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Prolog – Gedanken über den Propheten

 

 

„In Anbetracht der Tatsache, daß ich selbst Jahre, nachdem uns allen klar war, daß wir um ein gewaltsames Zusammentreffen nicht herumkämen, immernoch nichts Nennenswertes über den wußte, der der größte Widersacher meines Lebens werden würde, ist es umso bemerkenswerter, daß sich das bis heute auch nicht wesentlich geändert hat.

Wie kann es ein Mann schaffen, eine ganze Nation von ihren Wegen abzubringen, einen Krieg zu beginnen, der einen ganzen Kontinent ins Unglück stürzt, aber niemand kann mir etwas über ihn sagen? Oder ist es vielleicht vielmehr so, daß sie es nicht wollen?

 

Es ist ein bekanntes Faktum, daß er vor seinem fünfhundertsten Lebensjahr niemals in die Öffentlichkeit trat. Hochelfen werden bei Weitem nicht so alt wie Drow, bei ihnen endet das Leben für gewöhnlich im vierten oder fünften Jahrhundert, also war er schon ein Greis, zumindest gemessen an seinem Alter, keineswegs jedoch an seinem Äußeren, als er zum ersten Mal auftrat.

Von dem, was ich von den Bewohnern der umliegenden Ländern hörte, denn die Hochelfen schweigen bis zum heutigen Tage über ihn, stand er eines Morgens, genau drei Tage nachdem Hochkönig Sorael getötet worden war, auf dem Versammlungsplatz vor dem Palast und begann eine Predigt über den großen Sonnengott, als dessen Gesandter er sich verstand.

Irgendetwas in der Rede, die er hielt, mußte wohl die Massen angelockt haben. Auch wenn ich keinen Beweis dafür habe, daß er mit übernatürlichen Mitteln nachgeholfen hat, kann ich mir kaum vorstellen, daß die eigentlich friedliebenden und eher den Künsten und der Gelehrsamkeit, als dem Kriege zugeneigten Elfen auf eine andere Art so stark zu beeindrucken waren.

Schon einen Monat später wurde er auf einer Konklave zum neuen geistigen Anführer des Reiches der goldenen Sonne ausgerufen und begann schon wenige Wochen darauf, auch seine weltliche Herrschaft auszubauen.

Besonders verwirrend ist dabei, daß normalerweise, gemäß geltendem hochelfischem Recht, nach dem Tode eines Hochkönigs ein ganzes Jahr Trauer gehalten wird, in dem weder in der Öffentlichkeit gesungen oder getanzt, noch Theaterstücke aufgeführt werden dürfen. Hier aber geschah innerhalb weniger Wochen so Unglaubliches, daß es mir schwerlich einleuchtete, wäre da nicht etwas mehr als nur gute Rhetorik am Werke gewesen.

 

Was also waren die Gründe?

Der Prophet war ein kleines dürres Männchen. Natürlich bin ich ein wenig voreingenommen, auch wenn der Haß, den ich einst auf ihn hegte, glücklicherweise mit allen anderen Emotionen von mir gewichen ist.

Er hatte silbergraue Haare, ein Zeichen des Alters, das bei Elfen sehr selten vorkommt, und war auf beiden Augen blind. Es war nicht nur so, daß er schlecht oder nicht sehen konnte, nein, seine Augen hatten keine Pupillen, keine Iris. Allerdings, und das ist absonderlich, machte er niemals den Anschein eines Eindrucks, als könne er nicht sehen. Sicher ist, daß er irgendwie dazu in der Lage sein mußte, seine Umgebung detailliert zu erkennen, denn er griff zielgerichtet Gegenstände und brauchte auch keine Hilfe, um sich beim Gehen zurechtzufinden.

Und er war wirklich dürr. Nicht nur schlank, wie das seinem Volk zueigen ist, sondern ausgemergelt.

