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Es war sehr heiß. Ich bekam Angst, dass ich wie ein Wassertropfen verdampfen und verschwinden würde. Die Passanten liefen in der breiten und sehr belebten Straße auf dem schmalen Schattenstreifen, der sich auf der rechten Seite befand. Die Bibliothek war wegen der Mittagspause geschlossen. Um die Bücher in meiner Liste besorgen zu können, war ich gezwungen, eine Stunde zu warten, und ich hatte nicht die geringste Idee, wie ich diese Zeit ausnutzen sollte.
Plötzlich, als ich mich an die unsympathische Bibliotheks- angestellte erinnerte, fühlte ich ein Unbehagen. Wie du auch weißt, hat diese Frau breite Hüften wie eine Kuh und läuft in der Bibliothek wie ein Penguin watschelnd herum. Seitdem sie uns in flagranti zwischen den Bücherregalen ertappt hatte, behandelte sie mich sehr schlecht.
Davon hatte sie vermutlich ihren Kollegen erzählt, denn jedesmal wenn ich in die Bibliothek gehe, werden die Augen auf mich gerichtet. Vor zwei Wochen, während ich Bücher aus den Regalen aussuchte, erfasste mich ein Gefühl, dass ich auf eine merkwürdige Art und Weise beobachtet wurde. Als ich den Kopf drehte, sah ich den kahlköpfigen Angestellten, den mit der Stimme einer Zeichentrickfilmfigurs. Er beobachtete mich an einem der Bücherregale angelehnt, mit einem Gesichtsausdruck, als ob dabei wäre, einen sehr schweren Gegenstand zu heben. Als unsere Blicke sich kreuzten, verschwand er aus der Bildfläche. Was meinst du, träumt er vielleicht davon, mit mir zwischen tausenden von staubigen Büchern zu schlafen?
Während des letzten Sommers, der wie aneinander verklebt verging, taten wir noch andere verrückte Dinge. In einer Telefonzelle, im Museum, in der Anprobekabine und in einem Supermarket hatten wir uns auch geliebt. Außer in der Bibliothek wurden wir nirgendwo dabei erwischt. Während wir uns liebten, sahen uns bestimmt andere zu. Darunter vermutlich die Sicherheitspersonal, die mit Hilfe der Kameras die Umgebung beobachteten. Sie hatten uns in Ruhe gelassen und geilten sich möglicher- weise auf.

Alle diese Plätze liefen wie ein Filmstreifen vor meinen Augen in einem blassblauem Hintergrundslicht ab. Jetzt war das blassblaue Licht auf dem Schaufenster der Buchhandlung und verursachte, dass die Bücher im Tageslicht wie eine Fata Morgana aussahen. Wie verhext näherte ich mich dem Schaufenster und versuchte bei diesem fahlen Licht die Titel der Bücher zu entziffern. Später merkte ich, dass alle Farben plötzlich verschwanden und sich in schwarz-weiß und grau Töne verwandelten. In diesem Moment sah ich in dem Spiegelbild, das sich auf dem Schaufenster abzeichnete, die unsympathische, kleinwüchsige Bibliotheksangestellte mit ihren breiten Hüften wie eine Kuh. Wie du weißt, ich kann Menschen, die ich ständig in bestimmten Räumen sehe, außerhalb dieser Orte nicht wiedererkennen. Dass ich sie so schnell wiedererkannte, überraschte mich. Sie vertrieb sich also ihre Mittagspausen mit dem Betrachten der Schaufenster.
An den beiden Seiten des Spiegelbildes der unsympat- hischen Frau war niemand auf dem Schaufenster zu sehen. Bis auf den schmächtigen Hund, der rechts von ihr stand.
Und wo war mein Spiegelbild? Warum sah ich alles in schwarzweiß? Obwohl ich rechts von ihr stand, gab es kein Spiegelbild von mir. Ich sah mich dennoch um, konnte aber den schmächtigen Hund nirgendwo entdecken. Während ich mich verwirrt umschaute, merkte ich, dass auch der Hund sich gleichzeitig mit mir bewegte.
Hatte ich mich etwa in einen Hund verwandelt, der auf der Strasse lebte?
Der Hund, dessen braunes Fell stellenweise abgefallen war, sah hilflos aus. Noch während ich diesen Schock realisierte, näherte uns ein groß gewachsener, leicht bauchiger, weißhaariger Mann, der um die Fünfzig sein könnte. Anscheinend mochte die Bibliotheksangestellte, die ich auf fünfundzwanzig Jahre einschätzte, reife Männer. Als sie sich umarmten, fand ich sie uns ähnlich.
„Lass uns gehen“, sagte der Mann eilig.

