Alle Rechte bei Carl Montalban Collection (CMC) / Thomas Weisenberger 2012
Thomas Weisenberger
Das Wunder von Aigina
oder:
Wo der Hund begraben liegt...
Für Elisabeth, die, wie Toni, furchtlos große Megayachten bekämpfte - auch wenn sie keinen Tiger-Bikini besitzt....
.....eine kleine Einstimmung auf meine Geschichte über ganz normale Helden und liebenswerte Gauner - die, nur im ersten Moment etwas exotisch, den klugen Leser sicherlich sehr bald als "Menschen wie du und ich" anmuten. Sie sind Darsteller und Opfer ihrer selbst, die, wie stets in großen Tragödien, bei allen persönlichen Irrtümern und Fehlern überraschend weise sind oder werden. Die Bühne dieses Schauspiels könnte dabei fast überall sein - solange dieses Überall irgendwo im Süden Europas angesiedelt ist. Auch darüber wären vor Beginn der eigentlichen Geschichte vielleicht ein paar Worte zu verlieren:
Inseln gibt es so viele in Griechenland, wie es früher einmal Eulen in Athen gegeben haben muss, wenn man Sprichwörtern einen gewissen realen Hintergrund zugestehen mag. Etwas über eine griechische Insel zu erzählen, scheint also ungefähr ebenso sinnvoll, wie "Eulen nach Athen" zu tragen. Aber es gibt ja auch "Menschen wie Sand am Meer" und trotzdem lohnt es sich, immer wieder über ganz besondere Exemplare dieser Spezies etwas zu berichten. Bleibt doch noch immer "das menschliche Gesicht einer der interessantesten Teile der Erdoberfläche", wie der Philosoph Georg Christoph Lichtenberg bereits im achtzehnten Jahrhundert notierte. Bringt man diese Erkenntnisse auf eine gedankliche Linie, erscheint es nur logisch, den Versuch, etwas über eine besondere griechische Insel zu erzählen, gleich auf die Beschreibung der Menschen zu übertragen, die sich dort, und sei es für noch so kurze Zeit, aufhalten.
Zu berichten ist in diesem Fall von den Besuchern der Insel Aigina und dem gleichlautend benannten Hafen dieser Insel. Die Besucher kommen, dem Status von Aigina entsprechend, alle übers Wasser. Teils auf einer der vielen Fähren, teils "auf eigenem (oder zumindest gechartertem) Kiel", das heißt mit einer Segel- oder Motoryacht. Teils als Nah-Erholungssuchende aus der unweit gelegenen Großstadt Athen, teils, besonders auf Seiten der Yacht-Touristen, aus aller Herren Länder. Entsprechend bunt gemischt ist die Menschenmenge, die sich allsommerlich entlang des pittoresken Hafenboulevards, an den Kais und in den unzähligen Cafes und Tavernas mehr oder weniger, aber doch im Vermutungsfalle überwiegend, amüsiert.
Die Insel Aigina liegt mitten im Saronischen Golf, an dem nicht nur die Hauptstadt Griechenlands, Athen, liegt, sondern in dessen nördlichen Teil auch der berühmte Kanal von Korinth mündet. Im Süden öffnet sich der Saronische Golf nach Westen zum Pelepones hin und nach Osten zur Inselwelt der Kykladen. Ein weiterer Quell für die ahnsehnliche Zahl von Besuchern dieser Insel: man kommt fast nicht an ihr vorbei, wenn man vom Ionischen ins Ägäische Meer oder von der Insel Kreta (ganz zu schweigen vom Suez-Kanal) zur Insel Korfu (ganz zu schweigen vom Adriatischen Meer) segeln will.
