Adele und Junior waren schon mehrere Tage in einem Raum eingesperrt, der einer Zuchthauszelle des 19. Jahrhunderts glich. Wie lange genau sie schon da drin waren, konnten sie nicht sagen. Jegliches Zeitgefühl hatten sie bereits verloren. Junior hatte, um Adele und sich abzulenken, von amüsanten Erlebnissen auf einer Australien-Rundreise erzählt, die er ein paar Jahre zuvor mit seiner Freundin unternommen hatte. Als er mit dem Erzählen fertig war, fragte er seine Zellengenossin, wie alles zwischen ihr und Konstantin angefangen hatte. Adele schloss die Augen kurz und seufzte: „Es war fast wie in einem Fernsehfilm!“
Die ehemalige Lehrerin begann, von einem Aufruf auf Livisage zu erzählen: „Konni war damals noch Außenminister und suchte eine Begleitung für seinen jährlichen Besuch beim Amsel-Musikpreis. Die Voraussetzungen, die diese mitbringen sollte, meinte ich zu erfüllen. Sie sollte gut aussehen – klar – grundlegende Benimmregeln beherrschen, eine angenehme Gesprächspartnerin sein und sich für Musik interessieren. Ich bewarb mich also.“
Ende November 2012 lud Konstantin sie persönlich mittels eines Videos über Livisage ein, mit ihm zur wichtigsten Preisverleihung jedes Jahres zu gehen. Zwei Wochen später, einen Tag nachdem der Fürst wieder in der Kirshow war, ging die damalige Lehramtsstudentin aus Dreisen mit dem Chefdiplomaten der Böhmisch-Mährischen Republik aus.
Junior fragte, ob sie damals schon verliebt gewesen sei, und Adele nickte: „Irgendwie schon. Er war und ist eben nicht der typische, graumäusige Politiker. Konnis gesamte Erscheinung und Persönlichkeit haben mich schon damals verzaubert.“ Die Klatschpresse verpasste Adele verschiedene Spitznamen wie „des Fürsten Kuschelhäschen“ oder „sechsische Sirene“. Kaum war jedoch der Präsidentschaftswahlkampf zu Beginn des Jahres 2013 mit Konstantins Sieg zu Ende gegangen, hatten die JournalistInnen Adele schon wieder vergessen.
Vier Jahre vergingen. Der Präsident der Böhmisch-Mährischen Republik ging seinen Amtsgeschäften nach. Die gebürtige Blattendorferin absolvierte ihre beiden Staatsexamen sowie ihr Referendariat. Adele verließ nach ihrem zweiten Examen die Lehrlaufbahn, um Hartwigs Assistentin zu werden. Dieser Job versprach aus ihrer Sicht mehr Spaß.
Konstantin verkündete Anfang 2017, dass er für keine zweite Amtszeit kandidieren würde. Am Ende desselben Jahres erschien zur „Amsel“-Verleihung an seiner Seite zum Erstaunen vieler zum zweiten Mal Adele. Die Tabloids schrieben am Folgetag: „Die Funken schienen zwischen dem ungewöhnlichen Paar viel mehr zu fliegen als bei dessen letztem Auftritt vor vier Jahren, als der Präsident noch das höchste Amt im Palais Czorny innehatte.“ Adele verriet Junior noch etwas, das in keiner Zeitung stand: „Auf der Rückfahrt in die Haferstraße hauchte ich ihm gefühlstrunken nach einem Kuss `Ich liebe dich´ zu. Mir war das sofort unangenehm, aber Konni entgegnete prompt dasselbe. Was für ein Glücksgefühl das war…“
Junior umarmte seine gute Freundin und versprach ihr, alles zu tun, um sie beide aus dem düsteren Kabuff, in dem die zwei waren, zu befreien. In diese Szene der Eintracht platzte Cassius Husch, indem er die Zellentür aufschloss sowie mit einem lauten Knall aufschlug: „Oh, schau mal einer an, der missratene Ableger eines großen Staatsmanns mit der Hure des größten Staatsschmarotzers!“ Letzteres spielte auf die Teilrestitution der Familie Schweidnitz an, die unter den Anhängern von Zöllner und Bonnet sen. als rechtswidrig galt.
Der Professor schaltete das Licht an, woraufhin Adele und Junior stark blinzeln mussten, und schmiss der studierten Pädagogin eine Zeitung vor die Füße, auf deren Titelseite eine für die Gefangenen erschreckende Schlagzeile prangte: „Ex-Präsident Schweidnitz nach schwerem Herzinfarkt im Krankenhaus“ Adele blickte Husch böse an: „Das ist doch fake!“ Husch schüttelte langsam den Kopf: „Das ist die Plenninger Post von heute. Die Sorge um Sie hat ihn wohl endgültig ausgeknockt.“ Adele starrte ungläubig auf die Titelseite.
Husch fuhr fort: „Das Ziel Ihrer Entführung ist erreicht; deswegen dürfen Sie gehen, Fräulein Sosnowitz. Der junge Bonnet bleibt hier.“ Adele weigerte sich zunächst, zu gehen, doch Junior bat sie eindringlich darum: „Ich mach den Professor fertig. Bring du dich in Sicherheit!“ Adele zögerte kurz, lief dann jedoch umso entschlossener aus dem Raum und dem Gebäude, das sich als das verlassene, ehemalige Plenninger Siechenhaus herausstellte.
Das Krankenhaus, in dem der Fürst lag, befand sich – welch Zufall – am Konstantinsplatz, nur wenige Blocks entfernt. Bevor sie sich jedoch dorthin aufmachte, begab sie sich in Konstantins Wohnung an der Haferstraße, wo sie sich duschte und umzog. Auf dem Weg zum Krankenhaus kam sie an einer Brandruine vorbei und erschrak: „Die Bibliothek ist abgebrannt!“ Ein Passant erkannte sie: „Es ist schlimm, Fräulein Sosnowitz. Es war wahrscheinlich Brandstiftung. Geht es Ihnen gut?“ Sie antwortete dem Unbekannten: „Nicht so gut.“
Vor der Klinik angekommen traf Adele auf Konstantins Sohn Jonathan, der gerade ein Handygespräch beendet hatte. Jonathan faltete die Hände erleichtert: „Oh, Adele, dir geht es gut, wie schön!“ Adele entgegnete: „Physisch geht’s, aber psychisch bin ich gerade in einem Sturm. Wie geht es deinem Vater?“ Der Erbprinz atmete tief durch: „Er ist sehr geschwächt. Es ist ähnlich wie damals, als Mama ihren schweren Unfall hatte.“ Adele nickte: „Davon weiß ich und genau diese Parallele ist mitunter das Schlimmste an der ganzen Sache!“
Die zwei verabschiedeten sich voneinander und Adele ging langsamen Schrittes zur Krankenhaus-Rezeption. Die Dame hinter der Empfangstheke erkannte Konstantins Liebste ebenfalls sofort: „Guten Tag, Fräulein Sosnowitz! Herr Schweidnitz ist in Zimmer 48 im vierten Stock.“ Adele bedankte sich für die Information und nahm den Aufzug in die vierte Etage. Nach einigen Sekunden fand sie Raum 48, klopfte an, wartete etwas und öffnete die Tür. Während sie vorsichtig in das sonnenhelle Zimmer eintrat, kamen ihr die Tränen.
Konstantin schien zu schlafen. Adele setzte sich neben sein Bett und nahm
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2023
ISBN: 978-3-7554-6528-7
Alle Rechte vorbehalten