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Zur Asche, mit dem Sündenpool!

Dunkel und bedrohlich flammte die schwarze Aura auf, strich über die fahle Haut des Dämons, wie eine scharfe Klinge über die Haut eines weichen Pfirsichs.

Casius sprang zurück, die stumpfen Augen weit aufgerissen »Du musst es tun! Belial befielt es!«

»Belial,« verächtlich spuckte sie jenen Namen, wie ein übel schmeckendes Bonbon aus. »Er ist nicht Leviathan.« Nur er konnte ihr etwas befehlen. Leviathan allein besaß die Macht über die Höllenhunde. Alle übrigen Fürsten glaubten dies nur.

»Halycon.« Schnurrend näherte er sich wieder »Du hast keine Wahl. Belial wird dich ihm ausliefern, dich verraten. Leviathan hasst abtrünnige Köter.«

Das war nichts Neues. Halycon kannte die Konsequenzen, die es bedeutete sich Leviathan zu entziehen. Doch die Verlockungen der Menschenwelt zogen sie unaufhörlich immer wieder fort. Die ganzen tollen Erfindungen wie Kaffee, Eis oder Talkshow´s verführten sie aus der Langeweile der Hölle auszubrechen und sich hier zu amüsieren.

»Dann ist es vorbei mit all den hübschen Dingen hier oben. Ich denke das liegt weder in deinem noch in meinem Interesse. Ich mag die Menschenwelt, wirklich, hier ist es sehr viel interessanter als dort unten.« Der Dämon vermied es auf den Boden zu deuten. Obwohl dies zu den gängigsten Gesten den Ort der Hölle zu beschreiben gehörte befand sie sich nicht unter der Erde, wie es sich die meisten Menschen vorstellten. Sie war einfach nur eine andere Ebene, verschmolzen mit dieser Welt, genauso wie die andere Seite. »Du musst das Feuer der Himmel abhalten die Menschen zu rösten! Sind doch nur ein paar Stunden. Ein kleiner Preis, für all die hübschen Dinge hier.«

»des Himmels,« korrigierte sie ihn sogleich. Noch schlimmer als niedere Dämonen waren nur ihre Sprachfehler.

»Nein, nein, nein!« Die Arme weit von sich gesteckt blickte er gen Himmel. »DER Himmel. Als Höllenköter scheinst nicht gerade kreativ. Der Zuhause ist ein anderer als hier, und denk doch nur an die ganzen anderen Eben. Alle unterschiedlich. Nur das Feuer ist das gleiche. Weiß doch jeder Troll.«

»Was bildest du Wicht dir ein?« Zähnefletschend spannte Halycon ihren Körper an. Selbst unter ihrer harmlos erscheinenden Hülle lies sich ihre Kraft und ihre Überlegenheit Casius gegenüber erahnen. Nur noch eine weitere Beleidigung und ihr Geduldsfaden riss. Zuviel Zeit verschwendete sie schon an ihn. »Ausgerechnet ein Höllenhund soll das Himmelsfeuer davon abhalten die Menschen nicht zu vernichten?« Halycon erschauderte bei dem Gedanken sich mit dem Licht eines solch leuchtenden Ding zu beflecken. Selbst Leviathan schreckte vor solchen Bestrafungen zurück. Und nun wollte man sie dazu zwingen. »Beliar, hofft auf eine schnelle Vernichtung?« Himmel und Hölle konnte einfach nicht zusammen funktionieren. Das war so als versuche man Feuer unter einem Wasserfall zu entzünden.

»Nein.« Casius blickte ernst drein »Tu es einfach.« Bei Misserfolg stand er auf der Liste der zu bestrafenden Personen direkt hinter ihr, an zweiter Stelle.

»Aber das Schlechte an ihnen macht mir Freude, wie soll ich dieses Feuerding dazu bringen sich zu benehmen? Können die Menschen dies nicht selber tun?«

Verächtlich hoben sich seine buschigen grauen Augenbrauen in die Höhe »Sie haben alle einen Tunnelblick. Für die Menschen gibt es nur sie und nichts anderes. Das würde nur in einer Massenpanik enden.«

Halycon lächelte »Das wäre unterhaltsam.«

»Sei nicht so egoistisch. Du musst es tun oder du gehst zurück in die Hölle und fristest dort ein langweiliges Leben ganz ohne die angenehmen Erfindungen der Menschen. Leviathan interessiert es bestimmt brennend, wo sich sein abtrünniger Köter versteckt.«

»Du drohst mir?«

Casius schluckte »Es ist doch nur ein Tag, mehr nicht. Ich schwöre dir niemand wird dich danach mehr belästigen, dafür werde ich sorgen. Beliar wird dafür sorgen.«

Was blieb ihr schon anderes übrig? Sie verehrte Leviathan als ihren Fürst, doch zurück in die Hölle um dort Tag aus, Tag ein nur Seelen zu quälen wollte sie nicht. Genervt und angespannt nickte sie zustimmend bevor sie Casius die Türe vor der Knollennase zuschlug.

 

 ***

 

Auf einem Feld außerhalb der Stadt stand sie nun und wartete auf das Erscheinen des Wesen, welches nach diesem Tag darüber entschied, ob die Menschen es wert waren weitere tausend Jahre existieren zu dürfen. Das Halycon fest daran glaubte, dass die Menschen sich spätestens in zwei Jahrhunderten selber ausrotteten spielte dabei keine Rolle. Hauptsache sie musste nicht zurück in die Hölle und konnte sich weiter an den Sünden und Erfindungen der Menschenwelt erfreuen.

Der kleine Zeiger ihrer Uhr wanderte unaufhaltsam auf die Acht zu und noch immer lies sich dieses verflixte Himmelsfeuer nicht blicken. Sogar die Sonne begann bereits auf zugehen und die Welt um sie herum in rot-goldenes Licht zu tauchen.

»Noch eine halbe Stunde und ich bin weg.« Den letzten Schluck Kaffee aus ihrer Thermosflasche ließ sie genüsslich auf der Zunge zergehen. Bis zur Stadt brauchte sie eine Stunde und in der Zeit gab es keinen Kaffee, nicht einmal eine Tankstelle, an welcher sie sich für den Heimweg hätte eindecken können. Casius konnte was erleben, wenn sie ihn in die Pfoten bekam. Niemand machte sich über einen Höllenhund ungestraft lustig. Und dies, so glaubte sie, machte er sich. Himmel und Hölle, so ein Blödsinn. Beides konnte einfach nicht miteinander.

Unerwartet zogen sich die wenigen Schleierwolken am Himmel zu einer einzigen, dunkel und hoch über dem Feld ragenden Wolke zusammen. Knurrend donnerte es über Halycon auf. Erschrocken zuckte sie zusammen und sah zurück zu ihrem Kleinwagen. Sie hasste Gewitter, wenn es in der Hölle donnerte bekam sie meistens Schläge oder Tritte ab, so dass sie sich am liebsten jedes Mal verkroch. Doch dieses Mal zwang sie sich stehen zu bleiben. Was dachte dieses Himmelswesen bloß von ihr würde sie sich, als Höllenhund, in ihrem Wagen verkriechen. Damit würde sie alle Höllenbewohner gleich auf einen Schlag mit lächerlich machen.

Es knallte und nur wenige Meter vor ihr schlug ein Blitz in den Boden. Vom grellen Licht geblendet taumelte sie zurück, hunderte bunter Punkte tanzten ihr vor Augen.

Dort wo der Blitz einschlug qualmte der Boden, verpestete die Luft mit dem Gestank nach verbrannter Erde und Gras. Und mittendrin stand er. Schlank, hochgewachsen und in einem Hemd gekleidet, welches direkt aus einem Museum stammen musste. Hochmütig sah er sie an, als sei sie nur eine kleine lästige Laus, die es zu zerquetschen galt »Ich bin Pyrois und du wirst mir zeigen warum diese Welt eine weiter Chance verdient hat.«

Stöhnend rieb sie sich die Augen, sie musste sich zusammenreißen. »Also gut, ich bin Halycon und wenn ihr mir sagt was ihr sehen wollte, dann werde ich es euch zeigen.« Sie würde ihm genau das zeigen was er sehen wollte. Nicht mehr und nicht weniger. Wieso sollte sie sich auch mehr Arbeit als nötig mit diesem Rotschopf machen?

»Ich will sehen warum sie es wert sind weiter leben zu dürfen.« Pyrois warf das lange Haar über seine Schulter zurück.

Halycon´s Mund verzog sich zu einer schmalen Linie. Ausgerechnet dies sollte sie ihm zeigen? Dabei kannte sie, was die Menschen anging, nur Argumente gegen sie und nicht für sie. »Sie stellen viele tolle Sachen her, wie Eiscreme oder Kaffee.« Schwache Argumente gegen die Vernichtung der Menschen, dennoch besser als gar nichts.

