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Prolog


Privates Logbuch
Kajüte 23.10.712.

Nun, denn, es ist tatsächlich alles genau so abgelaufen, wie ich es geplant habe! Habe mir schon gedacht, dass es nicht einfach werden würde, und doch, dass zweite Ungestüm ist bewältigt!
Wie der alte Drago es vorhersagte, bedurfte die Sache einiger Überredung. Und am Ende unseres Gespräches hatte Er endlich eingewilligt, nicht ohne gewisses Zögern, wie ich zugeben muss… Aber es ist immer wieder erstaunlich, was das Bisschen loser Erde bei einem rational denkenden Menschen so alles bewirken kann. Nun, da ich außer „Shahirizade“, auch meinen Navigator habe, der nur Vermutungen über seine Rolle in dieser Geschichte anstellen kann, bin ich bereit meine Reise zu beginnen und dem Namen „Nathe Drago“, und auch dem meinem alle Ehre zu erweißen. Möge Atimes der windiger unseren Weg segnen.

K.L


>> ..nun, Mädchen, wie hasst du es dir vorgestellt?! Du kommst hierher an das Ende aller Orte, nennst mir einen Namen deren Bedeutung du noch selbst nicht begreifst, und erwartest von mir Hilfe?! Ich soll dir einen von uns überlassen?! Ihn auf eine Reise zu schicken, die vermutlich ohne Wiederkehr ist, habe ich dich richtig verstanden?!<<
Raven betrachtete das Blatt in seiner Hand und huschte mit den Augen über die schwarze Tinte da drauf, welches einen Namen Preis gab, der nicht laut vorgelesen werden sollte, und hielt das Pergament über der brennenden Kerzen. Als das Licht im schwach beleuchteten Raum unruhig flackerte und die Flamen gierig das Blatt verschlangen, sah er das Mädchen das ihm gegenüber stand genauer an. Die zierliche Gestalt bewegte sich kaum, nun hin und wieder streifte der Durchzug ihren Mantel. Die ruhigen, großen, braunen Augen ruhten auf ihm ohne ihre Gedanken zu verraten, den Mund zu einem leichten, spöttischen Lächeln gezogen. Die Göre, kaum achtzehn Jahre Alt wusste, dass er ihr helfen würde. Der Name, der jetzt in den Flammen verschwand, forderte seinen Tribut. Ja, er würde ihr helfen müssen. Und wie das Schicksal es wollte, wusste er bereits die Antwort auf ihre Bitte. Es gab tatsächlich jemanden, der von hier fort musste, für seine eigene Sicherheit. Raven lächelte in sich hinein und wandte der Person in der Ecke den Rücken zu.
>>Gut, nun ist meine Schuld damit beglichen. Doch ich lasse ihn nicht ohne einen Packt mit dir ziehen. Er ist sehr wichtig für dieses Land, dass du ihn für immer fort lässt. Er muss zurückkehren, und ich wüsste nichts was du tun müsstest, um es zu gewährleisten.<<
>>Das ist richtig, ich weiß über dein Volk nicht viel, doch das, was ich weiß, wird dich zufrieden stellen. Die Sitten und Gebräuche der Nordländer sing legender und gefürchtet zugleich.<< Die junge Frau trat einen Schritt auf den alten Gelehrten zu, so, dass sie nun deutlich im Licht zu erkennen war.
>> Keine Namen, Mädchen! Dein Name würde keine Bedeutung mehr haben. Die Zeiten, in denen der wahre Name noch Gewicht hatte, werden wohl mit diesem letzten in Vergessenheit geraten.<<
Raven flog mit der Hand über der Kerze, und drehte sich um. Das Mädchen bewegte sich nicht, und ihre Augen ruhten auf jemanden in der Ferne. Raven wusste an wen sie dachte, und musste sich unwillkürlich fragen, wie diese tiefe Beziehung zustande kommen konnte. Sein alter Freund war keiner, der seine Freundschaft leichtsinnig vergab, was hatte dieses Mädchen wohl an sich, dass er ihr solch ein grenzenloses Vertrauen entgegenbrachte?! Aus seinen eigenen Gedanken aufgewacht, blickten ihre Augen nun in die seinen, und das Lächeln war verschwunden. Eine seltsame, gespannte Aura ging scheinbar von ihr aus, und die Augen wirkten schwarz und unendlich tief, so, dass Raven ein Schauder über den Rücken lief.
>> Nein, keine Namen. Viel wertvoller als irgendein Name. Ein Leben. Mein Leben.<< Abrupt drehte sie sich um, und steuerte auf die Tür zu, mit der Hand auf dem Knauf warf sie über die Schulter. >>Wie lautet nun der Name meines neuen Begleiters?<<
>>Damon Alfelson.<<
Noch bevor der letzte Buchstabe über seine Lippen wandert, war das Mädchen aus der Tür, und in der Dunkelheit verschwunden. Ohne einen Geräusch. Ohne einen Luftzug. Nicht einmal die Kerze hatte Zeit zu flackern gehabt. Regungslos stand der Gelehrte an seinem Schreibtisch, und starte auf die Tür, die den Anschein hatte nie aufgemacht worden zu sein. Still, und ein wenig wehmütig betete der Man der Worte zu den Göttern, sie sollen den jüngsten Sohn seines Herzogs beschützen. Nicht vor Ebbe oder Flut, und auch nicht vor bösen oder guten Geistern. Auch nicht vor den Weiten des Meeres, oder dem rauen Land auf seiner langen Reise. Sie sollten ihn vor Ihr beschützen, vor ihrem grenzenlosen Tatendrang…

>>…aus welchem Grund sollte ich Euch zuhören?! Ihr habt doch alles nur noch verschlimmert!<<, schleuderte Damon zurück, und funkelte sie wütend an.
>>Eine wirklich gute Frage! Wäre es zu mindestens gewesen, würdest du nicht am Abgrund einer Schlucht stehen, von deinen eigenen Landsleuten dahin getrieben. Sieh mal, die Sache ist im Grunde ganz einfach. Ich bitte dir eine einmalige Gelegenheit die Welt zu sehen, neue Wege zu beschreiten, und …<<, sie hatte den Satz noch nicht beendet, da fuhr der junger Mann auch schon dazwischen. Das müssen wir ihm noch abgewöhnen, dachte sie, und lächelte als er hastig weiter sprach.
>>Ha! Du meinst wohl ich werde die Welt sehen, die Du mir zeigst. Die Wege beschreiten, die Du mir weist! Hier ist mein Land, meine Heimat, hier bin ich der Herr, nicht du!<<
>>So, wie ich es sehe, bis du es eben nicht!<<, sprach sie immer noch lächelnd, und trat einen Schritt auf ihn zu. Diamond machte trotzig einen Schritt zurück, und trat ins Leere. Er fiel! Seine Finger gruben sich tief in die harte Erde, rutschten ab, fanden wieder Halt. Kein laut kam über seine Lippen. Nun hatten seine Leute doch noch das bekommen was sie wollten. Er fiel! Nein, nicht so! So wollte er nicht sterben, wo auch noch eine Fremde, diese arrogante Göre da oben stand, und ihn wahrscheinlich auch noch auslachte. Was für ein Tag, alles was nur möglich war, lief aus dem Ruder.
Überrascht sah er hoch, und blickte direkt in die ruhigen, braunen Augen, die ihn zu durchschauen schienen. Ihre Hände umklammerten fest seine Handgelenke. Sie lag am Rand des Abgrundes und hielt seine Arme fest. Langsam zog sich ein Mundwinkel nach oben, und sie grinste ihn frech an.
>> Wie eben erwähnt. So, wie ich es sehe, ist die Wahl ganz einfach!<<
Aber Diamond war verblüfft, und ärgerlich zugleich. Jetzt erst recht nicht! Alles oder nichts! Er sah ihr fest in die Augen und ihr Lächeln verschwand so schnell wie es gekommen war.
>>Was denn noch?! Entweder du kommst mit, oder ich lasse los.<<
Und noch bevor sie es aussprach, wusste sie, dass es unmöglich war. Das würde sie nicht tun können, und er wusste es auch. Ach, zum Garmish dem grimmigen! Sie braucht ihn, und wie sie ihn brauchte.
>>Was willst du noch?! Ich meine außer deinem Leben.<<
>>Deinen Namen Taya, ich will deinen Namen wissen>>
Fast hätte sie ihn in vor Überraschung los gelassen, fing sich aber noch rechtzeitig. Sie musterte ihn rasch. Blau leuchtende Augen blinzelten von der herabfallenden Erde. Schwarze, leicht gewellte Haare bewegten sich im Wind hin und her. Verdammt!
>>Die Ära der wahren Namen ist vorüber, was kannst du denn damit anfangen?!<< Sie sprach es leise, lauernd, abwartend, eine gespannte Note schwang in ihrem sonst so gelassenem Ton mit. Und diese gewisse Schärfe mischte sich unauffällig unter die Belanglosigkeit mit der sie fragte.
Damon merkte es sofort, und es kam ihm unheimlich wichtig vor, was er jetzt antwortete, aber er zögerte nicht.
>> Ich möchte nur die Wahrheit kennen. Die Person kennen, mit der ich reise. Zu wissen, dass es einen Namen hat, bedeutet zu wissen, dass es Real, dass es Wirklich ist!<< Den letzten Satz schrie er fast aus. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, obwohl er kaum einige Sekunden am Abgrund hing. Und obwohl es bloß ein paar kurze Sätze zwischen ihnen gab, kam ihm das ganze Gespräch furchtbar anstrengen vor. Jedes Wort eine Gefahr, jede Frage, eine noch gefährlichere Frage. Er fühlte sich auf einmal so unendlich Müde. Und musste sich fragen, ob sie etwas damit zu tun hatte. Könnte es sein?! Könnte sie eine Kuma’ola sein. Eine Hexe?! Und als ob sie es gespürt hatte, dass er an sie dachte, oder viel mehr das, was er über sie dachte, holte sie ihn aus seiner plötzlichen Bekommenheit in die Wirklichkeit zurück. Er sah sie an. Er wusste, dass er sie schon die ganze Zeit über angesehen hatte, aber erst jetzt wieder auch wirklich sah. Als ob sie es bestimmen konnte. Als ob sie für gewisse Zeit unsichtbar werden konnte, wenn sie es gerade für nötig hielt.
>>So, so. So einfach, he!<< Und sie lächelte ihn wieder an. Und als sie ihm ihren Namen flüsterte dachte er an dieses Lächeln. Es war anders, es war seltsam, und er wusste, es war ihr nicht bewusst was sie tat. Dieses Mal lächelte sie so eigenartig, weil sie ehrlich belustigt war. Sie war ehrlich. Sie hatte durch dieses Lächeln ihr wahres „ich“ gezeigt. Kurz darauf tauchte hinter ihr eine breite Gestalt auf, und half Damon aus der Schlucht zuziehen.
Ein letztes Mal schaute er in die Tiefe, und wandte ihr und der bereits sinkenden Sonne seiner Heimat den Rucken zu. Monoton fingen die Grillen an ihr gebrochenes Klagelied über der Ebene zu singen. Doch niemand war mehr da um es zu hören, die Menschen waren fort. Und nur der durchgeschnittene, mit goldenen Fasern durchzogene Strick, erinnerte an ihre Anwesenheit, die auch schon bald in Vergessenheit geraten würde.


Kapitel 1 – Das Spiel -


Nicht der Weg ist von Bedeutung, und auch nicht das Ziel selbst.
Allein die Richtung vermag uns zu lenken, uns zu führen, ins Verderben zu stürzen, uns an Versprechen zu binden und in der Dunkelheit verzagen zu lassen...ohne Hoffnung...ohne Wahrheit...ohne einen Morgen...

Nathe Drago, der Goldene.


Logbucheintrag
07.07.717. Mim’Dor


Vor zwei Tagen haben wir die Küste von Kumin erreicht. Morgen sind wir in Mim’dor, der Hauptstadt der Kumin-Insel. Habe Krish bereits voraus geschickt, damit er die ersten Vorbereitungen treffen kann.
Haben unser Haus in Mim’Dor am Hafen bezogen. Weis gar nicht was Krish hat, beklagt sich ständig wegen der kühlen Luft. Selbst der Geruch hat etwas Heimisches! Mag aber auch damit erklärt gewesen, dass ich sowieso, nirgendwo lieber bin als auf der See. Auf dem Land muss ich handeln, „Shahirizade“ kann ich einfach treiben lassen. Nun aber genug davon. Mein Agent teilte mir mit, dass Lord Garder, und auch sein Kusin Luis Morel die Plams besuchen werden. Und da ich annehme, dass auch Nith dort sein wird, kann ich dieses Spektakel natürlich nicht verpassen!
Krish muss ich abermals loben, das Anwesen welches er für unsere Zwecke gemietet hat, ist grandios. Zumindest von Außen. Nicht, dass ich es gerne behalten würde, den bereits die Vermietung für einen Tag meinen Geldbeutel ausschöpfte.
Aber es ist wirklich eindrucksvoll.
Der Empfang bei den Plams verspricht interessant zu werden. Das Spiel möge beginnen.

K.L.


