Cover

Kennst Du das auch?

Da begegnet dir ein Mensch und du spürst sofort, dass er wichtig ist für dich.
Dass er nur aus diesem einen Grund in dein Leben getreten ist, um dir dabei zu helfen, herauszufinden wer du bist und sein willst.
Ein Mensch der dir das Gefühl gibt wichtig zu sein, für ihn und für dich selbst.

In Gedanken sehe ich dieses Buch vor mir. Ein Buch mit vielen tausend leeren weißen Seiten.
Früher war da diese Angst, dass diese Seiten sich niemals füllen werden und ich immer nur auf dieses grelle Weiß starren muss, was so schwer wiegt in meiner Hand.
Dieses Weiß war so kalt wie der Schnee draußen, der die Stadt einhüllt und mit der Zeit zu einer schmutzig grauen Masse wird.
Nur für kurze Zeit glitzert er im Neonschein und fast zärtlich wirken die Kristalle, wenn sie aus luftigen Höhen in den Abgrund gleiten.

Die Leere war es, die mich ans Laufen brachte. Irgendwann fing ich an zu rennen, immer auf der Flucht, nicht nur vor anderen, sondern hin und wieder sogar vor mir selbst.
Da war immer diese Unruhe in mir, die mich vorantrieb, als Motor für diese Stetigkeit, die so vorhersehbar war, wie das nicht bleiben zu können.
Anzukommen entpuppte sich als Illusion, der ich mich eh nie hinzugeben vermochte.
Denn es blieb nie etwas so wie es war und es war nie etwas wie es ist oder sein würde.
Und in jeder Nacht dann diese wiederkehrenden Träume in der Schlaflosigkeit, die mich laufen ließen, ohne jemals zu Atem zu kommen.

Und ich lief und lief und lief, weg vor diesen weißen Seiten gejagt von meinen eigenen hämmernden Gedanken im Kopf mit neuen Visionen vor Augen, ohne den Blick rückwärts zu richten. Weg von dieser Leere, die mir dieses Buch vor Augen führte.
Zum Schutz baute ich um mich herum eine Mauer, die mit der Angst korrelierte.
Und doch wusste ich immer, dass da etwas war, was mich verfolgte im Schatten meiner selbst und selbst durch den dicksten Stein drang, ohne dass ich es aufhalten konnte.
Schwer trug ich an meinen Fehlern und an der Schuld, die ich auf mich geladen hatte, mit der Einsicht, dass nur dazu stehen wohl das Beste ist.
Ich lief weiter und lief und lief und lief.
Immer wieder ging es durch Berg und Tal, ohne Unterlass dafür mit Adrenalin als peitschender Trieb, dem selbst kein Ende zu setzen.

Mal waren es dunkle Einöden, wüstenartige Gebilde, schwarz in grau, wo der Durst die Eingeweide ausdorrte und das Herz sich vor Schmerzen zusammenkrampfte.
Dann wieder lief ich durch braun grüne Wälder, durch die der Sturm brauste und der Regen sich in meinem Haar verfing. Das weiche Moos tat meinen wunden Füßen gut und dennoch flüchtete ich immer wieder vor diesen Stimmen, die sich in den rauschenden Blättern verfingen und damit zum Echo mutierten.
Manchmal erklomm ich Eisberge und spürte nicht einmal den Schmerz des Erfrierens.
Dem folgten Feuerfluten, die zwar die Glut in mir entfachten, dafür aber nicht wärmten, weil sie doch wieder erloschen.
Prickelnde Momente erlebte ich im Flug, genießend, ohne nach einem Notlandeplatz Ausschau zu halten.
Ich lief weiter und immer weiter, vom Unsichtbaren gejagt, weil mich nichts festhielt in dieser verdammten Bedeutungslosigkeit, der ich mich freiwillig stellte.

Es war nie an der Zeit anzukommen oder zumindest zu rasten, um endlich mal ein wenig zur Ruhe zu kommen und um damit diese leeren weißen Seiten zu füllen.
Zuweilen war es auch der bequemere Weg einfach wegzurennen, dann wenn das Fell nicht ausreichte und schützte, weil es zu undicht war und zuviel Ungemach hindurchließ. Erdrückende Enge konnte ich nie ertragen, also floh ich so schnell ich konnte, nicht nur um des Laufens willen.

Und mitten in diesem verdammten Lauf begegnet mir ein Mensch und hielt mich einfach so abrupt an, dass ich sogar noch ins Straucheln kam, weil ich nicht darauf vorbereitet war.
Mit seinen Fingern strich er mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht, um dann meine heiße Stirn mit seiner Hand zu kühlen.

In der Abenddämmerung nahm er mir dieses kleine Buch aus der Hand und begann die erste leere Seite zu füllen.
In jedem Wort konnte ich seinen Herzschlag hören, und spürte wie sich seine Ruhe auf mich übertrug.
„Irgendwann“, sagte er, „schreiben wir hier gemeinsam Wort für Wort und Zeile für Zeile.
Wir werden die Seiten füllen, so ganz ohne Vergleiche und Metaphern, nur mit dem Rhythmus unseres Pulsschlages.
Die Worte werden die Deutung unserer Blicke und die Berührung unserer Finger auf unserer Haut widerspiegeln. Es wird nach Dir riechen und nach mir schmecken. Und das Besondere an diesem Buch wird es sein, dass mit jeder gefüllten Seite sich eine neue leere hinten anfügt. Es wird ein Buch sein, welches in der Singularität beginnt und in dieser endet.“

Er sprach so vollkommen ruhig zu mir und doch spürte ich, dass er auch schwer an einer Last trug. In seinen Augen lag genau der Schmerz des Lebens, den ich nur zu gut kannte.
Aber ich glaubte und glaube ihm. Und das Seite für Seite.

In der Abenddämmerung standen wir dann da oben auf dieser Klippe. Vor uns der Abgrund in tiefdunkler Nacht. Wir brauchten kein Wort zu sagen, da das Fühlen so viel mehr war.
Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und das nahm mir die Angst.
Die Angst vor diesem Sprung in die Tiefe eines Rausches der Leidenschaft und des Gefühls.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet Dir und der Nacht. Du legst Dich zu mir Haut an Haut und malst geheime Zeichen auf meinen Rücken Wiederum nutzend die Gunst der Stunde und ich lese es von deinen Augen ab verstehend in der Wortlosigkeit.

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