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1.


Ich schaue nach draußen auf die zu grünen Bäume, den zu blauen Himmel. Wir haben Winter, kein Himmel sollte so blau sein. Das gleichmäßige Brummen der Motors beruhigt mich und wickelt mich in eine angenehme Lethargie. Leise plärrt Whitney Houston aus dem Radio i will always love you

und mein Aufpasser summt mit. Ich kämpfe gegen meine Müdigkeit an, weiß ich will, muss hier raus bevor wieder komplett durchdrehe. Beim ersten Mal gab es nur Tabletten, beim zweiten Mal schon eine Spritze.
Ich habe es geschafft, der Motor beruhigt mich jetzt nicht mehr, er versetzt mich in Panik. Ich muss hier raus. Sofort.
"Adam?" Mein Betreuer. Ein ganz netter Typ, hätte er nur nicht die nervige Angewohnheit uns Geisteskranken wie kleine Kinder zu behandeln.
"Ja?" Wie immer mit einem liebenswürdigen Ton.
"Ich muss mal".
Fast im nächsten Moment hält er an. Ich habe gar nicht bemerkt das wir praktisch gerade an einer Tankstelle vorbei fuhren. Der Motor ist jetzt aus, und ich zwinge mich, langsamen gemessenen Schrittes auf die Toilette zu gehen. Er darf nicht den Eindruck bekommen das ich fliehen will. Denn nichts anderes habe ich vor.
Im Toilettenspiegel betrachte ich mich eine Weile. Helle, blonde Haare umrahmen ein müdes kaputtes Gesicht. Braune Augen starren mich gehetzt an. Wie sollten sie denn auch nicht? Drogen, Sex und Misshandlungen haben sie so gemacht. Veteufelt. Ich.
Jetzt wandern meine Augen noch gehetzter durch den Raum, finden ein Fenster das groß genug ist, dass ich mich durchquetschen kann. Gesagt getan. Insgeheim muss ich lachen das ich Adam wieder und wieder so leicht entwichen kann. Aber ich glaube er gibt mir selber Möglichkeiten. Er weiß, wann ein Mensch sich selbst einschätzen kann. Und dafür bin ich ihm dankbar.
Endlich draußen, frische Luft. Vor mir liegt ein Fichtenwald paralell zur Straße. Ich habe vielleicht noch eine halbe Stunde bis er checkt das ich weg bin. Wenn ich bis dahin im Wald bin, findet er mich nicht. Von da kann ich dann ganz bequem der Straße bis zur nächsten Stadt folgen. Ich glaube Richtung Berlin.


Ich zögere, weiß nicht genau, welche Richtung ich einschlagen soll. Denn Waldweg benutzen oder querfeldein? Nach einigen Momenten entscheide ich mich für den Weg. Ich weiß nicht genau wo ich bin und ich möchte mich nicht verlaufen um hinterher halb verhungert wieder ins nächste heim gesteckt zu werden. Wenn jemand kommen würde, kann ich mich noch immer verstecken.
Außer meiner geliebten Lederjacke trage ich nichts bei mir, also ziehe ich sie fest um meinen Körper, suche Halt. Dann wende ich meinen Blick Richtung Norden und gehe los.


Mein Vater starb als ich ungefähr drei Jahre alt war. Und das war auch gut so, meine Mutter und Ich hatten so gut wie keinen Platz mehr am Körper, welcher noch nicht mit Brandnarben von ausgedrückten Zigaretten, oder Gürtelschriemen bedeckt war. Sicher, danach war meine Mutter gebrochen, schließlich waren sie schon seit der siebten Klasse zusammen. Eine Zeit lang ging sie dann noch mit anderen Männern aus, aber entweder nutzen sie sie nur aus oder...na ja was anderes war eigentlich nicht dabei. Danach wurde ich das Obejekt ihrer Begierde. Es wurde sich um mich gekümmert, genauer gesagt fühlte ich mich so sehr erdrückt von ihrer Liebe das ich schon Bauchschmerzen bekam wenn ich sie sah. Hätte ich netter zu ihr sein sollen? Mich mehr um sie kümmern müssen? Ihr meine Liebe zeigen? Wär dann das alles nicht passiert? Ich weiß es nicht, und ich habe Angst darüber nachzudenken.

Mit der Zeit merkte dann meine Mum, das ich anfing sie zu hassen, und fing mit dem trinken an. Offensichtlich hatte sie nun ihre Bestimmung gefunden, denn darin wurde sie richtig gut. Manchmal fing ich sogar an die Zeit zu vermissen als mein Vater noch lebte. Aber ich weiß ich durfte ihr daraus keinen Vorwurf machen. Sie hatte es selber schwer genug im Leben gehabt. Mit 14 beschloss ich dann, nicht mehr zur Schule zu gehen, die schule sah das anderes. Schickte Sozialarbeiter und sowas vorbei. Doch als das nicht bei mir fruchtete die Polizei. Das mit dem Schulzwang klappte dann auch ganz gut, bis ich einen Rappel bekam und kurzerhand meinen Mathelehrer mit einem Stuhl ins Koma schlug. Bis heute ist der nicht aufgewacht.
Ab da kam ich in eine Einrichtung "für schwer erziehbare Kinder". Glaubt mir, die Kinder dort sind nicht schwer erziehbar. Es ist ihnen einfach nur egal. Und den meisten gefällt es sogar nach einiger Zeit in der Rolle des Monsters. Zwei Jahre lang wechselte ich von Heim zu Heim, manchmal wohnte ich auch für ein paar Tage auf der Straße, immer dann wenn ein Heim zu überfüllt war, als das man ernsthaft nach uns Ausreißer suchen würde.
Viele dort hatten keinen Funken mehr in den Augen, lebten in sich zurückgezogen und sprachen wenn nur sehr wenig oder äußerst aggressiv.
Ich war 16 als ich merkte das ich so nicht zwei weitere Jahre leben konnte, ohne das auch mein Funke erlischen würde.


