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Violet broke the Darkness




†_Prolog_†




Ich schaute aus dem Fenster in den strömenden Regen.
Heute war wirklich nicht mein Tag. Erst hatte mir Hillary in der Schule den Eimer mit Putzwasser übergegossen und anschließend waren auch noch die Schulduschen kaputt und ich hatte nichts zum Wechseln dabei. Ich kam mir wirklich fehl am Platze vor.
Danach hatte auch noch Emily unsere Verabredung abgesagt, weil sie vergessen hatte, dass ihre Mutter am nächsten Tag Geburtstag hatte und sie noch ein Geschenk kaufen musste und jetzt kam auch noch die Nachricht von Dad rein, dass Grandpa uns besuchen kommen würde.
Ich fühlte mich elend.
Grandpa hatte immer irgendwas zu mosern oder meckern, vor allem an mir... am meisten an mir!
Ich sähe nicht ordentlich aus, nur, weil ich von draußen aus dem Sturm kam und dementsprechend zerzauste Haare hatte, ich wäre unmöglich, nur, weil meine Fingernägel manchmal schwarzlackiert waren oder ich wäre einfach nur schlimm, weil ich mir nach all dem Genörgel nur noch meine Musik lautstellte und versuchte den alten, mosernden Mann zu ignorieren.
Es war falsch so zu denken, aber ich mochte ihn einfach nicht.
Ich hoffte, ich könnte irgendwie bei einer Freundin bleiben, bis er weg war, aber daraus wurde auch nichts, weil Mum und Dad dann einen Aufstand gemacht hätten.
Seufzend und mit der Laune im Keller schaute ich weiter nach Draußen.
In diesem Moment fiel es mir auf.
Draußen, auf der anderen Straßenseite bei der Bushaltestelle stand eine Gestalt, die in einen schwarzen Regenmantel gehüllt war und diese Gestalt schaute mich direkt an.
Selbst, als wir uns gegenseitig in die Augen schauten, blickte sie nicht weg.
Es war ein Junge, bestimmt nicht älter als siebzehn oder achtzehn und sein braunes Haar klebte ihm teilweise in der Stirn, aber ein Großteil war unter der schwarzen Kapuze des Mantels verborgen und somit vor dem Regen geschützt.
Er war ungewöhnlich blass und ich konnte nicht sagen, was es war, aber er hatte etwas merkwürdiges an sich. Irgendwas schien falsch an seinem Aussehen zu sein, aber ich kam nicht drauf, was es sein könnte.
Er schaute mir immer noch direkt in die Augen und sein Blick war fest und es lag etwas darin, was ich nicht zu deuten vermochte.
Schließlich wurde unser Blickkontakt jedoch unterbrochen, als ein Bus an der Haltestelle hielt und ihn verdeckte.
Ich sah nicht, ob er einstieg, es sah eher nicht danach aus, denn der Bus fuhr nur wenige Augenblicke später weiter, aber als ich dort hinschaute, wo er vorher gestanden hatte, war er nirgends mehr zu sehen.
Er war einfach vom Erdboden verschluckt...
Mir kroch aus irgendeinem Grund eine unangenehme Gänsehaut über den Rücken.


†_1.Kapitel_†




Erst kurz bevor ich einschlief, fiel mir ein, was mich an seinem Aussehen so irritiert hatte.
Seine Augen.
Seine Iris war violett

gewesen.
Aber diese erschreckende Erkenntnis verschwand, als der Schlaf sich über mich senkte.

Trotzdem waren meine Träume von einem Paar amethystener, klarer Augen und dem hübschen Gesicht des jungen Mannes durchsetzt.
Ab und an tauchte irgendetwas davon plötzlich vor meinem schlafenden Auge auf und nur Augenblicke später war es verschwunden und ich fand mich inmitten irgendwelcher, noch mehr verwirrenden, Träume wieder.

Als mich mein Wecker am nächsten Morgen aus dem Schlaf riss, setzte ich mich verschlafen auf und rieb mir die verklebten Augen.
Währenddessen wanderte mein Blick aus dem Fenster und ich erstarrte, mitten in der Bewegung den Arm zu senken.
Dieser Kerl stand schon wieder da und schaute zu meinem Fenster auf und mir anschließend direkt ins Gesicht.
Seine Miene war kühl und er schaute mich mit seinen andersfarbigen Augen starr an, aber schließlich zuckte sein Mundwinkel kurz, als er merkte, wie zerzaust und verschlafen ich aussah.
Ich blieb in seinem Blick gefangen, bis ich mich schließlich abrupt umwandte und dabei mit einem Ruck den Vorhang zuzog, als es laut an meiner Zimmertür klopfte.
„Aufstehen! Los, du kommst sonst noch zu spät!“, polterte es draußen vor der Tür und riss mich auch aus der letzten, eigentlich nicht mehr vorhandenen, Schläfrigkeit.
„Ja, ja!“, rief ich zurück und kletterte aus dem Bett.
Wieder spürte ich die unangenehme Gänsehaut, die sich auf meinen Armen und meinem Rücken ausbreitete und mir sogar die Beine hinaufkroch.
Was auch immer dieser Kerl an sich hatte, mein Instinkt schien mich vor ihm warnen zu wollen.
Vielleicht kam er mir auch nur so gruselig vor, weil es Draußen noch immer dunkel war.
Das verabscheute ich so am Winter.
Es wurde später hell und dafür früher dunkel, von der Kälte ganz zu schweigen. Bis ich danach wieder richtig im Rhythmus war, dauerte es ewig.
Das Schlimme war, der Winter hatte gerade erst richtig angefangen...

Ich tappte zum Schrank und zog mich an, während ich immer wieder unruhige Blicke zum verhangenen Fenster warf.
Ob der wohl immer noch dort stand?
Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich daran dachte, wie intensiv er zu meinem Fenster hochstarren könnte.
Mir schauderte es.

Schließlich wurde ich aber doch aus meinen Gedanken gerissen, denn die Tür ging auf und meine kleine Schwester kam, mal wieder ohne zu klopfen, in mein Zimmer gestürmt, gerade dabei, sich die schulterlangen, braunen Haare zu bürsten.
„Mensch, Alaine! Jetzt mach doch mal hin, ich muss weg und du weißt, dass Mama nicht zweimal fährt! Wenn du also lieber mit dem Bus fahren oder laufen willst, musst du nur weiter so trödeln, Ally!“, meckerte sie mich an und warf sich das Haar über die Schultern.
Seufzend beeilte ich mich ein bisschen und schlurfte ins Bad, um mich zu waschen, meine Zähne zu putzen und mir nebenbei mein brustlanges, schwarzes Haar zu kämmen.
Schließlich spülte ich aus und machte mir die Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammen.
Es war doch wirklich nervig, wenn man einen lebendigen Wecker im Zimmer gegenüber wusste, der sich gern auch kleine Schwester schimpfte.
Nachdem ich allerdings diesen Kerl an der Bushaltestelle gesehen hatte, verspürte ich nicht gerade das Verlagen dort vorbeizukommen, was soviel hieß wie, Laufen und Busfahren kam gar nicht erst in Frage.
Ich hastete also aus dem Bad und runter zum Eingang, wo ich meine Lederstiefel mit den etwas breiteren, Vierzentimeterabsätzen band und meine Jeans wieder nach unten zurückschlug, um anschließend in die Küche zu gehen.
„Ich bin fertig, gehen wir?“, fragte ich und war gerade dabei, meinen knielangen, schwarzen Wintermantel überzuziehen.
Nun war es Laila, meine kleine Schwester, die mich dumm anglubschte, ein Marmeladenbrot in der Hand, von dem gerade drei Mal abgebissen worden war.
„Willst du nicht frühstücken?“, wollte sie kauend von mir wissen.
Ich verdrehte die Augen.
„Laila, du kennst mich seit beinahe vierzehn Jahren. Langsam müsstest du wissen, dass ich nie frühstücke, es sei denn, ich bin krank und liege mit Fieber im Bett.“, meinte ich ein wenig genervt und schaute seufzend zur Zimmerdecke und anschließend wieder zurück.
„Stimmt. Du frühstückst nur, wenn du ernstlich krank bist... oder Grandpa da ist und rummosert, weil du es nicht tust.“, grinste Laila gerade.
Ich stemmte ungeduldig eine Hand in die Hüfte.
„Essen kannst du auch unterwegs. Iss doch im Au-“
„Bring sie nicht auf dumme Ideen, Alaine! Im Auto wird nicht gegessen. Ich habe keine Lust auf die ganzen Krümel, die ich dann wieder wegmachen darf.“, fiel mir Mum entschieden ins Wort.
Ich grummelte und ließ mich auf einen Stuhl plumpsen.
„Ja, ja, schon gut. Aber mir vorwerfen ich würde trödeln.“, murrte ich mit einem Seitenblick zu meiner kleinen Schwester.
Immer wurde sie in Schutz genommen. Das war wirklich ungerecht, denn mir, der älteren Tochter, hielten meine Eltern immer alles vor, egal, was ich machte.
Ich meine, was konnte ich zum Beispiel dafür, dass meine Lieblingsfarbe schwarz war? Ich hatte mir nicht ausgesucht, welche Farbe mich am meisten anzog, welche mir von vornherein am sympathischsten war und es ist doch eigentlich immer so, dass man gern Sachen in seiner Lieblingsfarbe trug, wenn es einem stand, oder nicht?
Warum war es also so schlimm, wenn mir die Farbe schwarz gut stand und ich sie anzog? Deswegen war ich ja nicht gleich einer Sekte beigetreten oder so.
Allerdings hatte mir das hier, Zuhause, den „tollen“, und zum Glück selten gebrauchten, Spitznamen „Nebelkrähe“ eingehandelt.
Das war ziemlich unfair. Ich bezeichnete Laila ja auch nicht als Postauto, nur, weil sie viel gelb trug.

Schließlich riss mich Laila jedoch wieder aus meinen Gedanken, denn sie schien es unglaublich witzig zu finden, mir mit dem Finger in die Seite zu pieken.
Ich wischte ihre Hand beiseite und sah sie sauer an.
„Was – sollte – das?!“ , fragte ich nur abgehackt und wandte ihr den Kopf zu.
„Wir müssen los.“, meinte Laila jedoch nur und seufzte genervt.
Ich biss die Zähne zusammen und stand auf.
Auch Mutter und sie hatten mittlerweile ihre Jacken an und waren schon dabei, ohne mich abzuhauen.
Aufseufzend eilte ich ihnen nach, meine Haare schwangen über meine Schulter, als ich um die Ecke zum Flur hastete.

Meine Laune war mittlerweile ziemlich im Keller, als wir schließlich im Auto saßen, Laila und ich zusammen auf der Rückbank.
Mum mochte es nicht, wenn jemand neben ihr saß, während sie fuhr.
Zumindest nicht morgens.
Sie meinte, sie „könne sich dann schlecht konzentrieren und sie würde leichter abgelenkt, wenn sie jemanden neben sich hatte und noch dazu erst so kurz, nachdem sie aufgestanden war“.
Das war eine glatte Lüge. Mum legte einfach nur immer gewohnheitsmäßig ihre Aktentasche auf den Beifahrersitz, da sie keine Lust hatte, sie später aus dem hinteren Teil des Wagens zu holen.

Schließlich startete Mutter den Motor und parkte schwungvoll aus der Garage aus – so schwungvoll, dass sie beinahe einen Laternenpfahl umgemäht hätte – und mir schauderte es erneut.
Nicht, wegen ihrem Fahrstil, an den hatte ich mich bereits gewöhnt. Das was mich schaudern ließ, war ein anderer Grund.
Violette Augen starrten mich an, als das Auto – beinahe wie in Zeitlupe, so schien es mir fast – langsam an der Bushaltestelle vorbeifuhr und sie hinter sich ließ.
Ich konnte regelrecht spüren, wie sich sein

Blick auf mich heftete und schließlich in meinen bohrte, als ich den Kopf in seine Richtung wandte.
Der braunhaarige Junge sah dem Auto und mir schweigend hinterher, der Blick war immernoch vollkommen ruhig, vielleicht schon kühl und er blieb einfach stehen, wo er war.
Als wir um die nächste Ecke bogen, sah ich gerade noch, wie er ein kurzes, leichtes Lächeln zeigte, sich umwandte und dann einfach ganz gemächlich wegging.

Meine Hände waren eiskalt – außerdem noch fest um den Griff meiner Schultasche gekrallt, die auf meinem Schoß lag – und ich war total verspannt. Meine kleine Schwester Laila warf mir schon besorgte Blicke zu, als ich mich wieder vom Fenster abwandte.
„Alles in Ordnung, Ally?“, fragte sie. „Du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen.“
Ich wandte ihr den Kopf zu und versuchte, mich wieder zu entspannen.
„Mir ist nur kalt, geht schon... danke..“, murmelte ich und lockerte mühsam den krampfhaften Griff um meine Schultasche.
Ich hielt ihr meine Hand entgegen.
„Siehst du – eiskalt.“, meinte ich und tatsächlich klapperte ich jetzt fast schon mit den Zähnen.
Ich war mir allerdings nicht sicher, ob es an dem Blick des Fremden lag, oder ob es wirklich einfach nur verdammt kalt war.
Jedenfalls drehte Mum schließlich einfach die Autoheizung höher, als mein Zähnegeklapper sie zu nerven begann.
Sie setzte Laila an ihrer Schule ab und fuhr dann zu meiner weiter.

„Sei so lieb, Alaine, und hol Laila nach Schulschluss ab, damit sie nicht alleine durch die Gegend läuft und ihr zusammen gehen könnt. Sie hat eine Stunde nach dir aus.
Ich hab nachher ein wichtiges Meeting, deshalb kann ich sie nicht abholen. Sie weiß auch schon bescheid.“, bat Mum mich, als sie mich rausließ.
Ich seufzte.
„Na schön, mach ich.“, willigte ich widerwillig ein und schlug nach einem erleichterten „Danke, Schatz“ von Mum die Autotür zu.
Hätte ich abgelehnt, so wusste ich, hätte sie wieder einen riesigen Aufstand gemacht.
Warum war meine Mutter nur so zwanghaft um Laila besorgt, dass diese nicht mal allein nach Hause laufen „durfte“?!
Hey, immerhin war das Mädchen fast vierzehn Jahre alt und konnte wirklich schon ziemlich gut auf sich selbst aufpassen!
Warum musste ich dann Babysitter spielen und sie abholen, als wäre sie drei?!

Mit gehörig schlechter Laune ging ich über den Schulhof, durch die Pausenhalle – an einer ziemlich verduzten Hillary vorbei, die dachte, mich ärgern zu können, indem sie mit Scott Martin flirtete, in den ich vor drei Jahren mal verschossen gewesen war, der aber mittlerweile so ein idiotischer Arsch geworden war, dass er nicht mal mehr auf meiner Hassliste einen Platz fand. Ich hatte mir angewöhnt, ihn schlicht und einfach völlig zu ignorieren, was Hillary aber anscheinend nicht zu wissen schien – und direkt in Richtung Klassenzimmer, wo ich mich genau in dem Moment auf meinen Platz setzte, als die Schulglocke zu läuten begann.
Mit heimlicher Schadenfreude – Hillary und Scott würden es nun unter Garantie niemals rechtzeitig ins Klassenzimmer schaffen – öffnete ich meinen Mantel, zog ihn aus und ließ ihn hinter mir auf dem Stuhl liegen, ehe ich alles für den Unterricht aus meiner Tasche zog.

Mr. Dywer kam genau dann rein, als ich fertig damit war und genau fünf Minuten, bevor Hillary und Scott in die Klasse gehastet kamen, hatte er mit dem Unterricht angefangen.
Ich grinste verstohlen in mich hinein, während ich mitschrieb, was Mr. Dywer uns diktierte.
Hillary durfte nun schon gleich zwei Stunden nachsitzen – einmal noch wegen dem Eimer Putzwasser von gestern – und auch Scott durfte eine Stunde lang die Strafbank drücken.
Vielleicht, schoss es mir durch den Kopf, vielleicht wurde der Tag heute doch nicht so schlecht, wie ich erwartet hatte.


Ich kam gerade am Tor von Lailas Schule an, als es klingelte und nur zehn Minuten später stapfte Laila wütend genau an mir vorbei.
Ich lief ihr hastig nach, aber sie schien noch immer ziemlich aufgebracht zu sein und marschierte einfach weiter.
„Hey! Laila! Warte doch mal!“, rief ich ihr hinterher, da sie schon ziemlich vorgerannt war.
„Was ist denn passiert? Du siehst ganz schön sauer aus.“, erkundigte ich mich, als ich sie dann fast eingeholt hatte.
Laila blieb stehen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen, ehe sie sich mir zuwandte, da ich die Zeit genutzt hatte, um zu ihr aufzuschließen.
„Ich wurde gegen meinen Willen geküsst!“, grollte sie und lief, nun etwas langsamer, weiter.
Ich lief weiter neben ihr her.
Augenblicklich war ich fast genauso sauer, wie sie.
„Wer war es?! Ich prügle diesen Knirps windelweich! Wer hat es gewagt sich an dir zu vergreifen?!“, fragte ich, völlig in meiner Rolle als große Schwester aufgehend, und blickte mich nach etwaigen Verdächtigen um.
Meine kleine Schwester hatte niemand einfach ungestraft gegen ihren Willen zu küssen!! Der konnte was erleben, wenn ich ihn in die Finger bekam.
Ich sah zu Laila, wollte eine Antwort.
Plötzlich, sah sie völlig ruhig, beinahe zufrieden, aus.
„Oh, du wirst ihn Morgen ganz leicht erkennen.“, meinte Laila gelassen und irgendwie schadenfroh.
„Es ist der mit der gebrochenen Nase.“, grinste sie.
Ich lachte grollend.
„Die hat er verdient!“, sagte ich und beruhigte mich langsam wieder. Auch ich grinste nun.
„Gut gemacht, Laila.“
„Danke.“
Laila grinste schadenfroh vor sich her, während wir langsam nach Hause liefen.
Ich war wirklich froh, dass sie so gut auf sich aufpassen konnte.
Trotzdem verspürte ich den Drang, dem Kerl, der sie gegen ihren Willen geküsst hatte, eine Tracht Prügel zu verpassen.
Aber Laila hatte ihren Standpunkt schon klar gemacht, ich sollte mich also vorerst lieber raushalten.

Als wir Zuhause ankamen – der seltsame, braunhaarige Kerl war diesmal nicht an der Bushaltestelle oder in der Nähe, wie ich erleichtert, aber auch mit einem Schaudern, feststellte (Schaudern deshalb, weil ich ihn scheinbar immer nur zu sehen bekam, wenn es Nacht war und das war irgendwie etwas unheimlich) – lag ein Zettel von Dad, zusammen mit zwei Geldscheinen, auf der Anrichte in der Küche.
Ich wandte mich, mit dem Stück Papier in der Hand, Laila zu.
Ich grinste schon wieder.
„Scheint so, als könnten wir deiner ersten gebrochenen Nase zu Ehren, eine kleine Party unter uns beiden veranstalten. Dad hat geschrieben, dass wir uns Pizza bestellen können und hat Geld dazugelegt.“, meinte ich und hielt den Zettel kurz etwas höher.
Laila grinste ebenfalls.
„Yeah! Das nenn ich doch mal super Timing von Paps!“, freute sie sich und strahlte beinahe.
Es war recht selten, dass bei uns Pizza oder ähnliches auf den Tisch kam. Unsre Eltern hielten nicht viel von Fastfood, daher gab es oft Selbstgekochtes, entweder von Mum, meist aber von Dad, der ziemlich gut kochen konnte.
Aber heute, so stand es zumindest auf dem Zettel, war Dad mit Großonkel Harry unterwegs und es würde wohl doch recht spät werden, deshalb hatte er keine Zeit zum Kochen gefunden.

Ich meine, gut, wenn ich mit Emily und/oder ein paar anderen Freunden verabredet war, gingen wir auch öfter mal in die Pizzeria oder so, aber Laila hatte weniger solcher „Lichtblicke“, was das Essen anging.
Dafür hatte sie für ein Mädchen, das gerade in die Pubertät kam eine echt super Figur, nicht mollig oder dick, aber auch nicht zu

dünn, wie diese unter Magersucht leidenden Models.
Ich hatte die Pubertät zum Glück gerade hinter mir und war froh, dass ich sie ohne größere (Gewichts-) Probleme überstanden hatte.
Das einzige, was gestört hatte und es teilweise immer noch tat, waren ein paar Jungs, die mir ständig nachsabberten.
Die war ich aber, Gott sei Dank, größtenteils am Übergang zur Highschool losgeworden, weil sie andere Schulen als ich besuchten. Nur... in der Schule, in der ich nun war, gab es auch oft genug Kerle, die kurzzeitig an mir hingen, wie Kletten, bis ich ihnen überaus deutlich klar gemacht hatte, dass ich nicht an einer Beziehung interessiert war – zumindest nicht mit ihnen.

Laila kramte das Bestellprospekt der Pizzeria, das neulich mit der Werbung im Briefkasten gesteckt hatte, heraus und wir berieten uns, was wir wählen würden.
Schließlich hing ich an der Strippe und versuchte dem Pizzafatzken klarzumachen, wo er hinliefern und welche Größe die Pizzen haben sollten.
Laila traute sich nie ans Telefon, wenn sie mit Fremden reden sollte. Seltsam eigentlich, wenn sie es fertig brachte, anderen ohne weiteres die Nase zu brechen... ansonsten war sie auch nicht schüchtern oder so, aber am Telefon kam sie einem wie ein Reh vor.
Wirklich seltsam.

Jedenfalls deckten wir dann zusammen den Tisch für uns beide, da wir uns entschlossen hatten, die Pizzen von den Kartons auf Teller umzusiedeln, damit wir uns beim Essen wenigstens sehen konnten.
Als es dann klingelte und ich das Essen von der Tür abholte und den Lieferanten bezahlte, hatten wir beide schon einen Mordshunger.
Das Essen an sich verlief relativ ruhig.
Laila erzählte mir, wie es dazu gekommen war, dass dieser Kerl heute, sie geküsst hatte und den Rest der Geschichte kannte ich ja schon.
Laila war nur knapp vor mir mit ihrer Pizza fertig und stand auf, um uns etwas zu trinken zu holen, während ich an meinem letzten Stück aß.
Gerade hatte ich den letzten Bissen runtergeschluckt, als ich noch mitbekam, wie Laila stolperte und mit meiner Lieblingstasse und einem Glas in der Hand hinfiel.
Die beiden Trinkgefäße zerbrachen und Laila landete vorher auf ihrer Nase.
Hastig stand ich auf und ging zu ihr.
Sie hatte keine Verletzungen, ihre Nase war nur etwas rot und sie war schon dabei die Scherben aufzulesen, als ich um die Anrichte rum bei ihr angekommen war.
„Laila! Alles in Ordnung?“, fragte ich dennoch vorsichtshalber nach.
Sie sah auf und nickte.
„Ja, mit mir ist alles okay... tut mir leid, wegen deiner Tasse, Ally.“, meinte sie seufzend und grade wollte sie ihren Blick wieder zu den Scherben umwenden, als sie eine falsch griff und sich in die Hand schnitt.
„Aua!!“
Ich half ihr auf die Beine und drückte ihr ein sauberes Geschirrtuch in die gesunde Hand.
„Hier, halt damit die Blutung auf, während ich Verbandszeug hole.“, meinte ich und ging mit einem kleinen Umweg, damit ich nicht in die Scherben trat und noch mehr Sauerei veranstaltete, ins Badezimmer.

Wenig später kam ich mit einem kleinen Verbandsköfferchen zurück und verarztete Lailas Hand, so gut ich es eben konnte.
„Der Schnitt ist nicht sonderlich tief.“, stellte ich fest, als ich die Wunde anschaute, ehe ich einen Verband umlegte. „Trotzdem blutet es ziemlich... Aber ich denke, der Verband wird fürs Erste genügen.“
Laila nickte und schaute zu den Scherben und der Cola, die den Küchenboden verklebte.
„Entschuldige.“, sagte sie wieder. „Ich mach das am Besten gleich weg, damit-“
„Nichts da!! Du gehst jetzt in dein Zimmer und legst dich erst mal ’ne Runde hin. Du bist ganz bleich, liegt bestimmt am Blut. Sonderlich gut hast du den Anblick ja nie vertragen... Wenn du dich wieder einigermaßen kuriert hast, dann mach am Besten deine Hausaufgaben oder so, während ich hier die Küche saubermache.“, unterbrach ich meine kleine Schwester.
Ich zog einen Mundwinkel hoch.
„Ich wäre Morgen doch sowieso damit dran gewesen, die Küche zu putzen, also was soll’s?“
Laila seufzte und nickte schwach.
„Okay, Ally. Danke.“, meinte sie und umarmte mich kurz, dann tappte sie, ebenfalls die Colapfütze und die Scherben meidend, in ihr Zimmer.

Ich machte mich seufzend daran, die Scherben und die Cola zu beseitigen und dann mehr oder weniger – vermutlich doch eher weniger – gründlich durchzuwischen.
Das nahm schon etwas Zeit in Anspruch und den Rest der Küchenarbeit schob ich erst mal auf.
Stattdessen ging ich in mein Zimmer und setzte mich an meine eigenen Hausaufgaben.
Meine Stiefel hatte ich vorher zurück an den Eingang gestellt – meistens lief ich sowieso sockig durchs Haus, aber heute würde ich wohl noch wegen der Küche aufpassen müssen.
Ich war nicht sicher, ob ich auch die ganz kleinen Splitter alle erwischt hatte und ich hatte keine Lust es rauszufinden, indem ich in einen reintrat.

Im Laufe der Matheaufgaben wurde es langsam dunkel in meinem Zimmer, und auch draußen, und ich knipste die Lampe, die über dem Schreibtisch an der Wand befestigt worden war, an.
Es war nicht sonderlich vorteilhaft, dass mein Schreibtisch nicht am Fenster stand, aber ich fand es ganz in Ordnung so.
Dann konnte mich wenigstens nichts ablenken.
Als ich schließlich auch die Mathehausaufgaben hinter mich gebracht hatte, war es doch schon später, als ich gedacht hatte und ich war müde.
Ich machte mich bettfertig, tauschte meine Jeans und meinen Pullover gegen ein graues Tanktop und meine hellblaue Schlafanzughose aus und öffnete meine Haare.
Ich würde nur noch schnell in der Küche klar Schiff machen, das Geschirr spülen und die Pizzakartons rausbringen, ehe ich dann auch schon ins Bett gehen würde.
Aber da es nicht sonderlich warm in der Küche war (überall sonst hatte Dad die Heizungen hochgedreht), nahm ich mir meine blaue Strickweste mit, die ich mir umhängte, aber nicht reinschlüpfte.
Vorsichtshalber zog ich meine Turnschuhe an, damit ich nicht doch eine vergessene Scherbe fand, und ging dann hinaus in die Küche, nachdem ich das Licht überm Schreibtisch ausgeknipst hatte.
Ich spülte von Hand. Das machte ich immer. Aus dem einfachen Grund, da die Spülmaschine mich nicht sonderlich zu mögen schien – aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.
Als ich das Ding vor ein paar Jahren mal hatte einräumen und zum Laufen bringen sollen, hatte es beinahe die ganze Küche überflutet, von dem Schaum ganz zu Schweigen.
Seitdem ließ ich lieber die Finger von diesem Teufelsgerät.

Schließlich trocknete ich ab und räumte ein und danach nahm ich die Pizzakartons vom Küchentisch und ging zur Haustür.
Ich gähnte kurz und rieb mir die Augen, ehe ich die Haustür öffnete.
Es war verdammt kalt da draußen.
Ich bekam überall – und damit meinte ich wirklich überall, sogar meine Brüste hatten welche – extreme Gänsehaut. Ich zog die Strickweste etwas weiter über meine Schultern und hielt sie mir vorne mit einer Hand zu.
In der Anderen hielt ich die beiden Pizzaschachteln.
Mein Blick wanderte erst mal gar nicht viel rum, sondern direkt zu der Stelle, wo sonst immer die Mülltonnen standen.
Sie waren nicht da.
Ich seufzte auf und ging weiter nach draußen, eilig vor bis zum Tor, den Blick weiterhin nicht umschweifend.
Tatsächlich standen die Mülltonnen links neben dem Gartentor. Scheinbar war Morgen Müllabfuhr.
Ich warf also die beiden Schachteln in meiner Hand eilig in die Tonne und sah dann kurz auf.
Der Mülltonnendeckel war leicht eingefroren.
Als ich ihn wieder auf die Tonne fallen ließ, war mein Handabdruck zu sehen.
Mein Blick wanderte über den Rest der Mülltonne auf den Gehsteig und auf den Asphalt der Straße.
Im Licht der Straßenlaterne, die rechts bei der Bushaltestelle stand, schimmerte der Boden leicht und glitzerte regelrecht.
Es war scheinbar leichtes Glatteis.

Als ich mich von der Mülltonne abwandte und wieder zurück durchs Gartentor gehen wollte, erstarrte ich nach ein paar Schritten in diese Richtung, als mein Blick zur Bushaltestelle fiel.
Er war da. Er

.
Und wieder schaute er mich an, mit seinen violetten Augen.
Ich starrte ihn an und war beinahe überhaupt nicht mehr müde. Eher hellwach.
Mir hatte es die Sprache verschlagen und während ich ihn so anstarrte, huschte etwas durch meinen Kopf, vielleicht ein Bild oder ähnliches, ich weiß es nicht, dafür war es zu schnell wieder verschwunden.
Aber als es weg war, hatte ich das Gesicht des Jungen vor Augen. Es war emotionsverzerrt und seine Augen... waren blau

gewesen!
Ich wusste nicht warum, aber irgendwie hatte ich so eine Art unbestimmtes Déjà-vu-Gefühl.
Es kribbelte mir von der Kopfhaut bis hinunter in die Zehen.
Der Junge hatte mich die ganze Zeit über angeschaut und aus irgendeinem Grund, lächelte er jetzt.
Noch immer fand ich meine Sprache nicht wirklich und die Kälte kroch mir in die Hände und Füße und auch die Arme hinauf, zusammen mit einer äußerst kribbelnden Gänsehaut.
Der Kerl erwiderte meinen starrenden Blick ruhig und noch immer mit einem leichten Lächeln auf den doch recht schmalen, aber sanften Lippen.
Aber schließlich huschte sein Blick kurz woanders hin und er sah wieder völlig ruhig aus, als er nach nur wenigen Sekunden wieder zu mir schaute.

Scheinbar half mir das ein wenig, denn endlich konnte ich mich wieder genug zusammenreißen, um zu sprechen.
„W- Wer bist du?! Und warum starrst du immer zu meinem Fenster hoch?! Was führst du im Schilde?!“, brachte ich schlussendlich heraus.
Der Junge lächelte wieder leicht, es sah beinahe versöhnend aus.
„Über mich musst du dir keine Sorgen machen... aber über den da würde ich mir an deiner Stelle Gedanken machen.“, sagte er.
Seine Stimme war sanft, ruhig und, wie ich fand, wunderschön. Sie hatte einen melodischen Klang und irgendwie auch etwas geheimnisvolles an sich.
Aber seine Worte verwirrten mich.
Ich folgte seinem Fingerzeig (mir fiel auf, dass seine Finger lang, schlank und zart waren) mit meinem Blick und seufzte genervt auf.

Mir kam geradewegs ein Besoffener entgegen und lallte irgendwas von „Schätzchen“ und „flotte Nummer schieben“. Tatsächlich war er gar nicht mehr so weit von mir entfernt.
Höchstens drei bis vier Meter und die Hände hatte er, lüstern sabbernd, nach mir ausgestreckt, während er noch immer irgendwelchen versauten Kram lallte.
Scheinbar kam er von der Kneipe, die vor gar nicht allzu langer Zeit ein paar Querstraßen weiter eröffnet hatte.
Er machte nicht die Anstalten, sein ekelerregendes Verhalten in den nächsten zwei Minuten – denn solange würde es maximal dauern, bis er bei mir angekommen war – zu ändern, daher packte ich ohne viel Federlesen seinen Arm und warf ihn über meine Schulter, sodass er auf den Rücken krachte.
Ich konnte es schlecht beurteilen, aber vielleicht mochte es wie in diesen Karatefilmen ausgesehen haben. Es war auch egal.
Jedenfalls rutschte der Kerl auf dem Boden etwas, da es ja noch immer ziemlich glatt war und irgendwie saß er am Schluss an die Laterne gelehnt da und sah noch immer ziemlich lüstern aus, obwohl er sich den Kopf rieb, da er ihm wehzutun schien.
Er schien keine Anstalten zu machen zu verschwinden.
Im Gegenteil, er rappelte sich grade wieder auf und ging wieder auf mich zu.
Unwillkürlich wich ich etwas vor ihm zurück und rutschte dabei aus.
Na super, schoss es mir durch den Kopf, als ich volle Kanne auf meinem Hintern landete.
Ich kniff kurz die Augen zusammen, als der Schmerz anfing und mir vom Steißbein bis in den restlichen Rücken stieg.
Genau in dem Moment war es mir, als hörte ich eine Katze, oder irgend so was in der Art, fauchen und als ich die Augen wieder aufmachte, sah ich den Kerl nur noch wegrennen und irgendwas von „Hilfe“ und „Monster“ schwafeln.
Ich drehte mich zu dem violettäugigen Jungen um, mein Blick war ein wenig fragend.
Er hatte gerade die Augen geschlossen und ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht und ich fragte mich, was überhaupt los war.
Hatte der Betrunkene Angst vor Katzen gehabt, oder wie?
Ich versuchte wieder auf die Beine zu kraxeln und blickte auf, als mir eine Hand entgegengehalten wurde.
Das war ohne Zweifel die des violettäugigen Fremden.
Ich ergriff sie dankend und er zog mich wieder auf die Beine.
„Danke.“, meinte ich noch einmal.
„Keine Ursache.“, erwiderte er und ich ertappte mich dabei, wie aufmerksam ich seiner Stimme lauschte.
Ich fing mich allerdings rasch wieder und bückte mich nach meiner Strickweste, die bei meiner Karateaktion von meinen Schultern gerutscht war.
Ich hängte sie mir um und sah wieder zu dem Fremden.
Gerade wollte ich anfangen, die Fragen von vorhin zu wiederholen, als er sich lächelnd umwandte.
„Gute Nacht.“, sagte er noch, dann ging er davon.
„Hey! Warte mal! Hey! Du hast mir noch nicht richtig geantwortet!“, rief ich ihm hinterher, aber er ging nur schweigend weiter und bog anschließend um eine Ecke.

Seufzend ließ ich meinen Arm, den ich nach dem Fremden ausgestreckt hatte, sinken und sah noch einen Moment schweigend dorthin, wo er um die Ecke gebogen war.
Aber dann ging ich doch wieder nach Drinnen.
Meine Hände waren taub vor Kälte und sie brannten schmerzhaft, als ich in die Küche ging und sie dabei langsam wieder auftauten.
Jetzt konnte ich wohl erst mal nicht mehr schlafen, das war sicher, daher schrieb ich Mum und Dad einen Zettel, dass sie wegen Glassplittern aufpassen sollten, da ich mir nicht sicher war, beim Putzen alle erwischt zu haben.
Danach schob ich mir eine Tasse Milch in die Mikrowelle und löste mir anschließend einen Löffel Honig darin auf, während ich mich seufzend an den Küchentisch setzte.
Eigentlich mochte ich Milch mit Honig nicht besonders gern, aber heute würde es mir vielleicht ganz gut tun, immerhin half es ja angeblich beim Einschlafen und das konnte ich wirklich brauchen.
Ich leerte die Tasse nach und nach und ließ mir den heutigen Abend noch mal durch den Kopf gehen.
Erst der Fremde, der mir meine Fragen nicht richtig beantwortet hatte, das Déjà-vu-Gefühl vorher, dann dieser Besoffene und anschließend wieder der Fremde, wie er mir auf die Beine half und mir eine gute Nacht wünschte.
Er verwirrte mich. Dieser violettäugige, fremde Junge.
Was führte er im Schilde?

Ich seufzte erneut und stellte die leere Tasse in die Spüle.
Anschließend schaute ich kurz in Lailas Zimmer. Sie schlief bereits.
Ich lächelte leicht und zog die Tür leise wieder zu, ehe ich in mein eigenes Zimmer ging, die Weste über meinen Stuhl hängte und die Schuhe abstreifte, bevor ich mich seufzend auf mein Bett setzte.
Ich schaute aus dem Fenster.
Der Junge war nicht da. Natürlich.
Ich seufzte.
Was hatte ich erwartet?
Dass er zurückgekommen war und nun, wie schon heute Morgen und gestern Abend, zu meinem Fenster hochstarrte?
Ich seufzte erneut, als mir klar wurde, dass ich genau das erwartet hatte, auch, wenn ich es eigentlich besser wissen müsste.

Mit einem letzten, kellertiefen Seufzen, legte ich mich gescheit ins Bett und deckte mich zu.
Und konnte nicht schlafen.
“Über mich musst du dir keine Sorgen machen... - …Gute Nacht...“


Die Worte, die der Junge heute zu mir gesagt hatte, und die er nicht wegen diesem perversen Besoffenen ausgesprochen hatte, gingen mir nicht aus dem Schädel und spielten sich in einer Endlosschleife in meinem Kopf ab.
Zum einen, wegen seiner Stimme.
Sie war so unglaublich schön... irgendwie liebte ich es, sie zu hören... obwohl ich wohl nicht sollte.
Und zum Zweiten, wegen seinen Worten.
Sollte ich mir um ihn wirklich keine Sorgen zu machen brauchen?
Das war absurd!
Immerhin starrte er seit geraumer Zeit, immer morgens und abends, wenn es dunkel war, zu meinem Fenster hinauf!
Und ich kannte den Grund dafür nicht!
Und... er hatte mir eine ’Gute Nacht’ gewünscht...
Ein leises Seufzen entkam meiner Kehle und ich schloss die Augen.

Ich hörte noch, wie Mum und Dad nacheinander nach Hause kamen und sie sich leise unten miteinander unterhielten und dabei fernsahen.
Aber schließlich hallte das letzte „Gute Nacht

“ des Fremden, das sich anhörte, als säße er genau neben mir und würde wirklich mit mir sprechen, durch meinen Kopf und ich schlief ein...


†_2. Kapitel – Wiedersehen_†




Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich irgendwie seltsam.
Ich war aus dem Schlaf geschreckt, als hätte ich einen Alptraum gehabt und mein Herz raste, aber ich konnte mich an nichts mehr erinnern, dennoch, mein Gefühlsleben war aus einem mir unbekannten Grund völlig durcheinander.
Ich blickte unwillkürlich aus dem Fenster und irgendwie war ich eine Mischung aus erstarrt und bestätigt.
Wieder stand der fremde Junge dort.
Aber diesmal irritierte er mich mehr als sonst.
Er hatte die Augen geschlossen und, wenn ich mich nicht ganz irrte, glitzerte im Licht der Straßenlaterne neben ihm, eine Träne in seinem Augenwinkel, aber dennoch lächelte er leicht.
Es war ein trauriges Lächeln.
Aber ich konnte nicht viel machen, denn nur ein paar Augenblicke später stieß er sich von dem Eisenpfosten der Bushaltestelle, an dem er gelehnt hatte, ab und ging langsam wieder um jene Ecke, um die er auch gestern schon gebogen war.

Ich zuckte übelst zusammen, als plötzlich der Wecker neben mir losging und wie wild zu piepen begann.
Mit einem gezielten, und auch etwas erschrockenen, Schlag auf den Ausschalter, schickte ich ihn jedoch ins Reich der Träume und stieg seufzend aus dem Bett.
Als ich die Decke zurückschlug und aufstand, zitterte ich leicht.
Im Bett war es viel wärmer gewesen.
Gerade hatte ich die Türen zu meinem Kleiderschank geöffnet, da erstarrte ich.
Mir fiel erst jetzt etwas auf.
Gestern und vorgestern hatte ich diese beinahe schmerzende Gänsehaut bekommen, als ich den Fremden gesehen hatte – heute war sie ausgeblieben.
Was hatte das zu bedeuten?
Dass mein Instinkt sich vielleicht nach diesem Treffen draußen auf der Straße abgeschaltet hatte? Oder befand mein Unterbewusstsein den violettäugigen Fremden als doch nicht so gefährlich? Ich war verwirrt und rätselte weiter nach, während ich mir meine Klamotten aus dem Schrank zusammensuchte.
Ich zog mich an und ging, mir gerade noch den schwarzen Rollkragenpulli über den Kopf ziehend, auf den Flur hinaus.
Ich tappte ins Bad, wo ich mich fertig machte und anschließend zog ich unten am Eingang wieder meine schwarzen Lederstiefel an, ehe ich die Küche betrat, aus der ich Stimmen hörte.
Mum, Dad und Laila saßen am Küchentisch und frühstückten mal wieder, während Laila ihnen erzählte, was mit ihrer Hand passiert war.
Ich setzte mich zu ihnen und hörte zu.
Scheinbar tat sie ihr weh, denn Dad beschloss, sie heute Zuhause zu lassen und nachher mit ihr deswegen zum Arzt zu gehen.
Mum war ziemlich besorgt und bestand allerdings darauf, dass sie eine Schmerztablette nahm, damit sie bis zum Arztbesuch, den Dad gerade vereinbaren ging, nicht solche Schmerzen hatte.
Ich ging schließlich seufzend nach oben und richtete meine Schultasche, ehe ich mit dieser dann wieder nach unten kam und sie in der Küche abstellte, bevor ich mir meinen Mantel anzog.
„Ich geh dann mal los, sonst komm ich noch zu spät zur Schule... ich komm heute später wieder als sonst, Emily und ich müssen noch unsre Gruppenarbeit fertig machen.“, sagte ich und schwang mir meine Schultasche über die Schulter.
„Bis dann... gute Besserung, Laila.“, meinte ich noch, dann ging ich auch schon zur Haustür und verließ das Haus.
Ich hatte grade noch gehört, wie Laila ein leises „Danke, Ally“ von sich gegeben hatte, ehe ich die Tür hinter mir schloss.

Es war verdammt kalt hier draußen.
Ich lief los und steckte meine Hände eilig in meine Manteltaschen, damit sie nicht allzu kalt wurden.
Ich lief relativ zügig.
Erstens, weil es mir wirklich ziemlich kalt war und zweitens, weil ich nicht den Drang verspürte, zu spät zu kommen und eine Stunde Nachsitzen zu kassieren.

Ich hatte Glück.
Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig ins Klassenzimmer und war ziemlich ausgepowert. Die letzten paar Meter war ich zur Schule gerannt, weil ich wohl doch einen Moment zu spät von zu Hause losgegangen war.
Nur knapp nach mir kam Mr. Morrison zur Tür herein und wies alle an, still zu sein und die Religionsbücher auf Seite zweiundzwanzig aufzuschlagen.
Aus diesem Grund mochten die meisten Mr. Morrison nicht.
Eigentlich müssten wir schon lange auf den letzten Seiten des Religionsbuches sein, aber er hatte die etwas verdrehte Angewohnheit, quer im ganzen Buch umherzuspringen.
So hatten wir zum Beispiel eine Woche bei Sodom und Gomorra verbracht und die nächste Woche waren wir plötzlich bei Josef und seinem Sklavenstand in Ägypten gewesen.
Ich hatte eigentlich keine Probleme mit dem Lehrer.
Man musste sich in der Bibel nur ein wenig auskennen und man konnte ihm eigentlich ganz gut folgen – das war das eigentliche Problem der meisten.
Sie interessierten sich eigentlich gar nicht für Religion und daher hatten sie kaum eine Ahnung.
Gut, ich würde mich nicht gerade als super religiös bezeichnen, aber ich wusste halt im großen und ganzen, worum es ging und interessierte mich wenigstens dafür.
Ich war nicht wirklich gläubig, auch, wenn ich katholisch erzogen worden war, an Gott glauben tat ich trotzdem nicht wirklich und die Kirche war bei irgendwelchen Messen ziemliches Tabugebiet für mich.
Dennoch fand ich es einfach interessant, genauso, wie ich auch zum Beispiel die nordische Mythologie oder die irisch-bretonische interessant fand.

Ich schlug also die Seite auf, die Mr. Morrison uns genannt hatte.
Scheinbar nahmen wir jetzt erst mal eine Zeit lang Kain und Abel und den ersten Mord der „biblischen“ Menschheitsgeschichte durch.
Ich schrieb also mit, was Mr. Morrison uns diktierte und teilweise auch an die Tafel schrieb oder malte.
Schließlich klingelte es aber, während Mr. Morrison uns gerade die Hausaufgaben an die Tafel schrieb.
Wir sollten uns überlegen, wie Kain sich wohl gefühlt hatte und es anständig begründen.

Während des Lehrerwechsels beugte sich Emily zu mir vor, sie saß hinter mir, und tippte mich an die Schultern.
„Du, Alaine? Hast du das Buch mit, was wir für die Zweierarbeit brauchen?“, wollte sie wissen. Ich nickte.
„Klar. Wo setzen wir uns am Besten hin, um weiterzuarbeiten?“
Emily zuckte die Schultern.
„In die Bücherei?“, schlug sie vor.
„Gute Idee, da können wir auch gleich Zeug nachschlagen, wenn wir nicht weiterkommen.“, meinte ich, aber schließlich setzte Emily sich hastig wieder richtig hin, denn Mr. Dywer kam rein.
Er schien schlechte Laune zu haben, denn er schnauzte sofort jeden an, der nicht still war.
Ich seufzte leise.

So zog sich also der Rest des Unterrichts hin und schließlich klingelte es um drei zum letzten Mal und der heutige Schultag war so ziemlich zuende.
Emily und ich tappten in die Schulbücherei, wo wir weiter an unsrem Geschichtsprojekt arbeiteten.
Ab und an schlugen wir was nach und wir berieten uns oft, ob man gewisse Sachen so schreiben könnte und als wir dann fertig waren, war es schon verdammt spät.
Draußen war es schon dunkel, da die Sonne ja im Winter früher unterging und vermutlich waren die meisten Schüler schon nicht mehr auf dem Gelände, höchstens noch ein paar der Clubs.
Ich warf einen Blick zu Uhr. Es war schon viertel vor sechs.
Wir verließen zusammen die Schule und ich ging mit Emily zusammen bis zu ihr Nachhause, denn sie wohnte in der Nähe der Schule und es lag auf meinem Heimweg.
Vor ihrer Tür verabschiedeten wir uns und ich lief weiter.
Seufzend hauchte ich mir warme Luft in die Hände, die immer kälter wurden.

Schließlich, nicht lange danach, stand ich aber vor einem Umleitungsschild und ließ seufzend den Kopf hängen.
Scheinbar hatten sie die Straße aufgerissen, um sie neu zu asphaltieren, während ich in der Schule gewesen war, denn der ganze Weg war versperrt und man konnte nicht mal mehr nebenher auf dem Gehsteig laufen.
Ich folgte also widerwillig der Umleitung, denn das war der einzige Weg, der hier in der Nähe von dieser Straße abzweigte.
Mir wurde etwas mulmig, als ich nach einiger Zeit (scheinbar war das hier eine Einbahnstraße, die ebenfalls nirgends abzweigte) am Ende der Straße angelangte, um die einzig vorhandene Ecke bog und weiterlief.
Ich kam immer mehr an den Stadtrand und lief gerade neben einem alten, abgezäunten, leerenstehenden Wohngebiet her, auf dem ich nichts erkannte, weil nur vor dem Zaun Straßenlaternen angebracht waren, oder die dort stehenden Laternen nicht betrieben wurden.

Das Gelände zog sich scheinbar über den gesamten Stadtrand in dieser Gegend, denn ich lief endlos lange neben dem Maschendrahtzaun mit dem, am oberen Rand angebrachten, Stacheldraht her und es war noch immer kein Ende in Sicht.
Mir wurde wirklich ein wenig unbehaglich, aber ich redete mir gut zu und lief weiter.
Es dauerte ziemlich lange, meiner Schätzung nach zumindest, bis wenigstens endlich das, vermutlich baufällige, Wohngebiet aufhörte.
Ich sah, wie der Zaun eine Kurve nach links machte, da eine Laterne genau diese Ecke beleuchtete, aber ab und an flackerte sie kaum merklich.
Etwas zügiger ging ich nun, da ich wenigstens diesen Ort hinter mir lassen konnte, weiter und schließlich waren es nur noch ein paar Schritte, bis ich das Ende des Zauns erreichte.
An der Ecke erstarrte ich, als ich bemerkte, dass eine Gestalt links neben der Laterne gelehnt stand, und wandte mich in Zeitlupengeschwindigkeit um.
Ich wusste nicht, ob ich erleichtert, oder beunruhigt sein sollte, als ich den Fremden erkannte.
Violette Augen blitzten mir entgegen.
Er hatte die Kapuze seines Mantels aufgezogen, scheinbar war er vor gar nicht allzu langer Zeit in einen kleinen regionalen Regenschauer geraten.
Ich verharrte noch immer regungslos und es dauerte einen Moment, bis ich mich wieder fing.
Der Junge hatte mich die ganze Zeit über ruhig angeschaut und stieß sich nun von dem Zaun ab und kam näher zu mir.
„Guten Abend.“, meinte er und er klang nicht bedrohlich. Wieder klang seine Stimme einfach nur... wow.
So sanft und ruhig und so melodisch.
Er lächelte ganz leicht.
Ich wusste erst nicht so recht, was ich sagen sollte, aber schließlich platzte es aus mir heraus:
„Wer bist du überhaupt und was willst du von mir!?“
„Was ich will?“, fragte der Junge, beinahe etwas amüsiert, so schien es mir, nach.
Ich nickte entschieden.
Auf dem Gesicht des Fremden breitete sich ein Lächeln – nein, eher ein Grinsen aus, seine violetten Augen leuchteten regelrecht auf und er grinste mich an.
Ich schauderte von Kopf bis Fuß, als ich seine Eckzähne sah. Das waren Vampirzähne

!
Er kam ein wenig näher zu mir, noch immer dieses schaurige Grinsen auf dem Gesicht und diese leuchtenden, violetten Augen.
„Ich will deine Seele

!“


†_3. Kapitel – Intra parietes privatos_†




„Entschuldige, ich wollte dir nicht solche Angst machen.“, meinte der Vampir und legte seufzend seine Regenjacke ab.
Ich saß wie benommen auf einem Stuhl und schaute zu dem Fremden, der sich immer noch nicht vorgestellt hatte.

Nachdem ich vor Schreck, wegen seiner Worte und den Vampirzähnen, erstarrt war, hatte mich der Fremde einfach „mitgeschleift“, durch ein Tor, im Zaun bei dem leerstehenden Wohngebiet und war mit mir über das ganze Gelände, bis hin zu einer riesigen Villa, die ziemlich weit von der restlichen Stadt entfernt liegen musste, gelaufen, während ich die ganze Zeit über kein einziges Wort hatte rausbringen können.
Ich hatte einfach nur tierische Angst, als sich die riesige Tür zu der Villa geöffnet und er mich hinein und bis in irgendein Zimmer geschleift hatte.
Schließlich hatte er die Tür hinter uns beiden geschlossen und mich auf den Stuhl gesetzt, auf dem ich gerade saß.
Noch immer war ich benommen und bekam nichts so wirklich mit.

