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Prolog

Wenn du am Morgen erwachst,

denke daran, was für ein köstlicher Schatz es ist,

zu leben, zu atmen und sich freuen zu können.

Marc Aurel (121 - 180),

römischer Kaiser und Philosoph

 

Wenn im Osten früh Morgens die Sonne aufgeht, dann, so sagte mein Großvater, beginnt ein neuer Tag. Und ein neuer Tag, bringt für gewöhnlich neue Herausforderungen. Neue Aufgaben, neues Glück.

Das mit den neuen Herausforderungen stimmt. Nur das mit dem neuen Glück nicht.

 

Mein Name ist Romy Davids. Ich bin 24 Jahre alt, aber alles andere als erwachsen. Mein Leben war schon immer furchtbar. Nicht weil mein Vater vieleicht irgendetwas falsch gemacht hat. Im Gegenteil, er hat alles für meine Schwester und mich getan. Alles was er konnte jedenfalls.

Er ist ein einfacher Mann, eher klein, etwas rundlich, fast kahlköpfig. Mein Vater ist sowohl ein freundlicher, als auch melancholischer Mann. Aber beides nicht gleichzeitig. Er macht sich immer selbstvorwürfe, weil das was er für unser Leben wollte nicht klappt.

Zum Beispiel Austauschfahrten, an denen wir nie teil genommen haben, obwohl es nie eine schlechte Idee gewesen wäre. Im Gegenteil. Wir wären wohl gern gefahren. Aber es fehlte stets das nötige Kleingeld.

Oder die vielen Fotos des Schulfotografen. Wir haben uns stets Fotografieren lassen aber die Bilder nie genommen.  Unseren Lehrern erzählten wir, dass uns die Bilder nicht gefiehlen. Die Wahrheit war aber eine andere. Irgendwann begann unser Vater, nachdem er einen neuen Drucker mit Scaner hatte, die Fotos zu scanen bevor wir sie zurück gaben. Im Prinzip hatten wir diese Fotos. Wenn auch nur als Datei auf irgendeinem Stick.

Das er uns nicht all das leisten konnte, darunter litt unser Vater. Obwohl wir versuchten ihm zu versichern, dass er ein guter Vater war. Er ist je her  sehr sensibel Mensch. Genau wie ich.

Meine Schwester ist da anders. Sie denkt meistens nur an sich. Das was ihr in irgendeiner weise Hilft begrüßt sie. Alles andere ist ihr egal. Anderen hilft sie nur, wenn sie dadurch jemanden in der Hand hat. Wenn ihr etwas nicht passt und nicht so funktioniert wie sie es will rasstet sie aus.

Ein Beispiel: Ich hatte einen Virtrag vorzubereiten und brauchte dazu das Internet. Doch an dem einzigen Computer mit  internetanschluss saß meine Schwester seit sie vormir aus der Schule gekommen war. Immer wenn ich sie fragte wann ich ran konnte hieß es: "Noch 5 Minuten". Es wurde immer später, also wurde ich langsam sauer. Und sie brüllte mich an. Unser Vater war auf Arbeit und da er Alleinerziehend war, waren wir alleine. Ich drohte mit einem Anruf bei unserem Vater und sie räumte bockig den Platz.

"In ner halben Stunde bin ich dran," schnautzte sie und rannte aus dem Raum. "Vergiss es, ich habe Hausaufgaben zu tun. Ich geh hier weg wenn ich fertig bin," brüllte ich und begann. Ne halbe Stunde später hatte ich gerade etwas Material für meine Einleitung gefunden, aber noch nicht gelesen, da stand sie plötzlich hinter mir und wollte mich vom Stuhl zerren. Als lautes streiten nichts mehr brachte, schalltete sie plötzlich den PC ausund löschte somit meine ganze Arbeit.

Irgendwie habe ich meinen Vortrag am Ende doch noch geschafft. Aber es blieb nicht bei wüsten Beschimpfungen, PC auschalten und übler Nachrede. Einmal bekam ich eine Pfanne mit heißem Essen fast ab, das Ding hatte mich um einen knappen Zentimeter verfehlt, und das nur weil ich aus höflichkeit nach ihrem Tag gefragt hatte.

Meine Erzeugerin hatte keine Interesse an unserem Leben. Zahlte auch keinen Unterhalt. Eigentlich willich gar nicht über sie reden. Nur eins: Sie schuldet mir 20.000€ Unterhalt.