Seine Stimme jedoch…

Wenn ich länger darüber nachdenke, leuchtet es mir ein, wie er das Volk beeinflussen konnte. Wann immer er seinen Mund öffnete, sprach er leise und langsam, niemals schrie er oder wurde ausfallend, meine Person einmal ausgenommen. Der Klang war tief, sonor, sie kroch sich wie ein Wurm in das Ohr und weiter in den Geist des oder der Hörenden.

Ein gefährlicher Mann, fürwahr.

 

Ich habe den Propheten nur wenige Male in meinem Leben wirklich zu Gesicht bekommen und diese Momente waren selten das, was man eine entspannte Konversation nennen könnte. Damals fürchtete ich mich sehr vor ihm, heute kann ich nicht umhin, ihn zu bewundern, auch wenn das sicherlich das falsche Wort ist. Präziser formuliert könnte man es wohl als eine Form von Achtung verstehen. Seine Motive, sein Glaube und seine Art, Entscheidungen zu treffen waren verachtenswert, aber wie er das lebte, verlangt eine Anerkennung. Kompromißlos, geradeaus, ohne Skrupel und noch viel wichtiger: ohne Zweifel.

 

Vielleicht muß ich mir eingestehen, daß ich ihm immer ähnlicher wurde, je länger dieser verdammte Krieg dauerte.“

 

Joro Macun, Fossor Magnus Mortui, Im Jahre 744 nach dem großen Krieg.

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Es regnete wie aus Kübeln, als Ghaundar und Joro durch das Stadttor von Bargum traten. Dieser Sommer hatte bereits kalt und regnerisch begonnen und auch an diesem Tage hatte der Himmel bereits bei Sonnenaufgang nichts Gutes ahnen lassen, aber jetzt kam das Wasser in einer Dichte auf sie herab, daß sie nur wenige Schritte weit sehen konnten. Unter seinem Plattenharnisch sammelte sich immer wieder eine kleine Pfütze, die Joro dann mit einer ärgerlichen Bewegung durch das Anheben der Küraß durch den Unterteil der Rüstung zu Boden fließen ließ.

„Du hättest nicht so viel saufen sollen“, meinte Ghaundar mit einem schiefen Lächeln.

„Einen dummen Witz noch und ich lasse es dich trinken.“ Eine Form von Begrüßungskomitee fiel aus und die Wachen am Tor des Klosters, in lange Regenmäntel gewickelt, salutierten nur förmlich, als die beiden hindurchtraten.

Der große Innenhof war eine Schlammwüste und Joro nahm sich fest vor, daß er irgendwann einmal gepflastert werden mußte. Steine gab es immerhin genug in Daishan, aber Handwerker sollten sich in den kommenden Monaten mit Sicherheit schwer auftreiben lassen.

Auf dem Hinweg hatte er zumindest erfreut bemerkt, daß die von ihm in Auftrag gegebenen Hütten bereits im Bau waren, einige sogar schon fertiggestellt.

 

Im Inneren des Hauptgebäudes angekommen, empfing sie, neben einem einzelnen Totengräber, der dort als Pförtner neben der Eingangstür an einem großen Schreibtisch saß, auch eine gemütliche Wärme, was sowohl Ghaundar als auch Joro aufatmen ließ. Sie waren beide so durchgefroren, daß sie sich kaum noch rühren wollten.

Der Pförtner indes ließ nach Toldor rufen, welcher alsbald die Treppe heruntergeeilt kam.

„Eminenz! Es ist eine Freude, Euch wieder hier begrüßen zu dürfen.“ Auch Marinus bog um eine der Ecken und schaute sogleich erfreut auf die beiden Ankömmlinge.

„Ein großartiger Tag, was Toldor? Wir hatten schon Sorge, daß Euch vielleicht etwas geschehen sei.“

„Ich bin zäh“, Joro schmunzelte, „Außerdem hatte ich einige Dinge zu erledigen, die keinerlei Aufschub mehr erlaubten. Ich hoffe, daß ihr das versteht.“

„Und wie ich sehr hoffe sind diese Vorhaben gut ausgegangen?“, fragte Toldor mit erwartungsvoller Miene.

