Kapitel 5 - Nefir
Alea lag ausgestreckt auf ihrem Bett und starrte die Decke an. Zum xten Male verfluchte sie sich selbst für ihre unbedachte Handlung am Vorabend. Sie hatte Karinas Anwesenheit komplett vergessen und verraten dass sie Magie beherrschte. Nun hoffte sie dass Olen Karina beruhigen konnte und alles wieder ins Lot kam.
Seit dem ersten Zeitalter gab es in Nafaril keine Magie mehr. Damals verursachten die Blutzauberer einen Krieg, der den gesamten Kontinent betraf. Heutzutage wusste niemand mehr, aus welchem Grund der Krieg ausbrach, doch jeder kannte die verheerenden Folgen.
Die Blutzauberer hatten ein riesiges Heer auf die Füße gestellt. Nicht nur dass es Zehntausende, nein Hunderttausende Soldaten zählte, aber die Zauberer hatten zudem auch noch Dämonen aus der Hölle beschwört. Ihr Vormarsch war relativ langsam, doch nur weil sie sich die Zeit nahmen alle Städte und Dörfer niederzureißen die sie einnahmen.
Jeder der sich ihnen nicht anschloss wurde von den Dämonen gnadenlos gejagt und grauenvoll gefoltert. Abends konnte man das Kreischen und Heulen der Dämonen hören, die sich ein Vergnügen daraus machten ihre Widersacher zu quälen. Doch noch schlimmer waren die verzweifelten Schreie der gefangenen Soldaten. Am Schluss ließen sie die Leichen liegen, so dass andere sie finden mussten. Dies diente wirkungsvoll als Abschreckung, denn die Spuren die die Folter hinterlassen hatte, die abgetrennten Gliedmaßen sowie die Bisswunden auf dem gesamten Körper schüchterten ihre Gegner ein. Ein jeder hatte abends Alpträume und die meisten Soldaten brachten sich nach einer verlorenen Schlacht lieber um, als solch ein Schicksal zuzulassen.
Die wenigen noch existierenden Schriften aus dieser Zeit geben keine Hinweise wie der Krieg schlussendlich beendet wurde. Aber sie zeugen von der Existenz anderer Völker wie Elben, Zwerge, Drachen... die sich jedoch entschlossen die Menschen allein zulassen in diesem Krieg, da Menschen, die ihre Macht missbrauchten den Krieg entfesselten und in eine andere Welt auswanderten.
Nach dem Krieg beschlossen alle überlebenden Menschen, die Magie aus Nafaril zu verbannen, denn mit ihrer Hilfe wurden die schrecklichsten Taten während des Krieges begangen. Sie war es, die den Blutzauberern erlaubten die Dämonen zu beschwören, sie half ihnen Reich um Reich zu unterjochen und binnen weniger Stunden eine gesamte Stadt auszulöschen.
Alea seufzte und drehte sich auf den Bauch. Und nun hatte sie Karina verraten, dass in ihr Magie wohnte. Es war jetzt gut fünfzig Jahre her, dass der letzte Mensch mit magischen Fähigkeiten auf Nafaril geboren wurde. Damals wurde der Junge knapp achtzehn Jahre alt, bis die Dorfbewohner herausgefunden hatten, was es mit ihrem Mitglied auf sich hatte. Den nächsten Morgen erlebte der nicht mehr. Und an die Art seines Todes zu denken, verursachte ihr Übelkeit.
Die andern noch lebenden Magier, falls man die überhaupt so bezeichnen konnte, hatten sich einem Königshaus verdingt. Genossen deren Schutz aber ihre Fähigkeiten waren Besitz der Herrscher. Freiheit war für die ein unbekanntes Wort.
Innbrünstig hoffte sie, dass Karina es gut auffassen würde. Heute Abend würde sie selbst noch einmal zu ihr gehen um ihr Rede und Antwort zu stehen. Aber vorher hatte sie noch einiges zu erledigen und entschlossen richtete sie sich auf.
Wenig später stand sie vor einer kleinen Holzhütte am Stadtrand und zögerte. Sie wusste dass er da war, denn eine kleine Rauchfahne zog aus einer Öffnung im Dach in den Himmel. Die Fenster waren mit einem einfachen hellen Tuch verhangen, so dass niemand von außen hineinsehen konnte.
