Nicht erschrecken, wenn Sie die Feuilleton-Artikel der letztn Tage und Wochen nicht verstanden haben.
Sie sind ja vielleicht ein Existenzialist?
Das wohl bekannteste Zitat eines Existenzialisten ist das von Jean-Paul Sartre: „Die Existenz geht der Essenz voraus.“
Mit Essenz ist hier allgemeine Wesensbestimmung gemeint, wenn man den Menschen z. B. als biologisches oder als vernunftbegabtes Wesen beschreibt.
Existenz bezieht sich dagegen auf das konkrete Dasein des Menschen, das jeder Theorie vorhergeht.
Rein theoretische Aussagen über den Menschen kritisieren die Existenzialisten deshalb als einseitig.
Existenz beinhaltet vielmehr, dass sich der Mensch auf bestimmte Möglichkeiten hin entwirft.
Diese Möglichkeiten werden durch andere Menschen vorgeschrieben. In diesem Fall unterliegt er dem Diktat des „Man“: Man tut dies, man sagt jenes.
Seine wahre Existenz er- und begreift der Mensch aber nur, wenn er sich von den Vorgaben Anderer befreit, wenn er seine eigene Wahl hat.
Dabei kann er sich nicht an einer höheren Ordnung orientieren – das sagen zumindest die modernen Existenzialisten. Die Welt an sich ist sinnlos. Nur der Mensch kann sich einen Sinn geben, wobei er damit rechnen muss, dass dieser Sinn irgendwann wieder hinterfragt wird.
Diese Situation beschreibt Albert Camus in seinem Essay "Der Mythos von Sisyphos".
Der Mensch ist dazu verurteilt, in einer sinnlosen Welt sein Dasein zu fristen. Dieses absurde Schicksal muss er annehmen, ebenso wie Sisyphos seine Strafe annimmt, die darin besteht, einen Stein einen Berg hinaufzurollen und – nachdem der Stein wieder herabgerollt ist – wieder von vorne zu beginnen. Die Revolte gegen das Absurde ist für Camus der einzige Ausweg: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Die Geisteswissenschaften würden die Existenzialisten nicht per se ablehnen. Allerdings kritisieren Existenzdenker wie Martin Heidegger, dass die Wissenschaft nicht ihre existenziellen Voraussetzungen reflektiert.
Vielleicht sind Sie ja Systemtheoretiker?
Die Systemtheorie folgt zentralen Aussagen des Konstruktivismus, der jede Erkenntnis des Menschen als Konstrukt betrachtet. Die Wirklichkeit ist viel zu komplex, um jemals vollständig erfasst werden zu können.
Außerdem kann der Mensch nur das wahrnehmen, was ihm seine Sinne und sein Verstand erschließen. Was er wahrnimmt, ist folglich nicht ein Abbild der Wirklichkeit, sondern ein Konstrukt in seinem Gehirn.
Die Systemtheorie überträgt dieses Modell, das ursprünglich von dem Neurobiologen Humberto Maturana entwickelt wurde, auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Nicht das Bewusstsein, sondern soziale Systeme wie Recht, Wirtschaft oder Kunst konstruieren die Zugänge zur Wirklichkeit.
Das Bewusstsein des Einzelnen gleicht dagegen einer Black Box, von der nur das nach außen dringt, was kommuniziert wird.
Die Kommunikation ist dabei die übergeordnete Größe, an der der Einzelne lediglich teilnimmt. Sie entwickelt eine Eigendynamik, die sich nicht so einfach als die Summe der individuellen Redebeiträge beschreiben lässt. Auch soziale Systeme beschreiben eine höhere Ordnung, an der der Einzelne nur teilnimmt.
Deshalb werden die Leistungen berühmter Forscher häufig überschätzt. Möglich werden neue Erkenntnisse nur innerhalb des Systems Wissenschaft, das alle bisherigen Kenntnisse und Tätigkeiten einzelner Forscher umfasst.
In der modernen Gesellschaft kristallisieren sich diese sozialen Systeme immer deutlicher heraus. Jeder gesellschaftliche Teilbereich wird durch ein System abgedeckt.
Theoretiker wie Niklas Luhmann vertreten die Ansicht, dass sich jedes System auf seinen Zuständigkeitsbereich beschränken sollte, um möglichst effektive Arbeit zu leisten. Die Geisteswissenschaften müssten also ihr Profil schärfen und zugleich den prägenden Einfluss überpersönlicher Systeme hervorheben. Dahinter steht nicht zuletzt die (post-) moderne Vorstellung von der schwindenden Bedeutung des Subjekts.
