Cover




Für Elisabeth – ohne sie hätte das Blau nicht gestrahlt









Copyright: Carl Montalban Collection / Thomas Weisenberger 2012




Das Leben ist eine Ansichtskarte


Mediterran-Maritime Impressionen
von Thomas Weisenberger


August 2002. Segeltörn mit der UNITY von Syvota (griechisches Festland) nach Lakkas (Insel Paxos). Kurs SüdSüdWest. 14 Seemeilen Distanz. Wind NordNordWest, zwei bis drei Beaufort.




Das Leben ist eine Ansichtskarte




mit viel Blau: Gläsernes Blaugrün (Meer), dunkles Ultramarin (Himmel oben), helles Stahlblau (Himmel über dem Horizont), mattes, milchiges Dunkelblau und Indigo (Berge im Hintergrund). Damit man nicht ersäuft in diesem vielen Blau gibt es harmonische Braun- und Ockertöne (Berge und Ufer im Vordergrund, Schiffsdeck, Reling). Und dann natürlich Weiß (Wolken, Segel, Horizont).



Als Ansichtskarte wäre das kitschig und wenn man mitten drin sitzt, ist es – auch kitschig. Weshalb es der Seele gut tut, wie Kitsch das eben an sich hat. Viele Menschen behaupten heute, keine Seele zu haben und deshalb gibt es auch immer weniger Kitsch. Bis sich dann beides, der Kitsch und die Seele, wieder Bahn bricht in neu gefundenen Formen. Und dann ist es eben "moderner" Kitsch. Nur die Seele bleibt, was sie immer war. Und das Blau und Weiß und Ocker bleiben das auch. Und ihr Geist gibt Zeugnis dem Geist der Seele, dass sie so ewig ist, wie das Blau, das Weiß und der Ocker. Und das gibt der Seele diesen kleinen wohligen Stich, weil sie sich doch im Ewigen zuhause fühlt und uns das mitteilen will. Und wir schauen auf das Blau, das Weiß und den Ocker und fühlen: "Schön ......". Manchmal denken wir das auch oder sagen es sogar. Und dann ist es eben Kitsch, wie immer wenn man "Seele" denkt oder sagt oder sonstwie nach außen kehrt.



Unser Schiff hat auch eine Seele, denn es ist zwanzig Jahre alt und alle Dinge, die alt sind, bekommen mit jedem Jahr ihres Alters etwas ab von der Seele der Menschen, die mit ihnen umgehen, was sich ansetzt wie eine Patina. Ein wenig davon haben wir abgekratzt, ausgemüllt, weil es zur Seele der Vorbesitzer gehörte. Bis wir wieder die möglichst reine Seele des Schiffs spürten (darum geht es uns ja seit alters her – um die Reinheit der Seele) – oder die Seele der Generationen von Schiffsbauern, Seeleuten und Konstrukteuren, durch deren Erfahrung und Wissen unser Schiff zu dem wurde, was es heute ist. Diese Seele ist noch viel älter als unser Schiff und ein Teil davon sitzt tief im Wasser, wiegt mehrere Tonnen und ist fast so lang wie der Schiffsrumpf: Ein Langkiel (länger als in der Abbildung links), der uns unbeirrt auf Kurs hält, wie bereits die Vorfahren unseres Schiffs - Fischkutter in rauen Gewässern. Alle Hände bei der Arbeit, das Schiff musste mitarbeiten, selbständig und verlässlich sein. Auch der Schiffsrumpf zeugt von dieser Abstammung, weshalb er viel Platz hat – früher für den Fisch, heute für die Küchenzeile, den Salon und die Seelen der Passagiere. Und wenn diese nicht achtgeben, überwuchert ihre Seele eben den vielen Platz und wieder gibt es, wie immer, wenn wir unsere Seele nach außen kehren, – Kitsch.

Den Kitsch, den wir vorfanden – geschnörkelte Lampen, gerahmte Bildchen, gerüschte und gemusterte Vorhänge, Nippes, Plastik – haben wir entfernt und uns vorgenommen, unsere Seele in Zaum zu halten, damit nicht allzu viel neuer Kitsch entsteht.
Denn was uns umgibt, reicht bereits vollauf, sodass wir nur ganz leise "Schön" sagen und ansonsten ganz cool bleiben. Elisabeth liegt auf dem warmen Holzdeck und döst, während ich im Schatten des Besansegels aus einem Regiestuhl heraus Philosophisches vorlese: "... und spezifisch modern ist die humane festliche Mutation in der Mimesis an die Technik, im Einswerden mit .... " .... oder so ....