 

 Ich bin nicht hier um meine Lebensgeschichte zu erzählen. Es gibt Leute, denen geht es schlechter. Und auch wenn ich  es nie einfach hatte, so komme ich über die Runden.

Ich will etwas anderes erzählen.

Ich will von einer Zeit erzählen, die die schwerste in meinem Leben war.

Ich will von einem Mann erzählen, der mir das wichtigste war, was ich hatte.

Und vieleicht erzähle ich doch etwas von mir.

1.Kapitel

Es war im Prinzip ein gewöhnlicher Tag. Nach dem ich vor einem halben Jahr meine Ausbildung zur Erzieherin beendet hatte arbeitete ich in einem naturpädagogischen Kindergarten. Ich liebte meine Arbeit und das Gehalt war auch nicht schlecht. Die Kinder liebten mich und meine Kollegen konnten mich ganz gut leiden. Mein Freund, mit demich seit fast Drei Haren zusammen war, hatte sich entschlossen lassen mit mir in eine Größere Wohnung zu ziehen. Ich wollte zwar aus meiner Wohnung raus, aber eigentlich wollte ich weiter weg, als aus der kleinen 31 quatratmeter großem Einraumwohnung. Deshalb hatte ich ihmerklärt, dass ich fürs erste bei ihm einziehen würde.

In drei Monaten war der Umzug. Das war aber noch ne ganze Zeit hin. An diesem Tag, der so anfing wie jeder andere, ging ich am frühen Morgen aus dem Haus und bestieg mein Fahrrad. Ich hatte keinen Führerschein und da ich im Moment mit meinem Fahrrad überall hinkam brauchte ich keinen. Auf der Arbeit angelangt begrüßte mich am Tor das Erste Kind des Tages. Sandra rannte strahlen auf mich zu und umarmte mich. "Guten Morgen Romy," schrie sie und nach dem ich das Guten Morgen erwiedert hatte begrüßte ichlächelnd ihre Mutter. Diese verabschiedete sich gleich von ihrer Tochter und ging.

Zusammen mit Sandra betrat ich den noch leeren  Kindergarten und begann meine Arbeit. Aufschließem, Fenster aufreißen, Kaffee für die Erzieher und Tee für die Kinder aufsetzten, typische Arbeiten eben. "Na Sandra, was machen wir, bis die anderen kommen?" fragte ich sie, während ich die kleine in die Liste eindrug. "Mmmh malen," erklärte die Kleine überschwänglich und setzte sich sofort an den Maltisch. Sandra war stets um sechs schon da. Und die nächsten Kinder kamen erst um halb sieben.

Also setzte ich mich ebenfalls an den Tisch und zog  mir ein Blatt und einen grünen Stift  heran und began Stiele und Blätter zu malen. "Was malst du da?" fragte Sandra und hob den Kopf. "Ähm... Einen Blumenstrauß," erklärte ich. "Oh, du kannst aber toll malen."

Plötzlich fühlte ich mich unter Druck etwas zu ihrem Bild sagen zu müssen. Ich erinnerte mich daran, das Bild mit einemanderen Maßstab zu bewerten als meins. Sie war immerhin erst  vier. "Du kannst aber auch schön malen. Das sind schöne Farben die du da gewählt hast," Erklärte ich.

Der weitere Morgen verlief recht harmlos. Und als um neun alle meine 29 Kinder und einer meiner Gruppenkolleginen eingetroffen waren, schnappte ich mir die Kinder zwischen 3 und 4 und setzte mich mit ihnen an einen Tisch. Ich hatte Laminierte Karten in der Hand, die Gesichter verschiedener Menschen zeigte.