„Wie man es nimmt…“, Joro kratzte sich am Kopf, „das eine besser als erwartet, die anderen eher nur teilweise, aber davon will ich später erzählen.“

„Ihr habt völlig recht, zieht Euch erst einmal trockene Kleidung an, ich werde Franz bescheidgeben, daß wir ein großes Abendessen benötigen.“

Joro nickte und Ghaundar und er machten sich auf den Weg ins erste Obergeschoß, in dem sich die Bischofsgemächer und auch die Unterkünfte für hohe Gäste befanden.

 

Als Joro allein war, legte er sein Bündel nur auf einen der Beistelltische, ging zum Kleiderschrank und nahm eine der Roben heraus. Er hatte nicht vor, sich hier einzurichten, auf ihn wartete seine Zelle 12 und dort würde er auch dieses Mal schlafen und wohnen. Dennoch war der Tatsache Rechnung zu tragen, daß sich hier im Raum seit seiner Abreise insofern etwas getan hatte, als daß ein Gestell für seine Rüstung hinzugefügt worden war.

Das nasse, kalte Metall mußte von seinem Körper, also kämpfte er sich aus der Schale und hängte nach und nach alle Teile auf oder an die Holzträger.

Doch damit war es nicht getan. Der Hammer hatte bei diesem Wetter den großen Nachteil, in großen Massen Eis zu bilden, was ihn immer schwerer werden ließ. Joro machte sich keine Illusionen, daß er mit dieser Waffe jemals schwimmen gehen können würde.

Er ging in sein Badezimmer, und einen der Schürhaken vom Kamin zur Hilfe nehmend schlug er alle Eisbrocken und –zapfen vom Kopf der Waffe herunter, die daraufhin krachend in das gekachelte Becken fielen.

Schließlich ließ er sich, eine trockene Robe und Unterkleidung und warme, mit Schafsfell gefütterte Hauspantoffeln tragend, auf seinen Privatsessel am Kamin sinken und seufzte laut.

Um ein Haar wäre er eingeschlafen, aber ein Pochen an der Tür schreckte ihn hoch.

„H…herein?“ Die Tür ging einen Spalt breit auf und eine gebückte Gestalt schob sich herein. Es war Albrecht.

„Nun, ich sehe, daß du wieder den Weg zu uns gefunden hast. Keine Sekunde zu früh. Ehrlich gesagt sogar ein paar Tage zu spät.“

„Wieso, was ist denn geschehen?“, fragte Joro verwundert und leicht besorgt.

„Olgerich ist gestern zur Tagung des Ältestenrates aufgebrochen. Sie findet dieses Jahr aufgrund der brenzligen Situation am Südrand des Weltengebirges beim Stamm der Veldra statt.“

„Und warum genau bin ich jetzt zu spät?“

„Ich bin mir ziemlich sicher, daß er dich gerne mitgenommen hätte. Zudem glaube ich, daß es ihm geholfen hätte, wenn er schon Genaueres über die Metallversorgung gewußt hätte. Immerhin geht es für Olgerich bei dieser Tagung noch um weitaus mehr, als nur dabeizusein…“, Albrecht legte den Kopf schief, „Du hast dich doch darum gekümmert, oder etwa nicht?“

Joro nickte und lächelte.

„Natürlich. Balthasar hat zugesagt, uns für einen angemessenen Preis sowohl mit Schmieden, als auch mit Materialien zu versorgen. Einzig der Transport wird noch ein Problem darstellen, aber auch das sollte sich erledigen lassen.“

Albrecht schwieg und sah aus dem Fenster. Es schien Joro fast so, als warte er darauf, daß er ihn ansprach.

„Wie weit ist das Buch?“, rang sich der Bischof ab.

„Fertig.“

„Gut. Ich werde es mir beizeiten zu Gemüte führen“, Joro stand auf, ging zu seinem Bündel, holte das Notizbuch heraus und drückte es dem Leichnam in die Hand, „Wenn du Zeit hast, dann sieh dir meine Kommentare dazu an, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, daß du die meisten meiner Vorschläge ignorieren wirst.“

Die zwei roten Punkte unter Albrechts Maske, die er wie immer auch bei Tageslicht noch trug, funkelten forschend in seine Richtung.

„Woher diese Einstellung, Eminenz? Man möchte fast meinen, daß du der Ansicht bist, daß mir deine Meinung egal sei.“

„Ist sie das denn etwa nicht?“

„Doch, ist sie. Aber ich werde dir dennoch den Gefallen tun, deine Kommentare zu lesen. Vielleicht hast du ja durch Zufall einen Nagel auf den Kopf getroffen.“

Joro verkniff sich eine zynische Bemerkung, da er nicht auf der selben Ebene wie Albrecht diskutieren wollte. Stattdessen ging er zur seiner Rüstung, die mittlerweile in der Hitze des Feuers getrocknet war und ölte die Scharniere mit einer kleinen Ölkanne, die auf dem Kaminsims bereitstand. Eigentlich war das nicht notwendig, denn Adamantit rostete nicht, aber wenn hin und wieder ein wenig Schmutz in die Gelenke kam, quietschte es trotzdem.

Derweil stand der Untote weiter am Fenster und sah hinaus, daß Notizbuch in seinen gefalteten Händen hinter seinem Rücken haltend. Nach einer Weile der Stille brach er das Schweigen.

„Ich werde nicht mehr lange hier bleiben, Joro.“ Dieser ließ erstaunt beinahe die Ölkanne fallen und starrte ihn an.

„Was soll das heißen?“

„Es hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, daß Toldor sehr bald sterben wird.“ „Aber ich habe ihn doch eben gerade noch unten in der Halle gesehen. Er ist immer noch gut auf den Beinen und macht keinerlei Eindruck von Schwäche.“ Albrecht schwieg. Doch dann gab er sich einen Ruck und fuhr fort: „Außerdem bin ich der Ansicht, daß du ohne Zweifel die Geschäfte hier mit Marinus und Toldor weiterführen kannst. Ich habe dir schon bei einer unserer ersten Begegnungen gesagt, was ich von dieser Kirche halte. Oder von ihrem Gott.“ „Hast du nicht eben noch gesagt, daß Toldor sterben wird?“ „Das hast du richtig erkannt, genau das habe ich gesagt.“ Joro mußte das erst einmal sacken lassen.

„Was hast du denn vor?“

„Ich denke, daß ich mal nach Süden gehen und den Kriegsschauplatz unter die Lupe nehmen werde. Von allem, was Menschen so machen, ist Krieg wohl das Interessanteste.“

„Findest du…“, Joro hatte ein bitteres Gefühl im Hals.

„Ja… ja in der Tat, das finde ich. In kaum einer anderen Situation sind Menschen so erfinderisch und von Lebenswillen erfüllt, als im Krieg. Ausgenommen allerdings Belagerungen oder Kriege, die länger als sagen wir…“, Albrecht legte eine Hand ans Kinn, „zwanzig Jahre dauern. Oder vielleicht fünfundzwanzig, aber wenn die Generationengrenze überschritten ist, dann kommt das Ganze zum Stillstand. Zuviel Haß und zuviel Leid, weißt du?“

Des Bischofs Gesicht war versteinert. Sicherlich hätte er den Leichnam jetzt am liebsten mit einem gewaltigen Tritt in den Allerwertesten aus dem Zimmer befördert, aber den Gefallen eines Ausbruchs wollte er ihm nicht tun. Daher sagte er, so emotionslos er konnte:

„Wenn du das so siehst, dann will ich dich nicht aufhalten. Wir sehen uns dann nachher beim Essen.“

„Das glaube ich kaum“, Albrecht ging den halben Weg zur Zimmertür und blieb noch kurz stehen, „ich werde deine Kommentare durchsehen und mich dann auf den Weg machen. Es ist schon viel zu viel Zeit an diesem Ort verblieben.“

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß und Joro war wieder allein. Für einen kurzen Moment dachte er daran, die Ölkanne in die Zimmerecke zu werfen, aber das war in einem Raum mit einem großen, offenen Kamin wohl eher keine gute Idee. Anstelle dessen mußte einer seiner Lederstiefel dran glauben, den er mit einem Tritt über das Bett hinweg ins Badezimmer beförderte.

