Schweigen herrschte in den schmucken Räumen des Anwesens, Stille erklang auf den kühlen Marmortreppen und wurde von den kahlen Wänden in den leeren Räumen wiedergeworfen. Die Nacht schaute unheilvoll in die leeren Fenster hinein, Sterne glühten wie verhängnisvolle Augen, umrahmt von schweren Behängen, in einem leblosen Rahmen. Draußen stieg Nebel vom Boden auf, wie ein undurchdringlicher Dunst stieg er in die Höhe empor, bis er über den Bäumen hing und an den langgliedrigen Zweigen der Äste zu losen Schwaden zerfetzte.
Käuze seufzten auf den Wipfeln, Wölfe heulten mit dem aufbrausenden Wind auf, der durch die einsame Nacht wehte und das Anwesen am Ende der Strasse in eine düstere Trance einhüllte. Der Klang der Turmuhr, die zwölf Uhr schlug, hallte wie ein Schrei durch die Finsternis, durchschnitt die schwarze Wolkenwand am Firmament und wurde von der Leere der Nacht verschluckt, die um das tote Anwesen kroch.
Gong!
Ein Schatten huschte an den dunklen Fenstern vorbei, wie die verschwommene Silhouette eines Mensches.
Gong!
Nacheinander und aufgereiht erleuchteten die vielen Fenster wie Glühwürmchen in der Dunkelheit.
Gong
!
Rauch stieg empor und schlängelte sich wie fadiges Gewürm aus den eckigen Schloten hinauf zur Nacht.
Gong!
Wundervoller Duft von allerlei köstlichen Speisen vermischte sich mit dem Gestank der Fäulnis, der von den Gräbern des Friedhofes dahergeweht wurde.
Gong!
Flackernder Feuerschein züngelte in den Kaminen, geschoren von unsichtbarer Hand auf modrigem Laubholz.
Gong!
Hufgeklapper rieselte wie Hagelschlägen auf dem regennassen Asphalt ein, gefolgt von dem aufwiehern Eindutzend weißer Schimmel.
Gong!
Lautes Geschwätz drang aus den dicken Mauern hervor, vermengte sich mit schallendem und kreischendem Gelächter.
Gong!
Männer und Frauen in eleganten Kostümen und Roben stolzierten erhobenen Hauptes die breite Außentreppe hinauf zur Eingangshalle, wo sie mit Sekt und Champagner empfangen wurden.
Gong!
Saiten einer Violine wurden angestimmt, gleich darauf folgte das Brummen eines Kontrabasses.
Gong!
Klaviertasten wurden gedrückt und zu einer harmonischen Melodie zusammengefügt.
Gong!
Die Toren des Anwesens wurden geschlossen.
Gong!
Und mit dem letzten Schlag der Turmuhr konnte der Tanz beginnen!
Wie ein Kristall glänzte die gläserne Kuppel zwischen den marmorierten Säulen oben an der Baldachindecke und tauchte den Saal in eine glitzernde Facette aus güldenem Licht. Reichverzierte Kerzenleuchter hingen seitlich an den Wänden zwischen staubschweren Vorhängen, die vor den farbigen Mosaikfenstern baumelten. Im glänzenden Boden widerspiegelte sich der rote Schein der Flammenzüngigen Kerzen im Kronleuchter und tauchten den Ballsaal in eine düstere Atmosphäre, die von der seitlichen Spiegelwand tausendfach widergeworfen wurde.
Frauen mit eleganten Hochsteckfrisuren und aufgetürmten Perücken drehten sich in ihren enggeschnittenen Roben wie farbenprächtige Schmetterlinge um sich selbst. Der füllige Unterrock fegte wie Schnee, der vom Wind getragen wurde, im Takt der Musik des Orchesters mit. An ihren dürren Armen klirrten unzählige silberne Reifen, die im schwachen Schein der wehenden Lichter glänzten. Auf ihren Brüsten, die wie fleischfarbene Pampelmusen aussahen, und im Auftakt der Kompositionen auf- und absenkten, glitzerten Diamanten und Rubinen an langen, goldenen Ketten. Vor ihren schönen Gesichter drängten sich farbige Masken, die mit Federn und Tüll beschmückt und an ihre Anmut und Erhabenheit abgestimmt waren.
Männer in schwarzen Kostümen drängten sich an die vollbusigen Frauen. Auf ihren Schopfe saßen weißhaarige Perücken, die im Nacken zu einem geflochtenen Zopf ausliefen. Ihre markanten Gesichter waren mit weißem Puder bedeckt, auf den hohen Wangen saßen rote Tupfer, wie zarte Rosenblüten im Schnee, und glühten im Feuerschein wie Blutmale auf.