Währenddessen zeigte die Frau auf mich und sagte:


„Dieser armer Hund hat die ganze Zeit mit mir auf das Schaufenster geguckt.“
Der Mann machte seine Augen zu Schlitzen und schaute mich an.
„Vermutlich war er ein wohl gesorgter Hund eines vor- nehmen Hauses. Er muss auf die Straße gesetzt worden sein. Gott weiß, vielleicht sucht er seinen alten Herren.“
Von den beiden bemitleidet angesehen zu werden, ließ mich unbehaglich fühlen. Ich dachte, trotz meines Aussehens wie ein Hund, könnte ich wie ein Mensch sprechen. Ich versuchte etwas zu sagen. Die grelle Stimme, die ich zu hören bekam, war das Bellen eines ungesunden Hundes. Die Frau meinte, ich würde um Hilfe bitten. Daraufhin sagte der Mann, „Wir haben genug Zeit verloren.“
Der Man ging mit der einen Hand auf der Hüfte der Frau weg und drehte sich immer wieder zu mir um. Vor einem Halteverbotschild blieben sie dann stehen und begannen zu diskutieren. Der Mann, der die Wangen der Frau streichelte, machte den Eindruck, als ob er sie zu etwas überzeugen versuchte.
Dann riefen sie mich zu sich -genauso wie man einen Hund zu sich ruft. Ich schaute mich im Schaufenster an und sah, dass ich immer noch ein Hund war. Außerdem sah ich alles in schwarzweiß. Ein Moment lang dachte ich daran, von hier wegzulaufen. Mir kam das Märchen in den Sinn, in dem sich ein Prinz in einen Frosch verwandelt. Vielleicht waren sie ja dafür verantwortlich, dass ich ein Hund geworden war. War ihre Sorglosigkeit auch nur ein Teil des Spiels? Was würde schon passieren, wenn ich mit ginge? Hinzu kam, dass mir dieses Spiel allmählich gefiel. Ich dachte daran, wie sie sich überraschen würden, wenn ich mich zurück verwandelte, und lief auf sie zu.
Der Mann schaute mich mit leuchtenden Augen und sagte leise: „Bravo, guter Hund.“
Dass man mich einen Hund nannte, nervte mich automatisch. Ohne dass ich mich Beherrschen konnte, begann ich zu bellen.

Die Frau lächelte. „Wie man sieht, mag er kein Lob.“


Der Mann kraulte mich am Kopf und sagte: „Ab heute bist du unser Hund.“

Als wir in ein Taxi einstiegen, ekelte sich die Frau vor meinem dreckigen Fell und verzog das Gesicht. Um sie noch mehr zu ärgern, ließ ich meinen Kopf an ihre Schulter schmiegen. Als ich dann versuchte, ihr das Gesicht abzulecken, begann sie schreiend um sich zu schlagen. Der Mann sagte zu mir Sachen, die man Hunden zu sagen pflegt. Die Frau wiederholte unermüdlich, dass es keine gute Idee gewesen war, mich mitzunehmen. Dass der weißhaariger Mann sie am Bein streichelte und ihr etwas zuflüsterte, beruhigte sie. Der Taxifahrer, der die ganze Zeit uns im Rückspiegel beobachtete, fragte:
„Wollen sie Straßenhunden helfen? Sollten sie so etwas vor haben, es gibt in der Nähe meiner Wohnung viele von dieser Sorte. Ich bemitleide diese armen Tiere...”
Die Frau und der Mann redeten die ganze Zeit miteinander, lachten, tauschten ab und zu verstohlene Küsse und bekamen nicht mit, was der Taxifahrer gesagt hatte. Der Fahrer verkniff es sich, seine Frage noch einmal zu stellen und zog es vor, dieses unpassende, aber feurige Liebespärchen im Rückspiegel zu beobachten.
Wir waren zu einem Randbezirk der Stadt unterwegs. Häuser, Gesichter, Gärten begannen ungepflegter aus- zusehen. Ich sah alles mit den Augen eines Hundes in schwarzweiß. Die Blicke der sich an der Straße versammelten Menschen waren hoffnungslos -sogar die der Hunde. In einer heißen, neu asphaltierten Straße, wo es viele Alteisenhändler gab, wurde unser Weg öfters von Frauen blockiert, die uns billige Zigaretten und wenn wir gewollt hätten, auch andere Dinge verkaufen wollten. Sie liefen wie Gespenster ohne Angst zwischen den Autos.
Vor dem Hotel mit dem merkwürdigen Namen Tsezni hielt das Taxi an. Wir stiegen aus.
Der Taxifahrer schaute mit Befremden hinter uns her.
Wie es aussah, machte die ernste Bibliotheksangestellte, die ihre ganze Zeit hinter staubigen Büchern und nervtö- tenden Geflüster verbrachte, die erlittene Entbehrung dadurch wett, in dem sie in einem Randbezirk, in einem heruntergekommenen Hotel mit einem Mann schlief, der so alt war, wie ihr eigener Vater. Obwohl sie noch sehr jung war, hinterließ sie bei mir immer einen ernsthaften Eindruck. Sie bevorzugte lange, dunkelfarbige Kleider ohne Dekolleté, die Haare immer hoch gesteckt, unbemalte Lippen und solcher Art von klobigen Handtaschen, die eher bei älteren Damen beliebt waren. Obendrein war sie doch so schüchtern... Erinnere dich doch, wie sie ganz rot im Gesicht wurde, als sie uns erwischte.

