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Wer, wenn nicht Du...


Die Sonne tauchte den schmalen Platz in einen gelb-rosa Licht und die schlaftrunkenen Laternen auf der Brücke durchbrachen es leicht. So, dass die Strahlen scheinbar von den dunklen Lämpchen ausgingen. Ich hörte das Wasser leise summen und an die steinernen Borten stoßend, doch war ich noch zu weit weg um es zu sehen.
>>So werd ich lieber sterben als ohne meine Liebste über diese harte Erde zu wandern.<< Der Man warf theatralisch die Arme empor und suchte vergeblich die Sonne zwischen den Dächern und Hauswänden in der Gasse. Er war in ein weißes Kostüm gewand mit großen, aufgestickten Rechtecken die etwas verzehrt aussahen. Seine Haare waren ein wildes Durcheinander roter Strähnen, dass aus einem hohen, spitzen Hut hervorlugten. Und an seinen langen, weit geschnittenen Ärmel hingen kleine Glöckchen die bei jeder auch so kleiner Bewegung zitterten und klingelten. Sonst lag die Gasse ruhig und still in der frühen Morgenstunde. Nur ein Paar Gesichter tauchten aus den offenen Fenster der Häuser die entlang der Straße in die Verwogenheit dieser Stadt verschwanden. Doch die Straße war menschenleer außer den drei seltsam gekleideten Männer und mir. Ich war gerade aus meinem Hotel heraus gegangen und wollte die Stadt erkunden solange es noch keine Touristen zu sehen gab. Ich hasste diese überfüllten Plätze und Straßen, wo alle Sprachen in einem chaotischen Gemurmel zu einer neuen, unbekannten verschmolzen. Diese gaffenden Gesichter und irritiertes Stirnrunzeln, wenn der Guide etwas über die Architektur erzählte. Ich würde zu gerne nach Ägypten fahren doch graute es mir vor diesen stichigen Massendrang und den überforderten Einheimischen. Und so war ich außerhalb der eigentlichen Saison nach Venedig gekommen, um in Ruhe und Frieden auf den Stufen irgendeiner Treppe zu irgendeinem Haus zu sitzen. Die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen auf irgendeiner kleinen, unscheinbaren Brücke zu sitzen und ein Buch lesen. Ich hasste Hektik und Zeitdruck. Genug davon hatte ich zuhause in meinem Job. Ich war als Grafikerin in einer Werbeagentur beschäftigt, und zwang mich mehr zur Arbeit, als das es mir noch Spaß bereitete. Eigentlich wollte ich ja Sozialpädagogik studieren, doch kam mir dieser Angebot dazwischen und ich wählte eine sichere Zukunft, anstelle eines waagen Traumes. Ab da verlief mein leben geregelter wie noch nie zuvor, was seine Vorzüge hatte, wie aber auch so seine Nachteile. Und nach einem Jahr hatte ich genug Zeit und Geld, dass ich mir einen Zweiwöchigen Urlaub leisten konnte, von dem ich bereits drei Tage verbrauchte.
Ich lehnte mich an die grau getünchte Mauer und steckte die Hände in die Taschen meines roten Mantels. Für Ende Juni war es erstaunlich kühl so, dass ich hier im Schatten der Gebäude fröstelte, doch betrachtete ich das seltsame Schauspiel unbewegt weiter. Der rothaariger Arlikino

hievte sich gekonnt auf das steinerne Geländer und hielt sich mit einer Hand an der Laterne fest. Wie ein Segel im Wind bewegte er sich hin und her mit einer betrübten Miene und schrie die Männer unter sich aufgebracht an. >>Was wisst ihr von der Freiheit Merric?! Ihr habt doch nur von dem Becher der Gier gekostet, seht wie euch der Saft aus den Mundwinkeln läuft!<< Er trat einen Schritt rückwärts, näher an die Kante. Die beiden Männer unter ihm rückten vor und einer Hielt flehentlich die Arme dem weiß gekleideten entgegen. Der dritter Mann, mit dunklen Haaren hielt seinen Freund an den Schultern fest und beide gingen in die Knie vor dem vermeintlichen Man der nun die Latente los ließ, hochin den Himmel schaute und mit ausgebreiteten Armen sich von der Brücke fallen lies. Die Gesichter in den Fenstern Achten

und Ochten

erschrocken, und der einer oder der andere Lächelte milde. Die beiden Männer stürzten an das Geländer doch war der helle Körper längst in der Tiefe verschwunden und man hörte einen lauten Aufprall. Der Dunkelhaariger zerrte seinen verzweifelten Freund von de Kante und beide kamen schwankend über die Brücke auf mich zu. Mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete ich das Spektakel. Gut, dass es auf Englisch war, sonst hätte ich fälschlicher Weiße gedacht, dass er sich wirklich umgebracht hätte. Doch so stand ich etwas Abseits und schaute zu wie einige Leute doch noch ihre Häuser verließen und hinter den zwei Schauspieler hertrotteten. Einer, anscheinend Merric war in prachtvolle Kleider gewandt. Violette Tunika mit goldenen Knöpfen. Weiße Spitze seines Hemdes fiel im leichten Wirbel aus dem Ausschnitt und flog im Wind hin und her. Er trug Abzeichen auf seiner breiten Brust und diese funkelten golden durch den kühlen Schatten der Gasse. Ich legte den Kopf leicht zur Seite als er in einigen Schritten von mir in die Knie ging und mit den Fäusten auf die gepflasterte Straße aufschlug.
>>Ach welch eine Verschwendung, mein Freund! Ach welch eine Schmach! Von dem Sklaven zu einem Sklaven gekrönt zu werden! Ach Gabriel, was wird denn Vater bloß dazu sagen?!<< Und er wandte sich zu seinem Begleiter der nun vor ihm kniete und ihn hoch zu heben versuchte. Seine braunen Haare lagen unordentlich auf seinen Schultern. Er war in einem einfachen Leinengewand der hier und da Abnutzungssurren aufwies. Seine Hosenbeine waren mit grauen Bänder gebunden, und seine Ärmel waren fleckig und aufgerissen. Auch er trug kleine Glöckchen an den Handgelenken die leise aufwimmerten, als er seinen Herr zum Aufbruch bewegen wollte.
>>Ach, lieber Gabriel, sage mir doch wie ich verfahren soll?!<< Schrie Merric in die gebahnte Menge.
>>Lasst es ruhen Herr.<< Hörte ich Gabriel sagen und er zog an dem Arm des anderen. >>Denkt erst darüber nach wie ihr selbst weiter leben wollt.<<
>>Eben dies wird sich erst klären, wenn ich Vaters Urteil gehört habe! Ach, du verstehst mich nicht, mein Freund.<< Und er kam endlich hoch. Anscheinend wieder gefasst trottete er an mir vorbei gestützt auf Gabriels Schulter. Beide zogen wie eine trübe Gewitterwolke an mir vorbei und ich drehte mich nicht nach den zwei Gestalten um. Auch die übrigen Leute zogen hinter ihnen her und ich wusste, dass diese Zwei nun über die ganzen Straßen schlendern würden und noch mehr Menschen hinter sich ziehen. Doch ich würde ihnen nicht folgen. Zu sehr war mir der Gedanke an so viele Menschen zu wieder. Zu sehr hasste ich überfüllte Plätze und Straßen. Mit hochgehobener Augenbraue stieß ich mich sachte von der Wand ab und kam auf die Stelle wo die zwei Männer noch vor einem Augenblick gesessen hatten zu, und ging in die Hocke. Wiederwillig streckte ich eine Hand aus und griff nach einem weißen Papier, dass anscheinend dem braunhaarigen aus der Tasche gefallen sein musste. Langsam faltete ich es auseinander und betrachtete die verschnörkelte Schrift darauf. Der Wind frischte auf und der Schatten wollte einfach nicht weichen obwohl ich die Sonne bereits über mir sehen konnte. Doch selbst diese wirkte trüb und matt, als ob die Wärme bereits erkaltete ohne über den Rand der goldenen Scheibe gekommen zu sein. Einige Einheimische trotteten über die Brücke und drückten sich an den hohen Wänden entlang. Ich steckte das Blatt in meine Tasche und drehte mich um. Antonio Vichelli

stand auf dem Papier und dann irgendwelche Plätze und Straßen Venedigs, dann irgend ein Text oder einzelne Worte. Ein Laufzettel, wo Gabriel alias Antonio seinen Text aufsagen musste, oder eine Szene spielen musste. Und ich konnte damit nicht viel anfangen und das wollte ich auch nicht. Langsam schlenderte ich zurück zum Hotel und drückte die Klinke. Es roch immer noch nach altem Leder und Nelken wie an dem Tag an dem ich hier eincheckte. Und auch die selbe junge Frau stand gelangweilt an der Rezeption und kaute einen Kaugummi als ob es keinen Morgen gebe. Ich schritt langsam auf die hölzerne Theke zu die seit Jahren nicht mehr gestrichen wurde, und blieb vor der zierlichen Frau stehen.
>>Diese Leute da auf der Brücke, was soll das ganze? Es ist doch noch kein Karneval.<< Meinte ich schließlich und legte die Hände auf das Holz vor mich. Die Dame lächelte gnädig und überheblich zugleich. Wir waren etwa gleich alt, was mich nervte. Denn sie behandelte mich wie eine schwachsinnige, überlaute Touristin.
>>Nein, M´am. Es ist das Trivo- Spektakel. Das spielen sie jedes Jahr. Es wird eine Szene nachgestellt aus unserer Geschichte, und auf den Straßen von Venedig gespielt, damit alle Leute daran teil nehmen können. Es wird dann noch ein großes Fest auf der Piazza geben und dann zum Schluss eine Parade zum St. Moise über die ganze Stadt. Sie wollen es bestimmt sehen, ich kann ihnen aufzeichnen wo es ist...<< Und sie wollte gerade mit dem Stift an die Karte klopfen die vor ihr mit einem Tesafilm an die Theke geklebt wurde. Doch ich schnitt ihr das Wort ab. >>Nicht unbedingt. Danke. Ich möchte bitte auschecken, es ist noch vor um neun, ja. Ich hole gleich meine Sachen, machen Sie bitte die Rechnung fertig.<< Und ich ging zum Fahrstuhl ohne auf die verdutzt dahinblickende Frau zu achten, und verschwand hinter den Türen. Gut, dass ich nicht eine komplette Reise gebucht hatte, sondern mehrere Hotels von zuhause aus buchte, nun musste ich nicht Ewig in dieser Budde hier bleiben. In zehn Minuten stand ich an der Tür meines Zimmers und stellte den Koffer an die Wand neben der Tür. Noch ein Mal überflog ich den Raum, dass ich ja nichts vergessen hatte und steckte gedankenverloren die Hände in die Taschen. Meine kalten Finger stießen auf etwas weiches, glattes und ich hielt mir das gefaltete Blatt vor die Nase. Mit einem Stirnrunzeln legte ich es auf den kleinen Tisch am Fenster und ging hinaus. Scheinbar nach einer Ewigkeit gingen endlich die Türen eines der zwei Fahrstühle in diesem Hotel auf und ich trat hinein, den Koffer hinter mir herziehend.