Ghaundar war hereingekommen, was Joro gar nicht bemerkt hatte.

„War der Stiefel unartig?“

Als der Drow den Blick in Joros Augen sah, schluckte er jedoch unvermittelt.

„Albrecht war eben hier und hat es wieder einmal geschafft, mich davon zu überzeugen, daß er mieser Drecksack ist.“

„Was hat er denn getan?“, fragte Ghaundar.

„Davon abgesehen, daß er sich hier einfach so aus dem Staub machen will, hat er mir auch noch nebenbei erklärt, was er so von Kriegen hält. Dabei weiß er genau über mein Schicksal Bescheid.“

„Ich bin mir nicht so ganz sicher, was du damit sagen willst…“, der Drow kratzte sich am Kopf.

„Kurz gesagt ist unserer beider Lebensgeschichte geprägt von einer langweiligen und uninteressanten Lappalie.“

Ghaundar gab ein überraschtes Geräusch von sich und machte dann ein böses Gesicht.

„Wirklich ein Drecksack…“

„Sag ich doch. Auch ’n Stiefel?“, er hielt dem Drow den anderen hin.

 

Im Speisesaal war der Tisch bereits reichlich gedeckt. Ghaundar war, nachdem er sich an der Fußbekleidung abreagiert hatte zu Franz in die Küche gegangen und Joro hatte sich sein Bündel geschnappt und war mit festen Stiefeln und einem dichten Lodenmantel als Regenschutz kurz in die Zelle gegangen, um dort seine Kleidung zu deponieren. Danach hatte man sich wieder getroffen und saß nun um die mächtige Tafel in der pechschwarzen, jedoch durch die polierten Steine keineswegs dunklen Halle und genoß die Köstlichkeiten, die der Meister auftischte.

Ghaundar und Joro erzählten abwechselnd von der Reise zur Bruderschaft von Jarta und wie es ihnen dort ergangen war.

Toldor, der, trotz Joros ausgesprochen aufmerksamer Beobachtung, keine Anzeichen von Krankheit oder Gebrechen aufwies, war sehr erfreut, als er die Nachricht hörte, daß sich Hrynn ihnen angeschlossen hatte.

„Ich kenne ihn noch aus der Zeit des Krieges. Wir haben uns einige Male auf dem Schlachtfeld getroffen, als ich noch als Feldarzt und Totengräber gearbeitet habe. Es wird mir eine Freude sein, ihn wiederzusehen, sollten wir ihn bald einmal hier einladen…“

Joro setzte seinen Weinkelch ab und räusperte sich.

„Nun, das wird wohl schon in Kürze geschehen. Ich habe vor, eine Abordnung aus der Enklave hierher einzuladen, unter anderem auch, damit Olgerich sie kennenlernt. Sie sind unsere Verbündeten in dem, was auf uns zukommt“, er tupfte sich mit seiner Serviette den Mund ab, „Daher sehe ich keinen Grund, warum man Hrynn nicht ebenfalls einladen sollte.“

Der alte Mönch nickte mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht.

„Unser Fürst dürfte eigentlich jeden Tag hier eintreffen. Er ist schon eine Weile fort und ist entgegen seinen Sitten sogar zu Pferd und nicht in einer Kutsche gereist.“

„Das hört sich an, als nähme er die Angelegenheiten hier in der Stadt sehr ernst…“, meinte Ghaundar mit vollem Mund.