"Wisst ihr, wer alles zu Eurer Familie gehört?" fragte ich und schon begannen die Kinder wild drauf los zu erzählen. "Stopp. Ganz langsam. Erik, wer gehört alles zu deiner Familie?" Der Kleine war 3 und eigentlich ein aufgewecktes Kerlchen, doch er sah mich eine ganze Weile verlegen an. "Mami?" flüsterte er so leise, dass ich es kaum hörte. "Genau. Mami. Und wer noch?" "Papa," schrie Anton. "Genau. Seht mal, ich habe in meiner Hand auch eine gaaanze Familie," erklärte ich und suchte das Foto mit dem kleinen Mädchen. "Das ist Lisa. Und Lisas Familie besteht auch aus einer Mami," ich legte neben Lisas Bild, das Bild einer jungen, braunhaarigen Frau. "Und natürlich auch aus einem Papi," daneben legte ich das Bild eines Mannes mit schwarzen Haaren. "Und ne Omi?" Mira sah mich fragend an. "Genau. Sie hat auch eine Omi und nen Opi," ich legte eines der beiden Bilder, die ein älteres Päärchen zeigte über das Bild des Vaters. "Habt ihr nur einen Opa und nur eine Oma?"fragte ich die Kleinen Und die schüttelten den Kopf. "Nein, Zwei." Ich nickte und legte das zweite Bild daneben. "Ich hab drei," erklärte Sophia-Marie und löste damit unglauben unter den Kinder aus.

"Aha, weißt du auch warum du drei Großeltern hast?" fragte ich die Vier Jährige. "Na von meiner Mama und von meinem Papa und von Christine. Chritine ist Papas Freundin." Ein Scheidungsfamilie. So was haben wir im Kindergarten oft. Auch Patchworkfamilien. Sophia-Marie stand wenigstens nicht alleine da. Statt an Lisas beispiel eine Familie aufzustellen, begannen wir darüber zu reden, wer noch mehrere Mütter oder Väter hatte. Als den Kindern der Gesprächsstoff ausging schickte ich sie raus auf den Spielplatz.

 

Nach dem mein Arbeitstag zuende war stieg ich wieder auf mein Fahrrad und fuhr los. Ich wollte noch etwas Einkaufen bevor ich nach Hause fuhr. Denn heute Abend wollte Georg zum Essen kommen. Und  es sollte Putenbrust mit Petersilienkartoffeln und Mischgemüse geben. Mir fehlte nicht viel. Lediglich Soßenpulver, Pflanzenöl  und vieleicht noch ein-zwei Gurken für einen Salat. Ich fand im Lidl auch alles was ich brauchte.

Ich hatte die Gewohnheit, alles mitzurechnen, wenn ich einkaufen ging. Und auch wenn ich bereits alles durchgerechnet hatte,warf ichnoch einen Blick auf mein Handy, um sicher zugehen, welche Summe ich bezahlen muss. Mein Handy spinnte in letzter Zeit immer häufiger. Ich hatte es wohl einmal zu oft fallen lassen. Jedenfall rief es Plötzlich die Nummer meines Vaters  auf und wählte. Genervt drückte ich es weg und steckte mein Handy ein. Ich brauche dringend ein neues.

Nachdem ich endlich in meiner Wohnung angekommen war, setzte ich das Wasser für die Kartoffeln auf und füllte das Mischgemüse in die Mikrowellenschüssel. Eine Stunde, dann würde Georg hier sein. Obwohlich gerne kochte und backte kam ich in meiner kleinen Wohnung nicht dazu. Da fehlte einfach die lust, wenn man keine Arbeitsfläche hatte und nur zwei Arbeitsplatten. Deshalb aß ich entweder Fertiggerichte, Brot oder bei Georg. Und da kochte ausschließlich er. Deshalb genoß ich es auch ihm zu zeigen, dass ich diese Kunst auch beherrschte.

Gerade räumte ich den Esstisch frei  um ihn später decken zu können, als neben mir das Telefon klingelte. Ich setzte mich also und hob ab. Hoffentlich sagte Georg nicht ab. Ich hob ab und hörte erstmal nichts. "Hallo?" Ich wartete kurz und war plötzlich ziemlich überrascht, als sich Bodo meldete. Mein Vater hatte vor Zwei Jahren seine langjährige Freundin Anna geheiratet. Und Mit ihr wohnte er im Haus ihrer Eltern Bodo und Tanja. Bisher hatten die beiden  mich gerade mal zum Geburtstag angerufen. Und dieser lag fünf Monate zurück.