So vielfältig die Routen sind, in deren Schnittpunkt die Insel Aigina und ihr Hafen liegen, so bunt ist auch das Publikum, das sich hier trifft. Die Auswahl der Protagonisten einer Erzählung muss daher so willkürlich ausfallen, wie die nur scheinbar willkürliche Wahl des Handlungsorts. Gibt es doch die beschriebene Mischung vielleicht wirklich nur im Hafen von Aigina, und vielleicht ist sie also das, was diesen Hafen, ebenso wie seine pittoreske Kulisse, so typisch erscheinen lässt. Vielleicht ergibt sich der verschiedenen Zutaten zur dargebotenen Szene wegen auch die besondere Konzentration eines Ambientes, das man in Teilen auch an anderen Orten erlebt zu haben meint. Das könnte dann als "prototypisch" bezeichnet werden. Und demgemäß sind eben die Menschen, die zur Beschreibung von "Aigina" in der folgenden Erzählung auftreten, vielleicht nicht immer und überall mit der Häufung ihrer hier beschriebenen Eigenarten und Eigenschaften anzutreffen, aber erscheinen uns in den einzelnen Facetten ihrer Persönlichkeit doch "irgendwie" vertraut.
Nicht dass dem Verfasser dieser Erzählung nun die Spezies "Porno-Queen" aus eigenem Umgang besonders vertraut wäre. Aber viele Frauen, denen er im Hafen von Aigina begegnet ist, schienen eine besondere Ambition zu haben, sich in einer solchen Rollenfigur darzustellen. Wobei es in nicht viel geringerer Anzahl "Professoren-Gattinnen", "Hippies", "Klein-Dealer" und "Megayacht-Besitzer" zu beobachten gab. Ob die Darsteller dieser Typologie in einem Leben abseits des Schauplatzes unserer Geschichte als Warenhausverkäuferinnen, Mechatronik-Lehrlinge, Abteilungsleiter oder Geschäftsführer einer Fabrik für Plastikschüsseln eine ungleich farblosere Existenz pflegen - wer weiß. Es gibt ja auch das Aigina ereignisloser Winter oder Inselhäfen, die weniger im Schnittpunkt des Geschehens liegen. Und es gibt natürlich auch ganz normale Besucher Aiginas, wie den Verfasser dieser Erzählung: Ein Kunstmaler und Schreiberling, der in der Zeit, in der diese Erzählung spielt, ein paar Jahre lang auf einer Zweimast-Yacht lebte. Und, nur zum Beispiel, ohne etwas davon zu ahnen, den Import von über vier Tonnen Kokain auf einer anderen Yacht direkt vor seiner Nase beobachten konnte. Zudem wurde das Schmuggelgut, wie er später erfuhr, wahrscheinlich mit seinem eigenen Wohnmobil abtransportiert, dessen Schlüssel er für die Zeit seines Sommer-Segel-Törns einem in den erwähnten "Mega-Deal" verwickelten Marina-Chef anvertraut hatte. Aber das ist nun wieder eine andere Geschichte, die zugegebener Maßen so absurd klingt, dass ich nie wagen dürfte, sie als "erfundene" Erzählung einem freundlich geneigten Publikum anzubieten. Steigen wir also ein in eine Erzählung, in der eine lebenskluge Pornodarstellerin im Ruhestand eine Hauptrolle spielt. Das ist zwar ein bisschen erfunden, aber eben nur ein bisschen. Und sicher nicht absurder als vier Tonnen Koks im eigenen Wohnmobil. Also habe ich, um meine Geschichte in diesem Sinne wieder etwas näher an die Realität anzugleichen, wenigstens ein paar Pfund Marihuana ins Spiel gebracht.
Um das schillernde Bild des Inselhafens von Aigina zu erzählen, muss auch die Wahl der verwendeten "Farben" eine gewisse Vielfalt aufweisen. In diesem Fall sollte also der Stil der Erzählung dem Charakter unserer Protagonisten zumindest zu einem gewissen Grade Rechnung tragen. Und weil eine allzu eindimensionale Entscheidung keinem Teil so recht entsprochen hätte, entstand ein Reigen aus "Trivialroman", "Hanni und Nanni", "Ingmar Bergmann" und, nicht zuletzt, der "Griechischen Tragödie", an deren Anfang vielleicht auch oft die Aufforderung stand "Lasst nun das Spiel beginnen!".