Erst, als mir der Vampir eine dampfende Tasse Tee vor die Nase auf den Tisch stellte, schreckte ich aus meiner „Trance“ auf.
Er lächelte mich leicht und versöhnend an.
„Ich habe wirklich nicht beabsichtigt, dir Angst einzujagen, aber Dion hat mich mehr oder weniger dazu gezwungen mir einen ’Horrorfilm’

, oder zumindest das, was er dafür hält, anzugucken, während ich darauf gewartet habe, dass die Sonne untergeht und da war so eine ähnliche Szene... das fiel mir draußen grade wieder ein und ich konnte einfach nicht anders...“, sagte er seufzend und wieder lächelte er entschuldigend. „Ich bitte vielmals um Verzeihung.“
„W- w- wer ist Dion? Und wer bist du eigentlich?! Und was in drei Teufelsnamen soll ich eigentlich hier?!?“, brachte ich nach mehreren Ansätzen endlich wütend heraus und hoffte, dass ich auch nur halb so wütend aussah, wie ich war.
Wieder seufzte der Fremde und goss sich nun ebenfalls eine Tasse Tee ein.
„Bitte beruhige dich, ich werde dir alles erklären.“, sagte er und er klang noch immer völlig ruhig.
Er deutete zu dem Tee, der vor mir stand und weiter vor sich hindampfte.
„Aber bitte, möchtest du nicht während meiner Erklärung deine Jacke und die Schultasche ablegen und etwas Warmes trinken?“, fragte er freundlich nach und wieder hob sich einer seiner Mundwinkel zu diesem leichten Lächeln, das er gestern schon aufgesetzt hatte.
Ich starrte ihn sauer an.
„Nein. Will ich nicht. Ich will nur eine Erklärung von dir und dann so schnell wie möglich nach Hause.“, brachte ich mühsam beherrscht heraus.
Eigentlich müsste ich Angst vor ihm haben, aber ich war nur unglaublich wütend, dass er mich einfach verschleppt hatte.
Wieder seufzte er leise, dann lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und führte seine Teetasse an die Lippen, trank einen Schluck.
„Wie du zweifelsohne draußen schon vermutet haben wirst, bin ich ein Vampir, aber ich kann dich beruhigen. Ich ernähre mich ausschließlich auf Tierblutbasis. Mein Name ist Cain.“, erklärte er und stellte sich endlich vor, als er die Teetasse wieder auf der dazu passenden Untertasse abstellte.
„Und du kannst nach meiner Erklärung nicht einfach wieder nach Hause.“, fuhr er ruhig fort und schaute mich aus seinen violetten Augen ruhig an.
„Und warum nicht?!“, wollte ich wissen, bevor er noch weitersprechen konnte.
„Weil ich mit Sicherheit nicht gestatten werde, dass du so spät noch durch diese Gegend und nach Hause laufen wirst, zumal mit großer Wahrscheinlichkeit eine ziemliche Strafpredigt auf dich warten wird, wenn du mitten in der Nacht dort aufkreuzt.“, erklärte er völlig ruhig und erwiderte meinen wütenden Blick mit absoluter Ruhe.
„Was heißt hier ’gestattest’

?! Ich lass mir doch von einem wildfremden, dahergelaufenen Vampir

nicht vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe!!“
Cain unterdrückte ein Grinsen.
„Außerdem bekomme ich sicher noch viel größeren Anschiss, wenn ich die ganze Nacht über weg bleibe, also ist es auch egal, ob ich mitten in der Nacht dort ankomme!“
Jetzt schüttelte Cain leicht den Kopf.
„Da wiederum täuschst du dich. Ich war so frei und habe sowohl deine Schulbücher als Geisel genommen, als auch deine Mutter überzeugt, dass du die Nacht ’bei Freunden’ verbringen darfst, da Morgen ja Wochenende ist. Dein Vater war zu dieser Zeit übrigens gerade mit deiner kleinen Schwester beim Arzt.“, erklärte Cain.
Ich starrte ihn ungläubig an.
„Du hast WAS gemacht?!“
Er trank erneut einen Schluck Tee und sah dann mit einem leichten, schelmischen Lächeln zu mir.
„Sie war wirklich zuvorkommend, als ich mit ihr gesprochen habe und als ich gesagt habe, dass ich deine Schulbücher zum Lernen und ein paar Klamotten zum Wechseln holen wollte, falls sie zustimmen würde, war sie sogar richtig freundlich... ich glaube fast, sie hielt mich für ein ziemlich jungenhaftes Mädchen... Schade, dass sie sich Morgen nicht mehr an mich erinnern wird... nur, dass sie dir erlaubt hat, die Nacht auswärts zu verbringen wird ihr im Gedächtnis bleiben.“, meinte er schmunzelnd.
Ich starrte ihn völlig entgeistert an.
„Keine Angst, ich schwöre, dass ich ihr nichts schlimmes getan habe. Eine leichte Hypnose, nichts, was Schäden hinterlassen würde... im Gegenteil, Morgen wird sie ziemlich gute Laune haben und sich viel ausgeglichener fühlen, als sonst.“, versucht er mich, in seiner melodischen Tonlage, zu beruhigen.
Ich wusste eindeutig nicht, was ich davon halten sollte und am liebsten hätte ich mir nur irgendetwas gegriffen und es ihm um die Ohren gehauen.
Stattdessen ließ ich nun langsam meine Schultasche auf den Boden sinken und sah Cain weiterhin nicht an.
Innerlich kochte ich vor Wut.
Er ließ mich so lange mit seinen Worten in Frieden, bis ich mich langsam wieder etwas beruhigt hatte, dann hielt er mir einen Teller mit Weihnachtsplätzchen hin.
„Möchtest du? Ich kann sie leider nicht essen, weil Mehl darin verarbeitet wurde und weil es feste Nahrung ist.“, erkundigte er sich freundlich.
Ich seufzte nach einem Moment des Zögerns tief, resigniert, und nahm einen Keks.
„Danke... und jetzt fang mal an zu erklären. Wofür das alles?“, wollte ich wissen während ich doch langsam meinen Mantel aufknöpfte.
Es sah ganz so aus, als konnte ich wirklich nicht hier weg.
Erstens natürlich, wegen dem Anschiss, den ich kassieren würde und zweitens war ich hier gerade in einer riesigen Villa, in der ich mich eher verlaufen würde, anstatt den Ausgang zu finden. Außerdem hatte ich das dumme Gefühl, das Cain nicht der einzige Vampir in dieser Villa war und auf nähere Bekanntschaft, mit noch mehr Vampiren konnte ich durchaus verzichten.
Von der Tatsache mal abgesehen, dass Cain mir ja nicht „gestatten

“ würde nachts draußen durch die Gegend zu irren, bis ich den Weg nach Hause fand.
„Für deine Seele.“, erwiderte Cain ziemlich gelassen und sah mir direkt in die Augen, ehe sein Mundwinkel leicht zuckte. „Drücken wir es etwas weniger drastisch aus. Ich habe nicht vor, dir deine Seele zu stehlen und dich als ’apathische Hülle’ zurückzulassen, wie du dir das vielleicht gerade vorstellst. Wenn man es einfacher ausdrücken sollte, würde ich sagen, für deine Gesellschaft.“
Warum

...? Ich meine, was hast du davon? Warum ausgerechnet ich und nicht irgendjemand anderes?!“, wollte ich daraufhin wissen.
Ich verstand es nicht.
Warum hatte er mich aus diesen Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt ausgesucht?
Ich musterte ihn fragend und jetzt fiel mir auf, dass ich eigentlich gar nicht darauf geachtet hatte, was er trug, oder wie er, von seinem lächelnden Mund oder den violetten Augen mal abgesehen, sonst aussah.
Seine Haare waren rotbraun und nun, da sie nicht unter einer Kapuze verborgen waren, sah ich, dass sie knapp bis zu seiner Schulter reichten.
Ein paar Strähnen hingen ihm aberwitzig im Gesicht und fielen über sein rechtes Auge, dessen Farbe trotzdem durchschimmerte.
Er hatte wirklich ein recht schmales Gesicht und sah, auf eine doch irgendwie jungenhafte Art und Weise, feminin aus.
Er trug eine schwarze, enganliegende, irgendwie ziemlich dünn aussehende Fleecejacke, mit Rollkragen und Reißverschluss.
Die Hose und die Schuhe allerdings konnte ich nicht erkennen, da sie unterm Tisch verborgen waren.
Cain sah mich an und er schien zu überlegen, wie viel er mir verraten konnte, ohne, dass ich schreiend weglief.
Und ich merkte, wie abgedreht diese Situation war.
Ich saß hier in aller Seelenruhe vor einem Vampir

– von denen ich nicht mal wirklich glaubte, dass sie existierten

– und wartete auf eine Antwort.
Irgendwie drehte ich langsam etwas durch. Beinahe versuchte ich mir schon einzureden, dass das alles nur ein verrückter Traum sei und ich bestimmt gleich aufwachen würde, aber dennoch fühlte sich diese Situation einfach zu real an.
Solch reale Träume hatte ich einfach nicht.
Ich rieb mir seufzend die Stirn und trank einen Schluck Tee, während ich darauf wartete, dass Cain langsam irgendwas machte oder zu erklären anfing.
Schließlich stand er langsam auf und seufzte. Er ging zur Tür und schloss ab, anschließend zog er seinen Stuhl bis in eine Ecke des Zimmers, in der, wie ich erst jetzt bemerkte, eine Überwachungskamera installiert war, und stellte den Stuhl darunter, auf den er dann stieg.
„Tut mir leid Jungs, aber diese Unterhaltung ist privat... ich komme dann später für den Schaden auf.“, meinte er leise, streckte sich etwas und griff dann einmal um die Kamera, ehe er zudrückte.
Es gab ein seltsames Geräusch, einerseits das Knacken und Krachen von Hartplastik, andererseits das Knirschen von Metall und schließlich stieg Cain wieder von dem Stuhl und warf die zerquetschte Kamera mitsamt Befestigung und heraushängenden Kabeln in einen Mülleimer, der nicht weit weg stand, bevor er mit dem Stuhl zurück an den Tisch kam und sich wieder setzte.
Ich starrte ihn völlig geschockt an.
Mit so einem Ausmaß an Kraft hatte ich überhaupt nicht gerechnet und langsam schoss mir doch etwas Adrenalin ins Blut.
„Keine Angst.“, sagte er wieder und er klang ruhig und besänftigend.
„Das sagst du so einfach! Du hast eine Kamera einfach so zerquetscht

! Mit bloßen Händen!“, entfuhr es mir, noch immer entgeistert und ungläubig.
„Habe ich dir etwas mit meinen Händen getan? Wohl kaum, denn immerhin sitzt du noch in einem ganzen, heilen, Stück vor mir, nicht wahr? Also bitte, beruhige dich.“, bat er mich ruhig und schaute mich an. Sein Blick war offen und relativ freundlich, sonst schaute er ja immer stoisch gleichmütig, und er schien dennoch ein klein wenig nachdenklich zu sein.
Widerwillig versuchte ich wirklich, mich zu beruhigen, denn er hatte recht. Bis auf die Tatsache, dass er mich hierher geschleift hatte, ging es mir eigentlich ziemlich gut, und er hatte mir sonst auch nichts „getan“.
Schließlich atmete ich ein letztes Mal tief durch und sah zu Cain.
Er war mir noch eine Erklärung schuldig.
Er schien zu merken, dass ich langsam wirklich den Grund dafür wissen wollte, warum ich hier saß und praktisch „gezwungen“ war, hier zu bleiben.
Er verschränkte etwas nachdenklich die Arme vor der Brust und schaute dann, beinahe vorsichtig, zu mir.
„Was sagen dir die Namen Kain und Abel?“, fragte er.

„Oh Shit! Ich muss noch Hausaufgaben machen!“, fiel es mir brühwarm ein, als er diese Namen erwähnte und ich beugte mich zu meiner Schultasche hinunter.
Ich hatte meine Religions- und auch meine anderen Hausaufgaben völlig vergessen!
Aber bevor ich meine Schultasche auch nur öffnen konnte, hatte Cain sich schon zu mir vorgebeugt und mir eine seiner schlanken Hände behutsam auf den Arm gelegt.
„Dazu ist später noch Zeit. Ich dachte, du wolltest eine Erklärung?“, sagte er leise und schaute mich mit, wie ich fand, unglaublicher Intensität an.
„Aber-“
„Ich helfe dir nachher sogar dabei, wenn dich das beruhigt.“, unterbrach er mich mit seiner sanften Samtstimme.
Widerwillig seufzte ich und ließ meine Tasche zurück auf den Boden gleiten.
Ich streifte mir den Mantel ab, denn langsam wurde mir wirklich warm, wozu der Tee, die Heizung, die scheinbar hier im Zimmer auf Hochtouren lief, und Cains Anwesenheit vermutlich ziemlich beigetragen hatten.
„Also, was sagen dir, von deinen Hausaufgaben einmal abgesehen, die Namen Kain und Abel?“, wiederholte Cain seine Frage.
Ich seufzte tief und leierte das runter, was ich heute mal wieder im Religionsunterricht gehört hatte.
„Der erste Mord, Verbannung und... oh.. dein Name ist eine andere Form von Kain. Allerdings wird er englisch ausgesprochen.“
Cains Mundwinkel zuckte, aber ich wusste nicht, ob es jetzt ein positives oder negatives Zucken war, denn seine Augen blickten vollkommen ruhig.
Er nickte kurz, dann sah er mich völlig ernsthaft an.
„Ich bin Kain. Der Kain, von dem du eben gesprochen hast. Der Kain, der seinen Bruder Abel aus Eifersucht erschlug und von Gott ver-... Warum lachst du?“, unterbrach er sich mitten in seiner „Erklärung“ und schaute mich ruhig an.
Ich konnte nicht mehr.
Ich musste

einfach lachen.
Dass ich die Existenz von Vampiren mehr oder weniger hingenommen hatte, das war ja schon ein starkes Stück, aber dass er mir eine solche

Geschichte auftischte, das konnte ich nun wirklich nicht glauben.
Ich versuchte mein Lachen zu ersticken, als ich Cains ernste Miene sah, aber dann prustete ich doch wieder los und hielt mir den Bauch, weil ich einfach nicht aufhören konnte zu lachen.

„Cain, alles in Ordnung da drinnen?!“, fragte auf einmal eine männliche, beinahe etwas jungenhafte Stimme vor der Tür nach, es klang ein wenig amüsiert. „Es hört sich an, als wirst du von einer Schar wildgewordener Gänse belagert.“
Um Cains Mundwinkel zuckte ein kurzes, amüsiertes Grinsen, während ich jetzt eingeschnappt still war.
„Danke Dion, es ist alles in Ordnung.“, sagte Cain laut genug, dass der Kerl vor der Tür es auch noch gut verstand.
„Na, okay, wenn du meinst.“, kam Dions Antwort zurück.
„Ja, danke. Bis später dann.“, erwiderte Cain, ohne überhaupt zur Tür zu blicken.
„Keine Ursache, bis später...“, sagte Dion noch, dann hörte man Schritte und er schien weg zu sein.
Noch immer war ich wegen Dion eingeschnappt.
Cain schien diese Zeit der Stille nutzen zu wollen, denn er stand auf.
„Ich kann verstehen, wenn du mir das nur schwerlich glauben kannst.“, sagte er, dann seufzte er leise. „Ich werde es dir wohl zeigen müssen, um es zu beweisen.“
Jetzt sah ich argwöhnisch aus.
Was

zeigen?“, fragte ich misstrauisch nach.
„Den Beweis dafür, dass ich wirklich der

Kain bin.“, meinte er nur ruhig und wandte sich um.
Ich war noch immer misstrauisch, denn ich wusste ja nicht, welchen „Beweis“ er mir liefern wollte, als ich das Geräusch eines Reißverschlusses vernahm.
Irgendwie wusste ich nicht, was ich jetzt davon halten sollte.
Cain stand mit dem Rücken zu mir und ließ seine Jacke von seinen Schultern gleiten, legte sie auf die Stuhllehne.
Als erstes war ich völlig erschrocken.
An seinem Rücken konnte man den Rippen bis nach vorne folgen, konnte sie gut erahnen, denn er sah etwas mager aus. Außerdem hatte er einen Verband um, der ihm quer über die Brust gehen musste und oben über seine linke Schulter ging.
Von der Verbandstechnik her, sah es beinahe aus, als wäre er am Oberkörper verletzt gewesen, denn so war der Verband gebunden.
Leise seufzend wickelte Cain langsam den Verband ab und drehte sich dann um.
Und ich fühlte mich vor den Kopf geschlagen.
Das war Kain!
Ich wusste nicht, woher

ich das wusste, aber ich wusste, dass

ich es wusste.

»Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde.«

“, zitierte Cain, ich erkannte die Zeilen aus der Bibel, und er hörte sich etwas verächtlich an.
„Was du hier siehst, das ist mein Kainsmal, daher erkennst du mich. Gott

gab es mir, damit mich keiner tötet, aber damit keiner Kain erschlägt, müssen mich die anderen auch als Kain erkennen.”, sagte er leise und seufzte. Als er „Gott“ sagte, klang in seiner Stimme Abscheu mit.
Er strich mit seinen langen, dünnen Fingern über sein Mal.
Es war links auf seiner Brust, dort, wo das Herz sich befinden musste, und es war nicht sehr viel größer, als eine Münze.
Ein blutroter Ring, der von ebenso roten Ranken umschlungen war, von dem ein paar blutrote, kleine Blätter abzweigten.
Mir fiel außerdem auf, dass er nicht nur am Rücken etwas mager aussah.
Man erahnte seine Rippen, wenn auch nicht ganz so wie an seinem Rücken, aber man wusste in etwa, wo sie waren, und weiter unten sah man zwei sich leicht unter der Haut abzeichnen.

Cain seufzte und ging zu einer Kommode, die an der rechten Zimmerwand stand.
Mir fiel auf, dass es in diesem Zimmer kein einziges Fenster gab, aber das lag vielleicht daran, dass das Gerücht mit dem Sonnenlicht und den Vampiren doch nicht so ganz erfunden zu sein schien.
Des Weiteren war dieses Zimmer in einem ziemlich alten Stil eingerichtet, allerdings wusste ich nicht genau, welche Epoche es wohl wiederspiegelte.
Der Tisch, die Kommode, zu der Cain gegangen war, auch die Stühle und der Schreibtisch, der in der Ecke hinter mir stand, sie alle waren aus, teilweise poliertem, Mahagoniholz, von der Farbe her zu schließen, und sie alle waren ziemlich kunstvoll gearbeitet.

Cain öffnete eine der unteren Schubladen der Kommode und holte einen neuen, aufgewickelten Verband heraus, aber vorher warf er den alten in einen Korb, der in der Nähe der Kommode stand.
Schließlich setzte Cain sich wieder zu mir und bandagierte seinen Oberkörper wieder so ein, wie er zuvor gewesen war – es wirkte schon ziemlich routinemäßig, als würde er es schon sehr lange machen –, ehe er sich seine Jacke wieder anzog und den Reißverschluss wieder bis ganz oben zuzog.

„Da du mir nun glaubst, können wir mit der eigentlichen Erklärung anfangen.“, meinte er und trank einen Schluck Tee.
Er seufzte lautlos.
„Ich habe ausgerechnet dich

ausgesucht... aufgrund deiner Seele.“, sagte er und sah auf. Sein Blick bohrte sich in meinen.
„Deine Seele ist sehr, sehr kostbar für mich. Und damit meine ich diesmal nicht deine Gesellschaft als solches, sondern wirklich die Seele.“, ergänzte er.
„Aber... warum? Ich versteh das immer noch nicht.“, sagte ich verwirrt. Ich versuchte gerade immernoch, mich davon zu überzeugen, dass Gott also doch wirklich existieren musste, aber das wollte mir nicht so ganz gelingen.
„Weil deine Seele die Wiedergeburt einer anderen ist... oder zumindest zu einem gewissen Teil, der noch von seiner Seele übrig geblieben ist.“, sagte Cain leise, ehe er den Blick leicht senkte und einen weiteren Schluck Tee trank.
Wessen

Seele? Ich… kann das alles noch gar nicht so wirklich begreifen.”, bohrte ich wieder nach.
„Du trägst den verbliebenen Teil von Abels Seele in dir, Alaine.“, antwortete er und hob den Blick wieder.
Sein Blick war einfach unbeschreiblich.
Es lag seine sonstige, stoische Ruhe darin, aber gleichzeitig auch Wärme und ein Gefühl, welches ich noch nicht so wirklich zu deuten vermochte, das aber im Gegensatz zu der Ruhe stand, denn es flackerte in seinen Augen wider.
„A... Abels... Seele?“, fragte ich langsam nach und mit erhobener Augenbraue nach. Es hörte sich genauso an, wie ich mich fühlte. Es war so schwer zu glauben.
Cain nickte ruhig und völlig aufrichtig.
„Seine Seele wurde allerdings so oft nacheinander wiedergeboren, damit so oft geteilt, dass du nur noch einen kleinen Teil von meinem Bruder in dir trägst, tief in deinem Unterbewusstsein verborgen.“, meinte er und seufzte leise.
Ich blinzelte und derweil versuchte mein Hirn mit dem Ansturm der Informationen nachzukommen.
„Warte mal... du hast gesagt, du willst meine Gesellschaft... wegen Abels Seele. Aber... warum willst du seine Gesellschaft? Du hast ihn doch damals aus Eifersucht umgebracht.“, fragte ich langsam und etwas zögerlich nach.
Cain lächelte wieder und schloss die Augen.
Und wieder war es dieses traurige Lächeln von heute Morgen.
„Ich habe ihn aus Eifersucht umgebracht, das stimmt. Aber nicht aus Eifersucht auf ihn

. Derjenige, auf den ich eifersüchtig war, das war Gott

.“


†_4.Kapitel – Brudermord_†




„G-... Gott?“
Cain nickte, weiterhin mit geschlossenen Augen und seufzte leise, aber tief.
„Anders als die Bibel es den Leuten weismachen will, war ich nie in meinem ganzen menschlichen, und auch nicht in meinem vampirischen, Leben auf Abel eifersüchtig.“, sagte er leise und noch immer behielt er die Augen zu.
Er sah so verletzlich aus, wie er so da saß.
Irgendwie hatte ich beinahe schon das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen und zu beschützen; es war absurd.
„Die Bibel ist ziemlich ungenau, was Abels und meinen Fall anbelangt. Überhaupt hat sie ziemlich viele Lücken oder Fehler, aber ich will versuchen, dir so gut es geht zu erklären, was damals passierte.“, sagte Cain schließlich und öffnete seine Augen ein ganz klein wenig.
Dennoch behielt er den Blick so gesenkt, dass seine Augen beinahe noch immer aussahen, als wären sie geschlossen.
„Abel und ich waren Zwillinge. Abel war der Jüngere von uns beiden, aber auf solche Kleinigkeiten legten wir beide keinen Wert.
Wir wuchsen gemeinsam auf und seit jeher waren wir beide unzertrennlich. Unser Band war sehr stark und wir waren fast immer zusammen.“, fing Cain leise zu erzählen an.
Ich lauschte aufmerksam und fragte mich... wenn Abel und er so unzertrennlich gewesen waren, warum hatte er ihn dann erschlagen?
Vor allem aber, warum hatte er Abel

umgebracht, wenn er doch auf Gott

eifersüchtig gewesen war?
Ich verstand den Zusammenhang nicht so wirklich.

„Von allen Lebewesen, die damals auf der Erde lebten, Gott miteingeschlossen, liebte ich niemanden so sehr, wie Abel.“, fuhr Cain leise fort und starrte mit seinen kaum geöffneten Augen in die Teetasse vor sich. Seine Stimme war nicht mehr als ein etwas lauteres Murmeln.
„Meine Bruderliebe zu ihm war so intensiv, dass sie heutzutage nicht mehr von dem getrennt werden könnte, was ihr Menschen geläufig als Liebe bezeichnet.
Früher waren die Gefühle, die Liebende füreinander empfanden, viel tiefgreifender als das, was heute Gang und Gäbe ist. Nur noch selten schafft es ein Paar, so aufrichtig und intensiv zu lieben, dass es an frühere Zeiten heranreicht...“, Cain brach ab und seufzte kurz, ehe er langsam aufblickte und sich noch einen Tee eingoss.
Er wich meinem Blick aus.
„Das Wesen, welches ich nach Abel am meisten liebte, war niemand anderes, als Gott selbst. Auch Abel liebte Gott und als wir noch klein waren, opferten wir ihm stets gemeinsam und er nahm beides an...“, er trank einen Schluck ehe er die Tasse auf den Untersatz zurückstellte und wieder einen Moment die Augen schloss, als wäre er ganz woanders mit seinen Gedanken, was er sicher auch war.
„Schließlich aber, als wir älter wurden, bekam ich langsam Angst. Ich fürchtete, dass das Band zwischen Gott und Abel intensiver werden könnte, als jenes zwischen meinem Bruder und mir. Dass Gott Abel an seine Seite holen könnte und mich allein auf der Erde zurücklassen würde, denn Abel war meiner Meinung nach so viel frömmer, liebenswürdiger und lebendiger als ich und somit viel eher dieser ’Gefahr

’ – wie ich es empfand – ausgesetzt.
Und so wuchs die Angst und die unbewusste Eifersucht immer weiter an, bis sie ganz bewusst in meinen Geist eindrangen und ich viel darüber nachdachte, wenn Abel und ich unsere Zeiten getrennt verbringen mussten, da er sich um die Schafe kümmerte und ich mich um den Ackerbau. Schließlich, nicht lange, nachdem Abel und ich achtzehn geworden waren, opferten wir wieder, wie jedes Jahr, und diesmal nahm Gott mein Opfer nicht an.
Erst war ich traurig darüber, weil ich Gott ja nach Abel am meisten geliebt hatte, aber als ich schließlich sah, wie er Abels Opfer annahm, bekam ich wieder Angst und sie kroch mir eiskalt über den ganzen Körper, sodass ich den Blick senken musste, damit Abel, der neben mir betete, die Angst in meinen Augen nicht erkannte – an dieser Stelle meint die Bibel übrigens folgendes...“, Cain seufzte kurz lautlos, ehe er wieder eine Stelle aus der Bibel zitierte.
»Da überlief es Kain ganz heiß, und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß, und warum senkt sich dein Blick?
Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, /doch du werde Herr über ihn!«

“, Cain starrte in seine Teetasse und blickte dann zur Seite.
„Tz... in Wirklichkeit sagte Gott überhaupt nichts. Er blieb stumm und labte sich an dem Opfer, welches Abel ihm darbrachte, während ich in diesem Moment vor Angst fast umkam... Aber dennoch, daran, Abel umzubringen, hätte ich nie gedacht, denn dafür bedeutete er mir einfach zu viel...
Als wir dann schließlich zurück nach Hause gehen wollten, ging bereits langsam die Sonne unter. Ich ließ die ganze Zeit den Kopf hängen, damit Abel nicht sah, was ich so zwanghaft zu verbergen suchte.
Ich schämte mich für meine kindische Angst, Abel würde mich zurücklassen.
Abel jedoch deutete es als Niedergeschlagenheit, weil Gott mein Opfer nicht angenommen hatte und tröstete mich, sagte, ich solle den Kopf nicht hängen lassen, beim nächsten Opfer würde Gott meines sicher auch annehmen, aber ich konnte ihm nicht antworten, denn die Angst lähmte meine Zunge.
Abel war wirklich besorgt um mich.
Er schlug vor, schnell einen Abstecher zum Feld zu machen und mir zu helfen die Pflanzen zu bewässern, bevor es ganz dunkel war, um mich von der Sache mit dem Opfer abzulenken.
Ich nickte stumm, aber noch immer schaute ich ihn nicht an.
Schließlich aber blickte ich doch auf, denn Abel hatte mich ganz überrascht und freudig dazu aufgefordert zu schauen, weil ein Feldhase am Rande des Ackers saß.
Ich blickte auf, aber ich sah nur Abel, der genau vor der untergehenden, roten Sonne stand und ihr Licht in den Rücken bekam, während er lachend zur Seite schaute und den Hasen beobachtete.
Und da überwältigte mich die Angst vollends, denn in meinem jugendlichen Leichtsinn sah es beinahe so aus, als würde Gott ihn regelrecht strahlen lassen, um ihn dann mit sich zu nehmen.“, Cain unterbrach sich erneut und schwieg einen Moment, schluckte und starrte nun wieder in seine Teetasse. Er sah so unglaublich niedergeschlagen aus.
„Als ich Abel so sah, konnte ich nicht richtig denken, vor panischer Angst. Ich weinte, weil ich nicht wollte, dass Gott mir meinen Bruder wegnahm, rief seinen Namen und fiel ihm um den Hals und während Abel noch völlig überrascht war, schlug ich mit einem etwa faustgroßen Stein, den ich ursprünglich vor mich auf den Weg hatte werfen wollen, um mich etwas abzulenken, auf Abels Hinterkopf ein und brach ihm somit den Schädel...“, Cains Worte wurden immer leiser.
„Erst als wir beide zu Boden sanken, kehrte mein Verstand langsam zurück und ich war so dermaßen erschrocken, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Abel blutete aus der Wunde an seinem Kopf und aus den Ohren, aber dennoch sah er mich an und in seinem Blick lag keinerlei Vorwurf.
Im Gegenteil, er lächelte und es lag eher soetwas wie Verständnis und einfach nur Wärme in seinem Blick und ich war so sehr am Weinen, weil ich ihn nun durch meine eigene Hand verlieren würde.
Ich stammelte nur, wie leid es mir tat und dass ich das nicht gewollt hatte, dass er wach bleiben sollte, aber Abel konnte schon nicht mehr sprechen, denn der Druck auf seinem Hirn war zu groß.“, Cain schwieg etwas und die Stille hatte etwas drückendes, aber es dauerte nicht allzu lang, da räusperte Cain sich und fuhr leise fort.
„Nicht lange danach starb Abel in meinen Armen und ich war hilflos vor Verzweiflung. Ich begrub Abel auf meinem Acker und blieb die ganze Zeit über dort sitzen.
Ich ging nicht nach Hause zurück, sondern saß nur da und weinte und ich konnte die ganze Zeit nichts anderes machen.
Erst, als der nächste Morgen anbrach, stand ich wacklig auf und kümmerte mich etwas um Abels Herde, brachte sie zurück in den Stall, da sie die ganze Nacht auf der Koppel verbracht hatten, aber dann ging ich wieder von dort weg und tappte niedergeschlagen und mit Tränen in den Augen zurück zum Acker – zu Abels Grab.
Ich hatte nicht mitbekommen, wie sehr die Zeit vergangen war, denn ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber als ich dort ankam, war es schon wieder Abend.
Und als Gott mich fragte, wo Abel sei, da antwortete ich ihm nicht und hielt meine Augen vor ihm verborgen.
Ich war so fertig mit den Nerven, dass ich vermutlich vollends in Tränen ausgebrochen wäre, wenn ich den Mund aufgemacht hätte.“, erzählte Cain und seufzte leise, tief, und es klang ein wenig so, als hätte er einen Kloß im Hals.
„Schließlich kam diese berühmte Stelle aus der Bibel...“, fuhr er nach einem Moment leise fort und der Satz, den er aussprach, klang verächtlich.
»Der Herr sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Acker-«

... Aber ich unterbrach Gott.
Ich hatte es sonst nie gewagt, wenn er einen unbedeutenden kleinen Engel auf die Erde schickte, von dem er dann Besitz ergriff und zu den Menschen sprach, aber diesmal war ich so aufgelöst, dass es mir egal war.
Ich war so verzweifelt, wütend und voller Trauer.
Ich schrie Gott an.
›Wo warst du, als ich dieses schreckliche Werk getan habe?! Warum warst du nicht da und hast mich aufgehalten, als ich diese Tat beging, die ich nicht begehen wollte?! Warum hast du Abel nicht gerettet vor mir?!‹

, wollte ich unter Tränen von ihm wissen und weinte stumm vor mich her.
Gott schwieg daraufhin. Er erwiderte nichts sondern schaute nur zu mir in meiner Qual. Er rührte nicht mal einen Finger.
Als er schließlich wieder zu sprechen begann, verfluchte er meinen Ackerboden, in dem Abel begraben lag und dessen Blut er aufnahm, verbannte mich von dort.
Dann kam wieder eine Bibelstelle... »Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein.«

, das sagte Gott zu mir.
Darauf erwiderte ich, noch immer unter Tränen, folgendes, welches nur teilweise korrekt in der Bibel wiedergegeben wird, eher fehlerhaft und nur kleine Bruchstücke um genau zu sein.
›Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte. Ich habe meinen geliebten Bruder erschlagen und du hast mich heute von meinem Ackerland verjagt, welches sein Grab ist!
Rastlos und ruhelos hast du mich gemacht, aber ich kann meine Sünde nicht ertragen, daher will ich zu meinen Eltern gehen, auf dass sie mich erschlagen, dafür, dass ich ihnen ihren Sohn geraubt habe!
Ich will mit diesem Schmerz nicht weiterleben müssen, ich will bei Abel sein!‹

, das waren meine Worte.“, Cain unterbrach seine leise, etwas traurig klingende, aber dennoch melodische Stimme und hielt mir ein Taschentuch hin.
Ich nahm es dankend entgegen und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Es war so verdammt traurig, dass ich einen riesigen Kloß im Hals hatte, der schmerzte und mich kaum atmen ließ.
„Geht’s oder soll ich erst mal abbrechen?“, fragte er leise nach.
Es klang beinahe etwas besorgt oder fürsorglich, aber der Kloß in meinem Hals hinderte mich am Sprechen, daher schüttelte ich nur den Kopf.
Ich atmete zittrig ein und aus und putzte mir die Nase.
„Okay... aber wenn es zu schlimm für dich wird, gib mir bitte bescheid. Ich möchte dir nicht mehr zumuten, als du ertragen kannst.“, bat er ruhig, aber noch immer schaute er mir nicht direkt in die Augen.
Seitdem er zu erzählen begonnen hatte, mied er meinen Blick.
Ich nickte schniefend und wischte mir erneut über die Augen.
Cain seufzte leise und holte dann tief Luft, ehe er fortfuhr.
„Gott zwang mich daraufhin, eine Frucht vom Baum des ewigen Lebens zu essen – welcher im Paradies neben jenem stand, der meinen Eltern Sünde aufgebürdet hatte, nämlich dem Baum der Erkenntnis –, da er mich für meine Worte strafen wollte und machte mir mein Kainsmal. Mein Leben lag in seiner Hand, das machte er mir an jenem Tag so klar, wie es überhaupt nur möglich war.
Nachdem er mich allerdings gezwungen hatte, die Frucht zu essen, setzte eine äußerst schmerzhafte Verwandlung ein und ich wurde zum ersten Vampir auf der Erde, da meine Sünde mich einfach verdorben hatte, wie Gott es ausdrückte.
Ich konnte bei Tag nicht mehr nach draußen und verkroch mich in einer Höhle, in der Nähe meines Zuhauses.
Auch feste Nahrung war mir versagt, da ich keine Früchte des Ackers mehr zu mir nehmen konnte und früher ernähten wir uns vegetarisch.
So zwang mich bald mein Hunger, die Tiere aus Abels Herde zu reißen, aber da ich ja nichts Festes essen konnte, weil mein Magen nicht mehr dazu geeignet war, soetwas richtig zu verdauen, blieb mir lediglich das Blut der Tiere, um nicht völlig zu Grunde zu gehen.
Und während dieser ganzen Zeit, konnte ich meine Schuld nicht vergessen und litt Höllenqualen, wegen meiner Trauer und meiner Sehnsucht nach Abel.“, Cain seufzte und schaute vorsichtig in meine Richtung, um zu sehen, ob es mir nun besser ging, ehe er fortfuhr.
„So verging die Zeit immer mehr, bis schließlich mein kleiner Bruder Set geboren wurde, als ’Ersatz für Abel’, wie meine Mutter nicht nur laut der Bibel sagte.
Aber abends sah ich ihn aus der Ferne und ich bekam tagsüber in meiner dunklen Höhle mit, wie er draußen heranwuchs – denn ich war wirklich rastlos und ruhelos und konnte kein Auge zutun um im Schlaf vielleicht doch zu vergessen – und er hatte nichts mit Abel gemein, außer unsere Eltern.
Er war eine ganz andere Persönlichkeit.
Während Abel das Leben genommen hatte, wie es war und sich über das Existierende erfreut hatte, war Set ein kleiner Quälgeist, der Vater und Mutter immerzu mit Fragen über das ’Warum?’ überhäufte. Egal was man ihm zeigte, er stellte es infrage.
Er wollte von allem die Hintergründe erfahren und gab nie Ruhe.
Bald schon hielt ich seine Fragen selbst in meiner Höhle nicht mehr aus und versuchte irgendwie, mich taub zu stellen, aber dennoch hörte ich immerzu die Fragen meines Bruders, den ich nicht als solches anerkannte.
Für mich gab es einzig und allein Abel.
Set bekam weitere Geschwister und irgendwann im Laufe der Zeit, als Set schon erwachsen war, nahm er sich eine seiner Schwestern zu Frau und bekam einen Sohn.
Nach diesem Ereignis reiste ich ab, denn ich konnte ihre indirekte Gesellschaft nicht mehr ertragen.
Weiterhin ernährte ich mich ausschließlich von Tierblut – und das habe ich bis heute beibehalten – und reiste umher, immer in der Hoffnung meine Schuld zu vergessen, aber immer in der Gewissheit, dass das niemals geschehen würde.
Die Jahre zogen ins Land, Mutter starb, Vater starb und schließlich starben auch Set und seine direkten Nachkommen.
Die Menschheit hatte sich mit Set und meinen anderen Geschwistern so weit verbreitet, dass es keinen Unterschied mehr machte, wo ich war.“, Cain sah in seine Teetasse und trank einen Schluck.
„Die Bibel besagt, nachdem ich von Gott verbannt worden war, ging ich von ihm weg und fand eine Frau, mit der ich angeblich einen Sohn zeugte und was weiß ich noch für viele Nachfahren... lächerlich

.
Es gab nach meinem Sündenfall noch nirgends eine andere Frau, außer meiner Mutter, und aus dem Nichts tauchte auch keine auf.
Außerdem hatte ich nicht die Absicht, Nachkommen in die Welt zu setzen. Und die habe ich bis heute nicht.
Tatsächlich habe ich selbst als Vampir niemals in meinem Leben Abkömmlinge geschaffen, auch, wenn ich viel mit der Einsamkeit kämpfte und um die Möglichkeit wusste.“, sagte Cain und es klang etwas so, als würde ihn die Vorstellung anwidern Kinder zu bekommen.
Plötzlich zog sich einer seiner Mundwinkel ganz leicht hoch und er sah wieder auf den Tisch vor sich.
„Schließlich kam die Zeit der Sintflut. Und tatsächlich überlebte ich diese nur, weil ich als blinder Passagier an Bord von Noachs Arche reiste und mich nachts still und heimlich von den Tieren dort ernährte.
Dennoch brachte ich diese Tiere nicht um. Ich trank nur ein Minimum an Blut, um mich am Leben zu erhalten.
Wirklich seltsam, nicht wahr? Im Laufe der Zeit hatte ich beinahe so etwas wie einen Überlebenswillen entwickelt, auch, wenn ich es eigentlich gar nicht beabsichtigt hatte und nicht wollte.
Immer lebte die Hoffnung in mir, dass ich Abel eines Tages wiederfinden könnte oder jemanden, der ihm bis aufs Haar ähnelte und mit dieser Person Zeit verbringen könnte.“, Cain seufzte kurz ein wenig lächelnd, dann erzählte er weiter.
„Tatsächlich passierte nicht viel, während der Zeit, welche die Gläubigen als ’Altes Testament’ bezeichnen, von der einen Tatsache abgesehen, dass Gott immer schwächer wurde.
Und je schwächer Gott wurde, desto mehr konnte ich mich stückchenweise wieder etwas hocharbeiten.
Ich schaffte es, dass ich wieder Tee trinken konnte, was ja nichts anderes, als aufgebrühte Kräuter sind, die wiederum auf einem Feld wachsen.
Gottes letzte große Taten, waren es, Jesus an seine Seite zu holen und Judas zu dem zweiten Ursprungsvampir zu machen.
Der letzte Atemzug Gottes, war praktisch der Moment, da der Heilige Geist über Jesus’ verblieben Jünger fuhr. Erbärmlich, nicht wahr?
Mit dem Maße, da der Glauben im Herzinneren der Menschen gestorben war, war auch Gott zu Grunde gegangen.
In der heutigen Zeit, ist Gott bereits schon lange mausetot... das letzte, lautlose Wispern, dass er eigentlich schon tot ausstieß, war die Berufung der Jeanne d’ Arc zur Kriegerin.“, erzählte Cain und jetzt lächelte er wieder ganz leicht. „Damit der Rest der Geschichte sich wenigstens etwas nach seinem Plan richtete... aber selbst das war nicht der Fall. Die Welt versinkt im Chaos.“
Cain seufzte lautlos und schüttelte den Kopf.
„Wie dem auch sei, jetzt kennst du den Grund dafür, warum ich Abel erschlug und wie ich zum Vampir wurde.
Als auch Judas zum Vampir wurde und sich seine Abkömmlinge immer weiter verbreiteten, griff ich schließlich durch.
Es war etwa tausend Jahre nach Judas’ Verrat am ’Sohn Gottes

’, da eliminierte ich nicht nur ihn, sondern auch sämtliche Vampire, die das zweihundertfünfzigste Lebensjahr überschritten hatten, denn mittlerweile fielen sie schon schamlos über Menschen her, da es einfach zu viele Vampire waren, als dass Vieh ihnen gereicht hätte.
Der Rest seines Clans – es waren sicher nicht mehr als dreihundert – schloss sich wieder zusammen und ich schloss mich ihm an, denn ich war die Einsamkeit leid.
Ich gab mich für jünger aus, ’modernisierte’ meinen Namen, machte aus dem Kain ein Cain, denn diese Variante fand mehr anklang und wurde nicht gleich geächtet, da sie ja anders ausgesprochen wird, auch, wenn sie im Grunde das selbe bedeutet...
Außer dir weiß niemand, dass ich Kain bin, daher bitte ich dich, es für dich zu behalten. Wenn ich als erster Vampir ’enttarnt’ werde, gibt es nur unnötige Komplikationen und am Ende werde ich vermutlich noch dazu gezwungen, diesen überwiegend dekadenten Clan zu übernehmen.“, bat Cain mich und ich nickte stumm. Ganz gewiss würde ich ihn nicht verraten.
„Danke... Der Clan verhielt sich nach seiner Reformierung wieder zivilisiert, erstens, weil sie fürchteten wieder ausgemeuchelt zu werden, wenn sie zu sehr über die Strenge schlugen, von wem auch immer, denn den Übeltäter – mich – haben sie nie gefunden, zweitens wegen den Menschen, die in den Jahrhunderten darauf auf alles ’Übernatürliche’ Jagd machten. Sie hätten den gesamten Clan ausgerottet, hätten sie sich nicht benommen und wären auch überwiegend auf Tierblut umgestiegen.
Der Clan hält sich einige Tierherden, Schafe und Rinder überwiegend, von dem sich die Vampire ernähren.
Einige Vampire reagieren jedoch allergisch auf Tierblut, meist bekommen sie in diesem Falle Atemnot und ziemliche Schmerzen, wie sie sonst nur bei der Verwandlung in einen Vampir vorhanden sind, daher ernähren sich die Allergiker von Menschenblut, welches gespendet wird.
Natürlich gibt es auch noch ein paar, die sich nicht an die Regeln halten können, welche Jagd auf unschuldige Menschen machen, sie grausam quälen und ermorden, aber diese Sorte hält sich zum Glück in sehr überschaubaren Grenzen, agiert meist nur in Großstädten, wo täglich sowieso ein Dutzend Leichen ansteht und sie verwischen ihre Spuren.
Auch die Verbreitung der Vampire wird in Grenzen gehalten, es wird nicht wie damals jeder x-beliebige aus Jux und Tollerei verwandelt, sondern, wenn überhaupt, gezielt ausgewählt.
Meistens kommt es zu einer Verwandlung, wenn ein Vampir sich in einen Menschen verliebt, denn wenn ein Vampir liebt, dann bleibt diese Liebe immer bestehen – was das angeht, sind unsereins ein wenig wie Hunde, nur ein wenig extremer, glaube ich.
Treu bis zum endgültigen Tod und sehr oft bleibt selbst in diesem Falle die Treue zum verstorbenen Partner bestehen.
Allerdings haben wir Vampire nicht oft solche Verbindungen zu Menschen. Die richtige Bekanntschaft bis zum Zusammenkommen sind meist schon eine sehr starke Zerreißprobe, welche die wenigsten überstehen, oder aber sie kommen gar nicht erst zusammen, sondern bleiben nur Freunde.“, meinte Cain und trank noch einen Schluck Tee.

„Wie dem auch sei, da Gott jetzt eigentlich tot ist und nur noch sein Fluch auf mir haftet, schaffe ich es mittlerweile sogar, mich wirklich auszuruhen, etwas zu dösen, wenn man so will, und Suppen und auch Gemüsesuppen zu essen.
Dennoch kann ich keine Speisen mit Mehl zu mir nehmen, denn auf meinem Acker baute ich Getreide an, welches in Mehl verarbeitet wurde und dieser Urfluch ist zu stark, als dass er sich auflösen würde. Auch festes Essen bleibt mir weiterhin verwährt, aber immerhin habe ich einen guten Fortschritt gemacht, was meine Ernährung angeht.
Ich kann die fehlenden Vitamine und Nährstoffe durch Obstsäfte und Gemüsesuppen wieder etwas ausgleichen.“, meinte er und jetzt lächelte er doch wieder etwas, auf die selbe Art, wie er es schon vor seiner Geschichte ab und an gemacht hatte.
Jetzt sah er auch wieder auf und mir ins Gesicht.
Er sah etwas erleichtert aus, scheinbar war ich der erste Mensch, dem er diese ganze Geschichte wirklich erzählt hatte.
Und er tat mir so leid. Unwillkürlich hatte sich eine Art „Beschützerinstinkt“ in mir aufgebaut und obwohl es ziemlich albern war, denn er als Vampir könnte sicher viel mehr Gefahren standhalten, als ich, hatte ich den Drang, ihn einfach zu beschützen, vor dem Bösen dort draußen.
Ich beschloss, dass ich ihm Gesellschaft leisten würde.
Von mir aus auch öfter.
Irgendwie konnte ich nicht leugnen, dass ich ihm trotz allem irgendwie mochte und seine Geschichte hatte mir regelrecht das Herz erweicht und ich war bereit, ihm zu glauben.
Er war so lange allein gewesen, dass wenigstens ich jetzt für ihn da sein wollte.
Es war etwas merkwürdig. Als ob mein Instinkt mir voll und ganz zustimmte.
Unwillkürlich fragte ich mich, ob das vielleicht der kleine Teil von Abels Seele war, der mir zuredete und der auch wieder in Cains Gesellschaft sein wollte.

Schließlich durchbrach Cain aber die Stille, die gerade im Raum herrschte, da ich nichts auf das Ende seiner Historie erwidern konnte.
„Du siehst immer noch etwas mitgenommen aus. Möchtest du dir das Gesicht waschen?“, fragte er nach und wieder hatte seine Stimme diesen etwas besorgten Unterton.
Tatsächlich fühlte ich mich immer noch völlig verheult und der Kloß in meinem Hals schwoll nur langsam ab.
Ich fühlte mich wie ein Schwächling, denn ich hatte, obwohl ich keinerlei Bezug zu Cains Geschichte hatte, Rotz und Wasser geheult und Cain, der wusste, wie es sich anfühlte, der das alles selbst miterlebt hatte, sah vollkommen normal aus, höchstens etwas niedergeschlagen, als er noch erzählt hatte.
Ich nickte schniefend und trank meinen Tee aus, der mittlerweile kaum noch lauwarm war.
Cain stand auf und rückte seinen Stuhl an den Tisch, sein Tee war scheinbar schon leer, dann trat er neben mich und wartete, bis ich ebenfalls aufgestanden war.
Wir gingen gemeinsam zur Tür, ich wischte dabei noch die restlichen Tränenspuren aus meinem Gesicht und putzte erneut meine Nase, und Cain schloss auf, ehe wir gemeinsam über den Flur gingen, der wie ausgestorben war.
„Die sind alle in ihren Zimmern, in den Wohnräumen oder geistern draußen durch die Gegend. Man sieht selten Vampire auf den Gängen, es sei denn, jemand muss von A nach B.“, erklärte Cain, der die Überraschung auf meinem verheulten Gesicht sah.
„Ach so.“, murmelte ich und ich ärgerte mich, dass ich so piepsig klang, weil noch immer der Kloß in meinem Hals steckte.
Cain führte mich ein Stück durch den Flur, dann öffnete er eine Tür zu seiner Rechten und deutete einladend hinein.
„Hier ist eines der Badezimmer. Ich warte draußen und kümmere mich derweil ums Essen. Du musst Hunger haben, immerhin habe ich dich um dein Abendessen gebracht...
Ach, und nach dem Essen zeige ich dir am besten dein Zimmer. Immerhin wirst du ja irgendwann auch schlafen müssen.“, meinte er und lächelte wieder leicht und ich nickte nach einem Moment nur und tappte ins Bad.
Cain schloss die Tür hinter mir und ich war so frei und schloss ab.

Während ich auf die Toilette ging und mir anschließend Hände und das Gesicht wusch, hörte ich Cain draußen leise mit jemandem Sprechen, aber er schien zu telefonieren, denn ich hörte keine Stimme, die ihm antwortete.
Tatsächlich hörte ich kurz darauf das Geräusch von einem zusammenklappenden Handy, allerdings fing er nur Augenblicke später wieder zu sprechen an und wieder antwortete ihm keiner.
Ich trocknete mir grade die Hände ab.
„Ich weiß, dass du ihn nicht magst, Gabriel. Aber du musst dich ja nicht mit ihm beschäftigen, du kannst lesen oder lernen. Dion wird dich sicher in Ruhe lassen, wenn er merkt, dass du beschäftigt bist. Also bleib bitte noch ein bisschen bei ihm, ja?“, hörte ich Cains Stimme ziemlich leise sagen.
Es kam keine Antwort, wie schon vorher nicht, dennoch begann Cain wieder zu sprechen.
„Danke. Ich bin froh, dass wir diesen Kompromiss eingehen konnten.“, sagte er und es hörte sich freundlich an. „Bis dann.“

Ich sah in den Spiegel über dem Waschbecken.
Mein Gesicht sah wieder besser aus, das Wasser hatte mir gut getan.
Ich sah nicht mehr so verheult aus, auch, wenn man wohl noch erkennen konnte, dass ich geweint hatte, aber wenigstens war es nicht mehr so schlimm wie vorher und der Kloß in meinem Hals war auch langsam wieder weg.
Ich seufzte etwas erleichtert und ging zurück zur Tür, die ich wieder öffnete.
Cain sah zu mir, als ich wieder nach draußen getappt kam.
„Besser?“, fragte er nach.
„Ja, danke.“, antwortete ich und diesmal war ich erleichtert, denn meine Stimme klang nicht mehr wie ein Piepsen.
Nur ein wenig heiser war ich, was wohl die letzten Überreste meiner Weinerlichkeit waren.
Cain lächelte wieder ganz leicht.
„Das freut mich. Dann können wir jetzt zurückgehen. Ich glaube, das Essen müsste jeden Moment eintreffen.“, meinte er und wir tappten beide zurück zu dem Zimmer, wo Cain mir seine Vergangenheit erzählt hatte.

Tatsächlich war das Essen schon da.
Neben dem Tisch stand ein kleiner Servierwagen, auf dem ein Topf, zwei Teller, Besteck und neben verschiedenen Säften auch noch eine undurchsichtige Flasche stand, zusammen mit passenden Gläsern natürlich.
Cain sah kurz zu der einen Flasche und seufzte lautlos, sah etwas widerwillig aus, aber dann lächelte er und sah zu mir.
„Scheint mir fast so, als wäre das Küchenpersonal schneller gewesen, als ich dachte.“, meinte er und deutete einladend zum Tisch.
„Setz dich.“, sagte er und ich nickte nur und setzte mich.
Ich hatte mein Zeitgefühl verloren, während Cain erzählt hatte, aber es schien schon spät zu sein, denn langsam ermatteten meine Sinne etwas und sicher würde es nicht mehr allzu lange dauern, bis die Müdigkeit anfangen würde, über mich zu kriechen.

Ich bedankte mich, als Cain mir einen Teller Suppe vor die Nase stellte und mir einen Löffel reichte.
„Was möchtest du trinken? Ich habe hier alle möglichen Säfte. Apfel, Orange, Birne, Kirsche und noch so einiges.“, erkundigte Cain sich.
Ich lugte zu der undurchsichtigen Flasche und fragte mich, was dort wohl drinnen war, aber schließlich wählte ich Apfelsaft und bedankte mich erneut, als Cain mir mein Glas reichte.
Er setzte sich zu mir und nahm sich ebenfalls Suppe.
Wir aßen gemeinsam und schwiegen dabei.
Ich wusste nichts zu erzählen und Cain fing auch kein Thema an und außerdem war es auch etwas angenehmer, in Ruhe zu essen.
Die Suppe tat gut.
Tatsächlich hatte ich meinen Hunger total vergessen, während Cain erzählt hatte und mir war doch etwas schlecht gewesen, weil ich so lange nichts gegessen hatte, aber die Suppe linderte die Übelkeit und machte sie verschwinden, während ich den Teller leerte und sogar um Nachschlag bat.
Es war wirklich lecker.
Wer immer gekocht hatte, verstand sein Handwerk und war meisterhaft darin.
Cain lächelte die ganze Zeit während des Essens leicht und ich fragte mich, ob ich irgendwie amüsant aussah oder ob er sich einfach freute.
Ich kam einfach zu dem Schluss, dass es wohl letzteres war und schließlich waren wir beide mit dem Essen fertig und ich trank einen Schluck meines Apfelsaftes.
Cain hatte sich noch nichts zu trinken genommen, aber jetzt stand er auf und ging zu dem kleinen Servierwagen, wo er nach der undurchsichtigen Flasche griff.
Ich wusste nicht, woher er es nahm, aber er hatte nur wenig später ein Glas in der Hand, dass wohl aus dem selben Material gefertigt war, wie die Flasche, denn auch das Glas war undurchsichtig, zudem außerdem noch recht hoch und sah etwas aus, wie eine Mischung aus Sekt- und Weinglas.
Wohl eher so eine Art gläsernen Kelch.
Er öffnete die Flasche und drehte sich etwas von mir weg, als er sich einschenkte, dann stellte er die Flasche zurück und setzte sich zu mir.
Ich konnte von meiner Seite des Tisches nicht erkennen, was in dem Becher war, aber ich war mir ziemlich sicher, dass mir meine Neugierde anzusehen war.
Cain sah etwas unwillig aus, als er den Kelch betrachtete, der vor ihm auf dem Tisch stand, dann sah er allerdings wieder zu mir und als er mein Gesicht sah, musste er leicht schmunzeln.
„Wenn du dich jetzt sehen könntest, Alaine.“, meinte er leise und unterdrückte, dass sein Schmunzeln breiter wurde.
Jetzt blickte ich auf einmal nicht mehr neugierig, sondern verdattert.
Erstens, wegen dieser Anspielung, dass ich irgendwie seltsam aussähe und zweitens wegen meinem Namen.
„Woher weißt du, wie ich heiße? Ich habe mich dir doch gar nicht vorgestellt.“, wollte ich irritiert wissen.
Cain sah amüsiert aus.
„Ich habe bereits mit deiner Mutter gesprochen, langsam werde ich wissen, wie du heißt.“, meinte er leicht lächelnd.
Ich verstand es zwar nicht so ganz, aber ich nickte nur.
Ich war immernoch etwas verwirrt.

