Cover

Sie war schon eine ganze Weile wieder unterwegs.
Wie immer wenn sie aufräumen, sortieren und entsorgen wollte, fuhr sie einfach los, alles hinter sich lassend und nur das Wichtigste auf den Schultern gebündelt.

Einfach den Fahrtwind im Gesicht spüren, eiskalt und stechend und die Sonne im Nacken.
Die Strecke kannte sie eh mit geschlossenen Augen und so konnten die Bilder laufen und es spielte keine Rolle mehr in welche Richtung auch immer.
Dort oben in dem kleinen Ort am Meer kannte man sie schon, auch wenn man rein gar nichts über sie wusste. Hinter der vorgehaltenen Hand sprach man viel und es war auch nicht weiter wichtig, weil es sie nicht tangierte.

Sie sprach nicht viel, nur erzwungenermaßen das Nötigste, ein wenig ernst schauend aber immer mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen.
Als Fremde war sie auch nicht sehr willkommen, weil man sich hier noch ein wenig vor dem Unbekannten fürchtete und nur dem eigenen Gedankengut immer und immer wieder den Vorrang gab.
Ein wenig seltsam fand man sie, so unnahbar und mit dem langen roten Haar, welches man schon von weitem erkannte.


Schwarz trug sie wie immer und Schwarz war keine Farbe, die man gerne sah. Und schon gar nicht einen Blick, der von einer Sonnenbrille verborgen blieb.
Und in dem kleinen Ort kannte man sich, offen jedem ins Gesicht schauend ohne das kleinste unwesentliche Geheimnis verbergen zu können.

Nach der Arbeit gab es auch sonst nicht viel zu tun und so gab sie den Gerüchten Nahrung, immer die Farbe Schwarz bevorzugend und mit dem roten Haar, welches schon alleine dem Kontrast der Sünde sehr nahe stand.
Hinter ihrem Rücken bekreuzigte man sich, weil sie ohne Schatten lief und das durfte nicht sein, an diesem Ort wo das das Unbekannte Unbehagen hervorrief.
Sie bewohnte immer das gleiche Zimmer und nur der Wirt wusste zu berichten, dass ihre Stimme sehr leise war und für ihn eigentlich sehr sanft klang nur zuweilen auch rauchig, was wiederum zum Bild passte.
Mehr wusste er leider nicht zu berichten, was nicht gerade Wohlgefallen auslöste.
Sie passte nicht hierher, weil der Teufel auch rot trug und schwarz die Nacht war.
Vielleicht war sie doch eine Hexe, was mancher hinter vorgehaltener Hand leise munkelte.
So eine mit magischen Kräften, die nur Unheil brachte, wenn man sie bloß anschaute.


War nicht damals das kleine Lamm gestorben, als sie das erste Mal die Straße runterfuhr?
Und Peter weinte so jämmerlich, als er diesen kleinen toten Frosch unten am Weiher fand.
Sie war bestimmt eine Hexe, vor der man jeden am besten warnte.
Und erst kürzlich verließ Max seine Angetraute, die ehrbare Maria, wo doch die Ehe so von Glück bestrahlt war und jeder im Dorf sie beneidete.
Sie war keine von den guten Hexen, die mit den heilsamen Kräften, eher so eine, die unter Beifall auf dem Scheiterhaufen ihr elendiges Ende finden musste.
So war das in dem kleinen Ort, wo jeder alles wusste und man viel Zeit hatte sich Gedanken zu machen.
Und sie war eine Fremde, die nichts sagte.

Sie war gerne in dem kleinen Ort. Jede Hektik war so weit weg.
Man ließ sie in Ruhe und keiner zerrte an ihr. Hier gab es nur sie und ihre eigenen Gedanken.
Unten am Wasser war sie mit sich allein.
Nur zuweilen hinterließ neben den ihren eine Möwe ihre Abdrücke im Sand, die aber ebenso schnell vom Meer mitgenommen wurden, wie sonst alles vergeht.
Hin und wieder warf sie kleine flache Steine ins Meer, wie um Ballast loszuwerden.
Dabei sah sie den Ringen zu, die weite Kreise zogen um sich dann im Nichts aufzulösen.


Jeder einzelne Stein landete fast wie Magie, getragen von Millionen von Tropfen sanft auf dem weichen Grund. Dort würde er sich dem Lauf der Zeit ergeben, nicht allein, vielmehr vereint im Schicksal der Gleichgesinnten.
Viele ihrer Steine lagen da unten um sich der Abrasion hinzugeben, vorgegeben durch die Gesetzmäßigkeit des Stärkeren.
Für sie selbst waren diese Steine da unten gut aufgehoben und sie kannte noch jeden einzelnen.
In diesen Momenten war sie alleine mit sich selbst und sie genoss es. Nicht immer war alles im Reinen und immer wieder gab es etwas aufzuräumen und zu sortieren.
Dort hatte sie die Ruhe und die Sicherheit, dass nichts Wichtiges entsorgt und umgekehrt alles Unwesentliche und Belastende mit den Steinen auf dem Grund des Meeres landete.
Hier war es fast wie Magie, dass zuweilen alles so leicht und einfach erschien.
Genau hier war die Welt so bunt und schwebend und jede Distanz verringerte sich.
Sogar die Distanz zu sich selbst.
Hier war sie allein und dennoch nicht einsam. Sie brauchte diese Momente, genau wie er und war ihm trotzdem nah.
Da trafen sich Gedanken in der Mitte und vereinigten sich in sanfter Berührung.
Jederzeit bereit sich gegenseitig in der Schwebe des Lebendigen zu halten.
Hier wusste sie, dass er sie verstand wie kein anderer, weil er tiefer blickte und sie so liebte wie sie auch wirklich war.
Selbst hier vermochte er ihre Haut zu streicheln und ihr Gefühle zu senden, egal wo er gerade war.
Sie inhalierte tief die feuchte salzige Luft des Meeres. Die Luft war fast flüssig und sie schwamm darin getragen vom Gefühl der Grenzenüberwindung und der Magie der Materienauflösung um sich in dieser anderen Dimension zu vereinigen.
Vielleicht hatte sie selbst magische Kräfte, aber dafür würde sie bestimmt nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Irgendwann würde sie ihm diesen Ort zeigen, und sie werden Steine werfen, nur so zum Spaß.
Wie immer ganz in Schwarz gekleidet und mit offenem roten Haar.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Jetzt tanze ich den Reigen gegen jedwede Achtung auch auf buckligen Steinen simuliere eingestimmt mit dir ein Lächeln und gebe dem Wind die Richtung vor. Dutzende von Schnappschüssen sind dem Reißwolf zum Opfer gefallen bereits am Ende eines falsch gemünzten Sommers Ein Lichtblick in der Ironie der Stunde. Dann legst du dich zu mir Und malst geheime Zeichen auf meinen Rücken Wiederum nutzend die Gunst der Stunde und ich lese es von deinen Augen ab verstehen in der Wortlosigkeit.

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