Zu gleichen Zeit gingen die Türen des zweiten Liftes auf und ein großgewachsener, braunhaariger Man trat sicheren Schrittes hinaus. Verärgert über die trottelige Rezeptzionistin und ihr brüchiges Gedächtnis. Er hatte noch rechtzeitig entdeckt, dass sein Laufzettel nicht mehr da war. Natürlich könnte er sich einen anderen besorgen, aber auf diesem waren all seine Notizen drauf. Und er machte stets alle Dinge mit gleicher Gewiesenheit. Erst nach einigen Minuten meinte einer der Passanten, dass die Junge Frau im roten Mantel etwas vom Boden aufgehoben hatte, als sie weiter zogen. Diese Touristen! Manchmal wirklich eine Plage! Er war ein gefragter, junger Schauspieler und jeder erkannte ihn sofort auf der Strasse. Und genau das hatte er gerade unten ausgenutzt, als er dem seltsamen Gör den roten Mantel der Frau beschrieb und sie nach ihrer Zimmernummer fragte. Natürlich durfte sie das nicht tun, aber er lies seinen grenzenlosen Charme spielen und nun stand er vor der Tür mit der Nummer 46 und zögerte. Was sollte er den tun?! Sie bitten ihm den Plan zurück zu geben, und er würde ihr dafür ein Autogram anbieten?! Er hasste es und verabscheute, dass er zu solchen Mittel greifen musste, aber er brauchte diesen Zettel! Auf der Rückseite stand eine sehr wichtige Telefonnummer, und er musste es einfach wieder beschaffen, selbst wenn er diese vielleicht nie benutzen würde. Energisch hob er die Hand und klopfte...
...Nichts...Nur Stille und das leise Knattern der Holzdielen unter seinen Füßen schlugen ihm entgegen. Er klopfte lauter, und fluchte leise in sich hinein. Die Rezeptzionistin hatte hoch und Heilig beteuert, dass die Gesuchte gerade in ihr Zimmer ging, doch hinter der Tür bleib alles Still. Skeptisch drückte er leicht gegen die Tür und diese öffnete sich ohne jeglichen Wiederstand. Wieder zögerte er und drückte es weiter von sich. >>Hello, ist jemand da? Mein Name ist Antonio, Antonio Vichelli. Ich möchte sie nur etwas fragen.<< Doch niemand antwortete und es rührte sich auch nichts. Verflucht! Murmelte er leise als er in das schwach beleuchtete Zimmer eintrat und feststellte, dass es leer war. In wenigen Schritten war er an dem kleinen, verzerrten Fenster und schaute auf die noch fast leere Straße unter ihm. Gedankenverloren seufzte er und stützte sich mit den Händen am Fenstersims. Er hatte mehr als zwanzig Jahren nach diesen Menschen gesucht, ohne den Wunsch zu verspüren sie auch zu treffen. Und jetzt hatte er endlich eine Nummer, und er hatte es verloren. Wie auch immer, es war nicht zu ändern. Aus den Augenwinkeln sah er einen verschwommenen, roten Fleck aus dem Hotel auftauchen und reckte den Hals um es besser erkennen zu können. Ein roter Mantel! Und er drehte sich um. Doch schon nach dem ersten Schritt blieb er vor einem kleinen Nachttisch wie angewurzelt stehen. Wie gebannt starrte er auf das abgenutzte Blatt und auf seine eigene Handschrift die ihm da entgegen schien. Fast ehrfürchtig hob er es hoch und drehte es langsam um. Da war sie weder. Erleichtert brachte er ein mattes Lächeln zu Stande du steckte es eilig ein, bevor er aus dem Zimmer stürmte und hinaus auf die Straßen, dem roten Mantel nachjagend.
Er bekam ihren Ellbogen zu fassen als die Frau fast um die Ecke gebogen war und schnappte hilflos nach Luft als sie ihn miesmutig und verständnislos aus ihren großen, braunen Augen musterte.

Genüsslich sog ich die frische, würzige Luft durch die Nase und lächelte der Sonne entgegen als ich das stickige Hotel endlich hinter mir ließ. Irgendwie hatte ich mir meinen Urlaub doch ruhiger und entspannter vorgestellt. Jetzt musste ich durch die halbe Stadt zu einem anderen Hotel pilgern, wollte aber kein Wassertaxi nehmen. Zu Fuß war diese schwimmende Stadt immer noch am besten zu erkunden, Koffer hin oder her. Ich hüpfte voller Vorfreude die niedrigen Stufen hinunter und schlenderte auf die Brücke zu welche die Form eines halbmondes hatte, dass über dem Kanal ragte. Und die erst vor Kurzem das Schauplatz einer gespielten Tragödie gewesen war. Was das alles zu bedeuten hatte wusste ich nicht, dafür hätte ich an einer andern Stelle sein sollen, wo die Geschichte seinen Anfang hatte. Aber ich würde wahrscheinlich auch später den Sinn erfassen können, wenn ich den Schauspielern irgendwann wieder begegnen würde. Aber darauf legte ich keinen Wert. Ich wollte mich nur in irgendeiner dunklen Gasse verkriechen und das Mauerwerk bewundern, oder die verschwommenen Markierungen an den Hausfassaden betrachten die das Wasser dort hinterlassen hatte, als es noch höher stand. Ich mochte nun mal diese kleinen Dinge, und ich wollte sie sehen. Eigentlich wollte ich mit meiner Freundin diese Reise unternehmen, doch sprang diese unerwartet kurzfristig ab und ich zuckte nur mit den Schultern, und fuhr allein. Da hatte ich auch meine Ruhe. Wie schon erwähnt, ich hasste Hektik über alles! In Gedanken machte ich mir schon einen Plan zurecht, wohin ich als erstes gehen würde. Irgendwo hinter der Piazza, schmale Gassen und unzählige Treppen und Brücken! Ich wollte sie alle sehen, vielleicht würde ich auch ein Paar Fotos machen von den Sachen die mich besonders neugierig machten. Aber die meiste Zeit würde ich auf einer Decke auf irgendwelchen Stufen sitzen und die Zeit genießen die langsam an mir vorbei schleichen würde. Gerade als ich um die Ecke biegen wollte zog jemand an mir und ich drehte mich nach dem Störquell um. Die blau-grünen Augen die mir da entgegen schienen und hin und wieder hinter dunklen, brauen Haarsträhnen verschwanden, ließen mich mitten in der Bewegung erstarren. Denn ohne, dass ich selbst mitbekommen hatte war ich nahe dran meinem vermeintlichen Angreifer eine zu verpassen. Doch lies ich meine freie Hand zurück auf den Griff des Koffers sinken und wartete bis der Mann im grauen, abgenutzten Kostüm wieder zu Atem kam. Außerdem würde es vermutlich nicht gut aussehen, wenn ich einem Straßenschauspieler einen auf den Deckel geben würde, da einige Passanten jetzt schon gespannt darauf warteten, was nun passieren würde. War das etwa Üblich?! Wurden die Menschen in das Stück einbezogen?! Ich wusste es nicht, und blieb einfach nur in abwartender und auch ablehnender Haltung stehen bis sich "Gabriel" wieder gefasst hatte.
>>Ich...sie hatten etwas was mir gehört...<< Hörte ich seinen angenehm melodisches Englisch.
>>Ach, das. Das habe ich im Hotelzimmer gelassen, wenn sie schnell gehen ist es bestimmt noch da.<< Und ich entwand meinen Ellbogen seinen feingliedrigen Fingern. Ich war schon immer ein recht oberflächlicher Mensch, wobei mir mein Aussehen immer Unbehagen einflösste. Zu dich, da zu dünn. Hier etwas zu viel und wiederum da zu wenig. Meine Haare leuchteten in einem bestimmten Licht in Dunkelblond, und meine Augen waren unendlich Braun, wenn das Foto es richtig einfing, was meiner Meinung nach nicht oft der Fall war. Und meine Klamotten waren entweder blau, schwarz oder weiß. Mehr an Farbe boten nur die Ohrringe die ich bis zum verrücktwerden liebte, in allen Farben und Formen. Und erst kurz vor dieser Reiße kaufte ich mir diesen Roten Mantel. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt mir etwas Farbe in die Garderobe zu bringen, und diese Anschaffung würde den Anfang machen. Doch wie ich mich kannte, würde es vermutlich auch die einzige für die nächsten Paar Jahre bleiben. Ich gewöhnte mich recht langsam an irgendwelche Veränderungen, und mochte diese auch nicht besonders. Allgemein war ich recht fest in meinen Ansichten und Gewohnheiten verankert, und hasste diese Eigenschaft an mir mehr als alles andere. Und so war es auch kein Wunder, dass ich sofort sein Aussehen als ziemlich ansehnlich empfand. Untertrieben! Ich war fast schockiert wie die Natur so reich einen einzelnen von uns bescheren konnte. Unter der aufgetragenen Schminke und zerzausten Harren war ein sehr gut aussehender Man verborgen, den ich dort auf der Brücke von Weitem als einen Bettler in dem Stück, dass er spielte, erachtete. Jetzt so nah wie er bei mir stand wirkte er auch erheblich schlanker und größer, um einen ganzen Kopf überragte er mich so, dass ich leicht den Kopf heben musste. Er warf gerade die schweißnassen Haare aus seiner Stirn mit einer Hand und lächelte mich an. Fragend hob ich eine Augenbraue und mein Gesicht wirkte wie immer resigniert und nichtsaussagend. Es hat mich Jahre gekostet diese überhebliche Haltung einzunehmen, und ich beherrschte sie recht gut, wie mir schien. Denn sein Lächeln verschwand augenblicklich, und er schaute mich leicht irritiert und ernst an.
>>Das habe ich schon, danke.<<
>>Dann.<< Und ich drehte mich um, zog an meinem Koffer und ging in die Seitengasse hinein.
>>Nein, warten sie doch.<< Hörte ich ihn leise sagen und hörte seine Schritte auf dem Pflaster hinter mir. Wieder griff er leicht nach meinem Ärmel und ärgerlich blieb ich stehen. Was?! Würde ich eine Belohnung für das nutzlose Ding erhalten?! Was sollte es bloß?! Ich wandte mich um und sah ihn abwartend ab.
>>Kein Freund der langen Reden, ich sehe schon. Danke. Ich meine, es war ein sehr wichtiges Dokument...also, danke...<<
>>Wieso erzählen Sie es mir?! Sie haben es wieder, und ich muss jetzt weiter. Halten sie ihr Publikum nicht auf. Was sind Sie eigentlich, Stahlbursche?<<
>>Hoffnarr.<<
>>Hm, ich verstehe.<< Mit diesen Worten drehte ich mich wieder um und verschwand hinter der nächsten Ecke, dieses Mal war mir niemand gefolgt. Mit seinem Aussehen sollte er einen König spielen! Verkehrte Welt! Ein Narr?! Was sollte es denn? Glaubte er, dass es mich in irgendeiner Weiße interessiert wie wichtig ihm dieses Stück Papiers war?! Ich hätte es so gut auch weg schmeißen können! Kopfschüttelnd kämpfte ich mich durch eine laute Gruppe englischer Touristen und warf entnervt einen Blich auf die Karte auf einem großen Informationsstand. Noch 200 Hundert Meter weiter, dann lins abbiegen und ich wäre da. Endlich! Die schwirrenden Menschen um mich herum verursachten Kopfschmerzen bei mir, und meine Laune wurde mit jeder weiteren dazu kommender Stimme, übler.

>>Krieg dich wieder ein, Mensch!<< Meinte Mario.
Antonio alias Gabriell bedachte seinen Freund und Kollegen mit einem vernichtenden Blick und knöpfte die zweite Mangelte zu. Wie du diesen Outfit auch zurecht gezupft hasst, es wurde nicht besser. Er sah seiner Rolle entsprechend wie ein Bettler und Gewöhnlicher aus. Fidele, der den Prinzen Merric spielte glich dem Sonnenkönig. Seine Kleider waren mit bunten Schleifen geschmückt und die Knöpfe leuchteten im hellen Licht, dass aus dem Fenster in den kleinen Alkoven hinein lugte.
>>Was hasst du erwartet?! Ich verstehe sowieso nicht was an diesem Laufzettel so unentbehrlich war! Ich hätte dir meinen geben können.<< Fidele hatte schon verwundert dahin geschaut als sein Freund sich plötzlich verabschiedete und in dem Morgen verschwand um das Blatt zu suchen, dass er anscheinend verloren hatte. Wie um alles in der Welt wollte er es wieder finden? An so vielen Orten sie an diesem Morgen bereits vorbei gekommen waren! Aber, nein, Antonio war einfach weg und er musste improvisieren. Und auch jetzt wo Antonio ihm erzählte wie die Frau reagierte konnte er einfach nicht anders, er lachte.
>>Und wenn du von einer fremden Frau plötzlich auf der Straßen angehalten würdest?! Was würdest du tun?!<< Und die beiden Männer sahen sich einen Augenblick an. >>Vergiss es, war kein guter Beispiel. Ich wäre begeistert von so einer Aktion gewesen!<< Sagte Fidel und lachte laut auf.
>>Du tust ja so, als ob ich der letzte Don Huan auf der Welt wäre! Sei ruhig!<< Wandte Antonio ein.
>>Wieso beschäftigt sie dich dann so? Aber wie auch immer, du wirst ihr nie wieder begegnen, vergiss es einfach.<<
>>Hm. Du hasst Recht, es ist nur...Ich weiß es doch auch nicht...<<
Fidel klopfte seinem Freund auf den Rücken und warf über die Schulter als er zu Tür ging. >>Sie wird nicht die einzige Frau auf dieser Welt sein, die dir die kalte Schulter zeigt. Unser Auftritt, los.<< Und er war fort. Ein letztes Mal fuhr Antonio über seine Tunika und schmunzelte über seinen ärmlichen Aufzug. Cassandra, seine teuflische Agentin war außer sich als er das Angebot ablehnte den Prinzen zu spielen und lieber diese Rolle übernahm. Er mochte einfach den Charakter an sich und es machte ihm auch nichts aus eine scheinbar unbedeutende Rolle zu spielen, er wusste es besser. Und diese Frau! Nur ein missbilligendes Schnaufen hatte sie für ihn übrig und für den Narren den er spielte. Und wieder lächelte er. Irgendwie ging sie ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Aber Fidel hatte Recht, er würde sie nie wieder sehen, in diesen Massen die sich auf der Piazza versammelten und auch hinter dem Pagoden-Palast, wo der fiktive Prinz angeblich residierte. Er steckte eine Locke hinters Ohr und folgte seiner Hoheit. Die kleine Kirche war fast unheimlich voll. Überall Einheimische und einige Touristen die sich hierher in diese entlegene Ecke verirrten. Eigentlich waren diese Spektakeln mehr für die Einheimischen gedacht, damit ein Teil der Tradition nicht im Karneval unterging. Zwei Mal im Jahr veranstaltete die Stadt diese Spiele und er war bereits das dritte Mal dabei, und immer in den seltsamsten Rollen. Mal als Räuber der am Ende des Stückes gehängt wurde, dann als Fischer der elend verhungerte und dessen Leiche in das trübe Gewässer des Grand Canales geschmissen wurde. Und dieses Mal war er eben der Hoffnarr, angeblicher Freund des Prinzen und sein Vertrauter. Seine Rolle erschien ihm aber mehr als nur die eines Narren, Sein Charakter kämpfte mit den naiven Gedanken seines Herren, einerseits wollte er sein Leben schützen, anderseits verabscheute er manche Absichten des Prinzen. Und am Ende würde er sich entscheiden müssen ob er seinen Freund verrät für das Wohlergehen des Landes, oder ihn rettet für den Preis, dass Venedig unter gehen wird. Er seufzte und ging leicht gebeugt an den sitzenden und stehenden Zuschauern vorbei auf das massive Eichentor. Hinter sich hörte er den Priester etwas rufen und beeilte sich etwas. Er würde gleich mit dem Prinzen einen Fest feiern und dann weiter reiten.
Die warme, feuchte Luft drang durch seine Kleidung und Haut als er endlich Draußen war und die Augen zusammen kniff. Sie Sonne strahlte mit den goldenen Knöpfen auf Fidels Kostüm um die Wette. Wie es der Plan beschrieb gesellte er sich zu dem restlichen Hoffstand und dann wieder an des Prinzens Seite. Gekonnt schwank er sich in den Sattel und nickte als sein Herr eine Ansprache hielt, die Menge lachte. Es wurden Tische und Bänke auf dem recht großen Platz aufgestellt und allerlei Gesindel eilte zwischen den Passanten mit Tabletts und Krügen umher. Ein kleiner Teil wurde mit hölzernen Gitter abgesperrt und die Menschen drückten sich an diesen entlang um einen Blick auf die Schauspieler zu erhaschen. Genüsslich streckte Antonio sein Gesicht dem Wind entgegen und schaute auf die Gaffenden Leute vor sich. Auch in der Ferne kamen Menschen aus allen möglichen Gassen und standen in kleinen Gruppen beisammen. Jetzt kamen die Gaukler und mischten sich unters Volk, sein Part war nun getan und er konnte ebenfalls absteigen und sich unter die Leute bringen.
>>Es sind weit mehr als letztes Mal. Wunderbar<< Fidel saß ebenfalls noch auf seinem Ross und lenkte es nah an das seines Freundes der in die kleine, leere Parkanlage schaute. >>Hasst du sie endlich angerufen?<<
>>Nein, noch nicht.<< Und Antonio dachte an den Zettel in seiner Jackentasche.
>>Wieso nicht? Hör zu, du hasst dein ganzes Leben nach ihnen gesucht, willst du es nicht endlich wissen? Wieso sie es getan haben? Ich meine, dafür hasst du sie ja auch gesucht, oder?!<<
>>Hm.<< Meinte Antonio nur und stieg ab. Ohne etwas zu sagen drückte er Fidel die Zügel seines Pferdes in die Hände und gab dem friedlichen Gaul einen leichten Klaps auf die Flanke. >>Mehr als ein Leben.<< Murmelte er leise und war zwischen den Menschengruppen verschwunden. Fidel folgte seiner flinken Gestalt noch eine Weile und schaute dann weiter weg. Eine einzelne Person stand abseits der Massen und hielt etwas vor sich hin gestreckt. Der rote Mantel schlug kleine Wellen wenn der Wind es traf, und sie schaute in eine ganz andere Richtung zu der Kirche. >>Das gibt es wohl nicht. Sie wird doch nicht die einzige sein mit solchen Klamotten, dieser Trottel.<< Und lächelnd wandte er sich ab.