»Wo ist die Kutsche?« Weit ausholend schritt er an ihr vorbei »Ist sie das?«

»Kutsche fährt heutzutage keiner mehr.« Vorsichtig näherte Halycon sich ihm und wartete darauf, dass das Licht, welches in jedem Himmelswesen innewohnte, aus ihm heraus brach und sich über sie ergoss, wie klebriges Karamell über Vanilleeis. Doch nichts tat sich, kein überirdisches Licht besudelte sie, sehr merkwürdig.

Es blieb ihr nicht viel Zeit sich darüber zu wundern. Pyrois umkreiste bereits prüfend den Wagen.

 »Auch eine tolle Erfindung der Menschen. Ihr steigt auf der anderen Seite ein und ich fahre.«

Sorgfältig verfolgte Pyrois die Linien des gelben Kleinwagens mit seinem Blick. Er traute dem Gefährt nicht.

Als habe er Angst die Haube würde aufgehen und ihn verschlingen, kicherte Halycon vor sich her, vertrieb dieses Bild jedoch gleich wieder aus ihren Gedanken. Der Tag sollte ihm gefallen und nicht ihr. Um das einsteigen etwas zu beschleunigen öffnete sie ihm die Beifahrertüre »Steigt ein oder wollt ihr den ganzen Tag damit verbringen das Auto anzustarren.«

Ein Blick, einen Peitschenhieb gleich, traf sie, bevor er widerstandslos auf den Sitz kletterte.

Schwungvoll knallte sie die Türe zu, nicht ohne zu bemerken wie er zusammenzuckte. Recht so. Sie erklärte sich bereit ihn davon abzuhalten alles in Schutt und Asche zu verwandeln und nicht dazu sich von diesem überheblichen Feuersalamander herum schikanieren zu lassen. Er sollte es bloß nicht zu weit treiben, selbst ihre Geduld reichte nur für ein kleines Stück des Weges. Halycon klemmte sich hinter das Lenkrad »Ihr müsst euch anschnallen. Sonst könntet ihr bei einem Aufprall aus der Scheibe fliegen.«

»So etwas brauche ich nicht. Ich bin unsterblich.« Mit jenen Worten lehnte er sich zurück und betrachtete die Knöpfe des CD-Spielers.

»Ich bin unsterblich, so etwas brauche ich nicht,«  äffte sie ihn in leise nach und beugte sich über ihn. »Ob ihr wollt oder nicht, wenn ihr euch nicht anschnallt fahr ich nirgendwo mit euch hin.« Sie angelte nach die Schnalle des Gurtes. So nah an Pyrois kam sich nicht daran vorbei seinen Geruch tief in sich aufzunehmen. Er roch nach verbranntem Holz und etwas rauem, primitiven, welches sie an Vieh erinnerte.

Pyrois zupfte am Gurt quer über seiner Brust herum, sein Blick sprach deutlich von seinem Unmut.

Entschlossen sich nicht daran zu stören zog auch sie den Gurt zur Schnalle. Ein Unfall würde sie zwar nicht töten, dennoch sehr wehtun.

»Wo sind die Pferde die den Wagen ziehen?« Suchend blickte Pyrois sich um. Diese Art der Fortbewegung war für ihn völlig neu.

»Im Motor.«

»Im Motor? Wo ist der?«

Halycon war die Letzte, welche ihm erklären konnte wie das mit dem Motor funktionierte. Wenn man sie fragen würde, ob sie sich überhaupt für diese Art der Technik interessierte erhielte man ein klares Nein. Wieso sollte sie sich mit solch komplizierten Dingen abgeben, wo es doch interessanteres gab. »Er ist in der Haube versteckt und nein ihr könnt ihn euch nicht anschauen.«

»Wieso nicht?«

»Weil man ihn nicht anschauen darf. Und jetzt hört auf mich deswegen zu löchern. Sagt mir lieber was ihr als ehrenvoll haltet, damit ich es euch zeigen kann«

»Ihr Verhalten untereinander.« Pyrois musterte ihr Profil »Du lebst unter ihnen, also wirst du es mir zeigen können.«

»Da kann man ja gleich die Erde näher zur Sonne schubsen,« murmelte sie vor sich her. Alle ihre Gedanken kreisten darum, wo sie ihn bloß hinbringen könnte, um ihn von seinem Plan abzubringen. Ihr blieb mindestens eine Stunde, um sich etwas Sinnvolles auszudenken.

Wo gab es glückliche Menschen, die auch noch gut miteinander umgingen? Der Zoo vielleicht, dort gab es viele Welpen, welche als besonders rein galten. Allerdings gab es dort auch viele Tiere, welche nicht unbedingt gut auf sie zu sprechen waren.

Oder in den Park, obwohl dort trieben sich viele Sünder herum. Dort gab es nur Schlechtes für ihn zu sehen. Halycon warf Pyrois einen Seitenblick zu. Ganz ruhig saß er da und sah nachdenklich aus dem Fenster. Vielleicht sollte sie es von einer anderen Seite angehen. »Worauf habt ihr denn Lust? Ganz unabhängig von der Wenn-der-Tag-mir-nicht-gefällt-vernichte-ich-euch-alle-Sache?«

»Ich bin nicht zum Vergnügen hier.«

»Das weiß ich, ich meine nur man kann das Vergnügen auch mit etwas nützlichem verbinden. Die nächste Chance erhaltet ihr erst in tausend Jahren wieder.«

Pyrois schwieg.

Seufzend schüttelte sie den Kopf. Wieso musste er die Sache so kompliziert machen? »Habt ihr schon einmal Eis probiert? Eher nicht, als Feuer stell ich mir das schwer vor, es schmilzt ja alles bevor ihr überhaupt einmal daran lecken könnt.«

»Eis? Es ist Sommer, zu dieser Zeit fällt kein Schnee und es lagert sich auch kein Frost am Boden ab.«

»Nicht das Eis, welches ihr kennt. Es ist eine Süßigkeit der Menschen, es schmeckt wirklich gut und es gibt sie in jeder Jahreszeit.« In ihrem Kopf klickte es. Sie würde mit diesem Feuerfrosch einfach in die Eisdiele bei ihr um die Ecke fahren. Wenn er sich erst einmal durch das Sortiment probierte vergaß er bestimmt seine dämliche Aufgabe.

»Eis zu jeder Jahreszeit? Zeig es mir!« Sein Interesse entflammte wie ein Papiertaschentusch im Kamin. Pyrois sonst so ausdrucksloses Gesicht hellte auf und sogar um seine Mundwinkel begann es verräterisch zu zucken.

Endlich traf sie den richtigen Ton.

 

 ***

 

Halycon führte ihn zu ihrer Lieblingseisdiele, ganz in der Nähe ihres Heimes. »Hier gibt es das beste Eis der Stadt.« Vor der kleinen Eisdiele ließen sie sich auf die weichen, bereits verschlissenen Kissenbezüge der Korkstühle nieder.

»Hier ist es gar nicht kalt,« bemerkte Pyrois eifrig nach etwas frostigem Ausschau haltend.

»Keine Sorge, dass wird es schon noch. Hey, Jimmy,« sie winkte den pickeligem Kellner an den Tisch »bring uns von jedem Eis ein Bällchen, aber in einzelnen Schalen.«

»Von jedem?« Jimmy´s Augen weiteten sich »Sie wollen die ganzen einundzwanzig Eissorten probieren?«

»Mach hinne. Und bring mir einen Kaffee mit,« rief sie dem Kerl nach, als er hinein eilte.

»Du bist unfreundlich.« Die Ellenbogen auf der Marmorplatten abgestützt sah Pyrois tadelnd zu ihr hinüber.

»Bin ich euer erster Höllenhund?« Unfreundlich? Sie? Von wegen, für eine Bestie benahm sie sich unter den Menschen sogar ziemlich zivilisiert.

»Wieso bist du so?«

Wieso sie so war wie sie war? Was für eine dumme Frage. »Man sollte meinen ihr wärt klüger. Solch eine Frage stellt man niemandem aus der Hölle.«

»Oh, entschuldige ich vergaß. Ihr Höllenbestien seid die Krönung allen Lebens.« Spottend verzog er die Lippen.

Halycon´s Hände ballten sich unter der Tischplatte zu Fäusten. Ganz ruhig, wiederholte sie stumm. Ging sie ihm an die Gurgel war es vorbei mit dem schönen Leben. »Man würde uns nicht fürchten wären wir nett und freundlich.«

»Ihr lebt lieber alle in Sünde.«

»Das ist nichts Schlechtes, ihr denunziert es nur als solches.«

Ihr Gespräch wurde vom Kellner unterbrochen. Hastig platzierte er die ersten fünf Schälchen in der Mitte des Tisches »Die nächsten kommen gleich.«

Dies ging ihr alles viel zu langsam, ruppig entriss Halycon ihm die Löffel und entließ ihn mit einem Handzeichen, welches dem verjagen einer lästigen Fliege glich. Zuversichtlich schob sie Pyrois die erste Schale hin »Meine Lieblingssorte, Vanille.«

Misstrauisch stocherte er mit dem Löffel in der weichen Masse herum »Das sieht nicht wie Eis aus.«

Stark ausatmend schüttelte sie den Kopf »Es besteht ja auch nicht aus Schnee, sondern Sahne, Milch und Gewürzen oder Früchten. Oder so ähnlich und jetzt probiert bevor es weg schmilzt.«

»Wenn es mir nicht schmeckt.«

»Ja, ja, ich weiß schon, dann macht ihr die Menschen platt. Jetzt seid nicht so stur und esst.« Immer noch misstrauisch führte er den ersten Löffel zu seinem Mund. Völlig auf den Geschmack konzentriert schloss Pyrois die Augen und ließ sie warten. »Das ist gut,« schon schob er sich einen zweiten Löffel zwischen die Lippen.

