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1. Neue Gesichter

Man kann hier kaum fehlgehen. Sich zu orientieren, fällt selbst dem Neuangekommenen leicht. Alles ist übersichtlich, zweckmäßig, aufgeräumt. Mein Einzelzimmer liegt im siebten Stock des Hochhauses. Vom Fenster aus habe ich fast alles im Blick, was diese Akademie ausmacht: die beiden Hörsäle, die Bibliothek, das Haus des Schulleiters, alle mit Flachdächern. Ich habe mir auch den Speisesaal schon angesehen, er liegt hier im Haus im Parterre und wird etwas hochtrabend Kasino genannt.
      Seit drei Stunden bin ich jetzt in L., und in fünf Monaten habe ich es hinter mir. Es wird schon gut gehen. Hier fällt kaum einer durch. Man wird uns zu brauchbaren Werkzeugen schmieden. Ist es nicht gleichgültig, ob einer Hammer oder Amboss ist? Auf den, der das Werkzeug führt, kommt es an. Von uns wird es kaum einer jemals sein.
      Ich bin gern von Berlin weggefahren, Kraushaar hat mich in seinem Wagen mitgenommen. Betrachten wir die Zeit hier als einen Urlaub von der Stadt. Ich brauche jetzt Abstand von ihr, mir ist in Berlin zu viel misslungen. Ich bin in den zwei Jahren dort kaum weitergekommen. Beinahe möchte ich mir selbst zurufen: Du hast versagt – versagt hast du … Mir scheint, immer wieder nähere ich mich Menschen und weiche ihnen dann doch aus. Bin ich in Wahrheit dann am glücklichsten, wenn ich unglücklich bin? Das muss ein Ende haben, so darf es nicht weitergehen, wenn ich zurück bin …
      Hier in L. erwarte ich mir nichts. Ich kenne diese Gesellschaft. Solche Kollegen können keine Freunde sein. Ich weiß Bescheid über sie.
      Wenn ich von meinem Schreibtisch aufsehe und den Kopf wende, bekomme ich die weitere Umgebung von L. in den Blick. In der Ebene vor mir liegt ein großes Stahlwerk und sehr weit dahinten das Gebirge. Es ist eine merkwürdige Gegend, nicht Stadt, nicht Land. Warum man uns ausgerechnet hier ausbilden lässt?

Die erste Nacht hier. Gut geschlafen – ich schlafe fast immer und fast überall gut. Dennoch muss ich einmal aufgewacht sein. Ich erinnere mich an laute Geräusche aus der Etage über mir. Dieses Hochhaus ist hellhörig.
      Wir haben im Speisesaal feste Plätze. Meiner ist am Tisch der anderen Berliner. Paetzold ist noch der gescheiteste aus diesem Quintett. Er will wissen, dass der Schulleiter beim Träger nicht mehr gut angesehen sei. Er hat wohl, sagte Paetzold schmunzelnd, hm, hm … ein kleines Alkoholproblem. Mir ist bei seiner Eröffnungsrede – die Wand zwischen den beiden Hörsälen war herausgenommen – nichts Verdächtiges an Doktor Friedrichsen aufgefallen. Ein sehr hagerer Mann hoch in den Fünfzigern, spricht schnell, verhaspelt sich oft und fängt sich dann wieder. Er trägt eine Fliege. Mir ist schon entfallen, was er gesagt hat.
      Gestern Abend fuhr ich mit den anderen nach B. Sie waren versessen darauf, die berühmte Bordellstraße dort kennenzulernen. Paetzold nahm mich in seinem Kadett mit. Er selbst sieht eher wie ein Käfer aus, wie ein größeres Krabbeltier, mittelgroß, dicklich. Er ist etwas älter als die meisten von uns. Gern gibt er sich seriös und zuvorkommend. Ob er beides auch wirklich ist? Er hat etwas Quecksilbriges an sich und mischt ab und zu kleine Zoten in seinen Redefluss. Er sagte auf der Fahrt in die Stadt: Sind wohl alle etwas fickrig, die Herren … Ich sagte nichts dazu. Der kleine stämmige Heise ist recht hübsch.
      In B. flaute ihr Interesse dann schnell ab. Jetzt waren sie auf einmal alle Berliner in der Provinz, die sich langweilen und an allem herumnörgeln. Wir gingen zweimal durch die an beiden Enden verrammelte Bordellgasse. Die Damen saßen und standen bereit, und die Männer strichen um sie herum, Gewehr bei Fuß, aber es ging noch kein Schuss los. Um diese Zeit wird nur taxiert. Die anderen fanden, da sei es ja am Stuttgarter Platz in Berlin aufregender. Wir saßen dann bald in einem Wirtsgarten am Rand der Altstadt. Sie redeten viel, und ich hörte fast nur zu. Dabei lohnte es sich nicht einmal. Wie üblich bewegten sich ihre Gespräche im gleichen engen Kreis: Geld verdienen, Urlaub machen, Autos, Urlaub, Geld verdienen.
      Heute hatten wir den Nachmittag noch einmal frei. Nur am Vormittag war Unterricht. Eine Vorlesung kann man so etwas nicht nennen. Wenn alle diese erfahrenen Praktiker so schlecht reden und ihren Stoff so ungeschickt vermitteln, bleibt einem jeden von uns nur das eigene Studierzimmer, um sich die Materie doch noch anzueignen.
      Paetzold schlug mir und Kraushaar eine Fahrt ins Gebirge vor. Dumm von mir, mich darauf einzulassen. Wir zockelten in Paetzolds Wagen lange hinter einem schleichenden Dänen her. Paetzold sagte: Diese Dänen berauschen sich halt gern an der Landschaft. Wir hielten erst an einem der großen Stauseen. Die Badesaison hat dort gerade begonnen. Es war schon recht viel Betrieb. Die anderen zwei hatten Badehosen mit, ich nicht. Ich hasse Badeanstalten, ich zeige mich ungern nackt oder fast nackt. Wir trennten uns also, und ich sagte, ich wolle am See spazieren gehen.
      Die Menschen dort gingen mir stark auf die Nerven. Warum sind Badende so laut? Außerdem stört mich fremde Nacktheit nicht weniger als meine eigene. Als zufällig ein Linienbus hielt, stieg ich, ohne zu überlegen, schnell ein und fuhr zurück nach L. Paetzold zeigte seinen Ärger nachher nicht. Er sagte, sie hätten nach dem Baden anderthalb Stunden auf mich gewartet und seien dann voller Sorge losgefahren. Er sah mich dabei prüfend an, auch etwas bekümmert. Ja, es war ungezogen. Ich weiß nicht mehr, womit ich mich herauszureden versucht habe.

Es ist Samstag um die Mittagszeit. Die erste Klausur liegt schon hinter mir. Ich werde weder ganz schlecht noch besonders glänzend abschneiden, durchschnittlich oder leicht darüber. Was will ich mehr …
      Die meisten anderen fahren jetzt nach Hause, zu ihren Freundinnen und Familien. Ich bleibe hier. Es gibt für mich keinen Grund, Berlin schon nach so wenigen Tagen wiedersehen zu wollen. Die anderen werden zu Hause erzählen wollen, wie sie es hier getroffen haben. Und ich? Ja, ich könnte mir heute Abend einmal B. allein anschauen.

Von meinem kleinen Ausflug gestern Abend hatte ich viel mehr als neulich mit den anderen dorthin. Ich kam in der Dämmerung in B. an, es wurde gerade angenehm kühl. Bis es richtig Nacht war, lief ich kreuz und quer durch die Gassen der Altstadt, am Dom und den anderen alten Kirchen vorüber. Enge Durchlässe führen manchmal auf gotische Plätze hinaus, steinern und eigentümlich hermetisch. Da die Geschäfte schon längst geschlossen waren, war dort kaum noch ein Mensch unterwegs. So mit der Stadt allein zu sein, sie für mich allein zu haben, das gefiel mir. Eigentlich habe ich B. erst gestern kennen gelernt.
      Natürlich verirrte ich mich auch in dem Gewirr der Gässchen und Plätze. Nur mit Mühe kam ich wieder am Bahnhof heraus. Von dort war es leicht, die Schröderstraße und die Alligator-Bar zu finden. Ich wollte wirklich nicht der blasierte Berliner sein und bin doch selbst auch in diese Rolle gefallen. Es war noch ziemlich leer, als ich um halb zehn hineinging. Zuerst gab es nur tuntige Endvierziger, sie saßen alle am Tresen und ödeten sich gegenseitig an. Später kamen noch einige junge Männer, Mitte und Ende zwanzig, keiner von ihnen wirklich attraktiv. Jeder kannte jeden und keiner gab sich Mühe, besonders erotisch zu wirken. Sie schienen nicht auf mich oder irgendeinen anderen Fremden gewartet zu haben. Ich kam mir überflüssig vor und nahm daher den letzten Zug nach L. Dabei hätte ich gern die ganze Nacht darangegeben.

Noch keine zehn Tage hier, und ich habe mich schon wieder verliebt. Musste das sein? Unter den achtzig Kollegen ist einer, der vollkommen meinem Typ entspricht: blond, maskulin, dabei dennoch weich, jungenhaft unbeholfen und sehr sympathisch. Er trägt einen kurzen, immer leicht zerzausten Vollbart. Natürlich ist er normal – er trägt einen Ehering. Allerdings hat er den Strom an und für sich nicht vorgesehener Erotik wohl schon bemerkt, vermutlich nicht beobachtend und reflektierend, nur instinktiv, glaube ich. Und jetzt kommt es vor, dass ich feststelle, wie er mich beobachtet. Ich halte mich sehr zurück, ich möchte Komplikationen vermeiden, gerade hier an der Akademie. Er heißt Heinz und kommt aus Darmstadt, habe ich gehört. Er kann zwei, drei Jahre älter als ich sein, Mitte zwanzig, höchstens. Mit einundzwanzig bin ich ja einer der Jüngsten auf diesem Lehrgang.

Das Beste hier für mich ist der Leseraum in der Bibliothek. Sie halten ein gutes Sortiment von Tageszeitungen. Vormittags können die neuen Zeitungen von einem von uns im Sekretariat abgeholt werden. Meistens erledigt das jetzt dieser Darmstädter, Heinz heißt er, ich habe ihn schon erwähnt. Für einen ausgesprochenen Zeitungsleser halte ich ihn nicht, ich habe ihn bisher kaum Zeitung lesen sehen. Warum nimmt er überhaupt diese Mühe auf sich? Ja, er scheint sich auch im weiteren Verlauf für die Blätter verantwortlich zu fühlen. Er versuchte heute schon in der morgendlichen Pause zu verhindern, dass sie auseinandergerissen würden. Am Nachmittag war er wirklich bekümmert, als es doch geschehen war. Er sagte vor den anderen, da seien wohl asoziale Elemente am Werk, sie hätten die Zeitungen zum Teil sogar mit auf die Zimmer genommen.
      Natürlich bin ich vorhin nicht seinetwegen in den Leseraum gegangen. Ich hoffte bloß, mir die Süddeutsche zu sichern. Insoweit stehe ich in Konkurrenz zu unseren Bayern. Neulich hat sich einer aus Nürnberg laut beschwert, als er mich mit dem Blatt in einem Sessel bemerkte. Ich habe mir die Zeitung vor das Gesicht gehalten und einfach weitergelesen.
      Heinz ließ also vorhin die zerfledderten Blätter liegen und ging hinüber zum Radioapparat. Ich saß in der Nähe, jetzt in die Lokalzeitung vertieft. Er schien mich nicht zu bemerken und versuchte, ein anderes, flotteres Programm einzustellen. Endlich fand er einen Soldatensender, in dem gerade etwas von Elvis lief. Da drehte er sich um und lachte in meine Richtung. Lachte er mich an? Er sagte etwas dazu, nur verstand ich es unter der Musik heraus nicht. Ich war nicht einmal sicher, ob er mich gemeint hatte. Daher lächelte ich nur für alle Fälle vorsichtig zurück. Erst danach vergewisserte ich mich, ob sonst einer in Frage kam. Doch hinter mir saß keiner. Heinz sah schon nicht mehr zu mir herüber. Mir kommt es jetzt so vor, als sei er hinter der vorgezeigten guten Laune und angeblichen Spontaneität in Wahrheit recht schüchtern. Und ich fürchte immer, mir eine Blöße zu geben und zu reagieren, wo ich nicht angesprochen bin.

Schon wieder Samstag. Die meisten sind am Mittag nach Hause gefahren, auch Heinz. Ich war der Einzige, der ihn beachtete, als er vorhin mit der Reisetasche das Kasino verließ. Er sah sich suchend um und schien mir am liebsten den einen oder anderen umarmen zu wollen, so sah er aus – irgendeinen umarmen … Da er jedoch nur meinem Blick begegnete, hob er bloß die Hand zum Gruß und lächelte schüchtern. Ich deutete etwas Ähnliches an. Schon war er verschwunden. Da ging ich rasch hinüber in den Leseraum und sah auf den Parkplatz hinaus. Er stieg eben zu Kollegen aus Frankfurt ins Auto. Sein eigener blauer Käfer steht auf dem Parkplatz.
      Sein Platz bei den Mahlzeiten ist am Tisch uns gegenüber. Dazwischen führt der breite Gang von der Eingangstür in die Kasinomitte. Wir sitzen so, dass wir uns, ob wir wollen oder nicht, beim Aufsehen im Blick haben, und machen, so scheint es mir, alle beide etwas mehr Gebrauch davon als ohnehin unvermeidlich. Der Abstand zwischen den Tischen, dieser freie Raum also, ist wie das Schussfeld zwischen zwei Bastionen. Was für ein Vergleich! Und wer verschanzt sich dann von uns beiden?
      An seinem Tisch sitzen nur Männer - Frauen sind sehr wenige unter uns, weder an seinem noch meinem Tisch sitzt eine -, da drüben, wollte ich schreiben, hat er es nur mit Kollegen aus dem Frankfurter Raum zu tun. Sie reden untereinander ihre breite Sprache, die ich noch gut verstehe, aber selbst nicht mehr spreche. Zu ihrer Mundart passt ihr weiterer Umgang miteinander. Er ist sehr direkt, geradezu plump-vertraulich. Dabei geht es oft hoch her, Witzworte fliegen hin und her. Ich höre Gelächter, sehe Knüffe. Heinz scheint mir unter ihnen gut gelitten. Sie necken ihn gern, doch bleibt er ihnen selten eine Antwort schuldig.
      Jetzt ist es bei den Mahlzeiten unten ungewohnt still. Kaum zehn Menschen essen noch in dem großen Saal.
      Wenn ich nicht lerne oder draußen in den Straßen herumlaufe, lese ich privat für mich. Die großen Zeitungen stehen jetzt mir allein zur Verfügung. Außerdem habe ich den Kinsey-Report aus Berlin mitgebracht. Das Buch habe ich erst kurz vor der Reise gekauft – plötzliche Eingebung. Ich sehe schon: Statistik muss nicht langweilig sein.

Alle sind wieder im Haus, auch Heinz. Wir sehen uns häufig an, doch zu einem persönlichen Verhältnis ist es bisher nicht gekommen. Daran bin in erster Linie ich schuld. Ich bin wie üblich distanziert, mag man es ruhig gehemmt nennen … Und dann die Furcht vor Entwicklungen, die ich nicht absehen kann. Doch vielleicht spielt etwas ganz anderes bei mir die Hauptrolle: Verblüffung. Sein Verhalten verrät verblüffend viel Naivität. Ich ertappe ihn immer wieder dabei, dass er mich beobachtet, im Kasino, im Leseraum, ja sogar im Hörsaal. Doch wirkt es nicht kritisch-analytisch, sondern witternd, kindlich neugierig, eben naiv. Er möchte herauskriegen, was mit mir los ist, nachdem er einmal mein Interesse für seine Person erspürt hat. Diese Aufschlüsse werde ich ihm nicht verschaffen, das gerade nicht. Ich sehe schon, er möchte meine Reserviertheit und Kälte gern überwinden und den gleichen unbefangenen Kontakt zu mir herstellen, der ihm schon zu manchem anderen gelungen ist. Wie es scheint, gehört er zu den seltenen Männern, denen Aggressivität im Umgang mit andern vollkommen abgeht. Allgemeines gegenseitiges Wohlwollen, zuvorkommende Herzlichkeit, Einvernehmen, das sind die Elemente eines Lebens, das ihm behagt. Er wirkt menschlich und, obgleich maskulin, sanft und ein wenig anachronistisch in einer Welt des Zähnezeigens und der Macht- und Drohgebärden.
      Ja, ich finde ihn rührend, gerade auch dann, wenn er unsicher wird. Das geschieht oft, denn im landläufigen Sinn scheint er mir nicht sehr intelligent. Hapert es nicht erheblich mit dem logischen Denken? Wenn das zutage tritt, etwa auf die Frage eines Dozenten hin, spürt er wohl, dass in diesem Augenblick und in diesem Punkt nur die Leistung zählt, nicht aber Harmonie und Zuneigung. In solchen Momenten verändert er sich, er wirkt dann zugleich schüchtern und böse. Dann fange ich an, ihn schon ein wenig zu lieben.
      Ich darf mich ihm nicht nähern. Hiermit gebe ich mir selbst das Versprechen, ihn in Ruhe zu lassen. Ich würde ihm nicht gut tun. Der Ring, den er trägt, schützt ihn vor mir.

Heinz beschäftigt mich noch immer viel. Meistens kommt er mir harmlos oder sogar gutmütig vor. Er sucht weiterhin den schlichten Kontakt zu mir, und ich empfinde die Lage, in der wir uns gemeinsam befinden, bereits als verfahren. Meine Unfähigkeit, auf ihn einzugehen! Und gleichzeitig meine Unfähigkeit, auf ihn verzichten zu können!
      Es ist schon so weit gekommen, dass ich ihn scheinbar nicht einmal mehr zur Kenntnis nehme, wenn ich ihm abends zufällig allein im Lift begegne. Kein Gruß, kein Kopfnicken – ich pfeife ein wenig, er ist Luft für mich. Gleichzeitig empfinde ich die ungeheure Intimität dieser Situation, ich genieße sie.
      Er spielt oft abends Fußball mit anderen Kollegen. Sie fahren zu diesem Zweck zu einem Sportplatz in der Nähe. Am gestrigen Abend, kurz vor einer dieser Begegnungen im Lift, war ich spazieren gewesen und in die Gegend gekommen, in der die Sportplätze liegen. Ich will mir nichts vormachen, ich bin seinetwegen dort gewesen. Ich habe nur seinen blauen Käfer entdeckt und bin dann rasch umgekehrt. Auf dem Rückweg hat er mich mit seinem Wagen überholt und hoffentlich nicht am Straßenrand gehen sehen. Jetzt mache ich mir doch etwas vor …
      Ich habe ihn im Aufzug aus den Augenwinkeln gemustert. Er wirkte mehr als müde - erschöpft. Sonst groß und schlank, beweglich, hoch aufgerichtet – und jetzt ein wenig in sich zusammengesunken. Die dunkelblonden Haare feucht an den länglich-ovalen Schädel geklatscht. Hatte er nach dem Spiel schon geduscht? Er lehnte gegen eine Liftwand, sein Blick hing an der gegenüber. Er war nur da, befand sich einfach da, wie eine niedere Existenzform, fast schon preisgegeben. Von ihm ging keine Gefahr für mich aus. Ich staune darüber, was man alles als schön empfinden kann. Ich fand ihn gerade in diesem Augenblick sehr schön. Zwischen uns stand jetzt nichts. Ich empfand umfassende Beruhigung.
      Die Kabine hielt auf meinem Stockwerk. Ich stellte mein leises Pfeifen ein und bemühte mich sehr, beim Verlassen des Aufzugs nichts auszudrücken.

