Cover

Widmung




Für alle, denen das Meer Heimat ihrer Sehnsüchte nach Inspiration und Abenteuer bedeutet.








Die Schilderungen dieses Buches...




... kommen vom Meer. Entstanden aus den Erinnerungen an viele Erlebnisse und Gespräche am und auf dem Meer. Drei Jahre Leben auf einer klassischen Segelyacht, viel Zeit zum Nachdenken, viel Zeit für freundliche Kontakte und gute Gespräche in vielen Häfen. Daraus sind ein paar "literarische Fingerübungen" entstanden. Am besten zu lesen am Meer, am zweitbesten überall, wo genügend Muse und "Heimweh" nach Stille und Weite des Meeres entstehen kann.







Das Leben ist eine Ansichtskarte




August 2002. Segeltörn mit der UNITY von Syvota (griechisches Festland) nach Lakkas (Insel Paxos). Kurs SüdSüdWest. 14 Seemeilen Distanz. Wind NordNordWest, zwei bis drei Beaufort.




Das Leben ist eine Ansichtskarte




mit viel Blau: Gläsernes Blaugrün (Meer), dunkles Ultramarin (Himmel oben), helles Stahlblau (Himmel über dem Horizont), mattes, milchiges Dunkelblau und Indigo (Berge im Hintergrund). Damit man nicht ersäuft in diesem vielen Blau gibt es harmonische Braun- und Ockertöne (Berge und Ufer im Vordergrund, Schiffsdeck, Reling). Und dann natürlich Weiß (Wolken, Segel, Horizont).





Als Ansichtskarte wäre das kitschig und wenn man mitten drin sitzt, ist es – auch kitschig. Weshalb es der Seele gut tut, wie Kitsch das eben an sich hat. Viele Menschen behaupten heute, keine Seele zu haben und deshalb gibt es auch immer weniger Kitsch. Bis sich dann beides, der Kitsch und die Seele, wieder Bahn bricht in neu gefundenen Formen. Und dann ist es eben "moderner" Kitsch. Nur die Seele bleibt, was sie immer war. Und das Blau und Weiß und Ocker bleiben das auch. Und ihr Geist gibt Zeugnis dem Geist der Seele, dass sie so ewig ist, wie das Blau, das Weiß und der Ocker. Und das gibt der Seele diesen kleinen wohligen Stich, weil sie sich doch im Ewigen zuhause fühlt und uns das mitteilen will. Und wir schauen auf das Blau, das Weiß und den Ocker und fühlen: "Schön ......". Manchmal denken wir das auch oder sagen es sogar. Und dann ist es eben Kitsch, wie immer wenn man "Seele" denkt oder sagt oder sonstwie nach außen kehrt.





Unser Schiff hat auch eine Seele, denn es ist zwanzig Jahre alt und alle Dinge, die alt sind, bekommen mit jedem Jahr ihres Alters etwas ab von der Seele der Menschen, die mit ihnen umgehen, was sich ansetzt wie eine Patina. Ein wenig davon haben wir abgekratzt, ausgemüllt, weil es zur Seele der Vorbesitzer gehörte. Bis wir wieder die möglichst reine Seele des Schiffs spürten (darum geht es uns ja seit alters her – um die Reinheit der Seele) – oder die Seele der Generationen von Schiffsbauern, Seeleuten und Konstrukteuren, durch deren Erfahrung und Wissen unser Schiff zu dem wurde, was es heute ist. Diese Seele ist noch viel älter als unser Schiff und ein Teil davon sitzt tief im Wasser, wiegt mehrere Tonnen und ist fast so lang wie der Schiffsrumpf: Ein Langkiel (länger als in der Abbildung links), der uns unbeirrt auf Kurs hält, wie bereits die Vorfahren unseres Schiffs - Fischkutter in rauen Gewässern. Alle Hände bei der Arbeit, das Schiff musste mitarbeiten, selbständig und verlässlich sein. Auch der Schiffsrumpf zeugt von dieser Abstammung, weshalb er viel Platz hat – früher für den Fisch, heute für die Küchenzeile, den Salon und die Seelen der Passagiere. Und wenn diese nicht achtgeben, überwuchert ihre Seele eben den vielen Platz und wieder gibt es, wie immer, wenn wir unsere Seele nach außen kehren, – Kitsch.



