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"Haben Sie sich entschieden, Frau V? Sie wissen, wir sollten keine Zeit mehr verlieren."

Er sprach mit leiser Stimme, so als sollte sie gar nicht verstehen, was er ihr mitteilen wollte.
Sie blickte auch nur kurz auf, weil genau diese medizinische Kühlheit ihm schon lange vorausgeeilt war.
Sie wusste, für ihn war sie auch nur eine von vielen, der er die Wahrheit schonungslos ins Gesicht sagen musste. Keine Worte mit Bedacht gewählt, eher begleitet von stoischer Ruhe.
Sie war es gewohnt.
Sie stellte auch keine Fragen, vor allem nicht nach dem “wie lange noch”.
Es wäre eh nie genug gewesen.
Eine Weile schaute er sie noch stumm an, als warte er auf eine Reaktion, vielleicht auf Tränen oder Wut, weil das Leben so ungerecht war und sie noch so viel vorhatte , nur das Leben das nicht mehr hergab.

Sie wartete auf die Frage nach dem letzten Wunsch.
Denn dann wäre der Vergleich mit dem Henker der die Todeszelle betritt, gar nicht so abwegig oder skuril.
Die Gefühle waren die Gleichen im Jetzt und Hier, nur etwas weniger dramatisch von der Inszenierung her.


Als er ging, atmete sie auf. Er würde später diesen weißen Kittel ausziehen und leben. Er würde nach Hause gehen, und vielleicht würde seine Frau schon warten und ihn fragen wie der Tag war. Und während einer Umarmung würde er von Stress erzählen und von keinen besonderen Vorkommnissen.
Es musste wohl so sein, weil er durfte sich nicht in diesen Sog nach unten ziehen lassen, der nicht sein Leben war. Mit dem Ausziehen des weißen Kittels warf er auch den Ballast ab, der einfach nicht schwer lasten durfte.
Die Hände würde er immer wieder neu desinfizieren und nur der Geruch begleitete ihn durch beide Welten.

Sorgen machte sie sich nur um ihn. Er wird es nicht so leicht zu akzeptieren wissen, auch wenn sie gemeinsam schon einige Zeit damit lebten.
Sie würde ihn stark machen müssen, ihn trösten für die Zeit danach.
Das war sie ihm schuldig.
Vielleicht könnten sie sich gegenseitig helfen. Bei ihm war sie sich nur nicht so sicher.
Da war so viel Gefühl, was verband, aber dadurch auch weniger Stärke, die aufzufangen vermochte beim letzten Schritt auf den freien Fall zu.

***
Er kam mit Blumen, so wie immer. Und es waren immer Orchideen, nur die Farbe wechselte.
Ihre Ruhe machte ihn etwas unsicher.
Woher nahm sie nur diese gottverdammte Gelassenheit? Gerade jetzt wo alles im Nichts entschwand und jeder Atemzug quälend sich durch einen ausgemergelten Körper zog.

“Wir sollten noch in eine andere Klinik. Es kann nicht sein, dass Du jetzt aufgibst. Nicht jetzt. Wie kannst Du nur da so ruhig liegen ? Wir müssen doch etwas unternehmen.”

Fast trotzig kamen seine Worte über die Lippen. Sie wusste wie es in ihm aussah. Immer dann, wenn er etwas nicht akzeptieren wollte, sah es so aus, als wolle er wie ein Kind mit dem Fuß aufstampfen.
Sie lächelte ihn an.

“Gebe ich denn auf? Ich will einfach nur nicht mehr. Kannst Du das nicht verstehen?
Ich bin müde, siehst Du das denn nicht?
Das Problem ist aber, ich liege hier und es geht um mich. Du kannst nicht akzeptieren, weil Du Angst vor dem Danach hast. Angst vor Deiner eigenen Einsamkeit, vor dieser Leere, die sich vielleicht irgendwann in Dir einnisten wird, wenn Du nichts dagegen unternimmst.
Verdammt, schau mich an. Siehst Du was ich nicht mehr will?”

Sie wusste, dass die Wut ihnen beiden half. Es wäre nicht das Richtige sich jetzt gegenseitig mit Mitleid zu überhäufen.
Sie befanden sich ja schon jetzt im freien Fall ohne Rettungsseil, nur sie hatte keine Angst mehr davor.

Sanft ergriff sie seine Hand.

***

“Erinnerst Du Dich noch an unser erstes Treffen? Mein Gott, was hab ich Dich begehrt.
Und Du trugst dieses schreckliche schwarze Kleid, wo ich Dich lieber nackt bis ins Innerste gesehen hätte.”

“Ich weiß.
Ich möchte keine große Beerdigung. Du weißt wie ich die Stille liebe. Ich will nicht diese große Show mit traurig dreinblickenden Heuchlern. Ich will keine Reden über mein Leben und über mich.
Und wenn ich einen Wunsch noch frei hätte, wünschte ich mir einen rauhen unebenen Steinauf dem geschrieben steht: Sie hatte wunderschöne Brüste.”

Mit der Faust hämmerte er auf den Tisch. “Hör verdammt noch mal damit auf. Red nicht so. Ich will das nicht hören.”

Fast hatte sie den Eindruck als wolle er sie schlagen. Nur um ihr etwas von seinem Schmerz abzugeben.


“Wirst Du bei mir sein, wenn es so weit ist? Ich will nicht alleine sein. Ich glaube nur davor habe ich Angst. Nicht vor dem Danach.
Ich möchte, dass Du Dich dann noch einmal zu mir legst. Ganz nah möchte ich Dich spüren, Deine sanften Hände auf mir und deinen Atem. Noch einmal in diesem Rausch versinken.
Wirst Du da sein?
Und mir helfen, wenn es nicht mehr geht?”

***
Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein paar Schweißperlen hatten sich auf der Stirn gebildet und rannen ihre Schläfe hinab.
Er dachte an damals, als sie ihn schon einmal verlassen hatte. Da hatte er lange um sie gekämpft und sie doch gehen lassen, auch wenn er nicht wusste ob sie wiederkam.

Jetzt war alles anders.
Langsam fast wie in Zeitlupe legte er sich zu ihr aufs Bett und schob seinen Arm unter ihren Kopf und seine Hände strichen sanft über ihren schmalen Körper.
Als er den schnellen Schlag ihres Herzens spürte, schloss er die Augen ohne an das Danach zu denken. Genau wie es ihr Wunsch war.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.01.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
“Was bleibt am Ende, wenn der Nebel sich lichtet und das Nichts sich verdichtet, “ fragte ich dich am Ende der Nacht die wir so schlaflos verbracht. “Schau in den Spiegel, darin liegt der Sinn und die Antwort auf Fragen, “ mehr gab es nicht zu sagen. Dann maltest Du mir Zeichen auf den Rücken mit geschlossenen Augen verstand ich auch die Lücken. Stumm sprach ich deinen Namen und zeichnete blind dein Gesicht. Weit entfernt leuchten noch immer die Sterne die schmerzlicher schienen als der sanfte Regen der uns heute magisch umhüllt.

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