Wohlan - zum Einstieg ein paar lockere Takte "Trivialroman":
Entlang der weit geschwungenen Promenade am Stadthafen der Insel Aigina lärmten die ersten Autos und Mopeds des Tages - Berufspendler, die mit der Morgenfähre von der Insel ans Festland nach Athen übersetzen wollten. Die Geschäfte und Cafés waren noch geschlossen, aber einzelne Lieferwagen mit Gemüse und anderen Gütern waren bereits unterwegs. Ein paar Fischer landeten am hinteren Teil des Hafens ihren bescheidenen Fang an. Auf den Yachten, die in langer Reihe rings um das Hafenbecken am gemauerten Kai und an alten Stegen festgemacht waren, regte sich noch niemand.
Die Luft war angenehm frisch um diese Tageszeit auch wenn die Thermik noch nicht von Land- auf Seewind gedreht hatte. Die blau-weißen Nationalflaggen Griechenlands hingen daher etwas lustlos auf ihren Masten am Landungskai der Fähren. Das Wasser des Hafens lag wie eine geglättete Plastikfolie, in deren Fläche ein toter Hund eingelassen schien. Der kleine Kadaver schlingerte gleichmütig in den leichten Bewegungen der spiegelnden Ebene. Ab und zu wurde der Hundekörper ein wenig gedreht, eine in der Leichenstarre gestreckte Pfote drehte sich nach oben und bewegte sich hin und her, als wolle der Kadaver jemandem am Ufer zuwinken.
Schacki konnte nicht mehr schlafen, obwohl die Mischung aus mehr oder weniger hochprozentigen Alkoholika, die er am Vorabend zu sich genommen hatte, bunt gemischt und reichhaltig gewesen war. Also streckte er seinen mit bleiernen Ameisen gefüllten Schädel aus dem Niedergang seiner Segelyacht ins Freie. Er blinzelte in das noch milde Licht und das erste, auf was sein Blick fiel, als er sich ausgiebig die Augen gerieben und dabei auch seine schmerzenden Schläfen vorsichtig massiert hatte, war die winkende Hundepfote über dem Wasser wenige Meter vom Heck seines Bootes entfernt. Schacki blinzelte noch einmal ausgiebig, glotzte noch einmal in die Richtung der Pfote, aber die war inzwischen wieder im Wasser verschwunden und nur ein abgeknicktes Ohr mit ein paar Haarbüscheln markierten über der Wasserfläche die Position des treibenden Körpers. Schacki verzog angewidert das Gesicht und kletterte zurück ins Innere des Schiffs. Bei einem Blick auf die Koje der Schlafkabine erinnerte ihn die Wölbung unter der leichten Sommerdecke daran, dass ihm noch eine unangenehme Aufgabe bevorstand. Irgendwie musste er Toni loswerden, bevor er mit ihr etwas anstellte, das zur Folge haben könnte, dass nach kurzer Zeit die griechische Polizei vor seinem Boot stand. In griechischen Gefängnissen sollte es nicht allzu zimperlich zugehen, nach allem was Schacki gehört hatte.
Und das alles nur wegen den Priesterinnen. Also, wegen den Tempeln und so. Schauen, ob man noch was spürt. Den Ort, mein ich, die Ausstrahlung. So wie in Carnac oder Stonehenge. In Stonehenge hätt ich fast nen Orgasmus gekriegt vor Aufregung. War ja auch Sonnenfinsternis. Die Akropolis in Athen hat mir nicht so viel gebracht. Die vielen Leute, und dann durfte ich nicht mal nen Apfel essen. Gleich kam so ein unfreundlicher Arsch gesprungen und meinte, das sei keine Taverna. Der hat Nerven. Über Nacht dableiben war natürlich auch nicht - Sonnenmeditation um fünf wär sicher geil gewesen da oben. Delphi war besser. Das Orakel soll ja immer so Dämpfe eingeatmet haben, die aus dem Boden kamen. Hab danach gesucht, wär vielleicht ne ganz neue Art von Reise geworden. Hab´s aber nicht gefunden - n´Joint tat´s dann auch.
In Aigina bin ich eigentlich nur, weil mich so´n Italiener auf seiner Yacht mitnahm. Man soll ja immer offen sein für neue Erfahrungen, aber dann war mir auf dem Meer so speiübel, dass nicht mal der alte Papagallo mich anmachen wollte.