Schließlich seufzte Cain jedoch leise, schloss die Augen und hob den Kelch an seine Lippen, die er vorher etwas unwillig verzogen hatte, ehe er zum Trinken ansetzte.
Er trank schnell, als wolle er das Getränk so schnell wie möglich hinter sich bringen, wie schlecht schmeckende Medizin.
Ich erstarrte, als ich sah, wie beim hastigen Trinken ein wenig des Kelchinhaltes, am Becher vorbei, Cains Mundwinkel bis zum Kinn hinunterlief und eine Spur dort hinterließ.
Ich starrte ihn an.
Ich hatte damit gerechnet, dass er so was trinken würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass er es ausgerechnet jetzt trank, wo ich mich doch heute erst halbwegs mit dem Gedanken „angefreundet“ hatte, an Vampire überhaupt zu glauben

.
Als ich diese Spur sah, war ich wieder um einiges wacher und ich konnte es nicht unterdrücken, aber in mir stieg nackte Angst hoch, während ich ihn, der mit geschlossenen Augen dasaß und zügig weitertrank, noch immer mit schreckgeweiteten Augen anstarrte und beinahe leicht zu zittern begann.

Denn das, was er da trank... war Blut

!



†_5. Kapitel – Blood_†




Als Cain den Kelch senkte und mit noch immer geschlossenen Augen das Blut mit einer Serviette aus seinem Mundwinkel wischte, zitterte ich bereits heftig.
Ich konnte die Angst in mir nicht unterdrücken, obwohl ich es wohl gerne gewollt hätte.
Schließlich öffnete Cain seine Augen und sie leuchteten wieder, so wie vor einiger Zeit draußen schon, ehe das violette Glühen langsam nachließ und er schließlich wieder normal aussah.
Er sah, wie ich am Zittern war und seufzte leise, schloss dabei kurz die Augen und sah mich dann wieder an.
In seinem Blick lag Verständnis und eine Entschuldigung.
„Verzeih, ich hätte dich vorwarnen sollen.“, meinte er mit seiner sanften Stimme und ich konnte trotz alledem nicht aufhören zu zittern.
Ich hatte an und für sich keine Probleme mit dem Anblick von Blut, wie meine kleine Schwester Laila, aber das war doch irgendwie zu viel für meinen Kopf gewesen.
„Versuch, dich zu entspannen, dann lässt das Zittern langsam wieder nach.“, riet Cain mir und seine Stimme hatte wieder diesen besorgten Unterton.
Ich versuchte es, aber es wollte mir nicht gelingen.
Ich war wohl einfach zu sehr geschockt davon, dass Cain gerade vor mir ohne weiteres Blut getrunken

hatte.
Cain streckte seine Hand über den Tisch zu mir aus und hielt sie mir mit der Handfläche nach oben hin, als solle ich ihm meine Hand geben.
Ich versuchte es, wirklich.
Aber das Zittern und die irgendwie immer noch vorhandene Angst ließen mich nicht bis zu seiner Hand kommen.
Cain sah in mein Gesicht, um eine Art Einverständnis einzuholen – ich konnte nicht sagen, ob ich sie ihm gab oder nicht, meine Gesichtsmuskeln waren völlig entgleist – ehe er vorsichtig die Distanz zwischen unser beider Hände überbrückte und meine zitternde Hand sanft in seine langen, schlanken, warmen Hände nahm und sie umschloss.
„Ganz ruhig, Alaine. Ich werde dir nichts tun, das verspreche ich dir. Du brauchst keine Angst zu haben.“, sagte er ruhig, aufrichtig und mit seiner immer noch besorgten, sanften Samtstimme und er versuchte zudem einen beruhigenden Tonfall anzuschlagen.
Er sah mich zutiefst ehrlich an.
Ich wollte

mich beruhigen. Aber vorerst ging

es einfach nicht.
Es schien mir aber zu helfen, seine Hand zu halten, die Wärme zu spüren, die von ihr ausging, denn langsam aber sicher ließ das Zittern nach, wurde weniger und weniger, bis es schließlich ganz aufhörte, während Cain mir sanft über die Hand strich.
Als er sah, dass ich mich wieder beruhigte, lächelte er leicht und, wie es mir schien, beinahe auch etwas erleichtert.
„Besser?“, fragte er nach.
Ich schauderte noch mal kurz, aber dann nickte ich.
„D- d- das war nur wegen... dem Blut.“, nuschelte ich und irgendwie fühlte ich mich noch immer nicht so ganz wohl.
„Verzeihung.“, sagte Cain wieder. „Ich hätte dich vorwarnen sollen. Eigentlich wollte ich nicht gerade dann Blut trinken, wenn du dabei bist, aber Annabelle, die Küchenchefin, hat die Flasche mit dem Tierblut offen auf den Wagen gestellt und mir stieg der Geruch in die Nase.“, meinte er seufzend und hielt meine Hand weiterhin fest.
Es schien nicht den Anschein zu machen, dass er sie so schnell wieder loslassen würde.
„Weißt du, wenn wir Vampire erst mal angefangen haben, uns von Blut zu ernähren – und da ist von Anfang an ein gewisses Verlangen danach – können wir nicht mehr zurück.
Das Blut wirkt nach nur wenigen Malen wie eine Droge für uns.
Nicht ganz, eher hat es die unliebsame Nebenwirkung, dass es nach einiger Zeit, wenn wir es nicht mehr regelmäßig einnehmen, gewisse Entzugserscheinungen auslöst.
Vorerst sind sie recht harmlos, wir können weiter widerstehen und halbwegs normal leben, aber irgendwann im Laufe der Zeit staut sich so eine enorme Blutgier auf, dass, wenn irgendetwas Blutiges in der Nähe ist, wir in einen Blutrausch fallen.
Ich zog es also lieber vor, meine Regelmäßigkeit beizubehalten und kein Risiko einzugehen, verstehst du?“, erklärte Cain mir behutsam.
Ich nickte schwach.
In dem Maße, in dem mein Herzschlag sich langsam wieder beruhigte, kehrte die Müdigkeit zurück.
Cain drückte meine Hand leicht und sah mich dann beinahe fürsorglich an.
„Langsam wird es spät, du solltest wohl lieber schlafen gehen. Ich werde dir dein Zimmer zeigen.“, sagte er und stand, noch immer meine Hand haltend, auf und ging um den Tisch herum zu mir.
Ich nickte und stand, mit Cains Hilfe, denn ich war doch auf einmal ziemlich müde, auf und er ging mit mir zur Tür und hielt noch immer meine Hand, während wir nebeneinander her durch den Flur gingen.
Wir bogen um eine Ecke und Cain öffnete schließlich eine Tür zu seiner Linken, ehe er mich hineinführte.
„Ich habe deine Tasche hierher gebracht und das Zimmer vorbereiten lassen. Die Tür dort an der gegenüberliegenden Zimmerwand ist zu deinem eigenen kleinen Bad und die Tür an der linken Wand ist ein Durchgang zu meinem Zimmer.
Wenn irgendetwas ist, scheue dich nicht, zu mir zu kommen, ich werde sowieso nicht richtig schlafen.“, erklärte er leicht lächelnd und ich nickte nur.
Ich war zu müde für irgendwas anderes.
„Dann wünsche ich dir jetzt eine gute Nacht. Bis Morgen, Alaine.“, meinte er lächelnd und ließ endlich meine Hand los.
Er nickte mir noch zu, dann verschwand er aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Ich hörte kurz darauf die Tür zum Nebenzimmer aufgehen, scheinbar war Cain in sein eigenes Zimmer gegangen.
Ich tappte träge zu meiner Tasche, in der, wie ich beinahe schon erwartet hatte, mein Zahnputzzeug war, dann tappte ich zum Badezimmer und putzte mir die Zähne, ehe ich mich, zurück im Zimmer, umzog und mich auch schon ins Bett legte.
Ich war so müde, ich würde sicher nicht lange zum Einschlafen brauchen und tatsächlich war ich innerhalb kurzer Zeit eingeschlafen.

Es war seltsam.
Ich träumte etwas, aber noch während ich träumte, vergaß ich, was

ich träumte. Dennoch war mir so, als spürte ich während meines ganzen Traumes Cains Anwesenheit, als säßen wir wieder zusammen am Tisch.
Sie zog sich durch meinen ganzen Traum, wie ein roter Faden und egal was ich auch immer träumen mochte, ich war mir sicher, es hatte etwas mit ihm zu tun.

Als ich wieder aufwachte, hatte ich das merkwürdige Gefühl, dass mehr Zeit vergangen war, als ich dachte.
Ich setzte mich auf und schaute mich im Zimmer nach einer Uhr um, aber anstatt eine Uhr zu finden, sah ich Cain an dem Schreibtisch neben der Tür sitzen und leicht nach vorn gebeugt scheinbar an etwas schreiben.
Ich erstarrte und unwillkürlich zog ich die Decke höher über meine Brust.
Es war albern, immerhin trug ich einen Schlafanzug, aber dennoch konnte ich nichts gegen diesen „Reflex“ unternehmen.
Vielleicht wollte ich auch nur nicht, dass er, falls er sich zu mir umwandte, die kleine verniedlichte Krähe auf meinem Oberteil sah.
Ich starrte Cain noch eine ganze Weile so an, dann brachte ich es über mich, mich zu räuspern, woraufhin Cain sich zu mir umwandte und leicht lächelte.
„Guten... Mittag, nach deinen Verhältnissen. Wie fühlst du dich?“, fragte er nach.
Aber statt einer Antwort, platzte nur eine Frage aus mir heraus:
„Was um Himmels Willen machst du hier drinnen?!“
Cain schmunzelte.
„Deine Religionshausaufgaben.“, erwiderte er grinste kurz so breit, dass ich seine Eckzähne sehen konnte.
Irgendwie, ich wusste nicht warum, aber es lag eine gewisse... Ironie in der Sache.
Ein Vampir

, der meine Religions

hausaufgaben machte… die Tatsache, dass er Kain war, spielte hierbei keine Rolle, es war dennoch einfach irgendwie zum Lachen, vor allem, nachdem er mich so angegrinst hatte.
Ich musste kichern, aber irgendwie kam es mir beinahe so vor, als hätte Cain das beabsichtigt, denn er schmunzelte über mich und drehte sich dann wieder um, damit er weiterschreiben konnte.
Aber schließlich fing ich mich doch wieder und räusperte mich erneut, da Cain schon wieder nicht wirklich „anwesend“ zu sein schien.
Wieder drehte er sich um und sah mich an.
„Jetzt mal ernsthaft, warum bist du hier drinnen und nicht drüben bei dir? An meinen Hausaufgaben liegt das sicher nicht.“, wollte ich wissen.
Cain drehte sich mitsamt Stuhl ganz zu mir um und sah nun etwas ernster aus.
„Dein Schlaf war ziemlich unruhig. Manchmal hast du gerufen. Ich wollte dich so nicht alleine lassen und meine Anwesenheit schien dich im Schlaf etwas zu beruhigen.“, erklärte er und aus einem mir unerfindlichen Grund wurde ich leicht rot, als er das sagte.
Deshalb

hatte ich also die ganze Zeit, während ich schlief, seine Anwesenheit gespürt!
Schließlich lächelte Cain jedoch leicht und wandte sich mitsamt Stuhl wieder zum Schreibtisch um.
„Süße Krähe übrigens.“, meinte er und ich hörte an seiner Stimme, dass er schmunzelte.
Jetzt konnte ich nicht leugnen, dass ich rot wurde.
Das war jetzt irgendwie etwas peinlich.
„Ich schreibe grade noch die letzten paar Sätze, dann gehe ich wieder rüber, damit du dich anziehen kannst.“, verkündete Cain und irgendwie war ich erleichtert, als er das sagte.
Ich hatte nämlich eben schon selbst nachfragen wollen, denn irgendwie fühlte ich mich beinahe etwas „schutzlos“, wie ich hier im Schlafanzug saß und Cain in normalen Klamotten.
Mir fiel auf, dass er sich umgezogen hatte, nun trug er einen beigen Rollkragenpullover und eine graue Hose.
Und mir fiel etwas anderes auf.
„Wenn du meine Hausaufgaben schreibst, wird der Lehrer merken, dass es nicht meine Schrift ist.“, meinte ich.
Cain lugte kurz hinter zu mir und grinste kurz verhalten.
„Glaube ich nicht. Ich hab deine Schrift vorher im Heft gesehen und so wie ich das hier sehe, habe ich sie ganz gut getroffen. Ich bin beinahe besser darin, als du selbst.“, erwiderte er etwas schelmisch und ich schnappte empört nach Luft.
„Du fälschst meine Schrift?! Was fällt dir ein?!“
„Ich mache deine

Hausaufgaben, natürlich benutze ich dafür deine Schrift. Immerhin denke ich nicht, dass du gern Ärger bekommen möchtest, wenn die anderen meine Handschrift sehen, nicht wahr?“, gab Cain ruhig zurück und hatte sich wieder meinem Heft zugewendet.
Ich grummelte nur unwillig.
Er hatte recht, aber das würde ich unter Garantie nicht zugeben. Es war trotzdem ziemlich frech von ihm, einfach so meine Handschrift zu fälschen.

Schließlich packte Cain aber mein Zeug zurück in meine Schultasche und verließ das Zimmer.
„Bis gleich.“, meinte er noch leicht lächelnd, dann schloss er die Tür hinter sich und ich machte mich daran, aus dem warmen Bett zu kriechen.
Ich ging ins Bad, machte mich fertig und zog mich anschließend an.
Meine Haare ließ ich offen.
Ich konnte nichts daran ändern, aber kaum war ich fertig, fing mein Magen an zu knurren. Vermutlich war es doch schon ziemlich spät am Tag, denn morgens knurrte mein Magen nie. Demnach schloss ich auf Mittag bis Nachmittag.
Schließlich räumte ich meinen Schlafanzug und mein restliches Zeug wieder in meine Tasche und nur Augenblicke später klopfte es leise an der Zimmertür.
Ich stand auf und sah zur Tür.
„Herein.“, sagte ich.
Sicher war das Cain. Ich sollte ihn vielleicht fragen, ob er noch was zu essen hatte, fiel es mir ein.
Aber als sich die Tür öffnete, war es nicht Cain, der dort stand.
Es war ein Wildfremder, aber dennoch, er musste wohl ein Vampir sein, denn er schaute mich aus seinen rotleuchtenden Augen hungrig an.
Und das nicht gerade im guten Sinne „hungrig“. Eher hungrig wie „ich bringe dich um und trinke dein Blut“.
Ich erblasste und riss erschrocken die Augen auf.
Augenblicklich war meine Angst wieder da und ich bekam den Mund nicht auf.
Alles, was mir durch den Kopf hallte, war ein lautes, schrilles
Hilfe!




†_6. Kapitel – Panik/Abschied_†




Der fremde Vampir grinste breit und sah aus, als hätte er einen Glücksgriff im Lotto gehabt.
Er war groß, viel größer, als Cain und seine dreckigblonden Haare fielen ihm in fettigen Schmalzlocken zu beiden Seiten des Gesichts herab, wie ein Vorhang.
„Ich wusste doch, dass ich einen Menschen gerochen habe...“, meinte er und kicherte. Selbst das hörte sich irgendwie bedrohlich an.
Er ging einen Schritt näher zu mir und irgendwie sah er gruslig aus. Wie ein Verrückter, der aus einer Irrenanstalt ausgebrochen war und nun mit einer Kettensäge allen gegenüberstand, die für seinen Anstaltsaufenthalt verantwortlich gewesen waren.
Ich war gelähmt von meiner Angst und mir schossen vermutlich Unmengen an Adrenalin ins Blut, ich zitterte wieder und mir wurde mit einem Schlag hundsschlecht.
Der Fremde kam noch einen Schritt näher und ich konnte mich nicht rühren.
„Das wird lecker...“, grinste er und seine roten Augen leuchteten noch mehr auf, als er die Hände bereits nach mir ausstreckte.

„Ich glaube nicht, dass du das wirklich machen willst, Crispin.“, kam auf einmal Cains kalte Stimme von der Tür zu meiner Rechten.
Crispin, wie der irre Vampir scheinbar hieß, sah ruckartig auf und erstarrte in seiner Bewegung.
Ich wandte meinen Kopf langsam und abgehackt in Cains Richtung.
Er stand lässig in der Tür gelehnt da und sah nicht so aus, als würde er spaßen.
„Doch, genau das will ich, Cain.“, sagte Crispin und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
Cain schüttelte nur den Kopf und sein Blick war messerscharf und kalt.
„Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst...-“
„Was willst du dann mit mir machen? Mich jagen? Das ich nicht lache!“, unterbrach Crispin Cain und seine Hände wanderten nun wieder näher zu mir.
„...dann werde ich dich foltern, bis du um deinen Tod bettelst

und dir dann vielleicht ganz langsam und schmerzhaft dein elendiges Nichtleben nehmen.“, beendete Cain seinen Satz kalt und bedrohlich und seine violetten Augen glühten gefährlich auf.
Crispin verdrehte genervt die Augen und griff nun nach meiner Schulter.
Cain fauchte und zeigte dabei seine Vampirzähne.
Und dieses Fauchen – so unangebracht das im Moment vielleicht auch erscheinen mochte – erinnerte mich an etwas.
An dem Abend, als ich das erste Mal mit Cain gesprochen hatte, als ich hingefallen war, während der Besoffene auf mich zugekommen war, hatte ich dieses Fauchen schon einmal gehört, aber damals hielt ich es für das Fauchen einer Katze.
Cain bewies mir gerade, dass ich falsch lag. Das war er

gewesen.
Er stieß sich vom Türrahmen ab und kam nun näher zu mir und Crispin und er sah wirklich furchterregend aus.
Sein rechtes Auge leuchtete deutlich durch die Haare hindurch, die ihm darüber hingen und das Linke sah man ganz.
In seinem Blick lag Eiseskälte und blanker Hass.
„Fass sie an und ich kann nicht für dein Überleben garantieren.“, sagte er ruhig und bedrohlich und ließ seine Fingerknöchel knacken.
Würde er noch lange so weitermachen, würde ich mir wegen der Angst, die ich im Moment vor allen beiden

hatte, vermutlich in die Hose machen.
Ich zitterte sowieso bereits schon heftig und ich konnte kaum klar denken, vor Furcht.
„Oder würde es dich eher von deinem Vorhaben abhalten, wenn ich dir beide Arme und Beine breche und dich dann an Gideon ausliefere? Zusammen mit einer Verstoßmeldung.“, fragte Cain beinahe beiläufig und während er noch immer so drohend guckte, zog sich sein einer Mundwinkel nach oben, sodass man seinen rechten Eckzahn sehen konnte.
Jetzt, nur Millimeter von meiner Schulter entfernt, hielt Crispin doch inne.
„Das würdest du nicht wagen

!“, erwiderte er und leichte Panik stieg in seine Augen.
Cain lächelte bedrohlich.
„Wollen wir wetten?“, fragte er beinahe schon freundlich nach. Dennoch klang es herausfordernd und etwas kühl.
Crispin fauchte und wich ruckartig von mir zurück.
Sofort stellte Cain sich beschützend vor mich und ich konnte nicht mehr erkennen, wie er schaute.
Irgendwie kam mir trotzdem ein eisiger Blick in den Sinn.
„Verschwinde aus diesem Zimmer und lass dich in diesem Stockwerk nie wieder blicken.“, sagte Cain leise und todernst.
Er klang noch immer gefährlich ruhig.
„Dann sehe ich bei deiner nächsten Begegnung mit mir vielleicht von einer Beschwerde ab und bringe dich einfach kurz und schmerzlos um.“, fuhr er fort und wieder fauchte Crispin und wirbelte dann herum, ehe er aus dem Zimmer rauschte und die Tür hinter sich mit einem lauten Knallen zuschlug.

Als die Tür zu war, merkte ich, wie Cain sich wieder entspannte und leise seufzte.
Er wandte sich langsam zu mir um und er sah wirklich ernsthaft besorgt aus.
„Alles in Ordnung? Hat er dir vorher nichts getan?“, fragte er sanft nach.
Ich konnte nicht antworten.
Cain war mir im Moment einfach zu nahe – er hatte ja vor mir gestanden und sich umgedreht und nun stand er nur wenige Zentimeter von mir entfernt.
Aber ich war noch immer am Zittern und bevor Cain auch nur noch etwas anderes sagen konnte, drehte ich mich auf dem Absatz um und stürzte ins Bad, wo ich es gerade noch rechtzeitig zur Toilette schaffte, um mich zu übergeben.
Ich krallte mich mit beiden, zitternden Händen an den Rand der Kloschüssel und würgte.
Mir fiel mein Haar ins Gesicht, wurde ebenfalls voll, aber das scherte mich im Moment herzlich wenig.
Mein Magen krampfte sich immer wieder zusammen, vor lauter Panik, die ich empfand, und mir stiegen Tränen in die Augen.
Meine Nerven lagen vermutlich blank und wenn ich nicht gerade würgte, schnappte ich schluchzend nach Luft.
Ich spürte Cains besorgten Blick auf mir ruhen, aber im Moment half mir das nichts.
Mein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub und ich war völlig fertig.
Als ich mich schließlich zuende übergeben zu haben schien und nicht einmal mehr bittere Galle herauskam, knickten meine wackligen Knie ein und ich sank vor der Toilette zusammen.
Noch immer hatte ich Tränen in den, vor Panik aufgerissenen, Augen und schnappte schluchzend nach Luft, versuchte gleichzeitig aber auch, den ekligen Geschmack im Mund zu ignorieren und nicht wieder loszukotzen.

Ich war völlig kraftlos.
Nicht lange danach kam Cain zu mir ins Badezimmer, aber auch wenn ich wieder fürchterlich in Panik geriet, konnte ich mich nicht mehr bewegen.
Cain zog mich auf die Beine und brachte mich zur Badewanne, wo er mir mehrmals hintereinander die Haare wusch, damit das Erbrochene und auch der Geruch danach raus war und danach bürstete und föhnte er sie mir.
Ich konnte gegen meine Angst nichts machen, obwohl Cain wirklich besorgt aussah und sich wirklich lieb um mich kümmerte.
Dennoch zitterte ich weiterhin und war einfach am Ende meiner Kräfte.
Cain half mir sogar, mir die Zähne zu putzen, damit ich diesen ekligen Geschmack aus dem Mund bekam und nicht wieder unter einem potenziellen Brechreiz litt.
Ich kam mir vor, wie eine Invalide.
Ich schaffte es nicht einmal, mich alleine auf den Beinen zu halten und Cain brachte mich ins Zimmer zurück und legte mich aufs Bett.
Cain setzte sich neben mich, strich mir eine der noch ganz leicht warmen Strähnen aus dem Gesicht und seufzte leise.
Langsam erschöpfte ich sogar so sehr, dass ich nicht mal mehr zittern konnte und so lag ich einfach mit aufgerissenen, tränenden Augen da und atmete recht flach und schnell.

Erst nach einer langen Zeit – ich konnte es hier, in den fensterlosen Räumen und auch ohne Uhr nur schwer beurteilen – legte sich meine Panik in Gegenwart von Cain wieder.
Ich war beinahe in einen Döszustand gefallen und Cain hatte seine Hand auf meiner Wange liegen.
Ich spürte, dass ich meine Wange in seine Hand geschmiegt hatte und spürte auch die Wärme, die von ihm ausging und mich innerlich etwas zu trösten und zu beruhigen schien.
Auch mein Atem ging wieder um einiges gleichmäßiger und tiefer.
Langsam schlug ich die etwas verklebten Augen auf und sah zu Cain.
Dieser schien sehr erleichtert, dass ich wieder wach und bei Sinnen war, denn er lächelte.
„Möchtest du etwas essen?“, fragte er fürsorglich. „Immerhin hast du heute noch nichts gegessen und ich glaube, es würde dir doch ganz gut tun. Außerdem muss ich dich bald wieder nach Hause bringen, damit du nicht doch Ärger bekommst.“
Ich nickte schwach – auch, wenn ich nicht wirklich Appetit hatte, so musste ich dennoch wenigstens irgendetwas essen – und hob den Arm etwas wacklig zu meinem Gesicht, um mir den Schlaf aus den Augen zu reiben.
Cain nahm die Hand von meiner Wange und stand auf.
„Ich gehe etwas zu essen holen. Aber diesmal schließe ich deine Tür ab, damit keiner reinkommt, einverstanden?“, wollte er wissen und sah zu mir.
Ich nickte.
Er wusste gar nicht, wie

recht mir das war.
Ich würde vermutlich schon wieder vor Angst zittern, wenn ich an „Crispin“ denken würde, daher versuchte ich, es zu lassen, was sogar halbwegs funktionierte.
„Dann bis gleich, Alaine.“, meinte Cain, dann ging er zur Tür und ich hörte nur wenig später, wie von Außen der Schlüssel im Schloss gedreht wurde.

Ich blieb noch einen ganzen Moment so liegen, bevor ich langsam und vorsichtig versuchte, mich aufzusetzen.
Es gelang mir nur mit Mühe und Not und anschließend plumpste ich in die Kissen, die ich mir gerade noch in den Rücken geschoben hatte, sodass ich doch halbwegs saß.
Ich atmete tief durch und hoffte, dass ich nach dem Essen wieder etwas kräftiger wäre, damit ich nicht als vollkommenes Wrack Zuhause ankam.
Auch, wenn ich oft nicht mit Mum und Dad klarkam, sorgen taten sie sich trotzdem und ich hatte keine Lust, ihnen zu erklären, dass mein Zustand von der Panik vor einem Vampir – der meiner Meinung nach eher in die Klapse gehörte – herrührte.
Vermutlich wäre ich dann nämlich diejenige, die eingewiesen werden würde.

Es war vollkommen still, hier im Zimmer, während Cain nicht da war.
So hörte ich auch, wie nebenan jemand an Cains Tür klopfte.
„Cain? Bist du da?“, fragte diese Stimme, die ich erkannte. Sie war die Selbe wie gestern, als ich lachen musste.
Dion, oder so, wenn ich mich nicht irrte.
Ich hörte, wie er die Tür zu Cains Zimmer öffnete.
„Hey, Cain?! Komm schon, versteck dich nicht vor uns!“, meinte Dion.
Und dann erstarrte ich, als die Tür zu diesem Zimmer hier langsam aufging und nur einen Spalt breit aufschwang.
Ein kleines Kind.
Da war ein kleines Kind, auf keinen Fall älter als vier Jahre, und es hatte sich ganz leicht gestreckt, um an den etwas höher als üblich angebrachten, Türgriff zu kommen.
Es war ein Junge, der vielleicht mit ach und krach einen Meter groß und zudem unglaublich zierlich war. Er wirkte wie eine Puppe oder eine überdurchschnittlich große Fee, so zart war er gebaut. Er war blond und seine Haare gingen ihm abgestuft bis zum Kinn.
Außerdem hatte er blaugraue, eher graue, Augen und sah irgendwie völlig weggetreten aus.
Der Kleine sah mich, blinzelte ein, zwei Mal langsam und schaute sich dann mit einem kurzen Blick im restlichen Zimmer um, ehe mich noch einmal ganz kurz mit einem weggetretenen Blick bedachte, dann schloss er die Tür wieder und war verschwunden.
„Ist er da drinnen?“, fragte Dion.
Der Kleine sagte nichts, aber Dion seufzte enttäuscht.
„Schade. Dabei wollte ich doch noch diesen anderen Horrorfilm mit ihm gucken. So ein Spielverderber.“, hörte ich noch, dann sagte Dion nur:
„Na ja, was soll’s... Kommst du?“
Und nur Momente später hörte ich die Tür wieder zugehen und Schritte sich entfernen.

Ich war so verdammt erleichtert, als der Kleine die Tür wieder zugemacht hatte und die beiden verschwunden waren.
Ich hatte im ersten Moment wieder furchtbare Panik in mir aufsteigen gespürt, die aber etwas abgeklungen war, als ich den Kleinen gesehen hatte.
Trotzdem ich hatte ich noch Angst gehabt, aber nun, entspannte ich mich wieder und hoffte nur, dass Cain bald zurückkam.

Als sich schließlich wieder ein Schlüssel im Schloss drehte, war ich erst etwas angespannt, als ich aber Cain sah, wieder zutiefst erleichtert.
Ich brachte sogar ein kleines Lächeln zustande.
Cain schob den kleinen Servierwagen von gestern ein wenig schmunzelnd vor sich her ins Zimmer, ehe er die Tür wieder schloss und zu mir kam.
Er lächelte leicht.
„Wie fühlst du dich?“, fragte er nach.
„Besser... denke ich. Da hat übrigens jemand nach dir gesucht... sie haben drüben geklopft und-“
Cain unterbrach mich mit einem leichten Seufzen.
„Ich hätte mir denken können, dass Dion nach mir sucht...“, sagte er leise und rieb sich die Stirn. Er sah zu mir und sah unterschwellig wieder besorgt aus.
„War er hier drin? Hat er dich irgendwie belästigt?“, wollte er ruhig wissen und machte sich daran, mir einen Teller mit Essen zu füllen.
„Ähm... nein, war er nicht. Aber, so ein kleiner Junge hat reingeschaut, ist aber dann wieder weggewesen und ... irgendwie blicke ich langsam nicht mehr durch. Ehrlich gesagt ist mir das im Moment auch völlig egal, ich glaube, ich hab wirklich andere Probleme, als die beiden.“, meinte ich seufzend und nahm dann dankend das Tablett an, welches Cain mir auf den Schoß stellte.

Cain setzte sich zu mir, während ich aß.
Diesmal war es keine Suppe, sondern Nudeln mit Sahnesoße.
Ich aß artig und Cain sah mir dabei zu, aber schließlich packte ich nichts mehr.
Es war lecker gewesen und tatsächlich hatte es mich wieder etwas gestärkt, aber ich war zu voll.

Wir blieben noch einen Moment so sitzen, dann räumte Cain das Tablett wieder auf den Servierwagen und lächelte.
„Wollen wir dann gleich los? Ich bringe dich nach Hause.“, meinte er sanft.
Ich nickte und versuchte aufzustehen, was mir sogar einigermaßen gelang.
Eigentlich wollte ich nach meiner Tasche greifen, aber Cain hatte sie schon genommen und den Gurt über seine Schulter gelegt, ehe er nach meiner Hand griff und mit mir gemeinsam – und meiner Schultasche noch in der anderen Hand – nach draußen ging.
Allerdings holten wir vorher noch schnell meinen Mantel aus dem Zimmer, wo Cain und ich gestern gesessen hatten, damit ich draußen nicht fror.

Wieder war der Gang wie ausgestorben, als wir hindurchgingen und schließlich in einen Fahrstuhl stiegen, der nicht weit von der Treppe entfernt war.
„Warum nehmen wir nicht die Treppe?“, fragte ich etwas verdattert. Immerhin waren es ja nur zwei Stockwerke.
Cain lächelte leicht.
„Das wirst du gleich herausfinden.“, meinte er und drückte auf einen Knopf.
Allerdings schien das nicht der fürs Erdgeschoss gewesen zu sein, denn wir fuhren etwas länger im Fahrstuhl.
Schließlich öffneten sich jedoch die Türen und ich blinzelte verdattert, als ich direkt in eine Tiefgarage blickte.
Cain grinste kurz, ehe er mit mir an der Hand weiterging und bei einem schwarzen Sportwagen Halt machte.
Ich sah einfach nur völlig verständnislos aus, als Cain den Wagen mit einem Knopfdruck aufschloss und mir die Beifahrertür öffnete.
„Bitte einsteigen.“, meinte er lächelnd und deutete einladend hinein.
Ich wusste nichts anderes zu machen, daher tat ich, was er sagte und setzte mich, worauf er kurz danach die Tür zuschlug, meine Taschen nach hinten auf die Rückbank legte und dann auf der Fahrerseite einstieg.
Die weichen, cremefarbenen Ledersitze waren angenehm und bequem.
Ich schnallte mich an und Cain schaute zu mir, wie ich immer noch verdattert aussah und grinste kurz.
„Dachtest du etwa ernsthaft, in deinem geschwächten Zustand laufe

ich mit dir durch die Gegend? Und das dazu noch bei dieser Kälte?“, fragte er nach und lächelte nachsichtig, als ich, immer noch ziemlich aus der Bahn geworfen, nickte.
Dann startete Cain allerdings den Motor und fuhr aus der Tiefgarage und durch ein Tor, das irgendwie automatisch aufschwang, als wir in der Nähe waren, nach draußen.
Es war schon stockdunkel draußen und ich fragte mich langsam wirklich, wie spät es war, bis mein Blick auf eine leuchtende Digitaluhr am Armaturenbrett fiel.
Es war gerade mal halb sieben.
Cain fuhr, anders als ich erwartet hatte, nicht auf voller Geschwindigkeit, sondern langsamer, als wolle er die verbleibende Zeit noch ein wenig auskosten.
Wir ließen das alte Wohngebiet hinter uns und schließlich kamen wir dort an, wo Cain mich praktisch „entführt“ hatte.
Und mir war beinahe so, als sähe ich rote Augen ärgerlich aufblitzen, als wir diese Ecke passierten.
Unwillkürlich schauderte ich und sah hastig weg.
„Keine Angst, Alaine, ich bin bei dir. Und bei dir Zuhause wird Crispin dich nicht belästigen können. Er weiß ja nicht mal, wo du wohnst.“, versuchte Cain mich zu beruhigen.
Ich nickte zaghaft und rieb meine Hände aneinander, die trotz Autoheizung doch langsam etwas kühl wurden.
„Ich verstehe, dass dir das alles eine Heidenangst eingejagt hat und werde dich nicht dazu zwingen, wiederzukommen.
Ich denke, du brauchst etwas Bedenkzeit, was das angeht.“, meinte Cain leise und irgendwie kam es mir jetzt vor, als fuhr er einen kleinen Tick schneller.
Ich wollte schon erwidern, dass ich nicht überlegen bräuchte, weil ich garantiert wiederkommen würde, aber dann brach dieser Gedanke ab und ich wollte schon fest absagen.
Innerlich seufzte ich, als mir klar wurde, dass Cain recht hatte.
Ich musste darüber nachdenken, die Gefahren, denen ich ausgesetzt war, die Panik die ich mehr als einmal gehabt hatte und die Tatsache, dass Cain Blut

trank, gegen die schönen Momente und meinen ursprünglichen Vorsatz abwägen.
Ich war im Moment einfach zu unentschlossen.
Cain schien das zu merken, denn er sagte nichts und fuhr schweigend, mit dem Blick aus der Windschutzscheibe, weiter.
Langsam schien die Umleitung wieder abzubrechen und wir kamen schließlich den Weg entlang, den ich kannte und den ich selbst eigentlich immer auf dem Weg zur Schule benutzte.

Ich war in Gedanken, versuchte immernoch das Für und Wider gegeneinander abzuwägen, damit ich Cain vielleicht doch noch antworten könnte, wenn ich ausstieg, aber das wollte mir nicht so ganz gelingen und als ich schließlich aufblickte, hielt Cain gerade vor unserem Haus.
„Wir sind da.“, meinte er und schaute zu mir. Er lächelte leicht und strich mir behutsam eine Strähne aus dem Gesicht, ehe er seine Hand wieder zurückzog.
„Gute Nacht. Ich hoffe, du bekommst keine Alpträume.“, sagte er sanft und er klang aufrichtig. Ich nickte.
„Danke... dir auch eine gute Nacht.“, murmelte ich.
Ich schnallte mich ab und stieg aus, die Tür schlug ich hinter mir wieder zu, ehe ich ums Auto herumging und meine Taschen von der Rückbank holte.
Als ich die Tür schloss, ging Cains Fenster nach unten und er sah mich noch einmal lächelnd und dennoch ein wenig bedauernd an.
„Tut mir leid, dass alles so schief gelaufen ist, Alaine... wenn du dich entschieden hast, dann ruf mich doch an und sag mir bescheid, ob du noch mal kommen möchtest, oder nicht, ja?“, fragte er und reichte mir eine Visitenkarte.
„Das ist meine Handynummer. Lass dir ruhig Zeit zum Überdenken, ich warte solange auf deinen Anruf.“, sagte er und schließlich lächelte er leicht, als ich die Karte etwas zögerlich nahm und nickte.
„Gute Nacht.“, meinte er wieder mit seiner melodischen Stimme, dann winkte er mir kurz und das Fenster fuhr wieder nach oben. Nur Augenblicke später war der schwarze Sportwagen schon um eine Ecke gebogen und nicht mehr zu sehen.


†_7.Kapitel – Bedenkzeit_†


Ich schaute Cain noch eine Weile hinterher, dann allerdings steckte ich seine Karte weg und ging hastig zum Haus, weil mir wirklich kalt wurde.
„Ich bin wieder da!“, rief ich und legte meine Taschen ab, um mir Mantel und Stiefel auszuziehen und beides an ihren üblichen Platz zu tun, ehe ich die Taschen wieder aufnahm.
„Ally!!“, rief Laila und kam die Treppe runter zu mir gestürmt und fiel mir in die Arme.
Etwas überrumpelt ließ ich mich umarmen und blinzelte verwirrt.
Ich versuchte, den leichten Schmerz in meinem Magen zu ignorieren, denn Laila hatte mich volle Breitseite erwischt und mir war doch sowieso noch etwas schlecht gewesen.
„Freut mich, dass dich meine Rückkehr so freut, Schwesterchen, aber hättest du wohl die Güte und würdest mich loslassen? Ich fall gleich um.“, erkundigte ich mich bei Laila.
Es stimmte, wenn sie mich weiter so festhalten würde, würden wir beide ziemlich unsanft auf dem Boden landen.
„Tut mir leid... komm, ich nehme die Tasche.“, seufzte sie und löste sich widerwillig von mir, ehe sie mir meine Schultasche abnahm und mit mir zusammen nach oben ging.
„Danke.“, sagte ich und tappte hinter ihr her. „Was hat der Arzt eigentlich zu deiner Hand gesagt?“, fiel es mir jetzt wieder ein.
Sie hatte immernoch einen Verband an ihrer Hand, der diesmal aber professioneller gewickelt aussah.
Unwillkürlich kam mir Cains Oberkörper in den Sinn und wie er ihn wieder verbunden hatte. Das hatte auch ziemlich professionell ausgesehen.
Ich schüttelte rasch den Kopf, um dieses Bild aus meinem Kopf zu vertreiben, ehe ich zu Laila sah.
Wir gingen zusammen in mein Zimmer und sie stellte die Schultasche einfach neben der Tür ab. Ich machte es mit meiner Reisetasche nicht anders.
„Der meint, das verheilt schon wieder und so... er hat mir Klammerpflaster draufgemacht und noch verbunden und gemeint, dass ich, wenn’s zu schlimm wird, eine Schmerztablette nehmen soll.“, erzählte Laila schulterzuckend und hockte sich auf meinen Schreibtischstuhl.
„Hm... okay.“, murmelte ich nur und ließ mich leicht seufzend auf mein Bett plumpsen.

„Irgendwie siehst du geschafft aus, Ally.“, meinte Laila und sah mich etwas besorgt an.
Ich erinnerte mich vage daran, wie Cain gemeint hatte, dass er Mum wegen Schulbüchern zum Lernen gefragt hatte.
Gutes Alibi.
Ich nickte also und lächelte leicht.
„Ja, ich hab viel gelernt heute...“, sagte ich und glubschte zu Laila. „Bin wohl einfach ein wenig erschöpft davon.“
Mir wurde etwas unwohl, als ich daran dachte wie viel

ich heute und auch gestern gelernt hatte.
Zum Beispiel, dass Vampire existierten und nicht alle gut, aber auch nicht alle böse waren.
Sollte ich wieder zu Cain gehen, dann würde ich wohl noch lernen müssen, welchen ich vertrauen konnte und welchen nicht.
Wenn

ich Cain wieder besuchen würde.

Laila sah immernoch etwas besorgt aus, sagte aber nichts mehr dazu.
Stattdessen fragte sie, ob ich noch was essen wolle, weil wir beide dann zusammen essen könnten.
„Ich hab schon gegessen, danke Laila. Aber wenn du magst, bleibe ich ein bisschen bei dir sitzen, während du isst.“, meinte ich leicht lächelnd.
Sie freute sich ein wenig, dass ich diesen Vorschlag gemacht hatte, denn dann war sie unten in der Küche nicht so allein und hätte etwas Gesellschaft.
Gesellschaft.


Ich biss mir leicht auf die Lippe, als Laila dieses Wort aussprach, denn wieder musste ich an Cain denken.

Laila und ich gingen nach unten und ich half ihr, etwas zu essen zu machen, da sie noch wegen ihrer Hand aufpassen musste.
„Wo sind Mum und Dad eigentlich?“, fragte ich Laila etwas verdattert, als mir auffiel, dass sich die beiden noch gar nicht blicken gelassen hatten.
„Hm? Oh. Die sind bei Tante Ruth, wegen Grandpa. Soweit ich’s mitbekommen hab, besteht er darauf, dass sie sich oft hier blicken lässt, wenn er zu Besuch ist. Übrigens... er hat gemeint, diesmal bleibt er bis Weihnachten oder Neujahr, oder so.“
Ich starrte Laila entgeistert an.
Nein.

Das kann er mir nicht antun!“, entfuhr es mir geschockt. „Laila! Hilf mir! Sag, das geht nicht! Auf dich hören doch immer alle!“, flehte ich die Kleine beinahe schon an.
Es war tatsächlich so.
Laila war ein bisschen wie eine Art Mafiapate, was das anging.
Sogar Grandpa mochte sie und an ihr moserte er am wenigsten. Im Gegenteil, manchmal lobte er sie in den höchsten Tönen.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Grandpa nur eine ziemlich ausgeprägte Abneigung gegen meine Lieblingsfarbe hatte und mich deswegen vorsätzlich so anmeckerte.
Aber irgendwie konnte ich es ihm auch nicht so ganz verübeln.
Er war schon seit Grandma Anabelles Tod so.

Laila seufzte tief, als ich sie so anbettelte.
„Alaine, jetzt beruhig dich doch mal! So schlimm ist das ja jetzt wirklich auch nicht!“, sagte sie und machte somit meine Hoffnung, dass sie mir helfen würde, zunichte.
„Aber Laila! Du weißt doch, wie er mich immer schikaniert! Bitte.

”, bat ich sie und versuchte, einen Hundeblick aufzusetzen.
Es wollte nicht so recht gelingen.
Laila schüttelte nur den Kopf und machte ein pampiges Gesicht, während sie sich einen Bissen in den Mund steckte und kaute.
Wir saßen mittlerweile schon am Küchentisch und ich hatte mir eine Tasse Milch warm gemacht.
Als ich pustete und einen Schluck davon nahm, musste ich unwillkürlich wieder an Cain denken.
Einerseits, wegen jenem Abend, als ich das erste Mal mit ihm gesprochen hatte, denn danach hatte ich mir ja auch eine heiße Milch gemacht.
Andererseits jedoch auch wegen gestern Abend, als wir zusammen Tee getrunken, uns unterhalten und später zusammen gegessen hatten.
Ich wurde etwas blass, als ich daran dachte, wie Cain danach das Blut getrunken hatte.
Die Erinnerung daran schlug mir auf den, ohnehin schon etwas überstrapazierten, Magen, daher trank ich schnell einen Schluck Milch, um mich abzulenken.
Diese Ablenkung funktionierte, vollkommen – ich hatte vergessen, dass die Milch heiß

war und hatte mir prompt die Zunge und den gesamten Mund verbrannt.
Ich sah leise fluchend und mit tränenden Augen – das tat wirklich übelst weh – zu Laila auf.
Sie sah bestürzt und total besorgt aus.
„Was ist denn heute mit dir los, Ally? So bist du doch sonst nicht!“, wollte sie besorgt wissen und stand auf.
Sie brachte mir ein halbvolles Glas kaltes Wasser.
„Danke.“, meinte ich und nahm einen Schluck.
Das kühlte gut, nur leider mochten meine Zähne die plötzliche Umstellung von heiß auf kalt nicht, denn mir zog sich im Mund alles zusammen und ich bekam leichte Zahnschmerzen.
„Autsch.“, seufzte ich.
Laila wollte noch immer eine Antwort von mir und ich seufzte erneut und sah zu ihr.
„Tut mir leid, Laila. Ich glaub, ich bin einfach ein bisschen zu erschöpft.“, murmelte ich. „Es war ein langer Tag.“
„Dann geh jetzt besser gleich schlafen. Du solltest das Wochenende voll auskosten und dich mal richtig ausruhen, Ally.“, riet mir Laila und sah immernoch besorgt aus.
Ich rieb mir über die Augen und verstrubbelte ihr die Haare.
„Ja, vielleicht hast du recht.“, sagte ich und pustete diesmal, bevor ich einen kleinen Schluck Milch nahm.
„Aber vorher trinke ich noch zuende und leiste dir beim Essen noch etwas Gesellschaft.“, fügte ich hinzu und als ich das Wort „Gesellschaft“ aussprach, nagte ein schlechtes Gewissen an mir.
Ich hatte mir fest vorgenommen, Cain Gesellschaft zu leisten, aber dennoch war ich jetzt so wankelmütig.
Das war nicht fair von mir, auch, wenn Cain davon ja noch gar nichts mitbekommen hatte.

„Okay, aber danach gehst du ins Bett!“, ordnete Laila an.
Ich nickte artig und rang mir ein leichtes Lächeln ab.
Irgendwie war Laila süß, wenn sie sich Sorgen um mich machte.
Schließlich waren aber sowohl Laila mit dem Essen, als auch ich mit meiner Milch fertig und wir tappten beide zurück nach oben.
„Schlaf schön, Alaine. Gute Nacht.“, meinte Laila und umarmte mich noch kurz, dann war sie allerdings bereits in ihrem Zimmer verschwunden.
Gute Nacht.



Ich seufzte, als mir wieder Cain in den Sinn kam.
Nun hatte er mir schon dreimal eine gute Nacht gewünscht und in meinen Gedanken, wegen diesen vielen Endlosschleifen, sogar schon viel öfter.
Mir die Stirn reibend, ging ich in mein Zimmer und bückte mich nach meiner Tasche, die ich auf meinen Schreibtischstuhl stellte und anschließend ausräumte.
Meine Wäsche vom Vortag schmiss ich, genauso wie den Krähen-Schlafanzug, in den Wäschekorb.

Cain hatte tatsächlich meine Schulbücher als Geisel genommen – sie waren fast alle in der Tasche.
Seufzend packte ich meine Schulbücher auf den Schreibtisch und gähnte.
Anschließend zog ich mir wieder mein graues Tanktop und die hellblaue Schlafanzughose an, die mich – wie ich seufzend feststellte – ebenfalls

an Cain erinnerten, und legte mich ins Bett, nachdem ich meinen Wecker ausgestellt hatte, sodass er Morgen früh ja nicht klingelte.
Heute morgen musste er den anderen ganz schön auf den Geist gegangen sein.

Und wieder spielte die Endlosschleife von Cains „Gute Nacht“ in meinem Kopf, bis ich schließlich, völlig von der ganzen Aufregung heute erschöpft, einschlief.

Durch meine Träume geisterten rotleuchtende und auch violette Augen. Crispin jagte mich durch dunkle, leere Gassen, Straßen, Korridore und Tunnel, trieb mich immer mehr in die Enge und schließlich beugte er sich mit seinem irren Grinsen zu mir hinunter und nur Augenblicke bevor er seine Vampirzähne in meinen Hals schlug, schreckte ich heftig atmend und schweißgebadet aus dem Schlaf und saß senkrecht im Bett.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich zitterte wieder leicht.

Es war bereits der nächste Vormittag und ich ließ mich tief ausatmend zurück in die Kissen sinken und dachte über Cain nach, während ich an die Decke starrte und mich langsam aber sicher wieder etwas beruhigte.
Ich blieb einfach liegen und zerbrach mir regelrecht den Schädel.
Einerseits wollte

ich Cain Gesellschaft leisten, aber andererseits hatte ich beinahe Angst vor seiner Nähe.
Dieses ganze vampirische Zeug schreckte mich einfach ab.
Außerdem bekam ich noch immer Panik, als ich an „Crispin“ und diesen Alptraum eben dachte.
Wäre Cain gestern nicht plötzlich da gewesen, hätte ich nicht nur sterben können

... ich wäre es mit Sicherheit

!
Die Gefahr, die aus dieser Villa kam, war also vermutlich größer, als die schönen Momente des „friedlichen Beisammenseins“.
Da war also die Frage:
Wollte ich dieses Risiko wirklich eingehen?

Meine Überlegungen wurden jedoch vom Knurren meines Magens unterbrochen, deshalb rappelte ich mich widerwillig auf und tapste nach unten in die Küche.
„Du kommst genau richtig!“, meinte Dad und drückte mir einen Stapel Teller in die Hand. „Sei so lieb und deck den Tisch, gleich gibt’s Mittagessen.“, bat er mich und ich seufzte nur und tat wie geheißen.
Immerhin gab’s was zu Essen, das war schon mal gut.
„Schatz?! Hast du eine Ahnung, wo ich die Bedienungsanleitung für dieses Couchbett hingetan hab?! Ich wollte schon mal alles richten, damit es nicht so eine Hektik gibt, wenn dein Vater dann kommt!“, rief Mum aus dem Gästezimmer und ich seufzte nur theatralisch auf und sah flehend zu Dad.
„Kann der nicht zu Hause bleiben, Dad? Bitte

! Ich halte den keinen ganzen Monat lang aus!”, fragte ich und versuchte, eine Leidensmiene aufzusetzen, damit Dad vielleicht wenigstens Mitleid mit mir bekam.
Verlorene Liebesmüh, denn Dad war schon kurz nach meiner Jammerattacke nach draußen zu Mum abgerauscht, um ihr beim Aufbauen von Grandpas Schlaflager zu helfen.
Deswegen blieb es also jetzt auch noch an mir hängen, nach dem Essen zu schauen.
Ich grummelte griesgrämig in mich hinein.

Als wir schließlich gemeinsam am Tisch saßen, war ich wohl die Einzige, die immer wieder versuchte, Grandpas Besuch wenigstens etwas rauszuzögern.
Aber mit der Zeit gab ich es auf, denn sie ließen sich eh nicht umstimmen und machten mich dann nur noch blöd an, dass ich mich nicht so anstellen solle.
Die

wurden ja nicht von ihm schikaniert!
Beinahe kam mir schon die Alternative in den Sinn, dass ich Cain ja besuchen könnte, während Grandpa da war, praktisch als „Scheinfassade“ – wenn ich so tat, als ob ich lernen würde, würden Mum und Dad sicher nichts dagegen haben.
Dann fiel mir allerdings Crispin wieder ein, woraufhin ich im Essen innehalten musste und mir diese Idee schleunigst wieder aus dem Kopf schlug.
Aber immerhin, wenigstens hatte ich jetzt noch einen Punkt für die positive Seite, wenn ich weiterüberlegte.
Ich seufzte niedergeschlagen und stocherte mehr in meinem Essen herum, als dass ich es zu mir nahm.
Warum stürzte ausgerechnet jetzt alles auf einmal auf mich ein?
Hatte ich irgendwas falsch gemacht? War ich vielleicht bei meiner Geburt verflucht worden, oder so?
Ich seufzte erneut und steckte einen Bissen in den Mund.
Ich fühlte mich einfach nur elend.

„Hast du deine Hausaufgaben eigentlich schon gemacht?“, fragte Mum mich dann aber und ganz offensichtlich in der Hoffnung, mich so ablenken zu können.
„Hmm...“, grummelte ich nur und schaute böse auf.
Wenn sie meine Leiden nicht mal interessierten, sollte sie sich auch sonst um ihren Kram kümmern.
Aber mir fiel ein, dass ich noch meine Mathe, Physik und Englisch Hausaufgaben machen musste, denn Cain hatte mir ja schließlich nur die Religionshausaufgaben gemacht.
Außerdem sollte ich mir vielleicht doch mal durchlesen, was Cain geschrieben hatte, nicht, dass mich der Lehrer vielleicht fragte und ich keine Ahnung hatte, wie das zustande gekommen war.

Mum seufzte, als ich sie so böse anguckte und aß dann aber schweigend weiter.
Ich schob weiterhin mehr das Essen auf meinem Teller hin und her, als dass ich es aß.
Laila sah schon ein klein bisschen besorgt aus, aber dann schien sie meine schlechte Laune ausschließlich auf den Vorfall mit Grandpa zu schieben.
Sie hatte nicht ganz recht.
Ja, der Fall Grandpa hatte dazu beigetragen, aber das, was mir am meisten die Laune vermieste, war meine noch ausstehende Entscheidung, die ich irgendwie nicht zustande brachte.
Und es war wirklich ein scheußliches Gefühl, innerlich von seinen Instinkten zu einer Entscheidung gedrängt zu werden, sie aber einfach nicht wirklich gebacken zu kriegen und sich nicht entscheiden zu können

.

