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Und jetzt gehe ich weiter, auch wenn mir der Wind rau ins Gesicht weht und ich nicht weiß wohin der Weg führt.
In Gedanken bin ich bei Dir, fühle was Du fühlst und spreche das, was Du gerade denkst.
Diese Gedanken sind Empfindungen und Assoziationen die mit Deinem Bild einhergehen. Nur werde ich nie wieder ein Nein akzeptieren, weil ich niemals bereuen möchte, etwas nicht getan zu haben.




Solange ich zurückdenken kann, waren wir immer Fünf. Fünf Menschen, die in Freundschaft verbunden waren dennoch ihren eigenen Weg gehend.
Fünf Freunde, die sich nicht anhielten, um als Konsequenz aneinander festzuhalten.

Damals war unsere kleine Welt, die wir miteinander teilten, hell und leuchtete in bunten Farben. Immer hatte irgendeiner von uns einen Pinsel in der Hand, um dunkle Stellen wieder mit kräftiger Hand in Rot oder Gelb zu übermalen.
Es war ein Gefühl der Geborgenheit, das damals unsere Welt überdeckte und wir nahmen es mit auf jedem unserer weiteren Wege.
Ich denke, dass all das, was wir damals gemeinsam erlebten, uns sehr stark geprägt hat, vor allem mit dem Wissen, niemals alleine zu sein, auch wenn gerade keiner an unserer Seite ist.

Tom war immer mein bester Freund und mit ihm verband mich das ganz Besondere
Ich liebte seine Geschichten, die er schrieb und mir immer unten am Bach vorlas.
Jedes einzelne Wort darin war ein Puzzleteil zu einem einzigartigen Bild, das er entwarf und sich vor mir in leuchtenden Farben auftat.
Auch heute noch, wenn ich seine Reiseberichte lese, sehe ich uns unten im Gras liegen, darüber hinwegfliegende Wolken und mich in eine andere Welt denkend.
Jedes Land erlebe ich wie Tom es sieht, in seiner ganzen Einzigartigkeit und Besonderheit, so, als wenn ich an seiner Seite zugegen wäre.

Unsere Lieblingsstadt ist Sevilla, in der man immer noch die Anwesenheit von Carmen, Figaro und Don Juan spürt. Auch wenn ich dieses Juwel schon selbst mit eigenen Augen gesehen habe, erlebe ich es mit Toms Augen vollkommen anders, farbenprächtiger, imposanter, ein übergreifendes Bild mit einer Mischung aus jung und alt, Zeit der Mauren, Renaissance und Moderne, untermalt von den ergreifenden Tönen des Flamencos.

In Toms Bild spüre ich die gotische Kühle der Kathedrale, genieße den herrlich weitläufigen Blick vom La Giralda, fühle mich in einer fremden Welt, als wenn noch der Ruf vom Minarett erklingt.
Im Stadtteil Triana erlebe ich das ursprüngliche Sevilla, mit Flamenco tanzenden Zigeunern und im Hafen singenden Matrosen.
Carmen becirct gerade ihren Jose, der in rasender Leidenschaft zu der Angebeteten entflammt.
Im Alcazar sehe ich mich in die Zeit von Columbus zurückversetzt und kann sogar die duftenden Blumen in den herrlichen Parkanlagen riechen, aber ich spüre auch noch die Aura des Königs Pedro I, der mit dem Ruf als „der Grausame“ in die Geschichte einging.
Auf der Plaza de Toros de la Maestranza marschiert gerade der Torero stolz erhobenen Hauptes ein und in der Maestranza leide ich während des Kampfes mit dem Stier, der bis zum letzten Atemzug tapfer und nicht aufgebend kämpft.
Ich sehe die Kunstwerke von Velasquez und Murillo in herrlichen Farben vor mir und
lasse mich darin fallen.

Durch Toms beschreibende Bilder erlebe ich all die überschäumende sinnliche Lebensfreude, in feuerroten Farben glühend, gemischt mit vielsagender beruhigender Gelassenheit, die man nur in Sevilla spürt, wenn man es mit Toms Augen sieht.
Kein anderer vermochte es so wie er mit Worten zu malen.
Er verführte mich auch in Welten furchtlos einzutauchen, die allesamt so fremd und unwirklich erschienen, um dennoch das Erleben mit spannender Erwartung zu genießen.
Ich konnte stundenlang seiner sanften Stimme lauschen, wenn er mir aus den “Blumen des Bösen” vorlas oder Miguel de Cervantes zitierte. Ich sah Dulcinea mit langem schwarzem Haar vor mir, litt Höllenqualen im Tod von Morella und empfand Schmerz mit Justine ebenso wie mit Juliette.
Schon damals offenbarte Tom mir den Blick über den Tellerrand um mir das Bewusstsein für das Mögliche zu öffnen, ebenso das Risiko nicht scheuend aus Unmöglichem das Mögliche zu machen.