Mit einer Handbewegung stellte sie die Spieluhr ab und zwang sich mühselig aus dem Sessel. Am Dock war bereits neues Leben erwacht. Müde stellte sie fest, dass sie die ganze Nacht wach geblieben war. Abtastend bewegte sie sich durch die Halbdunkelheit des anbrechenden Morgens zu der Waschschüssel, tauchte ihre Hände in das kühle Nass, und verteilte die Tropfen anschließend im Gesicht. Es war Zeit! Langsam und übertrieben umständlich stopfte sie sich praktisch in das violette Kleid, welches sie sich am Abend zuvor bereit gelegt hatte. Die weise Spitze schmeichelte ihrem vollen Decolette. Und der Ausschnitt offenbarte mehr, als er verdeckte. Mit einem Kamm türmte sie ihre Haare zu einer Hochsteckfrisur, und ließ ein Paar Strähnen frei ins Gesicht fallen. Mit einem frechen Grinsen wunderte sie sich zum hundertsten Mal, woher sie so etwas überhaupt konnte. Mit den Händen ging sie ein letztes Mal über die Spitzte zu der Taille, und hauchte über die kühlen Schifonfalten des Rockes. Noch ein wenig Rouge, hier und da etwas Puder. Ja, es würde reichen. Sie lächelte verschmilzt ihr Abbild im Spiegel an, und zwinkerte ihm kokett zu. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um, und ging aus dem Haus im Hafen, rein in die schwarze, anonyme Kutsche. Ihr teuerer Diener half ihr rein, und nahm draußen beim Kutscher Platz. Ein letzter Ruck bevor das Gefährt über die Strassen von Mim’Dor zum Anwesen der Plams raste. Auf halber Strecke hielten sie an dem Kunstvoll gearbeiteten Tor ihres nur für einen Tag gemieteten Anwesens. Und hätten die Streuner und Bettler auf den im Halbdunkel liegenden Strassen, genauer hingeschaut, so würden sie sehen, dass der Diener aus seiner Tasche glänzende Gegenstände holte, und sie an die Türen der ehemals anonymen Kutsche montierte. Aber niemand beachtete sie, und es blieb auch verborgen, dass die Gegenstände, in gold gefasste Embleme des Hauses Galth auf den Kaiserlichen Inseln trugen. Und die hier und da abblätternde goldene Farbe ihre Falschheit offenbarte. Aber auch das sah keiner. Und nur als die Kutsche in vorgetäuschte Eile einige Bettler von der Strasse drängte, schimpfte man und zeigte mit den schmutzigen Fingern auf das vermeintliche Haus, welches die Kutsche verließ. Man hatte wirklich nicht übertrieben, dass Anwesen glich einem Palast. Sie musste ein Lächeln unterdrucken. Sie war noch nie in einem Palast drin, nur von außen durfte sie die Pracht des wissen Palastes des Kaisers bewundern. Aber es war riesig.
Als sie ihre gefälschte Einladung elegant dem Zeremoniemeister reichte, lobte sie die Macher insgeheim für die gute Arbeit. Man geleitete sie und ihren Diener durch die Empfangshalle in den Ballsaal. Eine riesige Halle mit allem, was man für das Geld nur erwerben konnte. Man würde noch mehr sinnloser Dinge hier unterbringen, wenn der Platz an den Wenden und in den Ecken es zulassen würden. Wandteppiche von legendären Rittern und Fabelwesen erzählend. Mannsgroße Porträts der Urahnen und den Gastgebern selbst. Auf einem Gemälde war die kleine Katrin Plams mit einer weisen Katze abgebildet, in einem anderen Teil des Saals ihre große Schwester mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern. Auf dem anderen war eine alte, streng dahinblickende Dame, in ein graues Tuch gehüllt. Ein kollektives Tuscheln weckte ihre Aufmerksamkeit und sie schaute zum Eingang. Lauter unwichtige, aber umso wichtig aussehenden Herren, kamen herein begleitet von bunten in Spitze und Rüsch gekleideten Hühnern, welche sich Ehefrauen schimpften. Der Richter kam gerade in die Halle in Begleitung seiner beiden Töchter Eluise und Colette, die vor kurzem ihr Debütball abgehalten hatten. Nach ihnen schwebte die Clarisse de’Mosegall herein, die verwitwete, und scheinbar nie alternde Dame. Seid dem frühen Tod ihres Gatten erbte sie sein Handelspatent, und somit auch die fünf Frachter, die sie jetzt ihr Eigen nennen durfte. Kelina seufzte. Fünf Schiffe! Natürlich keines so groß oder wertvoll wie ihre „Shahirizade“ aber immerhin! Verehrer umwarben die sorgsam gepflegte Dame sobald diese den Saal betrat. Sie musste unwillkürlich daran denken, welchen Eindruck die Clariss auf die Menschen machte. Mit ihrem Charme und ihrer klaren Denkwiese, wusste sie die Menschen um sie herum zu beeinflussen. Sie füllte praktisch den ganzen Saal mir ihrer Persönlichkeit aus. Kelina wedelte sich Luft mit dem Fächer zu, weniger weil es ihr Heiß war, sondern um ihr Lächeln vor der Menge um sie herum zu verbergen. Einige Ratsmitglieder kamen gerade herein, ein Paar adlige Freunde der Familie, und deren angebliche Freunde. Und da sah sie ihn. In schwarzen Mantel gekleidet hielt er einem Diener seinen mit Edelsteinen besetzten Gehstock hin. Die schwarzen Haare sorgfältig nach hinten gekämmt, und am Nacken mit einem roten Samtband gebunden. Wie aus einem Buch, dachte sie. Nur ein Paar weiße Fäden zogen sich durch das Haar und zeugten von dem anbrechenden Alter. Was sein Haar verriet, strafte seine anmutige Haltung Lügen. Wie er sich zu bewegen wusste! Wie eine Raubkatze ging er um die Leute herum, hier und da ein Paar Verbeugungen und Schmeicheleien. Was er sagte war leuchtend und überzeugend, jedoch, was er dachte, verrieten seine kalten, blasgrauen Augen. Und bei den Göttern, was das für abscheuliche und grausame Gedanken waren wusste sie besser als mancher Anwesender hier. Nith Veruna! Der nun seit zwei Jahren der befehlshabender Offizier am Hoffe des Grafen von Gloth. Der eigentliche, der dort die Macht in den Händen hielt, der selbsternannte Herzog von Gloth. Und der selbst nach der Krone des Königs der Inseln strebende Nith, der Unerschöpfliche. Als er an ihr vorbeiging schenkte sie ihm ihr liebreizendes Lächeln, welches sie nur aufbringen konnte, und machte einen leichten Knicks. Der in schwarz- gold gekleideter ging jedoch scheinbar unbeteiligt weiter ohne sie zu beachten. Ein letzter Gemurmel und alle Köpfe drehten sich zu der Haupttreppe in der Mitte. Die Gastgeber gaben sich die Ehre. Als erste schritten das Paar der Herr und die Herrin des Hauses selbst, Matilda und Kroth Plams. Gefolgt von der ältesten Tochter und ihren Gatten. Dann kam Kris, der einziger Sohn der Plams, gefolgt von Katrin, die erheblich älter wirkte als auf dem Porträt. Die Diener eilten herbei und die Musik forderte zum Tanz, die Gastgeber zerstreuten sich in der Menge, und die Maskerade begann.
Damon sah in seinem weißen, mit blauen Stickereien am Saum und Ärmeln, fürstlich aus. All die Jahre im Freien auf einem Schiff gingen nicht spurlos an dem jungen Mann vorbei. Die harte, müheselige Arbeit prägte seinen hoch gewachsenen Körper, in dem sie seine Schultern breiter werden ließ, und die Muskeln ans Tageslicht brachte. Nur seine verwitterten, und von kleinen Schrammen übersäten Händen, würden ihn als den Schwindler entlarven, der er war. Auch seine helle Hautfarbe war nicht wegzubekommen gewesen, wie lange auch immer er in der prallen Sonne sein konnte, mehr als einen Sonnenbrand war da nichts zu holen, die Haut blieb hell. Er lächelte müde und wandte den belanglosen Erzählungen einer jungen Dame seine halbe Aufmerksamkeit zu. Ja, nur die halbe, denn die restliche ruhte unauffällig auf der bunten, und immer noch etwas unwirklichen Gestalt im violetten Schifonkleid, welche sich Luft zuwedelte. Er unterdruckte den erneut aufkommenden Ärger in sich. Was sollte er hier?! Wieso er?! Er war unter falschem Namen hier, dass einzige was stimmte war seine Herkunft, was nutzte es ihr? Nach all der Zeit, die er nun auf „Shahirizade“ Navigator war, verstand er diese Frau immer noch nicht. Dock tat es lachend ab, und meinte niemand täte es, sie war nur für sich selbst halbwegs Erdgründlich. Und dennoch, jedes Mal, wenn er meinte ihre Handlungen erklären zu können, tat sie etwas vollkommen Gegensätzliches. Bei den Göttern, wie hielt sie selbst auseinander was die Wahrheit und was die Luge war?! Die Dame neben ihm kicherte, und er lächelte sie sanftmütig an, im Gedächtnis herumwühlend was sie ihm gerade erzählt hatte. Nach kurzen Sätzen vertiefte sich diese in das Gespräch mit einer anderen feinen Dame die gerade dazu kam, und Damon schaute wieder an ihnen vorbei auf die Gestalt am anderen Ende des Raumes. Seltsam, sie war gerade in ein reges Gespräch mit anderen Gästen vertieft, so stand eine ganze Gruppe um sie herum und ließ sich von ihr mitreißen. Und doch wirkte sie einsam, so als ob sie anders leuchtete als der Rest, und somit für ihn leicht in der Menge erkennbar war. Er tat diesen Gedanken jedoch beiseite, und dachte es sei darauf zu führen, dass sie die einzige hier war, die er kannte. Und doch war sie ständig in seinem Blickfeld, auch wenn er es gar nicht merkte.

>>…na, wenn ich es doch sage! Er meinte, es sei unmöglich sich mit diesen Wilden zu einigen! Ich habe erst kürzlich mit ihm gesprochen. Ein ganz niedlicher. Aber die Tiere dort, ach, wie gerne hätte ich sie mir angeschaut!. Ich meine, haben sie schon von den „Bogan“ etwas gehört?! Er meinte sie sind beeindruckend, so groß und gefährlich wie die Wildkatzen in Mon, aber so groß wie ein Pferd.<< Ein erstauntes Gemurmel ging unter den Zuhörern, und sie musste schmunzelnd feststellen, dass sie das Gespräch vollkommen beherrschte.
>>Meine liebe, wenn es denn war ist, was sie da sagen, würde ich an ihrer Stelle einen weiten Bogen um die nördlichen Insel machen. Ich würde diesen Tieren nicht auf meinem Weg begegnen wollen!<< Matilda Plams sah unruhig auf ihre behandschuhten Hände.
>>Ach, Mama, du würdest doch schon bei einer Wüstenmaus die Beherrschung verlieren.<<
Tadelte Roel ihre Muter und berührte leicht deren Hand.<<Weist du noch im letzten Sommer am Strand? Wir dachten Vater würde vor Lachen platzen. Er musste dich vor einer Qualle retten, die das Meer an den Strand spülte.<<
>>Liebes, das sind doch Geschichten, die man nicht aus dem Haus trägt, dein Vater würde das auch meinen.<<, wandte Matilda etwas gekränkt ein.
>>Habe ich etwa meinen Namen gehört?<<, Kroth Plams kam hinter seine Frau getreten und blickte fragend in die Runde, da niemand etwas sagte gesellte er sich zu ihnen.
>>Die Tiere, welche sie beschrieben haben, sind aber wirklich etwas Besonderes und für Landesfremde nicht wirklich aufregend.<<
Kelina lief es den Rücken kalt herunter. Wie ein Gespenst war Nith an ihrer Seite aufgetaucht, und musterte sie eindringlich.
>> Ja, ja …<<, sie fing sich blitzartig ein und sah ihn lächelnd an. >>… ein junger Offizier von der North- Insel. Er ist vor einigen Tagen mit der „ Clot“ gekommen, hat er mir erzählt. Mir ist gleich sein nördischer Akzent aufgefallen. Und da habe ich ihn ausgefragt. Das war vielleicht aufregend!<<
>> So, so, wie überaus interessant, ein Nordländer, ja!?<<, Kroth schaute absuchend, aber unaufdringlich in die Menge ohne den eben genannten zu entdecken. >>Hat dieser junge Mann auch einen Namen, verehrte…<<, er schaute Kelina fragend an, doch es war seine Tochter, die sie ihm vorstellte.
>> Monique Le’Ferres, Papa, ich habe von ihr doch erzählt, wir haben uns in der Oper kennen gelernt, in Safras.<<
Kelina lächelte liebreizend und schaute vorgetäuscht suchend in den Saal hinein. In Wahrheit brauchte sie ihn nicht zu suchen, zu jedem Zeitpunkt wusste sie wo er war.
>>Nun, er heißt Kevin, Kevin Fayson.<<, und als ob sie ihn gerade erst entdeckte hob sie leicht die Hand und zeigte in seine Richtung. Als sie den Gastgeber anschaute musste sie sich zwingen nicht aufzulachen, und brachte nicht ohne Mühe einen verwunderten Blick zu Stande. Denn der Herr des Hauses kochte vor Wut. Wo seine Frau und die Tochter die Geste mit dem Draufzeigen als dummes Missgeschick abtaten, ärgerte sich der Graf über sie, weil sie damit soviel Aufmerksamkeit auf sie zog, was er nicht brauchte. Und jetzt fühlte sie sich erst recht in Sicherheit. Da selbst Nith darüber schmunzelte, sie als närrisches Weib abtat, und den jungen Mann betrachtete, der sich kaum vor weiblicher Aufmerksamkeit retten konnte.
Kurz darauf verabschiedeten sich die Herren und suchten einige Ratsmitglieder auf. Kelina, welche die beiden unauffällig mit den Augen verfolgte, wusste, das es bald soweit sein würde. Hoffentlich würde er es schaffen! Sie hatte ihn absichtlich im Dunkel gelassen, und gezwungen zu improvisieren. Je weniger er über die bestehende Situation wusste, desto mehr würde er sich in Widersprüche verstricken. Und desto mehr Aufmerksamkeit würde er auf sich ziehen, und ihr Zeit verschaffen. Und sie brauchte Zeit, jede Sekunde davor würde sie brauchen.
Leicht und rhythmisch erklang der Walzer, und die meisten Gäste folgten der Musik. Kelina wurde von Roel einigen ihrer Freunde vorgestellt, somit mangelte es ihr nicht an der Gesellschaft. Einigen Ratsmitgliedern schlug sie die Einladung zum Tanz nicht ab, merkte aber schnell, dass sie nur wenig Interessantes zu berichten hatten. Das beliebteste Thema war der versickernde Handel mit Siem und die Schönheit ihrer Augen. Weder dem einem oder dem anderem war viel abzugewinnen, und sie schickte die nächsten Kavaliere wieder fort. So wollte sie auch weiter Verfahren als man sie von hinten leicht an die Schulter tippte. Mit einem gespieltem, koketten Lächeln drehte sie sich um und begegnete den eigenartigen, stechend grünen Augen der Clariss De’ Mosegall. Die Dame musterte sie eindringlich und lächelte, wie es Kelina erschien, zufrieden. Gerade als ein junger Mann sie zum Tanzen auffordern wollte, winkte diese ihn ab. >>Ihr wollt doch der alten Dame ihre neue Bekanntschaft nicht stehlen?! >>
Der Mann verbeugte sich leicht und verschwand zwischen den Gästen. Kelina wartete, und schaute distanziert auf die tanzenden Paare.
>> Verzeihen Sie mir meine Dreistigkeit, aber ich hatte den Eindruck sie mögen nicht länger unterhaltet werden.<< Clariss lächelte, ihre Augen blieben jedoch ausdruckslos.
>> Matilda erwähnte ihr seit aus Gloth, eine beeindruckende Stadt.<<
Aha, dachte sie, die werte Dame möchte spielen, mal schauen, was dabei rauskommt.
>> So? Ich weiß nicht, wenn sie von der Fischerei dermaßen beeindruckt seid, ist es ihr Recht. Ich dagegen genieße mehr die Gesellschaft zivilisierter Menschen.<< Warf sie in die Runde und wartete ab. Und tatsächlich entspannte sich die Komtess etwas, spielte aber weiter. Kelina war jedoch vorbereitet, blieb aber wachsam. Was auch immer die Dame von ihr wollte, immerhin witterte sie Fremde anscheinend auf einer Meile gegen den Wind, interessant!
>> Ah, stimmt. Ich muss die beiden Städte verwechselt habe, ich meinte natürlich Galth, ah wie prächtig es dort doch war!<<
Aber hallo, dachte Kelina und musste in sich hinein schmunzeln. Eine erfahrene Kauffrau, welche ihre Handelsstädte durcheinander bringt?! Niemals! Sie kramte in ihrer Erinnerung, was sie noch über die beiden Städte wusste. Aber die Dame sprach bereits weiter.
>> Ihre Familie ist mir aber wohlbekannt. Ich unterhalte mich jedes Mal mit ihrem Großvater, wenn ich ihn Kumim bin, ein helles Köpfchen, und das noch in seinem Alter, bemerkenswert.<< Na, großartig, dachte Kelina. Dann weiß sie ja doch noch mehr als ich! Das mit dem hellen Köpfchen musste ihr entgangen sein. Als sie den alten Mann das letzte Mal sah, lag er bereits im Delirium und quasselte vom den Göttern, die über die Erden und Wasser Erithids wanderten.
>> Es tut mir leid, aber das wissen Sie offenbar nicht, mein Großvater ist vor sechs Monaten in Galth beerdigt worden. Und auch wenn er dort der Erde übergeben wurde, so waren wir nicht gut miteinander im Leben ausgekommen.<<
Die Dame lächelte und schaute an den tanzenden Paaren vorbei. Eine Weile standen die beiden Frauen schweigend Seite an Seite. Als die Clarisse De’Mosegall sich abwandte, hauchte sie noch über ihre Schulter.
>> Auch wenn ich mich irren sollte, meine liebe, was ich recht selten tue. So sollten Sie doch im sicheren Haffen bleiben und auf sich Acht geben. Die Raben lachen diejenigen aus, die ihres Sieges sicher sind.<< Und sie verschwand zwischen den Gästen. Kelina hielt kurz die Luft an. Verdammt! Sie hatte ihre Rolle doch zu perfekt gespielt. Unklar war aber, auf welcher Seite die Komtess stand. Anscheinend hatte sie noch mächtigere Feinde als sie dachte. Verdammt, Verdammt! Diese Alte war gut! Sie musste ihre Pläne verwerfen, und sich beeilen. Wenn Nith Damon in die Mangel nahm würde Clariss sicher auch in der Nähe sein, und der Navigator würde sich schnell verraten. Verdammt! Vielleicht war es doch ein Fehler, dass sie ihn nicht eingeweiht hatte. Diese Alte würde ihn schnell enttarnen und sie beide, Kelina und Diamond in Zusammenhang bringen. Sie hatte keine Zeit, im Gegenteil, sie hatte unüberlegt eine Menge Zeit verloren. Sie musste sofort handeln, aber wie?! Sie musste sich etwas einfallen lassen, und zwar sofort! Und wie auf einen Schicksalswink kam da gerade ihre Gelegenheit in Gestalt von Kroth eigenem Sohn Kris. Kelina handelte. Sie hakte sich ungefragt beidem sechzehnjährigen unter, was ihn zur ihrer Erheiterung sichtlich etwas aus der Fassung brachte. Bereits kurze Zeit später schritten sie zusammen die hell erleuchteten Flure des Anwesens entlang, zu der Bibliothek. Ein Geniestreich! Den Sohn des Hauses, welcher ihr großer Feind war, verführen, so, dass er sie von der Menge fort brachte. Sie musterte den Knaben an ihrer Seite. Etwas kleiner als sie selbst, aber vom kräftigen Körperbau wie sein Vater. Braunes, schulterlanges Haar, volle Lippen, in ein Paar Jahren sicherlich ein attraktiver junger Mann.
Die Bibliothek war ein Traum! Drei Etagen, getrennt durch zwei Galerien, voll gestellt mit Büchern. Staubiger, und modriger Geruch hing in der Luft, aber nicht unangenehm. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Für einen kurzen Augenblick war sie fort, sie löste sich im Raum auf. Wie eine Staubwolke legte sie sich zwischen den Büchern ab, wirbelte über dem Parkettboden und stieg an den Geländern vorbei hinaus durch das Glassfenster in der Kuppel.
Die warme Hand an ihrer nackten Schulter holte sie wieder zurück. Mit einem Seufzer legte sie die ihre darauf und verwalte so einen Moment. Schade…Mir einem Ruck drehte sie sich blitzschnell um und schlug dem überraschten Burschen in die Magengrube. Deren feine Gesichtszüge verzogen sich zu einer Schmerzensmaske bevor er ohnmächtig zu Boden glitt, und regungslos von ihren Füssen liegend blieb. Schade, seufzte sie erneut und schaute sich ein letztes Mal im Raum um, bevor sie ihn verließ. Wirklich Schade…

Damon traute seinen Ohren nicht. Verrat?! Vicount de’Vasalle ?! Er?! Nordländer ?! Intrigen ?! Was sollte er mit so vielen Informationen den anfangen?! Er hatte keine Ahnung worum es hier ging, und nach einer Weile war er sich sicher, dass es vielleicht auch besser so war. Er würde sie erwürgen! Nein, er würde sie so lange schütteln bis sie ihn aufklärte. Verdammt, sie waren Freibeuter, hierbei ging es aber offensichtlich um Politik, und er verstand absolut nichts mehr! Er würde sie auf jedem Fall erwürgen! Wie ein dummes Schaff stand er da, verkleidet bis zur Unkenntlichkeit, und antwortete brav auf alle Fragen, die ihm der Herr des Hauses stellte. Und als ob es nicht ausreichte, spürte er die ganze Zeit über die stechenden Blicke des komischen, schwarz gekleideten Mannes neben ihm. Verdammt! Es glich mehr einem Verhör, als einem gesellschaftlichen Plausch! Was ging hier vor?! Er hatte es fast nicht bemerkt, wie eine adrett gekleidete für ihr Alter sehr schöne Dame sich zu ihnen gesellte und scheinbar unbeteiligt zu hörte. Als sie ihn anlächelte blitzten makellos weise Zähne, und die seltsame ausdruckslose grüne Augen auf ein Mal. Oha, noch ein Geier, aber her mit euch! Die Herren schienen mit seinen Antworten etwas anfangen zu können und zerstreuten sich zu schnell, dass es unauffällig erscheinen könnte. Damon seufzte.
>>An ihrer Stelle junger Mann, würde ich gut aufpassen mit wem ich Freundschaften schließe.<< Sie strahlte ihn liebreizend, und zugleich warnend an.
Ja, ja, dachte er. Wenn ich mir ihre Freunde so ansehe, beherzigen sie ihre eigene Ratschläge aber Punkt genau!
>> Und außerdem, aber nur weil Sie mir so sympathisch sind, sollten sie gehen. Mir scheint,<< sie sah den sich entfernenden Gestalten nach, >>das Fest der Narren ist vorüber. Und ich muss ihrer Freundin eines lassen, sie weiß es einer Party das gewisse Etwas zu verleihen.<< Bei diesem Satz musste sie lächeln, und Damon meinte eine Bekennte Note darin zu erkennen, aber sicher war er sich nicht. Denn als er die Dame wieder anschaute war ihre Minne wieder kühl und distanziert. Und er zögerte nicht, so unauffällig wie er nur konnte verließ er das volle Anwesen, und tauchte in die schützende Dunkelheit. Der Tag war fast zu neige. Durch den Garten, über den Zaun, direkt auf die schwach beleuchtete Stadt. Fort von diesem Maskenball, fort von den Leuten, die alle anders waren als sie ihm von außen zuerst erschienen. Nur fort.

Sie kletterte über das Geländer im zweiten Stock. Ihren Rock musste sie bereits im Arbeitszimmer mit dem Messer abtrennen und zurücklassen. Da wird Cook aber traurig sein, dachte sie etwas reuevoll. Er hatte zwei ganze Tage an dem Kleid genäht. Jetzt musste sie schnell von hier weg, nur wie?! Sie stand mitten in der Nacht, nur in Unterwäsche gekleidet, auf einem Vorsprung, und die Besitzer des Hauses zeigten ihren Unmut, in dem sie sich an die verschlossene Tür warfen, die sie von dem Eindringling trennte. Sieht gar nicht gut aus! Von Unten hörte sie Stimmen, und sah leuchtende Punkte aus dem Haus stürmen. Na großartig! Wo sind denn die Hunde, dachte sie und biss sich sofort auf die Lippe, den von irgendwo da Unten hörte sie Hundegebell. Wirklich großartig! Sie setzte vorsichtig einen Fuß vor dem anderen, und hielt sich am Gelände fest, welches bald endete. Was wird denn immer aus meinen gut durchdachten Plänen, Garmish du Narr, macht es dir Spaß mich ständig zu sabotieren?! Und wie zur Bestätigung ging im nächsten Fenster an dem sie sich vorbei schlich, die Lampe an. Ja, ja, hab ja verstanden, du alter Gaukler hast deinen Spaß! Murmelte sie leise und duckte sich so tief wie sie nur konnte, was natürlich unmöglich warda unter ihren Füssen das Dunkel lag. Durch das Fenster starten sie vor Angst geweiteten Augen eines Hausmädchens, dass Madams Bett vorbereitete, und dann erklang der Schrei. Sie würden sie gleich erwischen. Alles oder Nichts! Sie ließ das Geländer los, und glitt geräuschlos in die Tiefe. Im besten Fall würde sie sich etwas brechen, dachte sie noch, als sie hart mit der Schulter gegen etwas knallte, und sie vor Schmerz stöhnen musste. Ein Dach?! In der Dunkelheit sah sie den kleinen Pavillon unter dem Fenster nicht. Sie drehte sich um, rutschte schmerzhaft über den Ziegeln, und blieb kurz am Balken hängen bevor ein stechender Schmerz in der Schulter sie zwang los zu lassen. Sie prallte am Boden wie ein Sack Mehl auf, raffte sich so schnell auf wie sie nur konnte, und zog sich in eine unbeleuchtete Ecke des Gartens. Am Zaun angekommen hörte sie lautes Rufes hinter ihr und das Hunde Gebell. Sie hatten die Hunde an der Leine! Wie auch anders, es waren zu viele Gäste hier um diese auf sie zuhetzen, na, toll!
Müheselig kletterte sie über den Zaun und ließ sich schwerfellig auf den Boden sinken. Beiläufig schaute sie auf die leuchtende Punkte hinter ihrem Rücken, und glitt geräuschlos in die Dunkelheit. Was für ein Plan war es doch gewesen! Etwas Verwirrung hier und da stiften. Ein Paar Fragen bei den richtigen Leuten hinterlassen, und verschwinden.
Einfach gehen, nicht etwa sich blutend und humpelnd davon schleichen. Verdammt, wieso endete alles immer so?!
Als sie am Haus im Haffen ankam, wartete bereits die schwarze Kutsche vor dem Zaun. Ach, Krish ich sollte dich befördern, dachte sie müde und huschte hinein. Kaum hatte sie die Tür hinter sich zu gezogen, setzte sich das Gefährt auch schon in Bewegung. Und von Draußen hörte sie die bekannte Stimmen ihres Freundes und Ersten Mannes Krish, wie er die Pferde mit fester und aufmunternden Stimme vorantrieb. Gut, morgen Früh würden sie die Küste erreichen, wenn alles gut ging würden sie auch schon vor Mittag in die See stechen.
>>Können wir bitte erst Morgen diskutieren?!<<, sagte sie matt und hielt abwehrend die Hände hoch, Handfläche nach außen gedreht. >>Ja, ja Morgen, versprochen. Jetzt bin ich zu beschäftigt, nicht von dieser Steinhartenbank zu fallen.<<, sie versuchte zu lächeln, und erkannte, dass er es in der Dunkelheit der Kutsche nicht sehen konnte. Aber er war da, und es war gut so. Da ja alles Schiff gelaufen war machte sie sich Sorgen, er würde es nicht schaffen. Aber er war hier, angespannt saß er ihr gegenüber und verspürte Funken, dass konnte sie förmlich spüren, und musste unwillkürlich schmunzeln. Er war sogar vor ihr hier, sie Mal einer an, Krishs Ausbildung hat etwas genutzt!
>>Du bist verletzt.<< Er machte sich nicht ein Mal die Mühe eine Antwort abzuwarten. Unter der Bank auf der er saß holte er eine kleine Tasche hervor und nahm das was er dem Fühlen nach zu urteilen für Verbandszeug hielt, und setzte sich neben sie. Etwas überrascht aber nicht abgeneigt überließ sie es ihm sie zu verarzten. Was an sich schon komisch wirkte, da es ja Dunkel war, und sie seine Hände zu der Wunde an ihrer Schulter praktisch führen musste. So glitt seine warme Hand über die rechte Schulter, über den Rücken bis es das warme Nass ertastete, sie blutete.
Als er fertig war, so gut es eben ging, war sie bereits eingeschlafen. Er verstaute das Übriggebliebene wieder in die Tasche, und rutschte bequemer auf der Bank. Die Kutsche bewegte sich gleichmäßig über die Strasse von Mim’dor, bis es auf dem Landweg in den flachen Ebenen von der Dunkelheit verschlugt wurde. Damon gab den Versuch einzuschlafen endgültig auf, und stützte die reglose Gestalt neben mit seiner Schulter, damit sie nicht von der Bank fiel. Das Gefährt wurde schneller, da der Weg jetzt geradeaus durch die Dörfer ging. Was für eine Nacht! Und der Wunsch sie zu erwürgen war auch fort. Er versuchte sie durch die Schwärze anzuschauen. Sie schlief immer noch, wimmerte nur manchmal auf, wenn die verletzte Schulter an die Wand stieß.
Ach, zum Henker, was sollte denn diese Aktion?! Was hatte sie vor? Im Morgengrauen schlief auch er kurz ein, um dann von Krish unsanft mit einem Fußtritt gegen sein Schienbein, geweckt zu werden. Sie war bereits ausgestiegen und rief lauthals Befehle. Kurz darauf saßen sie bereits im kleinen Beiwasserboot und ruderten von der Küste fort, weit auf das Meer hinaus. Von einer Verfolgung weit und breit keine Spur. Die Verwirrung auf dem Fest war wohl wirklich groß, dachte der Navigator und legte sich ins Ruder. Auch er wollte nur fort von hier, auf die triefende „Shahirisade„ und hinaus in die See. Nun musste er sogar selbst schmunzeln. Ach, verdammt, er liebte es tatsächlich. Er liebte die See über alles. Die zwei kleine Bote glitten gekonnt über die seichten Küstengewässer auf den Horizont zu. Das Festland hinter ihnen wurde immer kleiner, und die Lüft frischer und kühler. Kelina spähte hinaus in die Weite ohne etwas zu sehen. Die „Shahirizade“ blieb nie lange auf einem Platz, zu groß war die Gefahr entdeckt zu werden. So segelte es hin und her, und sie wusste nicht direkt wo sie hin mussten. Als sie meinte sie wären weit genug von dem Festland entfernt ließ sie die beiden Boote anhalten, und griff in ihre Tasche. Langsam führte sie ihre Hand um Mund und schloss die Augen. Wie ein leiser Windpfiff verlies ein dünner Laut ihre Lippen. Sie hielt inne und horchte, nichts, nur das Wasser schlug leise auf das Holz ihres Botest. Sie pfiff erneut, länger, lauter, wie ein Vogelgesang strömte der Ton der Pfeife zum offenen Meer. Und tatsächlich, hinter einer Felsgruppe, die aus dem Wasser ragte, hörte man leise Antwort. Der gleiche Laut, nur kürzer und unterbrochener, aber eine Antwort. Sie zeigte in die Richtig, und die Ruderer legten los. Schon nach wenigen Meter entdeckte sie ihr Schiff, dass friedlich vor sich hin und her schaukelte. Kelina steckte die kleine Holzpfeife wieder in die Tasche und grinste beim Anblick eines dunkelhaarigen Jungen, der sie wild mit den Armen wedelnd aus dem Ausguck begrüßte. Er pfiff in seine Pfeife, dass ständig an seinem Hals hing, bevor er laut jubelnd herunter zu klettern begann. Sie seufzte erleichtert. Sie waren wieder da! Sie war wieder zu hause! Hier war sie stark, hier war sie unter ihres gleichen!

Der Man vor ihm durchstöberte gerade laut fluchend seinen Schreibtisch. Einige Papiere dessen Inhalt er von Hier aus nicht erkennen konnte, lagen unordentlich auf dem Boden. Nachdenklich wog er den Kopf leicht zur Seite, und ließ seinen Verbündeten gewähren. Der Dieb hatte nichts gefunden was er selbst nicht schon vor ihm gesehen hatte. Doch dies teilte er dem aufgebrachten Hausherr natürlich nicht mit. Stattdessen ging er langsam zurück zum offenen Fenster, durch das der Einbrecher vor einigen Minuten entflohen war, und tippte sich eicht mit dem Zeigefinger an die Lippen. Irgendetwas stimmte an der ganzen Geschichte nicht. Zu gut passte alles zusammen, und dennoch wichtig genug, dass er es sich noch ein Mal durch den Kopf gehen ließ. Ein falscher Nordländer, der nun ja ein Abkömmling der Nördischen Insel sein könnte. Aber wieso so offensichtlich hier auftauchen?! Was hatte er erhofft hier zu finden? Das machte einfach keinen Sinn! Es ähnelte mehr einem Scharadespiel, aber was sollte damit bloß erreicht werden?! Nith Veruna spähte in die hohle Dunkelheit und seufzte ohne auf den schnaufenden und tobenden Plums zu achten. Dieses Mädchen mit den dunklen, braunen Augen musste mit dem Nordländer unter einer Decke stecken. Dass dieser „Kevin“ ein Nordländer war schloss er nicht aus, aber was spielte sie für eine Rolle? Und wer zum Teufel veranstaltete diesen Karneval? Und diese Frau, welche sich Clariss de´ Mosegale nannte, die wie eine schnurrende Katze umher schlich. War das etwa ihr Werk? Nein, wie sehr er diese Frau auch hasste und verachtete! Außerdem traute er ihr nicht soviel Taktgefühl und Schlauheit zu. Aber sie hatte sich seit ihrem letzten Treffen sehr verändert, keine Gefühlsregung zeichnete sich auf ihrem immer noch makellos schönen Gesicht. Kein Nerv zuckte wenn er in ihrer Nähe war, kein Haar stäubte sich, wie er mit etwas Wehmut zugeben musste. Seine Augen verloren sich in der Unendlichkeit der Nacht, als er an die junge Frau von damals dachte, an ihre wachen grünen Augen. An das goldene, wild im Wild wehende Haar, und an ihr sanftes, strahlendes Lächeln... Nith zuckte zusammen als hinter ihm ein Buch zu boden viel, und hoffte, dass der wütende Hausherr es nicht bemerkt hatte. So unsanft aus der Vergangenheit gerissen, blieb ein bitterer Beigeschmack den er sein ganzes Leben nur zu gut kannte. Er sammelte sich und wandte sich seinem Freund zu, der keiner war. Ruhig und gelassen stand er da, an das Geländer gelehnt und kreuzte die Arme vor der Brust. >> Reg dich nicht auf, was könnte den hier gestohlen werden?<<
Kroth Plums funkelte seinen Gesprächspartner wütend an und griff in eine offene Schublade. Unwichtige Abrechnungen und Handelsverträge scheuchte er zur Seite, und tastete nach einer dünnen Schnur. Als seine Finger es ertasteten zog er so heftige daran, dass die restlichen Dokumente zu Boden fielen, dicht gefolgt von dem doppelten Boden. Dem Hausherr erfuhr ein Schreckensseufzer, schwerfällig ließ er sich in den Sessel fallen und fuhr sich mit der Hand über erstarrtes Gesicht. Die Schatulle war weg! Mit einem Ruck schlug er das leere Fach mit dem Fuß, und als es zersprang verteilten sich die Holzsplitter mit wirrem Zischen im ganzen Raum. Nith beobachtete die Szene unbeeindruckt aus einiger Entfernung und wandte leicht den Kopf zur Seite als ein Spliter an ihm vorbei in das offene Fenster flog. Ah, das stahlverstärkte, unauffällige Kästchen fehlte! Das Kästchen mit den Schuldbriefen, und Bestechungen. Das Kästchen! Aber im Gegensatz zum Plums erachtete der Offizier diese Papiere keineswegs als wichtig. Das, was er vorhatte würde die Welt in der sie lebten grundlegend verändern! In Gedanken verloren wandte er dem erschlafenen Körper im Sessel den Rücken zu, und sog die belebende Kühle in sich hinein. Er hatte keine Zeit zu verlieren, in zwei Wochen lief sein Schiff aus, er musste noch vieles erledigen. Und wenn das Theater heute dazu dienen sollte die kommenden Ereignisse zu beschleunigen, würde derjenige bitter enttäuscht werden, denn Nith hatte nicht die Absicht voreilig zu handeln. Er hatte alles unter Kontrolle, und er hatte Zeit. Außerdem waren seine Truppen noch nicht vollständig, was ihn zu einer unangenehmen Reise zwang, und zwar zurück zu seiner Vergangenheit. Zurück zu den unaufgeklärten Fragen, zu den aufgeworfenen Schatten der Menschen die er einst kannte. Zurück nachhause, zurück nach Lu´Roth.

Clariss de´Mosegal legte die kleine, vergoldete Maske mit bunten Federn, welche sie auf dem heutigen Ball vor das Gesicht hielt, auf dem Tisch ab, und glitt leichtfüßig durch den hellen Flur ihres Anwesens. Die Dienstboten zündeten die Kerzen als ihre Kutsche an dem Haupttor gesichtet wurde, und das Feuer im Kamin verbreitete eine wollige Wärme, welche jedoch die kühle Haut der Hausherrin nicht erreichte. Und da auch hier die Wende Ohren hatten, konnte sie sich es nicht erlauben ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Tief im Inneren schrie sie und tobte. Sie zerrte und rüttelte an der schattenhaften Geschalt des Mannes, den sie einst liebte, nein, den sie immer noch liebte. Sie schlug auf ihn ein, und schrie ihm ins Ohr, ob er sie nicht sehen konnte?! Ob er sie nicht erkannte?! Sah er sie denn wirklich nicht, hier war sie, so zum greifen nahe, und doch so unendlich weit?! Sah er sie denn wirklich nicht?! Sie schrie, doch die Gestalt schwankte nicht, sie wandte sich nicht einmal nach ihr um, und verblasste anschließend. Die schöne Dame, der die Jahre nichts anhaben konnten, unterdrückte die Tränen, und schritt anmutig die Wendeltreppe empor, als ob unter ihr eine Scharr Gäste stand, und jeden ihrer Schritte abschätzte. Oben, in ihrem Zimmer ließ sie sich beim Auskleiden von einem Dienstmädchen helfen, und löste die Bänder und Klammern aus ihrer Frisur. Wie erstarrt saß sie im Kremfarbenem, mit teuerstem Spitzen besetzten Nachthemd, vor ihrem vergoldeten Spiegel, und schaute entmutigt auf das bleiche Gesicht darin. Sie folgte der klarer Linie ihrer Wangen herunter zu dem spitzen Kinn, und weiter hoch zur schmalen Stirn, umrammt von dunkelblonden Löckchen. Sie sah all diese gewohnten Gesichtzüge, aber erkannte sich nicht. Sie musste sich dieses Leben, das sie nun führte, hart erkämpfen müssen. Die Trennung, dann die Flucht, und all die geliebten Menschen die sie zurücklassen musste. Die Liebe, an die sie immer mit Witz und Sarkasmus dachte, traf sie als junges Mädchen heftig und unerwartet, und sie ließ sich treiben. Doch als hart und ungerecht sollte sich diese Dummheit herausstellen. Doch auch nach so vielen Jahren, wagte sie es nicht zu bereuen. Zu süß erschienen ihr damals die Worte, zu Wahr all die Schwüre und Versprechungen. Und auch wenn sie längst nicht mehr daran glaubte, so wollte sie wenigstens das, was einst gewesen war, als schöne Erinnerung bewahren. Und Heute wurde diese Erinnerung zur Tatsache. Heute traf sie ihr früheres Ich leibhaftig. Sie schluckte, und schleppte sich zum Bett. Und auch als sie sich in die weichen Kissen fallen ließ, und den frischen Stärkegesuch einatmete, wollte sich ihr Gemüht nicht beruhigen. Sie dachte an die Ereignisse der Vergangenheit, de zum heutigen Zusammentreffen führen mussten, und wurde mit jedem Augenblick noch unruhiger. Unter diesen Umständen konnte es einfach nichts Gutes bedeuten. Wie freudig hüpfte ihr Herz auf als sie das Gesicht erkannte, welches sie noch nie zuvor gesehen hatte! Wie gerne hätte sie es mit ihren Fingern berührt, es mit Küssen überhäuft, es nie wieder aus den Händen gelassen! Aber wie immer war es ihr vergönnt. Erst musste sie alles abwägen, alles in Erfahrung bringen. Aus einem unbestimmten Grund spürte sie, dass große Gefahr auf sie zukam. Sie wunderte sich selbst über solch ein Gefühl, doch würde sie es auch nicht los als der Schlaf ihren erschöpften Geist übermannte. Die Grillen zischten und Huschten unter dem Fenster der schlafenden Dame, und der Mond zeigte sich so klar und Nah wie noch nie zuvor. Keine einzige Wolke wagte sich in seine Nähe, vielleicht aus Respekt, oder aus Angst seiner Schönheit nicht würdig zu sein. Und die ganze Nacht regnete es in der schlafenden Stadt, als stiller Beistand für eine unbekannte Frau die nicht glücklich sein durfte.


Logbucheintrag
20.07.717
Gewässer um Tulur.

Als Damon mir von dem Gespräch erzählte, dass er mit Kroth Plams und Nith Veruna führte, musste ich mich beherrschen, um nicht vor Lachen umzukippen. Vortrefflich! Meine Maskerade war perfekt, nun ja, bis zu dem Punkt natürlich, als ich aus den zweiten Stock herunter fiel, hart auf dem Dach landete, und humpelnd über die Mauer kletterte, von Mensch und Hund verfolgt… Der Schnitt an der Schulter verheilt, und ich lasse mich nicht durch kleine Patzer aus der Ruhe bringen. Zurück zu dem Ball. Natürlich verstrickte sich mein wackerer Navigator in Widersprüche, da er auch nichts wusste. Wie geplant erzählte er, er sei ein Nordländer aus North, was ja die Wahrheit war. Nun begannen ja die Lügen, und das kann er schlecht! Er erzählte ihnen von seiner imaginären Familie, und von seiner nebelumwobenen Reisezielen. Das Ganze sollte auch nur das eine bewirken, sie zu verwirren. Sie sollte nur wissen, es war irgendwo ein Nordländer unterwegs, und er verheimlichte etwas. Ha! Sie hatte es ja auch geschafft, wenigstens das verlief nach Plan. Zum Henker mit den Plänen, immer musste sie im Endeffekt improvisieren! Na, egal, die beiden Verschwörer waren fürs Erste beschäftigt und abgelenkt. Aber als er die Clariss de’ Mosegall erwähnte war ich erst nicht sonderlich überrascht, als er jedoch meinte, sie hatte ihn gewarn, und geraten zu verschwinden, war ich, nun sagen wir, interessiert. Auf welche Seite war die Komtess denn nun?! Vielleicht sollte ich doch mehr über sie in Erfahrung bringen. Und als mein Agent von den verkleideten Offizieren, oder viel mehr den Söldnern, berichtete, die auf den Handelsschiff „Pharao“ verweilten, war meine Neugierde doch soweit geweckt, dass ich es mir näher anschauen wollte. Vor allem, dass die Inhaberin des besagten Schiffes keine geringere als de’ Mosegall selbst war. Wir sollten uns die „Pharao“ Mal aus der Nähe anschauen. Da die Mannschaft sich zu langweilen beginnt, und mein aufs neue wiedergewonnener Freund Day verliert die Geduld mit mir, wie ich fürchte, ist gegen einen kleinen Kampf nichts einzuwenden.
L.K


Die „Pharao“ schnitt langsam durch die Wellen und hinterließ weißen Schaum auf dem Wasser. Kapitän Sabosi zog genüsslich an der Zigarre und drückte sich entspannt in das lederne Sessel in seiner Kojute. Alles verlief reibungslos, noch Ende dieser Woche würden sie in Mim’dor anlegen. Er seufzte. Die übliche Handelsgesellschaft auf seinem Schiff beherbergte dieses Mal einige unangenehme Zeitgenossen. Wie diesen aalglatten Marsel Norvell, und seine drei Offiziere in Seemannsverkleidung, ach bitte, für geübte Augen, wie die seinen, war es ein Leichtes sie zu enttarnen. Aber er musste sie bis zum Ufer hier behalten, so lauteten seine Befehle. Diese Leute bedeuteten aber nur Ärger. Sie schauten herablassend auf die Besatzung der „Pharao“, und liefen von Ecke zu Ecke ohne irgendetwas bewegt zu haben, außer sich selbst. Sabosi fuhr sich mit der Hand durch den weißen Bart, und schaute durch die halbvolle Whisky Flasche hindurch. Nicht mehr lange, und er würde für immer seine Füße in den roten Sand seiner Heimat graben, dachte er voller Zuversicht. Es wurde auch Zeit! Der Burgerkrieg, eines mehr oder weniger ohne Blutvergießen, wie er zu geben musste, spaltete die Inseln die eins zu einem Königreich gehörte. Dann die Piraten die auf dem Meer wüteten, als ob es keinen Morgen gebe. Die großen Namen wie Dalgo, Muette waren Bedeutungslos geworden, wenn sie einst hell wie ein Glöckchen klingelten, so klangen sie heute hol und stumpf. Nein, seine Zeit war fast vorüber. Die Hektik der angebrochenen Zeit trieb die einst mächtige Nation nun erbarmungslos auseinander. Der alte König starb ohne einen Erben zu hinterlassen, oder einen zu ernennen. Und die großen Herzogtume stritten unter einander. Jeder hatte einen geeigneten Kandidaten, wie er meinte. Und manche mochten es so wie es war, sie herrschten über ihre Gebiete, und mehr brauchten sie nicht. Alles Pferdemist, dachte der alte Seebär bitter. Der König hinterließ außer Chaos eine schwachsinnige Frau und einen Bruder, der es bis heute nicht auf den Thron geschafft hatte. Heute war Yorwik fast Siebzig, und dieser Weg war ihm versperrt, dass wusste Sabosi mit Sicherheit. Der alte Drückeberger würde nie König werden, dazu war seine Angst vor so viel Macht zu groß! Und mit seinem Tod würde diese Blutslinie auch erschöpft sein. Vor Jahren waren die direkten Nachkommen des Königs bei einem Raubzug der Piraten ausgelöscht worden. Da blieben noch so entfernte Verwandte, dass sie nicht ein Mal in den Stammbäumen verzeichnet waren. Wer wusste also, was noch auf sie zukommen würde?! Aber ganz gleich, was geschah, ihn würde es nicht mehr treffen. Er war nun Alt. Ihn würden diese Ereignisse übergehen, und es würde ihm nichts ausmachen. An der Tür klopfte es dringlich, und als sie aufging, kam sein Steuermann atemlos und wild nach Luft schnappend, vor seinen Tisch getreten.
>> Kapitän, ein Schiff auf drei Uhr!<<, stotterte er und sah Sabosi verstört an.
>> Na, und weiter? Was ist denn? Was ist daran so ungewöhnlich? Es ist die „Kreuzströmung“ , und viele Handelsschiffe drin!<<
>>Nein, Kapitän, ein Geisterschiff, Sir. Eines mit schwarzer Flagge. Sir, ein Drache!<<
dem Kapitän fiel fast die Zigarre aus dem Mund. Dass diese Tage die Meinen sein mussten, dachte er als er auf den Oberdeck hinaufstieg, und durch sein Fernrohr auf das sich schnell nähernde Schiff starrte.
Tatsächlich, ein Drache! Verdammt, sei die Hoffnung der Gluckseeligen! Ein Drache! Drago! Nathe Drago! Verdammt, sei das Glück selbst!

„Shahirizade“ hüpfte fröhlich durch die Wellen, rasch die Entfernung zu der „Pharao“ verringernd die schwarze Fahne mit einem goldenen Drachen darauf wedelte neugierig im Wind.
Kelina klappte ihr Fernrohr zusammen und ließ es in ihre Umhängetasche gleiten. Der salzige Geruch klebte an ihrer Kleidung und Haut. Sie leckte sich über die Lippen und grinste spitzbübisch. Ahoi, ihr Schatten in der Ferne! Rezitierte sie ein Kinderlied in ihren Gedanken, und legte ihre Hand sachte auf den Knauf ihres Degen an der Hüfte. Sie stand breitbeinig auf der Reling und hielt sich an dem Tau mit der einen Hand fest. Die braunen, schulterlange Haare mit einer goldenen Schleife zusammengebunden, so, dass nur ein Paar kurze, lose Strähnen im Wind hin und her schwanken. Die schwarze Hose sorgfältig in die Stiefel gesteckt, und die weiße Bluse mit einem breitem, goldenen Band um die Talje geschnallt. Sie war kampfbereit.
Das Lied immer noch vor sich her summend, schaute sie begierig in die Ferne. Bald würde man die Klappen aufreißen, und die Kanonen würden im dumpfen Chor loslegen. Ach, wie sie dieses Geräusch vermisst hatte!
Damon stand an derselben Reling, und schaute miesmutig auf das größer werdende Handelsschiff. Er konnte bereits die Menschen ausmachen, und Hektik erkennen in die sie verfielen.
>>Als ich über die Abwechslung sprach, meinte ich eine Auszeit von den täglichen Dingen, welche die Piraten meistens so tun!<< Er hatte schlechte Laune, nicht zuletzt deshalb, dass sie ihn über den kürzlich staatgefundenes Ballbesuch noch nicht aufklärte. Und jetzt auch noch diese Blamage! Ein Handelsschiff! Das Handelsschiff! Das gerade halb so groß wie die „Shahirizade“ war. Den Informationen nach mit nichts anderem am Bord als Stoff! Herrliche, nutzlose Seide! Er sah sie scharf von der Seite an.
>>Nein, im Ernst! So gut könnten wir auch ein Fischerboot entern. Wir müssten auch höchstens „Buh!“ rufen!<<
Kelina sah ihn an, lächelte aber grimmig. >>Könnten wir. Aber es würde nur halb so viel Spaß machen. Denn ein Fischerboot, mein teuerer und mies machender Day, würde keine südländischen Söldner unter Deck beherbergen. Es würde ja auch gar kein Unterdeck haben!<<
Er hasste es, wenn sie ihn Day nannte, aber machte sie es auch nur dann, wenn er sie ärgerte. Und sie ärgerte sich gerade wirklich, dass merkte er daran, dass sie den Griff am Knauf verstärkte. Na, und?! Sollte sie es ruhig, er tat es ja schließlich auch!
>>Woher weißt du das?! Ich habe deinen Informanten auch gehört, aber du ziehst etwas Neues praktisch aus dem Hut!<<
Sie zuckte kaum merklich zusammen, hockte sich blitzartig neben ihm auf der Reling und zog mit einer Heftigkeit an seinem Haar, dass ihm schwindlig wurde. Ihr Gesicht nah an den seinem, fixierte sie ihn mit den Augen, und er hielt ihrem Blick stand. Unbewegt stand er einer Statue gleich, die Hände immer noch lässig auf dem Mahagonigeländer liegend.
>>Na, das ist ja auch kein Wunder, oder?<<, flüsterte sie, und er spürte ihren Atem auf seinen Lippen. >> Ich bin ja auch der Kapitän. Ich bin Nathe Drago! Benimm dich, ja?! Wir wollen bei den Leuten da drüben Eindruck hinterlassen.<< Sie ließ ihn los und stellte sich wieder am Buck hin wie vorher schon.
>> Dieses Treffen werden die ja auch für Lange in Erinnerung behalten…<<, sagte er ruhig und schaute auf die „Pharao“.
>> Day, bitte, << es klang ehe warnend als bittend. >>, ich kann es wohl nicht oft genug sagen. Untergräbst du meine Autorität als Kapitän, grabe ich dich persönlich an irgendeinem Strand im Sand unter.<< Sie sah ihn wieder versöhnlich lächelnd an, und er lenkte ein.
>> So einfach, he?! So einfach.<<
Dann blieb auch keine Zeit mehr zum Reden. Da die Pharao auf die ersten Warnschüsse des Piratenschiffes mit Schüssen antwortete, und nicht mit einer weißen Flagge am Mast, würde es zum Kampf kommen müssen. Die Mannschaft hinter ihnen heulte ungeduldig im Chor, und Damon heulte mit. Kelina lachte laut auf und duckte sich vor fliegenden Holzsplitten. Noch ein Paar Meter, und die Enterhaken flogen wie schwarze Raben, Vorboten des Unheils. Der Kampf entfachte. Sie sprang als eine der ersten über die Reling auf die hilflos ausgelieferte „Pharao“. Im Sprung bereits ihren Degen gezogen, stürmte sie mit wilden Kampfrufen auf die Besatzung des Handelsschiffes. Die Meisten waren einfache Seeleute, unter ihnen einige Wachen, und darunter ein Paar kampferprobte Söldner, alles in allem keine Herausforderung für die Zahlenmäßig überlegene Drachenmannschaft. Sie sollten ja auch nach den ersten Warnschüssen bereits aufgeben, wenn ihr Kapitän kein blinder, lebensmüder Dummkopf war, oder das Schiff beherbergte außer Seide noch etwas anderes, etwas wertvolleres. Was das wohl sein würde? Dachte sie noch als ihr Degen einige Seeleute der „Pharao“ aus dem Weg räumte. Sie drang voran, schnell und tödlich. Ein röderischer Akzent vermischte sich mit einem Schmerzenschrei und ließ sie aufblicken. Sie stand einem Offizier gegenüber, dass konnte sie an seiner Brosche deutlich sehen. Ein roter sternförmiger Rubin, zwar versteckt gewesen, durch die aufgeschnittene Jacke nun aber deutlich zu erkennen. Na, das ist doch schon was, he! Er starrte sie ungläubig an, der heftige Wind scheuchte ihr offenes Haar wild in alle Richtungen. Ah, verdammt, das Band musste sich während des Kampfes gelöst haben. Und der Mann ihr gegenüber erkannte sie eindeutig als eine Frau, die sie nun mal war. Der Arme! Sie griff an. Die Kampfgeräusche um sie herum verebbten langsam. Aber sie, sie kämpfte weiter mit dem breitschultrigem Unbekannten, als ginge es um Alles. Dem ersten Schock folgte die Überraschung, dann strengte der Mann alle seine Muskeln um gegen die wilde Katze zu bestehen. Das schelmische Lächeln verschwand auch gleich nach dem sie ihm das linke Ohr mit dem Degen aufschlitzte, und er aufschrie. Jetzt grinste sie. Er war nicht schlecht! Die Röderer unterrichteten ihre Schüler bereits ab dem fünften Lebensjahr, das Geschäft an der Waffe blühte wie nie zu vor. Sie waren allesamt Söldner, welche von den Reichen, die es sich leisten konnten, als Wachen angeheuert wurden. Sehr wenige konnten es sich leisten, denn die Dienste eines rödischen Söldners fingen beim Bewachen des Weinkellers bis zu Mordanschlägen, also waren sie teuer. Aber sie hatten einen entscheidenden Nachteil, das wusste sie, die kämpften für das Geld. Sie dagegen kämpfte ausschließlich um ihr Leben, weil sie es musste, weil es keinen anderen Weg mehr für sie gab, weil sie weiter musste.
Der Söldner war erschöpft. Er war ihr kraftmüßig überlegen, das stimmte. Aber sie war wendiger und schneller. So geschah auch genau das, was sie von ihm erwartete. Ihre Degen kreuzten sich ein letztes Mal, er fing mit seiner linken Hand ihr Handgelenk, und zog sie näher zu sich. Gleichzeitig ließ sie ihren Degen los, tauchte unter ihrem eigenen Arm hindurch, dass er fest hielt. In der Drehung zog sie aus dem Stiefel ein kurzes Entermesser und fuhr damit der Länge nach über seine Brust. Wie erwartet krümmte sich der dieser vor Schmerz, und ließ ihre Hand los. Sie rollte sich auf dem Boden und als sie wieder aufstand hielt sie wieder ihren Degen fest in der Hand. Als er langsam und gequellt aufsah, zeigte das glänzende Stahl bereits auf seinen Hals. Er hatte den Kampf verloren. Die Leute um sie herum jubelten, und schrieen so laut wie sie nur konnten. >> Drago! Drago! Drago! >> Es war vorbei.
Sie ließ den Kapitän den Pharao in seine Kaute zu führen, und ging hinter dem älteren Mann her. Müde und leicht hinkend öffnete er die Tür und sie füllten den Raum. Damon und Krish waren bei ihr. Ihre Mannschaft unter Cooks Leitung fesselte die angeschlagene Mannschaft der Pharao aneinander. Lief doch alles glatt! Als sie eintraten, wies sie mit der Hand, der Kapitän könne ruhig den Sessel nutzen, und dieser setzte sich dankbar. Er wurde langsam wirklich zu Alt für so etwas. Er beobachtete die Frau vor ihm wie sie langsam und bedacht an den schweren Schreibtisch ging, und ihre Hand leicht über die dort verstreuten Habseeligkeiten gleiten ließ, ohne etwas davon zu berühren. Die Neugierde wuchs, er musste einfach fragen.
>>Die Leute erzählen viele Geschichten von dem Drachenschiff und ihrem Capitanjo.<< Seine Stimme war ruhig und ehrlich, sie hob den Blick von dem Tisch und schaute ihm in die Augen. Es verschlang ihm beinahe den Atem, diese Augen! Ihr Blich ging scheinbar durch seinen ganzes Wesen hindurch. Es war als ob sie direkt in seine Seele schaute und dort nach etwas suchte. Dann sah sie wieder auf die Karte und strich mit dem Zeigefinger darüber, so zart als ob sie angst hätte es dadurch zerstören zu können.
>> Und was genau sagen diese Leute?<< Ihre Stimme war jung, und er konnte ihr Alter kaum schätzen, aber dieses Mädchen da vor ihm war wirklich noch sehr jung. Außergewöhnlich! Sie klang höfflich, distanziert, aber höfflich und abwartend.
>> Sie meinten es sei ein Geisterschiff. Es kommt bei Nacht und Nebel, und beraubt dich deiner Seele. Und ihr Capitanjo ist ein Drache, ein Mann so stark und grausam wie ein Lindwurm!<< Da die Betonung eindeutig beim „Mann“ lag musste sie unwillkürlich lächeln.
>> Nun, mein braver Kapitän. Wie sie nun selbst sehen konnten, sind meine Männer und ich aus Fleisch und Blut. Das, als Erstes. Als Zweites,<< sie ging zu dem Regal und nahm ein Buch daraus. >>es ist hellster Tag, mein Herr, und Nacht und Nebel nutze ich weitaus effektiver, zum Schlafen, zum Beispiel.<< Bei diesem Satz grinste ihr hochgewachsener Begleiter mit einem kunstvollgearbeiteten Säbel hinter dem Rücken, und entblößte dabei ein Paar goldene Zähne. Der zweite Mann, der Schwarzhaariger blickte scheinbar unbekümmert in den Raum hinein. In Wirklichkeit beobachtete er die junge Frau, welche das Buch nur zurück stellte und ein anderes wieder herausnahm, dieses jedoch schlug sie auf.
>> Drittens, wir rauben ausschließlich das, was sich auch verkaufen lässt. Für ihre Seele fehlt mir im Augenblick ein Abnehmer. Aber daran arbeite ich bereits, keine sorge! Das einzige, was bei dieser Geschichte mehr oder weniger stimmt, ist der Drache.<< Sie klappte das Buch geräuschvoll zu, und beugte sich zu Sabosi rüber.
>>Ich bin der Drache, kein Zweifel. Ich bin Drago! Und die Sache mit dem Mann dahinter, nun, wer würde schon gerne zu geben, er wurde von einer Frau in die Flucht geschlagen. Bei letzter Geschichte war ich ein Bär mit Hörnern, und meine Männer waren allesamt Halbtote, welche auferstanden gleich nach dem man sie tötete.<< Sie stand wieder kerzengerade vor ihm, mit einer undurchdringlichen Minne.
>> Sie sehen, mit den Geschichten ist es so eine Sache. Entweder man hört welche,<< Sie sah ihm wieder direkt in die Augen. >>oder man schreibt sie selbst.>> Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ den Raum. Das Buch nahm sie mit.
>>Kapitän?!<< Krish war neben ihr und schaute auf die gefesselten hinunter. >>Was machen wir mit ihnen?<<
>> Die „Pharao“ nehmen wir natürlich mit, genug Leute haben wir für beide Schiffe. Du führst es an.<<
Krish nickte und lächelte bis zu den Ohren.
>>Würde der verehrte Herr Navigator die Güte haben und uns sagen wie weit wir von der Küste entfernt sind?!<<
Damon stand wie immer ruhig und unbewegt neben ihr. Aus den Augenwinkeln sah sie ihn aus mehreren kleinen Schnittwunden blutten. Er wog leicht den Kopf hin und her. Das machte er ständig, wenn er überlegte. >> Wir sind kaum eine halbe Tagesreise von der Vogelinsel entfernt, wenn du das meinst Capitanjo, und von dort…>>, er neigte erneut den Kopf.
Sie musste sich beherrschen um nicht laut aufzulachen, dieser unmögliche Kerl! Natürlich wusste er, was sie von ihm wissen wollte. Er wusste es fast immer, wenn sie ihm eine Frage stellte, wusste er sofort, in welche Richtung ihre Gedanken gingen. Er begriff ihre Denkweise sehr schnell. Sie bewunderte das. Aber wie könnte es auch anders sein, die Menschen auf North waren mit besonderen Kräften gesegnet. Sie besaßen einen bemerkenswerten Orientierungssinn. An North grenzte die große Eiswüste. Noloth war die letzte große Stadt und lag am Fuß der weisen Höhle, ab da musste man den Weg bestimmen können, oder ohne Hoffnung in den sicheren Tod hineinwagen.
>> ...hm, von dort ist vielleicht eine Woche bis Kali, außerdem ist es ein Handelsstrasse, und die Vogelinsel selbst flach, man würde sie binnen zwei, drei Tagen entdecken<<, beendete er seine Ausführung.
>> So machen wir das. Krish, nimm genug Leute um die Pharao in Bewegung zu bringen, und nimm Kurs auf die Vogelinsel, wir setzen sie dort ab.<<
Er nickte knapp und verschwand. Kurze Zeit später setzten sich beide Schiffe in Gang und verließen das ruhig gewordene, mit Holzsplitter bedeckte Gewässer, Richtung Süden auf die kleine, unbewohnte Vogelinsel. Man scheuchte die Mannschaft der „Pharao“ auf die kahle Ebene und warf Vorräte für ein Paar Tage hinunter, um einschließend den Menschen da unten den Rücken zu kehren. Sabosi schaute hinaus aufs Meer, und auf sein immer klein werdendes Schiff. Dann sah er auf das riesige, exotisch aussehende Geisterschiff, und auf den Drachen der es führte. Ja, tatsächlich, dachte er vergnügt, wer würde erzählen, wer dieser sagenumwobener Freibeuter namens Nathe Drago wirklich war! Er würde es tun! Nun war es wirklich zu Ende mit der Seefahrerei, er brauchte Ruhe, und Zeit. Zeit um zu beobachten, was dieses Mädchen noch zu Stande bringen würde. Ja, sicher, die „Pharao“ war kein Gegner für den Drachen, aber irgendetwas musste sie ja gewollt haben. Er sah über die Schulter zu den drei von sechs übrig gebliebenen Söldnern hinüber, und musste lächeln. Wie sie diesen arroganten Schnösel Norvell vorführte, als ob er ein kleiner Junge wäre. Das Lächeln des alten Mannes verschwand jedoch als er in die hasserfüllten Augen dieses Ungeheuers schaute und musste sich unwillkürlich fragen, ob sie nicht einen Fehler beging diesen Mann am Leben zu lassen zu haben. Aber dies war nun Mal der Weg den sie gewählt hatte, und seine Geschichte hatte ab jetzt mit der ihren nichts mehr gemein. Was auch immer der Röderer dort nun versteckte, als er dachte Sabosi schlummerte betrunken, war nun offensichtlich kein Geheimnis mehr, und segelte hinaus in die Welt. Versteckt zwischen den abgenutzten Seiten des alten Märchenbuches, am Bord eines Geisterschiffes, oder besser gesagt, am Bord eines Drachenschiffes, dachte der alte Mann noch als die Müdigkeit ihn übermannte. Und als er einschlief auf den harten, kühlen Boden der Vogelinsel, war „Shihirizade“ längst über dem Horizont verschwunden. Und erst zwei Tage später, als er am Bord der „Brams“ eines milemischen Handelsschiffes in einem gemütlichen Sessel saß, und die unglaubliche Geschichte erzählte, konnte er es als Wirklichkeit betrachte, und es selbst glauben. Dieses Mal erzählte er nicht von Bären mit Teufelshörnern, oder um toten Piratenarmeen. Er erzählte über Korsaren und goldversetzten Schiff mit einem Drachen als Galeonenfigur, und pechschwarzer Flagge. Und er erzählte über die Frau Namens Nathe Drago, und über den Drachen in ihrem Herzen, der Seelen ergründete und sie vielleicht raubte.

Sie füllte zwei Gläser mit Whisky und nahm das eine in die Hand. Irgendwo in hier und da gefangen schaute sie hinaus auf das ruhige Wasser aus dem großen Fenster ihrer Kajüte, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie hatte das Buch von der „Pharao“ mehrmals durchgeblättert. Das meiste waren von Hand geschriebene Geschichten und märchenhafte Erzählungen von Caliosa Funey, einem Abenteurer, wie er sich gerne selbst betrachtete. Wie es auf ein Handelsschiff gekommen war, blieb ein Rätsel. Aber zwischen den Seiten lag ein versiegelter Umschlag mit dubiosem Text in einer fremden Sprache, wenn es überhaupt eine richtige Sprache war. Verdammt! Was soll das nun jetzt schon wieder sein?! Eine Falle? Nein, dazu war die „Pharao“ nun wirklich ungeeignet! Ein Test ?! Ja, das wäre die Erklärung, aber wozu, und von wem? Von der Clariss de’ Mosegall selbst? Aber zu welchem Zweck?! Sie wusste es nicht. An der Tür klopfte es, und dem dringlichem Geräusch nach, nicht zum ersten Mal. Sie seufzte, leerte das Glas in einem Zug, und füllte es erneut auf, bevor sie sich wieder in den schwarzen Sessel fallen ließ und ein Bein über das andere schlug.
>> Was ist James?<< Ihre Stimme war düster aber nicht unfreundlich. Sie wollte jetzt allein sein, sie musste nachdenken. Sollte sie den Brief jemandem zeigen, vielleicht entzifferte einer die Schrift?! Jemandem auf der von der Welt verborgenen Ringinsel, auf die „Shahirizade“ jetzt Kurs hielt. Jemand, der viel von der Welt gesehen hat, jemandem, wie dem alten Geschichtenerzähler, der auf dem Hügel weit ab der lauten Stadt im Zentrum der Insel, lebte. Sie wusste es nicht. Die jugendliche Stimme von der anderen Seite der Tür holte sie wieder zurück in die stickige Kajüte.
>>Kapitän, der Navigator möchte sie sprechen.<< Der vierzehnjähriger Junge kicherte bei dieser formellen Anrede. Sie schüttelte leicht den Kopf. >> Kann es denn nicht warten, bis wir ihn Alou angelegt haben?!<< Der Junge kam nicht mehr zu Wort, denn die Tiefe und raue Stimme des Navigators kam ihm zuvor.
>> Nein, das kann es eben nicht, Kapitäna!<<, mit diesen Worten schob er den Jungen zur Seite, trat in die Kajüte und legte den Riegel vor der Tür hinter sich um. Sie grinste. Sie wusste es selbst nicht, wieso es ihr immer soviel Spaß machte den hübschen Wegdeuter zu ärgern, aber er machte mit und ärgerte sie seinerseits. Damon stand unbewegt und lehnte sich müde an die Tür. Die Kerzen flackerten belustigt im Durchzug und er sah ihr schiefes Lächeln. Mit einem Finger, der Hand in der sie ihr Glas hielt, deutete sie auf das andere. Nun denn, was als Erstens?! So viele Fragen gingen ihm durch den Kopf, aber als er die zierliche Gestalt in dem riesigen Sessel anschaute, drängte ihm sich eine einzige auf. Und ohne lange zu überlegen, wagte er es, diese zu stellen. >> Ich habe Dock vor einiger Zeit etwas gefragt, der hatte mich aber an dich verwiesen.<< Das stimmte nicht ganz. Er hatte einfach gar nichts erwidert. Das einzige war ein Kopfnicken.
>>So, und das wäre?!<< Sie überlegte worum es in seiner Frage wohl gehen würde. Um den Ball, die scheinbar sinnlose Aktion mit der „Pharao“?! Aber als er ruhig weiter sprach, verschluckte sie sich fast vor Überraschung. Sie dachte, vielleicht hatte sie doch die Dinge zu beiläufig und zu belanglos dargestellt, um sie als Unwichtig zu präsentieren. Im Grunde, dachte sie, waren es alttägliche und kaum bedeutungsvolle Dinge. Nur für sie waren diese Real, weil diese sie die ganze Zeit ihres Lebens bei ihr waren. So schaute sie ihn eindringlich an als er sagte. >>Die Wahren Namen. Ich möchte wissen, wieso es wie eine Nebenwolke über unseren Köpfen schwebt.<< Er lehnte immer noch an der Tür und sein Glas stand unberührt auf dem Tisch.
>>Es ist eine Geschichte, nicht mehr und nicht weniger. Willst du es hören?!<< Warum denn nicht so anfangen, Mal schauen worauf es hinaus läuft, dachte sie. Außerdem war es wirklich bloß eine Legende. Und als er stumm nickte, fuhr sie fort. >>Vor Tausenden von Jahren, als die Götter über die Erde und Wasser wandelten, schufen sie Kuray , die erste der Insel, und übergaben diese den Menschen als ihre neu Heimat.<< Sie musste schmunzeln. Als sie junger war, erzählte man ihr auf der Ringinsel diese Geschichte. Sie fand diese damals so Zutreffend, dass sie praktisch ihr ganzes weiteres Leben darauf aufbaute, nun, mehr oder weniger. Die Geschichte gab es schon Immer, ihr Schicksal dagegen wurde langsam geschmiedet, so, dass sie sich irgendwann, irgendwo kreuzten, und dann Seite an Seite weiter gingen. >>Die Silberschmiedin „Batuth“ ernannte sich selbst zu der Einen, die den Menschen ihre Seele und somit auch ihren Namen verlieh. Diese Namen waren besonders, denn sie galten als die „Wahren Namen“. Sie zu kennen, hieß Macht über denjenigen zu besitzen. Sie hatte einen riesigen, bodenlosen Kessel, da drin schwammen kleine Silberwürfeln im Wasser, kaum großer als ein Knopf. „Batuth“ griff mit der Hand hinein und holte einen der Würfel nach dem anderen, und gab diese den Menschen. Auf diesen waren ihre Namen eingraviert, und so nahmen sie die mit. Aber die Menschen waren gedankenlose Wesen, und als sie nach einer Weile ihre Namen auf den Würfeln laut vorlasen, verschwanden diese und ihre geheimnisvolle Magie. Die Göttin war enttäuscht. Sie gab den Menschen Macht, ein Geheimnis für jeden. Diese wussten aber das Geschenk nicht zu schätzen, und so waren irgendwann alle Namen der Welt genannt. Die „Wahren Namen“ verblassten, und „Batuth“ schuf die riesigen Bäume, wie sie jetzt auf Kuray stehen, und ließ sich emporheben um über der Welt der Menschen zu stehen, um sie zu beobachten. Und in der Tat, bald darauf erkannten die Menschen ihren Fehler, und versuchten ihre Namen Geheim zu halten. Was natürlich sinnlos war, denn einmal ausgesprochen, verloren die Namen ihre Magie, und die Welt hatte sie gehört. Eine schöne Geschichte, nicht wahr?! Aber am Ende, doch bloß eine Legende.<< Sie führte ihr Glas zum Mund und ließ das bittere Getränk die Kehle herunter laufen. Damon stieß sich sachte von der Tür ab, kam mit festen, ausschweifenden Stritten an den Tisch, nahm das zweite Glas in die Hand und setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl. Eine Weile sagte niemand ein Word. Die Kerzen im Raum flackerten abermals und warfen wunderlichen Schatten an die Holzwände. Er nahm einen Schluck und setzte das Glas auf dem Tisch ab. Das Schiff schaukelte leicht auf den Wellen, und durch das offene Fenster kam salziger Geruch herein, und ließ sich schwerfällig auf dem Boden nieder. Damon brach als Erster die Stille, in dem er laut zu husten begann. Der Whisky versengte seinen Rachen, ließ ihn hilflos nach Luft schnappen, und trieb Tränen in die Augen. Sie versuchte es sich nicht einmal zu verkneifen. Ohne Rücksicht auf das gefüllte Glas in ihrer Hand, fing sie lauthals zu lachen. Er hustete, sie lachte. Er hüstelte abermals, sie lachte wieder, versuchte aufzuhören, und brach erneut im Gelächter aus. >>Du hast die ganze Atmosphäre zerstört, du Trampel!<< Brach sie zwischen dem Lachen hervor, und wischte sich die Tränen aus den Augen.
>> Glaubst du ich mach das gerade aus Spaß, he?! Was ist das für ein Zeug, verdammt?! Das benutzt ein normaler Mensch sicherlich nur als Brennflüssigkeit! Und du trinkst das!<< Er hustete wieder, und stellte das Glas auf den Schreibtisch vor ihm. Sie lachte erneut, und trank demonstrativ gelassen einen Schluck, bevor auch sie ihr Glas abstellte, und ihn belustigt ansah.
>> Dock sprach bestimmt wieder im Rausch von den Dämonen auf Kuray, oder?!<<, kam sie wieder auf das Gespräch zurück, und als er nickte fuhr sie fort. >>Und bestimmt vielen wieder Setze wie: „Bei den Namen deren, die keine haben!“<<, versuchte sie die krächzende Stimme des Schiffarztes nachzuahmen. >>Nein, im Ernst, du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der sich seine Geschichten noch anhört! Für und an sich haben sie ja etwas Aufregendes. Für uns jedoch irrelevant und aufhaltend. Du als Nordländer, und dazu auch noch als Navigator solltest bei realen Dingen bleiben, die auch zu deuten sind, die auch existieren,<< sie strich sich eine braune Haarsträne von der Wange. >>Und die Namen in seinen Schilderungen fehlen wahrscheinlich deshalb, weil er sie längs vergessen hatte. Und ich lege so viel Wert darauf, dass der meine nicht unnötig oft erwähnt wird, weil er lediglich zur falschen Zeit Fragen aufwerfen würde. Und wie du dir denken kannst, möchte ich diese gerne selbst bestimmen. Das ist die ganze Magie hinter der Geschichte. Früher war es anders, dass gebe ich zu, heute jedoch…<< Sie machte eine ausschweifende Bewegung mit der Hand, und legte diese wieder auf die Sessellehne. >> Früher konnte man dadurch Gefallen einfordern, was wir heute Erpressung nennen, ganz einfach.<<
>>Bei dir scheint immer alles ganz einfach zu sein, doch, man dreht sich um, und weißt nicht woran man bei dir ist.<< Er blickte sie böse an, der Whiskytrick nagte noch an seiner Würde. Den normalen Whisky vertrug er ganz gut, nicht besser und nicht schlechter als alle anderen alkoholischen Getränke. Dieses Zeug, was auch immer das war, schmeckte mörderisch!
>>Ach, was, ich bin ein offenes Buch, lieber Day.<< Sie lächelte ihn liebreizend an, und ihre Augen glänzten im Kerzenlicht. Er räusperte sich.
>> Hörst du jemals auf mich so zu nennen! Es klingt wie der Name eines Haustieres.<< Und noch bevor er es aussprach, bereute er es auch schon, sie auf eine neue Idee gebracht zu haben. Na, großartig, jetzt würde sie ihn auch doch mit einem Vieh in Verbindung bringen. Er sah sie voller Erwartung an, sie würde jetzt einen Kommentar abgeben. Aber keine Spur vom Trotz lag in ihren meist ausdruckslosen Gesichtszügen. Sie schaute etwas wehmutig ins Leere, aber das dauerte bloß einen Augenblick, das er sich schon fragte ob er es sich nicht bloß eingebildet hatte.
>> Ja, ich verspreche es. An dem Tag, wo du dich entscheiden wirst dein Blutserbe anzutreten, nenne ich dich gemäß deinem Stand.<<
Er schlug mit der flachen Hand auf den Mahagonitisch, und stand so schnell auf, dass sein Stuhl umkippte, und geräuschvoll auf den Boden aufschlug. Wortlos verließ er ihre Kajüte und stemmte sich ans Deck. Die Nacht war längst angebrochen, und so stand er wütend an der Reling, schaute gedankenverloren auf die Sterne, und ließ sich von dem gleichmäßigen Rhythmus des Schiffes dahin treiben. Verdammte Göre! Sie wusste genau, dass es unmöglich war. Nicht nur, dass zwischen ihm und dem Grafentitel auf North sein Vater und sein älterer Bruder standen, so hatte er es auch noch fertig gebracht, dass sein Volk ihn zu einem Vogelfreien erklärt. Mit kindischen Scherzen schaffte er es, den Namen der Familie, in die er sich einheiraten sollte, zu beflecken. So einfach war das. Verdammt! Er schlug mit der geballten Faust auf das Geländer. Er klang schon fast wie diese Göre! Dieses „Ganz einfach“ von ihr, machte ihn rasend! Genau das Gegenteil von „Einfach“ war immer der Fall. War sie blind, oder spielte sie nur was vor?! Wenn, dann war sie eine begnadete Schauspielerin. Die Beste! Wie auch immer er es drehte und wendete, er sah keinen Weg zurück auf North. Es war unmöglich! Er würde nie wieder in seine Heimat zurückkehren können. Hilflos schlug er wieder mit der Faust auf die Reling, und dieses Mal blieben seine Hände auf dem dunklen Holz liegen. Und das Schlimmste war es, dass er sich nicht mehr sicher war, ob er es wollte. Sie machte die See damals zu einem Ausweg für ihn. Und er machte die See nun zu seinem eigentlichen Weg! Er machte es zu seiner Heimat und dem Ort seiner Verbannung zugleich. Er seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Mit einem tiefen Atemzug saugte er die frische, würzige Luft ein. Ein letztes Mal schaute er in den Himmel, und schleppte sich zu einer freien Hängemate. Wenn es zu Heiß im Sommer war, schlief die Mannschaft meist auf Deck. Er ging an schlafenden Seeräubern vorbei und stützte sich am Mittelmast ab, stieg über Dock, der am Boden zwischen dem Tau schlief. Vorbei an dem schläfrigen James, der ihn mit müden Augen anschaute. Damon streckte unwillkürlich seine Hand aus und tätschelte den Kopf des Jungen, worauf dieser gähnte und sich wieder in seine Mate drückte. Damon strich die Stiefel ab, legte seinen Degen geräuschlos auf den Boden unter ihm, und schwank sich in die Mate. Und bevor er endlich einschlief, dachte er über ihre Worte. Wen er sein Blutserbe eintreten würde?! Wieso sie das sagte?! Ah, zum Henker mit diesem kaltherzigen Weib, und als seine Atmung gleichmäßig und flach wurde, schlief er ein.
Aber im Gegensatz zu Damon wusste sie, dass es nicht stimmte. Nichts war Unmöglich! Besonders nicht für den goldenen Drago! Aber das behielt sie für sich. Alles zu seiner Zeit. Denn ein richtig gewählter Zeitpunkt war entscheidend. Er bedeutete Alles! Erschöpft leerte sie erst ihr eigenes Glas, und dann das seine, bevor sie sich erhob und die Flasche im Schrank verstaute. Ein letztes Mal ging sie mit den Fingern über den seltsamen Brief, und schleppte sich zum Bett. Eine halbe Nacht lag sie wach und grübelte darüber nach, ob sie sich nicht doch zu viel zumutete. Dann aber schwebte in ihrem Geist das verschlagen Gesicht von Nith, und voller Abscheu scheuchte sie alle Zweifel mit der Hand fort. Dies war ihre Chance! Die Götter haben sie damals nicht aus Langweile am Leben gelassen. Und auch auf der Cumai-Insel war sie damals nicht ohne Grund gelandet. Nein, dies war ihre einzige Chance, und sie würde sie nutzen, auch wenn es ihren Tod bedeutete. Und dieser blauäugige Nord-Teufel würde in ihr keine Zweifel wecken. Nicht er! Und nicht jetzt! Es lief alles zu gut, dass sie es jetzt noch sein lassen könnte. Ihr langjähriger, gut durchdachter Plan! Nein, sie konnte jetzt nicht aufhören. Nicht jetzt! Und dann dachte sie an James und daran, dass ein Piratenschiff wohl doch nicht so gut für einen vierzehnjährigen Spitzbuben geeignet war. Auch nicht für einen so gescheiten und frechen wie ihren James. Als sie ihm zum ersten Mal begegnete, war er kaum acht Jahre Alt gewesen, und kniete in einer Blutlache neben seiner toten Muter auf dem Boden. Sie war damals selbst erst sechzehn geworden. Sie streifte wie ein Gespenst durch das kleine Dorf Mao auf der Cumai –Insel. Die ganze Siedlung wurde damals dem erdbodengleich gemacht. Söldner, kaum eine Stunde vor ihr. Sie ging angespannt und trübselig durch den verwüsteten Ort kaum auf Überlebende treffend. Jene, die noch lebten, würden die Nacht wohl nicht mehr überstehen. Und dann sah sie ihn. Mit einem Messer war er auf sie losgegangen. Gekonnt nahm sie es ihm weg, und Schluchzend verlor er das Gleichgewicht. Voller Blut und Erde rappelte er sich wieder auf, und griff sie erneut an. Sie stieß ihn wieder zu Boden, und wieder stand er auf. Wie von Sinnen versuchte er sie mit seinen Fäusten zu erreichen, bevor ihn die Kraft verließ und er zu ihren Füßen sank. Erschöpft krümmte sich sein kleiner Körper auf der Erde, bis sie selbst auf die Knie ging und das zitternde Häufchen Elend an sich drückte. Er währte sich nicht ein Mal dagegen, er vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter und weinte leise. Seine ganze Familie, sein ganzes Leben, wurden an einem Tag zerstört. Es gab keinen Ort mehr auf der Welt wo er nun hingehörte. Und sie nahm ihn mit. Erst wollte sie ihn nach Tulur bringen, und bei Freunden lassen. Aber der kleine Bub ließ sie nicht mehr aus den Augen. Und sie sah es in seinem Blick, er würde sie nicht mehr verlassen, wo sie auch hinging, er würde ihr folgen. Ab diesen Tag waren sie beide eine kleine Familie. Zwei kleine Seelen, so verschieden und so ähnlich zugleich. Nein, ein Schiff wie dieses war definitiv zu gefährlich für den Jungen. Aber mittlerweile war er nirgendwo sicher, wo sie nicht da war. Nein, hier konnte sie wenigstens ein Auge auf ihn haben, und sich nicht auf jemand anderen verlassen müssen. Erschöpft sank sie in einen kurzen, unruhigen Schlaf. Und begrüßte fluchend die ersten Morgenstrahlen.
Als sie auf Deck auftauchte, waren bereits die ersten durchsichtigen Nebelschwaden hinter ihnen. Und der Schleier um sie herum zog sich zäher, und enger zusammen. Ein modriger, klebriger, leicht süßlicher Geschmack breitete sich in ihrem Mund aus. Endlich wieder zu Hause, dachte sie mürrisch. Die Ringinsel hatte ihren Namen schließlich nicht umsonst bekommen. Außer, dass sie auf keiner offiziellen Keisereichkarte der Welt verzeichnet war, war sie für die Umwelt praktisch unsichtbar. Die Insel selbst umrundete dichter Nebel, so, dass die meisten Schiffe dieses Gewässer mieden. Kamen die Glückspilze doch hinein, wurden sie auf die Felsen unter Wasser, welche um die ganze Insel im Kreis verliefen, aufgespießt. Nur wenige Auserwählte hatten Zugang zu diesem Ort, und die waren bei den Göttern keine Royalisten. Mehr noch, sie dienten ausschließlich sich selbst. Die meisten waren Piraten, Schmugler, und hier war auch sie Daheim. Sie lehnte sich ans Geländer und schaute angestrengt in die graue Unendlichkeit hinein. Der Navigator würde sie schon sicher hindurch bringen. Laut kam eine Stimme, scheinbar aus dem Nichts, James schrie aus dem Ausguck: >> Land in Sicht! >> Und die Besatzung machte sich an die Arbeit. Die Segel wurden angeholt und zusammengefaltet, die Ruder wurden ausgeworfen. Und gewöhnt, gelassen stellte sie sich breitbeinig auf die Reling, und streckte ihr Gesicht dem Wind entgegen. Ihre Haare flogen wild in alle Richtungen. Die Schlucht durch die sie jetzt hindurch fuhren, wurde nun immer schmaler, die Ruder wurden aufgestellt, weil sie den Felsen mit der Hand berühren konnte, wenn sie sich nur weit genug über das Geländer hinaus lehnte. Unerklärliche Freude überkam sie so plötzlich, wie sie auch verschwand. Da, in der Ferne konnte sie die Küste deutlich sehen, und als der Nebel sich vollkommen im Nichts auflöste, schaute sie auf die Schiffe, die in dem Haffen von Alou am Anker lagen. Und noch weiter in der Ferne, auf einem hohen Hügel, sah sie einen dunklen, unbeweglichen Punkt. Das Haus des Geschichtenerzählers! Sie lächelte in sich hinein. Einen dummen Namen nahm er sich, als er seinen früheren an sie abtrat.
James kam zu ihr hinunter. >> Kapitän, die „Pharao“ ist auch unbeschadet durchgekommen. >> erstattete er eifrig Bericht. Und nach dem sie ihre Hand auf seinen dunklen Kopf legte, lief er davon, um der Besatzung zu Hand zu gehen. Ein wirklich guter Junge! Dachte sie etwas wehmutig, als sie ihm nachschaute. Er wird es schaffen! Er kann das! Sie schüttelte ihre Gedanken ab, und stieg in ihre Kajüte, um ihre Sachen zu packen. Als sie wieder auf Deck war, wartete bereits das Beiwasserboot. James, Doc und Cook saßen schon drin, nur ihr Navigator war nirgendwo zu sehen. Sie kletterte hinunter und ließ sich ans Ufer bringen, nach einigen kurzen Sätzen zerstreuten sich ihre Leute in alle Richtungen. Ein letztes Mal schaute sie auf die beiden Schiffe, die in die Werft langsam hinein glitten, und auch auf das Beiboot, auf dem ihr Navigator mit den Rücken zum Ufer saß. Ein letztes kurzes Lächeln und auch sie war verschwunden. Vorbei an den Fischerhüten, durch die engen Gassen der Wohnhäuser und Spielunken. Vorbei an betrunkenen Seeleuten und aufreizend gekleideten Damen. Fort von dem Gestank des Marktplatzes und den müllverseuchten Strassen. Hinauf. Immer aufwärts, durch den Baumgesäumten Pfad, über Steine und kleine Pfützen.
Angekommen, stand sie vor dem weiß gestrichenen, kleinen Anwesen des Geschichtenerzählers. Die großen, bis zum Boden gehenden Fenster, um das ganze Haus herum, standen offen. Und der Wind bewegte die weißen Vorhänge mühelos, und melodisch hin und her. Sie blieb einen Moment lang stehen, und genoss die kurze friedvolle Atmosphäre. Energisch griff sie nach der Tür, und war in der Schwärze des Flures verschwunden.