Sie stehen eher der psychoanalytischen Theorie nahe?
Unter der Psychoanalyse versteht man Freuds Konzept zur Beschreibung und Erklärung des Menschen als eines „biopsychosozialen“ Wesens, das maßgeblich durch unbewusste Prozesse gesteuert wird.
Hinter dem wahrnehmbaren Verhalten und den Normen und Werten einer kulturellen Gemeinschaft verbergen sich unbewusste Bedeutungen, die sich mit Hilfe der psychoanalytischen Konzepte und Methoden entschlüsseln lassen.
So gibt es den Begriff der Sublimierung, mit dem Freud die Umwandlung libidinöser Triebe in geistige Leistungen beschreibt.
Kunstwerke, wissenschaftliche Erkenntnisse oder politische Ideen wären demnach eine geistige Überhöhung irrationaler Triebe, gleichsam eine Kompensation für verdrängte Wünsche und Bedürfnisse.
Der Machttrieb gehört auch in den Bereich des Irrationalen. Der Begriff stammt von dem Psychotherapeuten Alfred Adler. Der dahinterstehende Gedanke besagt, dass das Streben nach Macht und Geltung den Antrieb zu jeder produktiven Leistung bildet.
Eng verbunden mit dieser Triebtheorie ist Freuds Konfliktmodell, welches innere Widersprüche zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen beschreibt. Das Ich steht zwischen den Trieb-Ansprüchen des Es und den moralischen Ansprüchen des Über-Ich.
In der „Frankfurter Schule“ wird dieses Konzept auf gesellschaftliche Zusammenhänge übertragen. Irrationale Gesellschafts-Strukturen schaffen ein falsches Bewusstsein, das überwunden werden soll.
An den Geisteswissenschaften würde die Psychoanalyse vor allem die Ausblendung dieser irrationalen Strukturen kritisieren.
Sie sind vielleicht bei genauerer Überlegng Marxist?
Ob revisionistischer oder revolutionärer Marxist lassen wir an dieser Stelle offen.
Ein wesentlicher Bestandteil des Marxismus ist der historische Materialismus. Dahinter steht die Vorstellung, dass das menschliche Leben maßgeblich durch die Geschichte geprägt wird.
Wir befinden uns immer schon in Verhältnissen, die andere geschaffen haben und denen wir uns in der Regel fraglos unterordnen.
Gesteuert wird die Geschichte durch die sozioökonomischen Verhältnisse, die Produktions- und Arbeitsbedingungen einer Gesellschaft, im Marxismus auch als „Basis“ bezeichnet. Kulturwerke, politische Ideen oder religiöse Anschauungen bilden dagegen den „Überbau“ – Bereiche, mit denen es die Geisteswissenschaften klassischerweise zu tun haben.
Dabei wird der Überbau von den Marxisten als Idealisierung der tatsächlichen Verhältnisse kritisiert. Um sich vom Idealismus abzugrenzen, ersetzen viele Marxisten den Begriff „Geist“ durch den Begriff der „Gesellschaft“. In eine ähnliche Richtung zielt das berühmte Zitat von Marx: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“.
Es sind vor allem die geschichtlichen Verhältnisse, die uns prägen, nicht das bloße Denken. Immerhin: Ganz ohne Theorie funktioniert auch der Marxismus nicht. Die Geschichtsanalyse dient letztendlich dem Zweck, historische Gesetze herauszustellen und nach ihnen zu handeln.
Der Kapitalismus verursacht Krisen, die letztendlich eine Überwindung des Systems erfordern. Theorie und Praxis müssen sich daher ergänzen, entsprechend der These von Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“
Die Einsicht in den Geschichtsverlauf bleibt übrigens einer Elite vorbehalten, der „freien Intelligenz“, so die Formulierung des Soziologen Karl Mannheim. Frei ist diese Intelligenz, weil sie nicht nach Klasseninteressen handelt.
Für gewöhnlich kommt die Elite aus dem Bürgertum, ebenso wie Karl Marx und Friedrich Engels: Marx, der Sohn eines Justizrats, Engels, der Sohn eines erfolgreichen Textilfabrikanten.
Testen Sie sich selbst: Verteilen Sie 100 Prozentpunkte auf die Kapitel!
Sie staunen vielleicht selber darüber, welches Kapitel welche Prozentpunkt-Zahl von Ihnen bekommt!
winkt
Bernd
astromant
Texte: @astromant
Tag der Veröffentlichung: 26.01.2009
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