Wenn es mir schlecht geht und ich unruhig bin, fahre ich gerne Rolltreppen. Ich meine nicht nur anstatt den Aufzug zu nehmen oder anstatt Treppen zu laufen. Nein. Ich verbringe gerne Zeit auf den beweglichen Stufen. Mich beruhigt das leise Rattern, das elektrische Surren.
Ein wenig erinnern mich die Geräusche ans Zugfahren.
Auf Rolltreppen kann ich mich treiben lassen und zur Ruhe kommen.
Ich kenne jede Rolltreppe in der Stadt. Die Kurze am Bahnhof, die fast Endlosen in den Kaufhäusern, in den größeren Galerien und die Vereinzelten in den Bürogebäuden.
Am liebsten habe ich die Beidseitigen in den Kaufhäusern. So wird der kurze Fahrgenuss durch einen kurzen Fußmarsch unterbrochen. Bei manchen ist der Weg länger, bei einigen kürzer. Was ich lieber mag, hängt von meiner Tagesform ab und wie viele Menschen unterwegs sind. Ich hasse es immer ausweichen zu müssen.
Ich teile mein Geheimnis mit keinem Menschen.
Anfangs habe ich mir richtige Touren überlegt, damit es niemanden auffällt. Erst Kurfürsten-Galerie. Die Vorne, dann die Hintere und zum Schluss die beiden Mittleren. Dann ein kurzer Fußmarsch rüber in den City Point. Einmal ganz rauf, kurz durch den Saturn, damit es nicht auffällt und auf der anderen Seite wieder runter. Und noch eine Runde. Auch habe ich nie nie länger als zehn Minuten an einer Rolltreppe verbracht und meistens zu Zeiten, in denen nicht so viel los ist. Mittlerweile ist es mir egal.
Ich habe bemerkt, dass mich das allseitige Desinteresse schützt. Die Menschen schauen meistens rauf, wenn sie fahren oder sie unterhalten sich mit ihrer Begleitung.
Einige laufen die Rolltreppen sogar hoch und erhoffen sich eine Zeitersparnis. Diese Menschen mag ich gar nicht. Sie genießen nicht einmal die kurze Ruhepause des Rolltreppenfahrens. Geben sich dem allgemeinen Stress vollkommen hin.
Kinder sind am besten. Mit großen Augen passen sie den Einstieg ab, haben Respekt vor dem Spalt aus dem die Stufen erscheinen und sind dann erstaunt über die beweglichen und unbeweglichen Teile der Rolltreppe. Oben angekommen springen sie über den Spalt, der die Stufen wieder verschluckt.
Faszinierend sind auch Pärchen. Oft dreht sie sich zu ihrem Geliebten um, bis kurz vor der nächsten Etage, wo sie sich gerade noch so umdreht, dass sie nicht über das Ende stolpert. Einige fahren auch nebeneinander, tief ins Gespräch vertieft fahren sie immer weiter und sind überrascht, wie schnell sie an ihrem Ziel sind.
Am schlimmsten sind Geschäftsleute. Entweder sie gehören zu dem Typus, der die Rolltreppen hinauf- oder herunter rast. Der nächste Geschäftstermin wartet schließlich. Oder sie schauen genervt und teilnahmslos in die Gegend ohne wirklich was zu sehen. Nehmen nicht mal die entgegenkommenden Menschen wahr.
Das tun allgemein Wenige.
Vielleicht ein kurzer prüfender Blick, aber eher ein daran Vorbeischauen. Nur wenige schauen einen länger an und dabei zu wie man vorbeifährt.
Ich liebe es Menschen zu beobachten, wie sie unten auf die Rolltreppe steigen und immer näher kommen. Langsam bewegt man sich aufeinander zu, aneinander vorbei und sieht sich aus vollkommen unterschiedlichen Perspektiven. Wenn man von oben kommt, kann man selbst den größten Menschen auf den Kopf blicken.
Einmal habe ich ein kleines Mädchen getroffen. Sie ist auch die Rolltreppen rauf und runter gefahren. Wir sind ein paar mal aneinander vorbei gefahren. Erst hat sie mich gar nicht bemerkt, dann hat sie mich jedes Mal, wenn sie an mir vorbeigefahren ist angelächelt. Irgendwann war sie dann weg. Aber ich bin sowieso lieber für mich.
Lausche dem Rattern der Stufen. Schaue die vorbeifahrenden Menschen an. Fahre mir den ganzen Frust des Tages von der Seele.
Tag der Veröffentlichung: 24.08.2011
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