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CMC (carl montalban collections) / Thomas Weisenberger 2012
Die Gardinger Evangelien
Bildmotive zu den wöchentlichen Evangelienthemen
mit zeitgemäßen Interpretationen
Illustrierte Leseprobe
Die „Gardinger Evangelien“ sind Teil einer Serie mit Darstellungen zu den wöchentlichen Evangelien-Themen. Ursprünglich war die Serie zur Ausstattung der „St. Christian“-Kirche in Garding (Nordsee-Halbinsel Eiderstedt) konzipiert und dieser Kirche stilistisch entsprechend gestaltet Die Bildtafeln waren flexibel den grau gestrichenen, ehemals bebilderten Kassetten der Orgelempore vorgehängt. Nach Protesten außenstehender (!) Traditionalisten verfügten Pfarrer und Gemeinderat die Entfernung der Tafeln. Diese Entbindung eröffnet nun die Möglichkeit inhaltlich erweiterter Interpretation und bei der geplanten Komplettierung der Serie eine ungleich größere Freiheit in der Gestaltung. Die Serie wird in weiteren Arbeitsschritten auf ca. 60 Bildmotive anwachsen.
Im Motiv bezug genommener Text: Markus 12, Vers.10-12:
Habt ihr auch nicht gelesen diese Schrift: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Von dem Herrn ist das geschehen, und es ist wunderbarlich vor unseren Augen"? Und sie trachteten darnach, wie sie ihn griffen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, daß er auf sie dies Gleichnis geredet hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.
Vorbemerkung: Eigentlich sollte das Folgende einige Gedanken zum direkten Thema dieses Evangelien-Motivs notieren. Da der Text in der Vorweihnachtszeit verfasst wurde, flossen dann jedoch, entgegen der zeitlichen Position von „Reminizere“ im Kirchenjahr, einige „weihnachtliche“ Überlegungen in den Text ein:
Im "historischen" Kontext gesehen wird hier zunächst einmal eine sehr politische Geschichte vom Anfang unserer Zeitrechnung erzählt: neue Gedanken beginnen in einer Gesellschaft Fuß zu fassen und an Relevanz zu gewinnen. Dazu eine Metapher: "Ecksteine" tragen in der Architektur die gesamte Statik, ohne sie würde ein Gebäude zusammenfallen. Die Würdenträger und Machthaber wiederum ärgern sich über einen Redner auf dem Marktplatz (heute wäre das wohl irgend ein Medienereignis, ein Internetforum oder eine Talkshow), der sie und das System, für das sie stehen, nach Ihrem Verständnis (und dem vieler Zuhörer) in Frage stellt. Sie wagen es aber nicht, ihn in der Öffentlichkeit anzugreifen.
"Meine Ideen werden zwar vom Establishment als irrelevantes Geschwätz abgetan, sind aber von grundlegender Wichtigkeit". Eine dreiste Unverschämtheit. Von einem frechen Marktschreier, der das Volk aufwiegelt gegen die bestehende Ordnung von Religion und Staat. Eine in Jahrtausenden gewachsene Religion (Judentum) und ein gigantisches Weltreich (die römische Besatzungsmacht). Was ein in der Sache irrwitziger, politisch lästiger Schwätzer!
Wir wissen heute: der "Schwätzer" wurde hingerichtet, die bestehenden Verhältnisse dauerten noch lange über die Lebenszeit der Protagonisten hinaus. Und wir wissen, der Marktplatz-Redner hatte recht: das damalige System zerfiel wirklich, seine Ideen jedoch begründeten eine völlig neue "Weltordnung". Diesen Begriff hätte jener Jesus allerdings sofort abgelehnt: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Jeder Physiker/ Mathematiker/ Philosoph der über eine grundlegende Theorie nachdenkt, würde dem umgehend zustimmen: keine grundlegende Idee ist "von dieser Welt". Sonst wäre Newtons epochale Entdeckung über das Wesen der Schwerkraft (s.u.) nie über den Gedanken an verschiedene Apfelsorten hinaus gekommen.