Er hatte ihr versprochen, dass er ihre Fragen beantworten würde, doch bis jetzt war er ihr immer aus dem Weg gegangen. Sie vermutete dass er das absichtlich getan hatte. Sie wusste dass Nefir viele Geheimnisse hütete und sie fragte sich, welches Geheimnis sie heute wohl lüften würde.
Schließlich raffte sie ihren Mut zusammen und klopfte an die Tür. Prompt öffnete Nefir diese. „Ich habe Euch erwartet“ Er deutete eine leichte Verbeugung an und bat sie einzutreten.
Neugierig musterte sie Nefirs Behausung. Die Tür führte in einen kleinen Raum in dem ein einfacher Holztisch sowie ein paar Höcker standen. Dazu kamen noch ein großer Wandschrank sowie eine kleine Truhe, aber ansonsten war der Raum leer. In der Mitte war ein Feuerchen in einer kleinen Feuerstelle entfacht und an der linken Wand führte eine Öffnung in einen weiteren Raum. Alea vermutete, dass sich dahinter seine Schlafstatt befand.
„Es tut mir leid, dass ich Euch keine bessere Sitzgelegenheit anbieten kann.“ Entschuldigte sich Nefir und bot ihr einen der Höcker an. Dankbar nahm sie Platz während Nefir aus dem Schrank zwei Tonbecher holte und sie mit einer Karaffe mit Wasser auf den Tisch stellte. Schließlich setzte er sich zu ihr an den Tisch und blickte sie durchdringend an.
Dankbar trank Alea einen Schluck Wasser und überlegte sich wie sie das Thema anschneiden sollte ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Warum hatte sie nicht schon vorher darüber nachgedacht?
Geduldig wartete Nefir bis sie sich entspannt hatte, dann unterbrach er das Schweigen. „Ich denke Ihr habt viele Fragen die ihr mir stellen möchtet?“ Alea nickte und war froh, dass er das Wort ergriffen hatte.
„Mit Eurer Erlaubnis, würde ich gerne vorher eine Geschichte erzählen, danach dürft Ihr mir Eure Fragen stellen. Ich werde versuchen diese zu beantworten.“ Wieder nickte Alea zustimmend.
„Nun.“ Er räusperte sich. „Ich nehme an, dass Ihr bemerkt habt, dass ich nicht gerne über Persönliches rede. Ich hüte viele Geheimnisse, manche zu meinem Wohl, doch andere zum Wohle anderer die mir sehr am Herzen liegen. Ich bitte Euch daher, alles was ich Euch heute sagen niemandem zu verraten.“ Ernst schaute er ihr in die Augen.
„Ich schwöre es auf mein Leben.“ Antwortete sie feierlich. Sie spürte, dass es Nefir wichtig war und dass er sie beim Wort nehmen würde.
Anerkennend nickte er. „Nun. Wie Ihr wohl wisst wurde das Ende des ersten Zeitalters durch den Krieg der Blutzauberer herbeigeführt. Früh erkannten die magischen Völker dass ihre Zeit auf Nafaril dem Ende nahte. Der Ausgang des Krieges hätte wenig Einfluss auf diese Tatsache, deswegen beschlossen sie Nafaril zu verlassen und nicht mehr unter den Menschen zu leben.
Manche von ihnen jedoch beschlossen die Menschen nicht im Stich zu lassen und unterstützten diese. Wenige an der Zahl, doch ihr Eingreifen stärkte den Mut der Menschen die sich den Blutzauberern widersetzten und gab ihnen neue Hoffnung.
Von denen überlebten noch wenigere den Krieg, doch leben sie heute noch auf Nafaril, wenn auch nicht in der Öffentlichkeit. Jedoch gibt es ab und zu Zeugen derer Existenz, wie zum Beispiel Eure beste Freundin Sheeriah. Es lässt sich nicht leugnen dass mindestens einer ihrer Eltern ein Elb war.
Diese Überlebenden haben zudem das Wissen um die Magie bewahrt. Noch ist die Magie nicht gänzlich ausgestorben, noch wandeln hier auf Nafaril magische Wesen, wenn es auch immer weniger werden.“ Er seufzte
„Wie Ihr wohl bemerkt habt, ist mein Handschuh magisch. Es ist ein Erbstück meiner Familie und sehr kostbar, denn die Magie in ihm kann nicht aufgebraucht werden, anders als magische Stäbe oder Schriftrollen. Sogar im ersten Zeitalter, als Magie überall auf Nafaril zu finden war, war es ein wertvolles Artefakt. Welche Magie ihm genau innewohnt, kann ich Euch nicht verraten, nur dass es unmöglich ist ihn zu stehlen.