Wie es aussieht, muss ich mit aufs Zimmer. Vielleicht haben sie eine perverse Phantasie, dass sie beim Sex von einem Hund beobachtet werden, und deshalb haben sie mich hierher gebracht. Noch schlimmer wäre es, wenn der Mann vor den Augen der Frau mit mir -also mit einem Hund- Geschlechtsverkehr treiben würde...
Zunächst müssen sie den Portier an der Rezeption wecken, der vor Hitze eingeschlafen ist. Er freut sich, sie zu sehen und behandelt sie außerordentlich gut. Dann zeigt er uns seine faulen Zähne samt das Zahnfleisch und lacht. Als er mich bemerkt, kommt er nicht umhin und fragt:
„Wo kommt denn dieser Köter her?“
„Ach, der… Den haben wir auf der Straße gefunden. Jetzt gehört er mir.“
Der Portier lacht noch einmal und zeigt uns dabei wieder seine faulen Zähne samt das Zahnfleisch.
Der Mann und die Frau liefen engumschlungen in einem halbdunklen, stickigen Korridor, in dem Fliegenschwärme umherflogen, und drehten sich immer wieder nach mir um und riefen mich zu sich. Die Frau unterbrach ihren piepsigen Gelächter und sagte:
„Schlauer Hund.“
Das Zimmer hatte die Nummer 13. Es war voller staub, die Laken sahen sehr schmutzig aus. Im Zimmer befand sich ein zersprungener Spiegel, dann ein Sessel mit ver- blichenem Bezug und ein Schrank mit gebrochenen Türen, deren Laminat teilweise aufgeplatz war. Die dreckigen Tapeten riefen Übelkeit hervor. Während der Mann die Fenster schloss, begann die Frau sich auszu- ziehen. Ohne aneinander zu beachten, zogen sie sich aus und legten ihre Kleider mit Sorgfalt in den Schrank. Dann nahm die Frau aus ihrer Handtasche zwei schwarze Bänder und gab eins davon dem Mann. Sie setzten sich aufs Bett und banden sich fest die Augen zu. Dann begannen sie sich wie zwei Blinde zu lieben.
Die Hitze war unerträglich geworden. Ich stand mitten im Zimmer und beobachtete sie. Als ich in den Spiegel schaute, sah ich, dass ich immer noch ein Hund war. Vielleicht sollte ich mich, wie alle anderen Hunde jetzt auch getan hätten, auf dem dreckigen Boden breit machen und mich hier und da ablecken. Ab heute könnte ich den Rest meines Lebens als ein Hund verbringen. Vielleicht wäre das ja noch lustiger.
Der Mann hatte die Frau fest umarmt und küsste ihre Schultern. Dann kam Bewegung unter den dreckigen Laken. Die Frau rief, „Vater!“ Das zu hören erfreute den Mann und er sagte mehrere Male, „Meine liebste Tochter!“ Die Bewegungen wurden schneller.
Ich hätte niemals gedacht, dass sie Vater und Tochter sein könnten. Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht bin. Es ärgert mich nur, dass ich es nicht geahnt habe.