„Mei Sessel is noch waam …“ Da sprach er mich also in seinem Babba-Hesselbach-Idiom direkt an. Ich war gerade vorhin in den Lesesaal hineingegangen, ohne zu wissen, dass er sich dort aufhielt, und da hatte er plötzlich seinen Sessel neben dem Rundfunkgerät verlassen und war mir in der Mitte des Raumes entgegengekommen. Dabei gab es genügend andere freie Sitzmöglichkeiten, und ich steuerte nicht einmal seine Ecke an. Ich war perplex wie selten. Noch an den beiden vorangegangenen Tagen war es mir so vorgekommen, als ob sich seine Aufmerksamkeit mir gegenüber stark verringert hätte.
      Ich sage mir, es ist nur ein harmloser Satz, bei einem kontaktfreudigen und dabei unbeholfenen Menschen wie ihm leicht erklärbar. Ja, das ist da unten eine weit verbreitete Redensart ... Aber sagt man es auch, wenn man bisher noch kein Wort miteinander gewechselt hat? Eher nicht. Dieser sehr vertrauliche Ton stand doch in auffälligem Widerspruch zum Stand unserer tatsächlichen Beziehungen, die ich kaum mit diesem Begriff bezeichnen kann, so zart angedeutet wie auch bereits ausgesprochen heikel sie schon sind. Tausend andere Redensarten hätten für eine erste Kontaktaufnahme näher gelegen. Und doch traf keine wie diese den Kern unseres Verhältnisses. Er schien mir sagen zu wollen: Da drüben, da spürst du noch den Abdruck meines Körpers, die Wärme meines Körpers, das ist es doch, was du suchst, ich weiß es ja … Er lächelte dabei und seine Stimme klang melodiös, wenn auch das Timbre etwas unrein war.
      Ich reagierte zunächst nicht. Dann sagte ich knurrend – er hörte es wohl eben noch, als er den Raum verließ -: „Na gut“, als ob es mich wer weiß wie viel Überwindung koste, und steu-erte scheinbar höchst widerwillig den mir überlassenen Sessel an. Er war tatsächlich noch körperwarm.
Ich versuchte zu lesen.
      Eine knappe Viertelstunde später kam er wieder herein und stand längere Zeit neben mir am Fenster und blickte hinaus. Ich rührte mich nicht und sah ihn nicht an, bis er ging.
      Sagte ich, er komme mir wenig intelligent vor? Offenbar kann er sehr schlagfertig sein. Rasch aufstehen und mit einer einladenden Handbewegung sagen: „Mei Sessel is noch waam …“ Nicht dumm.

Heute Nachmittag saß ich wieder einmal im Leseraum, in der Nähe des Empfängers. Heinz kam herein und nahm mir gegenüber Platz. Er sprach mich bald an, das eingestellte Programm gefalle ihm nicht. Ich sagte ihm, ich hätte den Sender nicht eingestellt, er könne einen anderen suchen. Ich sagte es in sachlichem Ton und so freundlich wie dabei möglich.
      Er suchte die Wellen längere Zeit ab und fand doch nichts ihn Ansprechendes. Dann versuchte ich es, ebenso wenig erfolgreich. Währenddessen wechselten wir einige missmutige Worte darüber. Dann gaben wir es auf, und jeder von uns schien in seine Zeitung vertieft. Mir kam es so vor, als ob sich jetzt hinter seinem Missvergnügen Nervosität verberge und die Unzufriedenheit darüber, nicht wirklich an mich heranzukommen.
      Ich griff zu einer Zeitung nach der anderen. Ich blätterte wie wild in den Gazetten. Heinz hatte sich scheinbar an einer Stelle festgelesen. Als ich aber hinübersah, entdeckte ich, dass er die Kleinanzeigen im Heimatblättchen zu studieren vorgab: Nachhilfeunterricht, Haushaltsauflösung, Schimmelbekämpfung …
      Es war längst Kaffeezeit. Keiner von uns beiden stand auf, um wie gewöhnlich rasch ins Kasino zu gehen. Bald saßen wir allein im Lesezimmer. Es war schon gegen das Ende der Kaffeezeit, als einer von seinen Kollegen ihn suchen kam. Er folgte ihm hinüber. Da ging ich auch.
      Schade, dass ich hier gewöhnlich nur die direkten, auf irgendeine Weise herausragenden Begegnungen zwischen uns aufschreibe. Ich müsste darstellen, wie sie sich während des Unterrichts, während der Mahlzeiten und bei anderen Gelegenheiten vorbereiten oder fortsetzen. Wenn da einer den anderen ertappt, wie er ihn beobachtet oder sich nur seiner Anwesenheit vergewissert oder seine Reaktion auf einen Scherz des Dozenten oder eines anderen Schülers feststellen will … Ich weiß nicht, wie diese Spannung aufgelöst werden soll. Ich jedenfalls bin nicht mehr in der Lage, mich selbst zu lösen.

Heinz ist allgemein beliebt, ich stelle es immer wieder fest. Er scheint mir dies vor allem seiner Burschikosität zu verdanken, die vollkommen naiv wirkt. Er ist sich des Charmes, den ihm sein jungenhaft-unbeholfenes Wesen verleiht, durchaus nicht bewusst. Er forciert ihn nicht und beutet ihn also nicht aus. Das ist es, was so gewinnend ist.
      Für einen Mittzwanziger ist er noch erstaunlich kindlich in seinem Auftreten – und ist doch zugleich schon recht maskulin. Eben darin liegt der starke erotische Reiz. Er übertreibt es fast mit der Kameradschaftlichkeit, und die anderen übertreiben es auch im Verhältnis zu ihm. Keiner von uns achtzig wird häufiger freundschaftlich berührt oder geneckt. Er könnte der Beliebteste von uns allen sein. Zu seinem Glück fehlt ihm eines vollständig: Führungswille. Ich verabscheue diese Führungsstarken und ich liebe die, die sich nicht erhöhen, die nicht aufsteigen wollen. Ihnen, die sich einem nie überordnen, ordne ich mich so gern unter – ich möchte mich ihnen am liebsten unterwerfen.
      Heinz ist sogar als Autofahrer sympathisch. Er fährt wenig und nur behutsam. Das oft so fanatische Interesse junger Männer an Motoren und ihrer Leistung ist ihm fremd. Er kümmert sich selten um seinen kleinen Wagen, der weder besonders herausgeputzt noch auch nur liebevoll gepflegt, allerdings auch nicht geradezu vernachlässigt ist. Talismane, Embleme und dergleichen fehlen. Im Wageninneren habe ich nur eine kleine, von der Decke hängende Vase mit Strohblumen entdeckt. Auf der Windschutzscheibe trägt ein deutlich angebrachter Aufkleber die Aufschrift: Der Mensch geht vor.
      Ich frage mich, aus welcher Schicht er kommt. Eigentlich kann es nur das Kleinbürgertum sein. (Mein Vater ist ein Kleinbauer.)
      Ich habe ja angefangen, ihn geradezu zu studieren. Zu diesem Zweck hat man mich gewiss nicht nach L. geschickt.

Zwei Tage in Berlin gewesen. Das ist doch meine Stadt. Es war sehr heiß dort, über dreißig Grad im Schatten, und dabei litt ich unter einer Erkältung. Ich konnte nicht in die Bars gehen, nur ins Kino. Ich sah zum ersten Mal Der Tod in Venedig von Visconti. Die Rolle des Tadzio schien mir schlecht besetzt. Kann man sich tatsächlich vorstellen, dass dieser weichliche Bursche in der Lage gewesen sein soll, einen Mann wie Aschenbach zu zerstören? Wenn das Tadzio ist, dann bin ich auf keinen Fall Aschenbach.
      Jetzt fällt mir in L. vieles leichter. Mitten im Sommer denke ich vor allem an den November, an meine Rückkehr nach Berlin. So kann ich hier alles weniger schwer nehmen. Das gilt sogar in Bezug auf Heinz. Ihm gegenüber bin ich jetzt nicht nur äußerlich kühl, ich bin es wirklich. Ich kann mich nun ohne viel Mühe ganz beherrscht geben.
      Dabei hat sich grundsätzlich zwischen uns nichts verändert. Wenn wir uns begegnen, merke ich, dass er noch immer neugierig auf mich ist. Er versucht schon mal, einen harmlosen, kleinen Dialog anzuknüpfen. Ich bleibe dann jeweils freundlich-unbeteiligt und knapp in meinen Antworten.

Auch hier ist mir wieder die Rolle des stolzen und herben Außenseiters zugefallen. Es ist wohl gesetzmäßig – Lust verschafft es mir nicht.
      Die anderen stören mich häufig. Viele sind rücksichtslos. Der ewige Lärm im Haus! Wenn ich abends den Kinsey beiseite lege, möchte ich gerne acht bis neun Stunden schlafen, wirklich nur schlafen. Doch immer gibt es irgendeine Gruppe, die zu später Stunde unter Absingen volkstümlicher Lieder vom fröhlichen Umtrunk heimkehrt. Und irgendwo ist immer ein Einzelner, der vier oder fünf Etagen längere Zeit mit Türenschlagen, Gepolter und Geschrei terrorisiert. Welchen Druck spüren sie denn schon, den sie unbedingt weitergeben müssten?
      Meine und ihre Situation sind grundverschieden. Der Aufenthalt hier in L. bedeutet für mich Einengung – Einschränkung meiner gewohnten Freiheit und Ungebundenheit. Für die meisten Kollegen sieht es anders aus. Sie sind auf Zeit ihren Familien entkommen, scheinen ein Joch vorübergehend abgestreift zu haben, und sie wollen diese einmalige Chance nutzen. Da sagte vorhin ein Enddreißiger, dem ich mich lächerlich überlegen fühle, diesen Abend wolle er unbedingt ausgehen – zu Hause könne er sich schließlich nicht volllaufen lassen.
      Heinz allein verdanke ich es, dass die Bilanz hier für mich nicht negativ ausfällt. Ich sehe ihn immer noch gern an. Ich bin auf ihn angewiesen, um es hier aushalten zu können.
      Ja, zwischen ihm und mir ist wieder alles beim Alten. Zwar versuche ich mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, ihn zu ignorieren, und das reizt ihn zu Gegenbewegungen, da er mein Desinteresse mit Recht nicht glaubwürdig findet. Er kontrolliert mich immer mal wieder, schaut bei Tisch fleißig herüber und versucht im Pissoir (wo wir uns, glaube ich, rein zufällig getroffen haben) eine Unterhaltung. Dann bleibe ich kühl, bin kurz angebunden, aus Vorsatz und da mir Berlin schon wieder näher liegt.

Zwischen ihm und mir ist jetzt ein Dauerschwebezustand erreicht. Ist dieser Status quo der Endzustand in unseren Beziehungen? (Denn natürlich ist es eine Art von Beziehung.) Soll ich mich damit abfinden? Ich werde wieder zunehmend unruhig. Unsere häufigen zwangsläufigen Begegnungen verstören mich tief. Meine Selbstbeherrschung ist nur noch äußerlich. Und ich beginne die Überzeugung zu verlieren, dass mein Verzicht auf ihn vernünftig ist.
      Um dem zu entkommen, fahre ich schon am kommenden Wochenende wieder nach Berlin. Paetzold nimmt mich auch diesmal mit. Auf ihn ist Verlass.

 

 




2. Der Ein-Mann-Streik

Nach dem Mittagessen bin ich gleich auf meine Etage gefahren, ins Zimmer gelaufen und habe mich aufs Bett geworfen. Ich habe diesen Vormittag von mir abschütteln wollen, wie ein Hund die Nässe. Es hat nicht funktioniert, ich bin wieder aufgestanden und sitze nun da und schreibe es mir von --- nein, doch nicht von der Seele. Das wäre einfach nur lächerlich. Und ich befürchte auch nichts.
      Beck hat heute Morgen, wie angekündigt, seine BGB-Klausur schreiben lassen, über Schuld- und Sachenrecht. Eine Woche lang hatte er uns juristische Frischlinge durch diesen Riesenstoff gehetzt. Wir waren ja gewarnt. Kollegen erkundigten sich bei anderen Kollegen daheim und hörten, wie es früher bei Beck schon einmal abgelaufen war. Da verabredeten wir uns, zu Beginn der Klausur gemeinsam zu prüfen, ob wir uns seinen Aufgaben gewachsen fühlten … Mit wir meine ich zwei oder drei Dutzend von uns. Wir standen gestern Morgen im Hof zusammen und beratschlagten. Und im äußersten Fall wollten wir streiken.
      Dieser Beck wird die Hyäne genannt. Es ist durchgesickert, dass er beste Chancen hat, Dr. Friedrichsen als Leiter der Akademie zu beerben. Das hieße allerdings, der Inkompetenz in Person die Krone aufzusetzen. Beck ist unfähig, Lehrstoff zu vermitteln. Er trägt bloß in wahnwitzigem Tempo vor, einen Vormittag lang, ohne ein einziges Mal Kontakt auch nur zu einem von uns aufzunehmen. Keine Rückfragen bei den Hörern, keine Gelegenheit, Fragen an ihn zu stellen. Er sieht uns kaum an.
      Wir sahen heute Morgen die hektographierten Blätter durch und waren uns schnell einig: viel zu schwer. Und wir alle, die wir uns verabredet hatten, und noch einige mehr, standen auf und trugen ihm die Bögen nach vorn. War ich ihr Sprecher, als ich die Aktion kurz begründete? Dann war ich es spontan geworden.
      Beck, ohnehin immer käseweiß, konnte nicht noch bleicher werden. Er schien mir nur etwas nervöser als sonst. Er sagte, er akzeptiere es nicht. Das sei ja Boykott, er werde es unseren Betrieben melden. Ich hörte ihm schon nicht mehr zu, ich drehte mich um und kehrte zu meinem Platz zurück. Während ich durch die Reihe nach hinten ging, fiel mir Weber auf – das ist einer von denen aus Frankfurt. Er und Heinz stecken viel zusammen, sie sitzen im Kasino am gleichen Tisch. Weber ist einer von den Gescheitesten hier, immer munter, immer vorlaut. Ich finde alles an ihm hässlich, sein dürftiges schwarzes Bärtchen, sein schief geschnittenes Gesicht, seine ganze hervorsprudelnde, unverschämte Art …
      Weber klopfte Beifall. Er trommelte ihn mit der linken Faust auf die Arbeitsplatte seiner Bank, auf diese Weise unterstützte er uns. Und gleichzeitig begann er mit rechts schon zu schreiben, fing bereits mit der Lösung der ersten Aufgabe an. Ich hätte ihn am liebsten am Bart oder sonst wo gerissen – ausgerechnet er hatte am Vortag am lautesten für den Boykott geworben.
      Vielleicht hätte ich jetzt mehr auf Beck hören sollen. Er schien Eindruck zu hinterlassen. Die Ersten von uns standen schon auf und gingen nach vorn und holten sich in der Haltung von geprügelten Hunden ihre Bögen zurück. Es wurden immer mehr. Dann waren noch acht oder neun übrig, die sich ansahen und sitzen blieben.
      Beck nahm die restlichen Bögen an sich und begann sie an die verbliebenen Streikenden zu verteilen. So erhielt auch ich als Letzter von allen meine Aufgabenstellung zurück. Ich sah mich um – jetzt traf ich auf keinen Blick mehr. Vor mir nur noch über die Bänke gebeugte Hinterköpfe. Was für Nieten, nur lauter Nieten hier … Und Heinz? Er hatte sich uns von Anfang an nicht angeschlossen.
      Beck sagte, ich müsse in jedem Fall dableiben.
     Da nahm ich die Bögen wieder an mich und begann erst im Kopf, dann auf dem Papier zu formulieren. Nach ein paar Minuten hatte ich den Text fertig. Nach meiner Überzeugung, schrieb ich, war es objektiv unmöglich, in nur einer Woche das zur Lösung der hier gestellten Aufgaben erforderliche Wissen zu erwerben. Ich lehne es daher ab, den zwangsläufigen Nachweis eines unzureichenden Unterrichts zu liefern, und verweise gleichzeitig auf die Ergebnisse in der vorangegangenen Klausur zu Erb- und Familienrecht. Dort standen Aufgabenstellung und Qualität des Unterrichts im angemessenen Verhältnis zueinander. Ja, vor Beck war Schliemann gekommen, einer der wenigen guten Dozenten bisher. Und bei ihm habe ich in der Klausur mit „Sehr gut“ abgeschnitten.
      Ich schob die Blätter von mir weg und begann, aus dem Fenster zu schauen. Ringsum wurde abwechselnd gegrübelt und geschrieben. Ihr werdet euch bewähren, Beamtenseelen, die ihr seid … Ich musste mich auf andere Gedanken bringen.
      Beck ging viel die Gänge auf und ab. Gelegentlich fasste er mich ins Auge. Ich versuchte, mein Gesicht Gleichmut ausdrücken zu lassen. Doch war ich in Wahrheit sehr angespannt. Nicht wegen Beck, nein, ich hatte nur ein deutliches Bewusstsein davon, dass die anderen auch eines von mir hatten, während sie sich den Kopf übers BGB zerbrachen. Wahrscheinlich war ich bei den meisten jetzt nur im Hinterkopf vorhanden, als einer, den es auch noch gibt, und zwar jenseits eines aus dem Bewusstsein nicht ganz ausblendbaren Grabens zwischen uns.
      Weber schrieb jetzt mit hastigen, eckigen Armbewegungen. Eine zehnte oder elfte Muse schien ihn geküsst zu haben. Da hatte ich ja einen Abteilungsleiter von morgen vor mir … In seiner Nähe kam Heinz nur stockend voran, natürlich. Er wird der ewige Untergebene sein – geht mich nichts an. Ich machte mir klar, dass auch er nur einer von diesen anderen ist, und dabei überkam mich allmählich ein Gefühl von Ruhe und Zufriedenheit. Alles kam wieder in seine rechte Ordnung.
      Ich musste wirklich an etwas anderes denken, ich zwang mich also dazu, so wie ich jetzt gern meinen dummen Solostreik hier verlasse und zu meiner Erholung zu anderem übergehe …
      In Berlin war ich am Freitagabend im MC Gunnar über den Weg gelaufen, und er hatte mich für den Abend darauf zu einer Fete eingeladen. Ich kannte alle, die zu ihm kamen, nur Gunnars Mutter noch nicht. Sie ist eine von diesen grässlich aufdringlichen alleinstehenden älteren Frauen, die vor Alles-verstehen-wollen überfließen und dabei rein gar nichts begreifen. Es war also nicht sehr amüsant, und ich war froh, als ich endlich mit dem Nachtbus vom Wedding zum Zoo fahren konnte. In der Rio-Bar stieß ich gleich auf Rufus. Er schleppte mich ins MC, und wir tanzten dort viel zusammen. Dann schwatzten wir uns fest und saßen bis zum Morgengrauen herum. Ich versuchte ihm klar zu machen, wie nötig gerade er es habe, sich mit Kinsey und noch mehr mit Adorno zu befassen. Darüber gerieten wir in heftigen Streit. Als wir beide erschöpft, doch immer noch etwas erbost, schwiegen, fühlte ich auf einmal, wie dumm das alles von mir gewesen war. Wie sehr mochte ich ihn verletzt haben? Aber da gestand er von sich aus schon überraschend ein, er sei sehr froh, mit mir solche Diskussionen führen zu können. Am Theater sei das geistige Niveau allgemein so niedrig, dass er dort kaum einmal Gelegenheit zu ernsthaften Gesprächen finde. Ich war verdutzt: Obwohl ich mich nicht besonders zum Theater hingezogen fühle, habe ich doch eine recht hohe Meinung von der Bühne und den Theatermenschen.
      Berlin war also wie immer gewesen, sehr gesellig, ohne im Mindesten befriedigend zu sein.
      Die Zeit war noch immer nicht um. Ich fühlte mich schon besser, ruhiger. Und plötzlich dachte ich über den Banküberfall neulich in München nach, die Geiselnahme in der Deutschen Bank. Es ist jetzt herausgekommen, dieser Räuber Rammelmayer, der mit dem Motorrad, der war schwul. Und wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat er für den Kauf seiner Maschine sogar einen ordentlichen Bankkredit bekommen. Jetzt posiert der Freund des toten Rammelmayer in schwarzer Lederjacke und Blue Jeans mit dem Motorrad des Toten für die Presse. Der Freund sagt, der Rammelmayer habe einmal Priester werden wollen und immer die griechischen Philosophen gelesen. Merkwürdig, dass man auch unter Gewaltverbrechern, ich meine, unter den wirklich kapitalen, so oft Homosexuelle findet. Traut man uns das vielleicht nicht zu?
      Die Hyäne sagte, die Zeit sei um, verlangte, dass die beschriebenen Bögen abgegeben würden. Ich beobachtete meine lieben Kollegen, wie sie teils resigniert abbrachen oder sich zu einem letzten Kraftakt beschleunigten Kritzelns zwangen. Wie verschieden die Menschen sind … Das ist eine Phrase, ich weiß. Binnen zwei Minuten waren sie alle auf den Beinen, froh, es hinter sich zu haben, und stauten sich vor dem Podium.
Ich mischte mich unter die Letzten und machte kein Aufhebens mehr von der Sache. Beck nahm mir meine Arbeit mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie bei allen anderen ab.
      Sie strömten dann in die Waschräume und hinüber ins Kasino. Ich ließ mich mittreiben, als ob ich einer von ihnen wäre. Tatsächlich sahen mich die meisten jetzt anders an als früher, sie sahen mich genauer an, interessierter, freundlicher. Ich hörte hier und da aufmunternde Bemerkungen. Taten sie mir gut? Ich weiß nicht … Zum Anführer eigne ich mich in keiner Weise, ich bin da ganz ohne Ambitionen. Mir ist auch der lächerliche Aspekt am Ablauf der Ereignisse dieses Morgens nicht entgangen.
      Paetzold behandelte mich bei Tisch noch vorsichtiger als gewöhnlich. „Sie haben“, sagte er, „das getan, was Sie für richtig hielten …“ – „Richtig“, antwortete ich, und sonst nichts. Dann kam die Suppe, und wir tauchten die Löffel ein.
      Während der ganzen Mahlzeit sah ich kein einziges Mal zu Heinz hinüber. Ich unterließ es nicht aus Vorsatz, es unterblieb wie von selbst. Er scheint mich nicht mehr zu interessieren. Ich glaube, es ist vorbei.