Ich höre weit entfernt Stimmen, ein Kinderlachen und Hundegebell. Ich gehe in den Wald herein, nahe genug dem Weg das ich ihn sehen kann, ich jedoch unsichtbar bin. Als ich weitergehe kann ich eine Lichtung erkennen. Sie erstreckt sich in einem Halbkreis, überall wuchtern Löwenzahn und Gänseblümchen im hohen grünen Grass. In der Mitte stehen Bänke,vollbesetzt mit einer Wanderergruppe. Dann rieche ich gebratene Würstchen und kann den Nudelsalat beinahe schmecken.

2.


Adam hat mich bis jetzt noch nicht gefunden. Ich orientiere mich an dem Lärmen der Straße und den Geräuschen der Meschen. Vorhin habe ich ein Schild gesehen mit der Aufschrift Haudeggen Marktplatz

. Ich weiß jetzt das ich in Berlin bin. Große Stadt, große Träume. Ich habe große Träume, große Lügen die ich mir Nacht für Nacht einflüstere damit ich schlafen kann. Viele Lügen erzähle ich mir, aber die Ärzte sagen, solange ich weiß, das es Lügen sind, sind sie okay. Aber selbst wenn ich wirklich daran glauben würde, hätten sie sogar dafür Tabletten. Und dann mussten sie herzlich lachen. Das war der Moment wo ich die Scheibe zerschlug und mit der Glasscherbe auf eine der hartgesotteren Krankenschwestern losging. Ich hatte schon die ganze Zeit diesen Drang verspürt irgendjemanden zu verletzen der absolut gar nichts für die Situation konnte. Nur um meine Wut rauszulassen und meine Hilflosigkeit zu zeigen. Oh, ja sie erkannten meine Hilflosigkeit und wollen mich jetzt in ein Heim stecken. Ich bin 16, in zwei Jahren wäre ich zwar spätesten wieder draußen, aber ich weiß nicht ob ich noch so lange durchhalten werde.
Ich gehe jetzt durch eine dunkle Gasse. Dreck, Scheiße, Ratten all dies kreuzt meinen Weg als ich durch den Straßen Berlins spaziere. Wir haben jetzt früher Nachmittag und ich bin dankbar für meine warme Jacke. Ich bin trotz allem ein vernünftig denkendes Mädchen und ich weiß, das ich erstmal zur Ruhe kommen muss, bevor ich laut lärmend mit der Axt Köpfe rollen lasse. Also setzt ich mich auf einen Bordstein und atme tief durch. Lasse alles nochmal Revue passieren.
Meine Mutter, am Boden liegend an ihrer eigenen Kotze erstickt, meine Hand als ich zitternd den Notruf wähle, Ärzte die Dinge in meinen Arm pumpen damit ich aufhöre zu schreie

Tränen treten mir in die Augen und das ist gut. Ich weiß, ich werde die ganze Sache niemals vergessen, aber ich muss lernen damit abzuschliessen, selbst wenn es mich zerstört.
Ich kann wieder einigermaßen klar denken und beschließe, das ich erstmal etwas essen muss. Ich habe kein Geld, aber ich kenne Menschen die welches haben. Frauen in schicken Mänteln, Männer mit Aktenkoffer und Affären. Sie alle sind unvorsichtig, gerade so weit, das ich nicht verhungern muss.
Also stehe ich auf und klopfe mir den Staub von dem Hintern und versuche mit meinen Fingern meine Haare etwas in Ordnung zu bringen. Zwecklos. Seufzend reihe ich mich in den langen Strom von Menschen ein, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Ich bemerke eine Frau, sie hat ihre Handtasche locker über die Schulter gehängt und beobachtet interessiert ein Schaufenster. Ganz leicht geht es, einfach Hand ausstrecken und in die Tasche greifen. Als ich sie wieder herausziehe, finde ich meine Belohnung. Ein hübsches Portmonnaie. Die Frau guckt sich verwundert um, greift mit der Hand in ihre Tasche und runzelt verwirrt die Stirn. Egal ich bin schon längst um die nächste Ecke verschwunden und zähle unschuldig das Geld. 250 Euro, die Karten und Personalausweis lasse ich einfach zu Boden segeln. Damit komme ich eine Weile klar und zur Abwechslung, denke ich, habe ich mal Glück gehabt.

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Tag der Veröffentlichung: 16.12.2011

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