"Hallo Romy. Ich muss dir etwas sagen. Ich weiß nicht wie ich es sagen soll...", drückste er herum. "Bodo,alles in Ordnung? Ist was mit Tanja?" Tanja hatte seit längerem ein Lungenproblem und war öfters im Krankenhaus. Aber warum rief mich dann Bodo an. Undnicht Mama, also Anna. Oder mein Vater. "Ist was mit Mama und Papa?" fragte ich erneut,weil ich auf  meine erste Frage keine Antwort erhalten habe. "Es geht um deinen Vater. Er hatte einen Unfall. Er war schwer verletzt. Er hat es nicht geschafft. Romy es tut mir so Leid..." Mehr bekam ich nicht mit. Der Hörer rutschte mir aus der Hand, prallte auf den Boden und zersprang.

2.Kapitel

Stellt man sich vor, man hätte in beiden Ohren eine ganze handvoll Watte gestopft, ein ganzes Flammenmeer verschluckt und ein halbes Dutzend Schraubzwingen ums Herz festgezogen, so hat man eine wage Vorstellung wie ich mich fühlte. Irgendwo schrie jemand, und irgendwer klopfte an die Tür. Doch unter mir ruhte der kühle glatte Laminatboden und ich war unfähig mich zu bewegen. Umehrlich zu sein war ich unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.

Irgendwann hob mich jemand auf die Füße, schüttelte mich, doch ich sah nichts außer bunter schlieren. Ich bekam nur am Rande wahr, dass ich weitergeben wurde, die Hände eines Mannes mit fester Jacke, der nach etwas roch, dass ich irgendwoher kannte. Wie im Traum schob er mich mit sich aus dem Haus, hob mich mit Hilfe eines Zweiten in einen hellen Transporter. Das Blaue Licht blitze immer wieder auf doch selbst das interressierte mich nicht. Irgendwo schrie jemand noch immer.

Ein Dritter gab mir eine Spritze und kurz darauf klang der schmerz inmeiner Brust ab und bleiernde müdigkeit umfing mich. "Können Sie mich hören?" Ja. Aber kein Wort kam heraus. "Wie ist ihr Name? Romy Davids? Ok. Romy, können Sie mich hören? Sie ist nicht ansprechbar." Langsam wurden die Bilder und Geräusche klarer. Ein Krankenwagen. Polizei. Nachbarn. Der Hausmeister. Und Georg. Ganz blass stand er da.

"Wir nehmen sie mit. Sieht nach einem Nervenzusammenbruch aus," erklärte der eine Notarzt und sprang aus dem Wagen. "Kann ich mit kommen? Sie ist meine Freundin," Georgs Stimme drang durch die sich schließende Tür. Bitte komm mit. Bitte. Müde schloss ich die Augen.

 

"Romy, hör auf damit. Es reicht!" Georg stand mitten in der Tür der Kleinen Küche und brüllte. Normalerweise war er ein sehr ruhiger Mann. Deshalb verstand ich es noch weniger, warum er schrie. "Ich... Ich brauche nur Mehl. Und  Eier. Vieleicht auch noch etwas Zucker. Das hier ist fast alle. Ich könnte eine Sahnecremtorte machen. Dann brauche ich nur noch Sahne, Butter...", erklärte ich und wurde von Georg unterbrochen, der mich an den Armen packte und kräftig schüttelte. "Nein. Seit zwei Monaten backst du in einer Tour. Und du hörst nicht auf. Apfelkuchen, Erdbeertorte, Mamorkuchen, Streuselkuchen... Ich kann  es nicht mehr sehen.  Tag und Nacht stehts du in der Küche oder kaufst Zutaten. Es reicht, Romy."

Georg übertrieb. "Georg, ich ... Mein Vater kommt sicher bald um uns zu besuchen. Ich möchte einfach einen Kuchen haben, den ich ihmanbieten kann. Papa liebt meine Kuchen. Du doch auch. Und jetzt muss ich einkaufen," erklärte ich und machte mich von ihm los. "Dein Vater ist Tod. Das weißt du. Wir waren auf seiner Beerdigung," rief  Georg. "Nein. Das war nicht mein Vater. Ihr wolltet mich reinlegen. Aber ich bin nicht so blöd. Mich legt ihr nicht rein," lachte ich und wandte mich zur Tür um zu gehen.

Plötzlich packte er mich am Arm, riß mich zurück und knallte mir eine. Entsetzt taumelte ich zurück. "Es tut mir Leid Romy. Ich... Du machst mich wahnsinnig. Dein Vater ist Tod. Er kommt nicht wieder. Siehst ein. Bitte," flüsterte Georg und zog mich in die Arme. "Nein. Er ist doch mein Vater," schluchzte ich.