 

 

 




3. Weiterhin unhaltbar

Eine Reihe von Tagen habe ich nichts geschrieben. Das ist mir nur anfangs leicht gefallen, und jetzt ist es nicht mehr möglich, das spüre ich deutlich.
      Nicht, dass sich irgendetwas Außergewöhnliches ereignet hätte. Es war auch heute nur wieder einer von diesen Abenden, an denen wir nach dem Essen noch einige Zeit im Kasino zusammensitzen. Einzelne Bemerkungen über den Unterricht, die Dozenten, die Klausuren – das steigt nur auf wie Blasen an die Oberfläche eines Tümpels. Der Tag sinkt auf den schlammigen Grund zu den anderen vergeblich gelebten Tagen. Der Wasserspiegel – der Abend – ist trübe. Sie machen faule Witze. Manchmal ist es hier schwer, nicht arrogant zu sein.
      Heinz saß einige Tische weiter allein bei einem Bier. Ich redete vor allem mit Paetzold. Wenn ich selbst nicht sprach und ihm scheinbar gerade intensiv zuhörte, fiel mein Blick ab und zu wie zufällig auf ihn. Sobald ich mich dabei von ihm ertappt fühlte, zog ich meinen Blick zurück und antwortete Paetzold rasch etwas auf seine letzte Bemerkung. Heinz schien mich nicht oft auf diese Weise überführen zu können, denn er sah starr geradeaus und vermied es meistens, zu mir herüberzublicken. Überführen? Ja, ich bleibe bei diesem Wort, denn ich glaube, ich stand die ganze Zeit im Zentrum seiner Aufmerksamkeit. Woraus ich das geschlossen habe? Daraus dass er seinerseits etwas zu viel Vorsicht aufwandte, wenn er mich gelegentlich kontrollierte. Er lugte geradezu herüber. Wir beäugten uns also. Wieder einmal.
      Dann kam der Umschwung. Heise nahm an unserem Tisch Platz. Er führt immer gute Laune mit sich in seinem Gepäck, das kaum aus Sorgen und Lasten zu bestehen scheint. Er ist nicht nur hübsch, er ist auch tatsächlich und nicht nur vorgeblich witzig – und er hat sogar Geschmack. Ich sehe ihn gern an, ich höre ihm gern zu, doch er beunruhigt mich nicht. Woran mag das liegen? Die Erklärung ist sehr einfach: Nie würde er sich meinetwegen beunruhigen.
      Die Stimmung wurde ungezwungener. Heise saß zwischen mir und Heinz. Mein Blickfeld war eingeengt, und aus diesem Schutz heraus konnte ich jetzt leichter beobachten. Ich sah, wie auch Heinz sich belebte, unbefangener wurde. Dann versuchte er sogar, unserem Gespräch zu folgen. Er beugte sich ein wenig vor. Endlich hatte er genug von dieser Abendunterhaltung und brach abrupt auf. Dabei stieß er recht heftig mit dem Kopf gegen die über dem Tisch hängende Lampe. Er rieb sich den Schädel, während er zum Ausgang ging. Ich sah ihn unverwandt an. Als er an uns vorbeiging, wollte er nur noch einmal kurz herübersehen und dabei begriff er, dass ich sein Missgeschick mitangesehen hatte.
      „O weh, o weh“, jammerte er und rieb sich erneut und jetzt komisch übertreibend die geprellte Stelle, „den Kopf brauch ich doch noch.“ Er lachte mich jetzt an und hatte auf einmal große, lustige Augen. Sie sind hellblau, ich stellte es erst bei dieser Gelegenheit fest. Abgesehen von den Augen kam er mir doch wieder schüchtern vor. Ich brachte es auch diesmal nicht über mich, auf ihn einzugehen und etwas zu antworten. Ich lächelte nur, immerhin.

Da habe ich etwas mitangesehen – nur fehlt mir der Anfang der Geschichte ebenso wie ihre denkbare Fortsetzung.
      Es war heute am Vormittag, am Ende der großen Pause. Die meisten von uns waren schon in den Hörsaal zurückgekommen, und auch ich saß bereits wieder an meinem Platz, vorne in der zweiten Reihe. Viele standen noch herum, redeten miteinander oder ödeten sich an. Ich wünschte mich wieder einmal fort und sah zum Fenster hinaus, auf die immergleichen Büsche. Besonders lag mir daran, Weber nicht ansehen zu müssen. Er tat sich in einer Dreiergruppe wichtig, sie standen vor mir auf dem Podium.
      Auf einmal kann ich Webers Stimme nicht mehr überhören. Er ruft laut - und es schallt über unsere Köpfe hinweg – und zeigt mit dem Finger nach hinten, irgendwo ans andere Ende des Saals.
      „Was ist denn das da drüben“, schreit er, „das sind wohl unzüchtige oder unsittliche Anträge – sehe ich das richtig, ihr zwei?!“
      Wie die meisten Köpfe dreht sich auch meiner in die Richtung der zu vermutenden Sensation. Es gibt nichts oder nicht mehr viel zu sehen. Heinz hat einen jungen Mann neben sich, von dem ich nicht einmal den Namen weiß. Sie müssen sehr nah beieinander gestanden haben. Gerade sind sie dabei, eilig etwas Abstand voneinander zu gewinnen, wobei sie den Eindruck von Hast demonstrativ zu vermeiden suchen. Heinz schaut jedoch anschließend verlegen drein. Und er schweigt jetzt, er, der Weber bei Tisch sonst selten eine Antwort schuldig bleibt. Er scheint zu grübeln.
      Unmittelbar darauf kam der Dozent herein. Alle, die noch standen, begaben sich auf ihre Plätze, und das Verwaltungszwangsverfahren schlug uns für weitere neunzig Minuten in seinen Bann.
      Der andere ist recht ansehnlich, ein schlanker, dunkler Typ, süddeutsch aussehend.

Man sieht die beiden nicht mehr zusammen. Es geht mich im Übrigen auch nichts an. Mögen sie tun, was ihnen angenehm ist.
      Infolge des kleinen Zwischenfalls bin ich selbst vielleicht noch vorsichtiger geworden. Diesmal ist es keine Haltung, die ich mit Absicht einnehme. Wenn es tatsächlich so ist, ärgert es mich sogar ein wenig. Ich bin doch nicht wirklich abhängig vom Meinen und Reden der vielen anderen? Natürlich nicht! Zuerst habe ich mir meine vermehrte Zurückhaltung nicht eingestehen wollen. Vermeide ich es wirklich neuerdings, zu ihm hinüberzusehen und mich auf diese Weise mit ihm zu verständigen? Ja, ich vermeide es …
      Ich bin mir selbst dadurch auf die Schliche gekommen, dass ich mir, plötzlicher Eingebung folgend, die Frage vorgelegt habe, welche Schlüsse ich denn aus diesem Vorfall, der Andeutung Webers also, ziehen soll, und zwar nicht in Bezug auf mein Handeln – ich handele ja ohnehin nicht, nein, nur für meine Einschätzung seiner Person und seiner Motive. Und ich wollte es nicht, nämlich Schlüsse ziehen. Mir schien, ich stünde am oberen Rand eines sehr abschüssigen Geländes. Kurz, ich habe mich geweigert, darüber nachzudenken, was es bedeuten kann, wenn ein junger Ehemann einem anderen jungen Mann Avancen macht oder sich von ihm machen lässt. Ich weigere mich auch jetzt.
      Und gleichzeitig lese ich weiter im Kinsey-Report? Ja, so ist es. Gerade in der Statistik verschwindet der beunruhigende Einzelfall, er ist nur noch Bestandteil einer allumfassenden Normalität. Nichts könnte beruhigender sein. Ich werde mir doch diese Lektüre nicht versagen wollen.
      Es fiel mir also zum Beispiel heute ausgesprochen leicht, jede Konzentration auf Heinz zu vermeiden. Doch so einfach komme ich nicht davon. Er hat sehr bald registriert, dass ich ihm jetzt wie mit Wissen und Willen ausweiche. Mag sein, dass ihm das nicht passt oder er noch immer neugierig ist. Immer dann, wenn mein Blick ihn heute zufällig und ungewollt streifte, gewahrte ich jedenfalls, dass er genau darauf gewartet hatte. Ich ließ mich aber nicht weiter davon beeindrucken und wandte mich jeweils sofort ab. Mag er denken, was er will. Nein, auch falsch – es ist mir keineswegs gleichgültig, wie er meine Reserve jetzt einschätzt. Alles an dieser Geschichte ist verkehrt, ich weiß es schon längst.
      Am Nachmittag hat er mich dann doch überlistet. Es war beim Kaffeetrinken. Er hatte seinen üblichen Platz verlassen, um nicht allein an einem Tisch sitzen zu müssen, nehme ich an. Weber und die anderen waren noch nicht da. Als einer von ihnen verspätet eintraf und ihn fragte, warum er den Platz gewechselt habe, sagte er scherzhaft, in der für ihn typischen Mischung aus gespielter und echter Naivität: „Ich hab jetzt einen andern Freund.“ Ich schmunzelte innerlich und nahm rasch einen Schluck aus der Kaffeetasse. Als ich sie absetzte und dann den Kopf wieder hob, blickte ich kurz vorsichtig hinüber. Und da sah ich, wie er mich beobachtete, wie er offensichtlich prüfte, ob und wie jene scherzhafte Bemerkung auf mich gewirkt hatte. Ich schlug die Augen nur kurz auf. Es genügte ihm schon.

Komme mir selbst in dieser ganzen Geschichte kläglich vor, einfach nur kläglich. Auch noch Selbstmitleid, der Herr? Ekelhaft.
      Man wird mir zugute halten müssen – ich halte es mir also selbst zugute -, dass ich nicht einmal weiß, wie ich mich Heinz gegenüber zu verhalten hätte, wenn ich vernünftig sein wollte. Zwar gehe ich davon aus, dass er gegenüber anderen Männern erotisch reaktionsfähig ist, ich rechne auch damit, dass ein Cleverer bei ihm manches erreichen könnte, dass eine, wahrscheinlich nur passagere, harmonische sexuelle Beziehung zwischen ihm und einem anderen Mann im Bereich des Möglichen liegt – andererseits hätte ich zu berücksichtigen, wenn ich vernünftig sein wollte, dass er verheiratet und allem Anschein nach allgemein in kleinbürgerlichem Denken befangen ist. Ich müsste also damit rechnen, dass Heinz in eine schwere Krise gestürzt werden könnte, wenn man sich seine mehr oder weniger unbewussten Neigungen geschickt zunutze machte. Sind sie denn tatsächlich unbewusst? Gerade daran zweifele ich neuerdings. Doch besitze ich nicht genügend Erfahrung, nicht genügend Wissen über ihn, um eine Entscheidung zugunsten dieser oder jener Haltung treffen zu können. Ich bin mir ja nicht einmal sicher, ob das Bild, das ich mir von ihm mache, einigermaßen realistisch ist.
      So bleibt alles beim Alten. Mein Verhalten basiert nicht auf einer vernünftigen Entscheidung, es wird von subjektiven Zwängen bestimmt. Ich will gar nicht versuchen, meine Fehlhaltung zu rationalisieren. Es sind narzisstische Ängste vor dem einfachsten realen Kontakt und eine durch dieses trostlose Milieu hier verstärkte Neigung zu ihm hin, die bewirken, dass ich geradezu süchtig geworden bin, Heinz zu beobachten, doch nichts tun kann, ihm auch nur einen Millimeter näher zu kommen.
      Und er ist immer befremdeter über diese merkwürdige Mischung von Anzeichen des Interesses und der Lähmung. Er ist unsicher geworden, wie er sich mir gegenüber verhalten soll. Mal versucht er, meine strenge, nur nicht recht glaubwürdige Reserviertheit zu imitieren und mich nicht mehr zu beachten. Dann fängt er wieder an, mich insgeheim zu beobachten. Schließlich ist er froh, wenn sich eine Gelegenheit ergibt, doch noch einen Versuch zu machen, mit mir endlich ins Reine zu kommen.

Mir ist noch ein Gedanke gekommen: Wie soll ich mir seine Welt in Darmstadt vorstellen? Warum nicht einfach recht harmonisch? Ich kann doch nicht davon ausgehen, seine Frau sei durchaus unsympathisch und verständnislos und seiner unwert, sein Verhältnis zu seinen Eltern stark gestört und er selbst mit Arbeit und Kollegen tief unzufrieden … Muss ich nicht aus seinem ganzen ausgeglichenen Wesen und seiner geringen Aggressivität auf die harmonisch-friedvolle Welt kleiner Leute schließen? Und dürfte ich dann in diese geordnete, gesicherte Welt einbrechen? Die Frage stellen, heißt, sie verneinen.