Nach dem Essen (von meinem war beinahe noch die Hälfte übrig), tappte Laila mit mir zusammen nach oben und folgte mir einfach ungefragt in mein Zimmer.
Ich schaute genervt, aber Laila ignorierte mich einfach und hockte sich auf mein Bett.
„Komm schon, zieh doch wegen Grandpa nicht so ein Gesicht. Er besucht uns doch eh ziemlich selten und wer weiß, wie lang er noch lebt.“, meinte sie und sah zu mir.
Ich grummelte nur und hockte mich auf meinen Schreibtischstuhl mit dem ich widerwillig zur Tür rollte, um meine Schultasche zu nehmen und zum Schreibtisch zurückzurollen.
„Du weißt, wie er mich immer niedermacht... im Gegensatz zu euch, kann er mich

nämlich nicht leiden... und ich sehe nicht ein, dass ich wegen ihm durch die Hölle gehen muss.“, fauchte ich und sah Laila mit einem vorwurfsvollen Blick an.
Sie, die immer gelobt und gehätschelt wurde, musste gar nicht erst reden. Ich war doch diejenige, die immer alle Fehler ausbaden durfte – sogar die, für die ich nicht mal was konnte!
Laila seufzte nur und es klang ein wenig resigniert. Sie ließ sich zurückfallen, sodass sie quer auf meinem Bett lag und starrte an die Decke.
Sie schien endlich gemerkt zu haben, wie unfair ich das alles fand und erwiderte wohl lieber nichts mehr darauf.
Recht so!

Nach einer Weile, in der ich nur grimmig vor mich hinstarrte, stand Laila dann jedoch auf und verließ mein Zimmer.
Es schien ihr zu langweilig zu werden.
Ich sah ihr kurz nach und öffnete dann seufzend meine Schultasche, aus der ich meine sämtlichen Hefte und Bücher zog und neben den Bücherstapel auf den Schreibtisch legte.
Meine anderen Schulbücher schob ich erst mal zur Seite, in die hinterste Ecke, sodass sie nicht störten.

Ich blinzelte verdattert, als ich auf meinem Matheheft, das ganz oben auf dem Haufen lag, einen Post-it kleben sah.
Beinahe etwas misstrauisch knipste ich meine Lampe an und rollte näher zum Schreibtisch, beugte mich darüber und las, was auf dem Zettel stand.

Während du geschlafen hast, war ich so frei und habe auch noch deine anderen Hausaufgaben erledigt, damit ich eine Beschäftigung hatte.
Ich hoffe sehr, es stört dich nicht... wenn doch, bitte ich ganz herzlich um Verzeihung.
Liebe Grüße, Cain.



Ich hielt mir den Kopf und schüttelte ihn lächelnd, ehe ich leise seufzte.
Das wäre wirklich nicht nötig gewesen, aber dennoch war ich ihm wirklich dankbar.
Mathe und Physik waren nicht gerade meine Stärken – auch, wenn Cain das nicht unbedingt wissen musste.
Ich sollte mich – egal, wie meine Entscheidung auch immer ausfallen mochte – auf jeden Fall noch mal bei ihm bedanken, deswegen.
Dennoch schaute ich mir Mathe und Physik noch einmal durch und auch Englisch checkte ich nach.
Er war wirklich gut. Ich hätte irgendwie kaum so richtig damit gerechnet, dass er das alles draufhatte.

Und als ich mit durchschauen fertig war, war scheinbar mehr Zeit vergangen, als ich gemerkt hatte – irgendwie schien ich wirklich mein Zeitgefühl zu verlieren –, denn langsam wurde es bereits dunkel draußen.
Seufzend schnappte ich mir mein Religionsheft und tappte zu meinem Bett, lugte aus dem Fenster.
Irgendwie war ich beinahe schon enttäuscht, als Cain nicht wieder dort stand, wie vorher.
Ich hatte mich, ohne es am Anfang überhaupt zu wollen, ziemlich daran gewöhnt, dass er dort stand und zu meinem Zimmer hochblickte.

Ich knipste also mein Nachtlicht an und legte mich aufs Bett, ehe ich mein Religionsheft aufschlug, um zu lesen, was Cain geschrieben hatte.

Was hat Kain empfunden und wie hat er sich gefühlt, nachdem er Abel erschlug?

“, das war die Überschrift der Hausaufgabe und die hatte Cain auch verwendet.
Danach ging es allerdings etwas freier weiter und ich grummelte, wie vorhin schon, als ich sah, dass er meine Schrift wirklich gut getroffen hatte.
Warum konnte er ausgerechnet so was?!
Seufzend machte ich mich jedoch daran, weiterzulesen.

Meine Vermutung dazu, wie Kain sich gefühlt haben mochte, ist folgende:



Er war unglaublich traurig und geschockt. Denn auch wenn er Abel umgebracht hat, so war er doch trotzdem sein Bruder, hatte ihn lieb und war mit ihm zusammen aufgewachsen.


Er konnte sicher gar nicht richtig begreifen, was er getan hatte und fühlte sich unglaublich elend.
Außerdem wird er Abel in seiner Verbannung fürchterlich vermisst haben, denn ein Teil seiner Kindheit, jemand, der immer da gewesen war, war auf einmal nicht mehr an seiner Seite und das schmerzte ihn sehr.


Er war sehr einsam, so alleine – denn bei allem Respekt, woher kam die in der Bibel erwähnte Frau ganz plötzlich? – und er litt sehr unter seiner Tat. Und zu seinen Eltern konnte er ja schließlich auch nicht mehr zurück und sonst gab es ja auf der Welt noch niemanden.


Er war sicher auch ziemlich wütend in seiner Verzweiflung. Vor allem auf Gott, denn der hatte ihn ja in die Verbannung geschickt und keinen Finger gerührt, als Kain Abel umbrachte.


Kain hätte sich sicher gewünscht, dass Abel am Leben blieb – immerhin hatte er im Affekt gehandelt und nicht nachgedacht, als er seinen Bruder getötet hatte, von daher glaube ich, dass er es, wenn er richtig darüber nachgedacht hätte, niemals fertiggebracht hätte; es also bestimmt nicht vorsätzlich gemacht hat.


Sicherlich hat er seine Tat furchtbar bereut und hätte sie am liebsten ungeschehen gemacht, damit er noch mit seinem Bruder hätte reden, mit ihm herumalbern und ihn an seiner Seite haben können.



Ich schloss die Augen und wischte mir die Träne aus dem Augenwinkel, ehe ich das Heft beiseite legte, da Cains Worte zuende waren.
Ich seufzte tief und dachte noch einen Moment über alles nach, ehe ich langsam und etwas zögerlich nach meinem Handy griff.


†_8.Kapitel – Überwindung_†




Ich ging nach unten, holte Cains Karte aus meiner Manteltasche und machte mir einen Tee in der Küche, den ich langsam leer trank, um mich auf das Bevorstehende vorzubereiten, mich zu entspannen, ehe ich die Tasse in die Spüle stellte und wieder zu meinem Zimmer hochging.
„Ganz ruhig. Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung. Du schaffst das, Alaine.“, versuchte ich mir, leise murmelnd, einzureden und mich somit zu beruhigen, ehe ich die Tür hinter mir schloss und mich auf mein Bett setzte, nachdem ich das Licht über meinem Schreibtisch ausgemacht und das Religionsheft zu den anderen Sachen gelegt hatte.
Ich war unglaublich nervös, als ich langsam mein Handy und Cains Visitenkarte zur Hand nahm und zögerlich seine Nummer eintippte, ehe ich es mir ans Ohr hielt.
Meine Muskeln waren angespannt und ich wartete, dass jemand abnahm, was bereits nach dem zweiten Rufton der Fall war.

„Hallo, unbekannter Teilnehmer!“, flötete mir eine gutgelaunte Stimme entgegen, die nicht Cains war. Wenn ich mich nicht ganz irrte, war das Dion.
Eine ungeplante Komplikation, denn mein Hirn streikte nun vor Nervosität.
„Äh... ha- hallo...”, brachte ich grade so noch heraus.
Jetzt hatte ich irgendwie das Gefühl, zu wissen, wieso Laila sich nicht ans Telefon traute.
„Moment mal, die Stimme kenn ich doch... du bist doch dieses Mädchen, das vorgestern so gegackert hat, oder?“, fragte Dion nach und ich hörte an seiner Stimme, dass er breit grinste.
Ich wollte schon ein überaus angespanntes „Äh... j- ja...“ von mir geben, da erklang ein etwas leiseres „Hey! Aua, das tat weh! Was sollte denn das?!“, von Dion und er hörte sich ein wenig empört an.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du nicht ungefragt an mein Handy gehen sollst, Dion?“, hörte ich Cains leise Stimme kühl fragen und es raschelte, als ob Cain Dion sein Handy wieder wegnahm.
„Och… Spielverderber!“, schmollte Dion nun und Cain erwiderte darauf nichts.
„Entschuldigt mich.“, meinte dieser nur leise und verließ scheinbar das Zimmer, um ungestört mit mir zu reden.
„Alaine?“, fragte er dann, nachdem ich eine Tür zugehen gehört hatte, sanft in den Hörer.
„Äh... ja.“, entfuhr es mir ein wenig mulmig.
„Verzeih, dass Dion dich erschreckt hat... er hat mir das Handy vor der Nase weggeschnappt, während ich gerade gegessen habe.“, erwiderte Cain seufzend.
„Oh... äh... w- wenn ich dich beim... beim Essen g- gestört habe, dann t- tut mir das leid... d- dann ruf ich s- später noch mal an..“, haspelte ich viel zu schnell und zittrig vor Nervosität und bevor Cain noch etwas erwidern konnte, hatte ich schon den roten Knopf gedrückt und das Telefonat somit beendet.
Ich ließ das Handy sinken und atmete zittrig ein und aus.
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich war unglaublich durcheinander.
Die Aufregung hatte mich völlig überfallen, als Dion abgenommen hatte.
Ich fühlte mich so verdammt feige, weil ich nicht mal dieses verdammte Gespräch hatte zuende führen können.
Ich war so ein Weichei!
Seufzend packte ich meine Schultasche für Morgen, dann hatte ich mich langsam aber sicher wieder etwas beruhigt und ich nahm mir vor, es gleich noch mal zu probieren.

Ich atmete tief durch, ehe ich mich zurück auf mein Bett setzte und nach kurzem Zögern die Wahlwiederholungstaste drückte.
Bereits nach dem ersten Anklingeln wurde abgenommen.
„Da bist du ja wieder.“, hörte ich Cains Stimme aus dem Hörer und er klang sowohl schmunzelnd, als auch etwas besorgt.
„W- Woher wusstest du-?“, entfuhr es mir überrascht.
„Du bist vom Charakter her einfach nicht der Typ Mensch, der nach so einem Versuch bereits aufgeben würde.“, meinte Cain lächelnd und ich atmete tief durch, um meine Aufregung etwas unter Kontrolle zu bekommen.
„Ich fass das einfach mal als Kompliment auf.“, murmelte ich und setzte mich richtig aufs Bett, um aus dem Fenster zu schauen.
Es nieselte.
„So war das auch gemeint.“, erwiderte Cain lächelnd und dann hörte er sich wieder etwas besorgt an. „Hast du dich bereits entschieden?“, fragte er – beinahe etwas vorsichtig, so schien es mir – nach.
„Fast.“, meinte ich und versuchte, ziemlich gleichmäßig zu atmen, damit ich ruhig blieb. „Ich dachte mir... vielleicht könnte ich demnächst noch einmal vorbeischauen und dann nach diesem Treffen entscheiden, ob ich öfter komme oder mit den Treffen aufhören möchte... ist das in Ordnung?“, fragte ich etwas zögerlich nach.
Ein leichtes, etwas erleichtertes Seufzen war zu hören und mir wurde jetzt erst bewusst, dass Cain wohl auch ziemlich angespannt gewesen war.
„Ja, gern. Ich finde, die Idee ist ziemlich gut.“, antwortete er und ich hörte ein Lächeln aus seiner Stimme heraus.
Auch ich rang mir jetzt ein leichtes Lächeln ab. So schlimm, wie ich befürchtet hatte, war das Telefonat doch gar nicht.
„Ähm... wann treffen wir uns dann am besten?“, entkam es mir ein wenig unsicher. Ich wusste nicht, ob Mum es mir gestatten würde, unter der Woche länger wegzubleiben und ob sie mir überhaupt erlaubte wegzugehen.
Irgendwie war sie manchmal ein bisschen paranoid, was das anging.
„Wann du möchtest... von der Uhrzeit her würde ich sagen, ab halb fünf, solange wie dir deine Eltern den Ausgang erlauben, aber vielleicht solltest du erst mal um Erlaubnis fragen, ob du dich mit einem ’Bekannten’ – ich denke, so geben wir mich am besten aus, oder? – treffen darfst.“, riet er mir.
Ich seufzte tief.
„Gute Idee. Vermutlich hast du recht. Warte einen Moment, dann frage ich meine Mutter grad mal.“, meinte ich und stand auf, die Hand vor die Sprechmuschel haltend, während ich nach unten ins Wohnzimmer tappte, wo Mum, wie ich beinahe schon erwartet hatte, mit Dad saß und sie sich einen Film anschauten.
„Mum? Dad?“, fragte ich, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, das Handy immer noch gesenkt und eine Hand davor.
Ich bekam meine Aufmerksamkeit – Dad stellte den Ton aus und sah, genauso wie Mum, fragend zu mir.
„Kann ich mich am Dienstagabend mit einem Bekannten treffen?“, fragte ich nach.
„Wo? Und mit welchem Bekannten?“, waren Mums etwas argwöhnische Fragen gleich.
„Bei ihm Zuhause... Der Name wird dir nichts sagen, du kennst ihn nicht.“, antwortete ich und tappte nervös von einem Fuß auf den anderen.
Mum sah zu Dad und die beiden schauten sich einen Moment skeptisch an, ehe Dad seufzte und auch Mum einen tiefen Seufzer ausstieß.
„Allerspätestens um halb elf bist du wieder Zuhause... zehn wäre mir noch lieber.“, meinte sie widerwillig.
„Und wehe, ihr stellt irgendwas... fragwürdiges an.“, fügte Dad hinzu und hüstelte etwas.
Ich wurde mit einem Schlag knallrot, als ich begriff, worauf er hinauswollte.
Dad

! Also wirklich! Das hatte ich nicht vor!“, entfuhr es mir empört und ich merkte gar nicht so wirklich, dass ich die Hand kaum noch auf der Sprechmuschel hatte.
„Na ja, bei der Jugend von heute weiß man ja nie.“, sagte Dad achselnzuckend. „Weißt du, früher war so was vor der Ehe ein totales Tabu!“
Ich stöhnte theatralisch auf.
„Dad!! Ich bitte dich, halt mir jetzt keinen Vortrag über Aufklärung oder Bienchen und Blümchen!“, meinte ich beinahe etwas flehend.
„Das kommt später... aber bevor ihr beiden irgendwas miteinander treibt, stellst du ihn uns gefälligst vor!“, erwiderten Mum und Dad unisono.
Noch immer war ich puterrot im Gesicht und für diesen Vortrag schämte ich mich zu Tode. „Ehrlich, ihr übertreibt es mal wieder maßlos. Ich kenn ihn ja nicht mal lange genug, um über so was in der Art überhaupt nachzudenken

!! Von der Tatsache mal abgesehen, dass ich nie behauptet habe, dass ich mit ihm zusammen bin! Ihr interpretiert in eine Mücke einen Elefanten, ihr zwei! Er ist nur ein Bekannter

!“, hielt ich den beiden eine ziemlich verschämte Strafrede.
Die beiden zuckten die Schultern.
„Wenn irgendwas in dieser Richtung bei dir anfangen sollte, stell uns den Kandidaten einfach vorher vor... dann reden wir weiter.“, erwiderten sie.
Knallrot und verlegen wie sonst was drehte ich mich, seufzend den Kopf schüttelnd, um und tappte zu meinem Zimmer hoch.
Erst als ich meine Tür öffnen wollte, fiel mir auf, dass meine Hand die Sprechmuschel nicht mehr ganz bedeckte.
Augenblicklich schämte ich mich in Grund und Boden.
Ich huschte schnell in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir, ehe ich das Handy wieder an mein Ohr hielt.
Cain lachte leise, aber recht ausgelassen – es war ein angenehmes Lachen.
„Ich glaube es nicht, dass dir deine Eltern so etwas unterstellt haben.“, sagte er breit grinsend und lachte wieder.
Ich wünschte mir nur noch, im Boden zu versinken, vor Scham.
Das war so verdammt peinlich!!!
„Ähm... na ja... also dann am Dienstag...“, versuchte ich etwas zaghaft, das Thema zu wechseln.
Noch immer könnte ich die beiden dafür erwürgen, dass sie damit angefangen hatten.
Cain lachte noch einen Moment, dann räusperte er sich und atmete kurz ein.
„Ich hol dich dann um viertel vor fünf bei dir Zuhause ab. Oder hast du schon vorher Zeit?“, fragte er nach und ich hörte an seiner Stimme, dass er noch immer ein Grinsen unterdrückte.
„Ich hab um... Moment... viertel vor zwei Schule aus und danach muss ich noch nach Hause und meine Hausaufgaben machen – ach, da fällt mir ein... Danke, dass du auch noch meine restlichen Hausaufgaben gemacht hast.
Na ja, jedenfalls denke ich, um viertel vor fünf müsste ich fertig sein.“, erwiderte ich und atmete ein wenig durch, damit die Röte endlich aus meinem Gesicht wich und ich nicht mehr so verdammt verlegen war.
„Gut... dann warte ich dann am Dienstag draußen... oder soll ich klingeln?“, fragte er schelmisch nach.
„Bloß nicht!“, entkam es mir erschrocken und ein wenig schrill.
Mum und Dad würden ihn in die Fuchtel nehmen und uns dann vermutlich beiden

einen Aufklärungsversuch zuteil werden lassen!
Cain lachte wieder sein angenehmes, leises Lachen.
„Okay, dann nicht... bis Dienstag dann... ich freue mich schon.“, meinte er lächelnd und ich atmete erleichtert auf, als er sagte, dass er es nicht machen würde.
„Ja, bis Dienstag dann...“, erwiderte ich.
„Gute Nacht, Alaine.“, sagte er sanft und dann hatte er auch schon aufgelegt.
Ich klappte mein Handy zusammen und schloss die Augen; meine Hand, die das Handy hielt, zitterte.
Wenn ich Mum und Dad das nächste Mal sah, konnten sie was erleben...!

Der nächste Morgen war eine Katastrophe.
Laila hatte scheinbar mitgekriegt, dass ich mich mit Cain treffen würde („Ally hat ein Date

?! Ein richtiges Date

– mit einem Jungen

?! Ihr wollt mich verarschen, oder? Mum? Dad?... Oh mein Gott, ich glaub's ja nicht!“) und lachte sich schief.
Sie zog mich unentwegt damit auf und Mum und Dad versuchten immer noch unauffällig Aufklärungsdienst zu leisten, was Laila nur noch mehr zum Lachen und mich zu einer schamroten Miene brachte.
„Mann, ihr seid so unmöglich! Er hat das gestern Abend am Telefon gehört und er hat sich wirklich köstlich darüber amüsiert... er hat sich beinahe totgelacht und das will bei ihm wirklich schon was heißen!“, brachte ich verzweifelt an Mum und Dad heraus und ging an den Kühlschrank, um mir den angebrochenen Beutel Milch rauszuholen und mir eine Tasse einzuschenken, die ich dann in die Mikrowelle stellte.
Laila prustete wieder los und spuckte ihren halben Kakao über den Tisch, als sie das hörte und sie gackerte schlimmer, als ich.
Ich fragte mich unwillkürlich, wie Dion diesen

Lachanfall beschreiben würde – als Invasion der Killergänse?

Grummelnd schnappte ich mir eine der Haarklammern, die Laila sich ganz penibel ins Haar gemacht hatte und steckte mir fahrig die Haare hoch – erstens aus Rache und zweitens, weil sie mir nicht ins Gesicht hängen sollten, während ich mir eine uralte Lunchbox, die ich höchstens drei mal benutzt hatte, aus einem der Küchenschränke kramte.
Laila merkte es in ihrer Lachattacke nicht mal.
Mum und Dad starrten mich jedoch nur völlig verdattert an, als ich die Box rauszog und noch mal kurz abspülte, ehe ich sie abtrocknete und mich daran machte, mir was für die Pause einzupacken.
„Was machst du da?!“, fragte Dad mich ernstlich besorgt.
Ich zuckte die Schultern.
„Frühstück? Nach was sieht's denn aus?“, fragte ich sarkastisch nach und werkelte an einem Paar Sandwichs, die ich in meine Box packte.
„Seit wann frühstückst du? Bist du krank? Oder noch schlimmer – etwa verliebt

?!“, wollte Mum entgeistert wissen.
Ich verdrehte genervt die Augen und bedachte sie mit einem mörderischen Blick.
Nein

.“, sagte ich eisig und blickte finster, dann wandte ich aber den Blick ab und packte meine Lunchbox gut zu.
„Aber ich habe sowohl gestern, wie auch vorgestern nicht viel gegessen, weil ich nicht wirklich dazu gekommen bin, von daher esse ich lieber in der Pause zusammen mit Emily, weil ich vermutlich verdammten Hunger kriegen werde!“, meinte ich und kratzte mir durch mein graues Top hindurch – ich hatte mich noch nicht umgezogen, sondern war direkt nach dem Aufstehen nach unten getapst – den Bauch, während ich mich zu den anderen setzte, nachdem ich mir meine Milch aus der Mikrowelle geholt hatte.
Laila schien nun meinen Raub bemerkt zu haben und sah empört aus, aber ich streckte ihr nur die Zunge raus.
„Das hast du nun davon!“, griente ich und wich einem Knuff von ihr aus, ehe ich vorsichtig einen Schluck Milch trank.
Immerhin hatte ich keine wichtige Haarspange genommen und ihre Frisur saß noch tadellos.

„Ach ja, Mum? Kannst du mich heute fahren, wenn's geht? Die haben irgendwie eine Umleitung gebaut, wegen Straßenarbeiten, und die läuft an einer ziemlich finstren Gegend entlang... ich will da nicht unbedingt lang laufen, wenn's noch dunkel ist.“, fragte ich und man sah mir vielleicht auch etwas an, dass ich mich dabei mulmig fühlte.
Ich hatte keine Lust, Crispin vielleicht im Dunkeln zu begegnen... wer wusste, ob er nicht doch irgendwie dort rumgeisterte.
„Okay, kann ich machen... ich muss heute ja sowieso wieder ins Büro, daher werde ich die Umleitung vermutlich auch entlang fahren müssen.“, willigte Mum ein und mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Danke schön.“, erwiderte ich erleichtert und trank noch einen Schluck Milch.
Mit einem Blick zur Uhr stellte ich allerdings erschrocken die Tasse ab und stürmte nach oben, um mich fertig zu machen.
Ich würde noch zu spät kommen, wenn ich weiterhin so trödelte.
Im Schnelldurchlauf kramte ich mir Klamotten aus dem Kleiderschrank und zog mich auf dem Weg ins Bad hastig an, ehe ich mich wusch, Lailas Klammer aus meinen Haaren zog und sie mir durchbürstete und mir noch die Zähne putzte.
Ich hatte wirklich eine Menge Zeit verschwendet.

Schließlich stürzte ich, wieder unten angekommen, die Milch in einem Zug hinunter, stopfte die Lunchbox in meine Tasche und sah zu Mum, die seufzend aufstand.
Ich holte meinen Mantel und zog ihn mir über, dann schwang ich mir meine gepackte Schultasche über die Schulter und sah zu Laila.
Die hatte es gut, die hatte heute erst zur zweiten Stunde Schule und würde mit dem Bus fahren.
Mum und ich gingen dann nach draußen ins Auto und ich durfte ausnahmsweise sogar mal vorne sitzen, weil ich einfach seufzend Mums Aktentasche auf meinen Schoß genommen hatte, da einfach die Zeit zu knapp war, als dass ich gewartet hätte, bis Mum ganz aus der Garage gefahren wäre.

Wir waren grade auf die Umleitungsstraße gebogen, als mein Handy in meiner Tasche zu klingeln begann.
Erschrocken und verwirrt – wer rief mich denn bitte jetzt

an!? – kramte ich es raus und lugte aufs Display.
Ich blinzelte kurz verdattert.
War das nicht die Nummer, die ich gestern erst gewählt hatte?!
Was wollte er?
Ich nahm zögerlich ab.
„Ähm... hallo?“
„Guten Morgen, Alaine. Tut mir le-“
„Das bist wirklich du?! Gott, Cain, ich hab jetzt keine Zeit... ich komm nicht nur gerade zu spät zur Schule, ich sitz grade auch neben meiner Mum im Auto... ist es was wichtiges?“, unterbrach ich ihn etwas zerstreut.
„Wer ist Cain? Dein Date?“, fragte Mum grinsend nach und blickte kurz aus dem Augenwinkel zu mir.
„Da haben wir den Salat!“, seufzte ich theatralisch. „Also?!“, fragte ich fordernd.
Ich wollte wissen, was er von mir wollte.
Cain seufzte leise.
„Verzeih, ich wollte dir nicht solche Umstände bereiten. Aber ich habe gerade mal wieder in den Regelungen des Clans herumgestöbert und bin auf etwas gestoßen, was uns vielleicht von nutzen sein könnte, wenn du dich entschließen solltest, wiederzukommen.
Soweit ich das gesehen habe-“
„Okay, das

sollten wir vielleicht Morgen besprechen, ja? Ich bin unter Zeitdruck... und Mum grinst mich so seltsam an.“, unterbrach ich ihn erneut und hörte mich gen Ende etwas irritiert an, als ich zu Mum schielte.
Wieder seufzte Cain.
„Gut, dann bis Morgen. Ich bitte nochmals um Verzeihung, dass ich deine Mutter praktisch auf dich losgelassen habe.“, meinte er.
„Bis Morgen... ach, keine Angst, ich werde dich Morgen sowieso noch anmaulen, weil ich heute Morgen von meiner gesamten Familie ausgelacht worden bin, wegen gestern... also mach dir wegen diesem kleinen Umstand keine Sorgen.“, erwiderte ich nur zuckersüß, dann scherte ich mich gar nicht mehr weiter und legte auf.
Mum unterdrückte ein Lachen.
„Nein, wie süß...“, grinste sie und kurvte gerade in Highspeed um die nächsten paar Ecken.
Ich steckte meine Handy wieder weg und sah Mum äußerst böse an.
„Ganz und gar nicht süß...“, fauchte ich. „Ich sag dir eins, Mum. Wenn ich nach Hause komme und von neuen Lachsalven empfangen werde, weiß ich genau, ob du getratscht hast, oder nicht. Und ich werde es dir wirklich verdammt übel nehmen, wenn du es tust!“, warnte ich sie und stemmte die Hände gegen das Armaturenbrett, als Mum eine Vollbremsung machte.
Erst dachte ich, ich hätte sie sauer gemacht, aber dann sah ich, dass wir vor meiner Schule standen.
Mum grinste mich neckisch an.
„Och, stell dich doch nicht so an, Ally. Deine erste Liebe ist doch was ganz großes!“, meinte Mum vergnügt.
„Mutter.“, setzte ich steif an und sah nun wirklich

böse aus. „Ich hoffe sehr, dass du das nicht ernst gemeint hast... ansonsten werde ich ziemlich sauer, wenn ich nachher wieder nach Hause komme... und ich mache keinen Spaß! Ich bin nicht verliebt!!“, fauchte ich und stieß die Tür auf, legte Mums Aktentasche beiseite und stand auf.
„Bis dann.“, meinte ich nur, dann schlug ich auch schon die Tür hinter mir zu und ging eilig zur Schule.
Ich hatte gerade noch zehn Minuten, bevor es klingeln würde, das langte gerade noch, um es in Ruhe zum Klassenzimmer zu schaffen.

„Du siehst irgendwie sauer aus, Alaine... ist irgendwas passiert?“, fragte Emily mich, als ich mich setzte – ich war vor Wut zu schnell gelaufen und hatte jetzt noch locker fünf Minuten Zeit, bis es klingelte.
„Ja, es ist was passiert.“, grummelte ich, dann versuchte ich, mich zu entspannen, ehe ich Emily ansah.
„Sehe ich zufällig irgendwie verliebt aus?“, fragte ich unschuldig nach. Emily zog skeptisch die Augenbrauen hoch und musterte mich argwöhnisch, ehe sie langsam den Kopf schüttelte.
„Du siehst nicht wirklich so aus, wie du verliebt aussehen müsstest, aber jetzt hast du mich neugierig gemacht, raus mit der Sprache!“, forderte sie mich auf.
Ich seufzte erleichtert.
„Danke!“, meinte ich. „Meine Familie amüsiert sich nämlich prächtig, weil sie denkt, ich hätte einen Freund.“, brachte ich heraus und das möglichst leise, damit die anderen in der Klasse mich nicht hörten.
„Ist nicht wahr! Echt? Also, entweder sind die blind, oder du verschweigst mir was.“, lachte Emily und sah mich an.
„Wie sind sie denn da drauf gekommen?“, wollte sie wissen.
Ich seufzte erneut.
„Ich hab Mum und Dad gefragt, ob ich mich mit einem Bekannten treffen könnte. Das erste was ihnen dazu einfiel, war eine Art Aufklärungsversuch und er hat das am Telefon gehört und sich beinahe totgelacht! Und bei ihm ist das wirklich schon was besonderes – er lacht sonst nie

!“, erzählte ich meiner besten Freundin leise.
„Na ja, jedenfalls hat Laila dann auch noch irgendwie mitgekriegt, dass ich mich mit ihm treffe und gleich angefangen, von wegen Date... und Mum und Dad haben das mit Freuden aufgeschnappt und sie triezen mich jetzt damit zu Tode...“, grummelte ich.
Emily unterdrückte ein Grinsen.
„Welchen Bekannten meinst du? Kenn ich den?“, wollte sie neugierig wissen.
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein... ich kenne ihn noch nicht so lange... erst seit... Donnerstag, glaube ich.“, erwiderte ich schulterzuckend.
„Sieht er süß aus? Kannst du mir den vorstellen?“, bohrte Emily weiter nach und ich hielt mir den Kopf und schlug ihn beinahe gegen mein Pult.
Das glaubte ich ja jetzt einfach nicht.
„Ich weiß nicht... kommt darauf an, wie du süß definierst... und über das Vorstellen brauchst du mit mir

nicht mal zu reden... ich entscheide ja morgen erst mal, ob ich mich überhaupt weiterhin mit ihm treffe!“, brachte ich nuschelnd heraus und sah dann seufzend auf, als hastig die Stühle scharrten und der Lehrer den Raum betrat.

Der Unterricht verging quälend langsam. Es war grauenhaft.
Vor allem, da Emily mich, sobald es zur Pause geklingelt hatte und wir mitsamt unsren Schultaschen auf den Weg in den nächsten Unterrichtsraum waren, in dem wir alle Pause machen würden, wieder mit Fragen bombardierte.
Irgendwann platzte mir dann der Kragen.
„Himmel Herrgott noch mal, Emily! Wenn es dich so brennend interessiert, wie er aussieht, dann komm doch morgen einfach mit und schau ihn dir an, verdammt noch mal!“, entkam es mir genervt.
Augenblicklich bereute ich es – ich wusste, sie würde es wörtlich nehmen.
Schon allein, weil sie jetzt breit grinste und irgendwie aussah, wie eine Katze, der man einen Topf Sahne unter die Nase hielt, fühlte ich mich in meiner Vermutung bestätigt.
„Okay...“, meinte sie grinsend und rieb sich die Hände. Sie kicherte böse.
Ich ließ resigniert den Kopf hängen und holte meine Lunchbox raus.
Augenblicklich sah Emily nicht mehr böse, sondern zutiefst besorgt aus.
„Okay, welche tödliche Krankheit hast du?!“, fragte sie schockiert, als ich ein Sandwich aus meiner Box nahm und seufzend reinbiss.
„Gar keine... ich hab nur in den letzten zwei Tagen aus Zeitmangel nicht genug gegessen... was schlicht und ergreifend heißt, dass ich Hunger habe, Mädchen!“, antwortete ich kauend und etwas pampig.
Ich war mir beinahe sicher, dass Emily mich absichtlich so genervt hatte, weil sie wusste, dass dieser Ausbruch irgendwann gekommen wäre.
Und ich hasste es, so verdammt berechenbar zu sein.
„Oh... ach so.“, meinte Emily trocken. Dann sah sie wieder grinsend zu mir und piekte mich in die Wange.
„Du schmollst doch nicht etwa...? Komm schon, ich bin auch ganz artig und bleibe im Haus, wenn er kommt. Ich will nur einen Blick auf ihn werfen.“, neckte sie mich.
Ich schaute böse.
Irgendwie war heute die gesamte Welt gegen mich.
„Emily... tu mir das nicht an... langt es dir nicht, dass meine Eltern und Laila schon abdrehen deswegen? Bitte verschone mich.“, jammerte ich und aß weiter.
„Ach, was will ich denn deswegen von dir

? Ich will mir nur den Kerl

angucken, Schneckchen.“, grinste Emily breit und sah aus, als würde es ihr wirklich verdammt großen Spaß machen, mich zu quälen.
„Herzloses Weibsstück.“, murrte ich daraufhin nur.

Als dann aber schließlich der Unterricht wieder anfing, schaffte ich es sogar ein wenig, Mums, Dads, Lailas und Emilys Reaktionen zu verdrängen.
Ich versuchte, mich – neben dem Unterricht – voll darauf zu konzentrieren, was ich Cain wegen diesem Theater der anderen an den Kopf schmeißen würde, aber dann sah ich ein, dass das alles ziemlich kindisch war.
Immerhin konnte er so gesehen ja nichts dafür.
Ihm wäre weniger Trubel sicher auch lieber gewesen.
Ich seufzte kellertief und schrieb weiter mit.


Als die letzte Stunde vom Klingeln unterbrochen wurde, war ich eine der ersten, die aus dem Zimmer verschwunden waren.
Ich würde Emilys Gebohre jetzt einfach nicht mehr aushalten.
Aber zum Glück war es erst kurz nach eins. Ich konnte also gefahrlos nach Hause laufen, ohne bangen zu müssen, Crispin zu begegnen, da es noch mindestens mal zwei bis zweieinhalb Stunden hell bleiben würde.

Ich machte mich also zügig auf den Weg und als ich vor dem Umleitungsschild stand, fiel mir beinahe ein Stein vom Herzen.
Scheinbar hatten sich die Anwohner beklagt, dass sie weder rein noch raus konnten, daher waren wenigstens die Gehwege wieder gemacht worden.
Ich konnte also meinen gewöhnlichen Weg nach Hause benutzen.
Diese Erkenntnis erleichterte mich ungemein.

Als ich nach Hause kam, war es totenstill.
Dad und Laila (die nicht nur später Schule, sondern auch früher aus gehabt hatte) saßen in der Küche und schauten mich an, aber sie schauten gleichmütig ernst und die Stimmung war nicht auf Lachen ausgelegt.
Mum hatte zwar vermutlich doch getratscht, aber scheinbar war sie taktvoll genug gewesen, zu erwähnen, dass der Vulkan namens Alaine kurz vor dem Ausbruch stand.
„Wieder da... und gleich oben und an den Hausaufgaben.“, meinte ich nur und hängte meinen Mantel auf, stellte meine Stiefel am Eingang ab und verzog mich dann eiligst in mein Zimmer.
Um etwaige Lacher nicht doch zu hören, drehte ich jedoch meine Musik auf und kümmerte mich dann geradewegs um meine Aufgaben.
Nicht lange nachdem ich angefangen hatte, schlug mir beinahe jemand die Tür ein.
Ich schloss auf Dad, der gegen meine Musik nicht ankam und mir zum Essen bescheid sagen wollte.
Seufzend machte ich die Musik aus und tappte nach unten, denn Dad hatte sich nach einer ausbleibenden Reaktion von mir wieder verzogen.

Das Essen verlief einigermaßen ruhig und ich war unglaublich dankbar dafür.
Ich hatte von dem ganzen Theater heute Morgen furchtbare Kopfschmerzen bekommen – ich weigerte mich, auch nur zu denken

, dass die von meiner Musik kommen könnten – und die Ruhe tat mir im Moment wirklich gut.
Ich hatte mir die Haare wieder querbeet zusammengemacht, dass sie mir nicht ins Gesicht hingen und ich fühlte mich einfach nur unglaublich erschöpft.
Nach dem Essen ging ich ohne ein Wort wieder hoch und machte meine Hausaufgaben – diesmal aber doch ohne Musik – zuende und anschließend machte ich nur noch zwei Sachen.
Ich zog die Vorhänge zu und ließ mich völlig hinüber in mein Bett fallen.
Die Erschöpfung überfiel mich regelrecht und ich nickte leicht ein.
Der Schlaf hielt aber nicht lange an, denn schon bald schreckte ich wieder schweißgebadet und mit hämmerndem Herzen daraus hervor, da ich schon wieder diesen Traum von Crispin gehabt hatte.
Nachdem ich mich ein bisschen beruhigt hatte, tappte ich ins Bad, wo ich mir seufzend die Badewanne volllaufen ließ.
Ich ging zurück in mein Zimmer, um mir einfache Rumgammelklamotten zu holen, die ich nach meinem Bad anziehen konnte.
Heute würde ich garantiert nirgendwo mehr hingehen, da konnte ich mich genauso gut auch in alte Klamotten packen.

Schließlich war das Wasser eingelaufen und ich stieg in die Wanne, nachdem ich mich ausgezogen hatte.
Das warme Wasser tat gut, vor allem, weil ich so verschwitzt gewesen war.
Ich entspannte mich und legte den Kopf auf den Rand der Wanne, schaute dem Schaum ein wenig dabei zu, wie beim oberen Rand langsam die Blässchen platzten...

„Alaine!! Mensch, wach auf!! Du kannst doch in der Badewanne nicht einfach einschlafen! Du hättest ertrinken können!“
Erschrocken riss ich die Augen auf und sah mich völlig verwirrt um.
Laila war ins Bad gekommen – die Tür hatte sie zum Glück aber wieder hinter sich zugemacht – und rüttelte mich an den Schultern.
Ich sah völlig verständnislos aus.
„Was-? Laila, warum bist du hier drin? Und von was redest du?“, wollte ich wissen und man hörte mir an, dass ich überhaupt nicht mehr durchblickte.
„Ich bin hier drin, weil du schon seit über drei Stunden in der Wanne liegst und ich mal musste... aber du bist einfach eingeschlafen! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie verdammt leichtsinnig das von dir war?!“, stutzte meine kleine Schwester mich ordentlich zurecht.
Ich rieb mir leicht benebelt aufstöhnend über die Augen und zuckte zusammen.
Meine Hände waren tatsächlich verrunzelt wie die einer alten Oma und scheinbar hatte ich wirklich geschlafen.
Ich setzte mich richtig auf.
„Oh, verdammt...! Ich habe gar nicht gemerkt, wie ich eingenickt bin, Laila. Ehrlich. Eben schau ich noch zu den Schaumbergen und auf einmal bist du da.
Ich war wohl einfach ziemlich fertig... woher auch immer.“, meinte ich seufzend und stieg, nach einem Handtuch greifend, aus der Wanne.
„Entschuldige, dass ich dir solche Sorgen gemacht habe.“, murmelte ich und atmete tief aus.
Ich wickelte mich in meinem Badetuch ein und rieb mir erneut über die leicht brennenden Augen.
Laila seufzte nur.
„Wie spät ist es?“, wollte ich etwas verplant wissen und zog den Stöpsel aus der Wanne.
„Kurz nach sechs.“, antwortete Laila resigniert. „Mal ehrlich, du solltest mehr schlafen oder sonst was. Das war wirklich gefährlich. Und ich bin nicht immer da, um auf dich aufzupassen. Eigentlich sollte es genau umgedreht sein, weißt du das?!“, fügte sie hinzu und zog mir an einer meiner klatschnassen Strähnen.
Ich seufzte und nickte geknickt.
„Tut mir leid...“, meinte ich wieder. „Wird nicht wieder vorkommen... du? Ich geh ins Bett, ja? Ich bin fix und alle.“
Nur mit meinem Handtuch um und meinen Klamotten unterm Arm tappte ich aus dem Bad und in mein Zimmer.
Ich ließ mich nur auf mein Bett fallen und deckte mich zu, danach war ich auch schon weg vom Fenster.
Ich sollte Cain doch mal wirklich fragen, wann ich bei ihm schlafen gegangen war, wenn ich jetzt so fertig war, schoss es mir noch durch den Kopf, aber dann war ich auch schon eingeschlafen und schlief endlich traumlos.


Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich so erholt, wie lange nicht mehr. Ich hatte beinahe die ganze Nacht durchgeschlafen, denn ein Blick zu meinem Wecker zeigte mir, dass es gerade erst halb sechs war.
Aber ich konnte jetzt einfach nicht mehr schlafen, daher stieg ich aus dem Bett.
Seufzend zog ich mich an und wechselte mein Bettzeug, da so ziemlich alles feucht war.
Ich hätte mich vielleicht wenigstens vorher abtrocknen sollen, bevor ich mich in die Falle geworfen hatte, schoss es mir, erneut seufzend, durch den Kopf.
Meine Haare waren noch immer nicht ganz trocken, aber dafür sahen sie aus, wie die einer Vogelscheuche, so zerzaust waren sie.
Ich verbrachte beinahe eine halbe Stunde damit, sie wieder zu entwirren und sie anschließend zu fönen.

Danach ging ich nach unten und bereitete für die anderen das Frühstück vor, denn immerhin konnte ich wenigstens das machen, wenn ich sie wegen dem Fönen vermutlich eh schon aufgeweckt hatte.
Ich selbst gab mich mit einer Tasse Milch zufrieden, auch, wenn ich gestern nichts zu Abend gegessen hatte, so hatte ich keinen Hunger.
Aber bevor ich auf die anderen wartete, packte ich oben meine Schultasche und zog unten meine Stiefel an.

Laila und Mum waren die ersten, die runterkamen, danach tappte Dad ebenfalls zu uns in die Küche.
Das Gute am heutigen Morgen war, die anderen waren noch zu müde, um mich vollzuschwatzen. Das kostete ich heute richtig aus und als die anderen langsam aber sicher doch wacher wurden, war es für mich bereits Zeit, mich auf den Weg zu machen.
„Bis dann.“, meinte ich noch, dann war ich auch schon mit meiner Schultasche nach draußen verschwunden.
Meinen Mantel hatte ich auch bereits an und so lief ich – meine Hände wieder in meinen Taschen vergraben und meine Schultasche auf der Schulter – los.

Ich hätte später loslaufen sollen, das schoss mir durch den Kopf, als ich von Emily an meinem Platz belagert wurde.
Sie versuchte, mich über Cain auszuquetschen und ich versuchte stur, sie zu ignorieren.
Schließlich passierte das Schlimmste von allem.
Hillary.
Sie war auf Emily und mich aufmerksam geworden und versuchte nun, irgendwas zu finden, mit dem sie Gerüchte über mich verbreiten könnte.
Zum Glück war Emily wenigstens nicht so dumm, ihr auf die Nase zu reiben, worum es ging oder weiterzumachen, während Hillary in der Nähe war.
Und so unschön ich es in dem Moment auch empfand, ein wenig war ich Hillary dankbar, dass sie mich von dem Geplapper erlöst hatte.
Aber nur ein ganz kleines bisschen.
Jedenfalls kam dann schließlich der Lehrer rein und wir hatten erst mal so ziemlich alle was anderes im Kopf.

Nach der ersten Stunde, hatten wir Religion.
Wir schrieben mit, was Mr. Morrison uns diktierte und anschrieb und am Ende der Stunde sammelte er alle Hefte ein, um die Hausaufgaben kontrollieren zu können.
Ich seufzte leicht.
Ich hoffte nur, dass er nichts an Cains Gefühlsbeschreibung auszusetzen hatte, denn wirklichkeitsgetreuer konnte man Kains Gefühle ja schließlich nicht wiedergeben, als wie er

es gemacht hatte und ich wurde das merkwürdige Gefühl nicht los, dass Mr. Morrison mich zur Rede stellen würde, wenn ihm das alles nicht passte.
Und wenn er mich fragen würde, wie ich auf solch „abgedrehte“ (dieses Wort hatte ich unwillkürlich im Kopf, als ich an seine „Strafpredigt“ dachte) Ideen kam, würde ich ihm nicht antworten können – zumindest nicht wahrheitsgetreu und ich bezweifelte, dass mir was anderes einfallen würde.

Ich wurde jedoch mal wieder abgelenkt – von Emily.
Hillary hatte jetzt einen anderen Kurs als wir, daher konnte Emily mich wieder „gefahrlos nerven“, wie sie es ausdrückte.
Ich war mir nicht sicher, ob es gefahrlos war. Meine rechte Hand kribbelte in dem Verlangen, Emily eins auf die Rübe zu geben, damit sie endlich den Schnabel hielt.

Während der Schultag sich immer weiter hinzog, wurde ich nach und nach immer genervter. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Emily so verdammt penetrant sein konnte.
Irgendwann langte ich nach ihrem Hinterkopf, damit sie endlich ruhig war. Wenn sie nämlich so weitermachen würde, würde ich wahnsinnig werden.
Eingeschnappt hielt sie auch endlich die Klappe, aber das half mir nicht viel, denn dann begann die letzte Stunde und ich musste mich wieder auf den Unterricht konzentrieren.

Als ich danach den Klassenraum in der Schar der anderen Schüler verließ, schaute ich nicht nur genervt.
Ich schaute, als würde ich in naher Zukunft einen Mord begehen – den an Emily.
Sie tappte mir wortlos wie ein Dackel nach, auf Schritt und Tritt.
Ich spielte wirklich schon mit dem Gedanken, meine Schultasche nach hinten ausschwenken zu lassen, sodass ich sie vielleicht mit meinem Mathe oder Religionsbuch am Kopf traf und ihr eine Gehirnerschütterung verpasste, aber ich verwarf die Idee wieder.
Selbst das würde Emily vermutlich nicht aufhalten.
Wenn sie etwas wollte, war sie nämlich stur wie ein Esel und hartnäckiger, als ein festgetrockneter Kaugummi am Gehweg.

Ich seufzte kellertief, als Emily mir sogar zum Bus nachtappte.
Ich hatte mich nämlich dazu entschlossen, mit dem Bus zu fahren, da ich so schneller Zuhause wäre und meine Hausaufgaben auf jeden Fall fertig machen könnte.

„Emily, du weißt schon, dass mein Dad nicht für dich mitgekocht hat, weil er gar nicht weiß, dass du auch kommst?“, versuchte ich sie vielleicht so von ihrem Vorhaben abzubringen.
Emily aß viel zu gern – und das, obwohl sie wirklich nie dick wurde, es war zum Verrücktwerden! – als dass sie darauf nicht

reagiert hätte.
Aber die verhoffte Reaktion blieb aus, stattdessen grinste sie mich breit an.
„Ach, weißt du, dann faste ich heute mal. Dieses Event ist zu groß, als dass ich mich deswegen von was zu Essen aufhalten ließe.“, meinte sie und sie hörte sich an, als hätte sie mit diesem Versuch schon lange gerechnet.
Ich ließ den Kopf hängen.
„Du bist so grausam, wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast...“, jammerte ich leise und hielt mich fest, da der Bus um eine Kurve bog.
„Ich weiß.“, erwiderte Emily nur breit grinsend.
Ich seufzte.

„Sag mal, willst du eigentlich in dem Outfit zu deinem Date gehen?“, fragte sie, als wir nur noch zwei Haltestellen von meinem Haus entfernt waren.
Ich sah an mir hinab.
Meine Stiefel, meine dunkelblaue Jeans und, unter meinem Mantel, den ich offen gelassen hatte, mein grauer Wollpulli.
Ich zuckte die Schultern.
„Ja, warum nicht?“, fragte ich nach, dann klickte allerdings etwas in mir. „Und nur zu deiner Information, das ist kein

DATE!!!“, fuhr ich sie gleich darauf an.
Emily winkte jedoch nur ab und sah skeptisch zu meinen Klamotten.
„Komm schon, so kannst du doch nirgendwo hingehen.“, meinte sie und begutachtete mich weiterhin kritisch.
„Doch kann ich.“, erwiderte ich pampig. „Ich bin damit ja auch zur Schule gegangen, warum sollte ich damit nicht auch zu dem Treffen gehen...?“
„Das sieht doch nichts aus!“
„Emily, langsam fängst du an zu nerven. Ich bleib so, wie ich bin. Das ist kein Date, deshalb muss ich mich auch nicht extra rausputzen!“, fauchte ich.
„Zieh dich doch wenigstens noch mal um.“, riet sie mir.
Ich schüttelte nur vehement den Kopf.

Dann kam allerdings die nächste Haltestelle und das Unglück passierte.
„Ähm, Entschuldigung, könnte ich mal durch? Ich muss hier raus.“, meinte ein Mittdreißiger mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand und drängelte sich durch die restlichen Passagiere vor uns.
Und gerade kam er genau bei uns an, da hielt der Bus und der Kerl stolperte, sodass sein ganzer Kaffee auf meinem Pulli und der Hose landete – wenigstens war er nicht mehr heiß.
„Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung. Ich-“
„Schon gut, machen Sie sich nichts draus.“, meinte Emily nur grinsend und schob den Kerl aus dem Bus, da die Türen kurz davor waren, sich wieder zu schließen.
„Wie war das, du ziehst dich nicht um?“, fragte Emily schadenfroh in meine Richtung nach.
Ich stand nur da wie ein begossener Pudel und wäre ihr am liebsten sofort an die Kehle gegangen.
„Ich hasse dich.“, gab ich nur mit leise brodelndem Zorn von mir und starrte sie böse an.
„Ich weiß.“, grinste Emily vergnügt zurück.

Warum hatte Emily nur so ein unverschämtes Glück?!
Da kamen wir gerade bei mir an und gingen rein, da meinte Dad, ob Emily nicht mitessen wolle, da er eigentlich noch für Tante Ruth mitgekocht hatte, die vorbeischauen wollte, aber dann leider doch absagen musste, weil sie noch anderweitig zu tun hatte.
Emily nahm natürlich dankend an und ich verkroch mich jammernd in meinem Zimmer.

Dort angekommen, musste ich mich wohl oder übel wirklich umziehen.
Meine dunkelblaue Jeans wich einer schwarzen und mein grauer Pulli machte einem dunkelblauen, enganliegenden Rollkragenpullover Platz.
Meine Haare flocht ich mir locker über die Schulter, damit sie aus dem Weg waren und nur Augenblicke später kam Emily zur Tür rein.
„Das ist doch gleich viel besser

.“, sagte sie breit grinsend und musterte mich erneut.
Ich starrte nur böse vor mich hin und ging mit meiner Schultasche zum Schreibtisch, um meine Hausaufgaben zu machen.
Damit ich nicht von Emily genervt werden konnte, drehte ich jedoch wieder meine Musik auf.
Emily selbst fläzte sich auf meinem Boden hin und breitete ihre Schulsachen dort aus, ebenfalls um ihre Aufgaben zu machen.
Nach der Hälfte etwa, versuchte Dad allerdings wieder gegen meine Musik anzuhämmern, daher drehte ich sie aus und tappte mit Emily, die mir wie ein Schatten folgte, nach unten.

„Wieder da.“, meinten Mum und Laila grade, da sie von draußen reinkamen und nun ihre Jacken ablegten.
Ich tappte nur murrend an ihnen vorbei in die Küche.
„Oh. Hallo Emily.“, begrüßten Mum und Laila Emily lächelnd, als sie diese hinter mir hertapsen sahen.
„Guten Tag, Mrs. Collinson. Hi, Laila.“, erwiderte sie grinsend und tappte dann mit Mum und Laila zu Dad und mir in die Küche.

Ich verfluchte den heutigen Tag.
Während ich nämlich versuchte, das Essen hinunterzuwürgen, damit ich wenigstens was im Magen hatte, tratschten Mum, Dad, Laila und Emily ausgelassen und das natürlich – wie könnte es auch anders sein – über mein „Date

“.
Am liebsten hätte ich mir die Ohren mit irgendwas zugeklebt und laut gesummt, damit ich sie nicht hätte hören brauchen.
Laila und Emily verstanden sich für meinen Geschmack viel zu gut, wenn es darum ging, mich zu piesacken.
Mum und Dad hatten sowieso ihre eigene Art, das immer wieder zu schaffen, daher war ich die einzige am Tisch, die praktisch für die ganze Unterhaltung sorgte.
Ich war nämlich diejenige, die von allen „niedergemacht“ wurde.
Heute wartete ich nicht, bis die anderen mit dem Essen fertig waren – nachdem ich fertig war, rückte ich den Stuhl geräuschvoll nach hinten und flüchtete in mein Zimmer, wo ich mich verbarrikadierte.
Meine Musik drehte ich ebenfalls wieder auf.
Falls ich mich heute dafür entscheiden würde, Cain öfter zu besuchen, brauchten wir unbedingt ein anderes Alibi, als das Treffen mit einem Bekannten, soviel stand schon mal fest.
Dieses Theater würde ich nicht jedes Mal durchstehen... wenn

ich denn öfter gehen würde. Noch immer war ich unentschlossen.

