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Als die Abendsonne allmählich hinter den hügeligen Wiesen und Täler des Saarlandes verschwand, tauchten die Sterne aus ihrem Versteck und verstreuten sich wie Krümel in den abgedunkelten Himmel.
Dröhnende Bässe und lautstarke Musik schallten durch die lauwarme Luft und kamen mit dem Schwarz der Nacht immer näher zu der grünen Wiesenfläche, die von Bäumen und Sträucher umsäumt war, bis die getunten Autos neben einer Anhäufung von gespaltenem Brennholz zum Stehen kamen. Schon von Weitem hatten sie den Rauch gesehen, der sich wie eine Siegessäule zwischen den Baumwipfel hindurchschlängelte und hoch oben mit dem Schwarz der Nacht vermischte.
Die Jugendlichen stellten die Musikboxen aus und räumten Körbe und Taschen aus den Kofferräumen und trugen sie hinauf zur Wiesenfläche, wo auch schon die anderen auf sie warteten.
„Wir dachten schon, ihr kommt nie!“ Ein stämmiger Kerl stand am Feuer, vor ihm ein knapp mannshohes Dreibein aus beständigem Edelstahl, das mit Metallstangen aneinander verschraubt worden war. In der Mitte hing ein runder Rost, der mit einer Kette am oberen Haken festgelegt wurde. Auf diesem Grill hatten sich schon unzählige Fleischsteaks und Würste versammelt, die vom Feuer geküsst nur darauf warteten endlich gar und gegessen zu werden.
„Tut mir leid, dass es solange gedauert hat!“ Antwortete ein Kerl mit rostrotem Haar. „Wir haben noch jemanden mitgebracht.“ Er deutete auf einen schmächtigen Jungen neben sich, der kaum älter aussah als fünfzehn. „Das ist mein Cousin. Er heißt Kevin und ist für dieses Wochenende bei uns zu Besuch. Er ist extra aus Berlin gekommen.“
Der stämmige Kerl am Schwenkgrill gab ihm die Hand, wobei er die angerostete Kette noch immer mit der anderen festhielt. „Hallo Kevin aus Berlin!“ Sagte er und legte das Ende der Kette an einem der drei Beine des Grill an den Haken.
„Er ist für dieses Wochenende extra aus Berlin ins schöne Saarland gekommen, um sich anzuschauen, wie man ordentlich schwenkt.“
Der Junge der aussah wie fünfzehn zog die Stirn kraus. „Was ist schwenken?“
Der stämmige Kerl am Grill begann lautstark zu lachen und im Hintergrund stimmten noch ein paar helle Stimmen zu dem Lachen ein. „Okay, du bist kein Saarländer, deshalb sei dir verziehen.“
Aus dem Hintergrund kamen zwei Mädchen herbei und stellten sich Kevin als Charleene und Mara vor. „Andreas hier ist mit Leib und Seele ein Saarländer und sein einziges Hobby ist wohl das Schwenken!“ Sagte Mara und deutete auf den breitschultrigen Kerl am Grill, der ihm freundlich zunickte.
„Also, was ist das Schwenken?“ Wollte Kevin wissen.
Mara nahm tief Luft. Das war nicht das erste Mal, dass sie die seltsamen Gewohnheiten der Saarländer erklären musste. „Schwenken ist so eine Art von Grillen, nur das wir keinen Grill, sondern einen Schwenker benutzen!“
„Und was ist der Unterschied zwischen einem Grill und einem Schwenker?“
Andreas trat einen Schritt zur Seite, so dass Kevin freie Einsicht zur Feuerstelle hatte. Dieser eigenartige Grill war zu allen Seiten offen, die drei Beine hielten den freischwingenden Rost in der Mitte im Gleichgewicht. Es sah nicht aus, wie ein Grill und war auch keiner.
„Und was…“ Kevin überlegte nach dem richtigen Wort. Er musste umdenken. „… was schwenkt ihr denn so?“
Wiederum verfiel Andreas in ein lautes Gelächter, diesmal stimmt Kevins Cousin Michael und dessen Kamerad Steffen auch mit ein. „Natürlich Schwenker!“
Kevin schmunzelte. „Wäre ich nicht von alleine darauf gekommen!“
Mara setzte sich zusammen mit Charleene auf eine Bank, die gegenüber der Feuerstelle stand und beobachtete die drei Männer beim Schwenken. Wie überall, war auch hier das Schwenken den Männern überlassen.
Kevin setzte sich zu den Mädchen dazu.