Den Kitsch, den wir vorfanden – geschnörkelte Lampen, gerahmte Bildchen, gerüschte und gemusterte Vorhänge, Nippes, Plastik – haben wir entfernt und uns vorgenommen, unsere Seele in Zaum zu halten, damit nicht allzu viel neuer Kitsch entsteht.
Denn was uns umgibt, reicht bereits vollauf, sodass wir nur ganz leise "Schön" sagen und ansonsten ganz cool bleiben. Elisabeth liegt auf dem warmen Holzdeck und döst, während ich im Schatten des Besansegels aus einem Regiestuhl heraus Philosophisches vorlese: "... und spezifisch modern ist die humane festliche Mutation in der Mimesis an die Technik, im Einswerden mit .... " .... oder so ....

Was bleibt ansonsten mitten im Kitschigen (oder Beseelten) zu tun? Kitschiges und Beseeltes. Ausschau nach vorbeiziehenden Fähren, Frachtern und Yachten, Betrachten des Panoramas, der Wolken, unseres Schiffes und der Segel. Diese, gut gegeneinander getrimmt, helfen dem langen Kiel, das Schiff ohne Korrekturen auf seinem Kurs zu halten. Dadurch entsteht Zeit - wir haben ein Schiff, das Zeit erzeugt. Dadurch, dass es seine Arbeit ohne unser Zutun erledigt und dadurch, dass es selbst sich Zeit nimmt - ruhig und gelassen die niedrigen Wellen durchpflügt. Ein Knoten Fahrt pro Windstärke. Wohltuend untauglich für Regatten und Wettbewerbe, ideal, um die Seele in mediterranen Gefilden spazieren zu fahren. Ankommen mutiert vom Hauptzweck zum Teil eines Seins im Gesamten, in dem "die Fahrt" mit allem Fühl- und Erlebbaren eine unaufdringliche Wichtigkeit einnimmt, neben der für viele andere Dinge episch dimensionierte Freiräume bleiben. Für die Seele zum Beispiel.





Das nennt man dann Fahrtensegeln und das ist im Zeitalter der "Round-the-World"-Rennen so schön und so sehr der Seele gemäß, dass es eben kitschig ist. Wer meint, keine Seele zu haben oder zu brauchen, soll surfen oder ein Motorboot kaufen. Oder Ellen Mc. Arthur heiraten, die weint wenigstens (wegen Ihrer Seele, oder weil sie diese nicht mehr findet zwischen ihrem Hightec oder weil ihre radikale Rennschüssel gar keine mehr hat?).





Wir baden. Wenn der Wind am Mittag fast einschläft und die Geschwindigkeit des Schiffes bei 1-2 Knoten liegt, werfen wir einen Schwimmring ins Wasser, lassen 30 Meter Leine daran aus und schwimmen abwechselnd mit dem Schiff um die Wette. Und wenn wir die Wette verlieren, ziehen wir uns gegenseitig an der Leine zurück zur Badeplattform am Heck. Manchmal nehmen wir Taucherbrille und Schwimmflossen mit ins Wasser und betrachten unser Schiff von unten. Wie es als dicker Walfisch im klaren Wasser über uns zu schweben scheint, während die Sonne helle Bahnen am Schiffskörper vorbei durch das Wasser zieht und wir uns klein und leicht fühlen, während wir kameradschaftlich neben dem breiten, vertrauenerweckenden Rumpf über die dunkelblauen Abgründe, die sich unendlich unter uns erstrecken, hinweg gleiten.

Gegen Abend frischt der Wind auf und wir bieten ihm zusätzlich zur bereits gesetzten Genua und dem Besansegel am hinteren Mast das Großsegel am Hauptmast an, worauf sich das Schiff um ein paar zusätzliche Grade zur Seite und so weit ins Zeug legt, dass wir mit vier bis fünf Knoten durch die glitzernde See pflügen, bis sich die Bucht von Lakka vor uns auftut. Teile ihrer Ufer bereits im Schatten der umstehenden Berge, der Rest weichgezeichnet durch von der tief stehenden Sonne warm beleuchteten Dunst. Ankern mit Panoramasicht auf das in die Mulde am Ende der Bucht gebettete Dorf. Ist das kitschig ....






Unsere Seelen lächeln.




Die kleine Überfahrt



Mit dem Bus an den Tegernsee inklusive Mittagessen "in einem gemütlichen Landgasthof" - das ist eine KaffeeFahrt. Mit dem LuxusLiner "zu den schönsten Plätzen der Karibik" - das ist eine Kreuzfahrt. Und was sind 26 Stunden "Venedig-Korfu" auf der Fähre längs durch die Adria inklusive "Camping on Bord" im Wohnmobil? - Ein Stimmungsbild.