Jetzt erinnere ich mich an alles:
Der löwenköpfige Silbergriffel der Schublade des Nacht- tisches neben dem Bett. Der schläfrige Mann mit faulen Zähnen an der Rezeption. Der halbdunkle Korridor. Zimmer 13. Im Bett sich leidenschaftlich liebende Vater und Tochter. Und dann der schmächtige Hund, der sich immer wieder im Spiegel anschaute. Die Tochter murmelte zu ihrem Vater Dinge, die ich von früher kannte, neiiin, die ich zu dir sagte, wenn wir uns liebten.
Wenn sich unsere Seelen in fremden Körpern lieben, be- obachte ich alles als ein Hund.
Die Tochter sagte zu ihrem Vater: „Ich kann es nicht ertragen zu wissen, dass du mit meiner Mutter schläfst.“
Diesen Satz wiederholte sie mehrere Male.
Der Vater sagte: „Jetzt bin ich in dir und möchte immer dort bleiben.“

Aufgeschreckt wachte ich auf.
Meine weiß getünchten hellen Wände, mein Arbeitstisch, mein Bett mit frischen Laken... Jetzt bin ich mir sicher, dass es ein nur Traum war. Es ist 6:00 Uhr morgens. Ich habe Angst nochmal einzuschlafen, und der Traum geht weiter. Ich wollte dich dich anrufen. Dann erinnerte ich mich daran, dass du bereits unterwegs sein könntest und verzichtete darauf.
Ich nahm eine lauwarme Dusche. Mit einem Teller Kirschen, die ich aus dem Kühlschrank holte, ließ ich meinen nassen Körper aufs Bett fallen. Lange Zeit dachte ich an den Traum. Die Kerne der Kirschen spuckte ich vergnügt mitten ins Zimmer. Ich nahm ein Blatt Papier und einen Stift und schrieb den Traum auf. Ich wurde ungeduldig, und konnte kaum noch warten, dir bei unseren Treffen davon zu erzählen. Dann unterstrich ich mit einem rotem Kugel- schreiber einige Wörter:
Bibliothek, eine Stunde, Bibliotheksangestellte, blass- blaues Licht, das Schaufenster der Buchhandlung, alle Farben verschwanden, der Hund, hilflos, der weißhaariger Mann, bellen, der Prinz, der sich in einen Frosch verwan- delt, das Taxi, der Fahrer, ein Randbezirk, Alteisenhändler, „Hotel Tsezni“, Rezeption, Korridor, Zimmer 13, zersprun- gener Spiegel, sie banden sich fest die Augen zu, die Hitze, der Silbergriffel der Schublade, „Ich kann es nicht ertragen, zu wissen, dass du mit meiner Mutter schläfst“, „Vater”, „Meine liebste Tochter”.
Alles sah so aus, als ob ich das Ganze, was ich erlebte, viel mehr von außen beobachten würde, als es zu träumen.

Seit langem lebte mein Vater mit meiner Mutter in einer anderen Stadt. Meine Mutter wusste von unserer Bezie- hung. Als sie uns in ihrem Ehebett erwischte, war ich gerade siebzehn. In diesem Moment betrachtete sie mich nicht als ihre Tochter, sondern wie eine zweite Frau, besser: wie eine Fremde.
Sie versuchte uns umzubringen. Als sie den Revolver ge- gen uns richtete, bekam ich große Angst. Zum Glück war das Magazin des Revolvers leer. Meine Mutter sah schrecklich aus. Sie schmiss sich gegen Wände, zog mit beiden Hände an ihren Haaren. Ich wusste, dass es für sie ein großer Schock war. Während wir uns daran machten, aus dem Bett zu kommen und uns anzuziehen, war sie dabei, unsere Sachen aus dem Fester zu schmeißen. Unsere Klamotten lagen mitten auf der Straße, die bald mit Schaulustigen überfüllt wurde. Kurz darauf kamen die Nachbarn und dann die Polizei. Meine Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch. Den wahren Grund verschwiegen wir.
Bevor wir miteinander schliefen, gab es zwischen uns eine starke Liebe. Wir wussten jedoch, dass es nicht die übliche Vater-Tochter-Liebe war.
Meine Mutter war eine unumgängliche nervige Frau. Sie hatte immer wieder Krach mit meinem Vater. Als ich ein kleines Mädchen war, kümmerte sich mein Vater um mich, wie alle anderen Väter es auch tun. Wie bei vielen anderen Kindern würde auch meine erste Liebe aus meiner nächsten Umgebung sein. Der einziger Mann in meinem Kopf war jedoch mein Vater.
In dem Sommer, als ich sechzehn wurde, gaben wir eine große Party. Mittendrin verließ meine Mutter die Party. Nachdem alle Gäste gegangen waren, kam mein Vater. Um uns herum lagen zerplatzte Luftballons, Konfetti, dreckige Teller, halbvolle Gläser. Er fragte mich, wie die Party verlaufen war. Ich sagte, dass es alles so war, wie bei all den Parties in meiner Kindheit. Ich war unglücklich. Er gab mir mein Geschenk. Es war ein Ring, der einer reifen Frau gut stehen würde. Dann umarmten wir uns. Er begann mich zu küssen. Es waren keine unschuldige Küsse auf die Wange. Auf der Kante der Kanapee begannen wir uns zu lieben.
Vielleicht bewundertete ich meinen Vater, vielleicht lieb- te ich ihn, aber dass es so etwas passieren könnte, hätte ich niemals gedacht. Meine Mutter könnte jeden Moment kommen. Nachdem alles vorbei war, fühlten wir uns beide sehr miserabel.
Ich konnte dir nicht ins Gesicht schauen. Von diesem Tag an überlegte ich immer wieder, ob das gut war, was wir taten. Als du in jener Nacht zu mir ins Zimmer kamst, konnte ich nicht nein sagen. Ich sagte nur, dass es mich störe, dein Gesicht zu sehen. Du sagtest: „Schließe deine Augen fest zu.“ Das half nicht. Zum Schluss banden wir uns die Augen zu und fuhren mit unserem Liebesspiel fort.
Während mein Vater in mir war oder wir nebeneinander lagen, dachte ich daran, dass gleich die Tür geöffnet werden würde, und bekam Panikattacken. Alles sollte so schnell wie möglich vorbei sein, und mein Vater sollte auf leisen Sohlen wieder zu meiner Mutter zurückkehren.
Die Angst, dass meine Mutter uns erwischen könnte, machte mich fertig. Die Lösung dafür war das Hotel Tsezni, das passend für unsere kleine Fluchten war. Damit meine Mutter kein Verdacht schöpfte, lieferten wir ab und zu unnachgiebige Scheinkämpfe. Solche Kämpfe müssen meiner Mutter wie die üblichen Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter vorgekommen sein. Als sie dann versuchte, uns zu beruhigen, wirkte das dann sehr komisch. Wenn wir allein waren, erinnerten wir uns daran und amüsierten uns.
Im Laufe der Zeit wurde mein Vater für mich zu jemand, der anders und fremd war. Wir waren wie ein Liebespär- chen mit großem Altersunterschied, das sich neu kennen gelernt hatte.
Meine Muter blieb nach dem Nervenzusammenbruch drei Monate im Krankenhaus. Sie weigerte sich, mich zu sehen. Ohne ihren Ehemann könnte sie aber nicht leben. Ihr Arzt und mein Vater versuchten sie davon zu überzeugen, dass unser Verhältnis beendet war. Das nahm eine lange Zeit in Anspruch. Am Anfang belügten wir auch den Arzt, dass unser Verhältnis wirklich beendet sei.
Eine Zeitlang versuchte dieser junge Arzt mich und meinen Vater zu therapieren. Am Ende musste er aufge- ben. Er sagte zu uns, dass wir uns mit anderen Augen sehen würden und dass unsere Beziehung sich danach richten würde. Kurz gesagt, wir waren für einander mehr als nur „Tochter und Vater“. Ich weiß nicht, inwieweit diese Erklärung stimmt. Weil wir keine Schwierigkeiten haben, uns öfters mit „Vater“ oder „Tochter“ anzureden. Ich glaube, während dieser kurzen Zeit mit dem jungen Therapeuten, wurde er selbst mehr durcheinander gebracht, als uns geholfen.
Ja, es war eine verbotene Beziehung. Natürlich war es pervers. Aber in unserer Beziehung wurde keine Gewalt angewendet, und wir waren sehr glücklich.
Nachdem meine Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wurde, zogen sie in eine andere Stadt um. Ich begann, allein zu leben und hatte kaum noch Kontakte. Wir tele- fonierten heimlich und trafen uns im Hotel, das wir für unser Liebesspiel benutzten. Mein Vater musste dafür eine zehnstündige Busreise auf sich nehmen. Ich wusste nicht, ob meine Mutter daran glaubte, dass unsere Beziehung beendet war, oder nur so tat. Mein Vater sagte mir, dass sie sich von dem Tag an nie wieder körperlich geliebt hätten. Vielleicht war das eine Lüge. Weil es mich störte zu wissen, dass sie sich liebten.

