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er Weihnachtsschimmel



In einem alten kleinen Waisenhaus mit dem Namen "St. Niklaus" lebte ein kleines Waisenkind namens "Ronja".
Als Kind ohne Eltern hatte Ronja gelernt das gerade zu
Weihnachten viele kinderlose Eltern in das Heim kamen um sich nach einem kleinen Mädchen oder einem kleinen Buben umzuschauen. Und wie jedes Jahr verließen
auch zu dieser Weihnachtszeit viele Waisen das Heim "St. Nikolaus."
Ronja war nicht besonders groß. Sie fiel auch nicht besonders auf und so bemerkte keiner ihre kleinen, dunklen, braunen Kulleraugen. Auch nicht ihre zarten Sommersprossen, die sich von einem Ohr zum Anderen über die kleine Stupsnase zogen und einem Sternenstaub-
schweif glichen. Ihre Haare waren braun und schulterlang zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Auch an diesem Tag, der Tag vor Weihnachten fand der letzte Elterntag statt. So nannten die Kinder von "St. Niklaus" den Tag,
an denen einige der Waisen von neuen Eltern adoptiert wurden. Und wieder reihten sich alle Kinder auf, in der Hoffnung ein Neues zu Hause zu finden.
Auch Ronja hatte sich besonders schön gemacht. Sie hatte ein goldenes Lamettaband, dass sie bei dem Weihnachtsbaumschmuck gefunden hatte, in ihr Haar gebunden und hoffte, dass auch sie einmal das Glück auf neue Eltern hat. Doch wie jedes Jahr kamen ihr andere Kinder zuvor.
Sie zog sich dann wie immer zurück an das kleine Kamin-
fenster und malte an die von ihr angehauchte kleine Scheibe. "Eins, ... zwei, ... drei ... und der Große stammelte sie traurig vor sich hin." Wobei sich in ihren großen Kulleraugen zwei große, dicke Wassertränen bildeten.
Und wie jedes Mal befand sich auch Pater Alfred unter den Eltern. Ein besonders, alter, liebenswerter, stark unter- setzter Mönch. Ronja mochte ihn sehr. Er hatte eine sanfte, beruhigende Stimme und eine dunkelbraune Kutte an. In seinen Ärmeln brachte er Ronja wie jedes Jahr vor Weihnachten eine Nascherei oder ein kleines Geschenk mit, wenn Elterntag war.

So auch an diesem Abend, als Pater Alfred wieder Ronja am Kaminfenster in die traurigen wässrigen Augen sah. Er zog ganz vorsichtig ein kleines, weißes Holzpferdchen hervor.
"Das ist ein weißer Weihnachtsschimmel Ronja. Den hab ich auf dem Weihnachtsmarkt unten im Dorf für dich gekauft."
Schon plumpsten Ronjas Tränen auf Pater Alfreds Kutte. So schnell fiel sie ihm vor Freude um den Hals.
"Du hast ja Sterne gemalt." sagte Pater Alfred. "Erklärst du mir, wofür die Sterne stehen?"
"Ja, ... eins ... der steht für Kasper, ... zwei ... der steht für Melchior, ... drei ... der steht für Balthasar ..." erzählte Ronja und zeigte dabei mit ihren kleinen Fingern auf jedes der Sterne.
"... Und dieser, der große Stern, der steht für das kleine Christus Kind."
Dann wurde Ronja wieder traurig. Hatte doch das Christuskind eine Familie. Einen Vater und eine Mutter. Und war doch Weihnachten gerade um diese Zeit ein Fest der Freude, Liebe und der Familie.