Bevor Ihr mich aber jetzt fragt, wieso ein so kostbares magisches Artefakt als Erbstück meiner Familie gehandhabt wird, schaut mich bitte genau an. Was sieht Ihr?“
Alea musterte Nefir kritisch. Sie sah noch immer den gleichen Mann, den sie vor Jahren in der Gilde zum ersten Mal gesehen hatte. Sein Äußeres hatte sich kaum verändert. Verwirrt dachte sie nach und wunderte sich was er von ihr erwartete.
Nefir musste wohl ihre Ahnungslosigkeit bemerkt haben denn er sprach weiter. „Eine andere Fähigkeit des Handschuhs ist es, auf Magie zu reagieren. Als Ihr ihn übergestreift habt, meintet Ihr dass der Handschuh ‚kribbeln’ würde. Damit habt Ihr verraten, oder besser gesagt bezeugt, dass in euch Magie verborgen ist. Benutzt diese und schaut mich noch einmal an.“
Erstaunt gehorchte sie. Sie schloss die Augen um sich besser konzentrieren zu können und griff nach ihrer Magie. Als sie wenige Augenblicke später die Augen wieder öffnete und Nefir anblickte, bemerkte sie dass ihn eine Aura umgab.
„Du, hast eine weiße Aura?“
„Weiß?“ erfreut strahlte er sie an. „Gut, sehr gut ...“ beflissentlich ignorierte er ihre fragenden Blicke. „Die Aura die Ihr seht ist ein Zeichen dass gerade Magie an mir wirkt.“
Vor Staunen stand Alea der Mund sperrangelweit offen. „Das heißt also, immer wenn ich eine weiße Aura sehe, wird Magie angewendet?“
„Ja und nein. Wenn, und die Betonung liegt auf wenn, Ihr eine Aura erblickt, ist dies sicherlich ein Zeichen dass gerade Magie wirkt. Aber Ihr könnt dadurch nur herausfinden, WO gerade Magie wirkt, nicht WER sie angewendet hat.“ Bremste Nefir ihre Begeisterung. „Zudem symbolisiert die Aura die Stärke der wirkenden Magie. Wenn also jemand eine schwache Magie wirkt, kann es sein dass Ihr das nicht in Form einer Aura erkennen könnt.“ Er merkte wie in Aleas Kopf sich Zahnräder in Bewegung setzten und sie die Antworten verdaute.
„Kannst du das auch?“ erkundigte sie sich.
„Nein, ich bin zu jung um meine magischen Kräfte benutzen zu können.“
„Zu jung?“
Er seufzte. „Ja.“
„Zu JUNG? Nefir, du bist doch schon längst erwachsen! Du bist älter als ich. Wie kannst du zu jung sein?“
„Nach Euren Standards bin ich längst erwachsen, aber nicht nach denen meines Volkes.“
„Deines Volkes?“ aufmerksam nahm sie ihn wieder unter die Lupe und biss sich nachdenklich auf die Lippe. „Nefir, welche Magie wirkt gerade bei dir?“
Er stand auf und stellte sich aufrecht und stolz vor sie. „Mein voller Name lautet Nefir ay Kyfali el Droy. Ich zähle 97 Menschenjahre und darf in wenigen Jahren den Ritus des Erwachsenenwerdens vollziehen, wenn ich meine Prüfung erfolgreich bestanden habe.“ Langsam verschwand die Aura und er schien um etliche Zentimeter zu wachsen. Seine Hautfarbe verdunkelte sich zunehmend und seine Ohren wurden länger und spitzer. Er war schon immer schlank und athletisch gewesen, doch seine Gliedmaßen wurden noch schlanker. Schlussendlich strahlte er sie aus silbernen Augen an.
Hätte Alea jetzt nicht sowieso gesessen, wäre sie vor Schreck auf den Boden geplumpst. Vor ihr stand ein waschechter Elb.
„Geht es Euch gut?“ erkundigte sich Nefir besorgt. Alea starrte ihn erstaunt an und hatte ihre Fassung noch nicht wiedererlangt. Vorsichtig reichte er ihr den Becher und sie trank ein paar Schlucke, während in ihrem Kopf die Gedanken rasten.
„Du bist ein Elb.“ Klagte sie ihn an.