„Hey!! Alaine!! Mach die Tür auf! Ich muss auch noch Hausaufgaben machen!“, brüllte auf einmal Emily gegen meine Musik an und hämmerte gegen die Tür.
Ich war vollkommen radikal.
Ich schob ihr Heft unter der Tür durch und schob einen Zettel nach, dass sie sich von Mum einen Stift geben lassen sollte.
Ich würde sie jetzt einfach nicht mehr aushalten, dafür war ich viel zu durcheinander und einfach nur genervt.
Seufzend setzte ich mich wieder an meine Hausaufgaben.
Ab und an hämmerte es erneut gegen die Tür – Emily brauchte ein neues Heft. Was sich als problematisch erwies, waren die Bücher, die sie brauchte.
Die passten nämlich nicht unter der Tür durch, daher entschloss ich mich, als Emily gerade mit einer „buchlosen“ Hausaufgabe beschäftigt war, schnell die Tür aufzureißen, ihre Bücher in einem Haufen nach draußen zu legen und anschließend die Tür wieder zu verbarrikadieren.
Allerdings hatte ich mich zu früh gefreut – Emily hatte sich mitten in den Flur vor meine Tür gelegt und machte so ihre Hausaufgaben und als ich gerade die Tür für ihre Bücher aufmachte, stellte sie schwupp die wupp ihren Fuß in die Tür, sodass ich sie nicht mehr nach draußen bekommen würde.
Ich trat ihr sogar auf den Fuß, damit sie ihn wieder zurückzog, aber das half auch nichts.
Vor Verzweiflung beinahe heulend, gab ich mich geschlagen und tappte zu meinem Schreibtisch zurück.
Sie war einfach zu gut für mich, ich war ihr hoffnungslos unterlegen.

Zufrieden grinsend tappte Emily mit ihrem Kram in der Hand in mein Zimmer und ich wusste nicht, woher sie kam, aber Laila tappte ihr schadenfroh hinterher.
Ich ließ niedergeschlagen den Kopf hängen und schrieb weiter an meinen Hausaufgaben.
Das erste, was Laila machte war, meine Musik leise zu drehen und mir anschließend noch eine andere CD in die Anlage zu hauen.
Jetzt wurde ich, anstatt von Hardrock, von Klassik zugeduselt... und das schlimmste war, da die Musik nicht mehr laut genug war, plapperten Emily und Laila schon wieder munter drauf los.

Nach einer Weile konnte ich mich nicht mehr auf meine Hausaufgaben konzentrieren, vor lauter Gequatsche von Laila und Emily, deshalb ging ich zu meinem Schrank und kramte in den unteren Fächern, bis ich schließlich das hervorzog, was ich gesucht hatte – schalldichte Kopfhörer, die ich mal von Großonkel Harry geschenkt bekommen hatte, da ich mich jedes Mal beschwert hatte, dass ich Grandpas Gemecker nicht aushalten würde.
Jetzt erwiesen sie sich als ziemlich nützlich... wenigstens etwas.
Zwar schnatterten die beiden so laut, dass ich sie trotzdem noch leise hörte, aber wenigstens war es soweit gedämpft, dass ich mich wieder anständig auf meine Aufgaben konzentrieren konnte.

Als es langsam etwas dunkler wurde, knipste Laila die Zimmerbeleuchtung an und gerade zwanzig Minuten später war ich mit der letzten Matheaufgabe fertig und somit endlich von den Hausaufgaben erlöst.
Und gerade hatte ich die Kopfhörer abgenommen, da klingelte schon mein Handy, das in meiner Schultasche steckte.
Bevor ich auch nur gucken konnte, waren Laila und Emily schon hingeflitzt und nahmen ab.
„Hallo?“, fragte Emily nach. Sie hatte auf Lautsprecher gestellt, dass auch Laila Cain hören konnte.
„Bist du Alaines Date?“, fragte Laila schon, bevor Cain – wenn er es denn war, aber es war ziemlich wahrscheinlich – überhaupt den Gruß erwidern konnte.
Anstatt einer Antwort, kam ein leises Lachen – eindeutig Cains.
„Alaine? Du hast ziemlich fantasievolle Zimmerbelagerer.“, meinte Cain lächelnd und direkt an mich gewandt.
Er schien zu wissen, dass der Lautsprecher an war.
Seufzend tappte ich zu Laila und Emily und verpasste beiden eine Kopfnuss, ehe ich mein Handy zurückangelte.
„Ja... leider. Viel zu fantasievoll und nervig noch dazu.“, meinte ich mit einem bösen Seitenblick zu Laila und vor allem zu Emily.
Wieder lachte Cain leise.
„Bist du fertig? Ich stehe draußen und warte, da ich ja bloß nicht klingeln soll.“, erwiderte er schmunzelnd.
„Das ist auch wirklich gut so... die haben mich alle zu Tode genervt.“, sagte ich grummelnd und tappte aus dem Zimmer, Emily und Laila folgten mir auf dem Fuße.
„Ich komm gleich raus. Ich muss noch Mantel und Stiefel anziehen.“, fügte ich hinzu und ging nach unten.
Den Lautsprecher stellte ich unterwegs aus.
„Okay.“

Während ich allerdings meine Stiefel anzog und dabei das Handy aus der Hand legen musste, krallten Emily und Laila es sich wieder und stellten erneut auf Lautsprecher und Mum und Dad hatten sich ebenfalls schon zu uns gesellt.
„Du hast noch nicht geantwortet... bist du nun ihr Date oder nicht?“, fragte Laila neugierig nach.
Ich seufzte theatralisch auf und zog mir auch den zweiten Stiefel an, ehe ich mir noch meinen Mantel überstreifte.
„Ihr habt da was falsch verstanden. Alaine und ich haben kein Date.“, meinte Cain ein wenig amüsiert. „Wir beide sind nur Bekannte.“
„Das hab ich ihnen auch gesagt, aber auf mich hören sie ja nicht... sie haben einfach zu viel... fragwürdige Fantasie.“, warf ich ein und schnappte mir wieder mein Handy.
Cain lachte.
„Scheint mir fast so.“, antwortete Cain lächelnd.
„Eindeutig.“, meinte ich mit einem Blick zu Mum, Dad, Laila und Emily, die sich alle bemühten, eine Unschuldsmiene aufzusetzen.
„Ich komm jetzt raus.“, fügte ich noch hinzu.
„Bis später dann.“, sagte ich noch zu den anderen, aber die bekamen das schon gar nicht mehr so wirklich mit, denn sie waren schon wieder ganz reingegangen und klebten an den Fenstern.
Seufzend ging ich nach draußen und ließ den Kopf hängen.
„Du konntest dir nicht verkneifen mit dem Wagen zu kommen, oder?“, fragte ich auf dem Weg zu dem schwarzen Sportwagen nach.
„Ich habe nur praktisch gedacht. Wenn wir mit dem Auto fahren, haben wir mehr Zeit.“, erwiderte Cain und ich drückte seufzend den Anruf weg und stieg ins Auto.
„Schau dir an, was du angerichtet hast.“, sagte ich und deutete zum Wohnzimmerfenster.
Mum, Dad, Laila und Emily klebten am Fenster, wie ein kleines Kind an einem Aquarium.
Cain folgte meinem Fingerzeig und winkte den vieren lächelnd zu, ehe er leise lachte und sich zu mir umwandte.
„Guten Abend.“, meinte er dann lächelnd. „Tut mir leid, dass dir das alles so viel Ärger gemacht hat.“
„N'abend. Ärger ist gut... die haben mich gepiesackt, genervt, ausgequetscht und ich wäre beinahe wahnsinnig geworden.“, gab ich zurück und schnallte mich an.
„Entschuldige.“, sagte Cain erneut mit seiner sanften Stimme.
Ich seufzte tief, während Cain den Motor startete.
„Na ja... du kannst ja so gesehen auch nichts dafür. Ich meine, dir wäre weniger Trubel sicher auch gelegen gekommen... hoff ich doch.“, erwiderte ich und schaute fragend und ein wenig fordernd zu ihm.
„Stimmt, wäre es.“, gab Cain gleichmütig, aber gleichzeitig auch etwas amüsiert, zurück. „Aber daran lässt sich ja jetzt auch nichts mehr ändern.“
Ich seufzte erneut.
„Ja... leider.“

Eine Weile fuhren wir daraufhin schweigend weiter – wieder fuhr Cain recht langsam –, aber es war ein angenehmes Schweigen.
Es war beinahe so, als würden wir beide zusammen einen Film schauen und nichts verpassen wollen.
Angenehme Ruhe, die man nicht zu zerstören brauchte, die dann allerdings von Cain, der nach vorne durch die Windschutzscheibe schaute, unterbrochen wurde.
„Diesmal passe ich besser auf dich auf, nicht, dass wieder so was wie Crispin überhaupt in deine Nähe kommt.“, versprach er mir.
Ich schaute etwas überrascht zu ihm.
Das klang beinahe, wie eine Art Rittergelöbnis, dass er mich beschützen würde.
„Danke.“, sagte ich leise, als ich meinen Blick wieder auf meine Hände, die ich in meinem Schoß verschränkt hatte, richtete.
„Gern geschehen.“

Langsam kamen wir aber doch dort an, wo es zum Wohngebiet reinging und was ich sah, überraschte mich.
Weiter hinten in den – wie ich scheinbar falsch gedacht hatte – baufälligen Wohnhäusern waren ein paar Lichter an und erleuchteten die Fenster.
„Der Clan ist zu groß, für die Villa allein. Dieses ganze, abgezäunte Gebiet ist Eigentum des Clans und fast überall wohnen Vampire. Nur wenige Häuser sind unbewohnt.“, erklärte Cain, der meine Überraschung wohl bemerkt zu haben schien.
„Wow...“, entfuhr es mir daraufhin und unwillkürlich schlich sich eine Gänsehaut über meinen Rücken, als ich daran dachte, dass ich am Freitag ziemlich lange an diesem Wohngebiet vorbeigelaufen war und mir jederzeit ein Vampir hätte begegnen können.
Ich schaute weiterhin aus dem Wagenfenster ins, überwiegend, Dunkle dort draußen und irgendwie war mir gerade so, als würde Cain schneller fahren, weil er vielleicht mein Unbehagen spürte.
Als ich daraufhin fragend zu Cain schaute, hatte er eine entwaffnende Antwort darauf.
„Wenn wir uns nicht beeilen, wird der Tee kalt, den ich für fünf Uhr in ’unser’ Zimmer beordert habe.“, meinte er nur treuherzig und ich blinzelte ihn beinahe etwas verstört an.
Irgendwie war er schon seltsam. Wenn ich halbwegs zu wissen glaubte, wie ich ihn einschätzen konnte, benahm er sich wieder völlig anders, als erwartet und warf damit wieder alles über den Haufen.
Es war zum Verrücktwerden!

Schließlich kamen wir aber bei der Tiefgarage an und Cain parkte den Wagen, ehe wir ausstiegen und zum Aufzug gingen.
Kurz bevor wir dort ankamen, schallten jedoch drei kurze, aber gut hörbare Piepser durch die, bisher nur von Cains und meinen Schritten durchbrochene, Stille.
Kurz darauf folgte ein leises Seufzen von Cain und er zog sein Handy aus seiner Manteltasche und nahm ab.
„Was hast du jetzt schon wieder angestellt, Dion?“, fragte er etwas kühl und ohne eine anderweitige Einleitung, so als wisse er, dass es nur Dion sein konnte.
Nur Augenblicke später zog er etwas skeptisch seine eine Augenbraue hoch.
„Daran bist du aber auch selbst Schuld. Was bedrängst du ihn auch, wenn du genau siehst, dass er seine Ruhe haben will? Du weißt, ich toleriere es nicht, dass du Gabriel aufziehst, Dion, er wird auch so schon genug gefoppt, da brauchst du nicht auch noch mitzumachen. Du könntest ihm helfen, anstatt ihn gegen seinen Willen zu deinem Gesellschafter machen zu wollen.“, erwiderte Cain kurz darauf etwas distanziert und ein wenig vorwurfsvoll.
„Das will ich schwer hoffen.“, kam nur Sekunden später seine Antwort auf eine Entgegnung Dions.
„Also, ich lege jetzt auf. Macht das unter euch aus, ich mische mich da nicht ein und sei bitte so nett und halte mich wenigstens heute aus deinem Gezänk heraus.“, bat Cain nach einer Minute etwa und noch immer hatte er einen etwas kühlen Ton drauf.
Sein Augenwinkel zuckte kurz, als er Dions Antwort darauf hörte.
„Wenn du das machst, dann helfe ich Gabriel eigenhändig dabei, dich in deinem Zimmer einzusperren, Dion. Nur, dass wir uns verstanden haben.“, sagte er und jetzt klang er fast schon etwas feindselig.
Auf eine weitere Erwiderung Dions ließ Cain nur sein Handy zuschnappen und schloss einen Moment seufzend die Augen, ehe er sich wieder etwas fing und einladend in den Aufzug deutete.

„Bitte, nach dir.“, meinte er lächelnd.
Und ich stieg, etwas verwirrt von Cains plötzlichem Umschwung blinzelnd, ein.
„Was war denn los?“, wollte ich beinahe etwas neugierig wissen.
Cain, der von meiner Miene etwas amüsiert zu sein schien, schmunzelte leicht, ehe er leise seufzend den Knopf für ein anderes Geschoss drückte und zu den, sich schließenden, Fahrstuhltüren schaute.
„Dion beschwert sich, weil er mal nicht bekommt, was er will und er sozusagen Zimmerarrest hat.“, antwortete er und sah dann wieder zu mir.
„Aber das ist nicht so wichtig. Immerhin hat er sich diese Suppe selbst eingebrockt, weil er mal wieder jemanden gesucht hat, der sich mit ihm beschäftigt.“, fügte Cain lächelnd hinzu und scheinbar wollte er nicht weiter über dieses Thema sprechen und ich akzeptierte das.

Cain warf einen Blick auf seine Armbanduhr – die mir vorher nie wirklich aufgefallen war. Das kettengliedrige, silberne Armband war nicht dicker als einen Zentimeter und das Ziffernblatt hatte etwa einen Durchmesser von zwei Zentimetern und zudem waren die Zahlen auch ziemlich klein, aber ich fand sie trotzdem ziemlich hübsch und sie schmiegte sich wirklich regelrecht geschmeidig an Cains zartes Handgelenk – und lächelte dann leicht.
„Mir scheint, wir schaffen es sogar noch pünktlich zur Teatime.“, verkündete er schmunzelnd.
Unwillkürlich lächelte ich auch leicht.
Sonst hatte ich nachmittags nie Tee getrunken, aber wenn ich mit Cain zusammen war, schien das beinahe eine Art wirkliche Zeremonie zu sein... oder vielleicht noch zu werden, wenn ich mich dafür entschließen würde, öfter zu kommen.

Dann öffneten sich aber die Fahrstuhltüren und wir beide gingen wieder durch die ausgestorbenen Gänge bis hin zu dem Zimmer, in dem Cain und ich schon das letzte Mal Tee getrunken, zusammen gegessen und geredet hatten.
Es hatte sich nichts verändert.
Die Kamera war immer noch nicht an ihren Platz zurückmontiert worden und auch diesmal stand ein kleiner Servierwagen neben dem Tisch, nur dass diesmal, neben Tee, Milch, Zucker und Weihnachtsplätzchen auch Obst auf dem Wägelchen war.
Passend zu dieser Jahreszeit, versteht sich.
Große, feste, rote Äpfel, Mandarinen und Nüsse und noch so einiges mehr.
Wenn ich das so sah, erinnerte es mich fast an eine Nikolaustüte.
Und da fiel mir ein, dass es ja wirklich bald soweit war, mit dem Nikolaus. In nicht allzu langer Zeit würde der Dezember anfangen und mir wurde etwas fahl im Bauch, als ich daran dachte, dass das bedeutete, dass Grandpa bald kam.

Ich versuchte aber, mir nichts anmerken zu lassen und setzte mich.
Cain sah kurz lächelnd zu dem Servierwagen.
„Mir scheint, Annabelle hat mich durchschaut, als ich um nur zwei Teetassen gebeten habe.“, murmelte er schmunzelnd und dann schaute er zu mir und sah augenblicklich etwas besorgt aus.
„Du bist ein wenig blass. Ist alles in Ordnung?“, fragte er etwas fürsorglich nach und setzte sich mir gegenüber.

Als mir klar wurde, dass Cain meine Reaktion vielleicht auf etwas hier schob, also dachte, dass ich schon wieder Angst vor etwas hatte, riss ich mich zusammen und rang mir ein Lächeln ab.
„Ja, es ist alles in Ordnung... ich musste nur gerade daran denken, dass wir Zuhause bald Besuch bekommen, den ich nicht sonderlich mag.“, erklärte ich und zog kurz etwas verlegen die Nase kraus.
„Ah, verstehe.“, entgegnete Cain und dann griff er nach der Teekanne und schenkte sowohl mir, als auch sich eine Tasse ein.
Er reichte mir meine und ich nahm sie dankend entgegen, ehe ich einen Würfel Zucker hineinfallen ließ und umrührte.

Am Anfang hielten wir beide eher so eine Art Smalltalk, während wir Tee tranken und die Zeit verstrich, ohne, dass ich es wirklich bemerkte.
„Ach, was ich dir noch erzählen wollte... Falls deine Entscheidung so ausfällt, dass du öfter kommen möchtest, habe ich in den Clanregeln etwas gefunden, das uns zugute kommen könnte. Es gibt eine Regelung, dass Menschen, die den Clan öfter besuchen, geschützt werden und unter keinen Umständen angegriffen werden dürfen, denn normalerweise werden unbefugte menschliche Eindringlinge im Clangelände – sofern kein Vampir die Verantwortung für diesen Menschen übernommen hat – gejagt und… naja eigentlich teilweise zu Nahrungszwecken verwendet.
Dafür müssten wir allerdings erst ein Visum bei Gideon, dem derzeitigen Clanführer, einholen und du müsstest dich dort vorstellen, damit er gewiss sein kann, dass du nichts ’Böses’ im Schilde führst. Also... zum Beispiel tagsüber hier anzutanzen und alle Vampire auszumeucheln... aber ich glaube, das ist nicht wirklich ein Problem, oder?“, meinte Cain ein wenig schmunzelnd.
Ich schauderte einen kleinen Moment leicht und schaute dann überrascht zu Cain.
„Echt, so was gibt’s?“, entfuhr es mir erstaunt.
Cain nickte lächelnd.
„Natürlich. Was glaubst du, wie das früher wohl sonst mit den Freundschaften geklappt hat, zu der Zeit, als Vampire sich überwiegend noch von Menschenblut ernährten?“, erwiderte er und trank einen Schluck Tee.
Ich zuckte innerlich ein wenig zusammen, als er von Menschenblut trinken sprach, aber dann zuckte ich die Schultern.
„Daran hatte ich nicht gedacht.“, murmelte ich und spielte mit meiner Teetasse.
Cain nickte nur, scheinbar schien er gemerkt zu haben, dass mich das etwas aus der Bahn warf.
„Bis wir allerdings einen Termin bei Gideon bekommen, kann es eine ganze Weile dauern, solange werde ich wohl noch mit Argusaugen auf dich aufpassen müssen, wenn deine Entscheidung zu ’meinen Gunsten’ ausfallen sollte.“, versuchte er etwas abzulenken und lächelte leicht.
Ich schwieg daraufhin.
Noch immer hatte ich mich nicht entschieden und bald sollte mein Beschluss feststehen, denn der heutige Tag würde schließlich auch nicht ewig dauern und ich würde es nicht die ganze Zeit vor mich herschieben können.
Und an Cain musste ich immerhin auch denken. Für ihn war es sicher grauenhaft, in so einer Ungewissheit zu sein.
Ich seufzte leise und griff nach einem der großen Äpfel und einem kleinen Messer, das daneben lag, damit ich ihn mir schälen konnte und eine Beschäftigung für meine Hände hatte.

Und gerade setzte ich das Messer an, da ging auf einmal mit einem Ruck die Tür auf.
„Ich bin wieder frei, Cain!“, jubelte Dions gutgelaunte Stimme, soviel bekam ich noch mit, aber darum kümmerte ich mich im Moment nicht.
Ich war vor Schreck übel zusammengezuckt, deshalb mit dem Messer vom Apfel abgerutscht und hatte mir volle Kanne in den Daumen geschnitten und es blutete ziemlich.
Der Apfel an sich, war mir dabei aus der Hand gerutscht und auf den Boden gekullert.
Ich zog scharf die Luft ein, weil es unheimlich wehtat und in mir stieg wieder Panik hoch. Blutend im selben Raum wie zwei Vampire zu sein, war nicht gerade das, was ich mir vorgestellt hatte, als ich von einem erneuten Treffen gesprochen hatte und zudem war es auch ziemlich gefährlich. Zu gefährlich um ruhig zu bleiben.
Ich hob den Blick und sah zu Dion.
Er war, mit der Türklinke in der Hand, erstarrt und fixierte mich mit seinem Blick und ich war mir zu vollen hundert Prozent sicher, dass er sich nur wegen meinem Blut so benahm.
„Anstatt da rumzustehen, wie ein Ölgötze, könntest du etwas zum Verarzten holen, Dion.“, riss mich Cains völlig ruhige Stimme aus meinem ängstlichen, panischen Blickkontakt mit Dion.
Ich wandte den Kopf um und sah aus dem Augenwinkel noch, dass Dion zusammenzuckte und nickte, ehe er hastig aus dem Zimmer verschwand und die Tür schloss.
Dann sah ich zu Cain.
Dions Augen waren dunkelgrün gewesen und sie waren regelrecht aufgeleuchtet, aber Cains Blick war vollkommen unbeeindruckt und seine Augen glühten auch nicht.
Er sah eher besorgt aus und griff vorsichtig nach meiner Hand, damit er mir ein Taschentuch um den Daumen binden konnte.
Er sah dabei so… so unvampirisch aus und so ehrlich um mein Wohl besorgt, dass mich in diesem Moment ein Gefühl tiefen Vertrauens durchströmte, das merkwürdigerweise von meinem Hinterkopf her noch verstärkt wurde, als würde mir mein Instinkt auch zustimmen.

Cain hatte mir nie was böses gewollt oder getan und er hatte mich vor Crispin beschützt und vielleicht auch vor Dion, denn wer wusste, was noch hätte passieren können, wenn Cain Dion nicht weggeschickt hätte.
Und ich war unglaublich bescheuert.
Anstatt Angst zu haben, hätte ich mich von Anfang an mehr mit Cains Charakter und Absichten beschäftigen sollen, dann hätte ich von ganz alleine gewusst, dass er mir nichts tun und mich beschützen würde.
Und in diesem Moment stand meine Entscheidung fest.
Ich würde wiederkommen.
Zwar würde mir gewiss noch so einiges Abschreckendes zustoßen oder ich würde etwas sehen, was mir Angst machen würde, aber ich würde mich davon nicht mehr so in Panik versetzen lassen.
Ich musste meine Angst überwinden und mich nicht mehr so leicht einschüchtern oder beunruhigen lassen und mich damit abfinden, denn immerhin war dies hier Cains Welt, eine, die mir noch beinahe gänzlich unbekannt war und ich sollte mich lieber freuen, etwas Neues zu entdecken, anstatt schlotternd und panisch in einer Ecke zu sitzen und mich von meiner Angst verblenden zu lassen.
Ich musste Cain einfach vertrauen und durfte mich nicht so anstellen.

Meine Gedanken wurden jedoch unterbrochen, als es zögerlich an der Zimmertür klopfte.
Cain stand auf und ging zur Tür, öffnete sie und scheinbar war es Dion, denn er nahm nur einen kleinen Verbandskasten entgegen und schaute Dion dann noch einen Moment an.
„Wir unterhalten uns später eingehend darüber, Dion.“, meinte er nur leise und seine Stimme war regelrecht eisig.
Unwillkürlich kam mir zu diesem Ton ein etwas saures Gesicht mit glühenden, violetten Augen in den Sinn und ich war mir beinahe sicher, dass er diese Miene aufgesetzt hatte, aber ich konnte nicht sagen, ob ich nun richtig lag oder nicht, denn er stand ja noch immer mit dem Rücken zu mir.
„Tut mir leid.“, nuschelte Dion und dann seufzte er nur. „Bis später.“
Nur Augenblicke später schloss Cain die Tür wieder und entspannte sich etwas und scheinbar auch seine Gesichtsmuskeln, denn als er sich umwandte, sah er wieder nur besorgt aus und er ging mit dem Erste-Hilfe-Köfferchen zu mir.
„Entschuldige. Das tut bestimmt sehr weh... Dion ist manchmal aber auch ein Schaf.“, seufzte er entschuldigend und zog seinen Stuhl zu meinem, damit er mir richtig gegenübersitzen konnte, um meine Wunde zu versorgen.
Das Köfferchen hatte er auf den Tisch gestellt und geöffnet und jetzt wickelte er vorsichtig und behutsam das Taschentuch von meinem Daumen.
Es war an den Stellen, wo es auf meiner Wunde gelegen hatte und auch etwas außenrum mit meinem Blut vollgesogen.
Ich erwiderte vorerst nichts darauf, sondern ließ mir eher eine Antwort durch den Kopf gehen, die ich wählen könnte.
Einerseits konnte ich verstehen, dass Dion nicht ganz schuldig, aber auch nicht ganz unschuldig war.
Er hatte ja schließlich nicht gewusst, dass ich gerade mit einem Messer hantiert hatte, diesbezüglich traf ihn also keine Schuld, aber er hätte zumindest klopfen können, um mich vorzuwarnen – aber selbst das hätte mich wahrscheinlich zu sehr erschreckt, in diesem Moment.
„Vorsicht, das brennt jetzt ein bisschen.“, warnte Cain mich, als er mit einem Tüchlein, dessen eine Ecke scheinbar mit Desinfektionsmittel getränkt war, näher an meine Wunde kam.
Ich nickte nur und biss lieber schon im Vornherein die Zähne zusammen, da ich wusste, dass es brennen würde, wie Feuer.
Tatsächlich setzte der schon recht bekannte Schmerz (früher, als ich noch kleiner war, war ich oft beim Herumtollen hingefallen, wobei ich mir irgendwas aufgeschürft hatte und dementsprechend oft hatte ich auch das Brennen des Desinfektionsmittels zu spüren bekommen) zu dem Anderen dazu ein, als Cain meine Verletzung reinigte, ehe er das Tüchlein beiseite legte und nach einem etwas breiteren Pflaster griff, das scheinbar auch ein wenig klammernd wirkte, sodass der Schnitt wieder gut zuheilen würde.
Dann endlich brachte ich eine Antwort zustande.
„Schon in Ordnung, also, wegen Dion. Ich glaube, es war ganz gut, dass er reingekommen ist... Na ja, es tut trotzdem weh, aber er wusste ja nicht, dass ich ein Messer in der Hand hatte. Jedenfalls hab ich mich jetzt endlich entschieden... ich werde öfter kommen.“, meinte ich leise und Cain, der auf meine Wunde geschaut hatte, erstarrte in der Bewegung, mir das Pflaster umzumachen und schaute langsam auf.
Er lächelte und es sah wirklich richtig erfreut aus.
„Das weiß ich sehr zu schätzen. Ich danke dir.“, erwiderte er lächelnd, dann sah er jedoch wieder zu meinem Daumen und legte das Pflaster an.
„Gern geschehen... du brauchst mir nicht zu danken. Ich bin diejenige, die sich bedanken sollte.“, sagte ich und hob leicht lächelnd den verarzteten Daumen.
Bildete ich mir das nur ein, oder war die Stimmung hier im Raum auf einmal viel ungezwungener, als vorher?
Es war ein regelrecht befreiendes Gefühl, die Bürde der Entscheidung endlich los zu sein.
Cain lächelte leicht.
„Ich werde mich dann heute Nacht gleich um einen Termin bei Gideon kümmern, damit wir das Visum bald bekommen.“, meinte er und fragte mich anschließend, ob ich noch Tee wollte.
Ich nickte lächelnd und nahm die wieder aufgefüllte Tasse dankend entgegen.

Nur wenige Augenblicke später stand Cain auf und hob den Apfel auf, der mir aus der Hand gekullert war und griff anschließend nach dem Messer, mit dem ich mich geschnitten hatte.
Das Blut wischte er an dem Taschentuch ab, mit dem er die erste Blutung aufgehalten hatte, dann schälte er den Apfel – leicht und irgendwie vor allem viel glücklicher lächelnd als vorher – und reichte mir dann einen kleinen Teller, auf den er die Apfelschnitze gelegt hatte.
„Oh. Dankeschön.“, meinte ich und nahm ihn entgegen.
Ich nahm mir einen Schnitz und biss ab.
Irgendwie war es schon merkwürdig, aber ich selbst war auch irgendwie glücklich über die Entwicklung dieses Abends.

Als es dann langsam etwas später wurde, besorgte Cain uns beiden etwas zum Abendessen – gut, für ihn würde es vermutlich gerade mal das Mittagessen sein, aber egal – und wir aßen gemeinsam und irgendwie waren wir beide die ganze Zeit am Dauerlächeln.
Nebenbei hielten wir wieder eher Smalltalk, wenn wir nicht gerade der angenehmen Stille lauschten und dabei aßen.
Cain hatte wieder eine Suppe, ich dagegen wieder ein festes Essen.
Mein Daumen tat zwar immernoch ziemlich weh, aber ich versuchte, es zu ignorieren. Morgen oder so würde ich es vermutlich gar nicht mehr merken, hoffte ich.
Und es war ein wenig ungerecht, denn ich merkte überhaupt nicht, wie die Zeit verging.

Irgendwann sagte Cain schließlich, dass er mich nun lieber wieder nach Hause bringen würde, damit ich keinen Ärger bekam und ich war erst mal total verständnislos.
So spät konnte es doch gar nicht sein.
Weit gefehlt, wie mir Cain, leicht schmunzelnd, bewies.
Er hielt mir seine Armbanduhr unter die Nase.
„Es ist schon viertel vor zehn. Wenn wir nicht bald losfahren, bekommst du wirklich noch Ärger. Und wer weiß, was deine Eltern dann noch von mir denken.“, meinte er und grinste schelmisch.
Ich verstand seine Anspielung und mit einem Mal war ich nicht nur knallrot im Gesicht, sondern auch ziemlich unwillig nach Hause zu gehen.
Ich hatte die anderen ganz vergessen und ich wettete mein nächstes Taschengeld, dass Emily ebenfalls noch da war.
Sie würden mich regelrecht ausquetschen, da war ich mir ganz sicher.
Wenn ich allerdings hier bleiben würde, würde ich die Gerüchteküche nur noch mehr anheizen und das musste ja nun auch nicht sein.
Ich seufzte niedergeschlagen.
„Sie werden mich an einen Stuhl fesseln und mich über dich aushorchen, das ist dir schon klar, oder?“, fragte ich und setzte eine Leidensmiene auf. „Wer weiß, vielleicht haben sie auch schon Daumenschrauben besorgt, um mich zu foltern, wenn ich nicht rede...“
Cain lachte leicht.
„Na, komm schon. So schlimm wird es sicher nicht werden.“, schmunzelte er.
„Denkst du

. Ich kenne

die vier… sie sind schlimmer als die Pest, wenn sie erst mal was wissen wollen...“, erwiderte ich und trank noch einen Schluck Tee.
Noch immer schmunzelte Cain.
„Vielleicht sollten wir im Auto weiterreden. Sonst werden sie von Minute zu Minute schlimmer.“, sagte er grinsend und zwinkerte mir neckisch zu.
Ich seufzte tief und erhob mich, um meinen Mantel anzuziehen.
„Du hast recht.“, stimmte ich ihm zu und ich wusste nicht woher er ihn hatte, aber Cain zog sich ebenfalls einen schwarzen Mantel über, nachdem er aufgestanden war.
Bevor wir allerdings das Zimmer verließen, griff ich nach einem weiteren roten Apfel und nahm ihn lächelnd mit.
Cain schmunzelte leicht über mich, aber dann machten wir uns wieder auf den Weg zum Fahrstuhl und anschließend zu Cains schwarzem Sportwagen.

Wir fuhren schweigend, bis wir schließlich das Wohngebiet hinter uns gelassen hatten.
Cain schien nämlich meinen Unmut zu bemerken, den ich unwillkürlich empfand, wenn ich an die kommende Folterstunde dachte.
„Wenn es dich beruhigen würde, könnte ich sie ein wenig hypnotisieren, damit sie mich einfach wieder vergessen.“, schlug er beiläufig vor.
Diesmal fuhr er in normaler Geschwindigkeit, was bedeutete, dass er nicht so langsam fuhr, wie sonst, aber auch nicht zu

schnell – normal eben.
Ich schaute ihn an.
„Ich weiß nicht recht...“, sagte ich und ich klang ein wenig skeptisch. Irgendwie konnte ich mich mit dieser Idee nicht so wirklich anfreunden.
„Wie läuft das eigentlich ab, wenn du jemanden hypnotisierst?“, wollte ich ein wenig interessiert wissen.
Cain schmunzelte.
„Nicht viel anders, als man es sich geläufig vorstellt. Nur erreiche ich den Trancezustand der anderen mit meinem Blickkontakt, anstatt mit Pendeln und diesem Kram.“, erklärte Cain und bog um die letzte Ecke der Umleitung.
„Hmm... vielleicht sollten wir es probieren... aber nur ein ganz kleines Bisschen!“, meinte ich.
Cain nickte lächelnd, während er auf meinen Nachhausweg einbog.
Es würde nicht mehr lange dauern, bis wir ankommen würden.
Und irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, dass ich die Entscheidung, es auszuprobieren, gleich bereuen würde.
Ich würde ja rasch herausfinden, ob ich mit diesem Zweifel recht hatte oder nicht, denn nicht lange danach hielt Cain das Auto vor unserem Haus.
Die Gefühle spielten verrückt in mir, als ich daran dachte, was so alles kommen könnte, wenn wir da jetzt reingingen und ich drehte den Apfel, den ich mitgenommen hatte, nervös in meiner Hand hin und her.
Ich ahnte nicht gerade Gutes...


†_9.Kapitel – Violet Eyes_†




Cain zog den Schlüssel aus der Zündung und stieg mit einer geschmeidigen Bewegung aus, nachdem er sich abgeschnallt hatte.
Ich derweil blinzelte kurz, ehe mir einfiel, dass er für seine Hypnose ja mit nach Drinnen kommen musste.
Da hatte Cain mir schon die Tür geöffnet, als ich mich gerade abgeschnallt hatte, und hielt mir neckisch lächelnd einen Arm entgegen, in den ich mich entweder einhaken oder einfach so als Aufstehhilfe benutzen konnte.
Unwillkürlich kamen mir diese alten Schnulzen in den Sinn, die meine Mum manchmal guckte. Seufzend ergriff ich seinen Arm und stand auf.
„Das machst du absichtlich, oder?“, fragte ich und ließ verschämt den Kopf hängen.
Ich war mir ganz sicher, dass meine Eltern und die anderen zwei am Fenster hingen und ein Blick dorthin schien mir meine Befürchtung zu bestätigen.
Ich sah jemanden ganz schnell weghuschen – das konnte nur Laila gewesen sein.
Cain setzte eine Unschuldsmiene auf.
„Ich weiß nicht, was du meinst... ich beweise lediglich Manieren.“, schmunzelte er, als ich seinen Arm losließ und seufzend die Autotür zuschlug.
Cain schloss mit einem Knopfdruck ab und begleitete mich dann zur Haustür.
„Da fällt mir ein, wann wollen wir uns das nächste Mal treffen? Ich könnte dir für diesen Abend gleich wieder eine Art Alibi verschaffen.“, erkundigte er sich als wir gerade durchs Gartentor gingen.
Ich zuckte die Schultern.
„Gute Frage... wie wär’s mit Freitag? Da könnte ich wieder etwas länger, wegen dem Wochenende.“, schlug ich vor.
Cain lächelte leicht.
„Okay.“

Dann kamen wir allerdings bei der Haustür an, die ich gerade aufschließen wollte, als sie von Innen aufgerissen wurde.
Emily und Laila, die mich ziemlich aufgeregt an den Schultern packten und mit ins Haus schleiften.
„Willst du nicht noch einen Moment mit reinkommen?“, fragte Emily grinsend über ihre Schulter hinweg an Cain gewandt.
Ich gab meinen Widerstand niedergeschlagen auf und ließ mich von Emily und Laila mitziehen.
Ich hätte mir denken können, dass das passieren würde.
Cain unterdrückte ein Grinsen.
„Gern.“, antwortete er höflich und betrat das Haus, schloss die Haustür hinter sich.

Laila und Emily grinsten sich verschwörerisch an, dann bugsierte Emily mich in die Küche, während Laila sich Cain annahm.
Ich seufzte nur mühsam beherrscht, als ich den Küchenstuhl sah, neben dem meine Eltern bereitstanden.
Wenigstens waren nirgends Daumenschrauben auszumachen.
Emily ließ mir aber nicht einmal Zeit, meinen Mantel richtig auszuziehen, sondern drückte mich auf den Stuhl, an den mich Mum und Dad dann mit meterdick Frischhaltefolie fesselten und anschließend an den Tisch rückten.
Ich schaute zu Cain.
„Hab ich’s nicht gesagt?! Aber nein, so schlimm wird’s ja nicht...“, meinte ich sarkastisch und ließ resigniert den Kopf hängen.
Cain sah etwas mitleidig zu mir.
Laila hatte ihm wenigstens Zeit zum Mantelablegen gelassen und er wurde auch nicht gefesselt, sondern nur ohne viel Federlesen neben mich gesetzt.
„Mir scheint, ich habe sie unterschätzt.“, gestand er ein und trotzdem musste er ein Schmunzeln unterdrücken.
Ich schnaubte nur und seufzte tief.

Mum sah zu Dad, der wiederum auf die Uhr schaute.
„Genau zehn. Er war pünktlich.“, verkündete Dad. Mum lächelte anerkennend.
„Wunderbar... Mädels? Holt eure Listen raus, wir fangen mit der Befragung an.“, grinste sie anschließend zu Laila und Emily.

Das was jetzt kam, war vermutlich schlimmer als alles, was ich bisher mit den Vieren durchgestanden hatte.
Andererseits auch recht informativ, wenn man so wollte.
Laila und Emily bombardierten Cain mit allen möglichen – und irgendwie auch unmöglichen – Fragen.
Eine der ersten war folgende:
„Hast du eine Freundin oder bist du Single?“, die – natürlich – von Emily kam.
Cain schmunzelte, während er ganz ruhig dasaß und zu den anderen schaute.
„Ich bin Single.“, antwortete er und ich hörte an seiner Stimme, was die anderen vermutlich nicht so sehr registrierten, wie ich, nämlich, dass er dieses Verhör wirklich urkomisch fand.
„Wie kann so ein süßer Kerl wie du keine Freundin haben?! Bist du etwa schwul?“, entkam es daraufhin Laila verdattert.
Ich ließ verschämt den Kopf hängen. Das Mädchen war einfach unmöglich

!
Cain brach auf diese Frage hin in leises, aber dennoch irgendwie schallendes, Gelächter aus und hielt sich die Hand vor den Mund, zum Einen, um sein Lachen zu ersticken und zum Zweiten, damit die anderen seine Vampirzähne nicht sahen. So

ausgelassen hatte selbst ich

ihn noch nie lachen gehört.
Schließlich hatte er sich jedoch wieder einigermaßen unter Kontrolle und grinste verhalten.
„Was für interessante

Fragen. Nein, ich bin nicht vom andren Ufer, falls dich das beruhigt, aber danke für das Kompliment.“, meinte Cain und mit dieser Antwort schien er Laila beinahe ein wenig necken zu wollen, denn er zwinkerte er ihr, breit schmunzelnd, zu.
Und ich konnte es nicht fassen, als sie plötzlich tatsächlich ein wenig rot um die Nase rum wurde und schnell wieder auf ihre Fragenliste schaute.
Emily grinste Laila vielsagend an und wandte sich dann ebenfalls ihrer Liste zu.

„Was machen Sie so, Junge, wofür interessieren Sie sich?“, kam auf einmal eine Frage von Mum und sie schaute ihn neugierig an.
Jetzt musste Cain einen kleinen Moment überlegen, ehe er antwortete.
„Ich unterrichte ein wenig. Und nebenbei erledige ich noch ein bisschen so etwas ähnliches wie Babysitting. Meine Interessen gehen in verschiedene Richtungen. Ich lese gern und studiere nicht nur viele alte Schriften sondern auch eine Menge Theologie.“, sagte er und lächelte leicht, wie er es sonst immer bei mir tat.
„Unterrichten? Was denn zum Beispiel?“, entkam es Dad überrascht.
Cain lächelte wieder.
„Ich habe meinem Schüler lesen und schreiben, sowie einige Fremdsprachen und Mathematik beigebracht.“, gab Cain Auskunft und ich schaute überrascht zu ihm.
„Hey, warum erzählst du mir

davon nichts?!“, wollte ich von ihm wissen, bevor einer von den anderen auch nur wieder anfangen konnte zu sprechen.
Er schaute zu mir und lächelte.
„Du hättest es doch früher oder später sowieso rausgefunden, Alaine.“, schmunzelte er und sein Blick war offen und freundlich.
„Trotzdem...“, murmelte ich ein klein wenig eingeschnappt.

Daraufhin ging jedoch die Fragestunde weiter und wurde schließlich von drei schrillen, kurzen Piepsern durchbrochen, die aus Cains Handy kamen.
„Entschuldigung.“, meinte er, um den Fragensturm zu unterbrechen und nahm ab.
„Ja, was ist denn Dion?“, fragte er in den Hörer.
Mum, Dad, Laila und Emily beobachteten Cain genau beim Telefonieren und auch ich schaute fragend zu ihm.
„Tja, dann wirst du dort wohl ausharren müssen. Selbst dran Schuld. Du weißt, was ich dir vor ein paar Stunden erst gesagt habe.“, meinte er dann kühl, als er Dion eine Weile hatte sprechen lassen.
Jetzt antwortete dieser wieder und Cain rieb sich die Stirn und seufzte tief.
„Na schön, ich sehe, was sich machen lässt. Aber unter einer dreiviertel Stunde geht nichts.“, gab er schließlich ein wenig genervt nach und legte dann ohne ein weiteres Wort auf und sah zu mir.
„Er hat sich mal wieder Ärger mit Gabriel eingehandelt... ich regle jetzt erst mal hier schnell alles, dann muss ich leider los.“, erklärte er seufzend und während ich begriff und nickte, wandte er seinen Kopf bereits den anderen Vieren zu, die ihn neugierig anglubschten und er brachte innerhalb weniger Sekunden seine violetten Augen zum Aufglühen.
Die Anderen starrten ihn daraufhin an, wie ein Kaninchen eine Schlange, und rührten sich nicht mehr vom Fleck.
Ehe Cain allerdings anfing, ihnen etwas zu erzählen, damit sie ihn vergaßen, wandte er sich, nun wieder mit normalen Augen, mir zu, während meine Eltern, Laila und Emily immernoch dorthin starrten, wo vor wenigen Momenten noch Cains Augen gewesen waren, jetzt allerdings sein, von seinen Haaren verdecktes, Ohr war.
„Mir kam gerade ein Gedanke, Alaine... Was hältst du davon, wenn ich ihnen, anstatt sie mich vergessen zu lassen, in den Kopf setze, dass sie mich schon Ewigkeiten kennen und ich indirekt vielleicht schon ein wenig zur Familie gehöre, sodass du einfach kommen kannst, wenn du Lust dazu hast und sie nichts dagegen haben werden? Dass sie mir vertrauen und es ganz gelassen hinnehmen?“, erkundigte Cain sich mit fragendem, ein wenig forschendem Blick bei mir.
Ich blinzelte verdattert.
Eigentlich war das gar keine so schlechte Idee. Und vor allem würde es mir eine Menge Ärger ersparen, wenn wir uns das nächste Mal treffen wollen würden.
„Die Idee gefällt mir. Außerdem hätte ich dann auch nicht immer so ein Theater und Laila und die anderen würden mich nicht mehr so übel nerven, von wegen, ich hätte einen Freund oder ein Date oder sonst was... Aber werden sie nicht trotzdem wegen deiner Augenfarbe ziemlich verdattert sein, wenn sie die bemerken?“, fragte ich und obwohl ich mir halbwegs sicher war, normal gesprochen zu haben, kam ich mir vor, als würde ich wirr reden, denn unter der meterdicken Plastikschicht der Frischhaltefolie und dem Mantel noch dazu wurde mir langsam wirklich verdammt warm und mit der Hitze schien mir auch noch ein wenig der Kopf zuzunebeln.
Cain erwiderte meinen Blick und sah nun eher etwas besorgt aus.
„Das ist kein Problem, ich veranlasse einfach, dass sie mich immer nur mit blauen Augen sehen werden, aber was mir im Moment mehr Sorgen macht, bist du. Du bist ganz bleich und deine Haare kleben dir ja regelrecht in der Stirn... ich mache dich erst mal los, bevor ich mir deine Familie und Emily vornehme.“, gab er zurück und erhob sich, um hinter mich zu treten.
Ich sah nicht, was er machte, obwohl ich meinen Kopf ziemlich nach hinten verdrehte, aber trotzdem nahm er mir die Plastikfolie nur Augenblicke später wie einen Kokon ab, aus dem er mich pellte. Er schien hinten entzwei geschnitten worden zu sein, aber Cain hatte doch gar kein Messer in der Hand gehabt...?
Ich blinzelte etwas verwirrt, war aber dennoch erleichtert und zog mir endlich den Mantel aus, nachdem ich meinen Apfel, den ich von Cain mitgenommen hatte, auf den Tisch gelegt hatte.
„Danke.“, seufzte ich befreit auf und schaute mit einem dankbaren Blick zu Cain, der gerade die Überreste der Frischhaltefolienfessel beseitigte.
Er lächelte.
„Keine Ursache. Geht’s dir jetzt wieder besser?“, fragte er freundlich nach und setzte sich wieder zu mir.
Ich nickte und mopste Emily und Laila ihre Fragelisten aus der Hand, die ich beide zusammenlegte und in der Mitte einmal faltete, ehe ich mir damit Luft zufächelte.
„Viel besser, danke noch mal.“, antwortete ich und schaute zu Mum, Dad, Emily und Laila, die noch immer dasaßen, wie zur Salzsäule erstarrt.
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
„Irgendwie sieht das merkwürdig aus... wenn du fertig bist, sind die dann wieder normal und beweglich?“, wollte ich, in fast schon neckendem Ton (woher ich das nahm, wusste ich selbst nicht), wissen und unwillkürlich musste ich grinsen, als ich daran dachte, dass sie es im Moment vermutlich nicht mal mitkriegen würden, wenn ich sie schminken und in andere Klamotten stecken würde, wie überdimensionale Barbies.
Cain lachte leise.
„Aber ja. Sie sind dann wieder ganz normal, allerdings werden sie sich dann nicht mehr so schlimm benehmen wie vorher, was meine Anwesenheit hier betrifft.“, erklärte er mir und auch er grinste kurz breit, sodass ich sogar seine Vampirzähne sehen konnte.
Seltsamerweise machte es mir, seit ich zu der Erkenntnis gekommen war, ihm vertrauen zu können, gar nichts mehr aus, sie zu sehen. Ich bekam nicht mal Angst bei ihrem Anblick, wie es vorher der Fall gewesen war.
Ich grinste zurück und setzte mich dann aber abrupt wieder vernünftig hin, strich mir die Jeans glatt und räusperte mich.
„So, dann fang mal an, mit deiner Hypnoseshow.“, meinte ich und versuchte, nicht wieder zu grinsen.
Cain gluckste leise, dann konzentrierte er sich allerdings etwas und wandte sich wieder mit glühenden Augen meiner Familie und Emily zu.
Als Cain wieder begann zu sprechen, hatte seine Stimme einen völlig hypnotischen, einlullenden Klang, aber ich verstand nicht, was er sagte.
Ich lauschte aufmerksam, versuchte, eine mir bekannte Sprache herauszuhören, aber ich konnte es nicht.
Schließlich hatte Cain geendet und die Vier sanken auf dem Tisch zusammen, während Cain sich mir zuwandte, wieder mit seinen normalen Augen.
Er schaute auf die Uhr.
„Wir haben jetzt noch genau 57 Sekunden Zeit, bis sie aufwachen und mich und Emily verabschieden, also sage ich schon mal, bis Freitag.“, lächelte er und ich konnte nicht anders, ich sah einfach ein wenig verdattert aus.
„Was war das für eine Sprache, die du da benutzt hast?“, wollte ich neugierig wissen.
Cain schmunzelte.
„Aramäisch. Zu der Zeit, als ich diese Sprache sprach, perfektionierte ich meine Hypnosekunst, daher hat sie die meiste Wirkung, wenn ich die aramäische Sprache benutze.“, erklärte er lächelnd, dann schaute er wieder zur Uhr, nachdem er in mein etwas ungläubiges Gesicht geschaut hatte.
„Noch 35 Sekunden.“, meinte er und lächelte mich noch mal an, ehe er aufstand. „Bis dann, Alaine. Und schon im Vornherein: sei nicht zu sehr über ihr Verhalten überrascht, sonst fragen sie sich noch, ob irgendwas nicht stimmt und werden ein wenig misstrauisch, okay?“
Ich nickte und versuchte, mich wieder zusammenzureißen.
„Okay, bis Freitag dann. Um wie viel Uhr eigentlich?“, fragte ich nach.
„Ich ruf dich vorher noch mal an und am Freitag komme ich dich dann abholen.“, sagte Cain nur lächelnd, dann zählte er, mit einem Blick zu seiner Armbanduhr runter:
„Fünf, vier, drei, zwei, eins...“
Und noch während Cain mit den Fingern schnipste, um den Countdown zu vollenden, schreckten die vier hoch, wie Marionetten, an deren Fäden man gezogen hatte.
Mum lächelte und Dad schaute zur Uhr, während Laila und Emily leise über ihre Duseligkeit, eben kurz geträumt zu haben, lachten.
Bevor irgendwer es merkte, ließ ich schnell die Fragebögen in meiner Hosentasche verschwinden und grinste anschließend mit.
Es war seltsam. Von einer chaotischen Fragestunde war die Stimmung sofort auf eine anheimelnde Vertrautheit übergesprungen. Man konnte sich sogar richtig wohlfühlen.
„Also, es wird langsam spät, Kinder.“, meinte Dad. „Du hast ja gerade schon gesagt, dass du gehen musst, nicht wahr, Cain? Dann wünsche ich dir einen guten Heimweg.“, meinte er und auch Emily erhob sich nun, während sie Laila die Haare verstrubbelte.
„Gute Idee... ich sollte auch langsam los. Gehen wir noch ein Stück zusammen, Cain?“, fragte sie lächelnd und Laila gähnte, nachdem sie Emilys Hand aus ihren Haaren gefischt hatte, herzhaft.
Cain schmunzelte leicht.
„Gerne. Und danke, Mister Collinsen, ich werde sicher gut nach Hause kommen. Und auf Emily passe ich auch noch ein wenig auf.“, sagte er und sein Schmunzeln wurde etwas breiter.
Emily lachte leise und Dad winkte ab.
„Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du uns nicht so förmlich anreden sollst, Cain? Wir kennen uns schon ewig, da brauchst du nicht immer noch so höflich zu sein. Chris und Karen langt völlig.“, sagte er und innerlich fielen mir beinahe die Augen aus dem Kopf, aber ich ließ mir nichts anmerken, wie ich es Cain versprochen hatte.
Dieser seufzte leise.
„Na schön, dann eben Chris. Bis bald dann. Bye, Laila. Bis dann, Alaine. Auf Wiedersehen, Karen. Gute Nacht euch allen.“, verabschiedete sich Cain und winkte uns noch kurz zu – ich bildete mir ein, dass Cain etwas länger mit seinem Blick an mir hängen blieb, als an den anderen, aber sicher war ich mir nicht –, dann sah er zu Emily.
„Ich hole schon mal deinen Mantel, während du dich verabschiedest.“, meinte er, dann verschwand er mit einem letzten Lächeln in unsre Richtung hinaus in den Flur.
Ich stand auf, um die beiden noch zur Tür zu bringen, während Emily Mum, Dad und auch Laila noch Tschüss sagte, anschließend ging ich mit ihr in den Flur.
Cain reichte ihr ihren Mantel und lächelte mir kurz zu, während sie ihn anzog.
„Ich bin mit dem Wagen da, Emily, soll ich dich grad nach Hause fahren?“, fragte er dann nach, als sie fertig war.
Meine beste Freundin nahm das Angebot dankend an und ich brachte die beiden noch zur Tür. Während Emily schon mal vor zum Wagen ging, schaute ich noch mal zu Cain.
„Die wissen gar nichts mehr von ihrem Verhör, oder?“, erkundigte ich mich murmelnd und sah kurz über meine Schulter nach drinnen.
Cain schüttelte den Kopf und lächelte.
„Nein, nicht wirklich. Sie kommen sich grade vor, als hätten sie einen gemütlichen Abend hinter sich, also kannst du ganz beruhigt sein.“, antwortete er, ebenso leise.
„Was war das vorhin eigentlich? Wegen Mum und Dad...?“, fragte ich nach. Dass sie Cain angeboten hatten, sie beim Vornamen zu nennen, war heftig – nicht mal Emily, die ich schon viereinhalb Jahre kannte, durfte das, aber wer weiß, sagte ich mir, vielleicht erlaubten sie es ihr ja auch demnächst.
„Damit habe ich nichts zu tun. Das ging von ihnen aus. Aber jetzt muss ich los, Emily wartet schon und ich muss Dion noch aus der Besenkammer mit dem Fenster lassen, in die Gabriel ihn gesperrt hat, also, bis Freitag dann, Alaine. Gute Nacht.“, sagte er und schenkte mir noch ein letztes Lächeln, ehe er sich umdrehte und zu Emily ging, die – über die Kälte maulend und mit ihren Händen tief in den Manteltaschen im Kreis hopsend – vor dem verschlossenen Auto stand.
Cain schloss auf und dann stiegen beide ein.

