsten Charakter der Runde zu spielen und beweist seinen Enthusiasmus mit bücherfüllenden Charakterbeschreibungen, akribischen Kleidungsdarstellungen und der theatralischsten Gestaltung banalster Tätigkeiten. Man gewinnt stets den Eindruck, dass ein solcher Spieler seine eigene Persönlichkeit aufgibt, um die seines Helden anzunehmen. Der Träumer ist allerdings Ideal, wenn man mal eben sechs Stunden schlafen möchte. Man muss ihm dann nur die magische Formel hinwerfen, die da lautet: „Da vorne ist ein Kleidungsgeschäft. Was willst Du haben?“

Spielertyp 2, der Gierige:
Eigentlich der menschlichste Charakter ist er derjenige, der sprichwörtlich seine Oma an einen tollwütigen Werwolf verkaufen würde. Kein Gegenstand ist für ihn wertlos und keine Queste zu gefährlich, wenn man dabei nur eine Goldmünze erwirbt. Teilen kommt für ihn nur in Frage, wenn man ihn mit dem Schwert bedroht. Und auch dann nicht immer. Der Meister braucht nur einen Hundehaufen interessant genug zu beschreiben und der Gierige hat ihn in der Tasche. Es ist auch interessant, dass die Geschwindigkeit mit der der Gierige in der Lage ist Leichen zu durchsuchen oder ganze Schatzhöhlen auszunehmen die schnellste bekannte Geschwindigkeit des Universums ist.

Spielertyp 3, der HauDrauf:
Man erkennt ihn bereits an so liebevoll gestalteten Namen wie Karl oder Ulf oder so. Die Qualität eines solchen Charakters bemisst sich am Verhältnis der Größe seiner Waffe multipliziert mit der Anzahl derselben zur Niedrigkeit seiner Intelligenz. Außerdem ist der einzige grammatikalisch korrekte Satz, den diese Figur beherrscht: „Ich greife an!“ Das ist übrigens auch der längste aus ihm herauszuholende Satz.

Spielertyp 4, der Dämlack:
Also, es gibt da so ein Gerücht, dass ein menschliches Gehirn, nachdem es dreimal denselben Fehler in derselben Situation begeht, offiziell für saublöd erklärt werden darf. Manche Leute spielen zehn Jahre lang ein und dasselbe Spiel und verstehen nicht die rudimentärsten Dinge. Da spielt er einen Kämpfer bis in die fünfundvierzigste Stufe und plötzlich kommt die Frage: „Äh, wie berechnet sich noch mal die Attacke?“

All diese Spielertypen sind durchaus miteinander kombinierbar und es gibt noch unendlich viele mehr (Z.B. der Eklige, der Perverse, der Intellektuelle, der Zuspätkommer, der Hungrige und natürlich niemals zu vergessen Ronny).


Ich möchte eine nicht ganz fiktive Runde beschreiben, die nicht wirklich übertrieben dargestellt wird.

„O.K., also nur damit ich Dich richtig verstanden habe, Du gehst den Tunnel in Tipptopschritten gebückt entlang, wobei Du einen viermeterlangen Stab, den Du in fünf Minuten mit einem Stein geschnitzt hast, in der Rechten hältst und vor Dir den Boden abtastest und Deinen gespannten Langbogen in der Linken. Nicht zu vergessen die Fackel, die Du mit einer Mischung aus Spucke, Fußnägeln und Achselschweiß an Deinem Helm festgeklebt hast. Ist das so ungefähr richtig?“
Der Angesprochene war den Ausführungen konzentriert gefolgt und nickte an den entscheidenden Stellen äußerst wissenschaftlich mit dem Kopf. „Jetzt wo ich es höre klingt es sogar fast logisch.“
Der Meister schluckte seinen Brandy hinunter und überlegte für einen Moment, was er falsch gemacht hatte. Doch dann sagte er einfach „Na gut.“ Und wusste eigentlich selbst nicht warum. „Und was macht ihr?“ wandte er sich an die anderen beiden.
Da einer gerade damit beschäftigt war, einer Spinne, die den Fehler gemacht hatte in den Raum zu krabbeln, die Beine auszureißen und sie genüsslich zu verspeisen, schrie der andere: „Ich zieh meine beidhändige Axt und greife an!“
Etwas verwirrt entgegnete der Meister: „Äh, es gibt überhaupt keine Gegner, die Du attackieren könntest.“
„Was?“ gab der daraufhin zurück. „Man, das ist mal wieder ein kompliziertes Abenteuer. Ich weiß auch nicht.“
Der Dritte gesellte seinen Geist nun dazu: „Ich spreche den Zauber Fallen finden und schreite voran.“
„Danke.“ Entgegnete der Meister ehrlich. „Nach vielleicht fünf Metern steht ihr plötzlich vor einer Tür.“
„Oh nein!“ schrie wieder der Axtträger. „Jetzt sind wir am Ende! Erinnert ihr euch noch an die letzte? Da haben wir Thoram verloren.“
Leidig nickten die anderen. Doch sie waren Menschen mit Gehirnen und folglich speicherte sich die eine oder andere Information darin ab.
„Gibt es eine Türklinke?“ fragte der Magier stolz.
„Nein.“ Antwortete der Meister ängstlich. So langsam begann er sich innerlich von seiner Gruppe zu verabschieden. Er versuchte, die Schriftzeichen auf seinen Blättern zu entziffern. Es war zwar seine eigene Handschrift, doch sein Blick war so verklärt, dass er nichts mehr deutlich erkennen konnte, dass nicht mindestens einen Meter groß und einen Meter entfernt war. Wie lange spielten sie eigentlich schon. Dass niemand eine Uhr hatte, war eine Todesfalle.
Knirschend erbebte die Erde und mit unbändiger Macht erstürmte ein fast in Vergessenheit geratener Feind den Raum: das Licht! Schreiend warfen sich die vier Gestalten zu Boden und krümmten sich vor Schmerz. Das Garagentor glitt vollständig in die Höhe und der Vater von zweien der Figuren wäre beinahe gestorben, als ihn die Wolke menschlicher Ausdünstungen entgegenschlug. Zum Glück war er ein Veteran und hatte zwei Gasmasken übergezogen. Er konnte sich noch an seinen Freund erinnern, der einmal unvorsichtig dabei war, als er die Runde beendete. Er lag vier Wochen auf der Intensivstation, bis der gnädige Herr ihn von seinen Verätzungsschmerzen erlöste. „Na, ihr, noch am Leben?“ Knurren und Husten drang aus der Garage. Er nahm mit einem Pfeifen auf den Lippen einen Schlauch von der Wand und ergoss eiskaltes Wasser in den Raum. Langsam kehrte Menschlichkeit in die Runde zurück und die Wesen kamen wieder zu Verstand. „Also mal ehrlich! Diese 72-Stunden-Sessions bringen euch noch um!“

Dieses Beispiel soll nur klarmachen, dass wir Rollenspieler gefälligst mit mehr Respekt behandelt werden sollten! Wir stoßen in Geisteszustände vor, die sich ein normal Sterblicher nicht einmal vorstellen kann. Und kein anderer Job auf dieser Erde ist so hart wie das Rollenspiel. Und so lebensgefährlich. Und so schön!

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Tag der Veröffentlichung: 08.10.2011

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