 

"Nichts schon wieder.  Es reicht. Wo ist das Telefon," erklärte Georg. Lächelnd warf ich einen Blick aus der Küche. "Alles  in Ordnung, Schatz? Ich mache gerade Mohncremtorte. Du machst doch Mohncremtorte?" Plabberte ich drauf loß. Ich liebte es zu backen. Und im Moment ging ich voll darin. Meinem Vater hatte ich in den letzten Wochen mehrfach Kuchen geschickt. Torte mochte er bestimmt auch,aber den per Post zu verschicken war schwieriger. Wie sollte ich die den so verpacken, damit er nicht kaput ging.

"So, ich hab die Schnauze voll. Du brauchst Hilfe Romy," erklärte Georg und legte den Hörer beiseite. "Oh, das ist schön. Wenn du mir helfen willst, kannst du schon mal den Tortenboden aus dem Ofen holen." Lächelnd fuhr ich fort die Mohncrem zuschlagen. Georg trat wütend auf den Herd zu, öffnete die Tür und holte die Backform heraus. So wie sie war, knallte er den Tortenboden in den Mülleimer.

"Oh, Georg. Warum hast du das gemacht? Jetzt muss ich einen neuen Boden machen," erklärte ich etwas niedergeschlagen, stellte die Schüssel mit der Crem beiseite und zog eine Neue Schüssel hervor. "Nein. Nein! Hör auf, sofort!"  Georg riss mir die Schüssel aus der Hand und pfiff sie in die Ecke. "Keine Kuchen mehr. Keine Torten. Keine Muffins. Keine Kekse, Plätzchen, Cake Pops etc. Es reicht. Du brauchst hilfe," brüllte Georg. verwirrt sah ich ihn an. "Willst du was anderes? Brownies? Du magst doch Christstollen. Es ist zwar noch lange nicht Weihnachten..." "NEIN!"

 

"Frau Davids? Kommen sie mit uns? Bitte," Zwei Männer in weiß standen Plötzlich in meiner Küche. Verwundert aber freundlich lächelte ich sie an. "Wohin den?" fragend sah ich beide Männer an. "Oh, nehmen sie sie mit. Bitte. Sonst backt sie uns noch ein Lebkuchenhaus wie aus dem Märchen," flehte Georg. Das war doch mal eine Gute Idee. "Lebkuchen. Georg das ist genial. Das hab ich noch nicht," strahlen zog ich neue Schüsseln aus dem Schrank und stellte fest, dass ich nicht mehr ausreichend Zutaten hatten. "Oh, jetzt muss ich nochmal einkaufen gehen," erklärte ich und lächelte.

"Nein. Romy, du gehst mit diesen Männern mit. Du lässt dich einweisen und dir helfen, sonst ist das mit uns vorbei. Ist das klar?" Mein Lächeln verschwand. Warum einweisen. Mit mir war doch alles in Ordnung? "Romy, du backst rund um die Uhr. Seit 3 Monaten. Seit 3 Monaten bekomme ich nichts weiter zu essen, als irgendwelches Gebäck. Du schickst Kuchen an deinen Vater. Er ist tot. Er wird den Kuchen nicht essen," erklärte Georg. Schmollend sah ich ihn an. "Er ist bnicht tot," flüsterte ich. Warum hörte er nicht auf, mir so was einzu reden. Mein Vater lebte. Er war doch mein Vater.

 

Nur wiederwillig fuhr ich mit den Männern mit. Spätestens in der Klinik würde man merken, dass alles in Ordnung war. Nicht ich war es, mit dem etwas nicht stimmte. Nein, es waren die anderen. Sie hatten einen grausamen Humor. Man erzählte doch nicht einfach, dass jemand tot sei, wenn es nicht stimmte. Mein Vater lebt. Er hatte nur viel zu tun. Sonst hätte er sich schon längst bei ihr gemeldet. Er lebte. Er war doch ihr Vater.

3.Kapitel

"Wie geht es dir?" Georg sah mich unsicher an. Der kleine Park war voller Patienten, die entweder mit Angehörigen oder Pflegern draußen waren. In den letzten Wochen hatte ich jeden Tag Sitzungen mit Therapeuten und Selbsthilfegruppen. Und langsam war mir bewusst geworden, dass mein Vater wirklich nicht mehr da war. Dass ich es verträngen wollte. Nicht war haben wollte.  Schwer vorzustellen, dass mein vater nicht mehr da war. Einfach weg.

