Es war kalt dort. Und dunkel. Und schmerzhaft –
Vor allem schmerzhaft.
Sie hatte mir gesagt, dass ich still sein sollte. Sie hatte mir gesagt, dass sie mich hasste. Keinen Ton wolle sie mehr aus meinem verfluchten Mund hören.
Ich hatte ihr gesagt, dass mir das egal wäre.
Weil es mir nicht egal war.
Wenn jemand dir sagt, dass er dich liebt, und du liebst diesen Jemand nicht; was antwortest du?
Ich hatte ihr geantwortet, ich würde sie auch lieben.
Sie hatte mir gesagt, sie würde mich hassen.
Jetzt bin ich hier.
Und es ist kalt. Und dunkel. Und es tut weh.
Das hat es auch vorher getan. Das tut es. Das tut es.
Das wird es.
Weil sie mir sagte, sie würde mich lieben, und weil ich ihr sagte, dass ich sie auch lieben würde, und weil sie mir darauf erwiderte, dass sie mich durchschaute habe und dass sie mich deshalb hasse. Dass sie mich von ganzem Herzen hassen würde, weil.
Sie habe es in meinen Augen gesehen, meinte sie.
Dass ich sie nicht wirklich liebe.
Ihr Blick. Eiskalt. Dunkel.
Ich habe es in ihren Augen gesehen, dass sie mir niemals verzeihen würde.
Da waren wir gestanden und hatten uns angestarrt und gestarrt und geguckt und schweigend nichts gesagt und noch mehr gestarrt. Mit Augen, Mündern und Ohren.
Dann war das Auto gekommen.
Es ist so dunkel und kalt, dass ich zittere. Und die Dunkelheit verschwimmt vor meinen Augen und da ist nichts mehr. Nicht einmal Dunkelheit. Kein Boden. Kein Halt.
In ihrem Blick.
Da bin ich gefangen.
In der Schwärze.
Sie wird mir nicht verzeihen. Ich werde ihr nicht verzeihen, dass sie mir nicht verzeiht.
Und sie wird mir niemals – sie betont dieses Wort klar und deutlich –, wirklich niemals verzeihen, dass ich ihr nicht verzeihen kann. Dass sie mir nicht verzeiht.
So ist das nämlich.
Ganz einfach.
Und außerdem ist es kalt und schmerzhaft.
Und übrigens auch dunkel.
Sagte ich bereits, dass es dunkel ist?
Dann kam das Auto und nur sie sah es, und ich sah in ihren Augen, dass sie etwas sah, aber ich war gefangen in ihrem Blick;
Und deshalb machte ich trotzdem einen Schritt.
Rückwärts.
Als ich das Bewusstsein verlor, verlor ich auch ihren Blick.
Denn sie musste die Augen schließen, weil sie nichts sehen wollte, oder vielleicht hatte sie auch nur geblinzelt.
Ich verlor alles in diesem einen Augenblick.
Und sie hat mich nicht besucht.
Oder vielleicht habe ich es auch nur nicht mitgekriegt.
Vielleicht habe ich ja gerade halluziniert, als sie ins Zimmer kam. Als sie mir in meiner persönlichen Finsternis Beistand leisten wollte. Als sie.
Vielleicht.
Dann war da die Schwärze. Die ist. Und bleibt.
Vielleicht verzeiht sie mir ja.
Dann kann ich ihr auch verzeihen.
Dass sie mir alles genommen hat.
Sie war bestimmt hier, denke ich.
Wenn jemand dir sagt, dass er dich liebt, und du liebst diesen Jemand nicht; was antwortest du?
Und wenn dir jemand sagt, dass er dich liebt und du gerade in diesem einen Moment daran denkst, was du jemandem antworten würdest, den du nicht liebst, weil du nicht damit rechnest, dass der, den du wirklich und wahrhaftig liebst, und der gerade vor dir steht, dir in genau diesem Augenblick seine Liebe gestehen würde;
Was tust du, wenn du so überrascht bist, dass deine Augen lügen?
Ja, ich verlor alles in diesem einen Augenblick.
Und jetzt ist es kalt. Und dunkel. Und schmerzhaft.
Buchstäblich und im übertragenen Sinne.
Denn nebenbei bemerkt verlor ich auch mein rechtes Bein.
Als das Auto auf mich zuraste und ich ihren Blick verlor und ihre Liebe und alles andere. Was mir wichtig war.
Mein Bein war mir eigentlich nicht wichtig. Ist mir nicht wichtig. In Sport war ich nie gut gewesen. Ich hatte mir den Knöchel öfter verstaucht als jeder normale Durchschnittsmensch.
Sie hasst mich, dachte ich.
Und dann gaben sie mir noch mehr Schmerzmittel. Und Schlafmittel. Und andere Drogen. Für mein Bein.
Es war mir egal, was sie taten.
Es war mir nicht egal, was sie tat.
Und was ich dachte, als ich schon fast weggetreten war. Fast trotzig. Herausfordernd. An sie. Und mich selbst:
Wieso sagt der Mensch immer genau das, was er nicht denkt?
Oder von dem er denkt, dass er es denkt?
Oder von dem er denkt, dass der andere es hören will, obwohl sein Unterbewusstsein weiß, dass er es eigentlich nur sagt, weil er es selbst hören will?
Wieso.
Und warum, verdammt noch mal, glaubt ihm keiner, wenn er ein einziges Mal in seinem armseligen, verlogenen Leben die Wahrheit sagt?!
Tag der Veröffentlichung: 12.06.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Spontaner Beitrag zum 7. Bookrix-Wortspiel
Thema: "Am Tag, an dem mein Bein fortging"
PS: Die Betonung liegt auf "[s]pontan[]"!