„Sicherlich hat er das schon immer getan, werter Herr Dunkelelf, aber zur Zeit ist es ihm wohl noch dringlicher.“

„Ich heiße Ghaundar…“, schmunzelte dieser.

„In meinem Alter ist das mit den Namen nicht mehr ganz so einfach, ich hoffe, daß Ihr mir verzeihen werdet, Ghaundar.“

„Schon gut, ich wollte nicht unhöflich erscheinen.“

 

Joro hatte nur mit halbem Ohr zugehört, denn seine Gedanken waren abwechselnd bei Alystin und bei dem Leichnam, der sich mittlerweile sicher aus dem Kloster geschlichen hatte. Als er bemerkte, daß ihn Toldor plötzlich ansah, zuckte er zusammen.

„Äh, ja?“

„Mir scheint, Ihr seid ein wenig abwesend, Eminenz.“ „Ja… verzeih mir Toldor, es sind sehr viele verschiedene Probleme, die mich beschäftigen. Ich kann kaum noch überblicken, an was ich alles denken muß.“ „Es ist später Abend und Ihr seid heute weit gelaufen. Vielleicht solltet Ihr Eure Gedanken ruhen lassen und stattdessen euren Körper mit einer guten Speise und Eure Seele mit einem guten Schlaf pflegen.“ Joro lächelte schüchtern.

„Du hast unzweifelhaft recht. Ich denke, daß ich mir noch ein Bad genehmigen werde und mich dann ins Bett zurückziehe.“

Ghaundar stand auf und legte die Serviette neben seinen Teller.

„Eine wunderbare Idee, der ich ebenfalls sogleich folgen werde. Bis auf die Tatsache, daß ich nicht mit Joro baden werde.“

Der Bischof war zu müde, um den Drow mit irgendetwas zu bewerfen.

 

Eigentlich, so fand Joro, war es ausgesprochen angenehm, daß das Bad des Erzbischofsgemaches nicht nur ein wirklich großes Badebecken besaß, sondern auch einen Kessel, in dem Wasser sehr schnell warm gemacht werden konnte. Das Problem des Wassertragens war zwar immernoch existent, aber die anderen Mönche hatten vorgesorgt. Die Zisterne des Klosters war riesig und nahm fast die Hälfte des Kellergeschosses aus.

Schließlich ließ er sich in das herrlich warme Wasser sinken, in das er ein paar Tropfen eines Duftöls gegeben hatte. Wonach genau es roch konnte er nicht ausmachen, es war auf jeden Fall etwas Exotisches.

 

Er war kurz eingenickt, schreckte dann aber im Bade hoch und danke Celestus innerlich, ihn nicht ertrinken lassen zu haben. Hastig stieg er aus dem Becken und trocknete sich ab.

Ein Blick auf das -neue, wie ihm erfreut auffiel- Bett ließ ihn kurz zögern, aber dann mußte Joro Macun über beide Ohren grinsen. Um nichts in der Welt würde er diesen Raum gegen seine Zelle Zwölf eintauschen.

 

 

Ein Hahn krähte. Draußen war es noch stockdunkel und so wie Joro aus dem Bett hochschreckte, hätte er sich in einem niedrigeren Raum sicherlich den Kopf an der Decke gestoßen.

Nicht, daß die Anwesenheit eines Hahnes ihn sonderlich erschreckt hätte, aber auf dem Hof seines Vaters war es eine Gebräuchlichkeit, schon wenige Augenblicke nach dem dritten Krähen des Hahnes, jedem, der noch im Bett lag, einen Eimer kaltes Wasser ins Gesicht zu schütten.

Amüsant hierbei war, daß nicht sein Vater, sondern sein Großvater das eingeführt hatte, nachdem sein erster Knecht, ein Mann den Joro nicht mehr kennengelernt hatte, weil ihn ein Blitz im Gewitter erschlug, als Joro zwei Jahre alt war, und der ein ausgesprochener Langschläfer und es mit dem Fleiß nicht so genau nehmender Mensch gewesen war, dafür gesorgt hatte, daß der alte Patriarch zu drastischen Mitteln griff.