Ich blieb noch in der Tür stehen, bis der schwarze Sportwagen hinter der nächsten Ecke verschwunden war, und sah ihnen einen kleinen Moment nach, dann verzog ich mich aber eilig wieder nach drinnen und schloss die Tür hinter mir, damit ich mir nicht noch was abfror.
Es war ein etwas seltsames Gefühl gewesen, Emily und Cain in das Auto steigen zu sehen, vor allem, wenn ich daran dachte, dass ich

doch für gewöhnlich sonst immer dort eingestiegen war.
Irgendwie schien von meinem Hinterkopf eine kleine Welle der Unruhe auszugehen, die ich aber, als ich den Flur lang ging, fast schon wieder verdrängt oder auch einfach nur vergessen hatte.

Ich ging, mir die Hände reibend, nach drinnen, wo Mum grade klar Schiff in der Küche machte und Dad Laila ins Bett schickte, die ein wenig nörgelte, wie sie es manchmal zu tun pflegte, wenn der Abend schön gewesen war und sie ihn noch in die Länge ziehen wollte.
Aber ihr Protest war doch recht schwach und Dad machte dem auch ziemlich bald ein Ende.
Eigentlich war es schon eine Besonderheit, dass Laila bis beinahe viertel vor zwölf wach sein durfte, denn normalerweise hieß es bei ihr sonst immer konsequent: „Um spätestens zehn Uhr ist das Licht aus!“
Laila musste übel gefleht haben, oder Mum und Dad hatten auf ihre Unterstützung bei Cains Verhör gehofft, weshalb sie Laila länger hatten aufbleiben lassen.
Ich rieb mir nur die Arme, um die Gänsehaut loszuwerden, als ich an die Folterstunde dachte. Ich war nur noch froh, dass ich mir nicht das gesamte

Verhör hatte anhören müssen. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass sie mich, wenn Cain erst mal weg gewesen wäre, ziemlich schlimm in die Mangel genommen hätten.
Vielleicht hatten sie doch irgendwo Daumenschrauben versteckt, die sie dann erst rausgeholt hätten, wenn ich mich allein in ihrer Gewalt befunden hätte...
„Ich geh dann auch ins Bett. Gute Nacht, Mum. Nacht Dad.“, sagte ich schließlich, schnappte mir den Apfel, den ich von meinem Besuch bei Cain mitgebracht hatte und tappte hinter Laila her die Treppe rauf.
Ich war wirklich beinahe müde genug, um zu schlafen – der heutige Tag hatte viel für mich bereit gehalten.
Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob ich auch schlafen konnte

, denn immerhin hatte ich viel zu viele Gedanken im Kopf, die mich, wenn ich erst mal im Bett lag, überfallen und vereinnahmen würden.
Ich beschloss, mich noch mal schnell unter die Dusche zu stellen, ehe ich mich doch hinlegen würde, Schlaf hin oder her.
Denn immerhin war ich ziemlich durchgeschwitzt, von den anderthalb Stunden in der Plastikhölle und ich hatte keine Lust, morgen extra früher aufzustehen, nur um zu duschen.
Also legte ich den Apfel in meinem Zimmer auf meinen Nachttisch, klaubte meine Schlafhose und mein Tanktop zusammen, warf sie in den Wäschekorb und holte mir eins meiner alten Lieblingsshirts, die ich nicht mehr für draußen anziehen konnte, weil sie entweder nie mehr ganz sauber gingen oder sie durch zu häufiges Tragen schon ziemlich durchlöchert waren, und holte mir auch eine neue Schlafanzughose aus meinem Schrank, dann tappte ich ins Badezimmer und schloss die Tür hinter mir ab.

Nach der Dusche fühlte ich mich gleich wieder viel besser und während ich mir mit der einen Hand die Zähne putzte, trocknete ich mir mit der anderen die Haare, damit mein Bettzeug nicht schon wieder nass wurde.
Als ich dann fertig war, tappte ich in Schlafmontur in mein Zimmer zurück, löschte das Licht und legte mich ins Bett.
Wie ich erwartet hatte, war mein Geist noch zu wach, um in den angenehmen Zustand der Ruhe hineinzufinden, in dem mein Körper sich schon halbwegs zu befinden schien.
Mit halb geöffneten Augen blinzelte ich zu dem Apfel auf meinem Nachtschränkchen, der im Licht der Straßenlaterne, das von draußen hereinkam, leicht glänzte.
Unwillkürlich lächelte ich ein wenig. Es war so toll, sich endlich entschieden zu haben und mit meiner Wahl war ich irgendwie auch zutiefst zufrieden.
Mir schien, der Teil in mir, der nicht ich, sondern Abel war, trug so einiges zu dem Glücksgefühl bei, das mich durchströmte, obwohl der Rest von mir natürlich auch irgendwie glücklich über die Entwicklung des heutigen Tages war.
Und irgendwie, ich konnte es schwer beschreiben, aber irgendwie war die Gewissheit, dass ich uns drei

– Cain, Abel und mich – glücklich gemacht hatte, geradezu berauschend.
So berauschend, dass das Gefühl noch bis tief in meinen Schlaf hinein anhielt und mich ruhig, traumlos, aber dennoch vollkommen friedlich schlafen ließ.


Der nächste Morgen war wunderbar – kein einziges Gerede über ein Date oder Sticheleien die Cain betrafen.
Es war wirklich herrlich, vor allem nach dem ganzen Theater, das Mum, Dad, Laila und Emily vor und auch teilweise nach meinem Treffen mit Cain gestern gemacht hatten.
Ich genoss es richtig, schulfertig am Tisch zu sitzen und den anderen beim Reden zuzuhören, während ich meine warme Milch trank, um mich für die Kälte draußen zu wappnen.
„- das war wirklich komisch. Wenn ich nicht geschlafen hätte, hätte ich furchtbar lachen müssen... überall sind lilaäugige Eichhörnchen rumgehopst und haben eine Nussparty gegeben.“, erzählte Laila Dad ihren Traum und als sie von „lilaäugig“ sprach, verschluckte ich mich unwillkürlich an meiner Milch und bekam einen Hustenanfall.
War das vielleicht eine Nachwirkung von Cains Hypnose gewesen? Dass Laila violette Augen in ihren Träumen gesehen hatte?
Laila brach in ihrem Erzählstrom ab und klopfte mir auf den Rücken.
Das allerdings so fest, dass ich das Gefühl hatte, sie würde meine Lunge mit nach draußen befördern wollen.
„Ist ja gut... Aua, Laila!“, brachte ich nach meiner Hustenattacke heraus und schaffte es grade noch so, mich unter Lailas nächstem Schlag wegzuducken, sodass sie nicht mich, sondern das Glas Kirschmarmelade traf, das daraufhin quer durch die ganze Küche flog und wohl am Kühlschrank zu Bruch gegangen wäre, hätte Mum, die an der Anrichte stand, nicht geistesgegenwärtig ihre Hand ausgestreckt und das Glas astrein aufgefangen.
Dad klatschte ganz beeindruckt Applaus und Mum stellte das Marmeladenglas zurück auf den Tisch und langte nach Lailas und meinem Hinterkopf.
„Ihr benehmt euch wie Kleinkinder...“, seufzte sie und schaute dann zur Uhr. „Es ist Zeit, auf ihr beiden! Ich fahre und lasse euch unterwegs raus.“
Wir nickten artig und ich ging schnell nach oben, um meine Schultasche zu holen.
Anschließend zog ich unten meinen Mantel über meinen schwarzen, dicken Wollpulli und tappte Laila und Mum nach zum Auto.

Mum hatte Laila gerade bei ihrer Schule rausgelassen und fuhr zu meiner weiter, als es über uns heftig krachte und der Himmel sich in einem kurzen Wetterleuchten aufhellte.
„Oh, na wunderbar!“, stöhnte Mum genervt. „Gleich gewittert’ s hier, was das Zeug hält... ist da hinten noch irgendwo der Regenschirm, den wir immer im Auto hatten?“, fragte sie nach und schaute mir über den Rückspiegel in die Augen.
Ich schaute zu meinen Füßen nach, da lag tatsächlich noch der dunkelblaue Regenschirm, den wir vor einer ganzen Weile mal im Auto vergessen und ihn seither irgendwie nie mehr mit ins Haus genommen hatten.
„Japp. Aber ich sag dir eins, den krall ich mir. So wie ich dich kenne, darf ich nämlich wieder nach Hause laufen oder Busfahren, während du Laila abholst.“, verkündete ich und riss mir den Schirm unter den Nagel.
„Hätte ich jetzt sowieso vorgeschlagen, daher ist mir das nur recht.“, gab Mum zurück und grinste mir im Rückspiegel vergnügt zu.
„Dachte ich mir fast.“, war mein Kommentar, mitsamt frechem Feixen.
Mum lachte leise, dann bog sie um die nächste Ecke und scheuchte mich nach draußen, da wir bei meiner Schule angekommen waren.
„Bis später dann, Mum!“, meinte ich noch, ehe ich die Autotür zuschlug und Richtung Schulgebäude ging, den Regenschirm vorerst noch nicht in Gebrauch.
Im Moment krachte es nur öfters mal – das dann aber ohrenbetäubend laut – der Regen jedoch würde sich noch etwas Zeit lassen.
Zwischen zwei Donnergrollen, bildete ich mir ein, das Krächzen einer Krähe zu hören, aber als ich mich umsah, konnte ich nirgendwo eine entdecken.
Verdattert blinzelnd beeilte ich mich, zum Klassenzimmer zu kommen, damit ich mir nicht noch Nachsitzen einhandelte, weil ich zu spät kam – gut ich hatte noch Zeit, aber Vorsicht war und blieb nun mal die Mutter der Porzellankiste.

„Wenn ich dir erzähle, was ich geträumt habe, dann glaubst du mir das niemals

, Alaine!“, begrüßte mich Emily, sobald ich an meinem Platz saß und den Mantel abgelegt hatte.
Ich glubschte sie fragend an.
„Warum, hast du auch von lilaäugigen Eichhörnchen geträumt, wie Laila?“, fragte ich misstrauisch und etwas treudoof nach und blinzelte.
Emily brach in schallendes Gelächter aus und hielt sich den Bauch.
Ich sah ihr weiterhin mit dem selben misstrauisch-treudoofen Gesichtsausdruck dabei zu, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
„Gott, nein! Eichhörnchen?! Was hat das Mädel nur für geniale Träume?... Aber nee, so was hab ich wirklich nicht geträumt, Lainy.“, meinte sie und ich verzog das Gesicht. Sie wusste ganz genau, dass ich nicht gerne mit „Lainy“ abgekürzt wurde.
Genau zwei Personen, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte nannten mich nämlich so – oder hatten es bis zu einer gewissen Zeit noch getan – Grandpa und Hillary.
„Nein, mein Traum war bombastischer... besser

... unglaublicher... Ich weiß nicht, irgendwie war ich auf einem riesigen Ball, hatte so chice altmodische Kleider an, mit Reifrock und Corsage und so... und ganz nebenbei bemerkt, es war ein Maskenball.
Und da kommt dieser rattenscharfe Prinz und will mit mir tanzen und ich stimme ganz verlegen zu und tanze so mit ihm... und dann, auf einmal kommt ein anderer Kerl an, der es doch allen ernstes wagt, den rattenscharfen Prinzen abzulösen!
Ich war erst mal voll empört und wollte mir den Prinzen zurückangeln, da schau ich mir den Neuen genauer an und bleibe an seinem Gesicht hängen... ich meine, gut, er hatte ’ne Maske auf, wie die meisten anderen auch, aber diese Augen... wie amethystene Teiche und so strahlend und klar und... wow... ich sag dir, ich hab ruck zuck den Mund gehalten und mir den Kerl geangelt, weil der noch viel schnuckeliger war, als der Prinz.“, erzählte Emily mit einem breiten Grinsen im Gesicht, dann sah sie zu mir und sah augenblicklich etwas besorgt aus.
„Alles in Ordnung? Du bist irgendwie beinahe schon grün...“, meinte sie und zog besorgt und irritiert ihre Augenbrauen zusammen.
Ich schluckte und gab mir Mühe, wieder zu atmen und somit meinen Magen zu beruhigen, der mir, als Emily die Augen des Tänzers beschrieben hatte, mit einem Ruck drei Etagen nach unten gerutscht war und sich nun irgendwo in der Nähe der Schulkantine befinden musste.
„Ja, geht schon, danke Emily. Ich muss sagen, dein Traum kommt mir beinahe vor, als hättest du vorher irgendwas eingeworfen... sicher, dass Laila und du nicht irgendwas in euren Getränken hattet?“, erwiderte ich und schließlich schaffte ich es sogar, wieder in einen neckenden Ton zurück zu finden.
Emily starrte mich ganz entgeistert und empört an und wollte grade mit ihrer Entrüstungsrede anfangen, da ging die Tür zum Klassenzimmer auf und der nächstbeste Lehrer kam reinmarschiert und fing noch mitten im Gehen mit dem Unterricht an.

Nach der ersten Stunde hatten wir Mathe und dieses elendige Fach wollte und wollte einfach nicht zuende gehen.
Irgendwie schien Mr. Derricks immer wieder eine neue Aufgabe zu finden, die wir natürlich unbedingt

noch machen mussten, ehe wir auch nur an die Pause denken

durften.
Vielleicht kam mir das aber auch nur so vor, weil Emily es sich nicht verkneifen konnte, mir alle zwei Minuten gegen den Stuhl zu treten, um mich für meine Stichelei vorhin zu bestrafen.
Oder, weil Hillary versuchte, Papierkügelchen nach mir zu schießen, die irgendwie alle an mir vorbeiflogen und auf Foster – dem Kerl, der vor mir saß – landeten, der langsam wirklich ungeduldig und sauer wurde, weil er sich alle paar Minuten wieder rund ein Dutzend Papierkugeln vom Tisch oder aus den Haaren picken durfte.
Und vielleicht lag es natürlich einfach auch daran, dass ich Mathe einfach zutiefst verabscheute. Ich war noch nie gut in dem Fach gewesen und ehrlich gesagt, hatte ich auch überhaupt keine Lust es zu werden. Ich wollte eigentlich am liebsten überhaupt kein

Mathe machen... aber das musste ich ja leider.
Seufzend schaute ich aus dem Fenster und sah auf einem Baum, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, einen Raben sitzen.
Er war riesig, aber ich hatte nie zuvor einen richtigen Raben gesehen, immer nur so kleine Dohlen oder Krähen, daher war ich mir nicht ganz sicher, was die genaue Bezeichnung für diesen Vogel war, aber ich glaubte zu wissen, dass das ein Kolkrabe sein musste.
Ich hoffte nur, dass er in der Pause noch da war, damit ich ihn mir genauer mal ansehen konnte, aber bevor ich diesen Gedanken auch nur zuende führen konnte, wurde ich von Mr. Derricks ermahnt, gefälligst aufzupassen.
Zähneknirschend wandte ich den Blick vom Fenster ab und dem Mathelehrer zu, der nun mehr oder weniger durch den Gang auf mich zukam, um zu sehen, wie weit ich mit den Aufgaben war.
Oh, oh. Nicht gut... gar nicht gut!

„Miss Collinsen, könnten Sie mir bitte erklären, warum Sie erst bei Aufgabe 3 sind, obwohl wir diese schon vor fünf Minuten besprochen haben?! Wo sind die restlichen vier Aufgaben, die Sie schon längst erledigt haben sollten?! Sie werden heute eine Stunde nachsitzen, um die Aufgaben nachzuholen, die Sie eben im Unterricht nicht gemacht haben! Und jetzt schreiben Sie sich die Hausaufgaben von der Tafel ab und dann können alle in die Pause gehen.
Miss Collinsen, um drei Uhr sehe ich Sie hier vor dem Klassenzimmer!“
Verdammt!
Ich nickte niedergeschlagen und schrieb die Hausaufgaben von der Tafel in mein Hausaufgabenheft, ehe ich einpackte und mit meiner Schultasche über der Schulter und sowohl einer etwas besorgten Emily hinter, als auch einer triumphierend grinsenden Hillary vor mir, den Klassenraum verließ, um in die Pause zu gehen.
Ich ging sicher, dass kein Lehrer in der Nähe war, als ich an Hillary vorbeiging und ihr dabei zwischen die Beine trat, damit sie auf die Nase knallte.
Auf ihren Spott und Hohn konnte ich jetzt wirklich getrost verzichten und so war am einfachsten gewährleistet, dass sie solange die Klappe hielt, bis ich mich aus dem Staub gemacht hatte, was ich jetzt natürlich auch schleunigst tat.
Aber gerade wollte ich nach draußen gehen, damit ich mir diesen Raben mal genauer und von etwas näher angucken konnte, falls er denn noch da war, da krachte es draußen laut und nach einem kurzen, gleißenden Blitz setzte ein hübscher, heftiger, aber im Moment leider etwas lästiger, Platzregen ein und ich verkrümelte mich in eine Ecke der Pausenhalle, in der mich selbst Emily nicht finden konnte.
Ich war teilweise immer noch darauf gefasst, dass sie mich wegen meines Kommentars vor Unterrichtsbeginn nerven würde.

Seufzend schaute ich von meiner Ecke aus nach draußen in den dicht prasselnden Regen.
Es war so unfair.
Nur weil ich einmal kurz nicht aufgepasst und diese bescheuerten Aufgaben nicht im zwei Sekundentakt runtergeschrieben hatte, wie Mr. Derricks das zuweilen draufhatte, musste ich diese vermaledeite Stunde nachsitzen.
Trübsinnig starrte ich auf meine Stiefelspitzen und malte mit meinem Fuß Kreise auf die kalten, graugrüngesprenkelten Fließen.
Dann aber sah ich auf, um sicherzugehen, dass Emily mich nicht zufällig hier irgendwo suchte und ich mich in eine andere Ecke verkriechen musste.
Glück gehabt – Emily war nirgends zu sehen.
Aber etwas anderes hatte nun meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaute ich ein wenig zu und lauschte.

„Hey! Gib den wieder her!!“, rief ein kleiner Freshman, den ich noch nie hier gesehen hatte – gut, für gewöhnlich achtete ich auch nicht auf die Kleinen aus der Neunten, daher war es nicht wirklich verwunderlich, dass ich den Kleinen hier noch nie bemerkt hatte – und sprang hoch, um sich den Brief zurückzuangeln, den einer der Juniors, namens Huck Spencers, ihm weggenommen hatte.
Warum ich den Namen des Elftklässlers kannte?
Ganz einfach, Huck hatte mich letzte Woche Montag um ein Date gebeten und am Dienstag letzte Woche war ich zu ihm hingegangen und hatte ihm nicht nur einen Korb, sondern auch gleich eine schallende Ohrfeige gegeben, weil er mir, als ich zu ihm kam, an den Hintern gefasst hatte.
Und letzte Woche Mittwoch, war er dann mit einer dickgeschwollenen Wange hier aufgetaucht, die er noch von meiner Ohrfeige hatte.
Jetzt war davon allerdings leider nichts mehr zu sehen, stattdessen ärgerte er den Neuntklässler weiter, indem er mit dem Brief außerhalb dessen Reichweite wedelte.
„Gib ihn wieder her!“, rief der Freshman noch einmal und sprang wieder nach oben, um an den Brief zu kommen, wieder schaffte er es nicht mal, ihn zu berühren.
„Och, kommst du etwa nicht dran?“, fragte Huck in gespieltem Mitleid und wedelte noch heftiger mit dem unbeschriebenen Umschlag herum.
Langsam machte dieser Möchtegernmacho mich ganz schön sauer.
Kleine Kinder zu ärgern war wirklich nicht fair, vor allem, weil der Freshman sich nicht mal wehren konnte, da Huck ihn mit einem Finger hätte wegschnipsen können, wenn er Lust darauf hatte.
Ich atmete tief durch, um mich etwas zu beruhigen, dann stieß ich mich von der Wand ab und ging mit gemäßigten Schritten zu den beiden hin.
Noch schien mich niemand von den zweien zu bemerken, was ich wirklich zu begrüßen wusste.
Es trennten mich nur noch knapp zwei Meter von Huck und dem Freshman, letzterer versuchte immernoch vergeblich, an seinen Brief zu kommen.
Und selbst die hatte ich dann zurückgelegt und noch immer bemerkten mich weder Huck, noch der kleine, kupferrotgelockte Freshman – bis ich dann einfach kurzerhand den Arm ausstreckte und Huck den Umschlag aus der Hand riss.
„Hier, ich glaube, der gehört dir.“, sagte ich freundlich zu dem Rotschopf und reichte ihm den Brief, ehe ich zu Huck schaute.
Mein Blick schien ihn schon auf einiges vorzubereiten, denn er schluckte und versuchte den Rückzug anzutreten.
„Was denn, hast du etwa Angst vor mir?“, fragte ich beinahe unschuldig nach. Dann allerdings wurde mein Blick wieder wirklich fuchsteufelswild und ich machte nicht viel – nur Huck gewaltig und so fest es ging in die Weichteile treten.
„Dazu hast du auch allen Grund. Wehrlose zu ärgern ist echt das Allerletzte. Und jetzt verpiss dich, du Arschloch.“, meinte ich kühl und nachdem der zusammengesunkene Junior sich wieder halbwegs bewegen konnte, hatte er sich eiligst aus dem Staub gemacht.
Ich seufzte etwas befreit wieder auf und rieb mir die Stirn – langsam bekam ich Kopfschmerzen – ehe ich zur großen Uhr am andren Ende der Pausenhalle schaute.
Nur noch ein paar Minuten, dann musste ich mich auf den Weg machen, um nicht zu spät zur nächsten Stunde zu kommen, damit ich nicht noch

eine Stunde nachsitzen musste.
„Ähm... vielen Dank.“, lenkte die, nun irgendwie etwas verlegen klingende, Stimme des Neuntklässlers meine Aufmerksamkeit auf sich.
Ich schaute zu dem Kleinen – leicht nach unten und etwas zur Seite, denn der Freshman war über einen Kopf kleiner als ich – und rang mir, trotz meiner nicht gerade besten Laune und meinen Kopfschmerzen, ein leichtes Lächeln ab.
„Keine Ursache. Aber jetzt solltest du dich beeilen, damit du nicht zu spät kommst.“, riet ich ihm und wollte mich gerade zum Gehen wenden, als der Kleine wieder zu sprechen begann.
„Ähm, ja, gleich... ich wollte erst... also... der hier ist eigentlich für dich.“, brachte er beinahe stammelnd vor Verlegenheit heraus und hielt mir mit verschämt gesenktem Kopf den unbeschriebenen Brief hin, den ich ihm vor Huck gerettet hatte.
Ich blinzelte verdattert und schaute zu dem Brief und dann zu dem Neuntklässler, ehe ich wieder zu dem Brief schaute.
„Was steht da drin?“, erkundigte ich mich noch immer recht verwirrt.
„... also... äh... ich... ich wollte... dich fragen, ob... ob du nicht... v- vielleicht mit mir ausgehen würdest...?“, stotterte der Rotschopf und starrte hochrot zu seinen Schuhen hinunter.
Ich erstarrte mitten in meiner Bewegung, den Brief zu nehmen.
„Oh.“, brachte ich heraus und konnte nicht verhindern, dass ich mich nach Huck umsah.
Jetzt

hätte ich irgendwie gar nichts mehr dagegen, wenn der den Kleinen ärgern und wegschnippen würde, aber natürlich war Huck nirgends mehr auszumachen – ich hatte ihn in die Flucht geschlagen.
„Ähm... hör mal, Kleiner...“, setzte ich an, aber dann wurde ich auf einmal nach unten gedrückt und ich hörte eine Stimme, die mir nur allzu vertraut war:
„Hey, wo warst du denn, du treulose Tomate! Ich such schon die ganze Pause über nach dir, aber find dich nirgends... Komm, wir müssen zum Unterricht, sonst kannst du grad noch ’ne Stunde nachsitzen!“, meinte Emily, die halb auf meinen Schultern und halb auf meinem Rücken hing.
„Aua, Emily!! Mensch, ich hab dir schon zigmal gesagt, dass ich kein Esel bin, dass du auf mir reiten kannst, okay!? Runter mit dir, aber plötzlich!“, fuhr ich sie gereizt und genervt an und schüttelte meine beste Freundin von meinem Rücken.
Diese schien nun den Freshman und den Brief zu bemerken und grinste von einem Ohr zum anderen.
„Also... danke für den Brief, sie liest ihn später... wir müssen jetzt los, okay? Ciao.“, entgegnete sie zuckersüß und fischte dem Kleinen den Brief aus der Hand, bevor sie mich nun vor sich her und an dem Zwerg vorbeischob.

„Ich glaub’ s nicht, dass du schon wieder

einen Verehrer abwimmeln musstest. Ich meine, was finden die alle an dir? Du bist viel zu schnell reizbar, unberechenbar, gewalttätig, störrisch, gemeingefährlich und außerdem noch- ... aua!“
„Halt einfach die Klappe, Emily, okay?!“, meinte ich genervt, während Emily sich den Hinterkopf rieb und neben mir her ins Klassenzimmer ging.
Bevor sie sich allerdings hinter mich setzte, klatschte sie mir den Brief des Neuntklässlers vor die Brust und tappte ein wenig eingeschnappt davon.
Ich setzte mich, ließ den Brief in meine Schultasche rutschen und rieb mir die Schläfen.
Jetzt hatte ich nur noch schlimmere Kopfschmerzen.
Emilys Frage war gar nicht mal so dumm:
Was fanden die nur alle an mir?!?
Ich konnte das einfach nicht nachvollziehen.
Gut, wenn ich nur einmal im Jahr einen abwimmeln müsste, würde ich es ja noch sang und klanglos ertragen und es wäre vermutlich auch nicht weiter suspekt, aber innerhalb von zwei Monaten immer vier bis sechs Stück

?!
Das war eindeutig zu viel für meinen Horizont.
Mittlerweile musste mich ja beinahe jeder zweite männliche Schüler dieser Schule mindestens einmal nach einem Date gefragt haben.
Das hielt ich ja im Kopf nicht aus!


„Sie können jetzt gehen, Miss Collinsen, und nächstes Mal passen Sie bitte besser auf.“, meinte Mr. Derricks, am Ende des Nachsitzens und ich nickte und wünschte ihm – notgedrungen und nur der Höflichkeit wegen – einen schönen Tag, dann verließ ich den Unterrichtsraum und machte mich auf den Weg nach Hause.
Dort angekommen, durfte ich erst mal Mum erklären, warum ich heute so spät nach Hause kam, aber mit ihrer Strafpredigt verschonte sie mich zum Glück, da ich gleich, als ich reingekommen war, gesagt hatte, dass ich unter tierischen Kopfschmerzen litt und das war nicht gelogen.
Das erste, was ich machte – noch während Mum fragte – war, zum Küchenschrank zu gehen und mir ein Glas Limonade einzuschenken, ehe ich ins Badezimmer flitzte und mir eine Kopfschmerztablette holte.
Diese nahm ich anschließend ein und holte mir ein paar Kekse aus einem der Schränke, die ich mit hoch nahm.
Mein Mittagessen hatte ich nämlich, dank des Nachsitzens, ausfallen lassen müssen und ich hatte jetzt irgendwie keine Lust, mir etwas warm zu machen.
Oben angekommen, setzte ich mich gleich an meine Hausaufgaben, während ich darauf wartete, dass die Schmerztablette endlich zu wirken begann.
Mathe und Englisch hatte ich bereits hinter mich gebracht, als der Schmerz langsam aber sicher abklang.
Wieder war mir so, als würde ich einen Raben krächzen hören, aber ich schüttelte leicht den Kopf, um mich abzulenken und griff nach meinen Physikaufgaben.

Als ich endlich mit den Hausaufgaben fertig war, hatten die Kopfschmerzen sich weitestgehend verflüchtigt und seufzend griff ich in meine Schultasche, um den Brief des Neuntklässlers rauszuholen, den er mir geschrieben hatte.
Ich musste ihn wohl oder übel lesen und beantworten, sonst hätte ich in nächster Zeit überhaupt keine Ruhe mehr in der Schule.
Schon in der zweiten Pause hatte ich die fragenden Blicke des Rotschopfs auf mir ruhen gespürt, aber ich hatte mich unauffällig irgendwohin verzogen, wo ich meine Ruhe hatte.

Gerade setzte ich mich jedoch aufs Bett und wollte den Brief öffnen, da hörte ich erneut ein Krächzen, gefolgt von einem leisen Klackern.
Irgendwas pickte gegen meine Fensterscheibe.
Ich wandte den Kopf in Richtung Fenster und erstarrte.
Der Kolkrabe, den ich heute Morgen schon in der Schule gesehen hatte, saß auf meiner Fensterbank und klopfte mit der Schnabelspitze behutsam gegen mein Fenster.
Aber das war es noch nicht einmal, was mich am meisten überraschte und beinahe schon schockierte.
Der Grund für diese Reaktion war nämlich ein ganz anderer – die Augen des Raben waren violett

!


†_10. Kapitel – Termine_†




Der Rabe blinzelte und pickte noch einmal sachte gegen die Fensterscheibe, ehe er innehielt und mich mit einem treuherzigen, bittenden und zugleich unglaublich vertrauten Blick anglubschte.
Ich blinzelte beinahe etwas entgeistert, aber schließlich fasste ich mich wieder etwas und riss hastig das Fenster auf.
Ein dankbares, leises Krächzen erklang und der Rabe hopste geschickt herein und flatterte über mein Bett hinweg auf die Lehne meines Schreibtischstuhls.
Ich schloss das Fenster wieder, damit es nicht so kalt reinzog, dann schaute ich wieder zu dem Raben hinüber und ich konnte nicht verbergen, dass ich doch noch immer etwas fassungslos war.
Beinahe mechanisch zog ich meine schwarzen Vorhänge zu und knipste mein Nachtlicht an, damit es nicht zu dunkel für mich wurde, dann schloss ich kurz die Augen, um mich wieder etwas zu sammeln.

„Verzeih, ich wollte dich nicht so schockieren, aber das ist der einzige Weg, um tagsüber länger draußen zu bleiben.“, hörte ich auf einmal Cains vertraute, ruhige Stimme, die einen etwas versöhnenden Klang hatte, und sofort riss ich abrupt die Augen auf.
Anstatt des Raben saß nun Cain auf meinem Schreibtischstuhl und schaute mich mit seinen violetten Augen an.
Ich atmete tief durch, um ruhig zu bleiben und ermahnte mich, nicht wieder durchzudrehen.
Es ist seine Welt, sagte ich mir in Gedanken, und noch kenne ich sie nicht ganz, also ruhig bleiben.

Cain ließ mir Zeit, bis ich wieder ganz zurechnungsfähig war, was ich sehr begrüßte.
Dann, als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, schlug ich die Augen wieder auf und rang mir ein Lächeln ab – ich konnte nicht verhindern, dass es ein bisschen verkrampft aussah.
„Schon gut. Aber sag mal... hättest du mir nicht vorher sagen können, dass du dich in einen riesigen Vogel verwandeln kannst?!“
Cain unterdrückte eisern ein Schmunzeln, als er mich ansah und den Kopf leicht neigte.
„Entschuldigung.“, meinte er wieder.
Ich winkte seufzend ab und rieb mir die Stirn, bevor ich aufstand und das große Licht anmachte, ehe ich das Licht auf meinem Nachttisch wieder ausknipste.
„Was ist los, dass du mich nicht einfach anruf- oh... stimmt, ich hab vergessen mein Handy anzumachen...“, fiel es mir grade wieder ein und ich schlug die Hand vor die Stirn.
„Sorry.“, seufzte ich und ließ mich auf mein Bett fallen, dabei hätte ich mich fast auf den Brief gesetzt, der mir nun wieder brühwarm einfiel.

„Und, Ally? Sind deine Kopfschmerzen wieder be-? Oh! Hallo Cain. Ich hab gar nicht mitgekriegt, dass du gekommen bist. Da war ich wohl grade im Keller.“, entgegnete Mum, die gerade – mal wieder ohne zu klopfen, wie immer – in mein Zimmer gestürmt kam.
Cain lächelte leicht.
„Hallo, Karen. Ja, scheinbar. Alaine hat mich reingelassen.“, erwiderte er freundlich und lächelte auch mir zu – wobei mir das beinahe etwas schelmisch vorkam.
Als ich daran dachte wie

ich ihn ins Haus gelassen hatte, konnte ich verstehen, warum sein Lächeln so schelmisch war.
„Gut.“, lächelte Mum und sah kurz hinter sich, ehe sie ihren Blick wieder Cain zuwandte. „Ich habe grade Kekse im Ofen, magst du mir vielleicht helfen, sie gleich zu verzieren? Danach können wir uns drüber her machen.“, schlug sie Cain vor und irgendwie kam ich mir grade ein bisschen vor, wie in einer schlechten Sitcom oder ähnlichem.
Aber ich verkniff mir meinen Kommentar und schaute zu Cain hinüber.
Dieser lächelte verhalten und beinahe etwas widerwillig, wie mir schien, aber Mum bekam das offenbar gar nicht mit.
„Gern, Karen. Auf das anschließende Plätzchengelage muss ich dann aber leider verzichten, ich darf eine ganze Weile

nichts essen. Order von Oben.“, seufzte er schmunzelnd und zuckte gelassen die Schultern.
„Okay... schade, dass du nichts essen darfst. Hat der Zahnarzt es dir verboten?“, fragte Mum nach, während Cain sich erhob.
Er nickte ein wenig bedauernd, dann wandte er sich halb mir zu und sein Blick ruhte auf mir.
Beinahe kam es mir so vor, als ob etwas zwischen uns lag, so als wolle er mir mit seinem Blick etwas sagen, oder so ähnlich, aber ich kam nicht drauf und konnte den Ausdruck in seinen violetten Augen nicht deuten.
Er seufzte leise und sah dann wieder zu Mum, die wartete, dass er mit ihr in die Küche kam.
„Wir sehen uns gleich, ja, Alaine?“, fragte er murmelnd und jetzt erst schien Mum einzufallen, dass ich ja auch noch existierte.
„Oh! Alaine, du hast mir immer noch nicht gesagt, wie es deinen Kopfschmerzen geht. Besser? Wenn ja, dann sei doch bitte so lieb und komm auch mit nach unten, okay? Zu dritt macht das alles viel mehr Spaß!“, entfuhr es ihr und sie grinste ein wenig, über ihre eigene Schusseligkeit.
Ich rang mir – innerlich seufzend – ein Lächeln ab.
„Ja, Mum, mir geht’s besser. Ich komm gleich runter, geht ihr beiden schon mal vor, okay?“, meinte ich und wedelte mit dem Brief in Richtung Mum.
Diese schaute zu dem Umschlag und blinzelte kurz, ehe sie zu merken schien, was es damit auf sich hatte.
Sie seufzte tief und lächelte leicht.
„Schon wieder einen, den du abwimmeln musst? Du Arme. Müsste ich das so oft machen wie du, dann hätte ich mir vermutlich schon längst die Kugel gegeben oder wäre auf die andere Uferseite gewechselt.“, sagte sie und lachte kurz. „Okay, bis gleich. Aber sei nicht zu gemein zu dem Armen, okay?“
Ich nickte vage.
„Ich werde mir Mühe geben... aber ich kann nichts versprechen. Bis gleich.“, antwortete ich und schaute unwillkürlich zu Cain, der sich dezent zurückhielt und irgendwie nicht ganz zu wissen schien, worüber wir sprachen, da wir ja nichts Explizites erwähnten.
Vielleicht war das auch besser so.

Mum krallte sich dann jedenfalls Cain und verzog sich mit ihm im Schlepptau hinunter in die Küche, während ich aufstand und die Tür hinter den beiden wieder schloss.
Ich war mir sicher, dass es besser wäre, wenn die Tür zu war, denn dann würden die Zwei die entsetzten Laute nicht hören, die ich vielleicht ausstieß, wie ich es öfters mal aus Versehen machte, wenn ich Liebesbriefe lesen musste, die an mich adressiert waren.
Ich setzte mich aufs Bett und öffnete widerwillig den Brief, den mir der Freshman heute gegeben hatte, zog das zusammengefaltete Papier aus dem Umschlag und legte diesen beiseite, ehe ich die Blätter auseinander faltete und zu lesen begann...


„Hey, ist alles in Ordnung mit dir, Alaine? Hey...“, hörte ich Cains leise und etwas besorgte Stimme neben mir, als er mich leicht an der Schulter rüttelte. „Du kamst und kamst nicht runter, da habe ich mir Sorgen gemacht.“
Ich hob tief seufzend und ein wenig niedergeschlagen den Kopf und blinzelte Cain langsam an.
„Nein... nichts ist in Ordnung... ... ich hasse Neuntklässler...“, murmelte ich und ließ mein Gesicht wieder in meine Kissen fallen.
„Hm? Warum das denn?“, erkundigte Cain sich leicht verwundert.
Ich behielt den Kopf in den Kissen und hob nur die Hand, in der ich noch immer den Brief des kleinen Rotschopfs hielt.
Ich spürte, wie Cain mir die Blätter aus der Hand zog, um sie sich durchzulesen.
Als ich sicher war, dass er fertig sein müsste, drehte ich den Kopf in meinem Kissen leicht, damit ich ihn ansehen konnte und stöhnte augenblicklich halb verzweifelt auf.
Cain unterdrückte ein Grinsen und wandte seinen Blick mir zu.
„Er hat allen Ernstes einen Tisch für euch beide im teuersten Restaurant im Umkreis von zwanzig Meilen reserviert und erwartet, dass du ihn dorthin begleitest? Ein kleiner Neuntklässler?“, fragte er nach und ich hörte, dass er noch immer sein Schmunzeln in Schach hielt.
„Jaah... hast du den Namen gelesen? Cody Farrow. Sein Vater ist der Gründer von der Firma Farrow Technologies …“, meinte ich beiläufig und seufzte gequält auf, ehe ich meinen Kopf erneut in den Kissen vergrub.
Cain räusperte sich leicht und setzte sich dann an meinen Bettrand.
„Und... was ist eigentlich so schlimm daran, dieses Date anzunehmen?“, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen und ich hörte an seiner Stimme, dass er jetzt doch schmunzelte.
Ich blieb einen Moment wie erstarrt liegen, dann drehte ich mich langsam auf den Rücken und starrte verzweifelt an die Decke.
„Das Schlimme daran ist... dass ich, erstens, keine Lust habe, mit einem Kind

auszugehen, zweitens, ist dieses ach so tolle Restaurant ein Französisches und der französischen Küche kann ich außer Croissants, Baguettes und Crêpes überhaupt nichts abgewinnen und drittens weiß ich nicht, wie ich dieses schreckliche Treffen absagen soll, ohne vollkommen taktlos zu sein!“, antwortete ich und schlug die Arme über meinem Gesicht zusammen.
„Ach... und außerdem, ist dir das Datum aufgefallen? Das ist übermorgen, also am Freitag...“, fügte ich noch hinzu. „Ganz ehrlich, ich würde mich sogar lieber mit Crispin

treffen, als mit diesem rothaarigen Knirps...!“
Wieder räusperte sich Cain, aber diesmal wusste ich nicht, wieso. Aus seiner Stimme konnte ich nichts heraus hören und sehen konnte ich im Moment auch nichts, da ich noch immer meine Arme über meinem Gesicht liegen hatte.
Langsam ließ ich diese sinken und lugte zu Cain, der mich nicht anschaute, sondern eher ein wenig nachdenklich aussah, ehe er sich dann aber doch wieder mir zuwandte und leicht lächelte.
„Nun ja... wenn du es von diesem Standpunkt aus betrachtest, dann könntest du dem Absender dieses Briefes natürlich einfach sagen, dass du am Freitag schon etwas vorhast und das wäre ja dann nicht einmal gelogen. Wobei ich nicht glaube, dass er sich davon aufhalten lassen würde. Sicher würde er nach einem anderen Termin fragen...“, schlug er mir vage vor, dann allerdings grinste er schelmisch und recht breit.
„Andererseits besteht nicht wirklich ein Problem. Du könntest natürlich auch einfach auf dieses Date gehen und ich leiste dir unauffällig ein bisschen Beistand, am Tisch nebenan oder etwas in der Art. Weißt du...“, er brach kurz ab, als er mein entgeistertes Gesicht sah, dann allerdings redete er, ohne darauf einzugehen, weiter und als er jetzt sprach, war sein Gesicht wieder ernst und irgendwas lag darin, was ich nicht zu deuten vermochte. Auch seine Stimme klang nun wieder ernster und ich meinte beinahe etwas wie tiefgründige Sorge herauszuhören, aber ich war nicht ganz sicher.
Sein Blick jedoch, als er mich nun anschaute, war unglaublich intensiv.
„... mir wäre es außerdem auch viel lieber, du würdest dich mit einem rothaarigen ›Knirps‹ von vierzehn Jahren treffen, als die Gefahr einzugehen, Crispin zu begegnen, Alaine. Bei dem Date mit dem Neuntklässler besteht nämlich die sehr große Wahrscheinlichkeit, dass du es überlebst, auch, wenn ich nicht

dabei bin.“
Ich schluckte schwer.
Seine Worte klangen irgendwie auf unbestimmte Art und Weise hart in meinen Ohren, obwohl er weiterhin mit seiner samtigen, wohlklingenden Stimme gesprochen hatte.
Aber vielleicht bildete ich es mir auch nur ein, weil der Sinn, der dahinter steckte, weitaus entsetzlicher, endgültiger und schrecklicher war.
Und vor allem war dieser Sinn Cains Sorge – und eigentlich auch meine eigene – wirklich wert und diese Sorge war durchaus berechtigt...
Lag es an dem Nachdruck in seinen Worten oder waren es die Worte an sich, die mich langsam den Blick senken ließen?
Ich wusste es nicht.

„Hey, wo bleibt ihr denn, ihr zwei?! Ich warte unten schon die ganze Zeit auf euch!“, riss mich auf einmal Mums Stimme aus meinen Gedanken und augenblicklich löste sich die Spannung, die nach Cains Worten im Raum gelegen hatte, in Luft auf, als Mum ins Zimmer kam.
Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und sah ein wenig beleidigt aus.
Cain und ich blickten automatisch zu ihr.
„Na, sitzt nicht da, wie die Ölgötzen, bewegt euch! Abmarsch nach unten!“, kommandierte sie und scheuchte uns mit ihrer Plätzchenkelle nach unten.
Ich tapste Cain nach, die Treppe hinunter, Mum immer noch hinter mir.
Sie war noch immer eingeschnappt, weil wir sie die ganze Zeit hatten warten lassen.

Wir halfen Mum beim Kekse backen und anschließend, oder sogar noch vor dem Backen, sie zu verzieren und eigentlich machte es auch richtig Spaß.
Es war vor allem ungewohnt, einfach so etwas mit Cain zu unternehmen, solch alltägliche Dinge zu tun, aber es war an sich schon wirklich schön.
Dennoch konnte ich nicht verhindern, dass ich schweigsamer war, als sonst.
Cains Worte und diese ganze Situation vorhin ließen mich nicht wirklich los und ich wusste im Moment nicht so wirklich, wie ich damit umgehen sollte, daher beschied ich mich damit, Mum und Cain mit den Keksen zu helfen.
Mum schien meine Schweigsamkeit auf den Liebesbrief zu schieben und fragte lieber nicht nach, aber ich wusste nicht, ob Cain wusste, warum ich auf einmal so schweigsam war, oder nicht.
Ihm merkte man überhaupt nichts an, er schmunzelte manchmal über Mum und unterhielt sich ganz normal mit ihr, brachte sie ab und an zum Lachen, was ihn wiederum schmunzeln ließ.

„Langsam wird der Platz knapp, Karen. Wo soll ich das nächste Backblech hinstellen?“, fragte Cain schließlich und Mum räumte schnell ein bisschen was zur Seite, damit Cain das Blech noch abstellen konnte.
„Du hast recht, wenn wir so weitermachen, haben wir bald überhaupt keinen Platz mehr... Ich gehe mal schnell ein paar Keksdosen aus dem Keller holen, damit wir die schon kalten Kekse wegräumen können. Bis gleich und passt auf, dass die Plätzchen nicht anbrennen!“, meinte sie und verließ die Küche, um anschließend in den Keller zu gehen.
Sobald Mum aus der Küche war, lehnte Cain sich mit vor der Brust verschränkten Armen an die Anrichte und schaute zu mir und augenblicklich war wieder eine leichte Spannung im Raum.
„Ich habe dich durcheinandergebracht.“, stellte Cain nach einer Weile leise fest. „Das tut mir leid.“
Ich winkte ab und ich war beinahe etwas erleichtert, denn Cain hatte nicht nur die Stille durchbrochen, sondern so gleichzeitig auch ein wenig die Spannung gelöst.
„Schon in Ordnung. Ich bin so was einfach noch nicht wirklich gewohnt... also... na ja...“, ich seufzte.
Cain lächelte leicht.
„Ich verstehe, was du meinst. Nächstes Mal, versuche ich, es schonender zu sagen.“, schmunzelte er. „Aber jetzt, solange deine Mutter noch im Keller ist, sollte ich dir erklären, warum ich eigentlich hier bin.
Wie du dir sicher denken kannst, habe ich nämlich nicht einfach nur so hier vorbeigeschaut.
Ich bin wegen dem Termin bei Gideon hier. Letzte Nacht habe ich in der Verwaltung des Clans angefragt.
Normalerweise ist die Wartezeit wirklich nicht zu verachten. Drei bis vier Monate sind für gewöhnlich keine Seltenheit, bis man einen Termin bei Gideon bekommt.
Wir haben Glück gehabt. Das Datum für unsere Anfrage ist schon im Dezember diesen Jahres und der ist ja immerhin gar nicht mehr so lange hin. Hast du am siebten Zeit?“, wollte er wissen und schaute mich leicht fragend an.
Ich nickte, ohne viel nachzudenken.
Selbst, wenn ich am siebten Dezember Termine gehabt hätte, ich hätte nicht lange gezögert, die wieder abzusagen, damit ich mit Cain zu diesem Gideon gehen könnte.
Ich mochte es, mit Cain zusammen zu sein und je schneller wir dieses Visum bekamen, desto besser für uns beide. Immerhin sollte Cain diese Treffen auch genießen können und nicht ständig auf mich aufpassen müssen.
Cain lächelte leicht und setzte gerade zum Sprechen an, da kam Mum völlig zugestapelt zur Tür herein und stolperte fast, da sie wegen der vielen Dosen kaum noch etwas sah.
Schnell ging ich zu ihr, um ihr ein paar Sachen abzunehmen.
Cain holte währenddessen geistesgegenwärtig die – beinahe, aber nur beinahe, doch angebrannten – Kekse aus dem Ofen und mir fiel auf, dass er, da Mum gerade mit den ganzen Dosen viel zu beschäftigt war, um etwas anderes zu merken, nicht einmal Handschuhe benutzte, um das kochendheiße Blech aus dem Backofen zu holen und auf die Anrichte zu stellen.
Mir klappte die Kinnlade runter, als ich es sah und anschließend bemerkte, dass er nicht mal rote Stellen an seiner makellos weißen Haut hatte, die eigentlich verbrannt hätte sein müssen.
Allerdings riss ich mich schnell wieder zusammen und half Mum mit den Keksdosen, die sie teilweise auf den Stühlen verteilte und schließlich öffnete sie eine und fing an, die Kekse nach und nach reinzuräumen, je nach dem, ob sie schon kalt waren, oder nicht.
„Ich packe dir auch eine Dose mit Keksen, ja, Cain? Damit du später welche essen kannst, wenn du wieder darfst.“, meinte Mum und schaute zu Cain hinüber, der die neuste Ladung Plätzchen ganz alleine verschönerte.
Er lächelte leicht.
„Ja, gern. Danke, Karen.“, meinte er und ich blinzelte kurz etwas verwirrt, dann ging ich zu Cain, um ihm zu helfen und er sah wohl meinen fragenden Blick, denn er lächelte verhalten.
„Dion und Gabriel werden sich sicher darüber freuen.“, flüsterte er schmunzelnd, als er an mir vorbeiging, um am Ende der Anrichte die Zuckerperlen zu holen.
„Ah...“, entfuhr es mir leise, dann sah ich allerdings wieder etwas verdattert aus. „Die anderen können feste Sachen und Kekse und so was essen?“, fragte ich murmelnd, als Cain mit den Zuckerperlen zurückkam.
Er nickte leicht.
„Aber nach der ersten Dosis Blut ernährt sie das nicht mehr... es sind nur Genussmittel, die keinerlei Nährwert haben und ihren Durst nicht stillen könnten.“, murmelte er zurück und sah auf, um zu sehen, dass Mum nichts mitbekam.
Sie war voll und ganz mit dem Bepacken der Plätzchendosen beschäftigt und summte dabei ein Weihnachtslied.
Cain musste leicht schmunzeln, als er sie so sah und reichte mir dann die Zuckerperlen rüber, damit ich meine Hälfte des Bleches auch noch damit bestücken konnte.
Ich bedankte mich und streute ein paar Kekse mit den Perlen ein, nachdem ich kleine Kleckse aus Lebensmittelfarbe oder aus Zuckerguss gemacht hatte.
Als wir fertig mit dem Blech waren, stellten wir es beiseite.
Eigentlich waren wir jetzt auch mit der gesamten Backen fertig. Der Teig war alle und außerdem hatten wir für den Moment mehr als genug Kekse gebacken.
Das schien auch Mum so zu sehen, denn sie kommandierte uns zum Plätzchendosenbefüllen ab.
Cain schmunzelte leicht, als er sich dann zu mir setzte, um beim Bepacken zu helfen.
Er atmete tief ein und lächelte.
„Die Kekse riechen wirklich sehr gut.“, murmelte er schmunzelnd und ich meinte, etwas bedauerndes in seinem Schmunzeln zu erkennen.
Und mir wurde klar, dass er mehr als den Anblick und den Duft der Plätzchen nicht bekommen würde, da er sie ja leider nicht essen konnte.
Irgendwie stimmte mich das traurig, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

Als ich allerdings nach einiger Zeit des stummen Arbeitens eine sanfte, langgliedrige Hand über meine Haare streichen spürte, sah ich auf und blickte direkt in Cains lächelndes Gesicht.
„Mach dir keine Sorgen, Alaine.“, sagte er so leise, dass ich ihn nur mit ach und krach verstehen konnte und Mum ihn nicht mal hörte.
Das mit dem nicht anmerken lassen schien demnach nicht sonderlich gut funktioniert zu haben, stellte ich fest, denn er sprach genauso leise weiter.
„Ich habe mich schon sehr lange daran gewöhnt, nichts dergleichen mehr zu mir nehmen zu können. Es macht mir schon gar nichts mehr aus.“, meinte er und lächelte wieder leicht.
Ich seufzte nur und griff nach den nächsten paar Keksen, die ich eigentlich in die Dose, die ich gerade füllte, tun wollte, allerdings griff ich ins Leere.
Mum hatte gerade das letzte Blech weggeräumt – wir waren fertig.

„So, fertig! Na, wer von euch will jetzt auch eine Tasse Tee?“, fragte sie nach und schaute Cain und mich fragend und halb hoffnungsvoll an.
Cain schmunzelte leicht.
„Danke für das Angebot, Karen, aber ich glaube, ich muss langsam mal wieder los.“, entschuldigte er sich und stand auf.
Jetzt sah Mum ein wenig enttäuscht aus und ich war mir beinahe schon sicher, dass ich genauso aussah.
Cain lächelte leicht, als er das offensichtliche Bedauern in meinem und Mums Gesicht sah, nachdem er gesagt hatte, er würde gehen.
„Tut mir leid, dass ich euch beide so enttäuschen muss, aber ich habe noch etwas zu erledigen. Aber ich komme demnächst mal wieder, versprochen.“, meinte er und schob den Stuhl an den Tisch.
Seufzend ergab sich Mum und reichte Cain eine vollgepackte Dose mit Keksen, auf der eine hübsche, kleine Schneelandschaft zu sehen war.
„Ich hoffe, sie schmecken dir. Und wenn nicht, dann haben wir immer noch die Ausrede, dass du selbst dran mitgebacken hast.“, konnte Mum sich nicht verkneifen zu sagen und grinste kurz.
Cain lachte leise.
„Danke, Karen. Das alles heute hat wirklich großen Spaß gemacht. Grüß Chris und Laila von mir, wenn sie von ihrem Großeinkauf zurückkommen, ja? Bis demnächst dann.“, verabschiedete er sich von meiner Mutter, dann sah er zu mir und schmunzelte leicht.
„Bis Freitag dann, Alaine. Ich ruf morgen noch mal an, deswegen, okay?“, fragte er und ich nickte.
Mich wunderte ein bisschen, dass Mum nicht fragte, was mit Freitag sei, aber vielleicht hatte Cain sie während seiner Hypnose darauf vorbereitet oder so.
„Bis bald, Cain. Komm bald wieder.“, erwiderte ich und er lächelte irgendwie ganz lieb, als ich das sagte. Es schien ihn wirklich richtig zu freuen.
„Auf jeden Fall. Bis dann.“, gab er lächelnd zurück, dann nickte er uns beiden noch mal zu, klemmte sich die Keksdose unter den Arm, wehrte jedoch ab, als ich ihn noch mit nach draußen begleiten wollte.
Er meinte, er wisse schon, wo er nach draußen käme, also blieb ich widerwillig sitzen und sah ihm nach, wie er im Flur verschwand, ehe ich danach die Haustür auf und wieder zugehen hörte.
Ich seufzte leise und griff nach einem Keks aus meiner noch geöffneten Dose.