Wenn er sich den ganzen Tag mit dem Eis beschäftigen würde konnte dies nur ein Erfolg werden. Zufrieden lehnte Halycon sich zurück. All das schlechte an den Menschen, welches sie so schätzte würde ihm verborgen bleiben. Ein wirklich genialer Schachzug.

So probierte Pyrois sich durch die unterschiedlichen Eissorten während sie ihren Kaffee trank und ihm zusah. Eine Frage jedoch brannte ihr seid dem Morgen auf den Lippen und musste nun raus. Auch wenn sie Gefahr lief ihn an seine Aufgabe zu erinnern. »Ich will wissen warum ihr über die Zerstörung der Menschen entscheidet. Ihr seid kein Gott, dessen Strafe sie fürchten müssten.«

Sein Löffel sank nieder. »Es ist meine Bestimmung. Bereits vor meiner Erschaffung stand dies fest und dies wird es auch bleiben bis ich zerstört werde.«

»Ihr handelt also nur so, weil es euch aufgetragen wurde? Egal ob es euch gefällt oder nicht?«

»Ja, aber du darfst nicht denken, dass mir meine Aufgabe nicht gefällt. Das tut es, sehr sogar. Ich kann mir nichts anderes vorstellen.«

»Das ist wahrscheinlich auch schwer, wenn man nur alle tausend Jahre einmal auf die Erde kommt.« Ob sie wohl genauso denken würde, wenn sie überhaupt keinen oder nur sehr wenig Kontakt mit den Menschen hätte?

»Du magst deine Bestimmung nicht?« Pyrois schob das Eis von sich.

Halycon betrachtet einen weiblichen Welpen. Sie saß auf dem Asphalt und malte mit einem Stück roter Kreide lauter kleiner Sonnen auf den Boden. »Doch, aber manchmal zieht es mich davon. Immer nur Sünder zu quälen wird nach einiger Zeit sehr langweilig.«

»Du kannst deiner Bestimmung vielleicht davonlaufen, doch sie wird immer ein Teil von dir sein. Sie lässt sich nicht wie eine Hülle ablegen.«

»Und wenn meine Bestimmung eine Andere ist?«

»Halycon, du musst dich deiner Aufgabe stellen.«

»So finde ich aber nicht heraus, ob meine Bestimmung vielleicht eine andere ist.« Es musste mehr als nur dies geben. Es gab immer mehr.

»Irgendwann wirst du es verstehen. Vielleicht glaubst du jetzt noch deine Bestimmung ist eine andere als in der Hölle Seelen zu quälen, aber so ist es nicht. Jeder von uns hat seinen festen Platz im Leben.«

»Aber weiche ich nicht schon von meiner Bestimmung ab indem ich euch davon abzuhalten versuche die Menschen zu vernichten? Dabei wäre es doch eigentlich gar nicht so schlecht für die Hölle, wenn alle Sünder endlich dort unten schmoren würden.«

»Unsere Bestimmung besteht aus vielen kleinen und großen Aufgaben. Dies hier ist nur eine davon.«

»Ihr wollt also sagen, dass ihr eigentlich eine ganz andere habt und dies hier nur so als Nebenbeschäftigung vollzieht?« Weltenzerstörer in Teilzeit, eine lustige Vorstellung.

Milde lächelte er »Wenn die Nacht dem Tag weicht geh hinaus und schau dir den Himmel an. Dann wirst du es schon wissen.«

»Ihr wollt es mir nicht sagen?«

»Nein, denn meine Aufgabe für diesen Tag ist eine andere. Alleine darauf konzentriere ich mich. Aber ich gedenke den Menschen weitere tausend Jahre zu geben.«

»Unter welcher Bedingung? Wo ist der Haken dabei?« Halycon musterte sein fein geschnittenes Gesicht. Es gab immer einen Haken und sicher gefiel ihr dieser nicht.

»Zeig mir eine einzige Nettigkeit, nur eine kleine und diese Welt wird verschont.«

Das war leicht, um sie herum wimmelte es nur so von Menschen, da würde sie doch einen finden, welcher ein wenig freundlich zu seinen Mitmenschen war.

Pyrois lachte über ihren suchenden Blick. »Du hast nicht verstanden. Ich will keine Geste der Freundlichkeit von den Menschen sehen, sondern von dir.«

»Von mir?« Sie fühlte sich, als zöge man ihr den Boden unter den Füßen weg. »Gut, das war es.« Scharrend rutschte ihr Stuhl zurück »Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, aber ihr verlangt etwa unmögliches von mir. Ich bin kein freundliches Wesen das Wert auf die Menschen legt. Ich treibe mich in dunklen Ecken herum und stifte die Menschen zum sündigen an, ich quäle ihre Seelen mit Genuss und verschlinge sie anschließend. Nettigkeit könnt ihr wirklich nicht von mir erwarten.«

»Halycon, setzt dich!« Donnernd schlug Pyrois Faust auf die Tischplatte »Willst du das wirklich alles wegwerfen?«

»Ich bin nicht freundlich,« fauchte sie. So etwas Abwegiges konnte er nicht von ihr verlangen. »Zerstört doch die Welt, ist mir egal.«

»Bleib hier!« Genauso schnell wie die Stimmung kippte stand er neben ihr und riss sie am Handgelenk herum.

Die Menschen um sie herum sahen auf und begannen über die Beiden zu tuscheln.

»Du sollst nicht zur Heiligen werden, sondern mir nur ein kleine Geste zeigen. Zeig mir, dass dir der Erhalt dieser Welt etwas bedeutet. Danach werden sich unser Wege trennen.«

»Ich bin ein Höllenhund,« jammerte sie »Ich kann so etwas nicht.«

»Doch du kannst es!« Zuversicht glänzte in seinen Augen. Trotz, dass sie direkt aus den Tiefen des Sündenpools stammte, glaubte er daran.

»Werdet ihr danach verschwinden?«

»Ja, ich werde gehen und erst in tausend Jahren zurückkehren.«

Halycon schloss die Augen. Nur eine kleine Nettigkeit, mehr nicht. Aber was?

Unweit knackte es, Kreide zerbrach. Und mit diesem Geräusch kam die Erkenntnis was zu tun war. Sie tat es nicht gerne, musste jedoch zugeben, ihr lag mehr an der Menschenwelt, als ihr lieb sein konnte. Doch für diese nette Geste, schwor sie sich, Casius leiden zu lassen. Immerhin brachte er sie in diese äußerst unangenehme Situation. Halycon riss sich von Pyrois los, fest sah sie ihm in die Augen »Du solltest mir lieber kein zweites mal begegnen.«

Ausdruckslos nickte er »Wie du wünscht. Und nun zu deiner guten Tat.«

Sie schluckte das knurren in ihrer Kehle hinab und griff nach einem der vollen Eisschälchen. Stampfend trat sie zu dem kleinen, Sonnen malendem Welpen. »Hier, kannst du haben.«

Aus großen blauen Augen sah es überrascht zu ihr auf.

»Na nimm schon!« Halycon trat auf der Stelle, wieso nahm dieser verfluchte Welpe die Schale nicht? Hilfe suchend blickte sie zu Pyrois.

Lächelnd nickte er der Kleinen zu und erst jetzt streckte sie ihre winzigen schmutzigen Finger nach dem Eis aus »Danke Tante.«

Erleichtert atmete Halycon auf, geschafft, ganz ohne das Kind anzufallen oder gar zu verschlingen. Triumphierend wandte sie sich wieder ihrem Begleiter zu »Zufrieden?«

»Du hast der Welt weitere tausend Jahre beschert. Und nun werde ich zurück in den Himmel kehren, wie du es wolltest.«

Froh den Tag überstanden ohne die Welt in den Abgrund gerissen zu haben kramte sie einen zehn Euro Schein aus der Tasche. Achtlos warf sie ihn zwischen den halb vollen und leeren Schalen auf den Tisch und folgte ihm fort von der Eisdiele und den Menschen.

 

 ***

 

»Dieser Tag war sehr angenehm, du hast mich überzeugen können. Ich würde dies gerne wiederholen.« Auf Pyrois Zügen lag ein zufriedenes Lächeln.

»In tausend Jahren bin ich beschäftigt.« Zum Beispiel damit sich als Staub über all dort festzusetzen, wo man Dreck nicht haben wollte. Selbst ein Höllenhund konnte nur von dem biblischen Eintausend träumen. Allerhöchstens erreichten sie 400 Jahre, wenn es gut lief auch 420, mehr aber nicht.

