„Lass mich endlich in Ruhe und verschwinde aus meinem Leben.“
Ihre Stimme klang schneidend und ein wenig zu schrill. Aber auch das war ihr egal.
Zu lange galt es ein Spiel nach seinen Regeln zu spielen, und selbst einmal zuviel war bereits schon überschritten.
Wenn man sie fragte, warum sie es sich selbst ja doch immer wieder antat, blieb ihr
zu guter Letzt nur noch ein hilfloses Schulterzucken.
Der Kaffee, den sie trank, wärmte wenigstens von innen heraus, während äußerlich eher eine Eisschicht ihre Haut überzog.
Vielleicht wäre ein Whisky das geeignetere Mittel, um wenigstens die Kehle freizubrennen.
Mittlerweile hasste sie es, wenn das Telefon schellte und sie nur die ersten Zahlen brauchte, um zu wissen, dass er nach ihr rief.
Und ihm verlangte nach ihr. Immer und immer wieder.
Sogar nachts erschien er ihr in den Träumen, als hässliche Fratze eines unsäglichen Dämons, um Besitz zu ergreifen, von dem, was er als Trophäe dann letztendlich verstauben lassen konnte.
Irgendjemand besiegt immer einen anderen und wendet sich dann ab, um lieber den Triumph zu feiern, als sich umzuwenden.
Auch der Torero dreht nach dem Todesstich lieber nach vorne schauend stolz unter frenetischem Beifall seine Runden, anstatt in die traurig leblosen Augen des Stieres zu schauen. Er könnte womöglich eine Anklage darin erkennen.
Nur würde sie nicht anklagen. Sie hatte nur mittlerweile gelernt seinen Egoismus zu verachten, der zumindest für sie ungesund war.
Es war totenstill in diesem kleinen Raum und dennoch verstärkte genau dies den dumpfen Ton des Hammerschlags in ihrem Kopf.
In eintöniger Taktfolge pochte es von innen heraus und sie hielt sich die Ohren zu, als würde sie damit den Schmerz eindämmen können.
Sie war nur froh endlich allein zu sein.
Im Zimmer roch sie noch seinen kalten Schweiß, vermischt mit dem teuren Eau de Cologne, von dessen Duft sie früher nie genug bekommen konnte.
Alles hatte sich verändert, nicht nur der Duft, oder er oder sie. Es war einfach alles, wie in eine große Schüssel geworfen, vermengt und vermischt.
Es war auch gar nicht so plötzlich gekommen, eher schleichend, dafür unaufhaltsam.
Und Gleichgültigkeit war gerade jetzt als Schutz gut geeignet. Und sie konnte schreien, endlich schreien.
Vielleicht war es gut, dass Worte endlich ihren Weg gefunden hatten, auch wenn es nicht leicht war, gerade jetzt wo alles sich so tief eingefressen hatte und nach außen hin brannte.
Sie wäre jetzt gerne so was wie Heldin gewesen, fühlte sich aber schwach und klein und hätte sich am liebsten in einem tiefen Loch vergraben um alle Gedanken unwiderruflich auszulöschen.
Aber vergraben konnte man vieles, nur nicht wegrennen vor dem was einen doch immer wieder einholt.
Auch vorher gab es immer wieder Momente, da wünschte sie sich diese Neutralität zurück, in der die Unbeschwertheit sich durch die Unbefangenheit breit machen konnte.
Keine Gedankenknoten, die sich ihren Weg durch Gehirnwindungen suchten und nichts als Schmerzen verursachten.
Sie erinnerte sich an dieses Leben in dem kleinen Ort, wo die Farben noch ein wenig fröhlicher leuchteten. In dem Elternhaus gab es immer wieder Schutz und wenn nachts die Träume kamen, war jemand da, der sie hielt.
Gedankenverloren schaute sie in die Glut ihrer Zigarette. Sie rauchte zuviel und sie hatte Angst, dass irgendwann wieder der Atem rebellieren würde.
Trotzdem war es gut, dass sie es endlich gesagt hatte.
Vielleicht hatte er selbst sogar darauf gewartet. Gewartet, dass sie endlich den Mund aufmachte, Renitenz zeigte und einfach nur endlich sich zur Wehr setzte, ihm seine Grenzen aufzeigend.
Aber immer wieder war da nur dieses laute Schweigen, welches die Räume immer enger werden ließ und das Nichtwissen zur Qual machte.
Heute hatte sie zum ersten Mal geschrieen und selbst gespürt, wie sich der Ring von ihrem Brustkorb löste. Es war an der Zeit, weil das ganze Aufgestaute sie von innen aufzehrte und sie ihre Gedärme wie unter Feuer spürte und keine Luft mehr bekam.
Nie war es ihr bewusst gewesen, wie feige sie eigentlich die ganze Zeit war, nichts von dem zu sagen, was sie dachte und was fehlte.
Die Zeit ist niemals gnädig, und sie war es am wenigsten zu sich selbst.
Und dennoch hatte sie jetzt die Möglichkeit wenigstens im Danach das Gewesene zu löschen, indem sie weitergeht ohne sich umzublicken und damit die Vergangenheit als solche zurücklässt.
Glaubst du noch oder weißt du schon?
Glaubst Du,
Du würdest mich wirklich finden
in diesem Gewirr aus Buchstaben
in dem ich mich schon längst
freiwillig verloren habe?
Glaubst Du,
ich würde wirklich die Wirklichkeit verkennen,
die ich selbst nie in Frage gestellt habe
um mich darin zu platzieren,
weil ich mir treu bleiben muss?
Glaubst Du,
ich könnte nicht die Gleichung bilden
aus der Summe mit den Unbekannten,
die Du mir an die Hand gegeben hast,
deren Lösung für mich ganz einfach
aus der Summe meiner Einsichten zu ziehen war?
Glaubst Du,
ich würde das Spiel nicht auch beherrschen,
und lachen über den Narrn,
den ich selbst mime,
und Dir deinen Triumph gönne,
auch wenn er in Deinem Hass
meine Niederlage bedeutet?
Glaubst Du,
Du kannst morgen noch in den Spiegel schaun,
weil Du nicht den Glauben an Dich selbst verloren hast,
und die Werte Deines Ichs auf festem Fundament stehn,
weil Du weißt woran ich glauben möchte
und nicht mehr weiß was ich glauben soll?
Glaubst Du wirklich,
die Berechnung Deiner nächsten Züge
war vom Ergebnis her korrekt,
weil Du meintest mich zu kennen
trotz oder gerade, weil ich nicht in Frage stelle
und Du so viel klüger bist
als ich mich von diesem verdammten Gefühl her gebe?
Komm sag mir, was glaubst Du?
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Hinter uns verbrannte Erde
Trümmer einer guten alten Zeit
am Himmel ein Viertel des Mondes
im Garten vergraben die letzte der Illusion
Unbedarftheit der Gedanken
im bewundernden Entsinnen
an jene Unverwüstlichkeit des Lebens
die wir ihm gaben,
als alles noch so einfach schien