Ich hatte zwei Tage damit verbracht auf den Treppen zu sitzen und in meinem Buch zu lesen. Langsam wurde mir aber doch noch langweilig vor so viel Ruhe und Frieden. Ich wich erfolgreich allen touristenbeliebten Plätzen aus, und fand einige sehr niedliche Cafes und Läden. Ganz abseits entdeckte ich einen kleinen Kostümladen der jedoch zugeschlossen war. Die prächtigen Ballkleider die mir da aus dem Schaufenster entgegen blickten, drehten sich in meinem Kopf. Vor einigen Jahren arbeitete ich in einem Gemeinnützigen Verein und dieser beherbergte eine Näherei. Zu irgendwelchen Veranstaltungen durfte ich einige Kleider der französischen Mode des 19 Jahrhunderts anziehen, und schon damit empfand ich mich als eine Lady die nicht war. Wie ich wohl in einem dieser bunten Kleider mit Perlen und Schleifchen wohl aussehen würde?! Aber ich schüttelte nur mit dem Kopf und ging weiter. Jetzt im nachhinein würde ich den Laden vermutlich nicht mehr wieder finden, aber das machte mir nichts aus. Wozu sollte ich es auch tun? Heute wollte ich einfach nur durch die Gegend laufen, mal schauen wohin es mich bringen würde. Und auch meine Laune war wieder auf dem Höheflug. Anscheinend war ich doch noch recht sauer auf Colin, dass sie mich so im Stich ließ und mich alleine fliegen ließ. Ja, natürlich konnte ich sie verstehen, ihr Freund machte wie immer Probleme, und sie kam einfach nicht weg. Aber sie war genau so alt wie ich, und mit vierundzwanzig immer noch derart von irgendjemanden abhängig zu sein, fand ich doch recht seltsam. Aber vielleicht war es nur meine Ansicht, ich hatte zuhause ja niemanden der auf mich wartete. Ich wollte mir eine Schlange oder eine Spinne zulegen, oder am besten einen Frosch, aber diese brauchten viel Licht, und die Energiekosten explodierten von Monat zu Monat. Dann dachte ich an meine Katze die bei meinen Eltern lebte seit ich vor drei Jahren mir eine eigene Wohnung nahm. Doch wenn ich mir ihr langes weiß-schwarzes Haar auf meiner sandfarbenen Couch vorstellte, schmiss ich sie tausend Male in Gedanken aus dem Fenster. Und ich wohnte in der vierzehnten Etage, wohlgemerkt. Also dachte ich an Fische, und dann wie ich den Aquarium in Schuss hallten müsste. Und dann entschied ich mich für eine Ameisenfarm, die ich mir bis Heute noch kaufe...Na, ja. Ich komme recht spät von der Arbeit heim da ist es schwierig mit etwas lebendigerem als dem Hünchen in dem Gefrierschrank zu leben. Und ein Freund?! Ich hatte einen, oder ich glaubte einen zu haben. Nur studierte er für ein Jahr im Ausland und auch davor waren wir nur zwei Monate zusammen, an die ich mich nur mit einem Schmunzeln erinnerte. Also beendete ich diese unsinnige Zusammenkunft. Wenn nicht einmal Anhänglichkeit im Spiel war, so wollte ich lieber allein bleiben, als so zu tun, als ob ich es nicht war. Also fuhr ich in den Urlaub. Mein Leben war gut organisiert und penibel gerplant. Ich ging ein Mal die Woche zum Physiotherapeuten und zu Joga. Am Wochenende stand das große Putzen an und ab und zu besuchte ich Freunde oder Verwandte. Auch unter der Woche versuchte ich mich mit Freunden zu treffen um nicht vollkommen zu vereinsamen, oder einsam zu wirken. Aber vierzig Stunden in der Woche wo ich eine Menge Menschen um mich hatte reichten manchmal so, dass ich danach nur meine Ruhe haben wollte. Eigentlich mochte ich die Menschen allgemein nicht wirklich. Witzig, dass ich in einem großen Büro arbeitete und es einfach Voraussetzung dafür war mit Kunden und Kollegen auszukommen. Was ich auch prima tat. Meine Kollegen mochten Mich, meine Chefs respektierten mich und die Kunden warteten meine Meinung ab, bevor sie ihre eigenen Gedanken einbrachten. Mein Leben war äußerst gut organisiert. Und das hasste ich. Ich hatte diese seltsame Eigenschaft, die ich an mir noch mehr hasste als diese gespielte Gleichgültigkeit die ich an den Tag brachte. Ich glich im Grunde einem Chamilion. Nur wechselte er die Farben um sich der Umgebung anzupassen. Und ich änderte mein Auftreten und passte mich dem jeweiligen Gesprächspartner an, mit dem ich gerade zu tun hatte. So konnte ich an einem Tag ernst sein dann traurig. Ich konnte rumzicken und dann wieder verständnisvoll sein. In einem Augenblick lachte ich und in dem Nächsten weinte ich. Langsam wusste ich es überhaupt nicht mehr wie mein wirkliches Ich

ausschaute. Ich hatte immer ein Paar schwarze Schuhe zu einer schwarzen Tasche und einen gelben Schal zu dem gelben Roch. Alles passte, alles stach nicht aus der Menge und unterschied sich nicht von dem Rest. Und es ging mir gut, wenn ich erst gar nicht darüber nachzudenken anfing. Aber jetzt war ich hier, und hatte mir fest vorgenommen mich zu erholen! Langsam stieg ich über eine kleine Brücke und horchte dem leisen Plätschern des Wassers wenn es an die Hausfassaden schwappte. Einen Park hatte ich nicht gefunden obwohl er laut dem Reiseführer hier irgendwo in der Nähe sein sollte. Ich stieg über eine weitere Brücke und wich spielenden Kindern aus ohne die Nase von der Karte in meinen Händen zu lösen. Irgendwann verlor ich vollkommen die Orientierung und gab es auf, in dem ich das kleine Büchlein in die Tasche steckte. Einfach irgendwohin gehen, dann würde ich sicherlich auch irgendwo ankommen. Und tatsächlich tauchte ich aus einer Gasse auf und blieb unschlüssig stehen. Eine größere Anzahl von Menschen feierten anscheinend etwas in einiger Entfernung und ich zuckte mit dem Schultern. Ich konnte ihnen nicht die ganze Zeit ausweichen, dass war mir mittlerweile klar geworden und ich schlenderte hinunter. Da fand ich auch den kleinen Park, Grünanlagen waren in Venedig Mangelware wie ich festgestellt hatte. Wie auch Bänke, dafür eine unmögliche Anzahl an Brücken und Treppen die sogar in Sackgassen führten, hauptsachte sie hatten Stufen! Seltsam verrückte Stadt. Wie ein riesiger Irrgarten wobei der Ausgang meist von Hunderten von Wegen zu finden war, die meisten davon waren die Wasserkanäle. Ich roch an einigen Büschen an denen ich vorbei ging und warf einen neugirieigen Blick zu einer kleinen Eiche hinüber ohne dieses Mal den Wunsch zu verspüren hinein zu gehen. Eigentlich besuchte ich fast jedes größere Gotteshaus, um mir in Erinnerung zu rufen wie sehr ich doch diese Instanz „Kirche“ verabscheue. Ich hatte absolut nichts gegen den Glauben auch wenn ich es selber nicht besaß. Aber die Kirche als Machtzentrum konnte ich nicht annehmen. Mit ihren vergoldeten Ikonen oder auch Kuppeln. In der Zeit wo die Menschen Hungertodes starben wurden der Kirche Smaragdketten und goldene Dosen gespendet. Das konnte und wollte ich nicht annehmen und so bleib ich der Kirche, als der Institution, skeptisch gegenüber.
Ich blinzelte und blickte verwundert hoch. Unweit vor mir zwischen zwei Hausdächer zog sich ein halbrundes, verglastes Gitter, von einem Haus zu dem anderen. Wie eine aufgehende Sonne und das Licht strömte hindurch wie durch ein Fenster, nur dass dahinter die Sonne selbst wohnte und keine Menschen. Gebannt schaute ich in die Höhe über das Gelände und holte mein Handy aus der Tasche. Ich hielt es aufgeklappt vor mir hin und versuchte das seltsame Gebilde in das kleine Fenster einzufangen. Ich machte bereits das dritte Foto als ein breiter Schatten über mir fiel und ich unwillkürlich den Kopf nach der Ursachen umwandte, und überrascht feststellte, dass mich die blau-grüne Augen belustigt musterten. Ich klappte das Telefon zu und es verschwand geräuschlos dort, woher es aufgetaucht war.
>>Also doch Interesse an Trivo, wie ich sehe.<<
>>Nicht wirklich. Es führen nur alle Wege hierdurch, das ist alles.<< Antwortete ich und ich konnte mich nicht daran erinnern wie angenehm tief seine Stimme klang.
>>Aber, wenn sie schon Mal da sind, können sie ja auch teil nehmen. Es ist längst nicht nur für die Bevölkerung gedacht, auch Touristen sind uns willkommen.<< Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schaute in die Höhe in die gläserne Sonne wie ich einige Augenblicke zuvor.
>>Ich werde es mir überlegen. Aber müssen sie nicht zurück zu ihren Kollegen? Was wird der Prinz bloß ohne seinen "Vertrauten" machen?!<< Meine Stimme klang meistens tief und monoton. Sehr selten erlaubte ich es ihr irgend ein Gefühl auszudrücken, wieso wusste ich selbst nicht, aber ich tat es.
>>Wussten sie nicht um die wichtige Rolle eines Hofnarren? Er konnte dem König immer die Wahrheit sagen, ihn vor drohenden Gefahren warnen ohne Gefahr zu laufen dafür seine Stellung zu verlieren, wie es die Minister und Berater taten. Vielleicht ist meine Rolle bedeutender in dieser Position, weil ich mich nicht fürchten muss wie mich die Welt aufnimmt?!<<
>>Aber ihr seid dennoch der Narr in den Augen der Menschen, was auch immer ihr hinter einem königlichen Rücken tut, wird er es am Ende sein der die Welt vor dem Untergang rettet.<<
>>Und wenn es mir reicht zu wissen, das die Welt gerettet ist, ohne ein schmerzendes Ego zu haben?!<<
>>Dann seid ihr wirklich ein Narr. Menschen sind eben dadurch Menschen, weil sie nach falscher Perfektion streben und flüchtiger Anerkennung.<<
>>Eine düstere Meinung von jemanden der einen leisen Versuch wagt aus der Menge hervor zu stechen.<< Meinte er etwas nachdenklich und ich wusste, dass er meinen Mantel meinte. Aber niemals würde ich einem Fremden diese Wahrheit zugestehen. Doch er sprach auch schon weiter ohne mir die Chance einer erneuten Lüge zu geben.
>>Wussten sie, dass eine Begegnung heißt Schicksal, wenn man sich das zweite Mal trifft bedeutet es Zufall. Und die dritt ist dann die wichtigste.<< Und er sah mich ruhig an. Kein Spot lag in diesem Blick, kein Hochmut oder die anfängliche Belustigung. Etwas warmes, lauerndes, abwartendes strahlten sie aus. Etwas was ich noch nie in den Augen vollkommen fremder Menschen gesehen hatte, etwas was mir dermaßen vertraut war, dass mein Herz für eine Sekunde aussetzte und ich mich abwandte. Weder glaubte ich an so etwas naives wie Seelenverwandtschaft noch an die Liebe vom ersten Augenblick. Überhaupt glaubte ich nicht an die Liebe. Schon recht nicht, wenn man einem Menschen nur ein oder zwei Mal begegnet war! Mann könnte einen Menschen vielleicht lieben, wenn man ihn länger kannte, wenn man alles über ihn wusste, das konnte man daran lieben, diese Sachen die man dann wusste. Und nun stützte ich. Wieso kamen mir gerade solche seltsamen Gedanken in den Sinn? Hier, weit weg von zuhause, in einem fremden Land und in der Gesellschaft eines vollkommen Unbekannten, der nichts weiter tat als neben mir zu stehen. Was auch immer er von mir wollte, schämte ich mich plötzlich für solchen Unsinn an den ich dachte, wozu mich seine Augen veranlasst hatten. Und ich seufzte. Ich war eindeutig zu lange nicht mehr unter Menschen gewesen, drei Tage machten mich anscheinend etwas verrückt. Das würde ich schon zu beheben wissen, wenn ich wieder in Deutschland war, würde ich mit meinen Mädels feiern gehen, und das nicht zu knapp! Aber jetzt musste ich mich aus dieser komischen Situation retten, denn wir beide schwiegen schon eine geraume Zeit.
>>Und sie sind also ein Schauspieler?<< Fragte ich etwas unsicher.
>>Sie haben gerade eine schöne Illusion zunichte gemacht.<< Und er lächelte und verneigte sich leicht wie es früher der Brauch war, sich vor einer Dame zu verneigen. Noch mehr verunsichert hob ich eine Augenbraue hoch.
>>Sie dürfen doch den Leuten hier nicht dieses Märchen zerstören, es bleibt unser Geheimnis, ja, sonst würde man mich der Hochstaplerei anklagen und hängen.<<
Erst jetzt verstand ich dass er das Fest meinte und nicht meine unsinnigen Gedanken, die er selbstverständlich nicht lesen konnte, du dumme Gans! Schalt ich mich ins Geheime, und nickte nur. Was machte ich da bloß!
>>Und, ja, ich bin ein Narr.<< Verkündete er etwas wehmütig.
Wieder sah ich ihn irritiert an, und wieder lächelte er.
>>Aber ich bin auch ein Vertrauter, und der Prinz legt großen Wert auf meine dumme Meinung. Ich werde die Macht über Leben und Tod haben, dass ist mehr als einem Prinzen gegeben ist.<<
Er spielte weiterhin seine Rolle dämmerte es mir, und ich schaute weg.
>>Wäre nicht das erste mal, das diese Macht einem Narren zu Teil werden lies.<<
>>Mich scheint ihr wohl zu kennen holde Maid, doch kenn ich Euren Namen nicht, das es mich bis auf Ewig verfolge.<<
>>Anna.<< Und ich schwieg. Wieso um alles in der Welt tat ich es?!
>>Ich verstehe. Und nichts weiter, nehme ich an. Ich bin Antonio, aber das habe ich glaub ich schon erwähnt. Es wird noch in die späte Abendstunde gefeiert, ist gar nicht so übel. Und Morgen beenden wir das Spektakel mit einer Herzzerreisenden Geschichte, würde mich freuen wenn Sie kommen würden, Anna. Es wird auf St. Moise stattfinden.<<
>>Rot? Ihre Lieblingsfarbe?<< Fragte ich unverblümt. Es ist ja allgemein bekannt, dass die Italiener Frauenhelden waren und Machos. Und wie ein Stier entdeckte man meinen Mantel schon aus der Ferne.
>>Nein, blau. Wieso?<< Er runzelte die Stirn und ich lächelte in mich hinein.
>>Ich kann blau nicht ausstehen.<< Log ich und dachte an ein Drittel meiner Garderobe, das in jedem erdenklichen Blau-Ton schimmerte.
>>Und ich mag rot nicht, aber das hält einen nicht auf, wenn es wichtig ist.<<
>>Und das hier ist wichtig?!<< Und ich hob wieder den Kopf Richtung der Glassonne. Höher und Höher stiegen Tauben über den Hausdächer und verschwanden wie schwarze Punkte im Nirgendwo.
>>Ja, ich glaube schon. Wenn Sie glauben ich spreche einfach jeden fremden Menschen einfach so auf der Straße an, so irren Sie sich.<<
>>Aber ich bin eine Fremde, und mich sprechen Sie doch gerade an.<< Sagte ich ohne ihn anzusehen. Irgendwie glaubte ich es ihm sogar, aber ich weigerte mich es zu akzeptieren.
>>Da haben Sie nicht ganz Unrecht, aber wenn es jetzt noch nicht Wichtig erscheint, so wird es bestimmt in Kürze der Fall sein.<<
>>Das glaube ich nicht. Ich muss jetzt weiter. Vielen Dank für die Unterhaltung.<< Und ich drehte mich um.
>>Wir werden uns wieder sehen Anna, daran glaube ich fest.<< Hörte ich seine tiefe Stimme in meinem Rücken und bezwang den Drang mich nach ihm umzuwenden, aber mein Verstand gewann die Oberhand und ich ging davon. Ein seltsames Gefühl kaute an meiner Logik und Selbstbeherrschung, den ich nicht einordnen konnte. Ich kannte ihn doch gar nicht! Wieso wollte ich denn so sehr wieder seine Stimme hören, überlegte ich als ich mich auf die Stufen an einem der Kanäle setzte und die Beine baumeln ließ. Oh, Gott! Worüber dachte ich da gerade, war ich übergeschnappt?! Von belanglosen Affären hielt ich nicht viel, sie befriedigten etwas warmes und hungriges in mir nicht. Und jetzt dachte ich an einen vollkommen Fremden und schon allein diese Gedanken irritierten mich. Der Tag verging und auch der Nächste, so wie alle anderen die ich damit verbrachte durch die Straßen zu laufen und ein festes Ziel vor Augen verfolgte, nicht in die Nähe des St. Moise zu kommen. Und meine Selbstbeherrschung siegte auch dieses Mal, ich kam nicht.

>>Du bist doch nicht etwa wirklich verliebt?!<< Der Arlekino, der natürlich nicht wirklich in den Fluss damals von der Brücke stürzte, klopfte sich gerade die Kreide aus der Hose. Abgeschminkt wirkte sein Gesicht müde und gebräunt aus, was auch an seinen Sizilianischen Wurzeln liegen mochte. Erstaunt sah er seinen Freund von der Seite und auch Fidel lächelte und zuckte mit den Schultern.
>>Mensch, Toni, mach dich doch nicht verrückt! Was soll den dieser Unsinn, wie oft hasst du diese Unbekannte denn getroffen, hasst du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Fidel, sag doch du auch etwas!<<
Antonio saß mit geschlossenen Augen in einem Sessel und kreuzte die Beine übereinander, die auf der Schminktheke des kleinen Theaters lagen. Seine Arme lagen gekreuzt auf seiner Brust die sich schwer hob und senkte. Sie war nicht aufgetaucht...Er hatte den ganzen Platz nach ihn abgesucht, und bei jedem roten Kleidungsstück wusste er, dass sie es nicht war. Sie war einfach nicht gekommen! Wie auch anders, eine verrückte Geschichte war es, nichts weiter. Eine zufällige Bekanntschaft, eine Illusion. Er war selbst überrascht wie unheimlich angezogen er sich von der Frau füllte und wie sehr er sich wünschte sie wäre gekommen. Aber das hatte sie nicht getan. Und er seufzte. Was war denn bloß mit ihm los? Seine letzte Beziehung war mehr gesellschaftliche Verpflichtung und zum Schluss nur noch ein Krampf. Lügen, das ewige Vormachen und eine Menge falscher Hoffnungen. Geliebt hatte er schon seit langem nicht mehr, eigentlich konnte er sich gar nicht mehr daran erinnern. Und jetzt zermalmte er sich den Kopf darüber wie er so nach einem Wiedersehen mit einer völlig Fremden streben konnte. Und ihm kam kein vernünftiger Grund, außer...Unmöglich! Und er schüttelte den Kopf. Leon runzelte die Stirn und setzte sich seinem Freund gegenüber.
>>Ich habe ihn noch nie dermaßen unschlüssig gesehen.<< Meinte Leon zu Fidel ohne Antonio aus den Augen zu lassen.
>>Ich schon. Er hat noch immer kein Kontakt zu seinen angeblichen Eltern aufgenommen.<<
>>Nein, das ist etwas ganz anderes. Das hier hat nichts mit einer Familienzusammenführung zu tun. Er ist verknallt, wie ein Schuljunge! Sie ihn dir doch an.<<
>>Tja, es geschehen also doch noch Wunder! Ich dachte schon der bleibt für den Rest seines Lebens ein Einbrötler und einsamer Wolf.<< Dabei zwinkerte er seinem Freund verschwörerisch zu.
>>Ihr wisst aber schon, dass ich noch anwesend bin?!<< Kam endlich eine tiefe Stimme, ohne dass Antonio die Augen geöffnet hatte.
>>Wie heißt sie eigentlich?<< Leon wurde ernst.
>>Anna.<<
>>Und?<<
>>Nichts „Und“, nur Anna.<< Seufzte Antonio unglücklich. Er wusste ja auch selbst wie dumm sich das ganze anhören musste, aber sie ging im dennoch nicht aus dem Kopf. Und es war weit mehr als nur ein Flirt oder belangloses Interesse. Er füllte es. Er liebte. Und er verzweifelte, weil er sie niemals wieder sehen würde. Ihre dunklen Augen, die zerzausten Haare und diesen zu einer schmalen Linie gezogenen Mund. Ihren roten wie Kirschen Mantel würde nie wieder wie ein Leuchtfeuer über der Piazza leuchten.
>>Du kennst nicht Mal ihren Nachnamen, oder woher sie kommt?! Du weißt also überhaupt nichts von ihr?! Und du hasst es nicht einfach nur geträumt?<<
>>Nein.<< Kam die energische Antwort aus dem Sessel und Leon seufzte.
>>Und wenn ich ein Bild von dieser Traumfrau haben sollte, was würdest du dann tun?<< Fidel grinste über beide Ohren und holte sein Mobiltelefon heraus. Jetzt war Antonio auf den Beinen und entwand ihm nach einem gespielten Wiederstand das Gerät. Auch Leon steckte seine Nase in das kleine, flackernde Bild und schnaubte. Was war schon an ihr Besonderes, dass man so einen Aufstand darüber machte. Aber die unbekannte Sehnsucht in den Augen seines Kindheitsfreundes lies ihn anhalten. Vielleicht konnte es doch Wahr sein, wieso denn eigentlich nicht. Täglich geschahen so viele unerklärliche Dinge in der Welt, wieso konnte eine Liebe, wie seltsam es auch erscheinen mochte, nicht eines davon sein. Wieso konnte es nicht so etwas existieren, nur weil es ihm selbst noch nie begegnete?!
>>Und was bringt uns das, wenn sie keine Italienerin ist?!<< Meldete sich Leons Stimm und seine Vernunft.
>>Nun, das lass mal meine Sorge sein.<< Und Fidel steckte das Gerät zurück in seine Hosentasche. Antonio glitt zurück in den Sessel und seufzte.