Mum nötigte mir eine Tasse Tee auf, die ich, wenn Cain noch dabei gewesen wäre, sicher sang und klanglos angenommen hätte.
Jetzt allerdings trank ich sie nur unwillig und eigentlich auch nur, um nicht mit Mum reden zu müssen.
Denn ich war mir beinahe sicher, dass sie – nun da Cain weg war – nach dem Liebesbrief von diesem kleinen Freshman... Cody

... fragen würde.
Aber ich schien falsch zu liegen, denn vorerst sagte sie gar nichts und nicht viel später klingelte das Telefon, an das Mum natürlich sofort hastete.
Es schien eine ihrer Freundinnen zu sein, denn sie brauchte viel zu lange und tratschte und gackerte ein bisschen herum.
Ich trank den letzten Schluck meines Tees und verzog mich nach oben in mein Zimmer, weil ich keine Lust hatte, länger als unbedingt nötig hier unten zu bleiben.

Als erstes schaltete ich mein Handy an, damit mir so was wie heute nicht noch mal passierte, dann legte ich mich auf mein Bett und starrte schlechtgelaunt an die Decke.
Jetzt, da Cain nicht mehr da war, musste ich mich wieder mit anderen Problemen befassen... wie zum Beispiel diesem Rotschopf.
Ich hoffte nur, dass er die Abfuhr, die ich ihm unweigerlich geben würde, gut wegstecken und mich danach nicht weiter behelligen würde.
Es waren nämlich genau solche unscheinbaren, schüchternen, vermutlich auch noch jungen Kerle, die sich das so richtig zu Herzen nahmen und manchmal richtig depressiv und unberechenbar wurden.

Ich erinnerte mich, an einen Vorfall, der schon einige Jahre zurücklag.
Das ganze war schon mehr als drei Jahre her.
Ich war selbst gerade erst in die zehnte Klasse gekommen und obwohl ich erst fünfzehn war, standen die Jungs teilweise schon reihenweise Schlange.
Fast jeden zweiten oder dritten Tag musste ich einem einen Korb geben, weil ich einfach keine Lust auf Dates und solchen Kram hatte – und die hatte ich bis heute noch nicht.
Dann kam eine kurze, aber äußerst angenehme Zeit des „Friedens“ in der mich die meisten Jungs in Ruhe ließen, bis dann schließlich einer aus der Junior High mir einen Brief ins Fach legte.
Er war zwei Stufen unter mir, also im letzten Jahr der Junior Highschool.
Wie auch den anderen antwortete ich mit einer Absage, ich bekam das schon gar nicht mehr richtig mit, weil ich so vielen schon ein „Nein“ zur Antwort gegeben hatte. Was Jungs anging, die etwas von mir wollten, war ich bereits ziemlich abgedroschen und daher auch nicht gerade zimperlich.
Allerdings kam es dann anders, als ich es erwartet hatte.
Ich wusste nicht mehr wie, aber ich hatte mir am Tag nach der Abfuhr ein paar Stunden nachsitzen eingehandelt, weil ich mich wohl irgendwie schlecht benommen hatte oder so – wie gesagt, ich wusste nicht mehr, wie

ich die „Strafstunden“ kassiert hatte, aber jedenfalls waren schon fast alle Lehrer weg oder im Lehrerzimmer, als ich anschließend in die Pausenhalle ging.
Und nur kurz nachdem ich die Pausenhalle betreten hatte, kam mir ein kleines Bürschchen entgegen, das nicht älter als dreizehn sein konnte.
Er meinte, er sei derjenige, der den Brief geschrieben hätte und er wollte gern wissen, warum ich abgesagt hatte.
Ich zog den Brief, den er mir geschrieben hatte – und den ich nur noch zufällig in meiner Schultasche hatte, weil ich vergessen hatte, ihn wegzuwerfen – hervor, faltete ihn auf und lugte auf den Namen des Kerlchens (den ich mittlerweile aber schon lange wieder vergessen hatte).
Ich meinte, dass er es nicht so persönlich nehmen solle, weil ich jedem, der mit mir ausgehen wollte, einen Korb verpasste, aber er verstand es nicht wirklich.
Also erklärte ich ihm, warum ich mich mit niemandem traf und versuchte ausnahmsweise, dem Kleinen nicht mehr als unbedingt nötig wehzutun (denn normalerweise war es mir ziemlich Schnuppe wie die abgeblitzten Kerle meine Abfuhr verkrafteten).
Er fragte mich noch einmal, ob ich nicht bitte mit ihm ausgehen wolle, das weiß ich noch.
Und ich weiß auch noch, dass ich wieder ablehnte – wie immer.
Allerdings war ich nicht auf seine Reaktion gefasst.
Erst fing er an zu weinen, dann, als ich mich schon umwenden und gehen wollte, weil ich diese Heulerei nicht mehr ertragen konnte, zückte er ein Teppichmesser und hielt es sich an eines seiner Handgelenke.
Ich erstarrte mitten in meiner Bewegung und starrte ihn völlig fassungslos an.
Der Kleine meinte, wenn ich nicht mit ihm ausgehen würde, so würde er sich umbringen.
Gut, eigentlich hätte ich nichts gegen seine Kamikazeaktion gehabt, immerhin kannte ich ihn ja nicht mal, aber es wäre dann meine Schuld und ich wollte diese Schuldgefühle, die kommen würden, wenn er wirklich hinüber war, nicht auf mich laden.
Genau in dem Moment klingelte allerdings mein Handy und obwohl die Situation wirklich alles andere als entspannt war, ging ich ran.
Es war Laila, daran erinnere ich mich noch, und sie fragte, wo ich denn so lange bleiben würde, sie alle hätten schon vor Stunden mit mir gerechnet.
Ich sagte ihr das mit dem Nachsitzen und meinte auch, es könnte noch etwas später werden.
Der Kleine sah beinahe hoffnungsvoll auf, als ich meinte, es könnte länger werden – vielleicht oder doch eher vermutlich, war er davon ausgegangen, dass ich seiner Bedingung doch noch nachkommen und seinen Dateantrag annehmen würde.
Laila klärte mich jedoch derweil auf, dass daheim die Hölle los sei, weil Mum und Dad sauer waren, dass ich so verdammt lange brauchte.
Ich unterbrach sie nur ganz gelegentlich mit einem „Oh, okay“ und „verstehe“, dann bedankte ich mich bei ihr, dass sie mir bescheid gesagt hatte und legte auf.
Aber bevor sich der Kleine auch nur weiter zu Wort melden konnte, hatte ich den Umschlag beiläufig in den Händen gedreht und schaute dann zu dem Kleinen.
„Entschuldige kurz, ja? Ich muss unbedingt noch wo anrufen, Zuhause ist was passiert.“, log ich ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, an und er – völlig perplex – nickte nur, ehe ich mich in eine Ecke der Pausenhalle verzog, in der er mich nicht mehr hören konnte.
Auf der Rückseite des Umschlags war seine Telefonnummer, scheinbar hatte er gehofft, ich würde anrufen.
Jedenfalls wählte ich sie flink und schaute dann noch einmal zu dem Brief, um mir den Nachnamen, von dem Zwerg zu merken.
Seine Mutter nahm ab.
Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie das Gespräch mit seiner Mutter den Anfang genommen hatte, aber ich wusste noch, dass ich ihr dann sagte, sie solle bitte so nett sein und ihren Sohn auf der Stelle einweisen lassen, solle die Männer mit den weißen Zwangsjacken hier in der Schule antanzen lassen, damit sie ihren Sohn holen kommen würden.
Erst hielt sie mich für verrückt und wollte schon auflegen, aber ich hielt sie damit auf, dass ich sagte, dass sie es gefälligst tun solle, wenn sie ihren Sohn nicht bald tot sehen wollen würde.
Da hielt sie inne.
Ich erklärte ihr, was vor sich ging – dass er drohte sich umzubringen, wenn ich nicht mit ihm ausging und ich sagte ihr auch, dass ich nicht geneigt war, ja zu sagen oder mich auf solch unfaire Weise von ihrem Sohn erpressen zu lassen.
Ich war tatsächlich schon reichlich abgedroschen, was Kerle anging und obwohl ich so was

noch nicht miterlebt hatte, war ich viel zu ruhig und gleichmütig gewesen.
Im Nachhinein fragte ich mich unwillkürlich, wie ich das damals wohl zustande gebracht hatte, aber ich fand nicht wirklich eine Antwort darauf.
Jedenfalls riet ich der Mutter des Jungens, die Psychiatrie über Handy anzurufen, damit ich alles hinauszögern konnte, mit dem Telefonat, das ich gerade mit ihr führte.
Ich hörte an ihrer Stimme, dass ihr gar nicht wohl dabei war, wirklich zu tun, was ich sagte, aber das Leben ihres Sohnes war ihr wichtiger.
Immerhin hörte sie meiner

Stimme an, dass ich wirklich nicht zu Scherzen aufgelegt war.

Ich derweil beobachtete den Kleinen aus den Augenwinkeln und erstatte der besorgten Mutter Bericht, nachdem sie sich wirklich dazu durchgerungen hatte, der Klapse bescheidzugeben.
Der Kleine wurde immer unruhiger und sah ständig verunsichert und hilflos zu mir herüber, aber noch immer hatte er das Messer an seinem Handgelenk.
Von Lehrern war in dieser Zeit keine Spur, was mich innerlich furchtbar ärgerte.
Ich wusste noch, dass ich dann aber das Telefonat mit der Mutter des Jungen abbrechen musste, weil er langsam zu mir getapst kam.
Er stand mit dem Rücken zur Tür, was ich schon mal als sehr gut empfand, denn so konnte er die Sanitäter nicht sehen, die jeden Moment auftauchen mussten.
Jedenfalls wollte der Kleine dann endlich die Antwort haben, aber ich lenkte ab, indem ich ihn fragte, warum er denn überhaupt so besessen von mir sei, dass er alles einfach mit einem Schnitt beenden wollen würde, wenn ich nicht zustimmte.
Jetzt war er noch etwas verunsicherter als vorher, aber obwohl er ein ziemliches Nervenbündel war, kratzte er den letzten Rest seiner Konzentration zusammen und versuchte sogar wirklich, mir die Frage zu beantworten.
Und es war wirklich Glück, dass er etwas länger nachdenken musste, ehe er eine Antwort beisammen hatte.

Denn kaum hatte er zu sprechen aufgehört – er meinte, er hätte mich früher in der Junior High schon immer in den Pausen beobachtet und er fand mich hübsch und nett und lustig und was weiß ich noch was alles, dass er sich angeblich in mich verliebt hatte – sah ich, dass sich drei der Sanitäter an den Eingang der Pausenhalle schlichen, damit der Junge sie nicht doch noch hörte und vorzeitig alles beendete. Sie hatten sogar tatsächlich eine Zwangsjacke dabei.
Ich wandte meinen Blick rasch von der Tür ab, damit der Kleine nicht misstrauisch wurde und sah ihn seufzend an.
Ich wusste noch, dass ich ihm sagte, dass ich nie und nimmer die Richtige für ihn wäre, egal in welchem Universum und er sich doch lieber jemanden in seinem Alter suchen solle.
Ich versuchte möglichst viel zu reden, damit er die Schritte der Sanitäter nicht hörte.
Und dann, als sie gerade hinter ihm standen und ich sicher war, dass er sie noch nicht bemerkt hatte, sagte ich ihm, dass ich nicht mit ihm ausgehen würde.
Aber bevor der Kleine reagieren konnte, hatte ich den Sanitätern schon zugenickt, die sich innerhalb von wenigen Augenblicken auf den Jungen „stürzten“, ihm das Teppichmesser entwanden und ihn in die Zwangsjacke steckten.
Der Kleine hatte geschrieen wie am Spieß und war schon wieder in Tränen ausgebrochen, aber ich wand mich nur unbeteiligt ab und sobald er aus der Pausenhalle verschwunden war, rief ich die Mutter des Jungen noch einmal an und sagte, dass alles gut gegangen sei.
Ich glaubte mich zu erinnern, dass sie sich bei mir bedankte, aber ich wusste nicht mehr, wie ich darauf reagiert hatte.
Was ich allerdings noch wusste, war, dass ich, als ich Zuhause ankam, furchtbaren Ärger bekam und sowohl Hausarrest, als auch zwei Monate lang das Taschengeld gestrichen.
Von diesem Vorfall jedoch, hatte ich Mum und Dad und auch Laila nie was erzählt.

Unwillkürlich fragte ich mich, was wohl aus dem Jungen geworden war, aber ich wurde komplett aus dieser finsteren Erinnerung gerissen, als mein Handy urplötzlich zu klingeln begann.
Völlig aus der Bahn geworfen, musste ich mich erst einen Moment wieder in der Gegenwart zurechtfinden, ehe ich es schaffte abzunehmen.
Ich hatte vergessen aufs Display zu schauen, aber sofort als ich das Handy am Ohr hatte, wusste ich, wer es war, auch ohne Anzeigefunktion.

„Hey, Alaine! Na, lebst du noch, nach dem Brief von diesem Stöpsel?“, schrie mir Emily beinahe ins Ohr, so laut war sie.
Ich zog scharf die Luft ein.
„Nicht so laut, Emily, ich bin doch nicht taub! Na ja... leben tu ich schon noch.“, gab ich zurück und seufzte tief.
„Uups. Sorry, Alaine, ich war grade bei meiner Oma zu Besuch und hatte mich noch nicht auf normale Lautstärke umgestellt... Aber hey, freut mich, dass du noch am Leben bist, Ally.“, meinte meine beste Freundin gut gelaunt und mir schauderte es, als sie das sagte.
Nicht wegen ihrer Stimme oder so was und auch nicht, wegen der Situation, auf die sie schloss, sondern weil ich nach ihren Worten daran denken musste, dass ich jetzt vielleicht schon nicht mehr am Leben wäre, wenn Cain Crispin letzte Woche nicht aufgehalten hätte.
Ich holte tief Luft, um mich zu beruhigen.
Aber Cain war ja da gewesen und er hatte mich beschützt und er würde es wieder tun, solange, bis ich dank des Visums von Gideon – wenn

ich es denn bekam, aber ich hoffte es wirklich – auch so sicher vor Vampirangriffen wäre, darauf vertraute ich voll und ganz.
„Danke. Mich freut’ s auch, dass ich noch lebe.“, erwiderte ich mit ein wenig Verspätung, aber Emily schien das gar nicht so richtig aufzufallen. „Aber warum rufst du jetzt eigentlich an? Doch sicher nicht nur, wegen dem kleinen Freshman.“, fragte ich nach.
Emily lachte leise.
„Nein, du hast natürlich recht, wegen dem ruf ich dich eigentlich wirklich nicht an. Ich wollte dich nämlich eigentlich was fragen.
Meine Family und ich haben uns ein paar Filme aus der Videothek ausgeliehen und die anderen haben dich schon so lange nicht mehr gesehen und meinen, sie vermissen dich richtig, und ich wollte dich sowieso fragen, ob du nicht vielleicht mit uns mitgucken willst... meine Eltern und unser Lieblingsopfer waren ganz begeistert und na ja... willst du mitgucken? Deine Mum und dein Dad haben doch sicher nichts dagegen, oder? Ich meine, wir holen dich gleich ab, wenn du darfst und wir bringen dich auch wieder zurück und so... und sie kennen uns ja schon, also keine ›Gefahr‹ – in Anführungszeichen. Fragst du?“, sprudelte es nun regelrecht aus ihr raus.
Die Idee fand ich gar nicht schlecht, wirklich nicht.
Ich hatte heute vermutlich einfach zu viel nachgedacht und ein bisschen Ablenkung würde mir sicher ganz gut tun.
Und ich war mir sicher, dass ich diese Ablenkung gewiss bekommen würde, dafür kannte ich Emily und ihre Familie nun wirklich schon lange genug.
Ich lächelte leicht.
„Klar, ich frag Mum gleich mal. Ich ruf dann zurück, ob’s klappt, oder nicht, ja?“, erkundigte ich mich.
Ich hatte aus dem Telefonat mit Cain gelernt – lieber auflegen und anschließend zurückrufen, wenn man Eltern um irgendeine Erlaubnis bat. Wer wusste, worin es sonst wieder ausartete.
„Okay. Wir alle drücken dir die Daumen. Bis gleich, Ally.“, antwortete Emily und legte auf.

Ich rappelte mich auf und tappte hinunter in die Küche, wo Mum Dad und Laila grade beim Auspacken ihrer Einkäufe half.
„Ähm... Mum? Dad?“, fragte ich nach. Irgendwie hatte ich ein unangenehmes Déjà-vu-Gefühl, aber dieses Mal war es kein „Bekannter“, den meine Eltern noch nicht kannten, mit dem ich mich treffen wollen würde, daher sprach ich mir gut zu, bloß nicht allzu genau auf dieses Gefühl zu achten.
Wie erwartet schauten Mum und Dad auch sogleich auf und auch Laila glubschte neugierig.
„Emily hat grade angerufen, ihre Familie und sie haben Filme ausgeliehen und fragen, ob ich mitgucken will... Darf ich? Sie meint, sie holen mich dann ab und liefern mich danach auch wieder zurück.“, brachte ich dann heraus.
Mum schaute zu Dad und der schaute etwas blinzelnd zurück, dann zuckte Mum die Schultern.
„Na ja, von mir aus schon. Aber egal, wie lange ihr Filme guckt – und wenn es bis halb drei Uhr nachts ist – sieh zu, dass du niemanden aufweckst, wenn du heimkommst und denk dran: Morgen ist auf jeden Fall Schule und wehe du bist nicht fit und verpasst was!“, antwortete sie und Dad nickte.
Ich lächelte erleichtert und innerlich fiel mir auf, wie ungerecht das war. Als ich wegen dem Treffen mit Cain gefragt hatte und sie ihn noch nicht wirklich gekannt hatten, hatte ich nur bis zehn wegbleiben dürfen, jetzt allerdings könnte ich sogar bei Emily übernachten

und es wäre egal.
Ich seufzte innerlich.
Andererseits... sie kannten

Emily und ihre Familie ja immerhin, vielleicht war es also doch nicht ganz so verwunderlich.
„Klar. Danke, Mum.“, sagte ich und lächelte.
Selbst innerlich musste ich schmunzeln, wenn ich an „unser Lieblingsopfer“ – wie Emily ihren jüngeren Cousin genannt hatte – dachte.
Das würde lustig werden.
Und als hätte Laila meine Gedanken erraten, lächelte sie kurz lieb.
„Grüß Steven von mir.“, meinte sie ein wenig treuherzig und ich unterdrückte ein Grinsen und nickte.
„Gerne.“, erwiderte ich und musste mich zusammenreißen, damit es nicht verräterisch klang.
Jetzt

würde es erst so richtig

lustig werden, Stevy zu treffen.
„Ich geh dann mal Emily und den anderen bescheid sagen.“, meinte ich anschließend und machte kehrt, um zurück in mein Zimmer zu gehen.
Dort angekommen, wählte ich Emilys Nummer und es dauerte nicht sehr lange, da nahm sie bereits wieder ab.
„Ally? Bist du das? Und, wie ist es gelaufen?“, fragte sie auch sogleich, ohne mir zwischen ihren Fragen überhaupt Zeit zum Antworten zu geben.
„Japp, ich bin’s. Alles prima. Wann kommt ihr mich abholen?“, erwiderte ich also genauso knapp und machte mich schon mal daran, im Bad meine Haare noch mal fix durchzubürsten.
„Ich würde sagen, wir fahren dann gleich los. Dauert ja nicht so lange, bis wir bei euch sind. Also beeil dich.“, sagte sie und ich lachte kurz.
„Okay. Bis gleich dann. Ciao.“, meinte ich noch, dann legte ich auf, steckte mein Handy weg und machte mir dir Haare wieder zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammen.
Tatsächlich blieb mir nicht viel Zeit, meine sieben Sachen zusammenzupacken, ehe es draußen vorm Haus zu hupen begann.
„Ich bin dann weg, bye.“, meinte ich, kurz in der Küchentür vorbeischauend, und wollte schon los, aber Mum hielt mich auf.
„Hier, wir haben so viel gebacken, das können wir gar nicht alles alleine essen. Nimm eine Dose für Emily und die anderen mit.“, wies sie mich an und drückte mir eine ziemlich große Keksschachtel in die Hand.
„Okay. Die werden sich sicher drüber freuen.“, lachte ich kurz auf. „Jetzt aber tschüss. Bis später oder morgen oder sonst was.“
Irgendwie hatte sich meine Laune wieder ziemlich aufgebessert.
Ich warf mir meinen Mantel über und tapste nach draußen in die Kälte, wo Emilys Dad schon am Steuer des dunkelroten Kombis saß und die anderen drei die restlichen Sitze des Autos für sich beanspruchten.
Ich grinste kurz verhalten, als ich daran dachte, Steven gleich mal wieder wunderprächtig ärgern zu können, dann ging ich durchs Gartentor, schloss es hinter mir und öffnete eine Hintertür des Kombis.
Emily grinste mich erfreut an und rutschte in die Mitte, damit ich auch Platz hatte.
„Hallo, Leute. Lange nicht mehr gesehen. Wie geht’s euch so?“, erkundigte ich mich, während ich einstieg und mich anschnallte.
Die einstimmige Antwort war positiv, was mich natürlich freute.
Ich schmunzelte.
„Ach, übrigens... wir haben heute Mittag eine Menge Kekse gebacken und da dachte ich mir, ich lass euch auch welche da.“, meinte ich, während wir schon lange losgefahren waren und gerade an einem Maschendrahtzaun vorbeifuhren, der mir nur allzu bekannt vorkam.
Ich blickte nach rechts, an Stevy und Emily vorbei und geradewegs zu dem finsteren Gelände, in dem ich ab und an voller Schrecken zwei kleine farbige Punkte aufleuchten sah.
Es waren nicht viele... ein Paar, das einen etwas magentafarbenen Schein hatte und ein Paar, das eher ins gelbliche ging, aber am öftesten leuchteten ein Paar rotglühender Augen auf und jedes Mal, wenn ich sie ausmachte, konnte ich nicht verhindern, dass ich mich unwillkürlich anspannte und manchmal sogar leicht zusammenzuckte, wenn sie ab und zu näher waren, als ein anderes Mal davor.
Familie Watson plus Lieblingsopfer bedankten sich natürlich herzlich wegen den Keksen, aber im Moment bekam ich das gar nicht so wirklich mit.
Ich hoffte nur einfach stumm, dass wir bald von diesem Zaun wegkamen... dann meinte ich – ganz kurz nur – zwei, recht nahe, violette Augen auszumachen, woraufhin sich irgendwie sofort ein Gefühl der Sicherheit in mir breit machte und ich mich augenblicklich entspannte.
Aber es war, wie gesagt, nur kurz, dass ich vermeintlich Cains Augen aufblitzen sah und bevor ich mich dessen vergewissern konnte, waren wir um die nächste Ecke gebogen und ließen das „Vampirviertel“ hinter uns.
Dennoch hielt das Gefühl der Sicherheit an, obwohl ich nicht beschreiben konnte, warum es sich so augenblicklich einstellte, als ich meinte Cain gesehen zu haben – vielleicht lag das an dem Teil von Abel in mir, dachte ich etwas durcheinander, aber schon kurz danach hatte ich diese Überlegungen wieder vergessen, denn Emily und sowohl Stevy, als auch Alex (Emilys Dad) und Samantha (Emilys Mum), lenkten mich – wie ich es, als ich diesem Treffen zusagte, schon erwartet hatte – ab.
Sie bugsierten mich nach drinnen und einer von ihnen – ich glaube, es war Sam – nahm mir, während ich gar nicht so wirklich mitkam, was denn jetzt los war, die Keksdose aus der Hand.
Als ich erst mal drin war, ging’s gemächlicher weiter.
Scheinbar hatten die Vier einfach ziemlich gefröstelt, darum hatten sie schnell ins Haus gewollt.
Jetzt jedenfalls, zog ich zuerst einmal meinen Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe, dann folgte ich Emily und Alex ins Wohnzimmer, während Steven Sam in der Küche half, die sie schon wenige Augenblicke später zusammen mit Kekstellern und heißen Getränken wieder verließen.
Als ich Stevy so mit den Keksen balancieren sah, musste ich grinsen und stand vorsorglich schon mal auf, damit ich schnell reagieren konnte, wenn ich erst mal anfing, „unseren Stevy“ (wie Emily und ich ihn gern aufzogen) zu necken.
„Ach, übrigens, Steven...“, fing ich möglichst beiläufig an, dann grinste ich aus den Augenwinkeln kurz zu Emily rüber, die nun irgendwie ein Auflachen unterdrücken musste, obwohl ich doch noch gar nichts gesagt hatte, dann schaute ich wieder zu meinem Lieblingsneckopfer.
„Ich soll dir schöne Grüße von Laila

ausrichten.“, meinte ich – darauf bedacht, so unschuldig und lieb zu wirken, wie nur möglich – und fing lachend die Keksteller auf.
Wie ich es erwartet hatte, hatte Stevy beim Klang des Namens meiner kleinen Schwester sofort gestockt, war feuerrot im Gesicht geworden und hatte die Teller, irgendwie ohne es zu merken, losgelassen.
Emily konnte sich nicht mehr halten, als sie ihren Cousin so sah und prustete los und auch ich grinste von einem Ohr bis zum andren.
Selbst Alex und Sam mussten verhindern, dass sie losprusteten.
Samantha konnte sich damit retten, dass sie die Kakaotassen auf dem Couchtisch abstellte und einen kleinen Hustenanfall in die entgegengesetzte Richtung vortäuschte, Alex hingegen, der versuchte es wie seine Frau zu machen, scheiterte daran kläglich und verschluckte sich bei dem Versuch, sodass er jetzt hustete und lachte gleichermaßen.
Ich musste lachen, als ich Alex so hörte.
Er klang, wie ein asthmatischer, nach Luft schnappender Wolf, der zu viel gerannt war. (Woher ich diesen Vergleich hatte? Ich wusste es nicht genau, aber ich musste irgendwie spontan an Disneys ›Die Hexe und der Zauberer‹

denken.)
Noch während ich lachte, klopfte ich ihm auf den Rücken, auf dass es besser würde.
Nach einer Weile half es tatsächlich, aber gleichzeitig meinte Alex, morgen früh würde er vermutlich – dank mir – einen blauen Rücken haben.
Ich konnte nicht verhindern, dass der nächste und letzte Schlag auf seinen Rücken deswegen etwas fester ausfiel, als beabsichtigt, weil ich einfach nichts dagegen unternehmen konnte, grade wieder loszuprusten.

Stevy derweil war immer noch zu feuerroten Salzsäule erstarrt, bis ich ihn irgendwann nach meiner Lachattacke erlöste und auf die Couch drückte.
Da fing er langsam wieder an, sein Gehirn für andere Funktionen, als an Laila zu denken, zu gebrauchen und jetzt wurde er erst recht verlegen, was Emily und ich natürlich sofort ausnutzten, um ihn weiter zu necken und zu ärgern.
Es gab wirklich nicht viel, mit dem man Steven aus der Ruhe bringen oder ärgern konnte, aber auf ein Thema sprang er immer und immer wieder an – Laila.
Mittlerweile hatte selbst ich geschnallt, dass er in sie verschossen war und Emily und ich konnten uns einfach nicht verkneifen, ihn mit den beiläufigsten Bemerkungen über meine kleine Schwester aus der Bahn zu werfen und ihn zu triezen.
Es machte einfach viel zu viel Spaß

, um es nicht zu machen, auch, wenn er mir manchmal schon leid tat.

Schließlich unterbrach uns aber Samantha, die meinte, wir sollen den armen Steven nicht so aufziehen.
Außerdem wandte sie ein, dass wir ja immerhin nicht nur hier waren, um ihn zu ärgern, sondern um Filme zu gucken.
Emily gab sich daraufhin widerwillig geschlagen und nachdem ich Stevy noch einmal vielsagend angegrinst hatte, hörte auch ich auf.
Alex schob derweil eine DVD, von der ich nicht mal wusste, was

für ein Film es überhaupt war, in den Player, während Samantha nun jedem eine Tasse Kakao reichte und einen der Keksteller – die ich mittlerweile ebenfalls auf den Couchtisch gestellt hatte – rumreichte, dann setzten sich die beiden Erwachsenen zu uns aufs Sofa und nicht lange danach startete der erste Film.

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Einerseits schien es ein ganz normaler Film zu sein, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass da noch was kommen würde.
Tatsächlich war das aber erst der Fall, als Emily danach einen neuen Film einlegte und eine der ersten Szenen es schaffte, mir im wahrsten Sinne des Wortes, die Haare zu Berge stehen zu lassen.
Scheinbar hatte Stevy den ersten Film ausgesucht und sowohl Emily, als auch ihre Eltern waren eher auf dem „Horrortrip“ gewesen, sodass ich mir jetzt noch weitere Filme mit Blut, Gemetzel und allem nur erdenklichen Gruselkram anschauen durfte.
Als ich den Film sah, den Alex ausgesucht hatte, konnte ich nicht verhindern, dass ich bei der einen Szene mit riesigen Augen dasaß und mit einem so starken Déjà-vu-Gefühl kämpfen musste, dass die Tasse in meiner Hand zitterte.

›Was ich will?‹, fragte ein junger Mann eine recht junge Frau, die gerade durch eine finstre Gegend lief und möglichst eilig weg wollte, was ihr aber nicht gelang, da der Mann ihr den Weg versperrte. Sie hatte gefragt was er wolle und diese Gegenfrage als Antwort erhalten.


Die Frau nickte ängstlich und versuchte zurückzuweichen, aber der Mann ging noch einen Schritt auf sie zu und lächelte – nein, er grinste – sie bedrohlich an, sodass seine Eckzähne zu sehen waren und als die Frau erkannte, was für ein Wesen sie vor sich haben musste, schrie sie entsetzt auf und stolperte ein paar Schritte zurück.


›Ich will deine Seele

!‹, antwortete der Fremde darauf und stürzte sich auf die Frau, um sie gänzlich auszusaugen.



Ich konnte nicht verhindern, dass ich unterschwellig dankbar dafür war, dass Cain – der diesen Film zweifelsohne ebenfalls gesehen hatte – sich nicht genauso verhalten hatte, wie der Vampir in diesem Film.
Allerdings konnte ich ebenso nicht vermeiden, dass ich einen markerschütternden Schrei ausstieß, mir die – leere – Kakaotasse aus der Hand fiel und auf dem Boden zu Bruch gegangen wäre, hätten die Watsons im Wohnzimmer nicht einen zwei Zentimeter dicken Flauschteppich liegen, der den Sturz der Tasse gedämpft hatte.
Ich saß mit riesigen, schreckgeweiteten Augen da, zitterte wie Espenlaub und war blass wie eine Leiche.
Emily sah etwas amüsiert zu mir herüber, als ich geschrieen hatte – denn so schlimm war diese Szene an sich ja eigentlich gar nicht gewesen –, als ich dann allerdings auch die Tasse hatte fallen lassen und sie mich in meinem aktuellen Zustand sah, schaute sie eher zutiefst besorgt aus.
Ich konnte es ihr nicht verübeln, ich sah vermutlich schlimmer aus, als sie mich je zuvor zu Gesicht bekommen hatte.
Alex drückte Pause und Sam machte die Stehlampe neben dem Sofa an, damit sie mich besser sehen konnte.
Nicht nur ich schien diesen Film nicht sonderlich vertragen zu haben, denn auch Stevens schmales Gesicht war kreidebleich und seine braunen Augen waren ebenfalls riesengroß.
Samantha seufzte besorgt und hob die Tasse auf, ehe sie uns zum Aufstehen bewegte und Alex und Emily auftrug, den Film lieber alleine zuende zu gucken, während sie sich um uns kümmern würde.
Samantha schob uns in die Küche, machte das Licht an und bugsierte uns auf die Eckbank, dann wartete sie, bis wir uns wieder einigermaßen gefangen hatten, was bei mir vermutlich noch länger dauerte, als bei Steven.
Mir klebte einfach der Schrecken im Nacken, wenn ich daran dachte, dass Crispin sich vielleicht in etwa so gebärdet hätte mich auszusaugen, wäre Cain nicht da gewesen.
Zugleich versuchte ich aber auch zwanghaft, diese Bilder aus meinem Kopf zu tilgen, indem ich daran dachte, wie anders

doch die Darstellungen von Vampiren waren und wie wenig Cain in dieses Muster hineinpasste.
Er war so viel... ich wusste nicht, wie ich es beschreiben sollte... so viel menschlicher

, als diese Kreaturen made in Hollywood.
Und ich war so verdammt dankbar dafür, dass er nicht in dieses Klischee hineinpasste.

Schließlich schaffte aber sogar ich es, mich zu beruhigen und langsam nahm mein Gesicht auch wieder normale Farbe an und das Zittern meiner Glieder ließ nach.
Samantha war erleichtert, dass es wieder besser war, gleichzeitig meinte sie aber auch, sie sei froh, dass es überhaupt so weit gekommen war, dass sie uns in ein andres Zimmer hatte bringen müssen.
Als Steven und ich sie total verstört anglubschten, lachte sie leise, und erklärte, ihr habe dieser Film genauso wenig gefallen, wie uns, nur wollte sie Alex gegenüber nicht unhöflich sein.

Es dauerte gar nicht so lange, wie ich gedacht hatte, da kam Emily schon in die Küche und verkündete, der Film sei zuende und der nächste wäre nicht so „heftig“.
Sie beruhigte uns damit, dass wir ihn alle kannten und schlug vor, für alle noch mal einen Kakao zu machen, während wir den Vorspann anschauten.

Tatsächlich kannten wir alle den Film schon... es war „Interview mit einem Vampir

“, den wir uns schon vor ein oder zwei Jahren mal zusammen angeschaut hatten, als er im Fernsehen gekommen war.
Und tatsächlich hatte ich keine „Gruselprobleme“ mit dem Streifen... allerdings überwältigte mich einmal mehr ein Déjà-vu-Gefühl.
Es war beinahe, als wäre Cain der Vampir, der seine Lebensgeschichte erzählte und ich wäre der Reporter, der sie mitanhörte.
Und beinahe den ganzen Film über, dachte ich an den Abend, da Cain mir erzählte was er alles durchlebt hatte.
Vielleicht ängstigte mich der Film auch einfach deswegen nicht, weil ich kaum etwas davon mitbekam, da ich in Gedanken war.
Aber obwohl ich den Film bereits kannte, hatte er – von dem, was ich trotz Träumerei mitbekam – einen ganz anderen Hintergrund.
Damals, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte, da fühlte ich nicht, was ich jetzt fühlte, weil ich jetzt

wirklich wusste

, dass Vampire existierten.
Damals hätte ich es für einen schlechten Scherz gehalten, hätte mir jemand erzählt, dass es Vampire in Wirklichkeit gab.

Als auch dieser Film fertig war, war es schon mitten in der Nacht.
Steven war auf der Couch an Sam gelehnt eingeschlafen und ich half Emily noch dabei, ihn – möglichst ohne ihn aufzuwecken – in sein Bett zu bugsieren.
Danach half ich Sam ein wenig in der Küche, während Alex und Emily das Wohnzimmer wieder auf Vordermann brachten und anschließend fuhren mich Emily und Alex wieder nach Hause zurück.
Als wir diesmal an dem Maschendrahtzaun des „Vampirviertels“ vorbeifuhren, schaute ich zwanghaft weg, aber schließlich hielt ich es doch nicht mehr aus und lugte durchs Fenster in die Dunkelheit hinein.
Alles blieb schwarz und finster, nur, wenn ich angestrengt ins Dunkle starrte, meinte ich weiter hinten erleuchtete Fenster zu sehen, so klein, dass ich mir nicht sicher sein konnte, richtig zu liegen.
Und irgendwie beruhigte mich dieser Anblick wieder, in etwa so, wie mich das Farbenspiel der Vampiraugen auf dem Hinweg beun

ruhigt hatte.
Es war so... friedlich.
Und still.
Als wir an der letzten Ecke des Maschendrahtzauns angelangt waren, verzog ich meine Lippen unwillkürlich zu einem Lächeln, da ich meinte, das leise Krächzen eines Raben zu hören.
Ich konnte natürlich nicht ganz

gewiss sein, dass es Cain war, den ich da hörte, aber ich glaubte

zumindest, sicher zu sein.
Beinahe schon wünschte

ich mir, ich möge richtig liegen.
Irgendwie war nämlich meine Laune erst dann vollkommen gesunken, heute Nachmittag, als Cain sich aufgemacht hatte, wohin auch immer, weil ich mir unterbewusst auf eine seltsame Art sicher war, dass er nicht hierher gekommen war.
Ich seufzte kurz lautlos und wandte meinen Blick vom Fenster ab, als wir den Zaun hinter uns ließen und weiter über die Umleitung fuhren, bis wir dann auf der schon bekannten Strecke einbogen.
Emily gähnte an einer Tour und schien wirklich schon ziemlich müde zu sein und Alex musste ab und an ein Schmunzeln unterdrücken, wenn seine Tochter manchmal beinahe ein wenig zu

herzhaft gähnte.
Schließlich hielt Alex jedoch vor unsrem Haus und sowohl Emily, als auch ihr Vater wünschten mir eine gute Nacht.
Ich erwiderte den Gruß und winkte den Beiden noch einen Moment, als sie wegfuhren, dann allerdings rieb ich mir die Hände, die langsam aber sicher einfroren und tappte eilig durchs Gartentor und zur Eingangstür, die ich – so leise, wie nur möglich – aufschloss.
Nachdem ich die Tür ebenso leise auch wieder geschlossen hatte, zog ich als erstes meine Stiefel aus, damit ich nicht solchen Krach machte und hängte anschließend meinen Mantel an die Garderobe.
Danach ging ich noch einmal auf leisen Sohlen in die Küche, wo ich mir eine Tasse Milch einschenkte und überrascht feststellte, dass eine Mitteilung für mich auf der Anrichte lag.
Als ich sie las, musste ich zwanghaft ein entsetztes Aufstöhnen vermeiden.

„Hey, Ally...
Grandpa hat angerufen, am 1. Dezember sollen wir ihn abholen...
Versuch wenigstens, so zu tun, als würdest du dich freuen, ja?
Danke und gute Nacht, Dad“, stand drauf.

Am liebsten hätte ich geschrieen, als mir bewusst wurde, dass ich nur noch eine Woche Frieden vor diesem alten Miesepeter hatte.
Aber ich wollte die anderen nicht aufwecken, daher stürzte ich meine Milch nur in einem Zug runter und verzog mich leise, gleichzeitig aber sehr, sehr schlecht gelaunt, in mein Zimmer.
Ich konnte nicht verhindern, dass ich schon Pläne schmiedete, Cain den Dezember über möglichst oft zu besuchen.
Er würde sich freuen, Abel würde sich auch freuen und ich würde mich wohl am meisten freuen, denn dann war ich außerdem auch noch Grandpa los.
Das war doch eigentlich perfekt.
Das sollte ich Cain vielleicht vorschlagen, wenn er morgen... nein, nachher anrufen würde, um genaueres zu dem Treffen am Freitag zu klären.
Ich malte mir aus, was ich wohl sagen würde, was er wohl sagen würde und wie das morgen wohl so laufen würde, während ich schließlich im Bett lag und an die Decke starrte.

Irgendwann musste ich wohl über diese Gedanken hinweg eingeschlafen sein, denn als ich das nächste mal die Augen aufschlug, war es mein nerviger Wecker, der einen solchen Terror veranstaltete, dass ich ihn beinahe gegen die Wand warf und mich nur mühsam beherrschen konnte.
Stattdessen schlug ich unnötig fest auf den Alarmstop und setzte mich verschlafen auf.
Obwohl ich nicht ganz taufrisch war, wunderte es mich, dass ich doch wacher war, als ich es erwartet hatte.
Dabei hatte ich doch nur wenige Stunden geschlafen.
Seufzend linste ich kurz aus dem Fenster und seufzte gleich noch einmal, weil kein Cain da war, dafür aber etwas anderes, was mich nicht gerade dazu bewegte, den heutigen Tag als gut zu empfinden.
Es hatte, während ich geschlafen hatte, leicht geschneit und alles war nur noch ein einziger Schneematsch, da es scheinbar auch kurz geschauert hatte.
Super

, schoss es mir durch den Kopf, jetzt darf ich auch noch möglichst in der hintersten Ecke der Pausenhalle versauern, damit ich nicht so einen ekligen Matschklumpen abbekomme.


Ich stand auf und machte mich niedergeschlagen daran, mich anzuziehen.
Vorsorglich zog ich schon mal dickere Socken und einen dickeren Pullover an, damit ich nicht noch als Eissäule endete.
Schlechtgelaunt tappte ich anschließend ins Bad, wo ich mich fertig machte und danach runter zum Eingang, wo ich meine Stiefel anzog.
„Morgen...“, grummelte ich, als ich in die Küche kam und Mum, Dad und Laila mal wieder frühstücken sah.
„Morgen, Ally.“, kam es unisono von Mum und Laila zurück, die sich nicht sonderlich um meine Laune scherten.
Dad hingegen sah ein wenig beunruhigt aus. Vermutlich schloss er darauf, dass die Nachricht von Grandpas baldigem Erscheinen Schuld an meiner miesen Stimmung war.
Er hatte nicht ganz unrecht.
Ein Großteil meiner schlechten Laune kam davon, den Rest machte das Wetter und mein Einfall, dass ich diesem kleinen Freshman ja noch immer eine Absage erteilen musste.
Ich schlurfte zur Anrichte und krallte mir ein paar von den Keksen, die ich mit Mum und Cain gebacken hatte, und die ich dann nacheinander knabberte.
Außerdem hockte ich mich auf die Anrichte, wo ich noch ein paar Minuten sitzen blieb, ehe ich nach oben tapste, meine Schultasche richtete und wieder nach unten kam.
„Ich bin weg...“, murrte ich und zog meinen Mantel an, um nur wenig später nach draußen zu schlurfen und miesepetrig meinen Schulweg zu gehen.

Emily erwartete mich, wie ich es mir fast schon gedacht hatte, viel zu gut gelaunt. Sie wusste nicht, wann genau mein Grandpa kommen würde, sie hatte ihn noch nie persönlich kennen gelernt und sie konnte nicht verstehen, warum ich mir von dem „alten Sack“ die Laune so dermaßen verderben ließ.
Ihr Glück, dass sie meinen Großvater nicht kannte, spukte mir mehr als einmal im Kopf herum.
Wenn er mich

schon nicht leiden konnte, so würde er Emily vermutlich nicht mal mit dem Hintern angucken oder sie noch mehr schikanieren, als mich.
Wobei Emily vermutlich nicht mal ein Problem damit hätte, weil sie ihm dann einfach mit genauso spitzer Zunge antworten würde, was ich mir natürlich nicht erlauben durfte, weil ich sonst wieder von Mum und Dad angemotzt wurde oder Grandpa diesen Part sogar selbst übernahm.
Von wegen, ich sollte ihm mehr Respekt entgegenbringen und all solchen Kram.

Das einzige Gute an dem heutigen Tag war, dass ich meine Religionshausaufgabe zurückbekam und Mr. Morrison sich nicht verkneifen konnte, vor der ganzen Klasse meine Eins zu lobpreisen und zu erklären, dass er meinen Aufsatz liebe.
Zwar habe ich mich nicht so wirklich an die biblischen Vorlagen gehalten, aber meine Interpretation von Kains Gefühlen sei ganz vortrefflich und unglaublich human, sodass er sie einfach nicht schlecht hatte benoten können.
Ich lächelte zum ersten Mal am heutigen Tage.
Cain würde sich sicher freuen, wenn ich ihm erzählte, dass ich dank ihm eine Eins in Religion bekommen hatte.
Natürlich bedankte ich mich auch artig bei Mr. Morrison, aber der war so hin und weg, dass er das gar nicht mitbekam und dann später einfach von seiner Lobpreisung in den Unterricht überging.
Danach wurde der Tag endlich etwas besser.
Zwar musste ich mich in der Pause wirklich irgendwo verkriechen, damit ich nichts abbekam, da es mittlerweile wieder schneite, aber ansonsten war alles prima.
Sogar dieser unselige Moment, da ich diesem kleinen Freshman eine Absage erteilen musste, wirkte auf einmal gar nicht mehr so schrecklich auf mich.
Schließlich war dieser Moment dann auch in der zweiten großen Pause gekommen, wo ich den Kleinen geschickt nach seinem Auftauchen in der Pausenhalle abfing und ihm einfach schlicht und ergreifend sagte, dass er es vergessen könne mit mir auszugehen, da ich nicht an Knirpsen interessiert war.
Gut, ich drückte es etwas weniger gemein aus, aber die Botschaft war klar.
Hey, immerhin war der Kleine gerade mal ein paar Monate älter als meine kleine Schwester!
Der Freshman heulte zwar fast, aber er hatte sich noch gut genug unter Kontrolle, dass ich ihn allein lassen konnte, ohne, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam, weil ich ein Kind zum Weinen gebracht hatte.

Emily imitierte Mr. Morrison bei seiner Lobpreisung, als ich wieder bei ihr stand, und obwohl ich gar nicht wollte, brachte sie mich damit zum Lachen.
Manchmal vergas ich wirklich, wie gut mir Emilys Nähe tat, wenn sie nicht grade mal wieder so richtig

nervig war.
Schließlich ging aber der Unterricht weiter und wir mussten unsere Albernheiten auf später verschieben.
Noch während den letzten zwei Stunden wurde der Schnee durch Regen abgelöst, der alles, was von den weißen Flocken liegengeblieben war, wegwusch oder dermaßen zermantschte, dass es nicht mehr wurftauglich war, was mich unglaublich erleichterte, denn nach Hillarys Blicken zu urteilen hatte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, mich mit Schneebällen zuzuballern und ich wusste aus Erfahrung, das sie ziemlich fest werfen konnte.

Nach der letzten Stunde liefen Emily und ich nebeneinander her auf dem Weg zu Emily, wo sich einmal mehr unsere Wege trennen würden und ich mich auf den Weg nach Hause machen würde, aber wir waren noch nicht mal auf der Hälfte des Weges, da klingelte mein Handy und ich nahm ab.
„Hallo?“, fragte ich in den Hörer.
„Hallo, Alaine.“, hörte ich Cains Stimme.
Ich war ein wenig durcheinander. Zwar hatte ich mit seinem Anruf gerechnet, allerdings nicht so früh, sondern eher gegen Abend.
„Hi, Cain.“, erwiderte ich und als mir einfiel, dass ich ihm ja noch was sagen musste, grinste ich und meine Laune besserte sich noch etwas mehr auf. „Stell dir vor, ich hab eine Eins für den Religionsaufsatz gekriegt!“, meinte ich und ich war mir ziemlich sicher, dass er das Grinsen in meiner Stimme hörte.
Emily, neben mir begrüßte Cain ebenfalls lautstark und fing beinahe sofort wieder mit ihrer Imitation von Mr. Morrison an.
Ich musste über Emily lachen, wie auch das letzte Mal schon.
Selbst Cain lachte.
„Freut mich.“, sagte er und seine Stimme hörte sich richtig warm an und man hörte das leichte Lächeln heraus.
Dennoch ließ ich den Lautsprecher aus, denn Cain und ich hatten ja schließlich noch Zeug zu bereden, was Emily nicht wirklich was anging.
„Ja, mich auch... aber jetzt zu dem eigentlichen Grund deines Anrufes... du hast ja gemeint, du holst mich Morgen ab. Wann?“, fragte ich und versuchte, Emily wieder ruhig zu bekommen, damit ich Cain auch verstehen konnte, was ich nach einer Weile sogar schaffte.
„Wo bist du um halb vier?“, stellte er seine Gegenfrage und seine Stimme war nun wieder ruhiger.
„Öhm... da dürfte ich glaube ich gerade auf den Weg nach Hause sein oder grade erst dort ankommen.“, antwortete ich ihm nach kurzem Überlegen.
„Hmm...“, machte Cain am Telefon und ich fragte mich, worüber er wohl gerade nachdachte.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich dich von der Schule abholen komme?“, wollte er schließlich wissen.
„Aber ist dass nicht gefährlich, wegen der So-“, ich unterbrach mich selbst, weil ich Emily nicht verwirren und sie zur Neugierde bewegen wollte.
„Ich weiß, was du meinst. Aber mach dir keine Gedanken, die Scheiben des Sportwagens sind getönt, was du bisher wahrscheinlich nie so wirklich mitgekriegt hast, da wir nur Nachts gefahren sind. Und wenn du dich mit einsteigen beeilst, wird alles glatt gehen.“, erwiderte er und ich hörte wieder ein leichtes Schmunzeln heraus.
„Aber es freut mich, dass du dir Sorgen um mich machst – Dankeschön.“, fügte er hinzu und ich hörte den beinahe etwas schalkhaften Unterton.
„Na, hör mal! Natürlich mache ich mir Sorgen um dich!“, erwiderte ich heftiger, als ich beabsichtigt hatte. Vielleicht hatte auch der „Abelteil“ in mir, zu dieser wirklich ziemlich heftigen Reaktion beigetragen, die weniger in den Worten, als eher in der Tonlage heftig geklungen hatte.
Ich dachte beinahe schon, ich hätte Cain verschreckt oder irgendwie beinahe schon eingeschüchtert, vielleicht auch etwas gekränkt oder so, aber als er antwortete, klang seine Stimme ganz anders, als erwartet.
„Danke, das weiß ich wirklich zu schätzen und ich wollte das auch gar nicht infrage stellen. Entschuldige.“, meinte er und seine Stimme hörte sich wieder so seltsam warm und lächelnd an. Beinahe, als würde es ihn wirklich zutiefst glücklich machen.
Ich seufzte leise.
„Nein, ich sollte mich entschuldigen. Ich habe zu heftig reagiert. Das hätte man auch normal sagen können. Ich glaube fast schon, ein gewisser Teil in mir hat mitgemischt, deshalb ist es heftiger als beabsichtigt rausgekommen.“, erwiderte ich und hoffte, er würde wissen, welchen Teil ich meinte, denn vor Emily wollte ich das

nun wirklich

nicht gerade ausbreiten.
Diese lauschte ziemlich gespannt und glubschte mich neugierig an, aber ich winkte nur ab und lief weiter neben ihr her.
Daraufhin schwieg Cain jedoch einen Moment.
„Verstehe.“, sagte er und seine Stimme lächelte.
Dann schwieg er allerdings wieder einen Augenblick und kam dann schließlich auf das Treffen Morgen zurück.
„Wenn du nichts dagegen hast, werde ich dich dann einfach von der Schule abholen und später wieder nach Hause fahren, je nachdem, wie lange deine Eltern dich entbehren können. Ich helfe dir in der Villa gerne bei den Hausaufgaben oder lasse dich solange in Ruhe, bis du sie fertig hast, aber dann haben wir trotzdem noch am meisten Zeit... Einverstanden?“, fragte er nach.
Ich seufzte leise.
„Nein, eigentlich habe ich nichts dagegen, wenn du mich von der Schule abholst, von meinen Sorgen um dich mal abgesehen, aber ich weiß nicht, was Mum und Dad dazu sagen werden.“, meinte ich.
„Hey! Wenn du Ally abholst, nimmst du mich grad mit?“, fragte Emily wieder einmal lautstark dazwischen und während ich eher um Cain besorgt war, wegen dem Tageslicht, lachte Cain mir nur leise ins Ohr.
„Von mir aus kann sie gerne mitfahren, aber ich werde sie trotzdem bei sich zu Hause rauslassen müssen.“, antwortete er und ich gab die Antwort geradewegs an Emily weiter, die zustimmte und sich freute, weil sie Cain wirklich zu mögen schien.
Beinahe tat es wieder diesen kleinen Stich, den es getan hatte, als Emily in Cains Auto gestiegen war, aber der kleine Stachel schien sich zurückzuhalten und mich vorerst zu verschonen.
Ich fragte mich nur, was es mit diesem komischen Gefühl auf sich hatte, schüttelte dann aber den Kopf und wandte mich wieder dem Telefonat mit Cain zu, während es langsam aber sicher wieder leicht zu schneien begann.
„Ich frage Mum und Dad nachher am besten, wie lange sie mich diesmal rauslassen und ob sie das mit dem Abholen genehmigen, okay? Danach ruf ich noch mal bei dir an.“, sagte ich und schlug mit einer Hand meinen Mantelkragen nach oben, damit mir der Wind keine Schneeflocken in den Nacken blies.
„Einverstanden. Dann sprechen wir uns wohl später noch mal, nicht wahr?“, meinte er und ich nickte, bis mir Volltrottel einfiel, dass er das ja gar nicht sehen konnte.
„Japp.“, stimmte ich also zu und wollte mich schon verabschieden und auflegen, als Emily mal wieder lautstark dazwischenbrüllte und Cain fragte, ob er nicht Lust hätte, heute Abend mit ihr und mir einen Stadtbummel zu unternehmen und danach vielleicht noch in irgendeinem Bistro essen zu gehen.
Dass ich dabei nicht mal gefragt wurde, fand ich natürlich ganz toll

, aber so wie ich Emily kannte, hätte sie mich so oder so später damit genervt, bis ich zugestimmt hätte.
Cain, der wohl zu erraten schien, was ich dachte, fragte, ob ich überhaupt damit einverstanden sei und da Emily mit beschwörendem Blick an mir klebte und ich meine Niederlage schon lange gewittert hatte, meinte ich, ich hätte keine Einwände und Emily, nun wieder beinahe zufrieden, ließ weitestgehend von mir ab.
„Wenn du auch damit einverstanden bist, dann habe ich nichts dagegen, mitzugehen.“, antwortete Cain schließlich und mir fiel beinahe ein Stein vom Herzen.
Allein mit Emily bummeln zu gehen, das war beinahe so was ähnliches, wie die Hölle.
Ständig zog sie einen in der Gegend rum und war dann schneller wieder aus den Geschäften draußen, als man gucken konnte.
Ich gab also Cains Antwort an Emily weiter, die sich natürlich mächtig freute und das auch lautstark kundtat und ich drückte ihm meinen leisen, aber großen Dank aus, dass er mich nicht mit Emily allein ließ, was ihn aber wiederum nur zu einem leisen Lachen brachte.
Schließlich machten wir einen Termin aus – er würde uns beide um circa halb sieben abholen und dann zur Innenstadt fahren, wo wir dann zu Fuß weitergehen würden – und dann beendeten wir das Telefonat.
Nicht lange danach waren Emily und ich dann auch schon bei ihr angekommen, sodass wir uns verabschiedeten und während sie nach Drinnen ging, lief ich weiter.