Immer wenn Georgios keine Lust mehr hatte, "Schlapp-Schlapp" gerufen zu werden, ging er zur See. Das bedeutete, dass er seinem Sekretär einen entsprechenden Wink gab, den dieser ohne weitere Erläuterungen zu deuten wusste. Georgios hasste ausschweifende Erklärungen. Seine Umgebung hatte sich daran gewöhnt und er konnte es sich leisten, dass andere seine sparsamen Gesten richtig interpretierten und sich nach seinen Gewohnheiten und Vorlieben richteten.
Also wurde die große Limousine vorgefahren, sobald ihr Inneres durch die Klimaanlage auf eine angenehme Temperatur gefrostet war, die Haushälterin übergab dem Chauffeur mehre Koffer mit frisch gereinigter Garderobe und der Sekretär stand binnen weniger Minuten mit mehreren Aktenkoffern und einem kleineren Koffer mit seiner eigenen Bekleidung zur Abfahrt bereit. Vorher hatte er noch verschiedene Anweisungen in den Büros der Firma verteilt, die Georgios mit Intelligenz, Intuition und einer gewissen Portion halbkrimineller Energie sehr erfolgreich für den Familienclan leitete. Die beiden Filipinos und der Kapitän der im Hafen von Piräus festgemachten Motoryacht wurden verständigt und ihr Auslaufen telefonisch bei der Hafenbehörde angemeldet.
In all diesen Feststellungen und Erkenntnissen fand Wolfram eine Sicherheit, durch die er die Unwägbarkeiten ihrer Seereise so weit relativierte, dass er sich in seinem Gefühlsleben damit trösten konnte, dass es in jeder Statistik und in jeder Tendenz zwar sogenannte "Ausreißer" gibt, aber selbst diese zeigen im Normalfall nur die grundsätzliche Richtigkeit der Berechnungen. Irmgard hätte einfach bemerkt, dass "Ausnahmen die Regel bestätigen", worauf ihr Wolfram einen kleinen Vortrag darüber gehalten hätte, unter welchen Bedingungen eine Ausnahme noch als solche qualifiziert werden könne und welche Zahl von Ausnahmen prozentual akzeptiert werden können, bevor das statistische Mittel "kippt", das heißt, aufgrund neuerer Fakten korrigiert werden muss, um wieder als "Mittel" zum Vergleich herangezogen werden zu können. Dann wäre noch etwas von "wissenschaftlich" und "Eingrenzung" gekommen, während Irmgard schon mal den Salat für´s Abendessen putzte, und sich zum tausendsten Mal überlegte, wie Wolfram es in seinen Mittelwerten qualifizieren wollte, wenn sie manchmal ganz ohne faktisch belegbaren Grund ein gutes oder schlechtes Gefühl bei einer Person, einem Vorhaben oder einem Ereignis hatte - und sich ihr Gefühl doch so oft als richtig erwies - oft ganz entgegen von Wolframs Mittelwerten.
Heute zum Beispiel, als sie beiläufig von ihrem Buch aufschaute und den Hund entdeckte. Den toten, struppigen, abgemagerten, schwarzen Hund, der langsam an ihrem Boot vorbei durch den Hafen trieb und ihr zuwinkte. Natürlich hatte er ihr nicht wirklich zugewinkt, aber immerhin - es hatte für einen Moment so ausgesehen.
Diese Leseprobe enthält Textauszüge aus der Erzählung
"Das Wunder von Aigina, oder: Wo der Hund begraben liegt"
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Das komplette Buch erscheint im Mai 2012
Blaue Lust
Berichte von Küste und Meer
Das Phänomen
Was Schicksal ist ...? Eine Erzählung zur See
Wozu Gott gut ist
Vorschläge an den Koch
Ein Bildband mit Bemerkungen zur Kunst des Essens
Die Gardinger Evangelien
Bildband zu den wöchentlichen Evangelien mit zeitgemäßen Interpretationen
Thomas Weisenberger im Internet:
www.t-w.de
Texte: CMC / Thomas Weisenberger 2012
Bildmaterialien: Thomas Weoisenberger
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2012
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