Damon sprang aus dem kleinen Beiboot, und schüttelte die Müdigkeit von seinem Körper. Langsam und genüsslich streckte er sich, und blinzelte als er in die Sonne hinaufblickte. Schwacher Fischgeruch hing in der Luft und er runzelte unwillkürlich die Nase. Ach, wie schön es doch zu Hause ist. Dachte er und lächelte grimmig. Weiter in der Stadt würde der würzige Wassergeruch vollkommen von dem menschlichen Unrat überdeckt werden. Er hob den Kopf, und sah die dunkle Gestalt in der Ferne auf dem Hügel. Er beobachtete wie sie kurz stehen blieb, und dann im Haus verschwand. So war das jedes Mal, seit nun mehr fünf Jahren, die sie zusammen auf der See verbrachten. Er drehte sich halb um, und sah zu wie die „Shahirizade“ in die Werft eingefahren wurde, und schlenderte unbeteiligt an den Seeleuten vorbei, die hier überall herumlungerten.
Nach einigen Minuten stand er vor dem „Schiefen Mast“, ging einigen zu dieser Zeit bereits betrunkenen Gästen des Wirtshauses aus dem Weg, und schlüpfte hinein. Sofort krachten der Alkoholdunst und einige andere Gerüche, die er lieber nicht einordnen wollte, wie eine Wand vor sein Gesicht. Er gab sich Mühe nicht zu husten. Das einzige was er hier genoss, war die angenehme Kühle und erfrischende Getränke. Es war noch früher Nachmittag. Und erst abends würde er zusammen mit den anderen Karten spielen, und etwas trinken. Er hatte heute Nacht kaum geschlafen, und war zu erschöpft für so etwas. Der Alkohol würde ihn jetzt vollkommen außer Gefecht setzen, dass wusste er. Somit bestellte er lediglich verdünntes Ale und setzte sich abseits des Lärmes in eine Ecke. Von dort hatte er die Innenfläche des Saufhauses im Blick und eine freie Sicht auf die Eingangstür. Dazu sah er auch noch die Treppe, die nach Oben zu dem Schlafzimmer führte. Bereits nach dem ersten Schluck des kalten Gebräus entspannte sich der Navigator und lauschte den Gesprächen um sich herum. Allesamt betrunkenes Gelabere, ein Paar unglaublich klingelten Geschichten von Seemonstern. Er schüttelte den Kopf. Nach einiger Zeit jedoch nahm er leises Gemurmel wahr. Dann verstummte alles, und es wurde leise und weinerlich an den Seiten einer Laute gezupft. Als dann eine weiche, angenehme, weibliche Stimme das Instrument zu begleiten anfing, lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand, und lauschte der Musik. Es war ein Stück aus einen Heldensage, eine Liebeserklärung. Wie auch anders?! Eine unglückliche Liebe. Der Geliebte geht in den Krieg und stirbt, seine Frau wartet auf ihn und nimmt sich das Leben, als sie von seinem Tod erfährt. Ach, Milana, das würde auch in tausend Leben nicht auf uns beide zu treffen, dachte er traurig. Und als sich ein schwaches Abbild seiner Kapitäna in seinem Geist zu entstehen begann, wusste er auch, warum. Diese arrogante Göre prägte ihn anscheinend doch mehr, als er zugeben wollte. Seine Ansprüche den Frauen gegenüber veränderten sich zunehmend. Er schüttelte abermals den Kopf, nahm ein Paar Schlücke, und hörte entspannt weiter dem Gesang zu. Milanas Stimme kam scheinbar leise aus dem Nichts, wurde aber immer fester und lauter, und zugleich blieb sie dünn und zart. Und dan formten sich die Worte, erst aus einem Flüstern kreisten sie um sich selbst, und erreichen langsam die Gemühter der Zuhörer.

„Sie saß alleine am Kamin
Und lass in ihrem Buch
Dort fand sie es nicht, denn
Wie jeder weiß,
Sie suchte nach dem Fluch!

Was ihre Herzen je verband
Verschwand in einer Nacht.
Sie wartete auf ihren Liebsten
Seit sie heut’ aufgewacht.

Sie saß alleine am Kamin,
das Feuer brannte hell!
Ihr Herz zersprang einem Spiegel gleich.
Er ging in die Ferne Welt!

Was ihre Herzen je verband
Vergas er in der Schlacht
Sie wartete auf ihren Liebsten
Seit sie aufgewacht!

Niemand saß nun mehr am Kamin,
Das Haus brannte hell!
Sie folgte ihrem Liebsten bald
Hinaus in die Welt.

Was ihre Herzen je verband
Verschwand in jener Nacht.
Sie wartete auf ihren Liebsten.
Im Tod fand sie Kraft…“

Damon schluckte. Aha, dachte er bitter, und leerte in einem Zug seinen Becher. Ohne das Ende des Liedes abzuwarten, ging er nach Oben in sein Zimmer und warf sich müde auf die grauen Bettlacken seines Bettes. Wenn sie zu Ende sang, würde sie nachkommen. Und im Gegensatz zu ihr liebte er sie nicht, und im Grunde wusste sie es auch. Er grübelte nicht lange in der Stille, denn an der Tür klopfte es leise, und ohne eine Antwort abzuwarten, schwebte Milana herein. Und ohne langes Gerede warf sie sich auf das Bett, und flüsterte ihm ins Ohr, wie sehr sie ihn vermisst hatte.