>>Du siehst nicht sehr erholt aus.<< Kathe, meine Kollegin und Freundin, ja genau in dieser Reinfolge tippte an den Textsatz eines Flyers und runzelte die Stirn. >>Hier, das geht gar nicht. Welcher Stümper hatte das hier geschrieben.<< Und sie überflog den Abschnitt noch ein Mal.
>>Hatte noch mehr gegrübelt als gewöhnlich, außerdem viel gelaufen und erst diese Treppen! Matias war es, und ich hatte es schon geändert.<< Und ohne den Blick vor einem zweiten Flyer zu nehmen reichte ich ihr einen Ausdruck. Kathe las es durch.
>>Gut. Aber mach es in Mister Earl BT, kommt vielleicht besser zur Geltung. Und wovon bist du weggelaufen, so viel ich weis bist du allein hin gefahren.<<
Ich nickte. >>Hatte ich schon probiert, dann geht die Grafik rechts unter, keine gute Idee. Ich musste unbedingt einen Ort vermeiden, nichts weiter. Und wie geht’s Christian?<<
>>Schade, ich mag diese Schrift eigentlich lieber. Welchen Ort? Wir haben uns getrennt.<<
Und auch jetzt sah ich nicht hoch. Es war weder Neu noch sehr Überraschend. Seit wir uns kennen, hatte sie fast im selben Abstand bereits mit drei Kerlen Schluss gemacht, angeblich weil sie einander nichts mehr zu sagen hatten. Aber wie ich sie kannte, war sie sowieso nie Redeselig also war es etwas anderes, was immer schief ging. Kathe war diese Art Mensch den ich als Vamp bezeichnen würde ohne zu überlegen. Karriereorientiert, Kühl, abweisend und recht gebieterisch. Als Mann würde ich auch nicht lange in ihrer Gesellschaft aushalten, aber als Frau mochte ich sie. Sie war angenehm unkompliziert für eine halbe Diva, dass ich recht angenehm fand. Und sie war auch stets ehrlich, sogar wenn es einem das Genick brach. Auch das mochte ich an ihr. Mit Kathe lief ich nie Gefahr über das Wetter oder die Farbe der Sommerkleidchen der Kinder plaudern zu müssen. Oder beim Mittagsessen überhaupt über etwas reden. Mit ihr lies es sich einfach angenehm schweigen, und es entstand nie der Gedanke von einer Unangenehmen Pause, die man schnellst mit irgendwelchem Unsinn füllen musste. Ich las den Satz noch ein mal. Hier noch ein Paar Änderungen und da, und ich konnte den Projekt in den Druck schicken. >>Ein neuer Kerl?<<
>>Immer.<<
>>Na dann, bis später.<< Und ich stand auf den USB- Stick aus dem Rechner ziehend. Kathe nickte nur ohne sich von dem Blatt abzuwenden, und ich lächelte. Alles beim Alten.
Ich zirpte wahllos über die Kanäle ohne auf irgendetwas wichtiges zu stoßen. Dass wir Primäre installieren ließen hatte schon so seine Vorteile, besonders da der Fernseher in einem verglasten, abgetrennten Büro stand. So konnte man auf die Fremdländische wie auch regionale Werbung schalten und sein Wissen erweitern. So saß ich gerade von dem Bild in der Wand über mir und kritzelte Notizen in ein Block. Einer meiner Projekte wollte sich einfach nicht von der Stelle bewegen und hier ließ ich mich inspirieren um nichts doppelt zu machen. Aber nach dem fünften Nachrichtenkanal hatte ich die Nase voll. Und ich grübelte. Im Grunde wusste ich nicht was ich hier sollte. Ich war mein ganzes, bisheriges Leben weder hungrig noch füllte ich mich gesättigt. Mir war weder Kalt noch Warm. Und weder wollte ich sterben noch leben. Eigentlich kannte ich dieses „wollen“ überhaupt nicht. Ich verplante heute bereits den Morgen, und Übermorgen und die Tage danach um ja nicht so bald wieder daran denken zu müssen, wie ich die nächsten Tage verbringen muss. Ich baute ein Mauer um mich herum die nicht die Menschen dahinter ausschloss, sonder mich in einem engen Kreiß aus Belanglosigkeit einschloss...Ich empfand keine Gefühle wie Liebe oder Hass seit ich mich zurück erinnern konnte. Dies raubte die Kraft und nützte mir nichts und der Welt um mich herum. Und erst die Welt! Sie interessierte mich nicht. Ich machte keine Pläne für die Zukunft, und würde ich nach einem Ziel gefragt werden so würde ich nichts darauf antworten können. Ich hatte keines. Weder wollte ich eine berühmte Musikerin werden noch irgendwann nach Australien auswandern. Ich ging nie über den Tag hinaus, weil ich nicht glaubte, dass es außerhalb von mir etwas anderes gibt, etwas was ich wollen könnte. Die Kinobesuche und die sinnlosen Treffen mit den Freunden brachten kein Genugtun, mehr noch, ich fragte mich jedes Mal in einer Gesellschaft, was ich dort verloren hatte. Über etwas belangloses reden zu müssen, Probleme ausdiskutieren die weit weg waren, und mit uns nichts zu tun hatten. Ich sah darin keinen Sinn. Ich war auch nicht Depressiv. Dazu müsste ich mich Elend oder Traurig füllen. Aber ich empfand nichts, nur eine unendliche Leere, die weder meinen Appetit beeinflusste noch mir den Schlaf raubte. Ich frühstückte, duschte, ging ins Büro und einkaufen. Weil ich es immer tat, weil eben alle anderen es auch taten. Ich war nur ein gesichtsloser Fleck auf den überfüllten Zebrastreifen wie alle anderen. Und ich empfand nichts dabei. Weder hasste ich die lauten Kinder auf der Straße noch mochte ich diese. Ich hatte mir einfach darüber keine Gedanken gemacht weil ich ewig mit vorgetäuscht ernsten Problemen kämpfe, die mich am Leben hielten, wie ich jetzt erkennen musste. Und diese belanglose, verrückte Begegnung am Rande meiner Welt rüttelte etwas im mir wach. Etwas was ich nicht in Worte fassen konnte, und es auch nicht wollte. Und ich stellte mir diese eine Frage die ich nie zu fragen wagte: Was bedeutete es zu leben?! Was bedeutete es für mich?! Ohne auf das Bild zu achten schaltete ich einfach weiter. Und scheinbar nach einer Ewigkeit blieb mein Finger an einer bestimmten Taste und ich schaltete einen Sender zurück. Ich weiß nicht was ich überraschender fand die Tatsache, dass ich sein Gesicht nach mehr als fünf Monaten wieder sah oder die Freude mit der ich es tat. Aber er war es. Und auch unter seinem Bild das in einem Studio saß und in das Mikrofon einer Reporterin etwas erzählte, stand in Druckschrift Antonio Vichelli. Erst langsam hörte ich einzelne Worte aus dem Gespräch heraus und verstand das es auf Englisch war. Denn ich hing an seinen Lippen und seinem traurigen Gesicht. Waren seine Augen auch damals im Sommer schon so dunkel, und klang seine Stimme auch so weit, weit weg?!
>>Und sie haben es doch Weit geschafft, nicht wahr?!<< Fragte di Reporterin lieblich und lächelte.
>>Ich hatte viele Hürden nehmen müssen, aber ich hatte auch sehr viel Unterstützung dabei.<< Meinte er.
>>Ja, natürlich, ihre Pflegeeltern. Hatten sie irgendwann schon an ihre leiblichen Eltern gedacht, wenn ich das fragen darf.<<
>>Ja, natürlich, das tun wohl alle Kinder, oder nicht. Ich hatte auch Nachforschungen angestellt da haben sie Recht, und ich hatte auch eine Adresse, eine seltsame Geschichte.<<
Ich schaltete den Fernsehen aus. Wieder schaltete sich mein Verstand ein und ich schüttelte mit dem Kopf. Energisch stand ich auf, nahm meine Papiere und ging hinaus. Doch schon nach den ersten zwei Schritten war ich umgekehrt und drückte auf den On- Knopf. Wieder blinkte sein Gesicht vor mir, dieses Mal viel näher und deutlicher. Er lächelte matt.
>>Ich weiß nichts nur, dass sie einen roten Mantel trug und mich für Verrückt hielt.<<
>>Wir habe es ja alle miterlebt, sie haben diese Frau Wochenlang gesucht, und ist es ihnen gelungen?<<
>>Leider nein.<<
>>Und wie geht es weiter, werden sie es aufgeben? Ich meine, sie haben ja keine näheren Informationen über sie. Und es ging eine Menge junger Frauen die sofort bereit wäre mit ihnen auszugehen. Wir haben alle ihre Fanclubs durchgezählt, mehr als zwei Millionen Fans. In dieser kurzen Zeit, erstaunlich!<<
>>Danke, und auch an die Fans natürlich.<<
>>Aber im Ernst, was hat es mit dieser Unbekannten auf sich?<<
>>Wissen sie ein alter Freund von mir, der stellt übrigens wunderbare Kostüme für das Theater her, sagte mir einst, dass es drei Arten von einem Treffen gibt. Und ich wollte ihm eigentlich da glauben, leider waren wir uns nie ein drittes Mal begegnet.<<
>>Sie meinen, Sie haben Wochenlang nach einer Frau geforscht, die Sie nur zwei Mal im Leben getroffen haben? Aber finden Sie es denn nicht völlig verrückt?!<< Meinte die Reporterin ehrlich überrascht und im Studio herrschte Ruhe. Antonio lächelte.
>>Vielleicht. Aber es gibt anscheinend solche Momente in denen man es einfach weißt. Mann weiß, dass es mehr als Zufall ist. Das es für Immer ist. Und es ist in Ordnung, wenn es verrückt erscheint. Ich halte Verrücktsein für Normal.<<
>>Sie glauben also an die Liebe auf den Ersten Blick?!<<
>>Darüber habe ich nicht wirklich nach gedacht, und so habe ich es auch bestimmt nicht beschrieben. Aber, wenn dir ein Mensch, den du kaum kennst nicht mehr aus dem Kopf geht, muss es doch etwas bedeuten?!<<
Die Reporterin seufzte. Und ich stand auf. Dann war die Sendung auch schon zu Ende und ich starrte eine andere an, die mich nicht interessierte, und ich machte das Gerät aus. Ruhig und schwer lag die stickige Luft auf meinen Schultern und ich wagte kaum zu atmen. Er dachte noch immer an mich?! Konnte es wahr sein? Nein, unmöglich! Aber er hatte es doch gerade selbst gesagt, er erinnerte sich noch an mich, er suchte sogar nach mir! Wie um alles in der Welt konnte es so etwas wie das hier geben?! Wie konnte mir so etwas passieren. Ich glaubte ich träumte. Aber es war wie es war, und es anzunehmen war recht einfach. Und ich tat es. Ich ging direkt zum Büro meines Chefs und klopfte. Wir begegneten einander recht selten, jeder war in seinen Gewohnheiten und Abläufen so fest verankert, dass sich unsere Wege nur zu den Montagsbesprechungen kreuzten. Aber ich wagte mich hinein, an einem sonnigen Mittwoch...
Ich setzte mich an Kathes Arbeitstisch und starrte dumpf auf den Bildschirm ohne die Grafiken darauf zu erkennen. Ich war gerade aus dem Büro meines Vorgesetzten gekommen mit einem dreiwöchigen, unbezahlten Urlaub in der Tasche, fragen sie mich nicht wie ich es geschafft hatte! Ich glaube Sätze wie „auf Leben und Tod“ waren gefallen, oder auch nicht. Hauptsache war jedoch, dass ich meinen Job nicht los war, dass war ein Anfang. Dann hatte ich mir im Internet ein Ticken gebucht und die Maschine würde in zwei Stunden nach Tessin aufbrechen. Ich brauchte so dreiviertel Stunde mit dem Taxi bis zum Flughaffen. Ich seufzte. Also hatte ich Zeit. Mir dämmerte, dass sie mich noch nie Impulsiv erlebt hatte, und das was ich ihr jetzt zu sagen hatte war weit mehr als das!
>>Was, wenn ich dir sage, dass ich glaube mich verliebt zu haben?!<<
>>Dann würde ich sagen, dass du lügst.<<
>>Und, dass ich diesen Menschen nur zwei Mal im leben gesehen habe, das im Fernsehen nicht inbegriffen.<<
>>Dann würde ich immer noch sagen, dass du lügst.<< Und keine Sekunde riss sie sich von dem flackernden Bildschirm.
>>Und, dass ich glaube, dass ich mir ein Ticket gebucht habe und Heute noch nach Italien fliege.<<
>>Und auch da würde ich sagen, dass ich dir nicht glaube.<<
>>Ich gehe jetzt.<<
>>Viel Glück.<<
>>Vielleicht komme ich nicht wieder.<<
>>Aha.<<....
Ich stand auf, verstaute meine Sachen in die Tasche und stieg in den Fahrstuhl.
>>Was denkst du, was, wenn ich hier das Rot etwas abdunkle...<< Und endlich hob Kathe den Kopf und runzelte irritiert die Stirn, denn sie war allein an dem Schreibtisch. Kathe war diese Art Frauen die sich nie von ihren Lebensgefährten den Urlaub streichen lassen würde. Und sie würde auch nie so etwas dummes tun wie ich es gerade tat. Für sie gab es keine Liebe im Sinne von Gefühle, nur die Zahlen in der Statistik der Scheidungen. Sie machte Termine aus, wann und wo sie mit ihrem Freund ein Treffen wollte und hielt sich stets daran. Irgendwo habe ich sie dafür auch bewundert, nur war ich anders. Ich hatte immer noch gehofft, dass es auf der Welt mehr geben musste als nur friedliches Zusammenleben zweier Menschen, nur damit sie einzeln nicht allein wären. Und hier bekam ich diese eine Chance, und ich wollte sie ergreifen. Dieses eine Mal wollte ich meine Maske der Gleichgültigkeit abwerfen und einem naiven Impuls folgen. Was könnte denn schon schief gehen?! Das alles nur ein Spiel war, ein Miesverständnis, ein Witz?! Na, und wenn schon! Dann hätte ich eine Geschichte die ich irgendjemanden vielleicht erzählen würde. Aber ich wollte es wissen, und eigentlich hatte ich das Gefühl es schon längst zu glauben. Meine Beine zogen mich unaufhaltsam zum Taxi und auch durch das riesige Arsenal des Flughafens. Und erst als ich in Tessin ausgestiegen war und wieder die fremde Luft atmete drehte sich mir der Kopf. Was um alles in der Welt machte ich hier bloß?!
Aber ich erkannte mit seltsamer Freude die Strasse und die Bushaltestelle in die ich bei meinem ersten Besuch betrat. Und auch das Schwanken des Busses erschien mir bekannt. Nur diese Ruhe die sich in meinem Inneren sich breit machte angesichts der Unsinnigkeit meines Unterfangens, kannte ich nicht. Ich war überrascht und stolz zugleich auf den Mut den ich anscheinend irgendwo besaß, mich auf diese Reise einzulassen. Und ich lächelte der vorrüberziehenden Landschaft hinter der abgedunkelten Fensterscheibe zu. Draußen war es Kalt geworden und ich fror in meinem kurzen, schwarzen Wintermantel, der eigentlich für einen milden Herbst gedacht war. Und ich stellte erst da fest, dass ich gar kein Gepäck bei mir hatte! Nein, nicht am Flughafen vergessen, einfach erst gar nicht von zu hause mitgenommen! Ich war gleich nach der Sendung in das Taxi gestiegen und dann zum Flughafen. Ich klammerte mich an meine Handtasche und seufzte. Ich hatte absolut keinen Plan was ich jetzt tun sollte! Also ging ich einfach drauf los. Ich stieg mehrere Stufen empor und wieder runter, schlich durch enge Gassen und wich kostümierten Passanten aus und bog in die nächste Gasse ohne zu wissen was mich dort dieses Mal erwarten würde. Alles war sehr viel lauter geworden seit meinem Urlaub, wie auch anders, es war Februar. Karneval! Das dämmerte mir erst als ich ein riesiges Poster an der Wand erblickte, und ich blieb unschlüssig davor stehen. Die maskierte Frau lächelte mir verführerisch von ihrem hohen Podest zu und winkte von dem glänzenden Papier. Wieder seufze ich. Ich war einfach von der Arbeit nach Italien geflogen! Suchte einen Kerl den ich nur zwei Mal im Leben getroffen hatte, und nur wenige Sätze mit ihm tauschte, von denen die Hälfte für ein Stück vorgesehen war! Und ich hatte keine Ahnung wie ich es anfangen sollte. Vor allem wusste ich überhaupt nicht, wieso ich das hier tat! Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf und am liebsten wäre ich davon gelaufen, nur ging es schlecht. Wohin denn auch?! Und da, auf einem zweiten Plakat sah ich dann sein Gesicht! Schwer zu sagen woher ich das wusste, der dunkelblonde Mann trug eine bunte mit Federn verzierte Maske, welche die Hälfte seines Gesichtes verdeckte. Aber es war eindeutig er! Ich erkannte die kleinen Lachfalten um seine Mundwinkel wenn er lächelte. Und das Aufflackern in seinen blau-grünen Augen. Und die ruhigen Gesichtszüge. Ich erschrak selbst wie vertraut es mir erschien obwohl ich ihn eigentlich nicht kennen dürfte. Aber ich tat es seltsamer Weiße dennoch, und ich fand auch nichts seltsames darin. Vielleicht hatte er Recht, vielleicht war unser Treffen damals Schicksal. Vielleicht glaubte er an die selben Gesten an die ich anscheinend auch glaubte. Und vielleicht wartete er auf mich. Vielleicht wartete er. Ich lächelte und zog weiter. An unzähligen Cafes und Bars. An Butiken und Souvenirläden. An lachenden und weinenden Gesichter aus Pappe und Glitter. An herrlich geschnittenen Kostümen! Ich blieb stehen und setzte einen Schritt zurück. Ich hatte vor einem halben Jahr vergeblich wieder diesen Laden gesucht, und jetzt stolperte ich einfach darüber. Vergessen waren die Stimmen im Hintergrund und die feiernden Menschen. Er würde an der Prozession und dem anschließenden Fest auf der Piazza teilnehmen, stand es auf dem bunten Plakat. Und ohne es zu realisieren drückte ich bereits die Klinge und tauchte in das abgedunkelte und muffig riechende Ambiente des Ladens. Eine kleine Glocke läutete und unsicher trat ich auf die Kunststoffmenschen zu, ohne etwas zu berühren.
>>Wir haben bereits geschlossen.<< Kam ein gebrochenes Englisch hinter einem verstaubten Vorhang, und eine junge Frau trat hervor die einen Teller mit einem Tuch abwischte. Ich trat von einem Bein auf das andere und schwieg. Ich betrachtete die kleinen goldenen Schleifchen an dem Saum eines Kleides, und an die weißen Rüschärmel. Es hatte eine satte, violette Farbe und war mit schmalen, goldenen Bänder geschmückt. Der Kragen ragte wie ein kurzer Fächer hinter dem Rücken und die weiße Spitze war mit kleinen violett schimmernden Perlen geschmückt. Hinter dem Rücken den miesmutig gewordenen Frau tauchte plötzlich ein niedriger Schatten und entpuppte sich als ein alter Herr der sich an der Theke abstützte und mich schweigend betrachtete.
>>Ein sehr schönes Kleid, Fräulein hat guten Geschmack.<< Seine Stimme klang ernst aber weich und freundlich so, dass ich lächelte.
>>Aber es wird nicht verkauft.<< Sagte ich. Eigentlich hatte ich es auch nicht vor, also wieso sagte ich es dann?!
>>Nicht, wenn ihr es nicht kaufen wollt.<< Meinte er ruhig und ich kam mir wie Alice im Wunderland vor der Grinskatze.
>>Außerdem haben wir geschlossen.<< Meldete sich die leise Stimme der Frau, die seine Tochter sein musste.
>>Aber kann ich es anprobieren?<<
>>Wenn sie es anprobieren möchten, natürlich.<<
Ich wollte!
Ich tat seit diesem Sommerurlaub eine Menge seltsamer Dinge, und mich in ein altes Venezianisches Kostüm zu packen erschien mir irgendwie normal. Ich betrachtete mein seltsames Ich im Spiegel und erkannte es nicht. Wenn ich im Sommer noch nicht wusste welches der vielen Ichs das wirkliche war, so wusste ich es jetzt. Nur konnte ich es nicht mit Worten beschreiben. Das da im Spiegel war einfach Ich, mehr wollte ich auch nicht wissen. Ich hatte es Leid mich erklären oder beschreiben zu müssen. Ich sah meine braune Haare die mir in geraden Strähnen über die Schultern fielen und die gerade Mundlinie. Alles war an mir wie immer, außer dem voluminösen Kleid, aber anderseits wirkte ich ganz fremd. Und ich fand es in Ordnung. Ich definierte mich nicht, ich ließ es einfach laufen wie es kam.
>>Könnte ich vielleicht meine Sachen hier lassen, bis ich wieder komme?<< Ich sah den weißhaarigen Ladenbesitzer durch den Spiegel ohne mich nach ihm umzudrehen.
>>Natürlich.<< Lächelte er wohlwollend und nickte leicht. Seine Tochter hätte sich am liebsten die Haare gerauft, und ich hörte sie ihm ins Ohr flüstern. >Papa, es ist doch ein Unikat, ein Ausstellungsstück? Sie kann damit doch nicht einfach auf die Straße!<
>>Ich werde es natürlich bezahlen.<< Wandte ich ein und wieder Lächelte er.
>>Natürlich.<< Mehr hörte ich nicht mehr von ihm. Ich bezahlte mir der EC Karte und stellte meine Tasche in eine dunkle Ecke. An Bargeld waren sowieso nur zwanzig Euro im Portmonee und auch ansonsten waren da keine Wertsachen. Und keine Sekunde kam mir die Situation seltsam oder verrückt vor. Ich ging wieder hinaus auf die Straße mit so einer Selbstverständlichkeit, dass es mir fast den Boden unter den Füssen riss, und ich lächelte. Kathe würde jetzt sagen, dass ich vermutlich auf Drogen war, oder zu lange in der Sonne war. Aber ich schritt über die gepflasterte Straße den Kanal entlang und unterschied mich kaum von den meisten auf den Straßen, vielleicht nur das meine Augen heller leuchteten als alle anderen, und ich ungewöhnlich für mich freudig lächelte.