Zuhause angekommen aß ich erst mal zu Mittag und fragte dann schließlich Mum und Dad, erst, ob Cain mich Morgen von der Schule abholen und wie lange ich dann bei ihm bleiben durfte und anschließend, ob ich mit Emily und Cain heute Abend einen Shoppingbummel unternehmen durfte.
Sobald der Name Cain gefallen war, entspannten Mum und Dad sich und stimmten beiden Angelegenheiten zu und was die Zeit anging, so legten sie mir Nahe, doch gleich das ganze Wochenende bei Cain zu übernachten, dann hätten sie beide mal Sturmfrei, da Laila übers Wochenende zu einer Pyjamaparty eingeladen worden war.
Aber ich solle bloß an meine Hausaufgaben denken – in diesem Punkt stimmte ich natürlich hastig zu und fing gleich an, mich um dieses Versprechen zu kümmern, indem ich nach oben ging, um meine heutigen Hausaufgaben zu erledigen.
Unterschwellig hatte ich das Gefühl, dass Dad mich damit nur wieder etwas versöhnlich stimmen wollte, weil er mir doch den Termin von Grandpas genauem Erscheinen übermittelt und mir damit die Laune versaut hatte, aber ich sagte natürlich nichts dazu, sonst beschwor ich nur unnötig etwas herauf.
Bevor ich allerdings meine Hausaufgaben machte, rief ich Cain an, um ihm mitzuteilen, was meine Eltern dazu sagten und gegen den Plan, das Wochenende bei ihm zu verbringen, hatte auch er nichts einzuwenden, diesmal, versicherte er mir jedoch, würde er mir den Zimmerschlüssel geben und darauf aufpassen, dass ich bei den Übernachtungen nicht zu Schaden kam, was ich dankbar zur Kenntnis nahm.

Nach dem Telefonat machte ich also meine Hausaufgaben und packte anschließend meine kleine Reisetasche, die ich dann Morgen wohl oder übel mit in die Schule nehmen musste.
Zum Glück konnte ich die solange in meinen Spind quetschen, bis der Schultag um war und musste sie nicht die ganze Zeit mit mir rumschleppen.
Die Tasche war also schließlich fertig gepackt und ich hatte gerade noch genug Zeit, meine Klamotten zu wechseln, meine Haare neu zusammenzumachen und unten in der Küche ein paar Kekse mit Tee zu verdrücken, ehe mich dann auch schon Cain anklingelte, der draußen vor der Tür stand und auf mich wartete.
Ich schnappte mir also meine Handtasche, warf meinen Mantel über und sagte Mum und Dad, dass ich jetzt außer Haus war, dann ging ich nach Draußen und stieg eilig in Cains Sportwagen ein, damit ich nicht ganz so viel Kälte abbekam.

„Hallo, Alaine.“, begrüßte Cain mich leicht lächelnd und ich schaute zu ihm und erwiderte das Lächeln.
„Hi.“, gab ich zurück und schnallte mich an, während Cain langsam losfuhr. „Und, haben Dion und Gabriel sich über die Kekse gefreut?“, fragte ich einfach spontan und beiläufig drauf los und schaute zu Cain hinüber, der diesmal eine dunkelgraue Röhrenjeans, einen enganliegenden, pflaumenblauen Rollkragenpullover und darüber wieder seinen schwarzen Mantel trug, den er diesmal offengelassen hatte.
Außerdem trug er auch noch einen dunkelgrauen Schal, den er locker-lässig um seinen Hals geschlungen hatte. Er sah wirklich gut aus.
Cain lächelte leicht.
„Oh ja, sie haben sich außerordentlich darüber gefreut. Dion hat mich bei seiner unvorhersehbaren Umarmung vor Freude fast erwürgt und Gabriel hat sich auch sehr gefreut, auch, wenn er es nicht ganz so enthusiastisch wie Dion zur Schau gestellt hat.“, schmunzelte er und ich kicherte leise, als ich versuchte, mir vorzustellen, wie Dion Cain so übereifrig umarmt hatte.
„Freut mich zu hören, also, dass sie sich gefreut haben.“, meinte ich dann und jetzt schmunzelte Cain noch breiter und ich grinste ebenfalls, als ich merkte, wie seltsam sich das eben von mir gesagte anhörte.
Wir fuhren um eine Ecke und mir fiel auf, dass Cain wieder auf seine sonstige, gemächliche Art fuhr.
„Und, wie läuft es bei dir so, Alaine? Du siehst ziemlich gestresst aus. Ist alles in Ordnung?“, fragte Cain auf einmal nach und ich schaute überrascht zu ihm und merkte, dass er mich beinahe etwas besorgt ansah – als ich seinen Blick erwiderte, schaute er jedoch langsam wieder aus der Windschutzscheibe auf die Straße.
Ich seufzte kellertief.
„Na ja, wie man’s nimmt. Richte dich darauf ein, dass ich im Dezember häufig zu Besuch kommen werde.“, meinte ich nur und schaute aus dem Fenster.
Cain machte einen Laut der Verwunderung und ich seufzte noch einmal.
„Ab Dezember ist Grandpa bei uns Zuhause zu Besuch und ich kann ihn, ehrlich gesagt, nicht sonderlich ausstehen. Ich dachte mir, du freust dich sicher, wenn ich dich oft besuchen komme und ich freu mich ja auch darüber und dann hätte ich außerdem auch endlich meine Ruhe vor Grandpa.“, murmelte ich und rieb mir die Stirn.
„Ah.“, machte Cain, fuhr dann aber schweigend weiter.
Ich fragte mich unwillkürlich, was er wohl darüber dachte, sprach es aber nicht laut aus und schaute derweil lieber wieder aus dem Fenster.
Wir waren am „Vampirviertel“ vorbeigefahren, ohne, dass ich es überhaupt bemerkt hatte und bogen nun auf meinen üblichen Schulweg ein.
Es würde also nicht mehr allzu lange dauern, bis wir bei Emily ankommen würden.
Tatsächlich hing diese schon am Küchenfenster, als Cain den Wagen vorm Gartentor anhielt und kaum zwei Minuten später war Emily schon aus dem Haus „gestürmt“ und öffnete gerade die Hintertür, damit sie einsteigen konnte.
„Hi, Leute.“, meinte sie vergnügt und grinste uns an.
Ich musste wegen ihrem Auftritt ein Lachen unterdrücken und begrüßte sie ebenfalls, aber Cain schmunzelte nur ganz leicht und wünschte Emily einen guten Abend.

Als Cain diesmal den Wagen startete, fuhr er um einiges schneller als vorher.
Vielleicht lag es daran, dass Emily ab und an maulte, wir wären zu langsam, vielleicht aber auch daran, das Cain diese

gemeinsame Zeit nicht unbedingt verlängern wollte, was ich ihm einfach nicht übel nehmen konnte.
Es dauerte dementsprechend auch gar nicht allzu lange, bis wir in der Nähe der Innenstadt angekommen waren und Cain seinen Wagen in einem Parkhaus abstellen musste, da sämtliche Parkplätze am Straßenrand besetzt waren.
„Oh, seht mal! Die bereiten die Stadt schon für den Weihnachtsmarkt nächste Woche vor!“, rief Emily freudig überrascht, als wir gemächlich durch die Straßen in die Innenstadt hineinliefen.
„Uh... stimmt ja.“, entfuhr es mir wenig begeistert.
Ich war nie sonderlich angetan von dem ganzen Gedränge gewesen.
Cain lächelte leicht und knöpfte doch langsam seinen Mantel zu, wobei mir auffiel, dass er sogar ganz normale, flache, schwarzgraue Turnschuhe trug.
Ich blinzelte kurz.
Das schien irgendwie gar nicht so richtig zu ihm zu passen, da er ja sonst immer so... ich weiß nicht. Auf mich hatte er ziemlich oft einen regelrecht erhabenen Eindruck gemacht, wenn auch auf eine positive Weise.
Ihn jetzt so locker, aber dennoch irgendwie etwas elegant gekleidet zu sehen, war ungewohnt.
Schließlich schüttelte ich aber den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben und lief weiter neben Cain und Emily her, wobei letztere etwas vornweg gelaufen war und uns nun ins Einkaufszentrum lotste.
„Na los, macht schon, hier draußen ist es kalt!“, trieb Emily uns ein wenig ungeduldig und quengelig an und ich schaute zu Cain, um zu sehen, ob er schon einen vagen Eindruck davon bekommen hatte, was ihn den heutigen Abend erwarten würde, aber dieser schaute nur geradeaus und sah irgendwie nachdenklich aus, also ließ ich ihn lieber erst mal in Ruhe und tappte seufzend hinter Emily her.

Kaum waren wir wieder halbwegs im Warmen, entspannte Emily sich etwas, wie ich erleichtert zur Kenntnis nahm.
Wenn sie zu aufgedreht war, war Emily nämlich einfach unerträglich nervig. Halbwegs entspannt war sie auszuhalten, auch wenn ein paar eigene Nerven dabei draufgingen.
Jedenfalls schleifte Emily uns dann zuerst in das erste Klamottengeschäft, das ihr vor die Nase kam.
Ich seufzte wieder leise und Cain schien alles gleichmütig hinzunehmen und lief neben mir und hinter Emily her, welche schon total in ihrer Shoppingwut aufging.
In Momenten wie diesen fragte ich mich manchmal unwillkürlich, wie ich dazu gekommen war, ausgerechnet mit diesem verrückten Vogel befreundet zu sein, aber wie immer fand ich keine wirklich richtige Antwort darauf, außer, dass sie immer für mich da war, wenn ich sie wirklich mal brauchte und sie sich dann sogar in ihrer Verrücktheit zurückhalten konnte.
Letzteres allerdings eher seltener, aber mittlerweile kannte ich sie schon lange genug, um zu wissen, dass sie das wohl nie so ganz loswerden würde.
Sollte sie es je richtig loswerden, dachte ich, würde ich mir wahrscheinlich nur unglaublich große Sorgen um sie machen, weil sie dann nämlich einfach gar nicht mehr wirklich sie selbst wäre.
Ich wurde allerdings aus meinen – wie mir vorkam, etwas wirren – Gedanken gerissen, als Emily mich ins Visier nahm und mit einem Arm voller Klamotten zurückkam, die sie scheinbar für mich ausgesucht hatte und die ich natürlich unbedingt anprobieren musste

.
Ich ergab mich schon von vornherein meinem Schicksal und tappte zur Umkleidekabine.
Emily hätte mich sowieso gepiesackt, bis ich nachgegeben hätte, also schonte ich lieber gleich meine Nerven und tat, wozu sie mich nötigte.
Cain schmunzelte leicht, als ich schon resigniert hinter Emily hertapste, und ging ebenfalls mit, blieb aber, im Gegensatz zu Emily, draußen stehen.
Irgendwie wurde ich den leisen Verdacht nicht los, dass ihn das prächtig zu amüsieren schien.
Emily „half“ mir dabei, mich umzuziehen und anschließend scheuchte sie mich nach draußen, damit Cain auch ja sein Urteil dazu abgeben konnte.
„Hübsch.“, sagte er und ich hörte den schelmischen Unterton heraus.
Wenigstens er

hatte seinen Spaß dabei.
„Vielleicht“, räumte ich widerwillig ein und rieb mir die Arme. „aber verdammt kalt!“
Ich stand in einem dunkelgrünen Minirock und einer beigen Flatterbluse aus Satin vor Cain und zitterte mir einen Ast ab.
Cain lachte leise.
„Du hast recht, für diese Jahreszeit nicht unbedingt vorteilhaft.“, stimmte er mir zu und Emily kaschte mich wieder und bugsierte mich in die Kabine zurück.
Ich hatte nicht mal eine Chance mich zu wehren, bevor Emily sich schon an meinem Outfit zu schaffen machte und mich ins Nächste zu quetschen versuchte.
„Emily, meinst du nicht, dass mir die Sachen wenigstens gefallen sollten, bevor ich so was überhaupt anprobiere?!“, fragte ich nach und stemmte, beinahe etwas wütend, eine Hand in meine Hüfte.
Ich bekam Gänsehaut, weil meine Hände eiskalt waren und Emily mir grade die Bluse ausgezogen hatte (ich hätte es ja selbst gemacht, aber gegen Emily kam ich nicht an, sie war um einiges schneller als ich).
„Nö, wieso?“, gab Emily, fast schon verdutzt, zurück. „Ich verlange ja nicht von dir, dass du die Sachen kaufst, Ally. Ich will nur wissen, wie du da drin aussiehst

!“, grinste sie und ich musste tief durchatmen, damit ich nicht „aus Versehen“ ihren Hinterkopf erwischte.
„Such du mal lieber nach Sachen für dich, Emily. Falls mich irgendwas anspricht, sag ich dir schon noch bescheid.“, meinte ich und entledigte mich des grässlichen Minirocks, dann zog ich wieder meine eigenen Sachen an und leistete Cain draußen Gesellschaft.
Als er mich wieder so sah, wie ich vor Emilys kleiner Modenschau gewesen war, lächelte er.
„Das schlägt den Minirock und die Bluse bei weitem.“, meinte er und unwillkürlich musste ich bei dem Kompliment lächeln.
„Danke, finde ich auch.“
Cains Lächeln wurde eine kleine Spur breiter, dann schaute er allerdings zu Emily die leicht schmollte, aber nichts von ihrer guten Laune eingebüßt hatte.
„Aber wenn irgendwas mit dir redet, musst du’s mir wirklich sagen, Ally!“, forderte sie lachend. „Das Kleidungsstück will ich sehen, das anfängt zu sprechen!“
Ich schüttelte leise kichernd den Kopf.
Irgendwie schaffte Emily es doch immer wieder, mich zum Lachen zu bringen.
„Mal schauen.“, gab ich schließlich grinsend zurück.
Cain derweil schmunzelte nur über uns beide und wandte sich einem Ständer voller Handschuhen zu, die er eingehend betrachtete, während ich Emily dazu drängte, die Klamotten zurückzuhängen.
Das tat sie auch wirklich, aber sie zog mich mit sich, weil sie keine Lust hatte, alles alleine zu machen und Cain war ja schließlich „alt genug um mal ein paar Minütchen ohne Aufsicht stehen zu bleiben“, was diesen wiederum leise zum Lachen brachte und mich also nicht retten konnte.
Ich half Emily also dabei, die Sachen wieder irgendwohin zurückzubringen, was länger dauerte, als ich gedacht hatte.
Als wir schließlich wieder bei Cain ankamen, mussten wir feststellen, dass sich ein paar Mädchengruppen hinter diversen Kleiderständern versteckten und ihn beobachteten, während er sich nun für ein Paar Handschuhe entschieden zu haben schien.
Schlussendlich raffte sich sogar ein kleines Dreiergrüppchen dazu auf, Mut zu bekennen und Cain anzusprechen.
Emily versuchte zwanghaft, nicht loszuprusten, als sie diese ganze Szene bemerkte und auch ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht allzu breit grinste, während wir schön in der Nähe stehen blieben und das Schauspiel beobachteten, ohne auch nur einen Finger zu rühren.

„Äh- Ähm... Entschuldigung?“, brachte die Kleinste der Gruppe, ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren, etwas piepsig heraus.
Cain wandte sich ruhig zu den dreien um und erwiderte die Blicke der Drei.
„Ja? Wie kann ich euch dreien weiterhelfen?“, fragte er höflich nach und um nicht allzu kalt zu wirken, lächelte er freundlich.
„Na ja... wir haben uns gefragt,... ob es dir gut geht... du siehst so blass aus. Ist dir irgendwie... schlecht oder so?“, quietschte die Zweite aus der Gruppe vor Nervosität, das Mädchen war mit Sicherheit nicht viel älter, als die Erste.
Ich prustete fast los und konnte mich nur mit viel Mühe zurückhalten.
Wirklich zum Schreien, wie die Mädels ein Gespräch ins Laufen bekommen wollten!
Emily krampfte sich schon total zusammen, während sie versuchte, das Lachen zurückzuhalten oder wenn, dann wenigstens lautlos zu lachen.
Ich musste sie an einem Arm festhalten, damit sie nicht als kleines Häufchen am Boden lag, vor Anspannung, was wirklich nicht gerade leicht war, wenn man selbst zwanghaft ein Lachen unterdrückte und diese Show weiterhin beobachten wollte.
Bildete ich es mir nur ein, oder wurde Cains Lächeln ebenfalls etwas breiter?
„Mir geht es bestens, danke der Nachfrage. Ich bin immer so blass.“, antwortete dieser seinen drei Bewunderinnen nun und ich konnte es beinahe schon rattern hören, während eine der Drei ein neues Thema zu finden versuchte, damit sie noch länger mit Cain sprechen konnten.
Emily lag nun wirklich fast am Boden, weil ich sie selbst kaum noch halten konnte.
„Oh, ähm... aber wir würden wirklich gern sicher stellen, dass es dir gut geht... Möchtest du dich nicht vielleicht etwas essen? Wir... wir laden dich gern ein.“, sagte schließlich die Dritte im Bunde, die vermutlich Älteste.
Ich schätzte sie etwa auf sechzehn oder sogar etwas älter.
Gegen Ende hörte sich ihre Stimme beinahe an wie ein Zwitschern.
Emily kugelte sich auf dem Boden, während sie es doch wirklich zustande brachte, lautlos zu lachen, gleichzeitig schlug sie auf den Boden ein, weil sie einfach nicht an sich halten konnte. Zum Glück war sie halbwegs zwischen einem Paar Wäscheständern verborgen.
Ich presste die Lippen aufeinander, damit mir nicht doch ein Lachen entflutschte und lauschte angestrengt Cains Antwort.
„Es ehrt mich wirklich, dass ihr so um mein Wohl besorgt seid, aber ich muss eure Einladung leider ausschlagen. Ich sollte jetzt lieber verhindern, dass meine Begleitungen sich totlachen, sonst muss ich das am Ende noch vor ihren Eltern verantworten.“, sagte er mit einem Lächeln im Gesicht, aber dennoch mit vollkommen nüchterner Stimme und jetzt konnte ich mich echt nicht mehr halten.
Ich prustete los und versuchte, Emily noch während meiner Lachattacke vom Boden hochzuziehen, damit es nicht allzu affig kam, wie sie sich auf dem Fußboden wälzte.
Als ich angefangen hatte zu lachen, hatten sich die drei Mädels und auch die ganzen restlichen Grüppchen beinahe augenblicklich zurückgezogen und ich meinte gesehen zu haben, wie die kleine Dreiergruppe zutiefst pikiert wirkte.
Ich konnte nicht wirklich betroffen sein, ich war zu sehr mit lachen beschäftigt, während Cain auf uns beide zukam und sich scheinbar viel mehr über uns beide amüsierte, als über seine ganzen Groupies.
„Das...“, ich musste abbrechen, weil ich immernoch gackerte wie eine „Schar Gänse“, wie Dion es mal genannt hatte. „Das war... das... das... Taktloseste, was ich... je...je aus deinem... deinem Mund gehört habe, Cain!... Wow!“, brachte ich schließlich unter meinem Lachkrampf heraus und musste mich nun meinerseits an Emily festhalten, damit ich nicht den Boden knutschte, während sie selbst doch genauso am Lachen war, wie ich.
Cains Schmunzeln dehnte sich zu einem verhaltenen Grinsen aus.
„Was sollte ich machen, es war schließlich die Wahrheit. Wenn ich euch als halbe Leichen zurückbringe, weil ihr euch K.O. gelacht habt, kommen am Ende noch falsche Schlüsse auf.“, erwiderte er leicht schulterzuckend und ich hörte ihm an, dass auch er richtig gute Laune hatte.
Allerdings konnte ich nicht darauf eingehen.
Ich musste nur den Kopf schütteln, weil ich kein Wort mehr herausbrachte, während ich so gackerte.
Selbst Emily lachte jetzt laut und das sogar noch schlimmer als ich.
Cain musste über uns beide grinsen, sagte aber nichts, bis wir uns schließlich irgendwann mal wieder beruhigt hatten.
Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit und mein Bauch tat weh und mein Gesicht war klatschnass von den vielen Lachtränen.
Emily ging es nicht besser als mir, im Gegenteil, sie klagte sogar noch grinsend über ihre leichten Kopfschmerzen, die sie wohl ebenfalls unserer, nicht gerade gesitteten, Lachsalve zu verdanken hatte.
Cain sah immernoch richtig gut gelaunt aus und reichte sowohl mir, als auch Emily ein Taschentuch, damit wir uns die Gesichter trocknen konnten.
Wir nahmen sie natürlich dankend an und ignorierten die Blicke, die uns zugeworfen wurden, geflissentlich.
So ziemlich die halbe Boutique starrte uns an, weil wir so übelst gelacht hatten, aber uns drei kümmerte das nicht sonderlich.
Stattdessen gaben wir es zumindest in diesem Laden auf, nach Klamotten zu schauen, Cain bezahlte seine Handschuhe und anschließend verließen wir diesen Laden und tappten zum Nächsten weiter.
Emily schleifte uns noch in Dutzende andere Klamottenläden, in denen wir nie wirklich was fanden, was uns gefiel, aber dann stand Emily auf einmal vor einem Dessousshop und grinste vor sich her, als sie mich anglubschte.
„Vergiss es, Emily, da bekommst du mich nie und nimmer rein!“, meinte ich entschieden, während ich beinahe hochrot wurde.
So wie ich sie kannte, hatte sie nur wieder das Selbe vor, wie im ersten Geschäft – Sachen für mich aussuchen und dann eine hübsche kleine Modenschau veranstalten.
Das

konnte sie vergessen.
„Och, aber warum denn nicht, Ally? Das wird bestimmt lustig.“, grinste sie mich an, aber ich schüttelte nur den Kopf.
„Ich werde unter Garantie keinen Fuß in diesen Laden setzen! Das wird nur peinlich und auf die Späße auf meine Kosten kann ich, was das angeht, getrost verzichten, Emily!“, meinte ich und wäre Emily jetzt ein Welpe gewesen, hätte sie die Ohren angelegt und gewinselt, zusammen mit einem äußerst gemeinen, unfairen, Dackelblick.
„Kommt schon... da drin gibt’s auch Männerunterwäsche und außerdem such ich auch noch was...“, versuchte sie mich umzustimmen, aber auch Cain gab jetzt eher seinen Bedenken Ausdruck und gegen Cain und mich zusammen kam sie einfach nicht an und musste sich – zum Glück – geschlagen geben.

„Okay, dann erst mal genug von den Klamotten. Ab ins nächste Geschäft!“, fand Emily dann aber nach einem Moment ihre gute Laune wieder und unsere nächste Anlaufstelle entpuppte sich als etwas, dass endlich mal nicht nur Emily interessierte: einen CD-Laden.
Während ich mich ein wenig umschaute, ging Cain zielstrebig zu den Regalen, in der Klassikabteilung.
Emily derweil, schaute sich ebenfalls um, wenn auch ein wenig... aufgedrehter

, als ich.
Schaute man mal kurz nicht hin, war Emily von einem Moment auf den anderen in der entlegendsten Ecke des Geschäfts und nur Augenblicke später war sie genau am andren Ende des Raumes.
Über Emily den Kopf schüttelnd, schaute ich mich weiter um, hörte in einzelne CDs rein, aber entgegen meiner Erwartung fand ich bisher nichts, dass mich sonderlich interessiert hätte. Schließlich schlenderte ich zu Cain, der gerade ebenfalls in eine der CDs reinhörte.
Er hatte die Augen dabei geschlossen, hielt die Kopfhörer mit einer Hand fest und er sah irgendwie friedlich aus, wie er da so stand.
Ich mochte ihn gar nicht aus diesem ruhigen Moment reißen, daher blieb ich einfach stehen und wandte mich stattdessen den CD-Ständern zu, um so vielleicht herauszufinden, was Cain wohl gerade hörte.
Ich blinzelte kurz.
Die Antwort war ganz eindeutig Mozart. Wohin ich auch in dem Regal schaute, überall war der Name Mozart zu lesen.
Was genau er allerdings hörte ließ sich daraus nicht erschließen.
Ich gab mich geschlagen und drehte mich um, damit ich nach Emily schauen konnte, während Cain meine Anwesenheit noch nicht einmal bemerkt zu haben schien.
Ich zog skeptisch die Augenbrauen hoch, als ich Emily entdeckte – sie hatte einen nicht gerade kleinen Stapel CDs auf dem Arm und schien langsam aber sicher nach uns Ausschau zu halten.
Schließlich schien sie mich und Cain entdeckt zu haben, aber anstatt zu uns zu kommen, formte sie mit den Lippen nur die Worte „Ich geh schon mal an die Kasse und warte draußen auf euch“, dann tappte sie auch schon von dannen.
Ich seufzte lautlos, dann blinzelte ich aber verdattert, als mir eine Hand auf einmal Kopfhörer vor die Nase hielt.
Ich schaute zu Cain hinüber, der leicht schmunzelte.
„Emily wird wohl eine Weile an der Kasse aufgehalten... auch mal reinhören?“, fragte er amüsiert nach und obwohl ich noch immer verwirrt blinzelte, war ich zu neugierig, um das Angebot nicht anzunehmen.
Dankend nahm ich die Kopfhörer entgegen und setzte sie auf und mein erster Gedanke war: „Ah, Violine“, danach hörte ich einfach nur zu.
Es war eine ruhige Musik und jetzt konnte ich mir vorstellen, warum Cain so friedlich ausgesehen hatte, als er diese Musik gehört hatte.

Schließlich setzte ich aber die Kopfhörer ab und schaute wieder zu Cain, der mich anschmunzelte.
„Gehen wir?“, fragte er mit seiner angenehm melodischen Stimme nach und ich nickte nur und tapste neben ihm her zur Kasse, welche eher eine Art Tresen war.
Emily war schon gar nicht mehr da, stattdessen sah ich sie draußen vor dem Laden, bei einem Paar der dutzenden Bänke, ungeduldig hin und herwuseln, eine Einkaufstasche in der Hand.

Kaum standen Cain und ich an der Kasse, blinzelte der Angestellte – den sein Schild als einen gewissen „Branden Wiscon“ auswies – leicht überrascht und sah kurz auf eine Liste neben sich.
„Entschuldigen Sie, Cain, aber wir haben leider noch keine neue Lieferung reinbekommen... Ich hatte ja-“
Cain unterbrach den Angestellten, indem er leicht lächelnd die Hand hob, in der er die CD von Mozart hielt.
„Danke, Branden, ich habe trotzdem etwas gefunden, für das ich mich interessiere.“, sagte Cain freundlich und legte die CD auf den Tresen, damit Mr. Wiscon sie einscannen konnte.
Dieser war zwar noch einen kleinen Moment etwas verwirrt, lächelte dann jedoch.
„Ah, verstehe. Freut mich natürlich sehr, dass Sie etwas passendes für sich gefunden haben.“, meinte er, dann berechnete er Cain die CD und schob sie ihm mit einem Kassenbon zurück und nannte den Preis.
Cain lächelte weiterhin leicht und zog nur eine Karte aus seinem Mantel, die er Mr. Wiscon reichte und unterschrieb einen anderen Bon schwungvoll, dann packte der Angestellte Cain die CD und seine Karte in eine kleine Tüte und reichte sie ihm.
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“, verabschiedete Branden Wiscon sich freundlich von uns und wir beide verließen den Laden.
Cain schien meinen überaus verwirrten und fragenden Blick eindeutig zu bemerken, denn sein Schmunzeln wurde etwas breiter und er wandte sich, während wir langsam auf Emily zugingen, zur Hälfte zu mir um.
„Ich hatte Branden gebeten, mir bescheid zu geben, sollten neue Lieferungen im klassischen Bereich eintreffen.“, fing er zu erklären an und steckte seine Karte in seinen Mantel zurück. Weitererklären tat er nicht, daher hielt ich den Mund und fragte auch nicht weiter nach. Wenn er es mir nicht erzählen wollte, war es seine Sache, auch recht.
Die letzten paar Meter wurden wir dann von Emily „überfallen“, die uns entgegenging.
„Mann, habt ihr lange gebraucht!“, seufzte sie und meckerte noch ein wenig, dann schien sie sich aber zu beruhigen und ausnahmsweise mal nicht nur an „ihre“ Shoppingtour zu denken, denn sie fragte uns, ob wir nicht noch irgendwo hinwollten.
Tatsächlich gingen wir just in diesem Moment an einem Geschäft für Künstlerbedarf vorbei und Cain sah dorthin und der Hauch eines überraschten, aber sehr leichten Lächelns huschte über sein Gesicht.
„Entschuldigt ihr beiden mich kurz? Ich muss dort drinnen schnell etwas erledigen.“, erkundigte er sich freundlich und Emily und ich nickten nur und sagten ihm, dass wir bei den Bänken ein paar Meter weiter warten würden.
Cain lächelte leicht und ging dann in den Kunstladen, während Emily und ich zu den Bänken tapsten, wo Emily sich seufzend auf eine davon fallen ließ und in ihre CD-Tüte lugte.
Sie grinste kurz verschwörerisch, aber ich kannte sie gut genug, um lieber nicht nachzufragen. Am Ende wurde ich noch in Emilys verrückten Pläne hineingezogen und das konnte wirklich sehr, sehr unangenehm sein, wenn sie auf einer zu

merkwürdigen Schiene fuhr.

Seufzend blickte ich mich in der Gegend um und schließlich sah ich etwas, das mich unwillkürlich schmunzeln ließ.
„Emily? Ich bin mal da drüben drin, ja? Wenn Cain zurückkommt, könnt ihr ja mal kurz reinkommen und mir bescheid sagen.“, meinte ich und als Emily meinem Fingerzeig folgte und mit den Schultern zuckte, tappte ich leicht grinsend in den Teeladen, den ich eben entdeckt hatte.
Irgendwie musste ich an Cains und meine „Teatime“ denken und vielleicht könnte ich ja mal einen Tee aussuchen, den wir dann gemeinsam trinken konnten.
Während ich zwischen Darjeeling, Earl Grey und diversen anderen Teesorten umherging und überlegte, was wir wohl trinken könnten, merkte ich gar nicht wie die Zeit verging.
Ich stand gerade vor einem Regal mit allerlei Weihnachtssorten, da schreckte ich auf, als ein schlanker Finger mit perfekt manikürten, langen Nägeln auf eine Teesorte deutete.
„Wie wär’s mit diesem hier?“, fragte die Person neben mir ruhig nach.
Ich drehte mich um und sah direkt in Cains leicht lächelndes Gesicht.
Ich konnte nichts dagegen machen, aber unwillkürlich verzogen sich meine Lippen ebenfalls zu einem Lächeln, dann sah ich auf die Teesorte, auf die Cain zeigte.
„Classical Christmas“
Ich schmunzelte und sah zurück zu Cain der nun eine der Dosen aus dem Regal nahm und mich dann wieder anlächelte – er schien irgendwie gute Laune zu haben, das Gefühl hatte ich jedenfalls.
Schließlich atmete Cain einmal kurz aber tief mit geschlossenen Augen ein und lächelte dann, als er die Augen wieder öffnete und mich anschaute.
„Ich glaube, er wird dir schmecken. Er duftet sehr gut nach einer Mischung aus Orangen, Nelken und Zimt .“, sagte er ruhig, aber mit einem irgendwie sanften Unterton und sah mich leicht fragend an – bis mir einfiel, dass ich ja noch antworten musste.
Ich war so in Cains Mienenspiel vertieft gewesen, dass ich total vergessen hatte, dass er mich ja eigentlich um meine Meinung gefragt hatte.
„Hört sich interessant an. Ich hätte nichts dagegen, den mal auszuprobieren.“, meinte ich also und lächelte leicht entschuldigend wegen meiner Dussligkeit.
Cains Schmunzeln wurde nur etwas breiter und er nickte lächelnd, ehe er – als wäre es ganz selbstverständlich – meine Hand nahm und mich sanft zur Kasse zog.
In dem Moment fielen mir zwei Sachen auf.
Erstens hatte er eine Einkaufstasche an seinem schlanken Handgelenk baumeln und zweitens war Emily wie vom Erdboden verschluckt.
Ich war überrascht. Hatte er sie nicht mit in den Laden gebracht? Oder wartete sie draußen, bis Cain mich „abgeholt“ hatte?
Cain und ich waren jedenfalls schließlich an der Kasse angekommen und während Cain den Tee wie selbstverständlich und ohne ein Wort bezahlte, sah ich mich unauffällig nach der immerzu aufgedrehten Emily um.
Sie schien nicht in der Nähe zu sein, was mich, um ehrlich zu sein, ziemlich verwirrte.
„Einen schönen Abend, wünsche ich Ihnen noch.“
„Danke, Ihnen ebenfalls.“, erwiderte Cain freundlich und führte mich aus dem Geschäft.
Kaum hatte sich die Tür hinter uns geschlossen und kaum hatte ich erkannt, dass Emily nicht auf den Bänken saß auf denen ich sie zurückgelassen hatte, konnte ich nicht anders, ich war zu verwirrt und neugierig um nicht zu fragen.
„Wo ist Emily hin? Bist du ihr nicht begegnet?“, fragte ich irritiert und gleichzeitig beunruhigt – wenn Cain Emily nicht getroffen hatte, konnte das nichts anderes bedeuten, als dass sie „ausgebüchst“ war und nun allein ihr Unwesen trieb (mir kam unwillkürlich eine tosende Spur der Verwüstung in den Sinn, wenn ich daran dachte) – nach.
Cain unterdrückte ein Schmunzeln.
„Doch, ich bin ihr begegnet. Aber als ich zu ihr gegangen bin, hat sie nur gemeint, ich soll dich ruhig besuchen gehen und wir sollen uns Zeit lassen, damit sie allein in diesen Unterwäscheladen gehen kann. Sie war offensichtlich sehr enttäuscht, dass wir nicht mit rein wollten.“, erwiderte er mit einem schalkhaften Unterton und ich atmete erleichtert auf – wenigstens hatte Emily bescheidgesagt, wo sie zu finden sein würde.
Cain schien von meiner offensichtlichen Erleichterung erheitert zu sein, aber er sagte nichts und führte mich stumm zu den Bänken zurück, wo wir uns nebeneinander niederließen.
Es tat gut, sich mal einen Moment auszuruhen, nach der ganzen Hektik, die Emily verbreitet hatte.
Ich konnte mich endlich ein wenig entspannen, was undenkbar gewesen wäre, wenn ich allein mit Emily gewesen wäre.
Seufzend schloss ich die Augen und legte meinen Kopf in den Nacken, mit den Händen hatte ich mich rechts und links neben mir auf der Bank abgestützt, um diese Pause auszukosten. Nach so einem „Einkaufsbummel“ mit Emily war ich danach meist ziemlich fertig und reif fürs Bett – heute hielt sich das zum Glück ein wenig in Grenzen, das lag aber vielleicht auch nur daran, dass Cain dabei war und ich Emily nicht allein ausgesetzt war, dass er mir „Beistand leistete“, oder so ähnlich.
Cain sagte nichts, während ich die Augen geschlossen hatte und ich fragte mich, woran er wohl gerade dachte, aber ich behielt diese Frage für mich und öffnete schließlich nach einer Weile wieder meine Augen.
Cain hatte seine Augen ebenfalls geschlossen und sah sehr ruhig aus. Dieses Bild hatte etwas friedliches, aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass unter dieser Oberfläche irgendetwas brodelte.
Dann öffnete Cain jedoch langsam seine Augen und zog sein Handy aus seiner Manteltasche, welches in kurzen Abständen leicht vibrierte.
Er schien eine SMS bekommen zu haben, denn er nahm keinen Anruf entgegen und tippte nur ziemlich schnell auf den einzelnen Tasten des Handys herum. Wenige Augenblicke später trudelte eine neue SMS ein.
Cain zog die Augenbrauen leicht zusammen und seufzte kurz, ehe er erneut zu tippen anfing. Als die nächste Nachricht ankam, glättete sich Cains Stirn wieder und er steckte sein Handy weg, dann sah er zu mir und lächelte entschuldigend.
„Verzeihung, das war unhöflich von mir.“, meinte er, aber ich winkte nur ab.
„Nicht wirklich.“, erwiderte ich. Ich fand es zumindest nicht unhöflich von ihm. Bei anderen hätte ich es vielleicht als unhöflich erachtet, aber irgendwie machte es mir bei Cain nicht wirklich was aus.
Cain lächelte leicht und sah dann auf, aber selbst das hätte mich nicht rechzeitig auf das vorbereiten können, was als nächstes kam.
Ich wurde nach hinten gerissen und spürte einen ziemlich schweren Körper um meinen Hals hängen, während eine Hand in meinem Rücken mich davor bewahrte mir rücklings den Kopf am Boden hinter der Bank aufzuschlagen.
„Emily!!“, keuchte ich atemlos und versuchte, Emily von mir runterzudrücken, aber ich schaffte es nicht, der Winkel in dem sie auf mir hing war zu ungünstig.
Schließlich wurde sie aber von mir heruntergezogen und die Hand in meinem Rücken, die Cain gehörte, richtete mich wieder auf.
Erleichtert stellte ich fest, dass ich wieder atmen konnte, als Emily von mir runter war.
„Tut mir leid, Ally. Ich war wohl ein wenig stürmisch.“, grinste Emily verlegen und rieb sich den Hinterkopf, dann hatte sie innerhalb von Sekunden meine Hände gegriffen und grinste mich aufgeregt an.
„Aber du glaubst nicht, was mir eben passiert ist! Ich hab tatsächlich einen echt süßen Kerl kennen gelernt, der versucht hat mich anzuflirten!“, lachte sie und offensichtlich freute sie sich ziemlich darüber. Ich blinzelte verdattert.
„A... ha...“, meinte ich und aus den Augenwinkeln sah ich, wie Cain ein Lächeln unterdrückte. Irgendwas daran schien er fürchterlich lustig zu finden.
Überhaupt lächelte er den heutigen Abend öfter, als ich es je bei ihm gesehen hatte und ich wusste nicht warum, aber irgendwie freute es mich ziemlich.
Dann räusperte Cain sich allerdings und sah Emily mit hochgezogener Augenbraue an und irgendwie wusste ich, dass er jetzt auf „Strafpredigt“ umgestellt hatte.
Ich unterdrückte ein Schmunzeln, während Emily jetzt zu Cain schaute.
„Deswegen hättest du Alaine allerdings nicht so überfallen zu brauchen. Sie hätte sich ernsthaft verletzten können, hätte ich nicht neben ihr gesessen und sie vor einem Absturz bewahrt.“, meinte er und seine Stimme klang ernster, als ich es vermutet hätte.
Aber es war sinnlos Emily zu schelten, wenn sie so fröhlich war. Sie winkte ab, lachte entschuldigend und zog mich von der Bank auf die Beine.
„Tut mir leid, tut mir leid. Als Entschädigung dürft ihr beiden euch aussuchen, in welchen Laden wir als nächstes gehen.“, meinte sie grinsend.
Cain und ich seufzten synchron, dann sahen wir uns an und wie es der Zufall so wollte, fiel unser Blick anschließend auf einen Laden, der versprach interessant zu werden.
Cain und ich schienen uns einig zu sein, als wir schließlich auf den Buchladen zusteuerten und Emily uns nachtappte. Sie schien sich nicht sonderlich an unsrer Wahl zu stören, oder sie hatte sich wirklich vorgenommen sich nicht zu beklagen, als eine Art „Wiedergutmachung“.
Wir betraten also schließlich den Laden und verteilten uns ein wenig.

Der Laden war größer, als er von außen den Anschein machte und Emily schien sich sogar ernsthaft umschauen zu wollen. Ich derweil sah mich ebenfalls um, aber eher bei Büchern, die sich mit Geschichte, Religion und Legenden befassten, während Cain irgendwo in der Nähe der Sachbücher über Kunst herumschlenderte und sich dort umschaute.
Schließlich kam er jedoch zu mir, ein Buch über Skizzen im Arm, und als er sah, was für ein Buch ich in den Händen hielt, zog er skeptisch und fragend zugleich eine Augenbraue nach oben.
„Ich vergleiche nur.“, meinte ich peinlich berührt und legte hastig das Buch mit den Vampirmythen beiseite, ehe ich versuchte unschuldig zu gucken. „Aber ich stelle erfreut fest, dass du auch in dieses Klischee nicht so ganz hineinpasst, wenn man es genau betrachtet.“
Bevor Cain fragen konnte, welches andere Klischee ich denn meinte, kam Emily zurück.
„Ally! Hey, Ally, guck mal! Es gibt tatsächlich auch ein Buch von ’Interview mit einem Vampir

’! Das wusste ich gar nicht. Hätte ich das gleich gewusst, hätte ich es mir viel früher besorgt.“, meinte sie aufgedreht und hielt mir ein Taschenbuch entgegen. „Das ist aber echt ein Zufall, was? Nachdem wir doch neulich erst zusammen mit den anderen den Film gesehen haben... Vielleicht gibt’s zu den anderen Filmen auch Bücher. Oh.. ich muss sofort mal gucken!“, schwatzte Emily drauf los und wuselte mitsamt dem Taschenbuch davon und ich spürte Cains Blick auf mir ruhen.
Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich gerade irgendwie unangenehm betroffen.
„Tut mir leid, ich kann nichts dafür. Emily und ihre Familie haben mich zu einem Filmeabend eingeladen und ehe ich’s mich versah, liefen nach dem ersten Film nur noch Gruselstreifen.“, seufzte ich schließlich fast schon ein wenig kleinlaut.
Ich dachte an den Abend zurück und ließ ihn in Gedanken noch mal Revue passieren. Wieder musste ich bei dem Gedanken an die Déjà-vu-Gefühle, welche die Szene mit dem Vampir in der dunklen Gasse und später dann der Film „Interview mit einem Vampir

“ ausgelöst hatten, schaudern, schließlich seufzte ich nur wieder.
„Du brauchst dich wirklich nicht zu entschuldigen oder zu rechtfertigen, Alaine.“, meinte Cain. Er war ganz normal und freundlich. Er lächelte.
„Ich selbst wurde von Dion mehr oder weniger dazu genötigt mit ihm ebenfalls einen Gruselabend zu machen. ’Interview mit einem Vampir’

ist ein sehr schönes Drama... und die anderen Filme sind meistens ziemlich gute Komödien. Aber ich glaube, das empfinden wohl meistens nur Vampire so.“, schmunzelte er und wider Willen musste ich ebenfalls lächeln.
Dann kam allerdings Emily mit ein paar weiteren Büchern zurück und fragte uns ganz lieb, ob wir schon was gefunden hätten und vielleicht weiterziehen könnten.
Cain hatte sein Buch über Skizzen und ich zwar noch nicht wirklich etwas, stimmte aber dennoch genau wie Cain zu, dass wir gehen könnten.
Auf dem Weg zur Kasse fand ich ein kleines Büchlein über Blumenbedeutungen, welches ich mir kaufte.
Tante Ruth würde es sicher mögen – sie liebte Blumen – und damit hätte ich auch schon ein Weihnachtsgeschenk für sie.

Der nächste – und wie sich herausstellen sollte, der letzte – Laden, in den wir gingen, war ein Schuhgeschäft und irgendwie war ich froh über Emilys Wahl, denn ich brauchte ein paar neue Schuhe, was mir natürlich erst einfiel, als ich schon von Emily in den Laden geschleift worden war.
Cain lief uns beiden gemütlich hinterher und sah sich etwas um, schien aber diesmal nicht wirklich ernsthaft nach etwas zu schauen.
Emily probierte bestimmt an die zwanzig Paar Schuhe an und wollte zu jedem meine Meinung wissen, aber irgendwann sagte ich zu allen nur noch das Selbe, weil sie anfing, mir auf den Geist zu gehen.
Ich selbst fand ein Paar, das mir echt super gefiel, das einzige Problem war nur, dass ich eine Nummer größer gebraucht hätte.
Ich fragte also die Verkäuferin, ob sie noch welche hatten, aber sie bedauerte, meinte aber, dass sie, wenn ich wollte, sofort welche in meiner Größe bestellen könne.
Ich nahm das Angebot dankend an und in zwei Wochen würde ich dann meine neuen Schuhe abholen kommen können.
Cain saß während des Schuhbummels die meiste Zeit auf einem der Stühle und blätterte schmunzelnd in dem Buch über Skizzen, welches er gekauft hatte – es war offensichtlich, dass der Schuhkauf ihn nicht sonderlich interessierte, aber ich konnte es ihm auch nicht verübeln.
Es war überhaupt erstaunlich, dass er den ganzen vorigen Einkaufsbummel über so tapfer durchgehalten hatte, ohne sich zu beklagen oder gelangweilt zu sein.
Normalerweise war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass Männer sich nicht mindestens langweilten.
Was das anging, hatte ich wohl eindeutig zu viel von meinem Dad abbekommen, denn mir selbst ging der ganze Einkaufsbummel mehr als einmal auch ziemlich auf den Geist. Ich war einfach nicht der Typ Mädchen, der freiwillig und mit ganzem Herzen mehrere Stunden in einem Kaufhaus verbringen konnte.

Nachdem wir schließlich jedoch auch endlich im Schuhgeschäft fertig waren, wollte Emily uns eigentlich in ein Bistro schleifen, aber darauf hatte ich nicht sonderlich Lust und Cain schien mir zuzustimmen. Vielleicht lag es bei ihm auch einfach daran, dass die meisten Bistros hier in der Gegend keine Suppen oder Ähnliches anboten, da er sich ja eigentlich nur flüssig ernährte – oder ernähren konnte.
Mehr oder weniger einstimmig – wohl eher weniger, Emily zählte immerhin für eine ganze Mehrheit – beschlossen wir also, den Einkaufsbummel zu beenden und machten uns mit unseren Errungenschaften auf den Weg aus dem Kaufhaus und zum Parkhaus, in welchem Cain geparkt hatte.
Emily fluchte mehr als einmal über die Kälte und lief schon ziemlich voraus, während Cain und ich ihr recht gemütlich hinterherliefen und versuchten, die Kälte zu ignorieren – was mir wahrscheinlich schwerer fiel als Cain, immerhin ließ der sich ja nicht mal von der Hitze eines Backofens beeindrucken, da würde ihm so ein bisschen Winter sicher auch nichts anhaben.
Wir erreichten das Parkhaus und fanden ohne Suche – Cain schien sich nicht mal orientieren zu müssen – den Sportwagen wieder, welchen Cain mit einem Knopfdruck aufschloss. Emily verstaute ihre vielen Taschen im Kofferraum, während ich mein Büchlein einfach in meine Handtasche gesteckt hatte und mich wieder neben Cain auf die Beifahrerseite setzte, welcher seine CD, sein Skizzenbuch, das in der Tüte mit Künstlerbedarf steckte, und die Teedose einfach neben Emily auf die Rückbank gelegt hatte und nun auf der Fahrerseite einstieg. Seine Handschuhe hatte er – soweit ich das mitbekommen hatte – in seine Jackentasche gesteckt.
Cain startete also den Motor und parkte aus, um anschließend auf den etwas dicht befahrenen Straßen der Innenstadt dem Trubel zu entkommen und schließlich auf den ruhigeren Straßen einzubiegen.
Nicht lange danach stand er bereits – da Emily wie immer drängelte ohne Ende, damit er schneller fuhr – vor Emilys Haus und öffnete Emily den Kofferraum.
Diese stieg aus und verabschiedete sich mit einer Umarmung von uns beiden und beteuerte, wie toll der Einkaufsbummel gewesen sei, ehe sie mit ihren tausend Taschen nach drinnen verschwand und uns zurückließ.
Wir schmunzelten über Emily – ich war doch irgendwie überrascht gewesen, dass Cain sich von ihr hatte umarmen lassen, aber scheinbar wollte er keine „Aufmerksamkeit“ auf sich richten, indem er es verweigerte – und stiegen wieder ins Auto, nachdem Cain den Kofferraum wieder geschlossen hatte.
Danach fuhr Cain in seinem gemächlicheren Tempo zurück zu mir nach Hause, wobei wir – wie in letzter Zeit immer – am Vampirviertel vorbeikamen.
Wieder waren dort dutzende farbige Augenpaare, welche nach und nach aufleuchteten und sich schließlich wieder auflösten, aber diesmal geriet ich nicht so sehr in Schrecken wie das letzte mal, denn diesmal waren die violetten Augen, welche mich beruhigt hatten, direkt neben mir und ich wusste, dass ich in Cains Anwesenheit in Sicherheit war.
Cain sah zu mir und lächelte kurz leicht, als er bemerkte, dass ich ruhig blieb, ehe er sich wieder der Windschutzscheibe zuwandte und weiterfuhr.
Wir ließen also das Vampirviertel nach und nach hinter uns und schließlich bogen wir in meine Straße ein, wo Cain vor dem Haus den Wagen anhielt und den Schlüssel aus der Zündung zog.
Er stieg aus dem Wagen, aber bevor er auf meiner Seite ankam, um mir – Gentleman, wie er nun mal war – die Tür zu öffnen, war ich bereits ausgestiegen und zog meine Handtasche hinter mir aus dem Wagen, ehe ich die Tür zuschlug.
Cain begleitete mich noch zur Haustür, welche ich aufschloss und aufstieß.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich kurz mit dir reinkomme? Ich hatte deiner Mutter schließlich versprochen, dass ich wiederkomme und vorhin habe ich ja nur draußen gewartet.“, fragte Cain mit seiner angenehmen Stimme und sah mich leicht fragend und mit ein wenig hochgezogenen Mundwinkeln an.
Ich schmunzelte.
„Nein, natürlich hab ich nichts dagegen. Die anderen werden sich sicher freuen.“, erwiderte ich, verschwieg aber, dass ich mich selbst auch irgendwie freute.
Cain lächelte und betrat schließlich mit mir das Haus, wir legten unsere Mäntel ab und hängten sie auf, während ich bereits rief: „Ich bin wieder da! Und ich hab Cain mitgebracht.“
Laila kam aus dem Wohnzimmer und knuddelte Cain und mich begrüßend – manchmal war sie doch irgendwie ziemlich anhänglich – und ich lachte leise über ihre Begeisterung und erwiderte die Umarmung, ehe ich meine Stiefel auszog und dann mit Cain und Laila weiter nach drinnen ging.
Cain schien immer noch seine gute Laune zu haben, denn er erwiderte Lailas Umarmung ebenfalls schmunzelnd und ging dann mit mir und meiner kleinen Schwester ins Wohnzimmer.
Dad saß neben Mum und drehte sich ganz zu uns um, während Mum sich nur kurz zu uns umwandte und uns grinsend begrüßte – sie schien ebenfalls gute Laune zu haben.
„Hey, ihr beiden.“, meinte Dad und er lächelte mich leicht an. „Ich glaube, ich habe gute Neuigkeiten für dich, Alaine.“
Ich blieb stehen, wartete misstrauisch.
„Gute Neuigkeiten?“, fragte ich nach, denn ich konnte mir nicht vorstellen, was Dad grade meinte.
Er lächelte und nickte, blieb zu uns gedreht sitzen und wandte dem Film, der im Fernsehen lief und von dem Mum den Ton ausgestellt hatte, als sie uns kommen gehört hatte, den Rücken zu.
„Grandpa hat vorhin angerufen. Er meinte, er hat noch ein oder zwei Termine, denen er nach dem ersten Dezember nachkommen muss, deshalb hat er sein Ankunftsdatum etwas verschoben. Ich hole ihn, statt am ersten Dezember, am siebten ab.“
Am siebten

!?!

Impressum

Texte: © Bild- und Textcopyright by Astelle/Carolin R.
Tag der Veröffentlichung: 26.08.2009

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