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„Seit wann weißt du es?“
Fast eine Spur zu schnell verließen die Einsilbenworte seine Lippen, um eine desinteressierte Wirkung zu unterstreichen. Und doch interessierte es ihn nicht wirklich, und wenigstens ihr brauchte er nichts vorzumachen.
Sie lief, gerade aus der Dusche kommend, nackt durch den Raum, weil die Nässe ihrer Haare noch ihren Rücken runterperlte und es so wenigstens ein wenig Abkühlung versprach.

„Spielt das eine Rolle?“, erstaunt sah sie ihn an.
Sie hatte keine Lust jetzt sinnlose Reden zu schwingen und erst recht nicht, das Gehen durch Buchstabenanreihungen zu verzögern, vor allem nicht, weil der Raum eh keinen Platz für sie beide bot.
Es war an der Zeit sich schnellstmöglich aus dem Staube zu machen, bevor dieser durch Einatmen sich auf die Lungen setzte und quälenden Hustenreiz auslöste.
Gott sei Dank würde er jetzt nicht mit der „es tut mir leid“ –Nummer kommen, dafür kannte sie ihn zu gut. Wenigstens war die Lüge nie sein Ding und sie hatte ihm wohlweislich verschwiegen, dass sie Ersteren oftmals zu gerne Glauben geschenkt hätte.
Wer hat eigentlich den Satz geprägt, dass Verlust manchmal einen schalen Beigeschmack hat?
Was für ein Unsinn.

Für einen kurzen Moment schaute sie raus zum Fenster. Die Sonne ging gerade auf und erstrahlte in einem Gelb, welches sie an die Rapsfelder erinnerte, die sie auf der letzten Zugfahrt bewundert hatten.
Egal, selbst die Himmelskörper nahmen keine Rücksichten.
Im Schutz der Dunkelheit ließe es sich gerade besser gehen.

„Hatte ich gestern keinen BH an, als ich gekommen bin?“ Sie schaute sich suchend im Raum um und stellte gleichzeitig fasziniert fest, wie schnell die Erinnerung schwinden kann.
Er würde sich morgen nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern und sie würde sich fragen, was sie eigentlich die letzten Nächte gemacht hatte.
Überhaupt, sie waren schließlich beide Spieler, da stand keiner dem anderen in etwas nach.
Er suchte nach Ersatz und auch Ablenkung aus der Rationalität und sie nach einem Fluchtpunkt aus dem Alltag, der stressig genug war, um sich nicht auch mal der augenblicklichen Anlehnung hinzugeben. Da kam der Wahnsinn gerade recht und verrückt genug waren sie beide. Und wenn es anders wäre, im Simulieren war sie schon lange geübt. Die Verachtung in seinem Blick sprach schon lange Bände. Damals hatte er sie wenigstens noch gehasst, was er heute eher als Bedeutungslosigkeit bezeichnen würde. Heute hatten sie nur die Rollen getauscht und sie merkte für sich, dass das Wissen und damit die Erkenntnis hilfreich war, um endlich jeden einzelnen dunklen Fleck auszuradieren und das Weite zu suchen.

<Irgendwann wird jemand kommen und mir meine Maske ohne ein Wort des Bedauerns abreißen>, dachte sie heimlich für sich. Wahrscheinlich wäre es ratsam sich schon jetzt eine gute Ausrede parat zu halten. Sie hasste es zu durchsichtig zu erscheinen.

„Ich habe es von Anfang an gewusst, aber es war mir gleichgültig. Denn du musst damit leben, außerhalb meines Horizontes," sagte sie leise und mehr zu sich selbst.
Die Antwort interessierte ihn am wenigsten und war bereits schon vor dem Verlassen der Lippen der Egalität übergeben.
„Du hast damals dich einmal schon zuviel über mich lustig gemacht und gemeinsam mit ihr über das Klischeebild der kleinen sensiblen Liebenden gelacht, welches nur einen bedeutsamen Fehler hatte. Es entsprach nicht der Wirklichkeit. Aber ich hab mich köstlich amüsiert.
Aber keine Sorge, ich stehe mir selbst auch oft genug befremdlich gegenüber deswegen sogar mit mir ab und an auf Kriegsfuß. Alles halb so wild, wir sind alle nicht fehlerfrei und auf einen mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr drauf an.
Ich hab dich damals in die Wüste gewünscht und das ist heute nicht anders, nur mit dem Unterschied, dass ich dir heute noch genügend Brot und Wasser dazu wünsche. Nicht weil ich ein zu guter Mensch bin, sondern aus Mitleid.“
Jeder ihrer Sätze war wohlbedacht und sie empfand sogar so etwas wie Stolz, weil sie an keiner Stelle stockte.

Sie liebte diese Spiele bei denen man den nächsten Zug genau überlegen muss. Die nicht ohne Strategie zu gewinnen sind. Und dieses Mal waren sie beide keine Liebenden gewesen. Er war nur Teil einer Reihe von schlaflosen Nächten gewesen. Nächte, die irgendwann dem Morgengrau weichten und die man ad acta legt, wenn eh schon nichts mehr bleibt. Noch nicht einmal der Hass und ein Triumph schon gar nicht.
Bevor sie ging, zog sie ihre Lippen rot nach. Es war ein kräftiges Rot, was ihre Kälte noch ein wenig mehr unterstrich.
Morgen würde sie zum Frisör gehen. Blond würde passen.
„ Wenn du meinen BH findest, schmeiß ihn einfach auf den Müll. Wie alles andere auch.“

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.07.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Es gibt Dinge, für die es leichter ist Verständnis zu haben, als sie zu begreifen. Und gewisse Dinge muss man auch gar nicht verstehen, sondern sollte sie einfach nur annehmen ohne nach dem Warum zu fragen.

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