Aber schnell drückte sie dann den Pater Alfred.
"Pater Alfred, ... du bist der aller, allerliebste Mensch
auf der Welt."
Noch am gleichen Abend, kurz, nachdem auch die letzten Eltern "St. Niklaus" verlassen hatten, blieb noch gerade mal ein Dutzend Buben und die kleine Ronja zurück im Waisen-
haus. Mit ihnen machte sich Pater Alfred ans Werk. Um wie jedes Jahr einen großen Weihnachtsbaum in der großen Empfangshalle zu schmücken. Doch diesmal nahm er die kleine Ronja an die Hand und drückte ihr den großen Stern in die Hand.
"Diesmal darfst du den heiligen Stern oben am Weihnachtsbaum anbringen."
Ronja strahlte und gab vor lauter Freude Pater Alfred einen Kuss. Dann kletterte sie auf die dicken, breiten und stämmigen Schultern von Pater Alfred und platzierte den Stern so gut, dass alle Kinder ihn von allen Seiten bestaunen konnten.
Erst am späten Abend war auch das letzte Lametta am Weihnachtsbaum angebracht und müde von der großen Aufregung an diesem Tage nahm Ronja ihren kleinen weißen Weihnachtsschimmel und verschwand zum Schlafen in ihr altes, bekanntes Bett.
Ihren Weihnachtsschimmel aber stellte sie behutsam auf das kleine Tischchen neben ihrem Bett, auf dem auch ihr alter Wecker seine Dienste verrichtete ab und schlief ein.
Zum ersten Mal wurde sie von ihrem Wecker um Schlag zwölf geweckt und als ihre Kulleraugen zum Nachttisch blickten, stand dort eine strahlend weißer Schimmel mit Engelsflügeln. Er zog ihre Decke weg und mit einem Nasenstups landete Ronja auf dem Rücken des Weih-
nachtsschimmels.
Noch ehe Ronja den Mund aufmachen konnte und sie ritt mit dem Weihnachtsschimmel auf den Weihnachtsbaum spiralenförmig immer und immer höher hinauf bis zu dem großen Weihnachtsstern. Dort hielt der Weihnachts-
schimmel. Ronja traute sich nicht zu bewegen und so wurde sie, ehe sie sich versah, von einem weichen Pferdemaul sanft vom Rücken gezogen.
Und gerade als sie sich aufgerichtet hatte, bekam sie auch noch einen sanften Schups von dem Weihnachtsschimmel.
Unter dem großen Stern sah Ronja ein kleines weißes Licht, das immer und immer näher kam und schließlich erkannte sie einen kleinen Engel.
"Bist du die kleine Ronja?" fragte der Engel
"Ja" sagte Ronja und wurde immer kleiner. "Du darfst dir etwas ganz Besonderes wünschen! Aber gib acht, nur diesen einen Wunsch kann ich dir erfüllen, denn Pater Alfred hat mich gebeten, einen deiner Wünsche zu erfüllen!"
Ronja brauchte nicht lange zu überlegen... .
"Eine Familie, ich wünsche mir nichts mehr als eine Familie." Dann wurde Ronja abermals vom Weihnachtsschimmel durch die Luft geworfen und landete weich auf dessen Rücken. Noch bevor die Uhr 3/4 eins geschlagen hatte, befand sich Ronja in ihrem alten Bett und neben ihr stand der kleine, weiße Weihnachtsschimmel auf dem kleinen Tisch neben ihrem alten Wecker, der wie immer ein leises "... tick" und dann ein leises "... tack" verlauten ließ.
Als der heilige Abend immer näher rückte, betraten die Kinder den großen Saal. Alles strahlte im hellen Lichter- glanz.
Alle Kinderaugen funkelten und selbst Ronja freute sich auf diesen heiligen Abend.
Sie hatte doch ihren kleinen weißen Weihnachtsschimmel von Pater Alfred unter ihren kleinen Armen ganz fest umklammert.
"Da sieh nur kleiner Schimmel das ist das schönste Weihnachtsfest, findest du nicht auch? Und da oben der große Stern, das ist der Stern von Betlehem."
In diesem Moment schellte die Hausglocke und Pater Alfred kam mit einem Elternteil.
Sie suchten ein kleines Mädchen. Doch außer Ronja gab es in St. Niklaus am heiligen Abend nur ein Dutzend Buben und so ging dann doch noch der Wunsch von der kleinen Ronja in Erfüllung.
Heilig Abend ein Fest der Freude, Liebe und der Familie... .

Impressum

Texte: Zeichnung (c) Birgit Heyen
Tag der Veröffentlichung: 16.12.2008

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