Zunehmender nächtlicher Rabatz. Man tobt sich aus. Einerseits spielen sie die Freigelassenen, andererseits haben sie Heimweh und Angst vor Klausuren. Stelle ich all das in Rechnung, so liegt hinter uns eine beinahe normale Nacht. Zwischen vier und fünf näherte sich die letzte Gruppe fröhlicher Rheinländer unter lautem Absingen von Wanderliedern und anderen Volksweisen dem Hochhaus. Ich hörte sie schon, als sie noch einen halben Kilometer entfernt waren. Im Hause nahmen diese armen Schweine dann den Lift, hielten auf jeder Etage und sangen je-weils dröhnend eine Strophe von Der Steiger kömmt.
      Beim Frühstück sprach man nur darüber. Paetzold und Heise waren mit mir einig – wir waren wütend und unausgeschlafen. Die Schuldigen fehlten im Kasino, sie sollten sich erst in letzter Minute und ohne gefrühstückt zu haben in die beiden Hörsäle schleppen. Auch an den anderen Tischen war die unruhige Nacht das einzige Thema. Ich hörte mit, was die Frankfurter und Heinz dazu sagten. Heinz hat heute Nacht versucht, die Störer aus der Nähe zu vertreiben. Er ist dabei in eine kleine Schlägerei verwickelt worden. Weber war sehr stolz auf ihn, klopfte ihm ausgiebig auf die Schulter und sagte: „Brav, mein Lieber, brav!“
      Weber soll dann mit zwei anderen zu Doktor Friedrichsen gegangen sein. Es ist nur nichts Gescheites dabei herausgekommen. Die gesamte Belegschaft wurde verpflichtet, am Nachmittag in den Hörsälen für die kommenden Klausuren zu lernen, statt auf den Zimmern oder wo es uns sonst gefällt. Die Dozenten wollten uns zeitweise kontrollieren. Genau das geschah dann aber nicht. Sie blieben fern und zwangsläufig breitete Unruhe sich immer mehr aus. Über die Zusammengepferchten regierte bald wieder der rheinische Frohsinn.
      Einer tat sich dabei besonders hervor, der junge Biermann aus Düsseldorf. Noch nie habe ich mich von einem wirklich gut aussehenden Mann dermaßen abgestoßen gefühlt. Dass er glatt und hübsch ist, wird in seiner Wirkung durch scharfes Reden, aufdringliches Benehmen und große Reizbarkeit beinahe ins Gegenteil verkehrt. Er ist eine bittere Pille mit zuckersüßem Überzug. Schon wiederholt hat er sich um meine Anerkennung bemüht, mich ab und zu angesprochen, meine Meinung hören wollen, doch ich habe immer nur kühl und knapp geantwortet. Ich habe seine Eitelkeit gewittert, und ich scheine mich nicht getäuscht zu haben. Er trägt mir schon nach, dass ich mich nicht von ihm vereinnahmen lasse. Übrigens ist er intelligent und bekommt gute Noten. Ich habe ihn hier gar nicht erwähnen wollen, doch nun muss ich es tun. Er krähte heute Nachmittag wie ein Hahn im Stimmbruch, überschrie alle, feuerte zum Blödsinnmachen an. Lernen war unmöglich.
      Heinz ging zu ihm und verlangte, vor Erregung stotternd, Ruhe. Er könne sich auf nichts konzentrieren. Biermann fuchtelte ihm mit seinen Papieren vor dem Gesicht herum und äffte ihn so lange nach, bis Heinz zu lachen anfing. So hatte Biermann ihn förmlich umgedreht und auf seine Seite gezogen. Heinz zog danach grimassierend und blökend durch die Reihen. Mit ihm kann man alles machen. Dieses Lämmchen folgt jedem. Ich sah die Szene voller Unwillen mit an und starrte dann wieder in das Heft vor mir.
      Bald danach bastelte Biermann Papierflieger und ließ sie im Sturzflug auf die letzten noch Arbeitenden los. Als einer davon bei mir landete, zerriss ich ihn. Das war kindisch, doch da ich kein Wort sagte, machte mein kalter Zorn sogar Eindruck, glaube ich. Biermann und die anderen ließen mich von nun an in Ruhe. Ich blieb noch einige Minuten und verließ dann den Saal vorzeitig mit allen Büchern und Heften. Heinz verfolgte interessiert meinen Abgang, ich sah es im Vorübergehen. Im Kasino wartete ich die Kaffeezeit ab, und nach ihr fuhr ich entgegen der Anordnung hinauf auf meine Etage.
      Zwei Stunden intensiv gelernt und dann wieder hinunter zum Abendbrot. Heinz schaute öfter neugierig herüber. Die Spannung und das Unerklärtsein zwischen uns sind größer als je. Der Ablauf des Tages kam mir auf einmal nebensächlich, am Kern der Geschichte vorbeigehend vor. Am liebsten wäre ich aufgestanden, zu ihm gegangen und hätte bloß gesagt: Du, ich bin schwul und ich mag dich. Du bist sehr, sehr sympathisch. Ich will nichts von dir, du sollst nur endlich wissen, woran du bei mir bist.

Sonntagmorgen. Sunday, Bloody Sunday. Ich bin jetzt in Berlin. Paetzold hat mich gestern wieder mitgenommen. Ich sitze gern bei ihm im Auto. Sein munteres Reden, seine praktische, grundsolide Spießbürgerlichkeit sind so wohltuend.
      Ich hoffte, auch in Berlin selbst gelassener als in L. zu sein, die Eindrücke von dort in den Hintergrund drängen zu können. Es gelang mir nur zeitweise. Gestern Abend zunächst anregendes Gespräch mit Rufus in der Rio-Bar. Dann zeigte A. sich erstmals seit einem halben Jahr wieder. Er kam allein, stand herum, jungmännlich schön und charmant verdüstert, wie meistens. Nur weil er beides ist, zieht er mich an. Seine spezielle Art von Attraktivität garantiert mir zugleich, dass ich zurückgewiesen werde. Das hatten wir alles schon mehrfach … Er sah auch diesmal über mich hinweg.
      Eine Stunde später hatte er eine ganze Clique um sich. Nun war ich allein, Rufus war schon nach Hause gefahren. A. bekam Oberwasser, denn sein neuer Lover war auch gekommen. Dann kam etwas Unerwartetes in Gang. Der Lover musterte mich freundlich, mehr als einmal. A. war gezwungen, mich doch noch zur Kenntnis zu nehmen. Sie sprachen wohl über mich, es schien da Differenzen zwischen ihnen zu geben, sie zeichneten sich auf ihren jetzt unfrohen Gesichtern ab.
      Was versprach ich mir davon, die Blicke des Lovers zu erwidern? Ich hätte mich nicht wirklich für ihn erwärmen können. Plötzlich versuchte mich einer aus A.’s Clique zu provozieren: Ob ich den Anruf aus Hollywood schon bekommen hätte? Ich reagierte nicht, da gab er es erst einmal auf. Später fing er wieder an, mich zu hänseln. Bei einem kleinen Wortwechsel zog ich den Kürzeren – auf diesem Niveau bin ich niemals genügend schlagfertig. Ich ging weg. A. lachte höhnisch, sein Lover schaute mich dabei noch immer freundlich an.
      Ich stand noch nicht lange am neuen Platz, da kam der Lover mir allein hinterher und postierte sich neben mir. Ich übersah ihn, das heißt, ich tat so. Bald kam auch A. hinzu und umarmte einen in der Nähe stehenden Bekannten in übertriebener Weise. Der andere wurde verlegen, A. alberte noch mehr mit ihm herum und zog ihn in unsere Nähe. Scheinbar unabsichtlich stieß er dabei im Gedränge den Lover und mich immer wieder an. Klar, dass er nur provozieren wollte - ich ließ die drei stehen. Dann hatten sie, wie ich von weitem sah, eine lange Aussprache. Am Ende ging der Lover verärgert allein fort.

Das Lämmchen sucht weiterhin Anschluss. Es hat sich tatsächlich ein wenig mit diesem Biermann angefreundet. Mit jedem anderen – meinetwegen. Nur nicht mit Biermann.
      Hier in L. ist jetzt Kirmes. Ich habe im Vorbeigehen einen Blick darauf geworfen: viele Fahrgeschäfte, zwei Bierzelte. Die Familien der Hüttenarbeiter gehen geschlossen hin. Es gibt Schlangen vor den Toilettenhäuschen.
Gestern beim Abendbrot sah ich, wie Biermann am Tisch gegenüber auftauchte. Er lud Heinz ein, mit ihm auf die Kirmes zu gehen, noch diesen Abend. Heinz sagte gleich zu. Weber machte eine wegwerfende Handbewegung.
      Ich weiß nicht, wann sie aufgebrochen sind, dafür habe ich sie zurückkommen hören. Es war halb eins. Mein Fenster war gekippt, und mein Schlaf muss sehr leicht gewesen sein, denn ich war auf einmal hellwach und verließ das Bett auf ein Geräusch hin. Ich glaubte, ein dauerndes Klirren von Ketten zu hören. Es kam vom Parkplatz herauf. Ich machte kein Licht und stellte mich ans Fenster. Die beiden kamen also zu Fuß vom Festplatz zurück und standen gerade unter einer Laterne. Biermann hob eine Absperrkette immer wieder an und ließ sie dann gegen den Laternenpfahl knallen. Dabei hielt er Heinz gestikulierend einen Vortrag. Heinz hörte zu, schien Einzelnes zu wiederholen, wobei er lachte. Jedoch rührte er sich kaum, sondern stand ziemlich steif da, so kam es mir vor. Nach drei, vier Minuten gingen sie weiter und auf das Hochhaus zu. Ich glaubte nachher, den Lift aufwärts fahren zu hören. Er schien zweimal kurz hintereinander anzuhalten. Erleichtert ging ich wieder ins Bett.

Beck hat die Klausuren verteilen lassen, er ist nicht selbst nach L. gekommen. Ungenügend stand unter meiner, wie zu erwarten. Sonst nichts, keine Stellungnahme zu meinen Vorwürfen. Das ist es wohl schon gewesen. Irgendwann wächst über allem Gras. Niemand hat mich hier jetzt noch einmal auf meinen Ein-Mann-Streik angesprochen. Ich war für sie nur kurze Zeit interessant. Ist mir auch lieber so.
      Biermann und Heinz wiederholten ihren Kirmesbesuch, schon einen Abend später. Tagsüber hatte Heinz bei Tisch mehrmals vom Festzelt und der Bombenstimmung dort gesprochen. In den Pausen war Biermann meistens um ihn gewesen. Oder eher umgekehrt? Biermann geschäftig, redselig, glänzend vor Freude über die eigene Bedeutsamkeit, Heinz in der Rolle eines Mondes, auf den etwas Abglanz fällt und der den Riesenplaneten zuverlässig umkreist. Dabei ist Biermann sogar etwas kleiner von Wuchs. Doch hält er sich unzweifelhaft straffer. Er kann gekleidet sein, wie er will, er sieht immer tadellos aus, sozusagen festlich. Diese Topgepflegten irritierten mich von jeher. Ich vermute, sie lassen mich meine eigene Nachlässigkeit in der äußeren Erscheinung schmerzlich spüren. Neid? Ja, wahrscheinlich. Heinz ist auch einer von diesen Wurstigen. Mag ich ihn also vor allem deshalb, weil er mir meine eigenen Defizite nicht vor Augen führt? Ich will mein Bewusstsein immer mehr schärfen, bis es mein Selbst wie ein Röntgengerät durchleuchtet und das Skelett meiner Regungen darstellt. Übrigens glaubte ich von Anfang an nicht, dass Biermann sich lange mit nur einem Mond – und noch dazu einem solchen - begnügen würde.
      Als ich noch einmal Luft schöpfen wollte, sah ich die beiden aufbrechen, nicht gerade im wörtlichen Sinn Arm in Arm, doch beide leuchtenden Auges, von einem Gemeinschaftsgeist durchdrungen. Ich wandte mich rasch ab und schlug eine andere Richtung ein.
      Es muss dann abends irgendetwas geschehen sein. Ich selbst schlief in dieser Nacht durch, ich hörte keinen ins Haus zurückkehren. Am nächsten Tag ging jeder der beiden seiner eigenen Wege. Biermann hielt sich in den Pausen an andere, er zog andere in seinen Kreis. Heinz versuchte nicht, sich ihm zu nähern. Er blieb bei den Frankfurtern, und an ihrem Tisch war keine Rede mehr von der Kirmes. Es war wie eine Umstellung der Großwetterlage. Wenn ich nur wüsste, was dahinter steckt.
      Paetzold kam heute auf Heinz zu sprechen. Er fing damit an, ich würde es nie tun. Wir standen in einer Pause draußen vor dem Hörsaal, im Schatten eines großen Baumes. Es ist wieder sommerlich heiß jetzt.
      Mich interessiert natürlich, was andere über Heinz denken. Aber vielleicht will ich es doch nicht so genau wissen … Paetzold drückte sich eingangs vorsichtig aus, sagte etwas wie problematischer Charakter. Da nahm ich spontan Partei für ihn, ich fände ihn naiv und gutherzig. Damit konnte ich Paetzold nicht im Mindesten beeindrucken. Es stellte sich vielmehr heraus, dass ihn an Heinz gerade die Eigenschaften abstoßen, die ihn mir sympathisch machen: sein unbeholfenes, eckiges Wesen, seine Burschikosität, dieses gelegentlich grob jungenhaft-palavernde Auftreten und im Kontrast dazu seine übergroße Empfindsamkeit. Dass er einmal im Unterricht, ich glaube bei Schliemann, nicht Recht bekommen oder sich nur zu Unrecht zurückgesetzt gefühlt hatte und daraufhin, zwischen Enttäuschung, Wut und Angst schwankend, in Tränen ausgebrochen war, hatte bei Paetzold den allerungünstigsten Eindruck hinterlassen. Gerade das hatte mich damals sehr gerührt.
      Unsere kleine Meinungsverschiedenheit machte mich nachdenklich. Ich sagte mir, ich hätte kein Recht, bei allen Heinz gegenüber Wertschätzung und Zuneigung vorauszusetzen. Sehr gut möglich, dass noch andere wie Paetzold reagieren. Mich selber würde das gleiche Auftreten bei einem beliebigen anderen vielleicht gleichgültig lassen oder ebenfalls unangenehm berühren.
      Die Sache ist wohl die, dass ich meine heftige Zuneigung bisher nur rationalisiert habe. Vernünftig erklären kann ich sie nicht. Ich kann nur vermuten, dass seine Erscheinung – seine Physiognomie, sein Charakter, sein Auftreten – mit bestimmten Bedürfnissen meiner Seele korrespondiert. Was nun aber an ihm so anziehend auf mich wirkt, ist mir bisher weitgehend im Dunkeln geblieben. Seine Sanftheit? Das Fehlen von Aggressivität? Sein Bedürfnis nach Harmonie, das ihn immer wieder zur Anpassung, gelegentlich zur Unterordnung, wenn nicht zur Selbstverleugnung verleitet? Oder noch etwas anderes? Wenn ich meinem Gefühl für ihn auf den Grund zu kommen versuche, glaube ich selbst ambivalente Züge an ihm wahrzunehmen – an meinen Gefühlen, nicht an ihrem Objekt. Es gibt in der Tat Phasen, in denen ich ihn plötzlich verabscheue, in der ich von einer einzigen Abwehrreaktion ihm gegenüber beherrscht bin. Allerdings bin ich, sofern er nur in meiner Nähe ist, nie gleichgültig. Immer bringt er heftige Unordnung in meinen seelischen Haushalt.
      Ich bin es gewohnt, meine Probleme rational anzugehen. Dass es mir hier nicht gelingt, beunruhigt mich. Vielleicht wäre gerade die Erhellung der innersten Motive für diese Zuneigung gleichbedeutend mit ihrer Liquidation. Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich die Reflexion aufgebe. Ich gebe zu, dass er mich anzieht und ich nicht weiß warum.

Biermann zeigt sich mir gegenüber immer feindseliger. Heute bogen wir beide von zwei verschiedenen Seiten eilig um eine Ecke des Flurs im Parterre und stießen so zufällig beinahe körperlich zusammen. Ich wich im letzten Augenblick aus und war schon an ihm vorüber. Biermann rief mir spontan und in gehässigem Ton nach: „Na, Berliner, steht die Mauer noch?!“ Es klang eindeutig triumphierend. Da er sonst wenig Herabzusetzendes an mir findet, muss halt der Grenzwall herhalten. Ich drehte mich nicht um und ging weiter.
      Mir ist aufgefallen, dass er mich manchmal während des Unterrichts oder in den Pausen scharf ins Auge fasst. Dann wende ich mich ab und mache dazu mein finsterstes Gesicht.

Heinz muss sich sehr über seine Frankfurter Kollegen geärgert haben. Er kam heute Morgen verstimmt, ja geradezu aufsässig zum Frühstück und war kaum zu besänftigen. Sie haben ihr Spiel wohl zu weit getrieben, so dass er bemerkt hat, wie sie Schindluder treiben mit seiner Naivität. Doch selbst jetzt, wo er nicht länger ihr Trottel sein will und sich endlich einmal um Ernst und Selbständigkeit bemüht, wirkt er bloß infantil in seinem Grollen und Schmollen.
      Zu mir war er sanft und freundlich wie meistens. Nach langer Zeit kam er wieder einmal in den Leseraum. Es ergab sich, dass wir nebeneinander saßen und einige Worte wechselten. Ich werfe mir jetzt vor, dass ich unverbindlich blieb und nicht auf ihn einging.
      Beim Mittagessen war Heinz auch an unserem Tisch ein Gesprächsthema. Paetzold fing damit an: „Der aus Darmstadt? Der wird doch jetzt richtig schwachsinnig.“ Und Heise pflichtete ihm bei: „Ja, er versucht immer, bei allem mitzumachen, aber er schafft es nie so richtig.“
      Wenn ich über ihn nachdenke, scheint mir sein Dilemma einfach darin zu bestehen, dass er vollkommen unfähig ist zu jener totalen Anpassung, der immer wieder seine größte Kraftanstrengung gilt. Und je klarer dies allgemein wird, umso geringer sein Ansehen hier. Es ist ja wahr, er ist ein wenig primitiv – wenn man das Wort richtig versteht. Wie bei einem Primitiven zeigt sich jede Regung unverhüllt, und das empfinden heute die meisten als abschreckend. Er möchte vor allem geliebt werden – nur ist er weder glatt noch besonders hübsch, weder geschickt noch charmant. In einer Welt, in der nicht die Qualität des ursprünglichen Charakters zählt, sondern dessen verwertbare Eigenschaften, steht er einigermaßen dumm da. Er fühlt sein Manko, doch ein Rückzug aufs Ich ist ihm nicht möglich. Also sieht er nur einen Ausweg: Wenn schon nicht durch Leistung glänzen, so eben durch vollkommene Anpassung an die anderen. Er will in allem wie sie sein, macht alles mit, unterwirft sich jedem Zwang. Dass die anderen ihn lieben müssten, wenn ihm diese Selbstentäußerung tatsächlich gelänge, ist sein großer Irrtum.
      Zu seinem Glück - oder Unglück, da bin ich mir nicht sicher - schafft er die Anpassung nur unvollkommen, seine Grundstruktur fordert und verhindert sie zugleich. Er findet sich nicht wirklich in der Welt der anderen zurecht, er bleibt unter ihnen ein Fremdling. Seine natürliche Gutmütigkeit ist ihm allemal im Weg. Dass er, selbst wenn er möchte, nicht aggressiv werden kann, macht ihn für die anderen zum Tölpel. Er spielt überall mit und wirkt stets unglaubwürdig, da er die Verhältnismäßigkeit seines Verhaltens nicht abschätzen kann. Konkret: Er übertreibt. Er strengt sich allzu offensichtlich an. Seine Spontaneität ist vorgetäuscht, seine Lebhaftigkeit nur der Ausdruck seines unerfüllbaren Wunsches, in einem Größeren aufzugehen.
      Zwei Monate sind jetzt um. Wir alle, die wir hier auf so engem Raum zusammenleben, haben in dieser Zeit eine Entwicklung durchgemacht, für uns selbst wie für alle anderen deutlich erkennbar. Unser Charakter ist offenbar geworden. So gesehen könnten wir jetzt abreisen. Was kann schon noch Großes kommen? Nicht mehr viel von Belang, schätze ich.