Joros Großvater war, je älter er wurde, mit immer weniger Schlaf ausgekommen und war vor allem im Winter schon einige Stunden vor dem ersten Hahnenschrei aufgewacht. Da man sich nicht sicher sein konnte, ob das Krähen, das einen weckte auch das dritte war, führte es irgendwann dazu, daß man schon angezogen neben seinem Bett stand, bevor man überhaupt bemerkte, daß man eigentlich wach war.

So geschah es nun auch Joro. Die Robe trug er allerdings dieses Mal falsch herum, was ihn dazu brachte, grummelnd und grunzend aus den Ärmeln zu schlüpfen und dann die Robe von der Innenseite um sich herumzudrehen.

Dann stiefelte er nach draußen auf den Hof, dem Hahn Verwünschungen entgegenstoßend, und ging herüber zum Hauptgebäude.

 

Eigentlich wollte Joro zunächst zum Koch gehen, und ihn um eine frische Hühnersuppe zum Mittagessen bitten, aber dann seufzte er nur und ging stattdessen nach oben in die Schreibstube.

Als er seine Amtsstube betrat sah er dort das kleine Buch auf dem Tisch liegen, welches ihm Toldor vor seiner Abreise gegeben hatte. Joro schlug es auf und sah zu seiner Überraschung schon im Einband einen kleinen Zettel liegen, der Albrechts Handschrift trug.

 

Ich habe mir alles angesehen, was du an Kommentaren hinzugefügt hast und darf dir hiermit sagen, daß ich dem, was du da aufgeschrieben hast, zustimme.

Es wird dich ohne Zweifel wundern, daß ich das zum Ausdruck bringe, aber das sollte es nicht. Du bist der neue Erzbischof und damit das Oberhaupt dieser Kirche. Ich hingegen war nur derjenige, der dies alles einmal erschaffen hat, was nicht zwangsläufig bedeutet, daß ich in irgendeinem Punkt über ein Recht verfüge, deine Entscheidungen anzuzweifeln.

Auf einem der Pulte wirst du ein zugeschlagenes Buch mit einem frischen Schweinsledereinband finden. In den Wochen deiner Abwesenheit habe ich die alten Kirchenregeln wieder so hergestellt, wie sie einmal gewesen sind. Deine eigene Interpretation sei dir erlaubt und vielleicht ist sie sogar zwingend notwendig.’

 

Es folgten einige Zeilen, die Albrecht absichtlich so verwischt hatte, daß sie vollständig unkenntlich waren, doch darunter stand noch:

 

Vielleicht verstehst du jetzt auch, warum ich gegangen bin. Dieses Kloster ist nicht mehr meines. Es ist deine Zukunft.

 

Albrecht.

 

Joro war verblüfft und wandte sich in Gedanken an Celestus.

‚Hast du daran gedreht?’

Der dunkle Mann manifestierte sich auf dem Sessel gegenüber.

„Was glaubst du?“

„Mir scheint, daß hier ein sehr abrupter Gesinnungswechsel seitens Albrecht stattgefunden hat.“

„Das täuscht. Hast du vergessen, daß er und ich nicht sonderlich gut miteinander auskommen?“

„Aber…“, Joro rang mit den Armen, „Am Anfang hatte es den Anschein, daß er mit Feuer und Flamme dabei war…“

„Du irrst in gleich zwei Punkten, mein Sohn. Erstens vergißt du die Tatsache, daß er tot ist und damit keine Emotionen mehr hat. Zweitens hat er aus reiner Gewohnheit, nicht einmal Pflichtgefühl, dafür gesorgt, daß sein Werk, wieder korrigiert, auf diesem Pult dort drüben liegt. Er hatte niemals vor, länger hier zu bleiben, als es irgendwie notwendig war.“

Das konnte sich Joro nicht vorstellen.