Schlafsäcke in allen Farben auf rußverschmiertem blaugrau angestrichenem Stahlboden verbreiten sich gleich zu Anfang in jeder Ecke des Freidecks wie eine schnell wachsende Flechte in einem mit Zeitraffer gefilmten Laborversuch und animieren die Passanten bei einem ersten Erkundungsgang zu tänzerischen Einlagen, sofern nicht einfach achtlos auf allem rumgelatscht wird. Während ein paar Stockwerke tiefer noch ein durch nichts aus der Ruhe zu bringender Einweiser mit energischen Gesten auch den entnervtesten FamilienVater dazu bringt, das ungewohnte MietWohnmobil im RückwärtsGang einigermaßen grade und platzsparend in die lange Reihe bereits geparkter Wagen zu bugsieren. Dazwischen pendeln wir erst mal, beobachten, wie unser Wohnmobil von allen Seiten von anderen Wohnmobilen zugeparkt wird - vorn und hinten eine Hand breit, rechts und links fünfzig Zentimeter. Die Luft ist schwülheiß und stinkt nach Dieselöl. Hier länger bleiben oder gar schlafen? Rauf auf´s Deck, Tanz um die Schlafsäcke nach vorn zum Bug - Ahhhh - Luft!





Plötzlich wandert ein Haus vorbei - ist die Lagunenstadt bereits so beweglich? Berichte über den fragilen Allgemeinzustand Venedigs zucken kurz auf. Oder ein Fall gigantischer Kulissenschieberei? Wir laufen aus. Auch wenn auf Tausenden Tonnen Stahl stehend zunächst keine Bewegung fühlbar wird. Außerdem laufen wir doch noch nicht so richtig aus - wir laufen eher durch: Turmhoch schleicht sich das mächtige Schiff mitten durch einen Kanal und mitten durch Venedig. Gierig gezückte Fotokameras und digitale KleinstVideoGeräte platzen fast vor Panorama. Markusplatz und Seufzerbrücke von Abendsonne und "Sphumato" umschmeichelt (Das als profanen "Dunst" zu bezeichnen, verbietet sich bei der samtenen Weichheit des honigfarbenen Lichts). Ringsum wuselnde Vaporetti und sonstige motorbetriebene Nachen, mit Gemüse, Sand oder Touristen beladen.





Nach einer halben Stunde lichtet sich das Panorama, tritt zurück, und zwischen zwei langen, aus ockerfarbenen Steinblöcken aufgeschichteten Wellenbrechern erreichen wir den offenen Teil der Lagune. Stadtrundfahrt beendet, alles strebt hier und dort hin - in die "Launtsch", zum Schlafsack, ans Wohnmobil. In Griechisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch verkündet eine Frauenstimme aus quäkenden Blechtütchen die Öffnung der BordRestaurants. Wir besichtigen den Wandschmuck der Bar, lauter Rumpfmodelle klassischer Segelyachten als Halbrelief auf Samt im Goldrahmen, und danach die Schlange vor dem SelbstbedienungsRestaurant. Ihre Länge bestimmt die Entscheidung für Tütensuppe und Fischbrot im Wohnmobil. Abendprogramm: Dosenbier an Deck, zufälliges Geplauder mit einem freundlichen deutschen Manager in loyaler UrlaubsStimmung und anschließendes Ignorieren der Decksverschmutzung zwecks NachtLagerung auf Isomatte und Schlafsack gleich oberhalb der Heckwelle; Geschüttel und sonores Gebrumm der mindestens 1000000 KW des SchiffsDiesels inklusive.





Für den nächsten Tag um neun Uhr abends verspricht das Prospekt die Ankunft in Korfu. Das wären dann also noch elf Stunden nach Aufwachen an Deck und anschließendem Frühstück tief unten im Wohnmobil, wo es immer noch schwülheiß ist. An Deck ist inzwischen das TagesProgramm angelaufen: "Wasser im Swimmingpool" - der mit der Größe einer mittleren DreikammerKlärgrube aufwartet und bis zum Abend so aussieht, als wäre auch sein Inhalt identisch. An allen vier Seiten großformatige Piktogramme, die das Springen vom Beckenrand untersagen, worauf Alle das Becken nur noch springend entern. Trotzdem werden die umlaufenden Holzbänke sofort belegt von jungen tätowierten Proletarierinnen in träge-freundlicher Stimmung mit zellulitischer Körperfülle in knappen TangaStrings sowie von beleidigt-gelangweilt dreinblickenden dunkelbraun vorgerösteten Kindfrauen jeden Alters, die von Herren jeden Alters und unterschiedlichster, wenn auch eher handfester Statur, belagert, vorsichtig begrapscht oder zumindest "en passant" beglotzt werden. Wir glotzen auch ein bisschen von unserem Tisch aus, den wir uns im Schatten ergattert und mit Büchern, Zigaretten, Schokolade und Getränken als unser vorübergehendes Eigentum markiert haben - wie auch zwei Stühle, über denen angesichts der Hitze völlig nutzlose Pullover hängen.