 

 




4. Zu weit gegangen

Und nun hat es doch einmal richtig gekracht … Das klingt erleichtert, aber so ist es nicht. Im Gegenteil, seit ich in L. bin, ist mir das weitere Durchhalten noch nie so schwer gefallen. Alles ist jetzt mühsam geworden, das Denken und das Schreiben, das Sprechen und sogar das Atmen. Ich habe schon darüber nachgedacht, für den Rest des Lehrgangs in ein Hotel überzusiedeln. Doch fehlt mir allein schon die dafür notwendige Energie. Und ich müsste ja weiter in die Akademie kommen und mich erinnern lassen.
      All das hat sich lange vorbereitet. Der nächtliche Lärmterror nahm Woche um Woche weiter zu. Zu viele reagierten sich so auf Kosten anderer ab. In der letzten Zeit gab es pro Woche vielleicht noch eine Nacht, in der man ungestört durchschlafen konnte. Sonst war in jeder Nacht mit ein, zwei oder drei Unterbrechungen zu rechnen, und jede dauerte eine halbe oder eine Dreiviertelstunde. Zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh lag man so anderthalb bis zwei Stunden wach, zähneknirschend und Rachepläne schmiedend.
      Auf der Hälfte der Etagen wurde in einzelnen Zimmern stets bis in den Morgen gefeiert. Von Zeit zu Zeit ging das Bier aus, und dann brach der gesamte Trupp auf, um Nachschub zu holen. Im Kasino konnte man lange nach Mitternacht noch Bier bekommen, und zwar kistenweise. Der Umsatz war so groß, das Geschäft so lohnend, dass der Pächter auch um zwei Uhr morgens noch zu Diensten war. Das wenigstens haben wir hoffentlich abgestellt …
      Das Biereinholen erfolgte nach strengem Ritual, wie es sich im Lauf der Zeit herausgebildet hatte. Gemeinschaftlich auf den Flur treten, sogleich laut „Bier her, Bier her!“ brüllen, die Zimmertür zuwerfen und zum Lift stampfen. Die Fahrstuhltür mehrmals schmetternd zufallen lassen, auf jeder Etage anhalten, „Bier her, Bier her!“ in den Stockwerksflur brüllen, die Stahltür wieder zwei-, dreimal zuwerfen. Wenn es vorübergehend ruhig wurde, konnten die in den Betten sich schon auf das bald folgende erneute Crescendo gefasst machen. Die anschließende Auffahrt variierte den Ablauf in der Weise, dass auf jeder Etage eine Strophe von Der Steiger kömmt gesungen wurde, dazu den vollen Bierkasten aus der Fahrstuhlkabine gezerrt und mehrfach krachend auf dem Flurfußboden aufgesetzt – infernalisches Hallen und Dröhnen im gesamten Hochhaus garantiert.
      „Wir können es uns nicht länger bieten lassen“, sagte Heise gestern Morgen. Er schlug vor, wir sollten zu Doktor Friedrichsen gehen und ihn energisch auffordern, für das unbedingt notwendige Mindestmaß an Nachtruhe zu sorgen.
      „Kann man versuchen“, meinte Paetzold. Aber sich gerade bei diesem Leiter über die Folgen ungezügelten Alkoholkonsums zu beschweren, das sei – wie die Sachen nun einmal lägen – nicht frei von Komik.
      „Was schlagen Sie denn vor?“ wollte ich wissen.
      „Dass wir uns ihnen zeigen, so wie wir sind, eben aus dem Bett gefallen … „
      „… verschlafen, verärgert …“
      „ … und lautstark protestieren. Es ist nur unser Recht, das wir fordern.“

Es ging diesmal bald nach Mitternacht los. Sie kamen von oben, und als wir gerade aus unseren Zimmertüren traten, hatten sie die Fahrstuhltür - „Bier her, Bier her!“ – schon das dritte Mal zugeworfen und waren unterwegs zum Kasino. Wir standen eine Weile gähnend herum und warteten ab. Der Lärm schwoll von unten her wieder an, dann hielten sie auf unserem Stockwerk.
      „Der Steiger …“ Heise stellte einen Fuß in die geöffnete Lifttür. Sie brachen sofort verblüfft ab. Paetzold putzte sie kurz und barsch herunter. Der, der den Bierkasten noch in beiden Händen hielt, zog sich mit ihm in die Kabine zurück und stellte ihn dort ab. Sie maulten etwas und murmelten: „Schon gut, ihr Spielverderber. Dann pennt mal weiter.“
      Damit hätte es für diese Nacht vorbei sein können, jedenfalls auf unserer Etage. Es wäre so besser gewesen … Die Sache war nur die: Ich hatte Heinz unter ihnen entdeckt.
      Ich würde mir jetzt gern darüber klar werden, was danach in mir abgelaufen sein muss. Ich weiß, wie leicht man sich täuschen kann, wenn man sein Handeln nachträglich untersucht. Die Reihenfolge von Ursache und Wirkung kann sich einem dabei umkehren. Trotzdem will ich mir jene Momente vergegenwärtigen. Wie war es genau, welcher Spezialteufel ritt mich denn?
      Ich weiß es nicht wirklich und mit Bestimmtheit, das ist jetzt mein Ergebnis. Es will mir scheinen, ich fühlte zunächst gar nichts. Vielleicht war ich einen Augenblick ebenso verblüfft wie die in der Kabine es kurz gewesen waren, als wir einschritten. Nur dass ich mich nicht zurückzog, sondern vordrang. Ja, ich ging, ohne zu überlegen, in die Kabine hinein. Genau vor mir stand jetzt ein kleiner Schwabe von gut vierzig Jahren. Er ist einer von diesen Familienvätern, die man nach langen Jahren im Dienst hierher schickt, zur Belohnung und damit sie vor dem Ende ihrer Laufbahn noch ein kleines Stück weiterkommen. Er ist nur mittelgroß und ziemlich dürr und vor der Zeit alt geworden.
      Auf einmal sah ich alles in diesem mickrigen Schwaben verkörpert: die ganze kleine Beamtenwelt, meine dumme Verstrickung in sie, unser sinnloser Zwangsaufenthalt hier und vor allem die Gefahr für Heinz: dass auch er mit den Jahren solcher Verschrumpelung anheimfallen muss.
      Der Schwabe wich ein wenig zurück, ich ging auf ihn zu. Er blieb in der Kabinenmitte stehen und sagte klagend: „Was willscht du? Bleib draußen.“
      Ich stürzte mich auf ihn, packte ihn erst an den Schultern und dann glitten meine Hände seinen Hals hinauf. Ich begann ihn zu würgen. Und jetzt erinnere ich mich doch an mein Gefühl dabei. Es bestand aus sehr viel Zorn und auch aus Lust und aus nicht wenig Erleichterung. Der andere versuchte sich mir zu entwinden, bog seinen Leib zurück. Genau das nutzte ich aus: Ich folgte seiner Bewegung, verstärkte sie und drückte ihn mit Macht vor mir her. Schon knallte er mit seinem kümmerlichen Rücken gegen die stählerne Kabinenrückwand. Ich zog ihn noch einige Male zu mir heran und ließ ihn immer wieder aufprallen.
      Besinnungslos vor Zorn kann ich nicht gewesen sein – ich weiß, dass mir durch den Kopf ging: Er wird hoffentlich keinen Wirbelkörperbruch bekommen. Dieses Bedenken kam mir jedoch nur nebenbei, während meine Gedanken schon in eine andere Richtung gingen. Ich spürte jetzt noch einen Antrieb, ich sah zu Heinz hinüber – und hoffte stark, er würde eingreifen. Die Vorstellung, gleich würden wir miteinander ringen, war auf einmal da und sie gefiel mir sehr. Oder war das von Anfang an mein wirkliches Ziel gewesen: eine allgemeine Keilerei auszulösen, um endlich an ihn heranzukommen?
      Keiner griff ein, die anderen protestierten oder mahnten. Einige von den Störern traten wieder auf den Flur hinaus, darunter auch Heinz. Ich hielt den Schwaben noch umklammert und sah zu Heinz hin. Er schaute wortlos herüber. Ich begriff: Diesen Angriff hätte er dir nie zugetraut. Ich sah, wie sein Bild von mir sich rasch ins Gegenteil verkehrte, genau dieser Vorgang malte sich jetzt auf seinem Gesicht ab. Er stand starr da, er starrte herüber. Ich ließ den Schwaben los.
      Paetzold war neben mir und sagte: „Kommen Sie jetzt. Es genügt. Kommen Sie …“
     Unsere Gegner zogen sich in die Kabine zurück. Nur Heinz stand noch auf dem Flur und hörte nicht auf, mich ungläubig zu fixieren. Da kam einer von den anderen noch einmal heraus und zog ihn hinein. Die Tür schloss sich sofort. Ich sehe ihn noch herausschauen, in meine Richtung.

Heute gab es in den Pausen, bei den Mahlzeiten erregte Gespräche über die Ereignisse der Nacht. Wir Berliner werden allgemein wenig freundlich angesehen. Insbesondere mich trifft mancher kalte, gehässige Blick. Ich scheine zu weit gegangen zu sein. Ja, ich bin zu weit gegangen, doch sie wissen nicht einmal, inwieweit.
      Heinz schaut nach wie vor oft zu mir herüber, doch jetzt aufgeregt und böse. Er zeigt mir deutlich, was wir nun seiner Meinung nach sind: definitiv verfeindet.
      Mit Paetzold und Heise ging ich am Vormittag zu Doktor Friedrichsen. Er gab uns unter dem Strich Recht, doch mit so viel Vorbehalten, dass wir uns nicht wirklich bestärkt fühlen können. Er nahm das Wort Anstaltskoller viel zu oft in den Mund. Leidet er am Ende auch daran? Um uns etwas aufzulockern, berichtete er, was im vorigen Lehrgang hier unter anderem Brauch war: Sie warfen damals immer wieder die Toilettenpapierrollen aus den Fenstern der oberen Etagen und wickelten sozusagen das ganze verdammte Hochhaus in weißen Krepp ein.
      Heute Abend ist es ungewöhnlich ruhig im Haus. Es darf übrigens ab sofort nachts kein Bier mehr im Kasino verkauft werden. Wir sollten alle einmal ruhig schlafen.


5. Erst Bergfest, dann Totenstille

Man kann auf eine Weise ignoriert werden, die das enge Band zwischen dem Ignorierenden und einem selbst nur noch deutlicher werden lässt. Ich gebe mir ja alle Mühe, Heinz wirklich zu übersehen – doch dabei ist vermutlich allerlei von meinem Gesicht abzulesen: Ermüdung, Resignation, Schmerz und ein Rest Hoffnung, ja, Hoffnung auch. Ich betrachte mich bei dieser Gelegenheit niemals im Spiegel, doch glaube ich, die Beherrschung, um die ich mich bemühe und die ich angespannt tatsächlich erreiche, sie drückt sich auf meinem Gesicht und in meinen Bewegungen aus. Vielleicht nur für ihn ablesbar.
      Er versucht nicht einmal, Gleichgültigkeit vorzutäuschen. Er ist enttäuscht von mir - so wie in jener Nacht hätte ich mich nach seinem Gefühl nie verhalten dürfen. Er grollt und er zeigt es offen. Er wendet sich demonstrativ von mir ab. Gestern Nachmittag beispielsweise saß ich mit der Süddeutschen im Leseraum. Heinz kam herein. Ich blickte nicht auf, ich hatte ihn aus den Augenwinkeln heraus an seinem halb federnden, halb tappenden Gang schon erkannt. Er kam auf mich zu. Zufällig blätterte ich eben im Wirtschaftsteil. Die Börsenkurse sind für mich von keinem größeren Interesse. Ich wollte umblättern und während ich es tat, stand er auf einmal neben mir. Hatte er mich wirklich nicht hinter meiner Zeitung sitzen sehen? Ich ließ das Blatt sinken und begegnete seinem Blick. In ihm waren Überraschung, Aufruhr, Empörung zu lesen. Er drehte sich sofort um. Ging rascher, als er hereingekommen war, zur Tür zurück und verschwand. Also erträgt er es jetzt nicht einmal mehr, in unserer freien Zeit einen Raum mit mir zu teilen, der für alle da ist.
      Ich blieb noch lange sitzen, ohne mich auf einen weiteren Artikel konzentrieren zu können. Er kam kein zweites Mal herein.

Heute hat er seine Ablehnung erneut zu Protokoll gegeben, diesmal öffentlich und alles sozusagen in Großbuchstaben. Er wollte in der großen Vormittagspause einen Zehn-Mark-Schein gewechselt haben und sprach vergeblich der Reihe nach alle in seiner Nähe an – nur mich nicht. Es kränkt mich nicht, fast fühle ich mich ausgezeichnet.
      Nein, meine Einstellung zu ihm hat sich in keiner Weise geändert. Nur bin ich bin jetzt so deprimiert, so geschwächt, dass ich gewöhnlich nicht mehr viel Kraft und Aufmerksamkeit für ihn übrig habe. Ich schaffe es eben gerade, mich selbst aufrechtzuhalten. Das sublime Kammerspiel oder introvertierte Theater der letzten Monate ist auch aus diesem Grund zu Ende, ich weiß es recht gut. Nur noch kurze Zeit und ich werde mich wahrscheinlich von seinem Eindruck gelöst haben. So weit es ist es aber noch nicht …

Ich habe vergeblich versucht, mein Verhältnis zu dem kleinen Schwaben in Ordnung zu bringen. Er kommt so armselig daher. Ich schäme mich, ihn angegriffen zu haben. Und ich will mir nichts vormachen: Ich hatte auch Heinz im Kopf, als ich in der großen Pause eine halbe Entschuldigung anzubringen versuchte. Doch der Schwabe nahm sie nicht an, unterbrach mich gleich und wandte sich ab. Er will gegen mich erbittert bleiben. Nun, wenn’s ihm denn hilft, die restliche Zeit hier herumzubringen … An seiner Feindschaft liegt mir nichts, sie ist ohne Bedeutung.
      Heinz war nicht in der Nähe. Anderenfalls hätte ich den Vorstoß zu diesem Zeitpunkt nicht unternommen.
Es gibt übrigens Anzeichen, dass wir das frühere Spiel wieder aufnehmen könnten. Er blinzelt neuerdings bei den Mahlzeiten herüber. Begegnen wir uns jedoch auf einem Weg, dreht er im Weitergehen Kopf und Oberkörper nach wie vor zur anderen Seite.