"Ganz gut, glaub ich. Ich frag mich nur immer wieder, wie das passieren konnte. Es soll ein Wildunfall gewesen sein. Aber Papa ist doch immer ein so vorsichtiger Fahrer," begann ich und musste schluchzen. Mein Freund zog mich in seine Arme und ich versuchte mich zu beruhigen. Sein Duft. Ich konzentrierte mich darauf und konnte Cappuchino riechen. Das war mein Georg.

"Es wird alles wieder gut. Du wirst sehen," flüsterte Georg. "Nein, wird es nicht. Mein Vater ist Tod. Er kommt nie wieder. Er hat mich einfach allein gelassen," schrie ich und ignorierte die verstörten Blicke der anderen.  "Das ist doch nicht seine  Schuld," erwiederte er und ließ mich los. "Und warum nicht? Nie ist ihm was passiert. Er ist immer vorsichtig gefahren. Und dann ist er plötzlich tot. Er hätte aufpassen müssen. Wie sonst auch. Warum hat er es diesmal nicht getan?" Heiße Tränen rannen mir über das Gesicht und irgendwo, in einer hinteren Ecke meines bewusstsein, fürchtete ich, dass ich Georg unrecht tat.

Ich wusste ja jetzt, was in den letzten Monaten vorgefallen war. Und ich hatte eigentlich vorgehabt, ihm keine weiteren Probleme zu machen. Trotzdem konnte ich einfach nicht an mir halten. "Vieleicht wollte er einfach sterben? Er hat schon immer gesagt, wir bringen ihn irgendwann einmalins Grab. Vieleicht waren wir wirklich so furchtbar," schluchzte ich. Meine Schwester und ich hatten uns immer in der Wolle gehabt und wenn Papa eingriff hat es uns auch nie gepasst gehabt, da wir immer der Meinung waren, dass er uns unfair behandelte.

"Romy, du spinnst. Er hat euch geliebt. Das ihr ihn noch ins Grab bringt, hat er doch nur gesagt, wenn er  wütend war. Weil ihr mal wieder am rumzicken wart. Ich kenne dich und deine Schwester. Und deinen Vater. Er hat das nie ernst gemeint," flüsterte er eindringlich auf mich ein. "Du siehst doch was heraus gekommen ist. Er ist tot. Und ich bin Schuld," weinte ich leise. Georg zog mich in die Arme und strich mir über den Rücken. "Nein, bist du nicht. Keiner ist Schuld. Ich liebe dich. Und es wird alles wieder gut."

 

"Ich glaube manchmal, dass es mit ihr nicht besser wird. Dass sie wieder so ist wie früher. Es sind jetzt Vier Monate her, seit ihr Vater gestorben ist. Und ich weiß nicht ob es schlimmer ist, dass sie fast die ganze Zeit weint und allem und jedem Vorwürfe macht, oder ob sie strahlend in der Küche steht und backt," erklärte mein Freund neben mir dem Therapeuten. Der hörte aufmerksam zu und wandte sich dann mir zu. "Wie sehen sie das, Romy?"

Ich räusperte mich und setzte mich auf dem breiten Sofa besser auf. "Es tut immer noch weh, an ihn zu denken. Ich habe ständig das Gefühl, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren. Ich kann nicht schlafen. Ich weiß nicht warum. Es ist, als wenn ich irgendwas vergessen hätte. Ich kann einfach nicht glauben, dass er nicht mehr da ist. Er war immer für mich da."

"Das ist ganz normal. Sie sagten selbst, dass ihr Vater für sie eine konstante in ihrem Leben war. Der Fels in der Brandung, an dem sie sich orientiert hatten. Sie müssen lernen sich jetzt einen neuen Felsen zu suchen. Ein Ziel, zum Beispiel. Und seien sie unbesorgt,  wenn sie denken, dass sie nicht schnell genug Fortschritte machen. Romy, sie machen das gut. Und Georg, ihre Freundin befindet sich gerade in der Trauerphase," erklärte der Therapeut.

Die vier Stadien der Trauer. Er hatte mir bei meiner Ersten Sitzung davon erzählt. Wie war das:  Nicht-Wahrhaben-wollen, aufbrechende Emotionen, ...? Ach keine Ahnung. Ich konnte ihn ja nochmal fragen. Aber erst mal wollte ich zuhören, was der mann zusagen hatte.