Es dauerte einige Sekunden, bis sich ihre Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, und blinzelte ungeduldig. Eigentlich, brauchte ihre Umgebung nicht mehr zu sehen, sich wusste auch so, wo sich alles befand. Im Geist zeichnete sie rasch eine Karte des Hauses, und ging sicheren Schrittes den Flur entlang. Fünf Schritte geradeaus, links, und da war auch schon die Tür zum Wohnzimmer. Sie griff nach der Türklicke und öffnete es energischer als es klug wäre. Denn die Person dahinter ließ mit einem Aufschrei etwas fallen, dass mit lautem Klieren am Boden zerbrach. Sie wollte schon die Tür wieder zu machen, als die verärgerte Stimme sie am Ort und Stelle fest behielt. >>Du! Verdammt, Lina! Jedes Mal das gleiche!<< Fabiena machte keine Anstalt die Scherben aufzuheben. Sie stand am Fenster, beide Hände an die Hüften gepresst mit wütend funkelnden Augen. Im Licht hinter ihr leuchtete ihre schmale Gestalt förmlich. Und die roten, gelockten Haare verliehen ihr eine Art Löwenmänne. Kelina konnte einfach nicht anderes, bei dieser Erscheinung musste sie einfach lächeln. Das hatte wohl das Maß zum Überlaufen gebracht. Denn sonst eine so ruhige und bedachte Fabiena griff nach dem ersten Gegenstand den sie fand, in diesem Fall eine Porzellanteekanne, und schleuderte diese auf die lächelnde Frau im Eingang. Mit lautem Knall traf diese jedoch bloß die Tür, die Kelina hinter sich zu zog, als sie wieder in den Flur flüchtete. Diese Göre!!! Und das waren nur die netten Worte, die ihr nachhallten, als sie weiter den Gang entlang schlenderte. Dann die Gartenterrasse, dachte sie, und tatsächlich! Der Geschichtenerzähler saß gemütlich in seinem Stuhl auf der Terrasse, und nippte scheinbar in Gedanken versunken an seiner Teetasse. So, wie er da saß, wirkte seine Gestalt verkrümmt und zerbrechlich. Seine Hände schimmerten gelblich, und waren von dunklen Flecken übersäht. Das weise Haar glänzte in der Sonne. Wie sehr sie sich doch von einander unterschieden, er und Nith. Kaum zehn Jahre Unterschied. Und doch sprühte der andere vor Energie und Tatandrang, und der Mann vor ihr war gealtert. Sie verweilte dort im Schatten noch eine Weile, und wog den Kopf leicht hin und her. Sie kannte ihn wirklich schon sehr lange, fast ein Leben lang! Sie schaute den älteren Mann liebevoll an, und seufzte lautlos. Als sie sich zum ersten Mal trafen, war sie gerade Mal Vierzehn gewesen, wie James jetzt, dachte sie ironievoll. Sie verdankte ihm so vieles. Nicht zuletzt das Schiff da unten am Kai, die „Ambrosia“, und auch den Namen „Nathe Drago“, seinen eigenen früheren Namen!
Einst war er der gefürchtete Drache, der die ganze Welt auf Trapp hielt. Allein sein Name schon versetzte die Menschen in Angst und Schrecken. Zu Anbeginn der Zeit, damals noch die Bürger des geeinigten Königreiches der Inseln. Und nun, war sie es, die diesen Namen weiter führte und ihn Unsterblich machte. Ein Geniestreich! Zwei Leben in einem einzelnen Namen!
Doch die Zeit selbst war zu dem älteren Korsaren unerbittlich gewesen. Dies war das Geheimnis zwischen ihnen, für den Rest der Welt war er der Geschichtenerzähler. Sie aber genoss das Privileg seinen Namen zu kennen. Und dieser Name war vor Jahren eine Art Siegel gewesen, mit dem sie ihren Navigator anheuern konnte. Und das war nicht von Belang, dass dieser nie laut genannt wurde. Die Tatsache an sich, dass sie ihn kannte, gab ihr Kraft. Und auch, wenn der Pirat vor ihr Alt geworden war, so lebte der Mythos des „Goldenen Drachen“ durch sie weiter.
>>Wie lange soll ich noch vorspielen dich nicht bemerkt zu haben?!<< Er stellte die Tasse ab, und legte die Hände auf die Knie. Unwillkürlich musste sie wieder schmunzeln. Natürlich hatte er sie bemerkt! Er mochte alt und gebrechlich wirken, seine Sinne waren noch immer scharf. Sie kramte in ihrer kleinen Umhängetasche, und verließ den kühlen Schatten des Einganges. Wortlos legte sie eine Zigarre auf den Tisch, und setzte sich neben ihm auf einen freien Stuhl. Ein wundervoller Tag! Die Vögel zwitscherten fröhlich um sich herum, der Wind schaukelte das saftig grüne Graß gemütlich hin und her. Sie schloss die Augen, und lehnte sich zurück. Hier, an diesem unwahrscheinlichsten und unfreundlichsten Ort in dieser Welt, machte alles einen Sinn. Hier blieb alles bei seinem Namen, hier konnte sie alles, und alles war Wirklich. Hier war sie selbst etwas Reales. Hier hatte auch sie einen Namen.
Victor schaute nachdenklich auf das Blatt vor ihm. In seinem Kopf formten sich zwar Buchstaben, jedoch ergaben diese keinen Sin. Er runzelte die Stirn, und las langsam einen Buchstaben nach dem anderen. Ein „A“, ein „M“, aber lediglich zufällig dahin geschrieben. Wie Musik, schwirrten die einzelnen Laute um ihn herum. Er legte das Pergament auf den Tisch, und streckte die Hand nach der Tasse. Der Tee war längst kalt geworden, und so ließ er es stehen. Clariss… Er meinte sich an diesen Namen zu erinnern. Doch war es der Name, den er einst kannte, oder die Person selbst? Neugierig lauschte er Kelinas Schilderungen der vergangener Tage, und Beschreibungen der Menschen denen sie auf ihren Reisen begegnete. Und beide Tatsachen, dass dieses Schriftstück auf der „Pharao“ war, nicht sonderlich gut versteckt, oder gar gut bewacht, machte ihn neugierig. Seltsam! Alles ein Zufall?! Nein, eine Prüfung! Aber wie die Komtess an diese Sprache rankam war noch viel interessanter. Victor schmunzelte. Diese Göre neben ihm hatte wirklich etwas Besonderes an sich. Wie zufällig kam sie ständig jemanden in die Quere, oder stolperte über Rätsel und Intrigen. Als ob das Schicksal nichts Besseres zu tun hatte, legte es ihr die außergewöhnlichsten Spuren in den Weg. Sie hatte wirklich ein Talent für Ärger! Und dieser Brief war eine ganze Spur an sich! Sie würde es am meisten interessieren. Die Sätze waren zwar falsch, da der Verfasser es lediglich aus vielen Buchschaben und halben Worten zusammensetzte, aber die Sprache an sich war real. Ironie, nur sehr wenig in diesen Zeiten war noch Echt! Sie, die ständig daran zweifelte, würde der Sache nachgehen wollen, wie immer. Kein Rätsel, und kein Abenteuer, wo sie ihre hübsche, kleine Nase nicht reinstecken würde. Ja, sie kannten sich wirklich schon so lange. Aber immer wieder musste er sich fragen, wie gut er dieses Mädchen wirklich kannte. Tat es überhaupt jemand, oder gar sie selbst?! Manchmal beruhigte ihn diese Tatsache, manchmal machte es ihn traurig und nachdenklich. Sie hatte dieses Schicksal nicht verdient! Sie sollte in diese Welt, wie sie es war, überhaupt nicht hineingeboren werden dürfen! Niemand sollte es! Seine Augen verdunkelten sich als er an sein eigenes Leben dachte, dass so voller Hass und Wut war. Übersäht von Verrat und zerschmetterter Träume! Nein, sie sollte ein anderes Leben führen, ein besseres. Eines, dass keinen Freibeuter aus ihr machte, keinen geisterhaften Drachen, seelenlos, ruhelos und unerbittlich. So unendlich rachsüchtig. Manchmal dachte er, wie er sie davon abhalten könnte, um ihren eigenen Willen. Und jedes Mal, wenn er sie an Bord ihrer „Shahirizade“ da stehen sah, zersprang sein alterndes Herz in tausend Stücken. So stolz, so unabhängig und voller Tatendrang! Genau diese echte Furchtlosigkeit, die sie ausstrahlte, machte ihm Angst. Wusste er was sie dachte?! Wie weit ihre Pläne wohl noch über den Horizont hinausreichten, wovon er gar nichts wusste?! Ja, sie hielt ihn auf dem Laufen, sie wollte, dass er sie Siegreich erlebte, und sie würde siegen, soviel war ihm bewusst. Nur, zu welchen Preis?! Damals, als sie nach North ging um einen Navigator für ihr Schiff anzuheuern, und plötzlich mit einem Grafensohn auf der Ringinsel wieder auftauchte. Wie zum Henker hatte sie das denn geschafft?! Als ihr kleines Geheimnis bezeichnete sie es und entrüstete ihn mit einem frechen Grinsen. Und, wenn das ihr „kleines“ Geheimnis war, wie gewaltig waren dann die anderen?! Was ihre Seele wohl verborgen hielt, was selbst ihre Augen nach Außen nicht wiedergeben konnten?! Er wusste es nicht. Aber der Nordländer war gut! Einer der besten Wegdeuter, die er auf seinem Weg getroffen hatte, und, dass waren bei den Götter nicht wenige. Außerdem sein eigener Navigator Cook, segelte nun auch mit auf dem Drachenschiff. Erst mehr in einer aufpassender Funktion, mittlerweile aus reinem Egoismus, nämlich aus Spaß! Als Victor ihr sein Schiff übereignete, war es ein innerer Kampf in den Cook, welches von Außen nur zu überdeutlich Sichtbar war. Nun amüsierte er sich, der Schiffkoch und zugleich der Navigator würde alle Hindernisse aus dem Weg räumen, wenn es sie bedrohen würde. Ha! Dieser alte Gauner! Und das war auch so eine seltsame Sache. Kelina hatte Cook als Navigator, und doch ging sie in den Hohen Norden um einen anderen anzuwerben, wieso?! Aber es hatte bestimmt einen Sinn. So gut wie man sich nur anmaßen konnte, sie zu kennen, machte sie nie etwas Sinnloses. Als er sie gerade zum zweiten Mal traf, hatte sie „Shahirizade“ mitsamt den willigen Arbeitern, welche am Bau des Schiffes mitgearbeitet hatten, mitgebracht. Sie hatte sogar selbst daran gearbeitet. Erste sollte es ein prächtiges Handelsschiff eines reichen Adligen aus Myken werden. Selbst an der Steuerung half sie mit, kannte nun jede Latte und jeden Nagel an ihrem Schiff. Hat es später sogar überarbeitet, und das Schiff in einen Drachen umgewandelt. Nein, sie verdiente unumstritten Bewunderung! Was sie leistete war außergewöhnlich, nur ihre Gründe waren ihm nicht mehr geheuer. Er mochte sie mittlerweile wie seine eigene Tochter. Vielleicht sogar mehr als seine eigene, dachte er traurig. Vielleicht weil sie eine gemeinsame Vergangenheit teilten, gemeinsame Freunde und Feinde. Oder weil sie ihm in so mancher Hinsicht ähnelte. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, obwohl sie als offenes Buch wirkte. So viele Gegensätze in einer Person waren selten und außergewöhnlich. Aber dieser innere Kampf, den sie ständig mit sich selbst austrug, kostete Kraft, dass wusste der Korsar. Aber wie er ihr helfen konnte, hatte er keine Ahnung. Alles war längst in Gang gesetzt worden, und er konnte nur zuschauen wie alles endete. Hier gab es weder ein gutes noch ein schlechtes Ende, auch das wusste er. Bei jedem Ausgang dieser Geschichte würde ihr das Verlorene nicht wieder angeeignet, aber um ihren Willen musste es enden, und zwar bald. Je mehr Zeit verging, desto mehr vergas sie, wer sie war. Er fragte sich, ob es dem nordischen Grafensohn gelingen würde, sie etwas aufzurütteln. Der Junge hatte nicht weniger Mut, und auch einen Dickkopf wie sie. Aber was wohl geschehen müsste, dass er den Willen findet sie aufzufangen, oder was sie so sehr aus der Bahn werfen müsste, dass sie es zulässt, dass er sie auffängt. So selbstsicher und unerschütterlich wie sie sich gab! Selbst er konnte nicht hinter ihre Fassade blicken, und erraten ob die Reglosigkeit und Gleichgültigkeit nur gespielt waren. Victor seufzte laut, war jedoch so in seine Gedanken versunken, dass er es gar nicht merkte. Und wieder kehrten seine Gedanken zu dem seltsamen Brief, und der lange in Vergessenheit geratener Sprache, in der es verfasst war. Nur sehr wenige Außenstehende kannten es, und er war einer davon. Ihn wunderte es auch gar nicht, dass sie es nicht erkannte, woher auch, dies war eine Geflüsterte Sprache. Nur die Schamanen der Lu’Roth- Insel durften ihre eigene Sprache aufschreiben, und diese nur an andere Schamanen ihres Volkes weitergeben. Es gab fast keine Schriftstücke wie dieses, denn nach dem Lesen wurden diese vernichtet, und wenn, dann nur mündlich weiter gegeben. Sie war zwar auf der Insel aufgewachsen, und auch einige der Ureinwohner getroffen, so hatte sie es ihm erzählt. Sogar unterhalten konnte sie sich in dieser Sprache, aber die geschriebenen Worte kannte auch sie nicht. Wie überrascht sie wohl sein wird, dachte er, und ein Lächeln huschte über seine Lippen. Aber er wusste immer noch nicht, woher diese Kauffrau es kannte, oder gar hatte. Dies blieb für den alten Piraten ein Rätsel.