Was bleibt ansonsten mitten im Kitschigen (oder Beseelten) zu tun? Kitschiges und Beseeltes. Ausschau nach vorbeiziehenden Fähren, Frachtern und Yachten, Betrachten des Panoramas, der Wolken, unseres Schiffes und der Segel. Diese, gut gegeneinander getrimmt, helfen dem langen Kiel, das Schiff ohne Korrekturen auf seinem Kurs zu halten. Dadurch entsteht Zeit - wir haben ein Schiff, das Zeit erzeugt. Dadurch, dass es seine Arbeit ohne unser Zutun erledigt und dadurch, dass es selbst sich Zeit nimmt - ruhig und gelassen die niedrigen Wellen durchpflügt. Ein Knoten Fahrt pro Windstärke. Wohltuend untauglich für Regatten und Wettbewerbe, ideal, um die Seele in mediterranen Gefilden spazieren zu fahren. Ankommen mutiert vom Hauptzweck zum Teil eines Seins im Gesamten, in dem "die Fahrt" mit allem Fühl- und Erlebbaren eine unaufdringliche Wichtigkeit einnimmt, neben der für viele andere Dinge episch dimensionierte Freiräume bleiben. Für die Seele zum Beispiel.



Das nennt man dann Fahrtensegeln und das ist im Zeitalter der "Round-the-World"-Rennen so schön und so sehr der Seele gemäß, dass es eben kitschig ist. Wer meint, keine Seele zu haben oder zu brauchen, soll surfen oder ein Motorboot kaufen. Oder Ellen Mc. Arthur heiraten, die weint wenigstens (wegen Ihrer Seele, oder weil sie diese nicht mehr findet zwischen ihrem Hightec oder weil ihre radikale Rennschüssel gar keine mehr hat?).



Wir baden. Wenn der Wind am Mittag fast einschläft und die Geschwindigkeit des Schiffes bei 1-2 Knoten liegt, werfen wir einen Schwimmring ins Wasser, lassen 30 Meter Leine daran aus und schwimmen abwechselnd mit dem Schiff um die Wette. Und wenn wir die Wette verlieren, ziehen wir uns gegenseitig an der Leine zurück zur Badeplattform am Heck. Manchmal nehmen wir Taucherbrille und Schwimmflossen mit ins Wasser und betrachten unser Schiff von unten. Wie es als dicker Walfisch im klaren Wasser über uns zu schweben scheint, während die Sonne helle Bahnen am Schiffskörper vorbei durch das Wasser zieht und wir uns klein und leicht fühlen, während wir kameradschaftlich neben dem breiten, vertrauenerweckenden Rumpf über die dunkelblauen Abgründe, die sich unendlich unter uns erstrecken, hinweg gleiten.

Gegen Abend frischt der Wind auf und wir bieten ihm zusätzlich zur bereits gesetzten Genua und dem Besansegel am hinteren Mast das Großsegel am Hauptmast an, worauf sich das Schiff um ein paar zusätzliche Grade zur Seite und so weit ins Zeug legt, dass wir mit vier bis fünf Knoten durch die glitzernde See pflügen, bis sich die Bucht von Lakka vor uns auftut. Teile ihrer Ufer bereits im Schatten der umstehenden Berge, der Rest weichgezeichnet durch von der tief stehenden Sonne warm beleuchteten Dunst. Ankern mit Panoramasicht auf das in die Mulde am Ende der Bucht gebettete Dorf. Ist das kitschig ....




Unsere Seelen lächeln.




Der Inhalt dieses E-Books ist eine Auskopplung aus:
„Blaue Lust“

Berichte von Küste und Meer.


Von Thomas Weisenberger erscheint ab Mai 2012
bei CMC

(Carl Montalban Collection):


„Das Wunder von Aigina, oder: Wo der Hund begraben ist“

.
Eine Erzählung


„Das Phänomen“

- was „Schicksal“ ist ....? Eine Erzählung zur See


„Wozu Gott gut ist“





Thomas Weisenberger im Internet: www.msy-unity.de.vu (maritim) + www.t-w.de (Hauptseite)




Impressum

Texte: CMC / Thomas Weisenberger 2012
Bildmaterialien: Thomas Weisenberger 2003
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /