Viele Erinnerungen sind wie spitze Felsen im Meer.
Mit der Zeit vermag es der Brandung vielleicht bei einigen gelingen sie abzurunden, so wie der Wind bestimmt, welche Form der Stein infolge der Abrasion hat.
Der gierige Zug an der Zigarette tat ihr gut, mit seiner so scheinbaren Wirkung der Beruhigung.
Zumindest spürte sie den Rückzug des Blutes aus jedem Endglied des Körpers und erhoffte sehnlichst das Erreichen der erlösenden Wirkung im Kopf.
Langsam schien es, dass auch das Wirrwarr der Gedanken langsamer floss um sich vielleicht irgendwann im Nichts aufzulösen, um so wie der Rauch in diesem unterzugehen.
Der Tag war nicht sonderlich gut. Der neue Auftrag erforderte Konzentration und keine abschweifenden Gedanken.
Sie hasste es, wenn man an ihr zerrte und sie damit aus dem Gleichklang der Schritte brachte.
Und gerade jetzt, wo sie mit all diesem Aufräumen, Ordnen und Wegschmeißen zu viel zu tun hatte, versetzten Störungen jeglicher Art alles um sie herum in Unruhe und brachten alles und vor allem sie aus dem Gleichgewicht.
Der Rauch der Zigarette brannte auf ihrer Zunge mit jedem weiteren Zug etwas mehr.
Wie schnell alles doch wegbrennt. Wie lange brennt die Zigarette, 8 oder 10 Minuten des Vergessens?
Bei diesen Selbstgerollten ging es sogar noch schneller, bevor sich alles im Nichts aufgelöst hatte.
Manches war eben gut, wenn es verging.
Vielleicht sollten auch so manche Gedanken in der Unendlichkeit einfach nur verschwinden.
Sie sollte weitermachen mit dem Aufräumen. Zuviel Unordnung machte sie nervös.
All diese Hinterlassenschaften lagen im Weg und waren dadurch mehr als hinderlich.
Wie lange war sie jetzt schon dabei? Manchmal ging eben nichts, dann stand sogar sie selbst sich im Weg.
Aufgeschoben hatte sie schon viel zu lange. Selbst immer wieder nach Ausreden gesucht und diese auch gefunden.
Konnte man durch Aufschub den Konsequenzen entgehen?
Das neue Leben begann so viel versprechend.
Die neue Wandfarbe versprach ein mediterranes warmes Gefühl.
Sie hatte lange danach gesucht, manchen Verkäufer zur Weißglut getrieben, um endlich das Gefühl des andalusischen Sommers einzufangen, um es in ihre eigenen Wände zu holen.
Alleine schwang sie dann den Pinsel um sich beim ersten Besehen dem Stolz hinzugeben, ihr erstes eigenes Werk zu betrachten.
Auch wenn es nicht so perfekt war, hier und da die Farbe etwas uneben verliefen, war doch hier der erste Schritt des Aufräumens innen sowohl als außen getan.
Die Wahl bei den neuen Möbeln fiel dann etwas schwerer. Fast so schwer wie damals bei dem ersten Schritt in diese neue doch so unbekannte Unabhängigkeit.
Zu gehen und das auch noch in eigener Verantwortung mit allen zu tragenden Konsequenzen fiel nicht leicht. Auch hier zog sie sich immer wieder durch Aufschub aus der Angst.Und doch hatte der Kopf dann den ersten Schritt verlangt, dem weitere folgen mussten.
Das Bett brauchte nicht so groß zu sein, ihr reichte ein kleiner Platz, wo sie zumindest versuchen konnte Schlaf zu finden. Seltsam war schon, dass ihr mit dem Älterwerden immer weniger von der nächtlichen Ruhe reichte.
Ohne Hilfe ging der Aufbau der neuen in weiß gehaltenen Schränke nicht, dafür malte sie wieder die ersten Bilder. Nicht mehr so trist mit zartem Pinselstrich, sondern in lebendigen Farben mit fester Hand.
Stolz war sie auf ihre erste Mondspiegelung in dem seichten Wasser, wo sie oft ihre Erinnerungen hintrieben. Dieses fließende Verlaufen der Gelbtöne, die in einem fast samtigen Weiß mündeten hoben sich im perfekten Kontrast von dem Tiefblau des Sees ab und gaben an wärmendes Gefühl.
Bei der Orchidee musste sogar sie selbst lachen, trotzdem tat ihr auch Abstraktheit ganz gut.
Sie nahm einen nächsten Zug von der Zigarette und dachte ans erste Wegräumen.
Es war der nächste Schritt, der doch umso schwerer fiel.
Es sollte nicht wie so oft vorher dieses erneute Aufheben und Wegschließen sein, als vielmehr die endgültige unabdingbare Trennung durch Entsorgen von Dingen die keinen Platz mehr hatten in ihrem Leben.
Immer gab es einen Grund Erinnerungen aufzubewahren um daran festzuhalten in Gedenken an bessere Zeiten.
Manches war gut, trotz des so oft gefühlten Ungleichgewichts. Dennoch waren gerade diese Dinge der Hemmschuh für den nächsten Schritt, auch wenn sie gut verschlossen in einer der Schubladen ruhten.
Sie waren immer greifbar und nichts war gelöscht.
Und doch war auch der Kopf ein guter Tresor.
Es gebrauchte dann ein langes Stück Anlauf um den ersten Sack zu füllen.
Ohne hinzuschauen mit dunkler Brille zur Tarnung fielen die Erinnerungen an unwiederbringliche Zeiten in ihn hinein um dann, durch das Verschnüren, der Löschtaste zum Opfer zu fallen.
Auch wenn sie bei dem einen oder anderen Stück noch das Pro und Contra abwägte, es auch noch wieder an einen sicheren Ort verstaute, trieben sie dann doch die rückwärtigen Gedanken zum finalen Cut.
Nur das Nichts war es was zum Neuanfang trieb, und damit wurde die Konsequenz zum Ziel.
Die Zigarette brannte im Aschenbecher nieder, während sie sich von Tim Hardins “Hang on to a dream” begleitet, ins neue Sofa einkuschelte.
Vielleicht würden traumlose Nächte mit ruhigem Schlaf folgen oder irgendwann auch mal wieder ein neuer Traum, der sie dann vor die Wahl stellte Erinnerungen zu bewahren oder zu löschen.
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2009
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Widmung:
Wir haben immer so wenig Vertrauen in den Gezeitenwechsel des Lebens.
Wir jubeln frenetisch wenn die Flut hereinbricht und schöpfen maßlos aus dem Vollen inständig hoffend, dass es immer so bleiben möge. Bei Ebbe wehren wir uns erschrocken fordern wieder Beständigkeit, Haltbarkeit und Fortdauer.
Ganz vergessen hat man, dass die einzige Möglichkeit des Fortgangs im Wachstum liegt, welches gleichzeitig auch ein Auf und Ab beinhaltet und die Freiheit im Tun.