„Früher dachte ich immer, das Saarland gehört zu Frankreich dazu!“
„Das stimmt ja auch. Zumindest ist das lange her.“ Mara öffnete sich ein Mixery, ein saarländisches Biermixgetränk und bot Kevin auch eine Flasche an. „Mit einer Fläche von 2.568,70 km² und einer Einwohnerzahl von 1.030.324 sind wir zwar nur ein Punkt auf der Deutschlandkarte, gehören aber dennoch definitiv nicht zu Frankreich. Das Saarland entstand als „Saargebiet“ im Jahre 1929 als politische Einheit in Folge des Versailler Vertrages und wurde aus dem Deutschen Reich ausgegliedert. Das Saargebiet war kleiner als das spätere Saarland, da die damals festgelegte Nordgrenze südlicher als die heutige lag. 1935 wurde das Saargebiet nach einer Volksabstimmung in das damals nationalsozialistische Deutsche Reich eingegliedert und wurde offiziell als Saarbeckengebiet bezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte das Gebiet bis 1947 zur französischen Besatzungszone. 1957 trat das Saarland nach einer Volksabstimmung der Bundesrepublik Deutschland bei. Der wirtschaftliche Anschluss wurde erst 1959 vollzogen.“
„Also seid ihr Saarländer mit Französisch als zweiter Muttersprache aufgewachsen.“ Kevin öffnete den Verschluss seines Getränkes. „Es ist immer besser Zweitsprachig aufzuwachsen.“
Charleene grinste und spielte mit einer Strähne ihres blonden Haars. „Das denken viele. Aber definitiv ist doch, dass die Menschen aus Bayern auch kein Österreichisch können, obwohl ihr Bundesland an Österreich grenzt.“
Kevin nickte beschwichtigend. „Okay, stimmt wiederum.“
Ungeduldig stierte Charleene auf ihre Armbanduhr und dann wiederum auf ihr Lyoner – eine Fleischwurst im Ring – welches eingewickelt in Papier ein Stück weit aus ihrer Tasche ragte. „Wo bleibt denn Anna? Abgemacht war halb neun. Bis sie kommt, haben wir unser Essen längst verputzt!“
Mara hob die Schulter. „Sieht ihr doch ähnlich.“
Kevin überlegte kurz, dann prustete er die frische Waldluft aus. „In Bayern gibt’s die Weißwurst, der Köllner hat sein Kölsch und was hat ein Saarländer?“
„Dibbelabbes und Schaales!“ Begann Charleene. „Das sind Reibekuchen, die mit Apfelmus gegessen werden. Hört sich eigenartig an, schmeckt aber sehr lecker. Außerdem sind wir berüchtigt für unsere Fruchtsäfte!“
„Und unsere Schwenker!“ Rief Andreas vom Feuer aus und prostete den dreien auf der Bank zu.
„Aber bei uns gibt es nicht nur gutes Essen und Trinken, sondern auch viele Sagen und Märchen.“ Erinnerte sich Mara. „Die bekannteste Sage ist wohl von dem römischen Statthalter Virus Varus. Er kam aus Trier und war ein erklärter Christenfeind. Aus Hochmut schloss er mit dem Teufel eine Wette ab: während er mit einem Sechsgespann den Schaumberg hinaufgaloppierte, sollte der Teufel ebenso schnell den Weg vor ihm pflastern, indem er das Pflaster hinter dem Gespann wegriss und vorne neu verlegte. Varus verlor natürlich die Wette, denn einen Teufel besiegte man nicht so einfach. Er wurde vom Höllenfürsten an Ort und Stelle gebannt. Die Deichsel der goldverzierten Kutsche soll nach oben gerichtet so dicht unter dem Erdboden liegen, dass ein Hahn sie freischarren könnte, wenn er wüsste, wo sie begraben lag. Noch heute kursieren Legenden, dass die goldene Kutsche im Varus – Wald begraben liegt. Doch anstatt die goldene Kutsche fand man dort ein altes römisches Dorf.“
„Eine andere schöne Sage ist die von Attilas Grab.“ Begann Charleene. „Der Hunnenkönig Attila starb unerwartet an einem Blutsturz. Um seinen Leichnam vor Schändungen zu schützen, brach ein Trupp von Hunnen nach Westen auf, um Attila in einer einsamen Gegend auf einem Berg zu bestatten. Im Tal der Blies zogen 16 Krieger allein mit dem goldenen Sarg weiter und begruben Attila im Bettelwald bei Ommersheim. Als sie zum Haupttrupp zurückkamen, wurden sie alle erschlagen, damit niemand das Geheimnis des Grabes verraten könne.“