>>Stelle die Sachen bitte in die Wohnung, ja.<< Sagte die brüchige Stimme und machte sich nicht die Mühe ein Lächeln zu verbergen.
>>Bist du verrückt geworden?! Dreihundert Euro für das Kleid?! Allein das Material kostet so viel!<< Die junge Frau stemmte die Arme auf die Hüften und funkelte den Älteren wütend an. Dieser zuckte nur mit den Schultern.
>>Und seit wann verkaufen wir unsere Sachen an Touristen?<<
>>Sie ist keine Touristin.<< Sagte er ruhig und schaute aus dem kleinen Fenster der Ladentür auf die überfüllte Straße.
>>Ach, ne. Wer war sie dann?<<
>>Ein Mensch auf der Suche nach etwas wichtigem.<< Und wieder lächelte er.
>>Was für ein Unsinn1 Ich hoffe du weißt wie viel Minus wir mit diesem Geschäft gerade gemacht haben!<<
>>Such mir bitte Toris Telefonnummer heraus, ja. Sein ein Schatz.<<
>>Wieso dass denn auf einmal?! Was ist bloß los mit dir? Kennst du sie?<<
>>Du kennst sie auch. Sie war eine Weile im Fernsehen, erinnerst du dich etwa nicht?<<
Jetzt stützte Lucia und runzelte die Stirn, bevor sie laut nach Luft schnappte.
>>Du meinst sie ist diese Anna? Ich dachte das war bloß ein PR- Gack! Sie gibt es also wirklich?!<< Ihre Stimme überschlug sich fast vor Überraschung und sie atmete heftiger. Seit einem halben Jahr wurde ein kurzes Video von ihr in ganz Italien im Fernsehen gezeigt. Eine junge Frau in einem roten Mantel, die sich nach jemanden umwendet und ihre Haare durch den Wind segeln. Irgendwie war dem alten Schneider genau dieser Gesichtsausdruck in Erinnerung geblieben. Diese traurigen, braunen Augen und der Wiederwille in dieser einen Kopfbewegung als ob ihr Leben eine einzelne Last war. Aber jetzt, wo er sie getroffen hatte ahnte er wieso sie seinem Tori nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie hatte etwas natürliches, etwas faszinierendes an sich ohne dafür irgendetwas zu tun, oder es selbst zu ahnen. Und sie war hier. Wieder lächelte er. Ja, das würde die dritte Begegnung werden und damit den Anfang für eine wunderbare Geschichte legen. Die dritte Begegnung bedeutete eine Antwort.