Er verzog das Gesicht. „Verzeiht aber ich bin ein Dunkelelb. Wir mögen es nicht besonders mit unseren Vettern auf eine Stufe gestellt zu werden.“
„Ein Elb ...“
Nefir schwieg und setzte sich wieder auf seinen Platz und wartete ab. Nach einiger Zeit schien Alea sich wieder gefasst zu haben, denn sie wagte es in die strahlenden Augen zu blicken.
„Warum lebst du in Farnol?“
„Meine Prüfung ist es unter den Menschen zu leben, unentdeckt und Wissen zu sammeln. Ich lebe jetzt seit zwei Jahren hier, doch meine Prüfung währt derer schon 7. In drei Jahren habe ich mich hoffentlich würdig erwiesen als Erwachsener meinen Platz in unserer Gemeinschaft einzunehmen.“
„Daher wusstest du so viel über Magie...“ Zustimmend sengte Nefir seinen Kopf. „Und deswegen bist du oft für Tage verschwunden? Du gehst zurück zu deinem Volk?“ Hilflos zuckte er diesmal mit seinen Schultern. „Diese Frage kann ich Euch nicht beantworten, werte Alea.“
„Ich würde zu gerne sehen wie ihr lebt ...“ murmelte Alea träumerisch. „Stimmt es dass Elben ewig leben? Hat jeder Elb magische Kräfte? Könntest du mich Magie lehren, in ein paar Jahren? Gibt es viele Elben in deinem Heimatdorf? Was ist ein Dunkelelb? Gibt es einen Unterschied zwischen dir und einem Elb?“ Die Fragen purzelten nur so aus ihrem Mund, nachdem sie sich entspannt hatte und Nefir hob abwehrend die Hände.
„Bitte vergebt mir, Alea. Ich kann Euch keine weiteren Fragen beantworten. Ich fürchte ich habe schon jetzt zuviel verraten. Bitte drängt mich nicht weiter.“
Enttäuschung breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Wie du wünschst. Beantworte mir nur bitte noch eine Frage: Weiß sonst noch jemand dass du ein Elb, ähm Dunkelelb bist?“
„Nein, nur Ihr.“
Kapitel 6 - Kontakt
Olen stand in seinem Gästezimmer und stand vor der grässlichen Kommode und seufzte. Er hatte noch lange mit Karina geredet und versucht ihre Angst vor der Magie einzudämmen. Aber seit dem Ende des zweiten Zeitalters wurden die Menschen mit einem Hass auf Magie erzogen, so dass es schwierig war Karina davon zu überzeugen dass es nichts Aleas Schuld war, dass sie Magie beherrschte. Nach langem hin und her hatte sie eingelenkt und versprochen Alea zu sehen, und nicht nur die in ihren Augen verdorbene Magie.
Auf diese ganze Situation war er nicht vorbereitet gewesen. Er hatte nicht in Erwägung gezogen dass Alea jemals vergessen konnte ihre Kräfte nur in seiner Gegenwart zu benutzen. Es war das erste Mal, dass sie ihn derart enttäuschte.
Mit seiner rechten Hand griff er sich an den Kragen und förderte einen kleinen silbernen Schlüssel an einer Kette hervor. Diese zog er sich über den Kopf und kniete sich nieder um die Kommode aufzusperren.
Quietschend öffnete er die beiden Türen. In der Kommode war außer einem kleinen Silberspiegel, kaum größer als ein Teller, nichts zu finden. Behutsam griff Olen nach dem Spiegel und legte ihn auf die Kommode, genau in die Mitte. Aus einer seiner Taschen zog er ein zierliches Glasfläschchen in welcher sich eine silbrige Flüssigkeit befand. Vorsichtig öffnete er den Stöpsel und träufelte ein paar Tropfen der Flüssigkeit auf den Spiegel. Jede einzelne von ihnen schlug kleine Wellen in den Spiegel, genauso wie ein Stein der ins Wasser fällt.
Schließlich glätteten sich die Wogen wieder und eine forsche Stimme erklang. „Was willst du? Ich habe nicht viel Zeit?“
„Verzeiht, aber ich wollte Euch nur sagen dass Alea ihre Kräfte benutzt hat und meine Frau hat dies bemerkt. Soll ich ihr die Wahrheit sagen?“
„Nein! Es ist noch zu früh. Niemand darf vor der Zeit von uns erfahren.“
Ergeben senkte Olen den Kopf und wartete ein wenig. Als keine weiteren Befehle mehr erklangen stand er auf und sperrte den Spiegel wieder in die Kommode.
Tag der Veröffentlichung: 20.10.2010
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