Mit Tom war sogar Schweigen schön. Es war niemals das Gefühl fehlender Worte da. Denn wenn auch sprachlos, blieb nichts unausgesprochen.
Bis heute haben wir uns das bewahrt, immer wissend auch auf die größte Distanz hin, was der andere fühlt, wie es in ihm ausschaut und ob es ihm gut geht.
Ich bin mir sicher, Tom kennt jeden meiner blauen Flecke, auch wenn ich manchen zu verheimlichen suche. Selbst dann konnte Tom schweigen und einfach nur da sein.
Er wusste eigentlich immer, wann ich eine Maske brauchte um vor mir selbst geradestehen zu können und er ließ sie mir ohne Worte, einfach nur wissend.

Selbst in der Ferne spürte er wenn der Sturm brauste und so ein blöder Schmerz in mir rumwühlte und sich ein Korkenzieher im Herz drehte.
Er kannte mich zu gut, als dass ihn ein Lachen drüber hinweg täuschen konnte.
Nichts konnte ihn dann aufhalten, er war dann einfach da, manchmal auch nur zum Schweigen.
Genau wie damals, als ich mich nach langer Zeit wieder aufgemacht hatte
um die Wärme zu spüren, die für mich nur in Andalusien von meiner Haut nach innen dringt um dort die Glut eines lodernden Feuers zu entfachen.
Es war auf dem Flughafen von Jerez, als dieser Fremde so plötzlich und unerwartet vor mir stand.


„Komm ich zeig dir meine Welt, “ waren seine einzigen Worte.
Er kam aus dem Nichts und irgendwie war ich nicht vorbereitet auf diesen Mann, der zwar leise sprach, aber eher wie ein heftiger Wind daherwehte.
Er war groß und ich musste zu ihm aufblicken ob ich wollte oder nicht. Sein schwarzes Haar trug er kurzgeschoren, was meinen Blick ins Gesicht zog, welches sich mir gelebt zeigte.
Ein paar Narben durchbrachen die Ebenheit, dennoch waren es die Augen, die bestachen.
Grün war nie meine Farbe, weder an mir noch um mich herum, aber sein Grün kam aus der Tiefe, dem Strudelsog in einem Bergsee gleich, dem man sich nicht entziehen konnte.Seine Kleidung war schwarz, und nie sah ich etwas anderes als dieses tiefgründige Schwarz ohne farbliche Abgrenzung oder Aufhellung. Nur das Grün seiner Augen gab den einzig vorhandenen Kontrast.
Ich weiß nicht, wie lange er mich vielleicht schon beobachtet hatte. Ich war selbst in meinen Gedanken vertieft, weil ich mittlerweile müde war von den vielen Abschieden, die doch immer wieder kamen, ob ich wollte oder nicht.
Immer wieder dann, wenn ich mich an dieses Land gewöhnt hatte, an diese flirrende Hitze an eine andere Mentalität und überhaupt ein anderes Leben, trieb es mich wieder fort, weil es sowohl ein Hier als auch ein Dort gab, was ich nicht missen wollte.

“Komm ich zeig Dir meine Welt.“ Diese Worte haben sich in mir eingebrannt, denn er hat mir sein Land gezeigt, so wie ich es wahrscheinlich nie wieder erleben werde. Es war ein Rausch, psychedelisch wirkend, mit Zeitsprüngen von tausenden an Jahren, unterschiedliche Kulturen und verschiedene Mentalitäten.
Und immer begleitete uns ein frischer Wind, der den Duft von Orangenhainen mit sich brachte und ich hatte das Gefühl, dass silbrige Fäden durch die Luft flirrten.
Es war nur ein Augenblick, aber berauscht voneinander sogen wir alles gegenseitig auf was wir gaben und nahmen das mit.
Es reichte für die Zeit danach, da wo die Vergangenheit beginnt, die immer jedem dieser Momente folgt.

Vieles hat sich im Laufe der Zeit verändert.
Wir haben uns verändert, aber mit dem Wissen, dass vieles geblieben ist, weil es uns wert war daran festzuhalten und es uns zu bewahren.
Sevilla wird immer ein Teil meines Lebens bleiben, genauso wie Tom und die Erinnerung an diesen Fremden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.03.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
„Quien no ha visto Sevilla - no ha visto maravilla!“ Wer Sevilla nicht sah, hat noch kein Wunder gesehen! [aus dem Spanischen]

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