Kelina beobachtete voller Neugierde das Gesicht des älteren Mannes als er das Pergament entfaltete und zu lesen begann. Er konnte es lesen, das sah sie ihm an. Die grünen Augen verdunkelten sich, und wurden wieder hell und klar. Sein Blick verlor sich im Irgendwo, als er sich an etwas erinnerte, und sein Gesicht wurde finster. Seine Mine wechselte zwischen Zuversicht und Wärme, durchströmte seine Haut von Innen. Es entspannte sich, wurde wieder Ernst, und die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer. Sie lächelte als Victor laut seufzte. Sie fand es jedes Mal erstaunlich, wie viel man seinem Gesicht so alles ablesen konnte. Wie ein offenes Buch saß er da, vertieft in die Zeilen, die ihm so einiges zu erzählen schienen. Und auch seine Haltung spielte mit seinem Gesicht im Einklang. Mal wirkte er in einer Sekunde um Jahre gealtert, da wurde er ganz steif. Entspannte sich wieder und umklammerte das Blatt in seinen Händen stärker. Wie sie ihn vermisst hatte! Diese seine ungewollte Ehrlichkeit, diese Offenheit! Auch sie entspannte sich, und nahm die zweite Tasse Tee, die Fabiena mittlerweile dazu gestellt hatte, und nahm einen großen Schluck. Sofort fühlte sie sich besser, das Warme kroch langsam die Kelle runter, und sie lächelte, als sie einen dezenten Rumgeschmack erkannte. Wie sauer Fabiena auch gewesen war, dass Kelina sie vorhin erschrocken hatte, war nun mit diesem Friedensangebot Geschichte. So ein Schatz! Von der Veranda aus konnte man hinunter zu den Kais schauen und ein gutes Stück auf das Meer hinaus, biss zu den Klippen die halb im Nebel lagen. Was wohl auf dem Blatt stand, dass Victor so viel Zeit damit verbrachte?! Wollte sie es überhaupt wissen?! Seit sie es mit den Augen überflog, hatte sich ein unangenehmer Geschmack in ihrem Mund breit gemacht. Lesen konnte sie es zwar nicht, aber ihr Gefühl riet ihr sich davon fern zuhalten. Sie war aber dennoch gespannt was der Geschichtenerzähler ihr dazu zu berichten wusste. Dieser war jedoch noch in der Welt, aus welcher dieses Schriftstück stammte gefangen. Sie wartete bis er von sich aus in die Gegenwart zurückkehrte. Sie hatte Zeit. Mehr noch, hier hatte die Zeit gar keine Bedeutung, es blieb stehen. Keine Hektik, keine Pläne, keine Unruhe oder Dringlichkeit. Sie konnte warten.
Victor seufzte wieder und schaute von dem Blatt auf. >>Wie eine alte Freundin von mir jetzt sagen würde: so wisset, dass diese Sprache eine geflüsterte Sprache ist. Wisset, dass sie kein Geheimnis für mich darstellt.<< Er unterdruckte ein Lächeln, so, dass seine Stimme fest und kraftvoll durch die Luft schwebte. Die junge Frau neben ihm regte sich und trank ihren Tee weiter, genüsslich das Aroma einatmend. Er fuhr fort. >>Die Buchstaben sind wahllos angeordnet, so das sie mehr unserer Schreibweise ähneln, als seinem eigenen Ursprung. Die Person, die es verfasste wusste weder was sie da schrieb, noch wusste sie, dass der Satzbau dem unseren nicht gleicht.<< Er sah sie von der Seite an. Aber Kelina schwieg und schaute scheinbar ziellos auf das Meer unter ihnen. Er lehnte sich zurück und schloss für einen Augenblick die Augen, bevor er weiter sprach.
>>Die Sprache an sich kennst du, nur nicht, dass sie auch aufgeschrieben wird, geschweige denn wie. Die Schamanen auf Lu’Roth sind die einzigen, die ihre Worte für einige Zeit niederschreiben dürfen. Sie glauben alles sei Vergänglich, auch die Sprache oder die Schrift. Da sind sie unerbittlich. Und wenn sie wüssten, was wir jetzt hier vor uns auf dem Blatt stehen haben, wären wir wohl in Schwierigkeiten.<< Wieder sah er das Mädchen durch die halbgeschlossene Augen. Und immer noch saß sie gemütlich in ihrem Stuhl, und schaute mit verschlossener Mine in die Ferne. Was danach geschah hätte er nie erwartet. Denn so besonnen er sie auch immer erlebte, tat sie jetzt etwas, was er nicht verstand. Und so schaute er mit vor Überraschung aufgerissenen Augen, und aufgeklappter Kinnlade wie sie das Blatt von dem Tisch nahm, ein Streichholz anzündete, und das Pergament in Flamen setzte. Sie wartete bis nur noch Asche davon blieb, sich in die Luft hob und in alle Richtungen wie eine Staubwolke verschwand. Energisch nahm sie ihre Tasse, trank in einem Zug den Rest der bitteren Flüssigkeit und verschwand schnellen Schrittes im Haus, ohne sich umzudrehen. Das erste Mal war der alte Pirat, der nun über sechzig Jahre alt war, sprachlos. Und während er daran dachte, was das eben sollte, schritt Kelina durch das Haus, alle Hindernisse zur Seite schiebend. Sei es eine Tür, die Treppe oder Fabiena mit Händen voller Frischwäsche, die alles zu Boden fahlen ließ, und wütend Kelina etwas nachrief.
Sie stürmte aus dem Anwesen, ohne sie Tür hinter sich zu zumachen, und halb im Gehen, halb im Laufen bewegte sie sich zielstrebig auf dem Pfad herunter zu dem Hafen. Noch ein Paar Schritte, und sie stand auf dem Steg. Verdammt! Wie ein Schatten aus der Ferne glitt lautlos ein Schiff zwischen den Felsen auf die Küste zu. Dunkles Ebenholz gestört durch weiße Latten der ausgebesserten Stellen am Buck, welche die Geschichte ihrer Reisen erzählten. Sie kniff die Augen zusammen, nicht um das näher kommende Schiff besser zu sehen, nein, sie erkannte es längst. Den Schiffen Mast, die abgenutzte Reling, dass in allem verwahrloste Bild, welches sich ihr bot, kannte sie gut. Und sie fragte sich, wieso es hier war?! Der Händler am Bord war ein kleiner fetter und durchtriebener Betrüger Namens Pooth. Ein neurotischer Spinner und Dummkopf. Jedoch sein Navigator Mo’had ein Südländer von der Kippa-Insel war ein gefährlicher Fanatiker und ein Sadist. Sein Vater war einst ein Gefolgsmann des Königs Roldars, zu seinen Lebzeiten hatte er viele Schlachten in seinem Namen geführt, bloß um der Neugierde wegen, und wegen des Geldes. Sein Sohn, jetzt bescheidener Wegdeuter auf einem zwielichtigen Handelsschiff. Die Wahrheit war aber, dass besagte Schiff „Nepu“ beteiligte sich außer des Schmuggelhandels auch ab und zu an gemeinsamen Raubzügen durch das Meer. Alleine undenkbar, aber durch Mo’hads Verbindungen umgab es sich mit ein Paar anderen Piratenschiffen, und streifte durch die weiten Wasserflächen. Hin und wieder legte es hier auf der Ringinsel an, um den neusten Klatsch und Tratsch zu erfahren. Kontaktleute der anderen Korsaren zu treffen. Die Insel an sich, nur ein winziger Kahler Fleck auf den Karten abgezählter Piraten. Insgesamt sollten es nur zwanzig davon geben, aber mittlerweile, wer weiß?! Die Insel selbst wurde von zwei Ringen geschützt. Das erste war ein dichter Nebel, der zweite Ring bestand aus Unterwasserfelsen. Verirrte man sich dort im Nebel, lief man Gefahr von den verborgenen Felsen aufgespießt zu werden. Nur an zwei Stellen konnte man diese Ringe passieren, und nur zwei Piraten wussten von der Dritten. Für wahr, den gefährlichsten Durchgang von allen, und sie war eine davon. Jedes Schiff, dass hier in Alou anlegte wurde Namenlos, so lohnte es sich kaum nach der Insel zu fanden, niemand wusste welche Schiffe hier ankerten. Oder in welchen Abständen sie hierher kamen, und kamen sie überhaupt?! Natürlich kannte sich hier jeder, aber unter ihnen existierte ein schwacher Hauch von Ehre, so kannten sie einander nicht, wenn die Gardier, die kaiserliche Marine in der Nähe waren, und rumschnüffelten. Der alte König hatte mit mehreren Korsaren Abkommen geschlossen, sie überfielen ausschließlich feindliche Handelsschiffe, wie zum Beispiel die aus Siem. Heute war es verwirrend. Alte Verträge waren längst ungültig, wiederum andere existierten im Untergrund weiter.
Geistesabwesend steckte sie sich eine gelöste Haarsträne hinter das Ohr, und beobachtete wie „Napu“ aus dem Nebel auftauchte und Kurs auf freien Steg nahm. Außer der „Pharao“ waren noch neun weitere große Schiffe nah an der Küste. Und in der Werft war außer dem Drachenschiff noch ein weiteres. Sie sah zu, wie die Entfernung zwischen ihr und dem braunen Ungestüm immer kleiner wurde, und fragte sich, was nun Interessantes geschehen würde. Das Handelschiff war ein einziges Mal hier und zwar direkt nach dem James Dorf ausgelöscht wurde. Und jetzt geleitete es langsam auf die Insel zu, mit einem gefährlichen Gegner am Bord, wenn er es eines Tages werden sollte. Und irgendetwas sagte ihr, dass es geschehen würde. In diesen unruhigen Zeiten war kein Pirat bloß Meeresräuber geblieben. Sehr viele mussten umdenken, und etwas für sie ungeheuerliches tun, Bündnisse schleißen, politische Partei ergreifen. Sich für etwas Festgelegtes entscheiden. Allein diese Tatsache bedeutete nichts Gutes!
Noch waren die Menschen lediglich schwarze Flecke, welche von Seite zu Seite huschten. Die Segel wurden eingeholt, und das Schiff kam bedrohlich näher. Sie seufzte und ging davon. Die Fischer, allesamt Seeleute saßen an die Wände der kleinen Hüten gelehnt. Manche flickten ihre Netze, oder befreiten diese von den Algen und Moos. Andere fanden sich in Paaren oder Gruppen zusammen, und unterhielten sich angeregt, oder beugten sich über Karten oder Hüttchen. Die Insel an sich war recht groß, doch das Meiste davon waren Felsen und Hügel, hier und da ein Paar Baumgruppen. Und die einzige Stadt Alou was übersetzt „Tänzerin“ bedeutete, wurde ihrem Namen gerecht.
An den Fischenhüten vorbei führte eine breite, gepflasterte Straße durch einen Hügel hindurch in die Stadt. Ähnlich einem Ameisenhaufen wurden die Häuser an die Felsenwand angebaut, und so hing Gebäude über Gebäude. Unzählige kleine, dunkle Gassen. Schmutzige Steinwege wandten sich wie Schlangen um die Häuser, und trafen sich mit den anderen Straßen im Nirgendwo. Fauliger Geruch stieg ihr in die Nase sobald sie die Anlegestellen hinter sich hatte, und die Stadt vor und über ihr lag. Alou war riesig, und Neulinge konnten sich leicht hier verirren, was die Möchtegernganoven gerne ausnutzten. Für große Gewinne konnte hier jedoch niemand sorgen, so blieb es bei Raufereien, kleinen Diebstellen, und ab und zu wurde versehentlich jemand getötet, davon wussten aber nur wenige. Hier gingen Namenlose Menschen aus den Gebäuden und verschwanden ohne, dass es jemanden groß auffiel. Hier war das gläserne, nach Abfall und Alkohol stinkende Paradies. Jedenfalls für alle Gesichtslosen, die als Reste der zivilisierten Gesellschaft galten. Und sie war eine von vielen. Langsam schlenderte sie an den Warenbuden vorbei, beiläufig die geschäftigen Händler beobachtend. Eine dicke, zu grell geschminkte Frau räumte gerade faule Äpfel aus den Kisten vor ihr, und schmiss diese achtlos auf einen Haufen an der Wand, direkt hinter ihr. Kein Wunder, dass die Ratten sich hier Willkommen fühlten! Der süßlich, faulige Geruch der Früchte, die den ganzen Tag an der Sonne lagen, hing über der Budde, doch schien es niemanden zu stören. Ein kleiner Junge tauchte hinter der Wand des Hauses auf, und langte über den Haufen. Kleine, schmutzige Finger griffen zu und zogen rasch eine Frucht an sich. Noch ein Mal griff die Hand nach dem faulen Obst, doch dieses Mal sah es die Händlerin, schnappte sich das dürre Handgelenk, und zerrte den strampelnden Jungen zu sich. Die freie Hand erhob sich, und sie verpasste dem Bub eine gewaltige Ohrfeige, so, dass das Gesicht des Kindes, welches kaum sieben Jahre alt sein konnte, sich rot färbte. Laut wie ein Nebelhorn heulte dieser auf. Immer wieder versuchten seine kleinen Finger die Hand der Frau von seinem Arm loszureißen, ohne Erfolg. Sie zerrte an dem mageren Körper, und schrie ihn wütend an. Ihre riesige Pranke packte seine Schulter, und schüttelte ihn heftig, so, dass sein Kopf nach hinten kippte. Er richtete sich wieder auf, und schrie nun selbst die Händlerin an, immer wieder von Weinkrämpfen unterbrechend. Keine einzige Seele um sie herum beachtete die Szene, nur ein Mal fragte ein Mann die schreiende Frau, was diese für den Äpfel in der Auslage haben wollte, und hielt ihr die Frucht praktisch vor die Nase. Merkte aber bald, dass er nicht beachtet wurde, und ging fort. Kelina schritt weiter, wich einigen betrunkenen aus, und ging unbeteiligt an dem Obstladen vorbei. Die Händlerin beruhigte sich etwas, hielt den Jungen immer noch fest, wandte jedoch halb ihren Kisten zu. So, dass sie nun sah, wie eine in Reisekleidung gehüllte junge Frau, mit losem, braunen Haar, an ihr vorbei ging und mit geübter Hand und in die Apfelkiste hineingriff, und noch im Gehen einen mitnahm ohne anzuhalten. Der erste Schock der Frau verflog rasch, aber diese Frechheit brachte sie für einen Moment aus der Fassung. Das Gesicht rot vor Wut, stemmte sie ihre massige Hand auf den Tisch, und mit der anderen deutete sie auf die sich entfernende Gestalt der Piratin, und schrie ihr Beleidigungen und Verwünschungen hinterher. Dieser Augenblick reichte jedoch aus. Der kleine Bettlerjunge war entwischt. Die hässliche Frau merkte davon aber nichts, denn als Kelina ein Paar Schritte weiter gegangen war, griff sie in ihre Tasche und holte eine Kupfermünze. Verdammt, für einen Apfel eine ganze Kupfermünze! Dachte sie mürrisch, und warf diese über die Schulter. Ohne sich umzudrehen wusste sie, dass die Händlerin es gefangen hatte. Erst hörte man ein erstauntes „Ah“, dann folgte wieder ein Schwall aus farbenfrohen Beschimpfungen. Sie war aber schon aus der Marktstasse raus, und hörte die einzelnen Worte nicht mehr. Sie biss ein Stück von ihrem Kauf ab, und schmiss den restlichen Apfel auf einen Abfallhaufen, an dem sie gerade vorbei ging. Eine ganze Münze für diesen Müll! Die Frucht war weder süß noch sauer, es schien als hätte es gar keinen Geschmack und diese fette Ganz hatte den Buben beinahe grün und blau geschlagen?! Irrsinn, die Leute in Alou schienen auch grau zu sein, weder bunt noch durchsichtig. Hier zählte alleine das „Ich“, der Rest war wie ausgeblendet.
Sie spuckte das Stückchen aus, und bog in eine enge Gasse ein. Obwohl die Sonne noch relativ hoch am Himmel stand, war es hier dämmerig und feucht. Die Lehmziegel der Hauswände gaben der Gasse einen würzigen Erdegeruch, so konnte sie nicht anders als die Hand auszustrecken, und die kühlen rauen Steine zu berühren. So, als ob sie es dadurch schmecken konnte. Nach Paar Metern bog die Strasse ab, und öffnete sich zu einem kleinen runden Platz. In der Mitte war ein Brunnen aufgestellt, und mehrere Menschen schöpften Wasser mit den Händen, tranken es, wuschen sich, und tranken es wieder. Es würde sie nicht überraschen, wenn sich dort auch noch so mancher betrunkener Witzbold entleeren würde! Bestimmt war es sogar so! Sie ging weiter, wich spielenden, verwahrlost aussehenden Kinder aus, scheuchte mit ihren Schritten Tauben von den Steinen, und hielt auf die weiß angemalte Tür mit schwarzer Klinke zu. Ohne stehen zu bleiben, drückte sie zu, und diese öffnete sich ohne jeglichen Widerstand, nach innen. Sie huschte hinein, und verschwand in dem Menschengedränge. Lediglich die Kraft der aufgerissenen Tür schoss in einer Windböe über dem kleinen, bunt angemalten Aushängeschild über dem Eingang. Auf dem schwarzen Holzbrett leuchtete in einem kräftigen Rot „Schiffer Mast“ auf die Menschen hinunter.
Erst als sie einen Schlafenden vom Stuhl auf den Boden warf, der nach einem leisen Protest dort wieder einschlief, und sie sich an die Wand lehnte mit einem kühlen Bier in der Hand, dachte sie über den Brief nach. Den Brief, von dem Victor glaubte es sei für sie interessant. Den Brief, den sie in Flamen aufgehen ließ. Den Brief, der in einer Sprache geschrieben worden war, die sie kannte. Den Brief, der wie ein lauter Schrei sie nun aus der Vergangenheit heimsuchte. Nicht jetzt, dachte sie müde. Sie schloss die Augen, und lauschte dem Barden, der gerade mit seiner düsteren, festen Stimme lange Reise eines Helden besang. Und so, wie er sang, zeichnete sie in ihrem Geist die Szenen nach seinen Worten, und ging durch sie hindurch. Sie seufzte, nahm einen Schluck, und versank in dem Lied, welches der Welt als das Krähenlied bekannt war.

Ich wanderte durch Wälder still,
Ich schwamm den Fluss entlang.
Am Ende stellt’ ich fest wie viel
Mein Mut war vom Belang!

Ich gestehe, ich vergaß
Wie ich war, was ich war.
Nun sitz’ ich schwarz wie die Nacht
Krähe auf ’nem Ast!

Ich war früher ein starker Geist!
Blut floss durch mein Gemüht.
Heut schreit mein Echo aus dem Wald
Verstummt und ausgehüllt.

Ich gestehe, ich vergaß
Wie ich war, was ich war.
Nun sitz’ ich schwarz wie die Nacht
Krähe auf ’nem Ast!

Ich liebte sie, die eine war’s
Den Namen ich verlor.
Ich ging um zu Siegen in den Tod
Tot bleib ich, armer Tor!

Ich gestehe, ich vergaß
Wie ich war, was ich war.
Nun sitz’ ich schwarz wie die Nacht
Krähe auf’ nem Ast!

Beschimpft mich, werft den Stein nach mir,
Befriedigt Eure Gier.
Ich ging mit Drang und Schwert weit fort
Und blieb alleine hier…

Ich gestehe, ich vergaß
Wie ich war, was ich war.
Nun sitz’ ich schwarz wie die Nacht
Krähe auf’ nem Ast!

Irgendwo in ihrem Bewusstsein meinte sie noch weitere Strophe aus dem Lied zu hören, doch der Sänger war längst verstummt. Die Paar Leute, die zugehört hatten, lobten ihn, doch die meisten unterhielten sich angeregt, oder beschäftigten sich mit ihren eigenen Gedanken. So, das kaum einer Notiz von dem schmächtigen Bild des Künstlers wahrnahm. Dieses Entablismont eignete sich ja auch kaum für anspruchsvolle Unterhaltung! Noch besser, er hätte hier im Saufhaus eine Dichterlesung abhalten sollen! Bei diesen Gedanken musste sie schmunzeln, und trank einen Schluck auf den Barden, er möge irgendwo anders sein Talent vergeuden. Ein liebes Lied! Ja, genau, es ging weiter und nun sang die Frau, die er im Lied erwähnte. Sie erinnerte sich dunkel daran, wie das Lied weiter ging. Die Frau wartete auf ihren Liebsten, und brachte sich dann aus Kummer um. Ja, so war es! Sie sah den Sänger wieder an. Etwas steif, und vielleicht etwas zu dürr. Sein Gesicht jedoch makellos schön. So jung, und voller Emotionen. Unwillkürlich musste sie daran denken, was sie irgendwo gehört hatte. Jeder Sänger oder Tänzer trägt das Stück vor, welches er sich am nächsten wünscht! Ja, diese festen, vollen Lippen würden kaum die Tränenreichen Quallen der Frau besingen. Und diese gerade Nase, und das markante Kinn, nein, hier war es nur Sinnvoll von Helden und ihren Schlachten zu erzählen. Und in diesen Augenblick hob er sein Gesicht, und sah sie durch den Raum hindurch an. Nur eine Sekunde, dann versperrte ein betrunkener die Sicht, und als dieser wieder ging, schaute der blonde Barde seine Laute an, und unterhielt sich mit einem Gast. Sie blieb wie davor ausgelassen sitzen, und nur der Finger, welcher an den Tonbecher ab und zu geräuschlos tippte, verriet dass was nach Außen nicht sichtbar war. Sie überlegte!

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Tag der Veröffentlichung: 27.09.2009

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