"Jeder geht mit Trauer anders um, aber man kann davon ausgehen, dass der Verarbeitungsprozess ähnlich wie ein weg ist, den man geht. Romy sie sind gerade in der Zweiten Phase. Bei den aufbrechenden emotionen. Sie suchen eine Erklärung. Sie suchen einen Schuldigen. Sie erleben den schmerz immer wieder. Es wird eine weile dauern. Also lassen sie sich Zeit."

4.Kapitel

Ich kam letzte Woche endlich aus der Klinik heraus. Mein Zustand wäre weitestgehend stabil. Georg hatte Urlaub und weil ich ihm eine Freunde machen wollte, fuhren wir an die Ostsee. Innerlich war da immer noch eine leere in mir, aber ich konnte mich langsam mit dem Tod meines Vaters abfinden.

Helfen tat mir ein Fotoalbum, dass meine Schwester zusammengestellt hatte. Eigentlich war es mehr einleeres Album und ein Stapel Fotos. Sie hatte alles rausgesucht, ungefähre Daten auf die Rückseite geschrieben. Und ich sollte sie auf Kreative Weise einkleben. Dieses Album mit dem Unschlag mit den Fotos lag jetzt auf meinem Schoß. Georg saß neben mir auf dem Sitz und lass. Es störte ihn nicht, dass ich mich damit beschäfftigte. Es half mir ja.

"Sie mal, da waren wir noch ganz Klein. Mann, ich weiß nicht einmal mehr wo das war," ich zeigte ihm ein Foto, auf dem mein vater,meine Schwester und ich zusehen waren. Wir lächelten gemeinsamin die Kamera, während wir anscheined vor einem Brunnen saßen. "Und wo war das?" fragte Georg und zeigte auf das nächste Foto.

Auf dem war mein Vater in einer blauen Badehose und Sonnenbrille zusehen. "Bodensee. Glaube ich jedenfalls," ich nahm es engegen und betrachtete es. Papa war den ganzen Sommer nur in badehosen rumgerannt. Halbnackt. Sein Dunkles Brusthaar zur Schau stellend. Was sagte mein Vater immer? Ach ja, "Ich hab 3 Haare auf der Brust ich bin ein Bär." Oder eigentlich sang er es immer.

Seuzend nahm ich das nächste Foto in die Hand. Ein Babyfoto von meinem Vater. Das er mal so klein gewesen war. 56 Jahre später und ... Ich atmete tief durch. Ich zog noch zwei weitere Fotos hervor. Babyfotos von uns, jeweils mit Papa. Eine Ähnlichkeit bestand. Auch wenn Papas Babyfoto schwarz-weiß war, erkannte ich meine Augen in seinem Gesicht. Aber meine Schwester, sah genau wie er in die Kamera. Mit großen Augen. Neugierig.

Es gab noch zahlreiche weitere Fotos. Einige kannte ich bereits. Andere nicht. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass  mein Vater ein schönes Leben gehabt hatte. Auch wenn es mehr Tiefen als Höhen gehabt hatte.

 

Ich versuchte während unserem Urlaub, die Gedanken an meinen Vater zu verdrängen. Es war unser Urlaub. Georg und meiner. Trotzdem fielen mir einige Sachen ein. Wie zum Beisiel der Urlaub vor über 10 jahren an der Ostsee. Wir hatten zusammen eine Sandburg gebaut, die zusammenbrach kaum, dass sie sie fertig war. Oder wie Papa von einer Qualle verbrannt wurde. Es war nicht schlimm gewesen, aber die roten Striemen bliebn noch  einige Tage nach dem Urlaub als Erinnerung zu sehen.

Ich erinnere mich auch, dass Papas Lieblingseis Schoko und Capucciino war. Und obwohl ich Cappuchino hasste, wählte ich bei jedem Eisessen Schoko und Cappuchino. Georg sah mich jedesmal misstrauisch an, sagte aber kein Ton. Trotzdem kam  in mir das Gefühl hoch, dass er genervt von mir war. Ich hasste das Gefühl. Denn mit dem Gefühl kam auch der Gedanke, dass er reißaus nehmen würde. Und das war das letzte was ich wollte. Als er mich gegen ende des Urlaubs wieder so misstrauisch ansah, beschloss ich ihn darauf anzusprechen. "Also, raus mit der Sprache!"