Ich ging an eine scheinbar endlosen Prozession aus bunten Röcken, Fächern und unzähligen Federn in jeder erdenklichen Farbe und Länge. Ich kam mir wie in einem Zoo vor, nur das auch ich nicht viel anders aussah. Ich selber hatte keine Maske, mein Gesicht, dass ich Jahre schon getragen hatte war mir Künstlich genug. Ich war beflügelt und scheu zugleich. Wo sollte ich bloß anfangen ihn zu suchen? Und was, wenn ich ihn nicht fand? Oder einfach nicht bis zu ihm durchkam wegen all diesen Menschen?! Ich war eindeutig verrückt geworden! Aber auch das störte mich nicht. Für mich hat sich es schon entschieden als ich die Sendung sah. Und eigentlich war es der leichteste Teil ihn zu finden, da ich schon so einen langen Weg hinter mir hatte. Nicht nur diese Monate seit meinem Urlaub hier, sondern mein ganzes, bisheriges Leben wie mir schien. Ich war zwischen Lügen, Belanglosigkeiten und dahin sickernde Vertrauen einfach untergegangen. Mir fehlte die Kraft an irgendetwas zu glauben und der Wille. Irgendwann entschied ich mich einfach kalt und herzlos zu werden damit ich nicht auf jemanden achten musste, was mir eigentlich nie richtige gelang. Je mehr Abstand ich zu meinen Mitmenschen gewinnen wollte, desto näher brachte es uns zusammen, wie jetzt erkennen musste. Ich zwang mich an einem Paar vorbei auf die Brücke zu und wich einigen feiernden Touristen aus. Die Musik um uns herum wurde immer lauter und rhythmischer. Wie ein wilder Walzer tanzten die Noten um mich herum und die Menschen taten es ihnen nach. Mehr und mehr Paare kreißten um sich selbst und um mich, dass ich kaum vorwärts kam. Ich setzte einen Schritt zurück damit man mir nicht auf die Füße trat und stieß mit dem Rücken an ein fremdes Ellbogen. Seufzend bannte ich mir den Weg dadurch. Es wurde gelacht, etwas gerufen und einige machten mir Platz.
>>Du hasst dir wirklich Zeit gelassen.<< Hörte ich eine Stimme hinter mir und eine Hand legte sich um meine Taille und drehte mich um. Wie ein ruhiger See trafen mich seine hellen, leuchtenden Augen und ich lächelte.
>>Da hasst du Recht. Es tut mir Leid.<<
Jetzt lächelte er und zog mich näher zu sich heran. Er hatte ein dunkel-blaues Kostüm, ganz anders als der Narr den er im Sommer spielte, sah er jetzt wie ein König aus. Eigentlich wollte ich ja ihn suchen, gefunden hatte aber er mich.
>>Muss es nicht. Du bist doch jetzt da.<< Und er legte mir seine warme Hand an die Wange. Vergessen waren die Menschen um uns sie etwas riefen was ich nicht verstand, und in die Hände klatschten. Einige fingen wieder an zu tanzen, andere starrten uns einfach nur lächelnd an.
>>Ja, und ich kann es kaum fassen.<< Hörte ich meine verwunderte Stimme sagen.
>>Ich auch nicht.<< Und seine Lippen legten sich sanft auf die meinen. Ich hielt den Atem an. Solch eine unbekannte Sehnsucht überkam mich plötzlich, dass ich sein Hemd packte und mich auf den Zahnspitzen etwas größer machte. Und ich spürte wie er mich noch fester an sich drückte ohne den Kuss zu beenden.
>>Wie hasst du mich denn hier gefunden? Ich meine woher...<< Stotterte ich etwas benommen und rang nach Atem als er sich etwas von mir löste.
>>Eine Menge Freunde hatten mir geholfen. Ich hätte dich aber nie einfach so gehen lassen dürfen.<<
>>Aber ich wäre trotzdem gegangen, dass mache ich immer.<< Sagte ich etwas wehmutig und meine Stimme verlor sich in dem Gelächter und Gejaule um uns herum. Erst jetzt erkannte ich das die Menschen uns beobachtet hatten, ausgerechnet uns! Und ich versteckte mein Gesicht auf seiner Schulter. Zärtlich fuhr er mir über den Rücken, und ich stellte überrascht fest, dass ich nicht wirklich fror obwohl ich kleine weiße Wölkchen bei jeden Atemzug ausstieß.
>>Ich fasse es einfach nicht. Was mache ich hier eigentlich?!<< Meinte ich in den weichen, blauen Stoff.
>>Du traust dich. Du wolltest es wissen, und jetzt weißt du es. Die dritte Begegnung ist immer eine Antwort. Unsere kennen wir jetzt wohl.<< Und er legte schützend die Arme um mich damit meine entblößten Schultern keine Kälte abbekamen und ich drückte meine Arme unter sein Jackett an dem warmen Hemd entlang, und lies sie an seinem Rücken ruhen. Ich sog den vertrauten duft seiner Haut ein wohl wissend, dass ich es unmöglich kennen konnte, es aber dennoch tat. Aber ich genoss es, und ich wusste es wirklich! Wir wussten es beide. Das hier war kein kleiner Flirt in einer malerischen, fast magisch verrückten Umgebung unter dem blauen Himmel Venedigs. Das hier war sehr viel mehr. Vielleicht sogar Liebe. Und es war für immer, oder vielleicht auch für viel länger. Ich spürte seinen angespannten Körper und die Muskel die unter dem dünnen, weißen Hemd zuckten. Und es war mir auf einmal ganz gleich was danach geschah. Wie das hier überhaupt finktionieren sollte? Oder was mich erwartete! Meine Heimat, meine Familie, meine Freunde, die Arbeit. Von all dem wusste ich nicht wie es weiter gehen würde, aber das störte mich auch nicht mehr. Heute wollte ich nur vor mir allein Rechenschaft üben, mir allein etwas schuldig sein. Mich fallen lassen. Selbst, wenn es die starken Arme eines fast Fremden waren, die mich auffingen und fort trugen. Alles andere würde sich schon finden, wie wir einander gefunden hatten. Dies war meine Antwort auf jede Frage die mein Verstand mir versuchte zu stellen und von meinem glückseklig lächelnden Ich abprallte. Dies war meine Antwort.

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Texte: alle Rechte liegen bei dem Autor
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
es gilt all den Verrückten die Normal spielen müssen...

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