Alle Tanzpaare drehten sich im Gleichmaß hin und her, bewegten sich im Gleichtakt, ihre Bewegungen harmonisierten im Rhythmus der Violinen und passten sich dem wirren Klavierspiel im Einklang an. Bunte Kreise schwirrten über die Tanzfläche, wenn sich die Unterröcke der reichgekleideten Damen im Luftzug aufbauschten, die tüllbesetzten Fächer schwebten wie Libellen durch die Lüfte, Hände glitten von einer zu anderen Hand, ein farbenreicher Wechsel der in Trance sich dem Rausch der Musik gefügig hingab.
Wein wurde wie Wasser in edelsteinbesetzte Kelche vergossen, sein köstlicher Geschmack ließ die Gäste willenlos und ungehemmt werden. Männer rissen gierig die Bedeckungen der Frauen von ihren bebenden Busen, liebkosten ihre prallen Rundungen, lechzten lüstern ihre Zungen nach mehr.
Doch im flammenden Feuerschein der Kerzen, die sich in der seitlichen Spiegelwand wiederwarf, tanzten verfallene Kreaturen miteinander. Wollüstig die faulen Lippen gespitzt, die eingefallene Schädel mit Maden und Würmern kunstgerecht verziert, die hohlen Wangen von Hautfetzen bespannt und brüchig, wie altes Leder, lachten Frauen aus längst verstummten Kehlen. Ihre prallen Brüsten wie faule Pfirsiche auf ihrem Brustkorb hängend, umspielten Rüschen der einst edlen Gewänder die Ränder der Schlüsselbeine, zerfleddernd an den dürren Hüften herabhängend, wie mottenzerfressender Stoff an sprödem Gehölz.
Durch die gebogenen Rippen schlängelten sich Würmer und Maden bis zu den Wirbeln hinauf, in dem der Kopf schwankend baumelte, tief in den Nacken gedrückt, der fleischlose Mund zu einem Lachen aufgerissen. Gedärm drängte sich durch die aufgerissenen Fasern, quollen durch das verfaulte Fleisch hervor, durch den zerrissenen Stoff der muffigen Kostümen. Blut strömte wie Wein in die Kehlen der auflebenden Leichnamen, floss reichlich in die glänzenden Kelche der lallenden Gäste.
Nasenlose Gesichter kamen hinter federbesetzten Masken hervor, an den bleichen Handgelenken klirrte das verrottete Silber an den Gebeinen. Der Duft des Todes lag im Saal, getränkt mit Fäulnis und Verfall. Augäpfel rollten auf den polierten Boden, aufgereihten wie Perlen an einer Schnur, zahnlose Münder gespeist von toten Dingen, lachten und schrieen zugleich.
Feuer züngelte an den Wänden, bleckte an den hilflosen Gästen, die im Rausch der Musik tanzten. Flammen zerfetzten ihre Roben, rissen an ihrem Fleisch, ihre Gesichter welkten, ihre Schönheit wurde von den Lohen gefressen. Die Gemälden an den Wänden schmolzen zu einer farbigen Masse zusammen. Die Hitze sprengte das Glas der glitzernden Kuppel zu Tausend funkelnder Diamanten, die im fackelnden Schein rot und orange aufglühten und Augen verrissen.
Der Reigentanz des Todes endete in lautem Geschrei und Geplärre im Zerrbild des Spiegels im Saal, in dem junge, hübsche Frauen, sich ganz den Verführungen ihrer Begleiter hingaben.
Der Klang der Turmuhr ertönte, die Lichter im Anwesen erloschen, die Musik verstummte.
Gong!
Und alle Gäste stiegen wieder hinab in ihre modrigen Gruften.
Schweigen herrschte in den verfallenen Räumen des Anwesens, Stille erklang auf den schwarzen Marmortreppen und wurde von den kahlen Wänden in den leeren Räumen wiedergeworfen. Käuze seufzten in dem ausgebrannten Gerippe des Dachstuhls, während der Wind heulend um das tote Gemäuer pfiff. Der Nebel löste sich zu grauem Schleier auf und gab die verfallene Ruine eines einst prächtigen Anwesens frei.
Texte: © Text by Arwen1606Bilder entnommen aus www.welt.de
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Inspiriert durch den französischen Dichter Charles Baudelaire der das Gedicht "Danse macabre" schrieb.