Um was geht es also? "Moderne" Ideen passen sich selten nahtlos in Bestehendes ein. Sie sind oft "schnörkellos" und führen den Ballast alter Systeme ad Absurdum. Neue Ideen, wenn sie keine "haltlosen" Hirngespinste sind, legen an bestehende und neue Inhalte ein "Lot" an, das sich (wieder?) an Grundlagen der Logik und Folgerichtigkeit orientiert. Die Lehren jenes "Jesus von Nazareth" hatten zu ihrer Zeit eine ähnliche Funktion, wie die Lehren der Aufklärung zweitausend Jahre später. Zweitausend Jahre? Auch die Entwicklungen um die Lehre, die dieser Jesus damals verbreitete, kündigten sich ja bereits viele Jahre zuvor an – Jesus beruft sich in seinen Reden immer wieder darauf. Die Zeit der "Aufklärung" begann ebenfalls einige Jahrhunderte vor unserer Gegenwart, ihre Wirkung erzielt sie jedoch erst heute auf breiter Ebene – mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen (je nach Sichtweise...): breite Wissensvermittlung, gesellschaftliche Teilhabe an politischen Entwicklungen etc..
Es wird dabei nicht von ungefähr vom "Baustein" gesprochen, also von einem Element, das sich in Bezug auf ein bestehendes Gebäude einfügt, ja, dieses letztendlich stützt. Eine konstruktive Metapher, die jeder Idee destruktiver Revolution und wilder Provokation zuwider läuft. Dafür stehen Winkel und Lot in der Abbildung:
Die Darstellung des Lots im Bild weist darauf hin, dass dieser "Eckstein" starke reale Bezüge hat: das Lot "funktioniert" nach den physikalischen Gesetzen der alles bedingenden Schwerkraft - als philosophisches Pendant könnte man die Gesetze der Logik anführen.
"Der Stein den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden". Wir leben in einer Welt, die in allen Bereichen von "fraktalen", vielschichtigen Entwicklungen beeinflusst und geformt wird. Mit vielen "Ecksteinen". Einen der wichtigsten und grundlegenden Ausgangspunkte dieser Entwicklung feiern wir am 24. Dezember mit dem Gedenken an die Geburt von Jesus. Wenn wir die Entwicklung der menschlichen Geistesgeschichte und unserer Gesellschaft betrachten, sind die Auswirkungen der Thesen, die Jesus damals postulierte, trotz aller menschlichen Irrwege, ein Grund, diesen Tag immer wieder neu zu feiern, ein Grund, zur tradierten "Sonnwende" symbolische Lichter anzuzünden - als Metapher für ein Licht, dessen „Strahlen“ unsere gesamte Existenz bis heute nachhaltig erleuchtet und beeinflusst.
Und wo bleibt das Mystische der "Heiligen Nacht"? Viele christliche Religionsgemeinschaften haben im Lauf der Zeit durch falsch verstandene Liberalisierung ihren Geistlichen bei der Interpretation dessen, was die Mystik ihrer Religionsinhalte denn nun ausmache, ganz offensichtlich "ad libidum" Tür und Tor geöffnet. Die Strafe dafür manifestiert sich in so mancher kitschigen "Liebes Jesulein - Predigt" allsonntäglich. Ein theologischer Thriller, der schon vor langer Zeit begann und bis heute (in scheinbar immer stärkerem Maße) bewirkt, dass die Qualität vieler Weihnachtspredigten auf ein Niveau gesunken ist, das die "ZEIT" 2007 nur noch mit dem Artikel "Schluss mit dem Geschwätz" zu "würdigen" wusste. Die Auswirkungen dieses "Thrillers" und die daraus resultierenden Defizite reichen heute weit in das Menschenbild und Selbstverständnis unserer Gesellschaft hinein. Zweifellos gibt es des ungeachtet ein Mysterium, dessen Wesen so "ewig" ist wie das Leben, die Welt und das ganze Universum - und es hat wie alle Mysterien mit einem Geheimnis zu tun. Das eröffnet sich vielleicht nicht als "Instant Karma" jedem Besucher eines Weihnachtsgottesdienstes. Aber den, der dieses Geheimnis ahnt, fühlt oder gar zu kennen glaubt, den wird es (nicht nur) in einer Andacht zum Heiligen Abend erreichen. Daran kann nicht einmal eine "dünne" Predigt etwas ändern.
Thomas Weisenberger im Internet:
www.t-w.de
Texte zur Entstehung der "Gardinger Evangelien":
www.garding900.de.vu
Texte: CMC / Thomas Weisenberger 2012
Bildmaterialien: Thomas Weisenberger 2010 / 2012
Tag der Veröffentlichung: 05.03.2012
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