Heute wird mein Vater nach einer langen Reise im Hotel auf mich warten.
Es war 8:00 Uhr geworden. Ich schaute auf das Schau- fenster der Buchhandlung aus meinem Traum. Ich ging raus und kaufte Lebensmittel ein. Ich ging zur Bank. Ich war wie vor jeder Verabredung aufgeregt. Nachdem ich zu Hause angekommen war und gerade etwas aß, klingelte das Telefon. Es war mein Vater. Er war angekom- men und würde in einer Stunde im Hotel sein. Ich zog meine Unterwäsche aus und zog ein Jeans und ein T-Shirt an. Ich band mir die Haare am Nacken und rannte aus der Wohnung. Seit zwei Wochen hatten wir uns nicht gesehen und ich hatte große Sehnsucht nach ihm.
Alles war so wie in meinem Traum. Die Häuser, die Gesichter, die Gärten wurden ungepflegter. Die Gesichter der Menschen an den Straßen -sogar die der Hunde- waren hoffnungslos, usw, usw...
Wie in meinem Traum, den ich am ersten Tag sah, stieg ich aus dem Taxi vor dem Hotel Tsezni aus, das mir von Anfang an merkwürdig vorkam. An der Rezeption nahm ich von dem schläfrigen Portier den Schlüssel für das Zimmer 13. Er lacht mich an und zeigt mir dabei seine faulen Zähne samt das Zahnfleisch. Er rief noch hinter mir:
„Dein Alter ist noch nicht da!“
Ich ging auf das Zimmer hinauf. Ich dachte an den Traum und lächelte. Wie ich doch als ein artiger Hund mitten im Zimmer saß... Der zersprungenen Spiegel, in den ich ab und zu schaute, um zu sehen, ob ich immer noch ein Hund war, die dreckigen Tapeten... Alles war so wie früher und wie in meinem Traum.
Ich öffnete das Fenster bis zum Anschlag und zog mich aus. Ich hing meine Kleider in den Schrank. Ich wartete nicht lange. Bald darauf kam mein Vater. Lautlos zog er sich aus und band sich die Augen zu. Als er sich neben mich legte, begann ich, ihm den Traum zu erzählen. Er fand ihn lustig. Ich sagte, „Soll ich vielleicht die Bibliotheks- angestellte mit ihren breiten Hüften wie eine Kuh fragen, 'Haben sie schon mal Sex mit ihrem Vater gehabt?'“
Mein Vater lachte laut. „Ich hoffe, dass sie noch röter im Gesicht wird, als damals, als sie uns in der Bibliothek beim Liebesspiel erwischt hatte.“
Dann sagte ich, dass der Hund in meinem Traum mich sehr beeindruckt hätte. Ich glaube, das hörte er nicht mehr. Seine Zunge und seine Hände erforschten gerade meinen Körper. Er fragte nur, an welcher Stelle des Traumes ich aufgewacht sei. „Ich sagte gerade zu dir, dass ich es nicht ertragen kann, zu wissen, dass du mit meiner Mutter schläfst. Das sagte ich mehrere Male. Du antwortetest darauf, dass du in mir wärest und immer dort bleiben möchtest. Als ich diesen Satz von dir hörte, wachte ich auf.“
Mein Vater lachte:
„Wir machen keine Liebe mehr“, sagte er. Seine Stimme wurde sanfter. Während er sagte, „Außerdem bin ich jetzt in dir und möchte immer dort blieben“, klang seine Stimme wie ein leises Knurren.


Es war sehr heiß. Ich bekam Angst, dass ich wie ein Wassertropfen verdampfen und verschwinden würde. Die Passanten liefen in der breiten und sehr belebten Straße auf dem schmalen Schattenstreifen, der sich auf der rechten Seite befand. Ich hatte nicht die geringste Idee, wie ich die übrige Zeit ausnutzen sollte, nachdem mein Vater die Stadt verließ.

Impressum

Texte: (c) artemis.
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2009

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