Das fuchsrote Haar wippte hin und her »Schade.«

Innerlich schüttelte sie sich, dies war der schlimmste Tag in ihrem bisherigen Leben, den würde sie sicherlich kein zweites Mal freiwillig wiederholen »Macht´s gut.«

»Nein, auf Wiedersehen. In einhundert Jahren wird die Hölle bewertet.« Lachend drehte er sich um und schritt den Bordstein entlang. Über ihn zogen sich die Wolken zusammen, einen Augenblick später knallte es und grelles Licht blendete die Umgebung. Ein großer Russfleck zierte, dort wo Pyrois zuvor noch stand, den Asphalt. Er war gegangen.

Naschen verboten!

Brummend wälzte Halycon sich auf der verschlissenen Couch. Auch, wenn die Wände in einem angenehmen und vor allem neuen Violett erstrahlten, das Mobiliar sah immer noch aus, wie vom Sperrmüll. Weder passte die rote Couch zu dem grünen Ohrensessel, noch der gelbe Küchentisch zu den weißen Stühlen. Doch im Moment war es das Beste, was sie besaß. Abgesehen von ihrem kleinem gelben Auto, dass sie während der ersten Wochen in der Menschenwelt einem Säufer abnahm.

Schnaufend drehte Halycon sich auf den Rücken und starrte die Decke an. Belial hielt zwar sein Versprechen Asri aus dem Kerker zu befreien, ihre Rückkehr jedoch stand für ihn nie wirklich zur Debatte. Es war nur ein weiterer Punkt in seinen Rankenspielen, um sie dazu zubringen das Feuer zu beaufsichtigen, ein Geschmacksanreger sozusagen. Als würde man einem hungrigem Hund ein Stückchen Seele hin und den Rest fortwerfen. Wenigstens besuchten ihre Brüder sie hin und wieder.

 »Halycon!« Bledas bellen fuhr ihr unter die Haut. In freudiger Erwartung einer Auseinandersetzung erhoben sich die kleinen hellen Härchen auf ihren Armen. Mit einem Satz sprang sie von ihrem Platz in der Sonne auf.

»Maleficton.« Es schepperte, gefolgt vom tiefen Knurren des Rüden in ihrem Bad. Bleda, aus dem ersten Wurf ihrer Mutter, stampfte mit verzerrter Mine durch den Flur. Die breiten Schultern gestrafft und den schwarzen Haarschopf in die Höhe gestreckt gab er selbst in seiner menschlichen Hülle eine eindrucksvolle Erscheinung ab. »In der Wanne liegt ein nackter Mensch.«

»Ein Imbiss. Für später.« Ihre Beute lag bäuchlings in der Badewanne und schnarchte leise, seine Kleidung lag achtlos verteilt auf dem Fliesenboden des Bades. Bei genauem Lauschen konnte sie sogar hören, wie der Sauerstoff in seine Lunge strömte und sein Brustkorb sich hob und wieder senkte. Sie mochte das Geräusch von Leben in ihrer Umgebung. Stille drückte so entsetzlich auf das Gemüt und erinnerte sie stets daran, weit weg von ihrem Rudel leben zu müssen.

»Einen Wächter? Hast du endgültgültig den Verstand verloren?« Bleda fletschte die Zähne.

»Polizist.«

»WAS?!« Unter seinem Aufschrei zuckte Halycon zusammen.

»Sie nennen sich Polizei, nicht Wächter.« Sogleich fing sie sich wieder und ermahnte sich vor Bleda keinerlei weitere Zeichen von Unsicherheit oder Zweifel zu zeigen. Trotz ihres guten Verhältnisses würde er es nutzen, um sie ihm zu unterwerfen.

»Du musst ihn los werden.«

»Sobald ich gegessen habe.«

»Nein.«

»Bleda,« winselnd näherte sie sich ihm und sah ihn aus großen runden Augen heraus an. »Ich hab solchen Hunger. Seit Wochen schon, habe ich keine Seele mehr gefressen. Es ist doch auch nur die eine.«

Seine großen Hände legten sich auf ihre Oberarme. Mit einem kräftigen Ruck zog er sie an seine Brust. »Bring ihn weg. Ich werde dir eine andere Seele besorgen.«

»Aber ich will keine andere.«

»Halycon,« mahnte er »wenn du ihn frisst, werden die anderen ihn suchen kommen. Sie sind wie Pata-Dämonen. Sie können sich nicht leiden, aber wehe einem geschieht etwas, dann hast du sogleich die ganze Meute am Hals.«

Seufzend schmiegte sie sich an ihn »Das ist als würdest du einer Verhungernden einen Wurm hinhalten und erwarten, sie würde davon satt.«

Seine Brust vibrierte unter dem leisen kehligen Lachen, welches er ausstieß. »Ach Kleines. Wie wäre es anstellt des Wächters mit dem Welpen, der dir immer ins Eis spuckt?« Kraulend fuhren seine Hände ihren Rücken hinab.

»Jimmy?« Dieser Halbstarke verdient es in der Tat von ihr verschlungen zu werden, doch wer würde sie dann an den tristen Tagen, an jenen die Menschen voller Freude und Mitgefühl füreinander waren, unterhalten? Wenn sie sich seine Seele nähme, wäre keiner mehr da, um ihr mit einer Gemeinheit oder einer kleinen Beschimpfung zu schmeicheln. »Nein,« Halycon schüttelte sich »den nicht.«

Argwöhnisch hob sich Bledas linke Braue »Muss ich ihn fressen?«

»Bleda!« Dieser Idiot. Es war immer das Gleiche mit ihm oder ihren anderen Brüdern. Halycon stemmte sich gegen ihn und funkelte ihn aus leuchtend grünen Augen an »Du bist wie die anderen! Der Rüde, den ihr auch nur an mir schnuppern lasst, ohne ihn zu zerreißen, muss erst noch erschaffen werden!«

Sein Grinsen entblößte zu scharfen Spitzen gefeilte Zähne »Nur der Stärkste darf sich paaren.«

»Ich sollte euch allen die Kehle im Schlaf zerfetzen.«

»So etwas würdest du tun?«

»Natürlich!«

Lachend drückte er sie wieder an seine Brust »Das ist meine kleine Halycon, wie ich sie liebe. Und jetzt werde den Menschen los.«

 

***

 

Bleda verschwand, bevor sie den Menschen aufweckte. Er verlangte zwar, dass sie ihn los wurde, dabei helfen jedoch stand ihm nicht im Sinn. So musste Halycon alleine sehen, wie sie die leblose Gestalt aus ihrem Unterschlupf entfernte. Am einfachsten und unauffälligsten konnte dies nur auf einer einzigen Weise geschehen. Sie musste ihn wecken.

»Wach auf!« Ihr rechter Zeigefinger bohrte sich in die weiche Haut zwischen den Schulterblättern. Es war schade dieses Prachtexemplar gehen zu lassen. Seine Schultern waren fast so breit, wie die Bledas und verliefen v-förmig in einer schmalen Hüfte. Diese Statur mochte sie bei den menschlichen Rüden, auch wenn die meisten ihrer Meinung nach etwas mehr Muskelfleisch vertragen konnten. Ihre Beute grunzte, rührte sich jedoch nicht weiter.

»Du sollst aufwachen, habe ich gesagt!« Knurrend bohrte sie ihren Finger fester in seine Haut. »Los steh auf.« Brummend drehte er sich auf die Seite. Das die kleine Badewanne nicht gerade das bequemste Lager darstellte schient ihn nicht zu interessieren. Rasch zog sie ihre Hand fort von dem Mann. Auch, wenn er ihr für gewöhnlich nicht gefährlich werden konnte, ihre Brüder würden sich brüllend und schadenfroh auf dem Boden wenzeln, würden sie erfahren, dass sie sich von einem Menschen hat beißen lassen. Soweit würde es nicht kommen. Dort, wo sie ihren Fingernagel in seine Haut bohrte, zierte ein tiefer, leuchtend roter Halbmond seinen Körper, so als habe sie ihn gebrandmarkt. Grinsend schüttelt sie den Kopf. Bleda würde ausrasten, täte sie den Polizisten wirklich für sich beanspruchen. Der Rüde schnarchte weiter und Halycon traute sich wieder näher heran.

»Wenn du nicht aufstehst, fress ich dich!« Halbherzig zog sie an einer seiner Kinnlangen blonden Haarsträhnen, das musste ihn einfach wecken. Jeder vernünftige Höllenhund würde für diese Frechheit Mord und Totschlag begehen. Nichts war prächtiger und gepflegter als das Fell eines Höllenhundes. Es war Ausdruck für Gesundheit und Stärke und jeder der es riskierte es zu beschmutzen verdiente Folter und Tod. Und auch wenn das bisschen Fell der Menschen nicht an die Pracht ihrer eigenen Rasse heranreichte, waren manche Exemplare genauso penibel, wie sie. Dieses jedoch schien sich nicht daran zu stören, dass Halycon daran zog.

»Verdammter Bastard!« Sie zog nicht, sondern riss an dem Haar. Das Gesicht des Menschen hob sich unter der Kraft des Zuges, langsam verlor Halycon die Geduld.

»Lass das,« grummelnd schlug er nach ihrer Hand. Halycon schrie auf und stolperte zurück, bis sich das weiße Emailebecken zum Waschen sich in ihren Rücken bohrte. Tief durchatmend schüttelte sie den Kopf. War sie oder er hier eines der furchtlosen Wesen Abaddons? Sie durfte sich nicht von einem Menschen so erschrecken lassen. Vorsichtig näherte sie sich wieder der Wanne und betrachtete die lange verschnörkelte Abbildung einer Schlange. Hübsch war sie ja mit diesen ganzen Zacken und Schuppen, nur der Kopf fehlte. Ob er sie sich auf die Haut malen ließ, weil er sie besiegte? Als Schlangentöter? Wohl eher kaum. Die mickrigen Schlangen, welche sich hier in Duine domhain herumtrieben waren einer solchen Ehre wohl kaum wert. Sein wiederholtes Grunzen riss sie aus den Gedanken und erinnerte sie daran, ihn los zu werden, anstatt weiter anzustarren.

Schmerz half bei ihm jedoch nichts und auch die Schandtat an seinem Haar störte ihn nicht weiter, da half nur noch die Wanne mit Wasser zu füllen. Wenn er nicht ertrinken wollte, musste er aufwachen.

Sie beugte sich über die Wanne, der verkalkte Regulator für Kaltwasser quietschte und sogleich rauschte es Wasserfallgleich in seine Schlafstätte.

Schreiend fuhr er auf. Seine Gliedmaßen ruderten wild, während er versuchte in der klietschigen Wanne Halt zu finden.

Zufrieden betrachtete Halycon dieses Schauspiel einige Schritte entfernt.

Wasser spritzte auf, fluchend schaffte er es über den Rand und den Regulator zuzudrehen. Mit Augen, zu Schlitzen verengt, drehte er sich schließlich zu ihr um.

Von seiner Wut amüsiert betrachtete sie ihn zum ersten Mal näher. Das Kinn eckig, die Brust breit und den Bauch schlank und trainiert, zog sich ein dünner hellblonder Streifen seinen Bauchnabel abwärts. Ehe sie jedoch dazu kam ihren Blick weiter wandern zu lassen packte der Rüde sie an den Schultern und begann sie zu schütteln.

Knurrend stemmte sie ihre Hände gegen seine Brust. Wut stieg in ihr auf. Was bildete dieser Mensch sich ein, sie zu berühren? Als ließe man einen Tropfen Farbe in Wasser fallen, kam ihre wahre Natur in ihren Augen zum Vorscheinen. Rot leuchtend fixierte sie ihn, wie die Beute, die er für sie darstellte.

Nach Luft schnappend stieß er sie von sich, wich vor ihr zurück, bis er an die Wanne stieß. Die Augen, vor Schreck geweitet realisierte er nicht, dass er nicht weiter zurück konnte, so geschah es, das er das Gleichgewicht verlor und mit dem Hintern voran zurück in das kalte Wasser fiel.

Dies gab Halycon den Rest. Schreiend schlug sie mit der Faust auf das Waschbecken ein. Knirschen sprang das Emaile, ein langer Riss zog sich durch das Becken, wie durch ausgetrocknete Erde. Dies alles glich einem Albtraum, dabei hatte sie sich alles so schön ausgemalt, als sie ihn am Vorabend rücklings niederschlug. Sie wollte sich seine Seele an ihrem Lieblingsplatz, gleich unter dem großen Fenster, wo die Sonne so schön auf sie niederschien, schmecken lassen. Doch kaum tauschte Bleda auf zerplatzte diese Vorstellung, wie eine Seifenblase.

Brummend drehte sie sich ab, ließ ihr Opfer, Opfer sein und stampfte ins Wohnzimmer, wo sie sich sogleich auf die zerschlissene Couch fallen ließ. Genervt pustete sie sich eine kupferne Haarsträhne aus dem Gesicht und drehte sich auf den Rücken, nur um wieder einmal die Decke anzustarren. Sie hasste diese Verbannung, und das alles nur weil sie sich weigerte, die Gefährtin für diesen dämlichen Dämon zu spielen. Sollte sie jemals wieder in die Verlegenheit kommen ihm zu begegnen, mit Freude würde sie ihre Zähne in sein stinkendes Fleisch schlagen.

Im Bad klimperte und raschelte es.

Halycon schloss die Augen und versuchte nicht mehr darauf zu achten. Sicher dauerte es nur noch wenige Minuten, bis der Mensch verschwand und sie zumindest dieses Problem los war.

Die Minuten verstrichen, während sie vergebens darauf wartete, das erlösende Schlagen der Eingangstüre zu vernehmen. Es sei denn, er schaffte es, sich durch das winzige Fenster im Bad zu zwängen, um zu entkommen. Aber vielleicht saß er auch immer noch im Bad und traute sich nicht heraus, in Anbetracht der Gefahr, die sie für ihn darstellte.

Schnaufend setzte sie sich auf »Von wegen Schlangentöter.«

Im selben Moment räusperte sich jemand.

Halycon schrak zusammen. Lässig an den Türrahmen gelehnt stand der Mann, gekleidet nur in schwarzer Retopants und grinste sie verschmitzt an  »Hey.«

»Hey?« Hatte er sich bei einem Sturz den Kopf gestoßen? Nein, er fiel auf den Hintern. Der Schlag auf den Kopf musste zu hart gewesen sein. Nun litt er an totaler Verwirrung. Wie sonst sollte sie erklären, dass er nun vor ihr stand, als wäre nichts passiert? Jeder normale Mensch wäre schreiend davon gelaufen. »Wieso bist du noch hier?«

»Ich begegne nicht jedem Tag einen Dämon.«

»Ich bin kein Dämon,« zischend schüttelte sie sich. »Unerhört!« Sie mit einem dieser widerwärtigen, hirnlosen Schlangen zu verwechseln – eine Todsünde. Dafür sollte sie ihn fressen.

»Ein Mensch bist du jedenfalls nicht.« Er stieß sich vom Rahmen ab und näherte sich ihr vorsichtig, wobei er sie genau betrachtete, als studierte er eine Skulptur.

»Hör auf mich anzustarren.« Halycon zog ihre Beine an, sodass sie zum Sprung bereit auf der Couch kniete.

»Bist du eine Succubus?«

»Nur, wenn du ein Wurm bist,« knurrte sie. Schon wieder wagte er es sie als Dämon zu bezeichnen.

Einen halben Meter vor der Couch ging er in die Hocke. Mit leicht schräg gelegtem Haupt musterte er sie weiterhin mit stahlgrauen Augen.

Halycon spürte jeden einzelnen Muskel in ihrem Körper unter der Anspannung vibrieren. Eine falsche Bewegung, und er wäre dran.

»Deine Augen, sie beginnen sich schon wieder zu verändern.« Nachdenklich fuhr er sich durchs Haar und strich es sich hinter die Ohren. »Das heißt wohl, dass du wütend bist.«

Wütend? Sie war stinksauer. Knurrend fixierte sie seine Kehle. Einmal dort gepackt hatte er keine Chance mehr.

»Vielleicht stelle ich mich dir erst einmal vor?« Er grinste. »Ich bin Ilja, Geisterjäger von Beruf und von dir gestern offensichtlich überfallen worden.« Ilja fuhr sich an den Hinterkopf »Und ganz nebenbei, du hast mir eine ganz schön große Beule verpasst.«

»Geisterjäger? Nein, du bist Polizist.« Eindeutig, sie hatte zu fest zugeschlagen.

Langsam schüttelte er den Kopf »Nein, Geisterjäger. Weißt du, was das ist?«

»Aber du hattest die Kleidung von einem Polizisten an.« Seine Ohrspitzen nahmen eine hübsche rote Farbe an, während ihre Augen langsam zum normalen Grün zurückkehrten.

»Das war eine Verkleidung.«

»Wieso?« Ihre Wut verrauchte und an dessen Stelle bohrte sich Neugierde in ihre Gedanken.

Seine Schultern hoben sich, Ilja versuchte ein Grinsen zu unterdrücken und antwortete ehrlich »Der Job des Geisterjägers ist momentan nicht sehr ertragsreich, wenn du verstehst, was ich meine?«

»Du machst keine Beute?«

Das leise Lachen erfüllte den Raum, »So kann man es auch sagen. Deshalb habe ich noch eine Nebenbetätigung.«

»Welche?«

»Ganz schön neugierig für einen Dämon.«

»Ich bin kein,«

»Ich weiß, ich weiß, du bist kein Dämon,« unterbrach er sie beschwichtigen. »Tut mir leid. Also, was ich sagen will, ich strippe nebenher.«

Strippen, diese Bedeutung kannte sie. Doch bisher war ihr unbekannt, dass dies auch Männer taten. In den ganzen Bars und Spelunken, in denen sie sich an der Gier und Boshaftigkeit der Menschen ergötzte, sah sie stets nur Frauen sich ausziehen.

»Meine Kundinnen mögen es, wenn sie sich vorstellen, ich wäre ein echter Polizist, der für sie strippt.«

Sie war also auf eine Verkleidung hereingefallen. Verdammt. Hätte sie dies vorher gewusst, hätte Bleda ihr bestimmt erlaubt ihn zu verschlingen.

»Nun? Willst du mir verraten, was du bist?« Ilja erwartete eine Gegenleistung.

»Wieso hast du keine Angst vor mir?«

»Schon vergessen? Ich jage Geister, und hin und wieder stoße ich auch auf Artgenossen von dir.«

Pustend warf sich Halycon zurück. Lauthals stieß sich ihr Lachen aus und erfüllte damit das ganze Haus. Artgenossen. Ihm begegnet? Das war köstlich, einfach umwerfend. Dieser Rüde hatte ja gar keine Ahnung. Das Lachen brach nur so aus ihr heraus, so wunderbar amüsierte sie sich schon lange nicht mehr.

»Was ist so lustig?« Schmollend verzog er seine Lippen.

Es dauerte zwei Minuten ehe Halycon sich einiger maßen fangen konnte. Nach Luft japsend erklärte sie »Erstens, hassen meine Artgenossen Duine domhain. Zweitens, wärst du ihnen begegnet, wärst du jetzt tot.«

Iljas Körper spannte sich an, als erwartet er, sie würde sich sogleich auf ihn stürzen. Vorsichtig erhob er die Stimme »Aber du hast mich nicht getötet.«

»Ich darf dich nicht fressen. Bleda hat es verboten.« Schnaufend schüttelte sie sich und vertrieb den erneut aufflammenden Drang zum Lachen.

»Wieso?« Er erhob sich, unauffällig sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um.

»Weil ein Polizist immer von anderen gesucht wird.«

»Ah, ich verstehe. Du durftest mich nicht fressen, weil ihr dachtet, das gäbe Probleme? Tja, dann muss ich dich enttäuschen. Auch wenn ich nicht verkleidet gewesen wäre und du mich gefressen hättest, hätte es Ärger mit meiner Bruderschaft gegeben. Sie wären dir auf die Spur gekommen.«

»Ja und Leviathan hält sich Häschen,« lachte sie bereits wieder.

»Im Ernst, sie würden dich töten.«

Halycons Lachen verstummte. »Du drohst mir?«

»Nein, das war lediglich eine Feststellung.«

»Gut,« sie schwang ihre Beine von der Couch. »Mein Rudel würde deine Bruderschaft zerreißen.« Und an forderster Front ihre Brüder. »Aber keine Sorge, ich werde dich jetzt nicht mehr verschlingen. Bleda ist mir eine andere Seele schuldig.«

»Dann ist das ja geklärt,« Ilja entspannte sich wieder. »Und? Was bist du jetzt?«

»Höllenhund.«

Seine Augen wurden groß »Ein richtiger Höllenhund?« Er kam näher »Wow, ich bin noch nie einem begegnet. Genau genommen kenne ich noch nicht einmal jemanden der einem begegnet ist. Ich bin ein richtiger Glückspils, nicht?«

Halycon schüttelte sich. So redeten nur Menschen.

»Aber ich dachte, ihr lebt in den Tiefen Abaddons, und würdet niemals einen Fuß in die Menschenwelt setzten.«

Grummelnd lehnte sie sich zurück, die Augen zusammengekniffen winkte sie ihn, wie eine lästige Fliege fort. Aber Ilja weigerte sich den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen.

»Ärger mit deinem Rudel hast du wohl nicht.« Selbstverständlich, als hätte sie ihn dazu eingeladen, ließ er sich in dem grünen Ohrensessel nieder. »Was hast du angestellt?«

»Verschwinde, oder ich fress dich doch noch.«

»Ich hab keine Angst vor dir.«

»Solltest du aber.« Hinter ihrer Stirn begann es zu pochen. Dieser Mensch war so etwas von anstrengend, einfach fürchterlich.

»Eigentlich müsste ich dich melden.« Er kratzte sich am Kinn »Damit wir uns um dich kümmern können.«

Halycon stöhnte auf. Noch jemand der ihr vorschrieb was sie zu tun oder lassen hatte hielt sie nicht aus. Vielleicht sollte sich ihn doch verschlingen und Bleda schlicht anlügen, was den Aufenthaltsort ihrer ehemaligen Beute anging.

»Hör auf damit!«

»Womit?«

»Du schaust mich an, als überlegtest du dir, was schlimmer ist. Mich zu fressen trotz Bledas Verbot und sich seinem Zorn auszusetzen oder mich laufen zu lassen.«

»Erwischt,« grinsend streckte sie sich und ließ für einen kurzen Augenblick ihr wahres dunkles Wesen durch ihre Augen aufblitzen. Das Einzige was an Ilja zuckte, war ein Muskel in der linken Wange. Ein unzufriedenes Brummen entwich ihr, es machte keinen Spaß, wenn er nicht erschrak.

Er seufzte. »Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du verschwindest, oder handelst mit der Bruderschaft einen Deal aus.«

»Was ist aus, eigentlich müsste ich, geworden?«

»Ich glaube es ist besser, wenn die Bruderschaft ein Auge auf dich halten kann. Denn so harmlos wie du aussiehst bist du wahrlich nicht.« »Tzt,« schnaufend erhob sie sich und trat ans Fenster. Sie schob die vergilbten Gardienen ein Stück zur Seite und sah hinaus. Alles schien normal. Die Welpen der Nachbarn malten mit bunten Steinen Sonnen und Kästchen auf den Straßen, während die alte Frau von Gegenüber in ihrem Schaukelstuhl schlief, daneben aalte sich die graue Katze in der Sonne. Nur der Mann, der viel zu langsam auf seinem roten Motorrad durch die Straße fuhr, passte nicht ins Bild. »Sie suchen bereits nach mir.« Ilja trat hinter sie ans Fenster. Sie spürte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, und vernahm den herrlich herben Geruch nach Lakritz, der trotz des Wassers aus der Wanne an ihm klebte, wie ein Schmetterling am Spinnennetz.

»Es gibt noch eine dritte Möglichkeit.«

»Willst du mir einen Deal vorschlagen?«

Sie schüttelte den Kopf und antwortete mit rauer, ernster Stimme »Nein. Die dritte Möglichkeit besteht darin, dass ich dich verschlinge und abwarte, ob deine Brüder sich hier hertrauen.«

»Oder du arbeitest mit uns zusammen. Deine Insiderinformationen,«

»Nein.« Sie hasste die Dämonen, verabscheute die Fürsten Abaddons, doch trotz allem gehörten sie zu ihrer Heimat. Auch nur eines der dort beheimaten Wesen zu verraten war Hochverrat, für den sie eher sterben würde, als jenen zu begehen.

»Wieso? Ganz offensichtlich wollen sie dich dort doch nicht.«

»Halt den Mund!« Zornig drehte sie sich um und schleuderte Ilja durch den Raum. Er schlug gegen den Sessel und blieb benommen und stöhnend liegen. »Nichtswürdiger, du hast nicht das Recht über mich oder Abaddon zu urteilen.« Schneller und intensiver als zuvor erleuchteten ihre Augen, wie Fackeln in finsterer Nacht. Halycon kniete sich über ihn. Ihre Hand griff in sein Haar und zog seinen Kopf damit so weit zurück, dass er sie ansehen konnte. In seinen Augen regte sich Furcht. Herrlich, gierig zog sie diesen Anblick in sich auf, er würde sie für einige Zeit über Wasser halten. »Kommst du oder deine Freunde mir noch einmal zu nahe, werdet ihr und eure Familien sterben. Ich werde dafür sorgen, dass ihnen die Haut abgezogen wird, damit mein Volk sich am Fleisch gütig tun und ihre Knochen abnagen kann. Ich werde eure Seelen verschlingen und eure erbärmliche Existenz für alle Ewigkeit auslöschen.« Die letzten Worte knurrte sie. Sie unterwarf sich keinem Menschen und schon gar nicht arbeitete sie mit einem gegen ihre Heimat zusammen.

Geräuschvoll atmete Ilja aus und deutete ein Nicken an. Ihre Ausführung hatte ihn dazu gebracht die Augen zu schließen, er ertrug ihren Anblick nicht länger.

Zufrieden ließ sie von ihm ab und trat einige Schritte zurück »Nun verschwinde endlich.«

So schnell Iljas Beine ihn trugen erhob er sich und stürmte nur in Pants aus dem Haus.

 

***

 

Später am Abend, als Bleda sich nach ihrem Erfolg erkundigte verschwieg Halycon die Geschehnisse mit Ilja. Und wie versprochen brachte Bleda ihr eine Seele mit. Einen verirrten Geist, eine genau jener in Domhain hängen gebliebener Seelen, wie ihr verschonter Blondschopf sie jagte.

Werwolf zum Mitnehmen

Nachdenklich hielt sie das durchsichtige Einmachglas ins schwache Licht der Straßenlaterne. Das murmelgroße Gebilde, welches an ein sehr dickes Glühwürmchen erinnerte, stieß immer wieder gegen die Innenwände bei seinem Versuch zu entkommen. Sein blaues Licht fluorisierte nicht so stark, wie sie es sich erhoffte, sogar das Standby-Licht ihres Fernsehers strahlte stärker. Doch besser eine schwache Seele, als gar keine.

»Also was ist? Willst du sie nun oder nicht?« Die fleckigen Hände reibend beugte sich der Fänger vor und schenkte ihr ein verzerrtes Grinsen, garniert mit fauligen,  abgebrochenen Zähnen. »Sie ist nicht sehr stark, aber sehr schmackhaft.«

Halycon schüttelte das Glas. Aufgescheucht surrte die Seele auf, gefolgt von einem ein kurzer Lichtstoß, welcher das Inneren aufhellte. »Kannst du mir mehr besorgen?«

»Natürlich,« grinsend nickte er »Ich kenne einen Ort, wo sie so zahlreich zu finden sind, wie Maden im Ass. Hast bestimmt Hunger, nicht? Der menschliche Fraß,« er schüttelte sich »ist ungenießbar.«

»Meistens,« bekräftigte sie. Ihre Hauptnahrungsquellen bestanden zurzeit aus Fast Food, Kaffe und Eis. Nichts was einen Höllenhund auf Dauer sättigte. Dies konnten nur die Seelen wirklich, welche zwar Dumhain zu häuft bevölkerten, dummerweise aber noch an ihren Hüllen hingen. Und dies bedeutete für einen Seelenfresser wie sie entweder zu töten, um die Seelen aus dem Fleisch zu lösen oder sie sich auf anderen Wegen zu beschaffen.

Halycon entschied sich für letzteres. Dies verkomplizierte ihre Situation als einziges nicht. So folgte sich dem Rat ihrer Brüder und spürte einen der Fänger auf. Dämonen, die aus profitgründen die Seelen einfingen und jene weiter verschacherten.

»Was willst du dafür?«

»Zwanzig Tage.«

»Zehn.«

Der Fänger schüttelte sich »Nein, zwanzig.«

»Für diesen Winzling?« Schnaufend schüttelte sie das Glas ein weiteres Mal. »Das ist zu viel.«

»Na gut,« er lenkte ein »Für dich achtzehn.«

»Dreizehn.«

»Pro Seele!«

»Einverstanden.« Zufrieden lächelte Halycon über das Schnäppchen. Mit dreizehn Tagen Unterwerfung pro Seele, um dem Fänger zu Diensten zu sein, konnte sie leben. Vor erst. Doch sollte sich ihre Verbannung auf mehrere Jahre hinausziehen musste sie sich eine andere Quelle suchen, es sei denn, sie wollte den Rest ihres Lebens dem Fänger gehören.

»Halycon, es ist immer wieder schön, Geschäfte mit einer wie dir zu machen.« Merack reichte ihr seine Hand.

»Halt, ich gebe dir zwanzig Tage pro Seele.« Aus dem Schatten trat ein kräftiger Rüde, gekleidet nur in Jeans. Unter der glatten karamellfarbenen Haut zeichneten sich Sehnen und Muskeln deutlich ab, genauso wie die Anspannung, welche in seinen Schultern innewohnte.

Halycon schnüffelte. Der Geruch von Erde und Moschus, vermischt mit einem Hauch Nadelwald legte sich sämig auf ihre Zunge. Und ganz schwach darunter, kaum wahrnehmbar roch er nach nassem Hund. In Halycons Kehle stieg ein Knurren empor. Dieser Rüde gehörte weder zu ihrer Spezies noch zu einer anderen aus Abbadon. Denn etwas an ihm fehlte, etwas ganz entscheidenden, welches jedes Unterweltgeschöpf inne saß. Der Duft verbrannten Sandes.

»Was will ein Werwolf mit einer Seele?« Merack ließ sich vom Erscheinen dieses ungebetenen Gastes nicht beunruhigen.

»Sie dort hin bringen, wo sie hingehört,« antwortete er mit fester Stimme und die Arme vor der Brust verschränkt.

»Also, noch so ein Weltverbesserer,« Meracks Finger knackten »Dein Angebot ist verlockend, aber ich mache keine Geschäfte mit Werwölfen. Viel zu unbeständig.«

»Und sie? Sie ist auch ein Werwolf.«

Lachend schüttelte Merack sich »Nein, einer wie ihr, bist du mit Sicherheit noch nicht begegnet.« Er nickte Halycon zu »Unser Geschäft steht, ich meld mich, wenn ich was neues hab.« Damit vergrub er die Hände in die Taschen seines verwitterten Mantels »Halycon, der Wolf ist jetzt dein Problem.« Gemächlich, mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht schlenderte er ein Lied vor sich her pfeifend davon und ließ Halycon mit dem Kerl alleine.

»Dann machen wir das Geschäft.« Der Rüde trat näher, schaute sie aus hellen braunen Augen aufmerksam an.

»Kein Interesse.« Sie packte das Einmachglas fester, musste es sein, verteidigte sie es.

»Was willst du mit der Seele?« Er schnüffelte, zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine tiefe Furche.

»Sie essen natürlich.«

»Sie essen?«

»Bist du schwerhörig?«

»Nein,« nur noch ein Meter schmutzigen grauen Asphaltes trennten sie von einander. »Wieso willst du sie essen?«

»Wieso reißt der Wolf das Schaf?« Manche Menschen waren einfach schwer von Begriff und ganz sicher würde Halycon den Teufel tun diesem Fremden ihre Gewohnheiten auf die Nase zu binden.

»Das kannst du nicht ernst meinen. « Sein Körper spannte sich unter der Haut sichtbar an. »Du kannst sie doch nicht einfach essen.«

»Versuch sie mir wegzunehmen und ich töte dich.«Halycons knurren wurde lauter. Ihr Geduldspfaden gehörte nicht zu den stärksten und begann bereits zu zerreißen. Das Biest in ihrem Inneren wollte raus, den Kiefer in weiches Fleisch stoßen und Muskeln und Haut zerteilen. Doch sie hielt es zurück. Ein Blutbad würde sicherlich die Wächter dieser Welt auf den Plan rufen. Jene Bleda ihr strikt verbat zu töten, der Komplikationen wegen.

»Was bist du?«

»Genervt!« Ihre Augen begann vom äußeren Pupillenrand ausgehen einen Farbwechsel von Moosgrün nach Rot zu vollziehen. Ein untrügerisches Zeichen ihrer Wut.

»Nein,« er schüttelte sich ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. »Was für ein Wesen bist du? Ein Dämon?«

»NEIN!« Wie sie dieses Wort hasste! Genauso wie mit einem dieser stinkenden Kreaturen verwechselt zu werden. Ohne Vorwarnung sprang sie vor und hieb mit zur Klaue gekrümmter Hand nach ihm.

Fauchend sprang er zurück, jedoch nicht schnell genug. Ihre Krallen fuhren über seine nackte Brust und hinterließen quer über diese rot leuchtende Striemen. Brüllend nahm er sofort zum Gegenschlag aus. Er verpasste ihr einen Stoß mit weitaus größerer Kraft, als sie erwartete. Getroffen stolperte Halycon zurück. Das Glas mit der gefangenen Seele rutschte aus ihrer Hand und zersprang klirrend auf dem Boden in seine Bestandteile. Wie benommen surrte die Seele leuchtend über den Scherben, bevor sie langsam höher stieg in dem Versuch die neu erlangte Freiheit zur Flucht zu nutzen.

»Maldición!« Halycon stürzte sich auf das Licht, sie durfte ihr nicht entwischen. Nicht wegen diesen unbedeutenden Rüden.

»Das wirst du nicht,« er warf sich abermals auf sie. Grob versenkte er seine Hand in ihrem Haar und riss sie zurück.

Aufjaulend über den Schmerz und dem Verlangen ihn dafür, dass er ihr Haar anpackte, in Fetzten zu reißen wandte sie sich nach ihm schlagend in seinem Griff.

Er packte fester zu, darauf bedacht nicht in die Nähe ihrer Klauen zu gelangen. »Beruhige dich.« Mit übermenschlicher Kraft zog er sie in die Höhe bis sie, den Kopf weit nach hinten geneigt, ihre Kehle schutzlos der Welt darbot.

»Lass mich los,« zischte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Diese Demütigung ließ sie nicht auf sich sitzen. Wenn er den Tod so sehr wollte, verdiente er ihn.

»Was sonst,« flüsterte er »Willst du mich auch fressen?«

»Ja.« Ihr Körper begann sich zu verändern. Aus ihrer Haut spross langes kupfernes Fell. Halycons Knochen knackten, sie wurde massiger und ihre Muskeln sehniger, ihre Kiefer länger und ihre Zähne schärfer. Ihre menschliche Gestalt begann sich aufzulösen und ihrer einzig wahren Platz zu machen.

Aufkeuchend ließ er von ihr ab und sprang zurück, nicht fähig den Blick von ihr zu lassen bis sie schließlich als wütende und geifernde Höllenhündin mit der Größe eines Kleinpferdes vor ihm stand. Halycon gehörte zwar nicht zu den größten ihrer Art, genau genommen war sie im Verhältnis eher klein geraten, doch auf Artfremde machte ihre muskelbepackte zum Kämpfen geschaffene Gestalt dennoch Eindruck.

