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Als sie heute morgen in den Spiegel schaute, war eigentlich alles wie immer.
Nur wenn man genauer hinschaute, konnte man etwas erkennen, das nicht so recht ins Bild passte.
Ihr fiel es auch erst nach dem zweiten Blick auf, dass ihr da etwas Unbekanntes entgegen blickte.
Irgendetwas, was sich langsam eingeschlichen hatte und nicht so recht sich ins Spiegelbild einfügen wollte.
Sie blickte in Augen, die etwas völlig Neues und ihr unbekanntes ausstrahlten.

Das war es also, das von ihr gelebte Leben, was sich da so unaufhaltsam widerspiegelte.
Der Spiegel war so gnadenlos ehrlich und nahm keine Rücksicht auf das was sie eigentlich nicht sehen wollte.
Er zeigte geradezu gnadenlos das ganze Spektrum von Vergangenheit über das Jetzt bis hin zur Zukunft.
Eigentlich wie immer, nur heute hatte sie den Blick dafür und schloss nicht so wie sonst die Augen, als wenn man damit auch nur ein Fältchen verbannen könnte.


Ein wenig erschrocken nahm sie so etwas wie Entschlossenheit in ihrem Blick wahr. Nicht wie sonst, das Zögerliche durch Ängste hervorgerufen.
Nein, es war diese Entschlossenheit, die nur durch die Akzeptanz des Gewesenen hervorgerufen wird und dem Willen dem Kommenden zu begegnen.
Mehr als 40 Jahre blickten ihr da im Spiegel entgegen, Jahre, die alle Farben des Regenbogens trugen und gelebt waren in der ganzen Bandbreite der Intensität.

Keines dieser Jahre wollte sie missen und jedes Fältchen verriet, dass sie es gelebt hatte.
Da war diese kleine Zornesfalte, genau über der Nasenwurzel. Ja, die hatte mit den Jahren an Stärke gewonnen, und sie dachte an die Mutter, die schon zu Kindertagen immer der Verzweiflung nahe war, wenn sie auf Forderungen mit Trotzanfällen reagierte.
Auch heute noch konnte Wut in ihren Augen Blitze hervorrufen und ihre Stirn in Falten legen.


Die zwei kleinen Lachfalten um ihren Mund hatte sie gehegt und gepflegt, und jede Stunde, die ein Lachen in ihr hervorrief war ihr die Erinnerung wert. Vor allem dieses unbeschwerte Lachen zu den Zeiten, in denen sie das Glück genoss und sich ihm wie ein Kind im Vertrauen hingeben konnte.
Aber auch die Sorgenfalten konnte sie nie ganz wegretuschieren. Sie hatten sich um ihre Augen eingeprägt wie ein Mal. Aber sie zeigten ihr auch immer wieder, dass sie ihr nichts anhaben konnten, weil sie ihnen stets auch gewachsen war oder an ihnen wuchs.

Manches Mal war sie in der letzten Zeit ein wenig müder und kraftloser, und der Blick in den Spiegel war nur kurz, so als wenn sie ihm damit ausweichen konnte.
Und doch bemerkte sie diese Wandlung, die sich da in ihr selbst vollzog, nicht von alleine, sondern weil die Zeit und damit sie selbst es wollte.
Viel zu lange hatte sie sich allem gefügt, hatte akzeptiert, was für sie unabänderlich erschien.
Der Blick in den Spiegel verriet ihr heute die Kraft der Entschlossenheit.


Es war langsam an der Zeit Bilanz zu ziehen und aus den Erfahrungen der Vergangenheit Einsichten werden zu lassen.
Irgendwie stand für sie der Satz im Raum, wenn nicht jetzt, dann nie mehr, denn sonst wäre alles umsonst gewesen.
Da waren immer diese Erwartungen, die sie stets gewillt war zu erfüllen, sich danach zu richten, was andere einforderten.
Wie oft hatte sie ihren eigenen Weg verlassen um an der Hand eines anderen dessen Weg fortzuführen. Wie oft hatte sie sich dem Egoismus anderer gebeugt ohne sich dem entgegenzustemmen und sich selbst wichtig zu nehmen.
Wofür hatte sie das gemacht? Um Liebe zu erhalten für den Preis sich selbst zu verleugnen?


Jetzt war da diese wilde Entschlossenheit in ihrem Spiegelbild, die sogar ein Lächeln in ihrem Gesicht hervorrief.
Genau das war es.
Der Preis war einfach zu hoch um dafür das eigene Ich zu verleugnen.
Liebe lebt nicht von Erwartungen und von dem was eingefordert werden muss, und schon gar nicht vom Verbiegen um der Liebe Willen.

Da war sie, diese Entschlossenheit wieder zur eigenen Konsequenz zurückzukehren.
Endlich wieder einen eigenen Weg zu gehen, mit der eigenen Kraft und der Gewissheit es für sich selbst zu tun.
Und vor allem mit dem Wissen auch auf diesem Weg um ihrer selbst willen geliebt zu werden.

Sie genoss diesen Blick in den Spiegel.
Sie würde wieder mit aller Kraft ihren eigenen Weg gehen, ihre eigenen Prioritäten setzen und Menschen begegnen, die sie genau auf diesem Weg begleiten.
Nie wieder ein Nein akzeptierend, dafür aber vor allem zu sich selbst stehend mit aller Konsequenz.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.10.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Nimm mir bitte nicht meine Träume, irgendwann verflüchtigen sie sich von alleine und ich werde hoffen, dass trotzdem etwas bleibt, dann wenn die Nebel sich lichten und im Nichts mich nur noch die Sonnenstrahlen wärmen.

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