Kevin räusperte sich und schaute in die züngelnde Glut des Feuers. „Alle, die nach Berlin kommen, wollen das Brandenburger Tor sehen. Welche Sehenswürdigkeiten gibt es denn bei euch?“
Charleene überlegte. Eigentlich gab es nicht viel, wofür es sich lohnte, dafür ins Saarland zu reisen. „Da wäre zuerst einmal die Saarschleife, was eigentlich das Wahrzeichen vom Saarland wäre. Zum zweiten gäbe es den Schaumberg. Er ist über 570 Meter hoch und wird auf seinem Plateau vom Schaumbergturm gekrönt. Der Schaumberg ist ein Vulkan, der nie ausgebrochen ist. Magma wurde zwar aus dem Erdinnern nach oben gedrückt, aber es kam nie zum Ausbruch. Damals erkaltete das Magma und erhielt den Namen Tholeyit von der Gemeinde Tholey.“
„Du vergisst die Marienerscheinung von Marpingen, Charleene.“ Ermahnte Mara ihre Freundin. „1876 erschien Maria angeblich drei achtjährigen Mädchen beim Beerensammeln. Sie sagte ihnen, sie wäre die Unbefleckt Empfangene. Durch die Führung der Maria wurde eine Heilquelle erschlossen und von vielen Wundern berichtet. Nach dem Erscheinen Maria setzte ein großer Pilgerstrom ein, der mit Hilfe von Militäreinsätzen eingedämmt wurde. Trotz massiven Widerstandes, gingen die Erscheinungen weiter, bis Maria sich mit den Worten verabschiedete: Ich komme wieder in schwer bedrängter Zeit. Die Kirche lehnt diese Erscheinungen bisher ab.“
Der schmächtige Junge zog den Augenbrauen zusammen. „Glaubt ihr wirklich, dass Maria damals den Mädchen erschienen ist?“
„Glaubst du, das dem Mädchen Bernadette die Maria in Lourdes erschienen war?“ Wollte Mara wissen, während Kevin unbeholfen auf seine Schuhspitzen starrte und den Kopf schüttelte.
„Wohl kaum!“
Eine Weile schwiegen die drei, bis Charleene erneut auf ihre Armbanduhr sah und über ihre Freundin Anna fluchte, die sich wieder einmal verspätete. „Das dieses unmögliche Mädchen nie pünktlich sein kann?“
„Redest du von Anna?“ Andreas hatte sich zu dem Mädchen umgedreht. In der einen Hand hielt er eine Grillzange, in der anderen einen Pappteller. „Wenn sie nicht gleich erscheint, dann wird sie wohl ihr Würstchen roh essen müssen. Das Feuer hält nicht mehr lange!“
Als die Dunkelheit von zwei kegelförmigen Lichtstrahlen erhellt wurde, sahen alle zu der Stelle auf. Ein Mädchen mit hellgrüner getigerter Leggins und einem grauen Pullover tauchte mit einem Korb auf der Lichtung auf.
„Hey Anna, wir haben auf dich gewartet!“ Rief ihr Charleene zu, während sich das seltsam gekleidete Mädchen zu ihnen gesellte und ihren Korb auf eine freie Stelle auf der Bank abstellte.
„Ich weiß, ich bin etwas zu spät dran. Konnte eben nicht früher von der Arbeit weg!“ Entschuldigte sie sich.
Andreas drehte sich vom Feuer weg und musterte das Mädchen. „Du siehst aus, wie es Gretel im Herbst!“ (Saarländische Mundart. Übersetzung: Hast du dich im Dunkeln angezogen oder ist es gewollt, dass du so bescheuert aussiehst?)
Anna streckte ihm die Zunge entgegen, während sie ihren Schwenker aus der Alufolie entpackte.
Kevin rieb sich den Bauch und spürte, wie sein Magen sich vor Hunger zusammenzog. „Wann seid ihr denn fertig mit grillen, ich habe nämlich Hunger?“
Andreas lachte, fuchtelte mit der Grillzange vor Kevins Gesicht herum und sagte: „Ich sagte doch bereits schon: mir grille net, mir schwenke!“

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Texte: Gewinner der Bundeslandausschreibung: "Kurioses aus meinem Bundesland!"
Tag der Veröffentlichung: 31.08.2009

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