Schnaufend schüttelte und streckte sie sich. Diese Gestalt fühlte sich um so viel besser an, als jene der Zweibeiner. Wie konnten diese nur ständig mit ihr leben?

 Die zischenden Atemgeräusche erinnerten sie wieder daran, weshalb sie sich verwandelte und brachten sie dazu in den Angriffszustand zu wechseln. Zähnefletschend und mit gesenkter Rute wandte sie sich diesem unverschämten Opfer zu, dem sie den Verlust der Seele verdankte.

»Hey, ganz ruhig meine Kleine,« abwehrend hob er die Hände und versuchte dabei möglichst die Anspannung seines Körpers zu verstecken und ungefährlich zu wirken. »Du willst doch nichts Unüberlegtes tun.«

Höllenhunde kommunizieren auf mentaler Ebene miteinander, doch bei den Wesen aus Dumhain funktioniert dies nicht. So gab sie nur ein warnendes Zischen von sich während sie den Rücken durchdrückte und ihren Körper zum Sprung anspannte. Für Rückzug war es zu spät.

»Ok, ich sehe es ein. Ich habe Mist gebaut,« plapperte er weiter drauf los, sich nicht vom Platz rührend. »Aber die Seele ist futsch und du willst doch nicht einen Unschuldigen töten.«

Und ob! Gut oder Böse gab es für sie nicht. Und in der Menschenwelt schon recht nicht. Das einzige was für sie hier zählte, war das Überleben, mit oder ohne zu töten.

»Typisch Dämon,« murmelte er.

Und Halycon sprang.

Er reagierte nicht schnell genug und wurde von ihr umgerissen. Röchelnd lag er nun unter ihr, während eine ihrer Vorderpfoten auf seinen Brustkorb drückte und ihm das Atmen erschwerte.

»Bitte,« er umfasste ihre Pfote mit seinen Händen ohne dabei Druck auszuüben. »Man nennt mich Ryder.«

Ungerührt starrte sie auf ihn nieder.

»Ich lebe am anderen Ende der Stadt. Ich habe einen Bruder und zwei jüngere Schwestern. Und ich mag mexikanisches Essen.«

Bei den Fürsten Abaddons konnte er nicht still sein? Wollte er ihr seine Lebensgeschichte auftischen bevor er starb?

»Falls ich es noch nicht gesagt habe. Ich bin ein Werwolf, eine Art Verwandter von dir.«

Halycon gab einen Laut von sich, den man mit viel Optimismus ein Lachen nennen konnte, soweit dies in ihrer Gestalt möglich war. Er und ein Verwandter? Wo lebte er denn? Hinter dem Limes? Sie beugte sich zu ihm hinunter und übte ein wenig mehr Druck auf seine Brust aus. Es brauchte nur ein wenig mehr und sie würde ihn zerquetschen wie eine lästige Spinne.

Ryder japste »Ry-yde-er.«

Eines musste sie zugeben, er besaß Mut. Sie in dieser Situation noch anzusprechen ohne dabei um sein Leben zu heulen, war etwas erfrischend anderes, als das übliche Gejammer ihrer Opfer. Das musste der Werwolf in ihm sein. Bei genauerer Betrachtung wunderte es sie, dass er noch nicht auf ihn zurückgriff, um sich gegen sie zu Wehr zu setzen. Dabei würde etwas Bewegung dieser Art ihrem Körper ganz gut tun. Vielleicht musste sie ihn nur etwas dazu ermutigen. Schaden würde es kaum und besiegen konnte er sie nicht. So nahm sie ihre Pfote von seinem Brustkorb und zog sich ein Stück zurück, um ihm Raum zur Verwandlung zu lassen.

 

Hustend wandte er sich um und blickte auf allen vieren kniende zu ihr hoch. »Ich weiß was du vor hast,« röchelte er »Du magst keine einfache Beute. Du willst dass ich vor dir wegrenne. Aber den Gefallen tue ich dir nicht, ich werde nicht vor dir weglaufen.« Langsam kam er wieder auf die Beine. Das braune Haar fiel im franzig in das verschmutzte Gesicht. »Jedoch kann ich dich auch nicht unbeaufsichtigt laufen lassen, immer hin bis du ein,«

Knurrend unterbrach Halycon seinen Redeschwall bevor er wieder dieses verhasste Wort in den Mund nehmen konnte.

»Du magst dieses Wort echt nicht oder?« Seine Mundwinkel zuckten.

Das war unglaublich. Er sprang gerade noch einmal von der Schippe des Todes und begann schon wieder sein Glück heraus zu fordern. Wie konnte man nur so dumm sein?

»Aber ich bin nicht nachtragend. Wie wäre es also mit einem Deal?«

Für Halycon besaß er nichts von Wert außer seiner Seele, jene er ihr bestimmt nicht überlassen wollte. Anhören jedoch konnte sie ihn, neugierig, was das Menschlein ihr anbieten wollte.

»Du könntest wenigstens nicken, wenn du einverstanden bist. In dieser Gestalt lässt es sich schwer unterhalten,« abschätzend musterte er sie. »Auch, wenn sie sehr beeindruckend ist, dass muss ich ja zugeben.«

Zustimmend nickte sie. Ohne den mentalen Kontakt musste sie wohl in die zweibeinige Gestalt zurückkehren. Ihre Umrisse verschwammen, Pfoten verwandelten sich zurück in Hände, das Rückgrat verkürzte sich und ihr Fell fiel von ihr ab, wie Laub von den Bäumen bis schließlich die Frau, nackt wie die Götter die Zweibeiner schuf, wieder vor Ryder stand.

»Mein Gott,« unverhohlen starrte er sie an, fuhr mit seinem Blick die Linie ihrer Hüfte nach bis er schließlich an ihren Brüsten hängen blieb.

Halycon räusperte sich »Du wolltest mir etwas gegen dein Leben anbieten?«

Ryder erwachte aus seiner Trance »Du lenkst einen aber auch ab. Kannst du dir nicht etwas zum Anziehen materialisieren?«

»So kommt ihr zur Welt.«

»Nein,« lachend schüttelte er sich »glaub mir, so garantiert nicht.«

Seufzend verschränkte sie die Arme vor der Brust. Sie verstand die Menschen nicht. Tagtäglich verhüllten sie ihre Körper und bezahlten doch dafür zuzusehen, wie sich Frauen oder Männer für sie auszogen. Was für eine Doppeltmoral. »Könnte ich mir Gegenstände materialisieren bräuchte ich keine Seelen.« Ihr Blick schweifte zu dem zerbrochenen Glas. Die Seele war fort. Seinetwegen. »Also? Was hast du anzubieten?«

Er konzentrierte sich auf ihr Gesicht. »Ich kann dafür sorgen, dass du zurück nach Hause kannst.«

»Du willst einen Abaddonfürsten töten?« Kopfschüttelnd schnaufte sie. Er kam noch nicht einmal gegen sie an, wie dann wollte er einen Fürsten Abaddons besiegen? Er besaß wirklich nicht mehr alle Flusssteine beisammen.

»Ähm,« er wirkte verwirrt »Eigentlich wollte ich dir vorschlagen einen Schamanen aufzusuchen, der dich zurück schicken kann.«

»Meinschlein, du solltest jetzt besser laufen.« Ryder wollte ihr Problem doch tatsächlich mit einer Gestalt, die weniger als der Dreck unter den Klauen eines Fängers wert waren, lösen. Wie lächerlich.

»Okay, dann eben keine Schamanen.«

»Du vergeudest Zeit.« Langsam begann Halycon es sich anders zu überlegen. Sie mochte ihn vielleicht vor einigen Augenblicken noch nicht getötet haben, aber es sprach nichts dagegen dies Nachzuholen. Zumal er ihr auch nicht den Genuss einer Verfolgungsjagd lassen wollte.

»Ich sehe schon, wenn du hungrig bist kann man mit dir schlecht reden. Vielleicht magst du etwas essen gehen? Ich lade dich auch ein. Egal wozu du Lust hast, außer auf Seelen.«

Tief aus ihrer Kehle entstieg ein Knurren. In der Tat sie hungerte.

»In der Nähe ist ein Steak-Restaurant, wenn du willst bekommst du es sicher auch Roh serviert.« Einladend streckte er die Hand nach ihr aus. »Wenn es dir nicht gefällt, darfst du mich hinter her auch fressen,« der Schalk sprach aus seinen Augen. Ryder war sich seiner Sache sehr sicher. Dies gefiel ihr und stellte er sich dumm an konnte sie immer noch auf sein Angebot zurück kommen.

»Geh voraus, ich folge dir.«

»Aber vorher, zieh dir was an!«

Impressum

Texte: Askare
Bildmaterialien: Askare
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme Halycons kleine Geschichten meinen zwei ganz persönlichen Höllenhunden Lilly und Charly, welche meinen Tag mit ihren Flausen unheimlich bereichern!

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