An dem Fest lag mir nichts. Ich wollte den Abend nur ungerührt über mich ergehen lassen. Doch froh war ich, dass wir aus diesem Anlass den Nachmittag frei hatten. Die anderen Berliner wollten genau wie ich L. wieder für ein paar Stunden entfliehen. Merkwürdiges Fest, auf das man sich vorbereitet, indem man den Festort bis zur letzten Minute meidet.
      „Wir waren noch nie in der Heide. Können wir nicht mal in die Heide fahren?“ – „Ja, das schafft man an einem Nachmittag. Sie blüht vielleicht jetzt noch.“
      Wir fuhren also mit drei Autos zum Südrand der Heide. Da waren nur weite Wiesenlandschaften, von Kanälen und Baumreihen durchzogen. Wir bogen wiederholt ab, von Haupt- auf Nebenstraßen, dann auf bessere Feld- und Waldwege, die für den allgemeinen Verkehr nicht gesperrt sind. Die Gegend änderte sich in dem Maß, in dem wir nach Norden vorankamen, wurde trockener, einsamer. Dürftiger Kiefernwald herrschte nun vor. Wir erwarteten, bald doch noch das ursprüngliche Bild der Heide vor uns auftauchen zu sehen. Es schien uns sozusagen in der Luft zu liegen. Stattdessen öffnete sich im Wald eine Lichtung mit Wiesen und Feldern und einer Gruppe von Gebäuden. Auch um sie war es menschenleer. Endlich entdeckten wir eine ältere Frau in einem Garten arbeitend.
      „Entschuldigung, ist hier irgendwo Heide? Können Sie uns sagen, wo wir noch echte Heide finden?“
      „Nein, hier gibt’s keine Heide“, sagte sie kurz angebunden und durch ihren Tonfall alle denkbaren weiteren Fragen von vornherein abschneidend. Sie bückte sich schon wieder über das Beet.
      „Geben wir’s auf.“ Die Fahrer wendeten mitten auf dem sandigen Weg. Dann wollten wir rasch in die nächste größere Stadt und kamen nach C. Sein alter Kern ist berühmt für seine vielen Fachwerkhäuser. Wir waren schon etwas knapp mit der Zeit und kamen nur noch zu einem kurzen Bummel durch einige dieser Gassen. Das Fachwerk ist oft reich verziert und fast immer bunt bemalt. Für mich ergab das einen sehr unruhigen Gesamteindruck, und zum Betrachten von Details reichte es leider nicht mehr.
      Unsere Fahrer jagten danach in Dreierkolonne über die große Bundesstraße südwärts. An der Kreuzung mit einer Ost-West-Chaussee wäre es beinahe passiert. Ich saß bei Kraushaar im letzten Wagen und wir entgingen, als wir den anderen beiden hinterher schossen, gerade noch einem Zusammenstoß. In Zukunft will ich nur noch mit Paetzold fahren.
      Als wir in L. ankamen, war keine Zeit mehr, noch auf unsere Zimmer zu gehen. In dieser Minute fing das festliche Essen an, es wurden eben die Kalten Platten aufgetragen. Wir sanken gerade rechtzeitig auf unsere Stühle.
      Bergfest? Man sollte es Talfest nennen. Ich will nur hoffen, wir haben damit die Sohle erreicht.
      Bereits zum Essen gab es Freibier. Sie kauten also und gurgelten nach jedem zweiten Bissen. (Ich kaute und gurgelte auch.) Es wurde schon bald lebhafter, geräuschvoller als bei einem gewöhnlichen Abendessen. Nur wir an unserem Tisch kamen erst mit Verzögerung in die rechte Stimmung, wenn überhaupt. Ich sah ab und zu kurz hinüber, zum Tisch der Frankfurter. Ihre Gesichter glänzten in froher Erwartung, auch das von Heinz. Ich bildete mir ein, sie hielten sich in dieser Phase gerader als sonst und sie aßen manierlicher, sprachen deutlicher. Es gibt nur dieses eine Fest während der ganzen Zeit an der Akademie, man muss sich entsprechend würdig betragen. Nach der Abschlussprüfung fahren alle schnell nach Hause, das Zeugnis in der Tasche.
      Als das Essen vorbei war, standen viele von den Tischen auf und gingen und standen abwechselnd herum. Ich blieb mit Heise und Paetzold sitzen. Das fünfköpfige Festkomitee baute jetzt im Durchgang, ganz in unserer Nähe, eine Stuhlreihe auf und placierte sich dort. Dann sagte ein jeder von ihnen sein kurzes, neckisches Grußwort ins Mikrophon, wobei er sich umständlich erhob und mit dem Stuhl geräuschvoll rangierte. Die Zuhörer applaudierten zu Beginn des Manövers wie an seinem Ende, wenn der Redner ihnen mit der Bierflasche zuprostete und einen großen Schluck daraus nahm. Die Komik der ganzen Prozedur bestand im Missverhältnis zwischen dem betriebenen Aufwand und der kurzen, nichtssagenden Rede. Alle scheinen das so empfunden zu haben. Heinz und die Frankfurter schrieen ein um das andere Mal: „Hurra, hurra!“ Es inszenierte sich die Lust an der Selbstveräppelung.
      Danach trank man stärker. Ich sah jetzt auch Schnapsflaschen kreisen, aus denen weiter hinten kleine Gläser voll geschenkt und schnell gekippt wurden. Der Geräuschpegel stieg im Nu noch einmal deutlich an, zumal man uns jetzt auch musikalisch beschallte.
      Den Hauptteil des Abends habe ich noch mitbekommen, bevor ich gegangen bin. Biermann rezitierte aus der zum großen Teil von ihm selbst verfassten Bierzeitung. Er hatte auf gut ein Dutzend von uns Spottverse geschmiedet, über die zu lachen für die so Ausgezeichneten natürlich selbstverständlich war. Ja, auch ich gehörte zu diesen Prominenten, und ich wundere mich jetzt, dass es mich zunächst erstaunte. Ich gehe ja wie ein Unberührbarer zwischen ihnen herum und glaubte mich bisher vor Auf- und Zudringlichkeiten in Sicherheit. Meine Interesselosigkeit ihnen gegenüber hielt ich für eine schützende Membran, während sie tatsächlich in mindestens einer Richtung durchlässig zu sein scheint. Menschen wie Biermann verzeihen manches nicht, vor allem nicht, wenn einer nicht teilnimmt, nicht an ihren Vergnügungen, nicht an ihren Kümmernissen, nicht an der Teilnahme, die sie sich selbst zuwenden.
      Ich musste vier boshafte Zeilen über mich anhören. Sie wurden belacht, wie alles andere auch, nicht mehr, nicht weniger. Ich saß da, äußerlich ungerührt – ich hatte mir rasch einen mäßig interessierten, neutralen Gesichtsausdruck zurechtgemacht – und war im Innern über so viel Hass dann doch erschrocken. Übrigens hat Biermann zweifellos Talent.
      Nachher bekamen alle von ihm persönlich ein Exemplar dieser Bierzeitung überreicht. Ich nahm meines an und begann in ihm zu blättern. Biermann ist auch ein begabter Illustrator. Er hat die Wirkung seiner giftigen Poeme mit Zeichnungen voll exakter und aggressiver Beobachtung zu erhöhen verstanden. Jetzt weiß ich, warum er mich in den letzten Wochen immer wieder so scharf gemustert hat. Ich habe ihm unfreiwillig, ahnungslos Modell gestanden und gesessen für eine gehässige Karikatur. Oder habe ich dabei wirklich eine so höhnische Miene zur Schau getragen?
      Was hat er denn nun über mich gedichtet? Zu meinem Glück habe ich es so wenig an mich herankommen lassen, dass es sich mir mit seinen Einzelheiten nicht eingeprägt hat. Das Heftchen liegt schon in meinem Papierkorb, ich werde mich nicht nach ihm bücken.
      Nicht mehr auslöschen kann ich dagegen die Erinnerung, wie Biermann in seinem Sudelbuch mit Heinz umgesprungen ist. Auch ihm wurde ein Gedicht gewidmet, länger als das auf mich gemünzte. Er ist „der Bärtige aus Darmstadt“. Schon über den Titel wurde viel gelacht: „Genie im Kleinformat“. Heinz lachte laut mit, wie geschmeichelt, ich sah es von meinem Platz aus mit rasch wachsendem Ärger. Genie im Kleinformat – wie scharfsinnig daneben … Es ist ja wahr, dass etwas ganz und gar Ungewöhnliches, in gewissem Sinn auch Genialisches an ihm ist, an seinem Auftreten, seiner Ausstrahlung, nur eben nicht an den Leistungen seines Kopfes. Es gehört in den Bereich der Seele. Übersetzt man es ins Verstandesmäßige, kommt zwangsläufig etwas Unzureichendes und Schiefes heraus. Höchst infam.
      Und dann zu seiner Charakterisierung diese acht kleinen Wörter, bloß diese acht Einsilber: „Er ist nicht Mensch, er ist nicht Tier …“ Das nahmen alle beifällig auf, wie die kürzestmögliche Formel für Heinz. Und auch er selbst billigte sie schweigend. Was für ein Wesen ist das denn: nicht Mensch, nicht Tier? Etwas dazwischen, meint Biermann wohl, wie ich ihn kenne. Nicht mehr ganz Tier, aber noch nicht ganz Mensch – also ein Mensch zweiter Klasse, allenfalls. Kein vollwertiger Mensch – am Ende ein Untermensch, wie das früher so schlimm genannt wurde?
      Oder bezieht Biermann sich vielleicht auf etwas, das zwischen ihnen vorgefallen ist? Auf etwas Konkretes, das er, Biermann, mit äußerstem Nachdruck zurückweisen muss, indem er es für animalisch erklärt? Fragt sich dann nur, auf welches Tier er anspielen will.
      Biermann gab auch Heinz ein Exemplar. Dabei lächelte er – durchbohrend: so will ich das einmal nennen. Heinz nahm die Broschüre wie ein Geschenk an, dessen Wert er zu würdigen versteht. Noch immer geschmeichelt. Da ging ich schnell hinaus.
      Die meisten sind noch im Kasino, während ich hier seit einer Dreiviertelstunde schreibe. Wie ruhig es jetzt einmal auf den Etagen ist … Erwähnte ich schon, dass es hier sonst weiterhin mit der Abend- und Nachtruhe nicht weit her ist?

Der Stumpfsinn geht immer weiter. Die vielen Stunden, die man hier ohne Gewinn absitzt! Welche Nieten bei uns als Dozenten auftreten! Da kommen Justizassessoren angereist, die uns auf die nahe Prüfung vorbereiten sollen und dabei selbst bedeutend weniger Wissen aufweisen als die meisten ihrer Zuhörer. Grotesk und peinlich ihre Ahnungslosigkeit, die sich von Stunde zu Stunde deutlicher herausstellt.
      Man hätte uns auch jene älteren Herren ersparen sollen, die nicht mehr imstande sind, längere Zeit vor vierzig bis fünfzig Menschen zu sprechen. S., ein scheidender Hauptgeschäftsführer, ist auch so ein Fall, er ist diese Woche dran. Im Grunde eine biedere, sympathische Seele, ein Linksliberaler alter Prägung … Er ist sehr müde und weiß selbst am besten, dass er nicht mehr die Kraft hat, über Stunden Hörer im Bann seines Vortrags zu halten. „Ich habe versucht, Ihnen zu verdeutlichen, dass …“ versichert er von Zeit zu Zeit schüchtern. Er beteuert des Öfteren, dass er „zwar einen Knieschaden, aber keinen Dachschaden“ habe und bittet, sich setzen zu dürfen. Dann kauert er hinter dem Tisch auf dem Podium, leicht zusammengekrümmt, manchmal sehr leise, fast unverständlich werdend. Gelegentlich hat er sogar Wortfindungsstörungen.
      Man ist auch um unsere politische Bildung besorgt. Ein Ausflug zur Zonengrenze – so heißt das natürlich hier - ist Bestandteil eines jeden Abschlusslehrgangs. Wir haben ihn schon hinter uns. Doktor Friedrichsen hatte drei Busse geordert, mit denen wir ins Gebirge chauffiert wurden. Einer war ein Veteran und schaffte die Steilstrecke aus der Tiefebene hinauf beinahe nicht mehr. Also passten die beiden anderen ihre Geschwindigkeit seiner an und alle drei schlichen mit Tempo fünfzehn zur Passhöhe hinauf. Endlich kamen wir auf dem Parkplatz vor dem Bergdorf an, das immer angesteuert wird. Von dort sind die Grenzanlagen besonders gut zu überblicken. Alle achtundachtzig stiegen aus. Doktor Friedrichsen instruierte uns über den weiteren Ablauf – und dabei passierte es ihm, dass er sich mal wieder verhaspelte. Die, die den ersten Bus verließen, hörten von ihm, die Rückfahrt sei für siebzehn Uhr geplant, und zerstreuten sich sogleich in der weitläufigen Gegend. Tatsächlich sollte zwei Stunden früher weitergefahren werden. Nun mussten alle die Zeit dort oben totschlagen und das restliche Programm entfiel. Was macht man vier Stunden in H.? Wir bevölkerten die Cafés.

Und jetzt gibt es bei uns eine wirkliche und blutige Katastrophe! Dass ich auch das noch festhalten muss … Zwar bin ich noch immer wie vor den Kopf gestoßen – und doch: Hat es sich nicht vorbereitet und angekündigt, dieses Unheil? Hier lag so viel in der Luft – musste einer geopfert werden? Aber warum dann gerade er?
      Ich habe nie ein Wort mit ihm gesprochen. Er war Mitte vierzig, verheiratet, hatte zwei Kinder; kam aus Krefeld. Fast immer kam er mir gut gelaunt vor, unangemessen gut gelaunt, will ich sagen. Er war etwas dicklich und schon recht bequem. Seine Kollegen machten sich darüber lustig, dass er Abend für Abend pünktlich um acht mit einer Flasche Bier immer denselben Sessel vor dem Fernsehapparat im Kasino belegte, alles nur über sich ergehen ließ und stets bis zum Sendeschluss ausharrte. Sein ganzer Heroismus schien in dieser totalen Passivität zu bestehen.
      Vorgestern feierte man abends im sechsten Stock einen Geburtstag, geräuschvoll wie immer. Wie ich erst vorhin erfahren sollte, erlaubte sich einer dabei den Scherz, von oben eine leere Bierflasche auf den Wagen des Krefelders zu werfen. Der ärgerte sich still über die Beulen – er war nicht auf der Party gewesen - und brachte gestern Mittag das Auto zur Reparatur. Nachher saß er wieder mit uns im Hörsaal, als draußen auf der Kreuzung zwei Wagen laut krachend zusammenstießen und uns aus unserem Dösen jäh aufschreckten. Ich sah ihn in der bald folgenden Pause mit den meisten anderen hinausgehen, der vermeintlichen Sensation auf der Spur. Dann kamen sie zurück, alle hörbar enttäuscht: nur Blechschaden, kein Blut - doch immerhin: erst sechzehntausend Kilometer drauf.
      Vierundzwanzig Stunden später ließ sich der Krefelder von einem Kollegen aus Aachen zur Werkstatt fahren, um den eigenen Wagen abzuholen. Sie nutzten dafür eine Pause und es pressierte natürlich. Sie kamen an die Stelle, an der die Ausfallstraße das Bahngleis kreuzt. Das Signal stand auf „rot“. Der Aachener fuhr trotzdem mit hohem Tempo weiter. Von rechts kam ein Schienenbus, erfasste das Auto und schleifte es dreißig Meter weit mit.
      Zu der Zeit saßen die meisten von uns schon wieder im Hörsaal. Kurz darauf hörten wir die Martinshörner von Polizei und Feuerwehr. Dann kam einer herein und rief es uns zu: „Schwerer Unfall! Der Wagen aus Aachen! Wer war noch drin?“
      Wir rannten alle aus dem Hörsaal und kurz darauf starteten an die zwanzig Fahrzeuge zur Unfallstelle. Sie war weiträumig abgesperrt. Das Wichtigste erfuhren wir hintenherum, scheibchenweise.
Der Krefelder war gleich tot gewesen. Der Aachener - übrigens ein sanfter und hübscher Mann, schwarzhaarig, mit dunklem Teint – liegt lebensgefährlich verletzt in einem Krankenhaus. Lungenriss, heißt es, und die Nieren sollen auch beteiligt sein.
      Noch nie war es im Hochhaus abends so ruhig gewesen wie heute. Sage und schreibe: Totenstille.


6. Nur ein dummes Lied

Sehr still verlief auch das Frühstück heute Morgen, dem Morgen nach dem Unglück. Man sprach wenig und leise. Dann schlichen wir alle hinüber in die Vorlesungen. So geht man von einem Grab fort, an dem man sich von einem plötzlich und unerwartet Verstorbenen verabschiedet hat. Es ist da etwas geschehen, das durchaus nicht hätte vorkommen dürfen. Und das Geschehnis empfindet man als einen Vorwurf gegen sich selbst, einen Vorwurf, den man zurückweisen möchte, nur findet man keinen Ansatz, um sich zu entlasten. Wir wissen inzwischen alles über das Unglück, darüber gibt es nichts mehr auszutauschen. Das ist der Zeitpunkt, an dem die peinlichen Gefühle zu überwiegen beginnen.
      Der Dozent kam in Begleitung von Doktor Friedrichsen, dem er das Wort zunächst überließ. Der Leiter fand zugleich trockene und ergreifende Worte. Wir standen für eine Minute auf und gedachten des Toten. Damit war den hergebrachten Formen Genüge getan. Wie Doktor Friedrichsen es ausdrückte: Leben und Lehrgang gehen weiter. Wir bereiten uns weiter auf die Prüfung vor und sollen dem schwer Verletzten einen Platz in unserem Hinterkopf einräumen. Von seiner Lebensgefahr war zu unserer Erleichterung nicht mehr die Rede.
      Am Nachmittag vollzog sich dann ein allgemeiner Stimmungsumschwung. Die Gespräche belebten sich wie die Gesichter. Wir fanden schon zurück zur Normalität. Es gab wieder andere interessante Themen. Die Teilnahme an dem, was vierundzwanzig Stunden vorher geschehen war, erstarb binnen kurzem. Das war ein sehr auffallender Vorgang, ein sich Wiederbeleben aus bewusstem eigenem Entschluss.
      Während ich hier auf meinem Zimmer schreibe, beginnt rundum der Bienenstock wieder in der üblichen Weise zu summen und zu rumoren. Sind wir nicht alle jung? Musik liegt auch schon wieder in der Luft. All das kommt mir vor wie ein absichtliches Vergessen, ein Zurückfallen in den alten, bösen Trott. Sie weigern sich, über das abrupte Ende einer vielleicht sinnlosen Existenz nachzudenken, über seine Ursachen und seine Hintergründe.
      Und ich selbst wende mich ja auch ab. Es gab da heute Morgen mitten in der allgemeinen Noch-Trauer oder Schockstarre ein Ereignis, das mich tief berührte und beinahe ein wenig glücklich machte. Ich muss etwas ausholen …
      Jetzt, da es zunehmend herbstlich und unfreundlich geworden ist, verbringen die meisten von uns die große Pause zwischen den zwei Vorlesungen morgens nicht mehr draußen bei den immergrünen Büschen. Es hat sich eingebürgert, für eine Viertelstunde ins Kasino hinüberzugehen. Dort findet dann neuerdings auch die Verteilung der Privatpost an die Adressaten statt. Man geht ein wenig herum oder nimmt gleich an seinem gewöhnlichen Tisch Platz. Doch wird die Tischordnung der Mahlzeiten nicht streng beachtet. Wer ein Gespräch sucht, lässt sich auch einmal auf einem fremden Platz nieder.
      Heute Morgen saß ich mit Kraushaar und einem Hannoveraner an unserem Tisch zusammen. Die übrigen Berliner fehlten. Mit Kraushaar kann ich gar nicht reden, ich finde ihn nur beschränkt. Umso besser versteht er sich mit dem aus Hannover. Wir saßen keine zwei Minuten, als Heinz hereinkam und sich suchend im Raum umsah. Dann ging er nicht wie sonst zu seinen Frankfurtern, sondern kam auf uns zu. Wir beide sahen uns dabei an, viel länger als es zuletzt üblich war. Er hockte sich mir genau gegenüber hin und blieb da bis zum Ende der Pause sitzen. Er sagte in der ganzen Zeit kein einziges Wort, er saß nur stumm und trauernd da. Das Gespräch der anderen beiden versandete allmählich. Wir gedachten jetzt alle des Toten, vermute ich. Ab und zu sah mich Heinz wieder groß an, und ich las nicht nur Trauer auf seinem jetzt sprechenden Gesicht, sondern noch etwas: Nähe zwischen uns und Einverständnis mit mir.
      Er drückte schweigend alles aus. Er war mir wieder nah. Er nahm manches zurück. Er war voller Würde, er war jetzt schön. Als es Zeit war, dass wir wieder hinübergingen, stand er als Letzter auf und seufzte leise.
      Wie verschieden er von allen anderen hier ist … Neulich habe ich aufgeschnappt, wie Weber sich einmal über die Herkunft von Nicht Mensch nicht Tier ausließ. Heinz kommt also aus der ländlichen Umgebung von Darmstadt, nicht direkt aus der Stadt. Weber sagte: Du Bauernbub, du Bauerndepp … Und Heinz (der Bergsträßler) gab zurück: Weinbauernbub, Obstbauernbub …
      Es waren glückliche Minuten heute Morgen, für mich. Doch jetzt kommt mir ein neuer Gedanke und versäuert mir die Erinnerung: Hätte ich meinen Mund aufmachen und etwas über das Unglück sagen sollen? Hat er das von mir erwartet? Ich stelle fest: Während er mir gegenüber saß, empfand ich nur Übereinstimmung mit ihm und seinen Empfindungen (sie waren ja so deutlich) – aber er, muss er das auch so empfunden haben? Ein Rest Fremdheit bleibt zwischen uns selbst in einer derartigen Grenzsituation. Ich versuche mich mit dem Ort zu rechtfertigen: An einem Tisch sitzend mit zwei mir Gleichgültigen, hätte ich mich ihm gegenüber, der mir hier alles bedeutet, nicht aussprechen können.