"Wie bitte?" Georg hob die Augenbrauen und sah mich fragend an. "Sag was du denkst. Machst du doch sonst auch," forderte ich ihn auf. Seufzend sah er weg und zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung was du meinst." Wütend schnaubte ich und sprang aus dem heißen Sand auf. "Sags doch einfach. Du bist unmöglich. Du denkst nur an deinen Vater. Komm endlich drüber hinweg..." fauchte ich und kam mir mehr als doof vor. "Nein. Werd ich nicht. Ich liebe dich, Romy. So wie du bist. Auch wenn du dich ziemlich merkwürdig verhälst. Aber es ist mir egal, weil es dir lagsam besser geht. Und das ist das wichtigste. Ich hab dich schon immer mit deinem Vater teilen müssen. Also ändert sich ja nichts daran,"  erklärte er entschieden.

"Wirklich? Du meinst das Ernst?" Jetzt sah ich ihn misstrauisch an. Georg begann zu lächeln und kniete sich plötzlich vor mir in den Sand. "Eigentlich wollte ich dich das erst fragen, wenn wir zurück sind. Aber... Romy, willst du mich heiraten? Willst du mit mir zusammen dein Leben verbringen? Eine Familie gründen und durch dick und dünn gehen?" Überrascht sah ich ihn an.

All die letzten Jahre seit ich ihn kannte habe ich mich gefragt ob er je diese frage stellen würde und vorallem wie. Und jetzt kam es so überraschend, dass ich nicht wusste was ich sagen sollte.

Epilog

Es war jetzt ein Jahr vergangen, seit mein Vater gestorben war. Zwar ging ich bereits seit Monaten wieder arbeiten. Doch Heute war mein letzter Arbeitstag in meiner alten Einrichtung.

Georg und Ich hatten beschlossen uns an einem anderen Ort, was eigenes Aufzubauen. Die meisten unserer Sachen waren bereits gepackt, Möbel abgebaut und lediglich die Matrazte unseres Bettes lag noch vollkommen bezogen auf dem Boden. Morgen würde der Umzugswagen kommen, meine Schwester und ihr Freund kamen umzu helfen.

Lächelnd nahm ich des Expose unseres neuen Heims in die Hand. Ein kleines Einfamilienhaus in einer kleinen idyllischen Kleinsstadt mit kleinem Garten. Es sah traumhaft aus. Georg hatte in der nächsten Stadt eine gute Arbeit gefunden und ich konnte in einer Woche im Örtlichen Kindergarten arbeiten. Es war kein natuurpädagogischer Kindergarten. Aber die Einrichtung war trotzdem groß und hell und somit gar nicht mal so schlecht.

Heiraten wollten Georg und ich in ungefähr einem Jahr. Wie, darüber hatten wir noch nicht gesprochen. Erstmal stand der Umzug an. Ich freute mich schon rießig darauf.

 

Noch gut erinnere ich mich an den einen Morgen vor gut sechs Wochen. Es war ein Samstag und ich wachte mit den Ersten Sonnenstrahlen auf. Seit dem Tod meines Vaters, hatte ich lediglich die Stunden gezählt und wenig auf meine Umgebung geachtet.

Diesmal jedoch fühlte es  sich anders an. Ich stand auf, zog mir rasch eine Jogginghose und eine jacke über und verließ Georgs Wohnung. Ich setze mich auf eine Bank hinter dem Haus. Über den Bäumen des Parks, der sich hinter dem Mietshaus erstreckte, ging die Sonne auf. Die Vögel zwitscherten.

Das Leben ging weiter. Und es war schön. Es fühlte sich richtig an. Befreiend. Plötzlich war alles weggespült. Die Trauer. Die Angst. Das Gefühl nun ganz allein zu sein.

Ich lebte. Und auch wenn ein Leben nur kurz war, so war es zu schön, sah man sich diesen Sonnenaufgang an, als dass man weiter Trübsal bließ.

Mein Vater hätte das nicht gewollt. Und ich wollte das auch nicht mehr. Ich wollte jetzt nur noch an die Zukunft denken. An diesen und jeden anderen Morgen, der kommen würde.

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Tag der Veröffentlichung: 11.07.2014

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