Da blaues Meer und blauer Himmel bis zum teilweise nur undeutlich definierbaren und sich ringsum ununterbrochen ausdehnenden Horizont keine allzu spannende Alternative zu den PoolNymphen und Fritjof Capra lesenden Studienräten in bestrumpften Sandalen bieten, lesen wir eben auch. Wenn ich gelegentlich von meinem Buch mit diversen Vorschlägen "zum erfüllten Leben" auftauche, überlege ich mir, welche Geschichten sich hier ereignen könnten. Aber nicht mal "Traumschiff"-Klischees scheinen hierher zu passen. Ein paar kleinere TaschenDiebstähle vielleicht, eine Platzwunde am Pool, etwas Herzschmerz unter Teenagern, ein banaler UrlaubsanfangsEhekrach - alles eher der Kathegorie "mein Gummitier ist undicht" zuzuordnen. Ab und zu ein paar Schritte zum Heck, zum Bug, zum Wohnmobil.





Der Himmel und das Meer bieten sich derweilen weiterhin in scheinbarer Unendlichkeit dem etwas schläfrig werdenden Blick des Seereisenden. Gedanken über den erkenntnisfördernden Sinn von "Wüste" gleiten sacht hinüber zu bedingt metaphysischen Grundüberlegungen, vermischt mit und angeregt durch in den letzten Stunden Gelesenes über die Grundangst des "In der Welt Seienden" (das "Geworfen-Sein" lässt grüßen...), das Glauben, das Feste Feiern, das Mann- und Frau-Sein. Das Sein. Wie ist es in diesen 26 Stunden mitten auf dem Mittelmeer? Nach schneller Gewöhnung an die Begrenztheiten der Umgebung inmitten gleichförmigen Blaus verbreitet sich tatsächlich so etwas wie kontemplative Gelassenheit unter den Passagieren. Unterschiedlich erfahren und erlebt zwischen schlafen, dösen, starren bis zu langen sinnenden Blicken, leisen Gesprächen, wieder langen Blicken, wieder etwas lesen, wieder ein paar Worte, wieder .... Trotz der definierten Bestimmung von Ankunftsort und -zeit gleitet das Schiff durch eine Zone erholsamer Unbestimmtheit. Zeit, Ort und Gegebenheiten verwischen zu einem Schwebezustand, der selbst das Warten auf eine Ankunft - wo noch gleich? - überdeckt. Korfu verschwimmt zu einer undeutlichen Metapher wie "das Paradies", "das Nirvana", "die Insel der Seeligen" - ein mystischer, versprochener Ort, von dem wir glauben, dass wir ihn dereinst erreichen werden - mitten durch das Blau, die Schlafsäcke, den schwülen Schiffsbauch und unsere kleine Sitzinsel an Deck. Der Messias des längst über Bord gewehten Fahrplans hat es so verheißen und bis diese Verheißung eintrifft, meditieren wir als Gläubige in verschiedensten Stellungen und genießen dieses von keiner schwerwiegenden Bedingung belastete "Sein". Auch hier gibt es die "klugen Jungfrauen", die die Öllampen ihrer Bildung durch die eifrig - konzentrierte Lektüre von Baedecker- oder Dumont-Bändchen für das Eintreffen der AnkunftsProphezeiung polieren. Ob sie sich damit diesem Augenblick der Kontemplation berauben oder die wahrhaft Seeligen im griechischen Paradies sein werden, darüber wäre vielleicht gelassen zu debattieren gewesen - um den Preis der Kontemplation, also bleibt es bei wenigen Worten - "...kuck mal ....". Lesen und schauen und sinnen und dösen und sinnen - unser Gefühl gaukelt wie ein Papierdrachen durch den Äther des mediterran - maritimen Nachmittags.



Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: CMC / Thomas Weisenberger 2012
Bildmaterialien: Thomas Weisenberger 2003/2012
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2012
ISBN: 978-3-95500-109-4

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