Die Akademie ist weiterhin um unsere umfassende Bildung bemüht. Wie alle Lehrgänge vor uns wurde auch unserer jetzt zu den großen Stahlwerken in der Nähe gefahren. Wir sahen, wie in der Kokerei aus Kohle Koks wurde, wir erlebten einen Hochofenabstich, hielten uns längere Zeit in der Rohstahlproduktion auf und wanderten in einer Walzwerkshalle eine mehrere hundert Meter lange Bandstraße entlang.
      Man sollte viel öfter Gelegenheit haben, Fabriken von innen zu sehen. Die Werke der Großindustrie sind überwältigend und bedrückend zugleich – überwältigend für die Sinne und bedrückend für den Geist. Die Welt, in der das Millionenheer der Arbeiter Woche um Woche vierzig oder mehr Stunden verbringt, ist uns Verwaltungsmenschen sehr fremd. Ich wusste nichts, gar nichts vom Arbeiter. Nach einem Besuch in diesen Hallen, in der Maschinenwelt vermute ich, dass, wer annähernd den dritten Teil seiner Zeit dort zubringt, notwendigerweise ein anderes Lebensgefühl haben muss als unsereins.
      Die in Eisenhütte und Stahlwerk ausgenutzten Elementarkräfte kamen mir schlechthin gigantisch vor. Man sah verhältnismäßig wenige Menschen. Sie hatten nichts Bedrücktes an sich. Der Umgang, der verantwortliche Umgang mit solchen Riesenkräften an Feuer, Wasser, Dampf und Gasen, dieser anschauliche und auf brutale Weise schöpferische Produktionsprozess (wie aus Erz Eisen, aus Eisen Stahl und aus Stahl das jeweils gewünschte Blech wird) – all das scheint mir die dort Tätigen selbstbewusster und „freier“ zu machen als andere Arbeitnehmer, obwohl doch ihre Tätigkeit nicht weniger fremdbestimmt ist.
      Vor dem Ende unseres Rundgangs gab es einen Zwischenfall, einen Missklang. Der Ingenieur, der uns führte, ertappte einen von uns, wie er in einer dunklen Ecke sein Wasser abschlug. Er tadelte ihn kurz und mit scharfen Worten und schloss ihn sofort von der weiteren Besichtigung aus. Und der, der mit seinem Pissen den Stolz auf die Industriearbeit und das Gefühl für ihre Würde verletzte, kommt ausgerechnet aus dem Ruhrgebiet …

Wenn mir Heinz vor Augen oder in den Sinn kommt, empfinde ich neuerdings zunehmend starke Schuldgefühle. Warum nur? Er gibt mir doch jetzt immer wieder Zeichen einer viel versöhn-licheren Einstellung … Er ist ohnehin nicht der Mensch, der eine starke Abneigung lange durchhält. Und der schwere, katastrophale Unfall neulich hat bei ihm dann den Durchbruch bewirkt. Schön für mich …
      Wir registrieren uns also wieder. Und wir signalisieren uns, dass wir uns registrieren. Das geschieht nicht mehr nur bei den Mahlzeiten, wie früher schon von Tisch zu Tisch – wir vergewissern uns zum Beispiel auch wieder während der Vorlesungen, ob der andere anwesend ist und in welcher Verfassung er sich befindet und wie er auf ein Vorkommnis oder auch nur eine Äußerung, die gefallen ist, reagiert. Dabei sitzen wir im Hörsaal recht weit auseinander.
      Es freut ihn sichtlich, wenn ich über einen seiner kindlich harmlosen Späße lache. Er scherzt mit anderen vor meinen Ohren und dann sucht er mein Lächeln. Er sucht es gelegentlich sogar, wie ich sehr wohl bemerkt habe, zu provozieren. Das Schauen und das Lächeln, das sind tatsächlich die einzigen Arten von Kommunikation mit ihm, die bei mir nicht blockiert sind. Dass ich ihn mag, darüber dürfte er sich jetzt endgültig klar geworden sein, so rätselhaft und undurchschaubar ich sonst noch immer für ihn sein mag.

Es war eines von den amüsanteren Berliner Wochenenden – ich verbringe die freien Tage jetzt fast alle wieder in der Stadt. Dort pflegt man die offene Aussprache, dort wenigstens kommt man sich näher … Schon auf der Hinfahrt fange ich gleich hinter Dreilinden an, mich zu entspannen. Ich will mir aber nichts vormachen: Diese Nähe ist keine Herzensnähe. Man ist dort unbeschwerter, da man den anderen gerade so offen und leichtfertig betrachten und beurteilen darf wie sich selbst. Das ist es, was so entlastend wirkt.
      Am Freitagabend stieß ich im MC auf Egon, den Chemiestudenten. Wir hatten uns fast ein Jahr nicht mehr gesehen und ich fand ihn sehr verändert. Äußerlich ist er passabler geworden, nicht mehr so dicklich und jetzt erstaunlich unbefangen. Er hat sich etwas verspätet doch noch politisiert. Kaum zu glauben: Egon arbeitet in einer Roten Zelle mit, allerdings einer sehr speziellen. Rufus sagte mir hinterher, zu den wesentlichen revolutionären Neuerungen seiner Gruppe gehöre es, untereinander unablässig weibliche Personal- und andere Pronomina sowie die Anrede „Liebe Freundin“ zu verwenden. Auf mich wirkt es aufgesetzt, wie Egon, der früher so Verklemmte und auf komplizierte Weise Jungenhafte, jetzt mit Worten herumtölt. Seinem physischen Auftreten fehlt sonst jeder feminine Zug. Das ergibt einen seltsamen Kontrast

Und dann rief mich Gunnar nach langer Zeit wieder einmal an. Er wollte mich am Samstagabend zu Leuten aus der Niebuhrstraße mitnehmen. Ich tat ihm den Gefallen. Wir trafen uns also am Kranzlereck und er bereitete mich unterwegs schonend auf die Verhältnisse vor. Tatsächlich fand ich ein Milieu vor, das mir dem von Egons Roter Zelle genau entgegengesetzt und doch wiederum auf eine vertrackte Weise tief innerlich verwandt zu sein scheint. Die Inhaber der riesigen Wohnung, zwei Männer um die vierzig, boten eine unfreiwillige und ihnen selbst wohl kaum bewusste Parodie auf das gewöhnliche trübe Familienleben. Es fehlten da nur noch die aufsässigen Gören, die wider die etablierten Alten rebellieren.
      Die Gäste auf ihrer Geburtstagsparty waren fast alle Tunten um die dreißig, die meisten schon stark verfettet, und ich fand sie beschränkt und in ihren Anschauungen und Gewohnheiten erschreckend bürgerlich. Ein korpulenter, gutmütiger Knabe erkundigte sich gleich hintenherum bei Gunnar, ob ich noch zu haben sei. Später zwang er mich zum Tanzen und er fragte: „Willst du führen?“ Er stank nach Zwiebeln und Knoblauch, das üppige Kalte Buffet schien ihm geschmeckt zu haben. Ich musste auch noch mit dem Geburtstagskind kurz über die Tanzfläche watscheln - es roch penetrant nach Seife. Dann gab es das launische Getue einer alten Lesbierin …
      Ich gab Gunnar zu verstehen, dass ich mich langweilte und nicht einmal schuldbewusst sei. Wir gingen recht früh und fuhren in die Rio-Bar. Sie war wieder einmal überfüllt. Wir ließen uns stundenlang treiben und herumstoßen und ich war schon verkatert, als ich um halb sieben nach Hause kam und auch diesmal allein ins Bett ging.

Und doch … Am kommenden Freitag fahre ich schon wieder nach Berlin. Nur dort liegen meine Chancen, ist meine Zukunft. Hier in L. habe ich nichts mehr zu gewinnen. Das führt mir Heinz täglich ungewollt vor Augen, Heinz, meine große Niederlage, vielleicht die letzte außerhalb von Berlin. Er spürt noch immer die Anziehungskraft, die er auf mich ausübt, er versucht noch immer, sich mir zu nähern und mit mir zu sprechen, ernsthaft mit mir zu reden – aber ich werde das nie schaffen: alles einzusetzen und mir jede Rückzugsmöglichkeit abzuschneiden. Furcht und Misstrauen beherrschen mich und ich wage mich nicht aus meinem Schlupfwinkel heraus. Ich speise ihn weiterhin sehr kurz und dabei konventionell lächelnd mit den gängigsten und banalsten Floskeln ab.
      Wenn er mir begegnet und wieder einen neuen Anlauf nimmt, nach so vielen gescheiterten, dann ist er rührend und schüchtern. Ich bin auch schüchtern, aber ich rühre nur mich selbst. Und ich bin in Wahrheit nicht wirklich schüchtern, sondern nur gehemmt.
      Ich glaube nicht, dass sich zwischen uns noch viel ändern wird. Ich könnte mich damit belügen und mir vortäuschen, meine Niederlage im Kampf gegen mich selbst hätte nicht endgültig sein müssen, wenn uns mehr Zeit zur Verfügung gestanden hätte. Dass auch die räumliche Enge hier an der Akademie schuld sei. Oder die vielen Hundert Kilometer, die zwischen Berlin und Darmstadt liegen. Oder dieser Ring an seiner Rechten …
      All das sind nur Umschreibungen. Ich glaube, tatsächlich würde alles fortgerissen werden, wenn wir uns näher kommen könnten. Genau das habe ich von Anfang an gespürt und ich habe es heimlich auch gehofft. Und ich kann es nicht verwirklichen. Es ist nicht anders.
      Nur noch drei Wochen bis zur Prüfung und zur Abreise. Er hat schon jetzt seinen Bart abgenommen, auch den Schnurrbart. Nun wirkt er noch sanfter und oft verlegen. Ich sehe vor mir einen weichen, einen kindlichen Mann ohne Falschheit, ohne Bosheit.
      Ich werde das nie verwinden.

Sie nannten ihn heute bei Tisch das Charakterschwein Beck. Er hat sich doch tatsächlich noch einmal hierher gewagt, um seinen abschließenden einstündigen Vortrag zu halten. Welche Woge von Hass ihm entgegenschlug, in Form von Blicken, Körperhaltungen und Verfärbungen der Mienen … Mir scheint, je ohnmächtiger sie damals bei der Klausur waren, umso mehr hassen sie ihn jetzt. Und ich … versuchte ihn zu studieren. Ob es ihm innerlich zu schaffen machte, war für mich nicht zu erkennen. Deutlich war nur sein Bemühen, sich auf keinen Fall unterkriegen zu lassen, den Vortrag trotz dieser mächtig anbrandenden Woge von Ablehnung zu Ende zu bringen. Wir hatten es mit einem fanatischen Selbstbehauptungswillen zu tun.
      Bin ich da zum ersten Mal einem Prototyp des, wenn man so sagen darf, grenzenlos bornierten Machtmenschen persönlich begegnet? Er ähnelt jenem anderen auffallend, der in diesen Zeiten unbedingt unser nächster Kanzler werden will. Er wirkt anämisch wie jener, ist eisern diszipliniert, fern von jeder Emotion. Mit äußerster Präzision verfolgt er sein einziges Ziel – auf lange Sicht Leiter der Akademie zu werden -, dieses Ziel, dem alles untergeordnet ist. Er ist roboterhaft, auf tausend Widerstände schon programmiert. Er kennt alle Finessen von Strategie und Taktik, er kann ebenso gut stahlhart-autoritär sein wie verlogen-schleimig. Eine seelenlose Maschine, mit Fleisch und Blut nur getarnt, das ist Beck – ich hasse ihn nicht, mir graut nur vor ihm.
      Ist einer wie er der Mann der Zukunft? Produzieren ihn der allgegenwärtige Leistungsdruck, die Vergötzung der Funktionalität, der permanente Zwang zur Anpassung?
      Ich sah gelegentlich zu Heinz hinüber. Er hielt den Blick dauernd gesenkt, spielte mit seinem Schreibgerät.
      In diesen Tagen hat uns Doktor Friedrichsen versteckte, gleichwohl nicht misszuverstehende Andeutungen über einige Gegenstände der Prüfungsklausuren gemacht. Er kam eigens dazu in eine morgendliche Vorlesung und unterbrach sie für vier, fünf Minuten. Wir erfuhren nun auch, dass sich im Vorjahr ein Trio von Prüflingen hinterher daheim beschwert hat: über ihn, Doktor Friedrichsen, über die Dozenten, über Unterkunft, Verpflegung, Lärmbelästigung und die Klausuren … Bei der schriftlichen Prüfung sei massiv gepfuscht worden. Es rumorte damals eine Zeitlang im Verband. Um den Schein zu wahren, schloss man drei Teilnehmer, die es zu arg getrieben hatten, von der mündlichen Prüfung aus. Womit man sich Prozesse einhandelte, die zum Teil noch laufen.
      Doktor Friedrichsen suggerierte uns geschickt die Moral hinter der Geschichte: Im eigenen Interesse Maul halten. Pfuschen ist erlaubt, aber es muss unter uns bleiben. – Über die drei Denunzianten herrschte sogleich allgemeine Empörung. Und ich? Mir ist dieser Doktor Friedrichsen immer noch ein wenig angenehmer als sein mutmaßlicher Nachfolger.
      Seine Eröffnungen haben den Lerneifer noch einmal beflügelt. Jetzt hocken sie auf ihren Zimmern und machen sich kundig – wahre Spezialisten. Und nimmt man die Geräuschkulisse als Maßstab, so muss die allgemeine Stimmung prächtig sein. Von oben wie von unten und von allen Seiten höre ich es klingen, singen, juchzen, fiedeln, schrammeln und wummern. Das ganze Haus ist jetzt eine einzige Musicbox.
      Gestern erschien plötzlich wie ein Schatten der Todesfahrer im Kasino. Er war sehr bleich unter seinem dichten schwarzen Haar und ging an Krücken. Sie hatten ihn eben aus dem Krankenhaus entlassen, und er kam, um sich zu verabschieden. Er sagte nur zu wenigen ein paar Worte. Wenigstens ihn hat, was geschehen ist, zu einem Unberührbaren gemacht. Es blieb viel Abstand um ihn. Man brachte ihn zum Bahnhof und wird ihm seine Sachen nach Hause schicken. Vielleicht wird er nächstes Jahr wieder nach L. kommen …

Noch zwei Wochen. Der Himmel über L. ist Tag für Tag einheitlich grau, während sich unsere Stimmung immer mehr aufhellt. Wohl keiner, der nicht gern an die Abreise denkt. Obwohl die Prüfung noch bevorsteht, scheinen die persönlichen Bilanzen schon gezogen. Wer die Zeit hier zuerst leichtfertig als eine Art Urlaub mit mehr Freiheit und mehr Spaß angesehen hat, ist vermutlich längst ernüchtert worden. Alle haben sich abgefunden und kehren gern in ihre gewohnten Verhältnisse zurück.
      Wirklich alle?
     Es war heute Morgen in der großen Pause … Ich ließ mir Zeit beim Verlassen des Hörsaals. Kann nicht einmal sagen, warum ich gegen meine Gewohnheit trödelte. So war die Masse schon drüben, als ich mit den Letzten hinausging. Ich sah erst jetzt, dass Heinz in meiner Nähe war. Er ging drei Schritte vor mir her durch den Vorraum.
      Um nicht in dem kleinen Pulk mitgehen zu müssen, vermied ich den kurzen geraden Weg ins Kasino und schlug den längeren durch die kleine Grünanlage am Parkplatzrand ein.
Ich kam an den beschnittenen Buchsbäumchen vorbei, als ich ihn hinter mir hörte. Wir beide waren jetzt allein dort, das war mir sogleich unangenehm. Und dann sang er – Heinz sang! Ich hatte ihn bis dahin noch nie singen gehört.
      Er singt nicht gut. Seine Stimme ist ein wenig brüchig und natürlich nie ausgebildet worden. Ich glaube, er ist nur wenig musikalisch und er weiß es wahrscheinlich auch. Es war also nur ein Sprechgesang, mit dem Original kaum zu vergleichen. Umso klarer verstand ich den Text …
      Er kopierte Chris Roberts mit Hab ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe. Er wiederholte einfach nur die Titelzeile, zweimal, dreimal, zunehmend langsamer und auch leiser werdend, wie über den Gehalt des bescheidenen Liedchens nachsinnend.
      Sonst nichts. Wir gingen einfach weiter und kamen anderthalb Minuten später im Kasino an. Hockten uns auf unsere gewöhnlichen Plätze. Es war dann alles wie jeden Morgen.
      Bisher habe ich in meiner Niederschrift stets festgehalten, was mir in Bezug auf Heinz bedeutsam vorkam. Ich konnte dieses heutige Detail also schwer fortlassen, die Erinnerung ist ja noch zu frisch. Müsste ich nicht auch beschreiben, wie ich mich zu seinem Vortrag verhalten habe, ob ich mir irgendetwas äußerlich habe anmerken lassen und wie ich mich dazu innerlich gestellt habe? Ich kann es nicht. Davon habe ich kein Bewusstsein. Merkwürdig, gewöhnlich beobachte ich mich doch selbst scharf oder glaube es wenigstens. Wenn ich mich bewusst blind und taub stelle, weiß ich das sehr gut. Ich weiß, wann ich fälsche.
      Aber diesmal? Ich kann nicht sagen, ob ich langsam oder rascher weitergegangen bin. Und noch weniger weiß ich, was ich währenddessen empfunden habe. Als ob ich gewissermaßen anästhetisiert gewesen wäre.
      Schlager an sich mag ich durchaus nicht. Ich kann ihnen nichts abgewinnen, den deutschen am allerwenigsten. Adorno sagt irgendwo – ich kann es hier jetzt leider nicht nachschlagen -, Schlager seien Gefühlsersatz. Ich glaube, er geht noch weiter und behauptet an jener Stelle, die Leute fühlten sich bloß zu bestimmten Gefühlen verpflichtet und um sie sich zu suggerieren, hörten sie die Schlager an. Na ja, das ist vielleicht ein wenig überspitzt formuliert.
      Wie auch immer, den gewöhnlichen deutschen Schlager unserer Tage finde ich unsäglich, bloß albern und eben wirklich repressiv. Andererseits muss ich zugeben, dass sie geeignet sind, bei den Massen mächtig auf das Unterbewusste zu wirken. Während sie die Texte anhören oder mitsingen, wird da ohne Zweifel eine Gemütsverfassung ausgedrückt und vor allem vertieft.
      Hab ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe? – Ich weiß ja nicht einmal mit Bestimmtheit, wer oder was ihn in diese Stimmung romantischer Liebebedürftigkeit gebracht haben kann, so wie sie jenes armselige Liedchen ausdrückt.

 

 

 




7. Wiedersehen in Reinickendorf

Zwei von fünf Klausuren sind schon geschrieben. Mein Optimismus scheint begründet gewesen zu sein – unser aller Optimismus. Auf Doktor Friedrichsen ist wenigstens dieses Mal Verlass.
      Mit Heinz geht jetzt eine Veränderung vor sich. Noch letzte Woche las ich, wenn ich ihn sah, den Wunsch nach Austausch, nach Versöhnung, nach Harmonie von seinem Gesicht ab. Doch ich blieb mir selbst treu und das heißt: an der Oberfläche verhärtet. Nur meine Augen dürften verraten haben, wie es bei mir im Innersten aussieht.
      Seit zwei, drei Tagen zeichnet sich etwas Neues auf seinem Gesicht ab, wenn er mich anschaut. Ja, er betrachtet mich jetzt ruhig - und nicht einmal selten. Ich entdecke bei ihm neuerdings Melancholie und Müdigkeit. So sah ich ihn bisher nie. Es beunruhigt mich.

Endgültig zurück in Berlin. (Ich weiß natürlich: Nichts ist endgültig.) Mit der schriftlichen Prüfung scheint alles gut gegangen. Und die Annehmlichkeiten des Lebens in dieser Stadt dringen mir allmählich wieder ins Bewusstsein, wenn auch auf einem Grund von Tristesse und Beschämung.
      Am letzten Morgen, vor der Klausur, sah ich noch einige Male vom Frühstückstisch aus zu Heinz hinüber. Da bemerkte ich in seinem Ausdruck die Anzeichen von Enttäuschung und sogar von Verachtung. Er starrte mich einmal längere Zeit geradezu an. Dann zog er den Blick zurück, unendlich resigniert. Er schien sich damit endgültig von mir zurückgezogen zu haben. Ist wirklich nichts endgültig?
      Als ich am Mittag, zur Abreise bereit, am Wagen stand und auf Kraushaar wartete, sah ich Heinz vom Parkplatz zum Hochhaus gehen. Er kam in zwei, drei Metern Entfernung an mir vorbei. Auf einmal schaute er schweigend herüber. Ich wollte ihm wenigstens noch zunicken, aber als ich die Gebärde endlich zustande brachte, hatte er sich schon wieder abgewandt. Gleich darauf kam Kraushaar und wir fuhren sofort ab.
      Ich konnte nicht bei Paetzold mitfahren, er hatte noch einen Umweg zu machen. Kraushaar, der mir nichts zu sagen weiß und ich ihm auch nichts, war mir als Reisegefährte dieses Mal durchaus recht. Es war schon winterlich kalt, es hatte nachts ein wenig geschneit. Über L. und dem Tiefland lag ein dünnes weißes Leichentuch. Die Wagenheizung funktionierte nicht, wir froren bis Berlin erbärmlich. Ich musste an die Hinreise denken. Damals, im heißen Frühsommer, war Kraushaars Wagenheizung auch schon defekt gewesen – nur dass sie sich seinerzeit nicht hatte abstellen lassen. Von Anfang an war eben alles verkehrt gewesen.
      Wenn ich in drei Wochen noch einmal für eine Nacht und einen halben Tag nach L. muss, nehme ich lieber das Flugzeug. Die mündliche Prüfung erstreckt sich insgesamt über mehrere Tage, wir haben uns ihr in kleinen Gruppen zu stellen. Ich glaube nicht, dass Heinz und ich derselben zugeteilt werden. In mir die Gewissheit: Ich werde ihn nicht mehr sehen. Das Recht auf noch einen Zufall habe ich verwirkt.
Ich werde mich dafür lange hassen.


Tatsächlich bin ich ihm nie mehr begegnet. Oder nur in einem Zwischenreich mit eigenen Gesetzen …
      Ich werde mich lange hassen? Wie lange? Nicht jahrzehntelang.
      Nach dieser zweifachen Prüfung – die eine hatte ich glatt bestanden, in der anderen vollkommen versagt – begann erst mein Erwachsenenleben. Und mit ihm eine scheinbar unendliche Reihe von Kontakten zu anderen Menschen, von den flüchtigsten bis zu den intimsten. Als sie ausklang, hatte ich wiederholt die Stadt gewechselt.
      Ich bin sehr oft umgezogen … Bei jedem Wohnungswechsel gab es mehr einzupacken und wieder auszupacken, mehr Bücher, mehr Musik, mehr Landkarten, mehr Papiere. Die Aufzeichnungen aus L. nahm ich nur in die Hand, um sie in einen Umzugskarton zu legen und in der neuen Bleibe hinter einer Schranktür zwischen anderen Dokumenten einzuordnen. Bis eines Tages - - -
      Wie alt allein schon das Papier ist. Ich kann es mit meinen Mitteln nicht restaurieren. Ich habe deshalb eine Abschrift angefertigt, ein neues zeitgemäßes Dokument. Hier und da habe ich den alten Text ein klein wenig redigiert, doch Sinn und Ablauf blieben dabei unangetastet.
      Heinz ist nur noch ein Figürchen in meinen Erinnerungen gewesen. Jetzt überblicke ich erstmals den gesamten Ablauf von damals und dringe allmählich wieder in ihn ein. Ich erforsche mich, ob es hinter der Erzählung noch tiefere Schichten gibt, die sich damals der Beschreibung entzogen haben. Ich taste mich vorwärts. Allmählich wird mir bewusst, jene Fahrt im Lift aufwärts war die Mitte, der Angelpunkt der Geschichte. Ich habe das so bisher nicht aufgeschrieben, ich habe es noch nicht richtig erzählt. Ich kehre zu diesem Ausgangspunkt zurück …
      Dieser Aufzug - der Lift in der Akademie von L. - muss schon viele Jahre auf dem Buckel haben, es ist mir bis jetzt nur immer entgangen. Ich bin zuerst allein in die leere Kabine getreten, nun springt Heinz, als die Tür sich eben zu schließen beginnt, zu mir herein. Ein kleiner Ruck geht infolgedessen durch das Gehäuse. Heinz blickt zu mir herüber, ich jedoch nicht zu ihm. Ich ignoriere ihn heute wieder einmal ostentativ. Daher wohl grüßt auch er mich jetzt nicht. Er drückt den Knopf für die Achte, der für die Siebente ist schon von mir betätigt worden. Dann geht die Tür zu und Sekunden später beginnen wir aufwärts zu schweben.
      Das anfängliche Schaukeln der Kabine hat mich nervös gemacht. Jetzt glaube ich ein unbekanntes Geräusch zu hören und luge zu ihm hinüber, ob auch er etwas Verdächtiges wahrgenommen hat. Er scheint müde, beinahe erschöpft nach dem Fußballspiel, und lehnt gegen die Rückwand der Kabine. Ich sehe, sie vibriert deutlich und das teilt sich seinem Körper mit, er wird ein wenig durchgerüttelt. Es scheint ihm nicht lästig zu sein, er lässt es einfach geschehen. Er ist zwar groß und schlank, doch jetzt ein wenig in sich zusammengesunken.
      Ich stelle mir plötzlich vor, der Lift könnte stecken bleiben. Wir würden für eine unbestimmte Zeit gemeinsam eingeschlossen sein und müssten uns zwangsläufig darüber austauschen. In dieser Lage würde fortgesetztes Schweigen unmöglich sein. Die Zwangslage würde vieles entschuldigen. Zuerst verwundern wir uns gemeinsam, dann finden wir uns in die Situation. Um diese Wartezeit von unbestimmter Dauer auszufüllen, beginnen wir erstmals ein wirklich persönliches Gespräch. Das ist eine Vorstellung von großem und intimem Reiz … Und ich fange an, mich über mich selbst zu ärgern: Das ist doch einfach nur abgeschmackt!
      Ein Lift kann auch abstürzen. Es wird immer wieder versichert, das sei technisch ausgeschlossen, aber ich glaube es nicht. Jedes Sicherungssystem kann einmal versagen. Es würde sich sehr schnell abspielen – bevor noch ein Gespräch in Gang kommen könnte. Wie extrem unwahrscheinlich dieser Ablauf auch ist, mir ist es nicht mehr geheuer, ich werde unruhig.
      Er hebt den Blick – vielleicht hat er etwas gespürt - und wir sehen uns in die Augen. Sein Ausdruck ist vollkommen neutral. Eben das stört mich. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich sage: Müde?

   Es ist das erste Mal überhaupt, dass ich ihm eine Frage stelle.
      Er antwortet nicht. Fast scheint es, als sei er ein wenig unangenehm berührt. Über sein Gesicht huscht etwas Verwundertes, ja sogar Abwehrendes. Dann geht etwas in ihm und mit ihm vor. Er macht mit dem Oberkörper eine Vierteldrehung auf mich zu, löst sich jedoch nicht von der Liftwand, die er jetzt nur noch mit dem Schultereckgelenk berührt. Er hebt den rechten Unterarm bis in Brusthöhe, so dass seine Hohlhand beinahe aufliegt. Dann bewegt er die Hand erst in meine Richtung, doch ohne sie zu wenden, und lässt sie anschließend auf sich selbst zurücksinken. Das wiederholt er so mehrmals. Ich verstehe, es ist ein Zeichen, eine Aufforderung. Ich gehe auf ihn zu. Er umfasst meinen Hinterkopf und zieht ihn zu sich heran.
      Zunächst geschieht nichts weiter. Ich nehme vieles wahr: seinen Atem, seinen Herzschlag, den Schweißfilm an seinem Hals. Ich weiß nur, so habe ich es mir nicht vorgestellt. Es ist sehr einfach. Beieinander sein. Ausatmen. Frieden. Einfach köstlich.
      Ich wundere mich nicht mehr, wie lange die Fahrt hinauf dauert. Vielleicht kam es mir vor Sekunden – vor Minuten? – noch so vor, als glitten wir länger und langsamer als gewöhnlich in die Höhe.
      Als sich die Tür öffnet, löse ich mich nicht von ihm. Komm, flüstere ich, ich will dir was zeigen … Ich muss ihn nicht mit mir ziehen, er kommt wie von selbst mit hinaus, eine gleichförmige Bewegung von uns beiden.
      Wir haben die Kabine verlassen und müssen nach rechts gehen, um die Ecke des Fahrstuhlschachts herum. Ich kenne ja den Weg, den Heinz noch nie zurückgelegt hat. Ich trete zurück bis an die Wand, um ihm, dem stumm fragend links von mir Stehenden, den Weiterweg mit einer Handbewegung anzudeuten, ihn vorangehen zu lassen. Heinz gerät mir dabei für zwei Sekunden aus dem Blickfeld, er scheint weiter nach links auszuweichen, damit wir einen kleinen Bogen beschreiben können. Unmittelbar danach sehe ich ihn rechts von mir gehen: als wäre hinter mir keine Wand aus Stahlbeton gewesen. Was ist geschehen?
      Es sieht hier aus wie in einem Hochhaus, es ist aber keines, es hat nur sechs Etagen. Damit will nun ich ihn verblüffen. Doch nimmt er es gleichmütig auf und spricht immer noch nicht.
      Zehn Meter weiter und wir stehen vor meiner Tür. Ich öffne sie und lasse ihm auch hier den Vortritt. Vielleicht hat er keinen Vorraum erwartet, ich muss auch das noch erklären. Wir sind hier tatsächlich nicht in der Siebten, es ist die Fünfte. Die Vorletzte … Die Wohnung über mir steht leer, schon seit ich hier eingezogen bin. Wohnungen in der Einflugschneise lassen sich schwer vermitteln. Aber manchmal höre ich sehr spät abends oder ganz früh morgens Schritte da oben. Das ist doch keine Zeit, um etwas zu besichtigen. Als ich die Tür hinter uns schließe, will ich noch einen Witz machen: Ich habe schon manchmal gedacht, ob du nicht heimlich hier eingezogen bist. Und ich glaube, er lächelt tatsächlich, zum ersten Mal jetzt.
      Rechts geht die Küche ab. Sie liegt nach Norden und ist groß genug, um an einem kleinen Tisch essen zu können. Wenn ich da sitze, schweift mein Blick über die Friedhöfe der nahen Umgebung. Ich esse und trinke und denke an die Vielzahl der Toten da unten. Gebein und Asche. Nein, ich will jetzt nicht mit ihm in der Küche sein.
      Wir betreten das Wohnzimmer. Es geht nach Westen. Man könnte von hier lange direkt in den Sonnenuntergang sehen und würde dabei vielleicht erblinden, wenn zum Glück nicht der Hochhausblock schräg gegenüber die Sicht versperrte. Im Sommer wird er zum größten Teil durch hochgewachsene Birken verdeckt. Ich sehe das gerne, wende ich mich wieder an ihn, der noch in der Zimmermitte steht, wenn der Sommerwind im Birkenlaub spielt. Er antwortet mir nicht, sieht mich nur ernsthaft an, wie vorhin schon im Lift. Übrigens ist es wieder Spätherbst, und durch die Verglasung der Loggia hindurch kommt das Filigran der entlaubten Zweige, vom Zimmer aus gesehen, nicht recht zur Geltung.
      Obwohl ich rundum Schallschutzfenster habe, hören wir jetzt eine Maschine im Anflug auf Tegel. Ich drücke ihn in einen Sessel und rücke mit dem anderen etwas an ihn heran. Jetzt erst betrachte ich ihn länger und genauer. Er trägt noch denselben Bart und scheint ihn gleichzeitig abgenommen zu haben, wie damals im Herbst. Ich sehe abwechselnd wirre blonde Strähnen und glatte, helle junge Haut – changierend an denselben Partien. Das irritiert mich etwas und um es zu überspielen, fahre ich fort: Ja, zum Schluss bin ich also wieder in Berlin angekommen. Und du? Vierzig Jahre! Fast vierzig Jahre …
      Mir scheint, er will jetzt etwas sagen. Vielleicht will ich es gerade nicht hören? Ich hebe meine rechte Hand:
      Nein, sag noch nichts, sag jetzt nichts …Was könntest du mir schon erzählen? Was könntest du mir noch erzählen, was ich nicht schon weiß? Ja, natürlich, wir können darüber noch reden, später …

  Du schaust dich um – gefällt es dir hier? Es war nicht einfach, hier alles unterzubringen. Ich habe mich verkleinert. Komisch, erst vergrößert man sich, um sich hinterher zu verkleinern. Alle machen es so, ich habe noch keinen Sinn dahinter entdeckt. Ich habe meine Bücher fast alle mitnehmen können. Ist auch alles wieder alphabetisch einsortiert, von Albee, Edward, bis Woolf, Virginia. Darauf wenigstens bin ich stolz, worauf denn sonst schon?

  Ob ich das alles noch einmal lese? Ich weiß es nicht, vermutlich nur einen Bruchteil … Das bringt mich auf etwas anderes. Wir sammeln doch permanent, vom ersten Tag nach der Geburt an, ja auch schon vor ihr als Embryo, wir sammeln Eindrücke, Erfahrungen - und wie viele davon machen wir uns später zunutze? Was für eine Vergeudung, was für eine gigantische Zeitverschwendung! Man müsste sich von Anfang an auf das für einen Wesentliche konzentrieren können …
      Du kennst dich hier noch nicht aus, du kennst den Wohnungsgrundriss noch nicht ganz. Hinter der Tür dahinten liegt ein zweiter kleiner Flur und von dem geht erst das Schlafzimmer ab. Und auch das Bad – willst du duschen? Ich glaube, du hast nach dem Sport noch nicht geduscht …
      Ich habe nie in einem Hochhaus gewohnt, abgesehen natürlich von dieser verdammten Akademie. Ich habe meistens eine Wohnung im Erdgeschoss gehabt. Weißt du warum? Um schneller hinauszukommen. War mir immer unangenehm, im Treppenhaus oder im Lift Leuten zu begegnen. Es wird stets erwartet, dass du freundlich und aufgeschlossen bist, obwohl du es nicht oder gerade eben nicht bist. Man setzt dann schnell eine Maske auf, eine verlogene Maske … Damals war es genau umgekehrt. Ich war so froh, wenn du auch eingestiegen und mit hinaufgefahren bist … und ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen. Du hast es trotzdem gewusst. Wir haben doch immer alles gewusst … und wir haben gewusst, dass wir gewusst haben. Es war auch eine Maske, bei mir, aber verlogen war sie nicht. Das weißt du doch noch?
      Mit dir Lift fahren, das war damals entschieden das Beste. Ich war dir ganz nah und konnte nichts tun. Ich war sicher, sicher vor mir und vor dir. Ein selten reines Vergnügen. Und ich glaube, etwas in der Art ist später nie mehr gekommen.
      Vielleicht habe ich vorhin den Faden verloren, ich wollte auf Folgendes hinaus: Wir machen so viele Erfahrungen und können so wenig Gebrauch von den meisten machen. Doch die Zeit damals, die hat mich, glaube ich, auf Dauer verändert. So etwas wie mit dir ist mir nicht mehr passiert. Na ja, es gab eben keinen zweiten in deiner Art. Nicht Mensch, nicht Tier, vielleicht –
      Warum bin ich zurückgekommen in die Stadt hier? Ich weiß es wirklich nicht. Es scheint meine Endstation zu sein. Sehr passend dazu das Haus: obwohl nur sechs Etagen hoch, doch einer von den Türmen des Schweigens, glaube ich …

      Er wird undeutlicher vor meinen Augen, sein Profil unschärfer. Es läuft nicht gut bisher. Dieses Mal wenigstens darf es kein Monolog bleiben. Ich muss ihn zum Reden bringen.
      Merkwürdig, wie wenig du dich verändert hast. Ich weiß nicht, wie alt du jetzt bist, vorausgesetzt du hast überhaupt noch ein Alter. Woran ich, entschuldige, zu zweifeln beginne. Kennst du die Geschichte von Hebel, in der der tote junge Bräutigam sich jahrzehntelang frisch erhält und die überlebende Braut auf ganz gewöhnliche Weise altert?
      Du wirkst noch immer so auf mich, dass ich gleich den Arm um dich legen möchte. Zutraulich und schüchtern. Um an irgendein Ziel zu gelangen, kanntest du immer bloß zwei Mittel: dich den anderen mit nackter Brust zu präsentieren oder dich vor ihnen zum Affen zu machen. Ich bitte dich, wie weit kommt man denn damit? Du musst stark darunter gelitten haben, auch du wirst gescheitert sein …
      Ich kann mir den Rest ganz gut selbst ausmalen. Wie du dich, zurück in Darmstadt, gezwungen hast, gezwungen zur Freundlichkeit, zum Weitermachen. Und dann die Heimlichkeiten, das Doppelleben, das dir nicht lag und nie gelingen wollte. Alle wussten schließlich über dich Bescheid. Nicht Mensch nicht Tier? Wenn sie dich nicht am Ende für einen Trottel gehalten haben, einen Trottel auf Abwegen … Verzeih, verzeih mir.
      Erzähl mir nichts von der Familie. Auch nichts von Kollegen. Bitte nichts von Frankfurt und dem Grüneburgpark. Ich weiß nicht, ob ich es aushalten kann, wenn von du von all deinen Enttäuschungen anfangen würdest. Von Infektionen, von Krankheit, von … Du wirst doch nicht ohne Grund jetzt gekommen sein. Mir sozusagen erschienen.
      Nein, erzähl es mir doch. Ich will auch das noch wissen. Wenn du nur redest …

 Jetzt steht er auf und geht zwei Schritte in Richtung des Schlafzimmers. Dann dreht er sich zu mir um und spricht doch noch und sagt leise und lächelnd: Ich hab es nicht so gut gehabt, weißt du … Ach, du, sagt er, du
      Ist er der Bruder Tod?
      Wir gehen zusammen hinüber.

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Tag der Veröffentlichung: 05.12.2011

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