„Er empfindet es noch nicht einmal als seine Pflicht?“ „Albrecht fühlt und empfindet nichts. Das Einzige in ihm, was man noch als Gefühl bezeichnen kann sind Interesse oder Neugier, aber selbst diese sind nur ein Resultat des Drangs, Wissen anzusammeln. Die Existenz als Untoter ist nicht sonderlich erfreulich oder aufregend, wenn mir das Wortspiel erlaubt ist.“ „Warum hat er dann dein Angebot angenommen?“ „Vielleicht weil er nicht sterben wollte?“, antwortete der Gott in einem augenzwinkernden Ton und verschwand dann.

 

Wie immer war Joro unbefriedigt von den Antworten seines Gottes, aber er beschloß sich zu zwingen, sich daran zu gewöhnen. Am Ende war aus Celestus doch nichts Eindeutiges herauszubekommen, es sei denn das Wasser stand einem bis zum Hals.

Unschlüssig, was zu tun sei, saß er zunächst da und blätterte mit der linken Hand im Buch und hielt mit der rechten den Zettel. Dann stand er schließlich auf und ging zu einem der Schreibpulte. Irgendwo mußten hier leere Bücher sein, in die er schreiben konnte.

Auf dem Podest des Pultes lag ein Blancowälzer, den Joro hochnahm, und mit der ersten Seite aufgeschlagen vor sich hinlegte. Dann rückte er eines der anderen Schreibpulte direkt neben seines und holte Albrechts neue, alte Version der Kirchenregeln und legte sie darauf.

Es war viel zu tun. Und im Gegensatz zu dem Leichnam mußte er nicht nur schlafen, sondern hatte auch noch einen Krieg im Nacken, er mußte sich also beeilen.

 

 

 

Kapitel 2

 

Gegen Mittag kam Franz wortlos in die Schreibstube und stellte ihm einen Wagen mit Essen für eine ganze Familie direkt neben seinen Arbeitsplatz. Joro bemerkte ihn kaum, murmelte aber so etwas wie eine Dankesformel, zumindest ging er davon aus, daß es höflich genug war. Das Schreiben brachte ihn fast in einen Trancezustand, der ihn alles um sich herum vergessen und sich einfach nur auf die Buchstaben vor sich konzentrieren ließ.

Er hatte zwar viel gelesen, geschrieben hatte er in seinem Leben aber eher weniger, jedoch ging es ihm mit jeder fortlaufenden Stunde besser von der Hand.

 

So vieles war im Kleinen zu ändern. Albrecht hatte verfügt, daß die Totengräber für ihre Dienste einen Anteil an dem Vermögen derer, die eine Bestattung brauchten bekamen. Das leuchtete Joro nicht ein, denn die Ärmsten der Armen hatten nichts, aber auch gar nichts übrig. Stattdessen änderte er es in die Formulierung „das, was sie zu erübrigen im Stande sind“. Die ursprüngliche Version war von der späteren Kirche in ein klares Zehntel dessen, was sie in der Woche einnahmen verändert worden. Kein Wunder, daß die Schatzkammer des Klosters vor Gold überquoll.

Worte besaßen große Macht, das wurde Joro immer klarer. Und geschriebene Worte, in Form von Gesetzen, konnten über Gedeih und Verderb einer Person entscheiden. An letzterem wollte Joro keinen Anteil haben, die Kirche war dazu da, den Menschen zu helfen und nicht, sie ihres letzten Bißchens Lebenssaftes zu berauben.

Eine weitere Idee, die er schon vorher gehabt hatte, brachte er nun ebenfalls zu Papier.

Es gefiel Joro nicht, daß Söldner das Kloster bewachten. Stattdessen wollte er eine Truppe von gut ausgebildeten und auch gut ausgerüsteten Mönchen haben, die im Falle eines Angriffs dafür sorgen konnten, daß die Kirche und ihre Gläubigen beschützt wurden.

So gesehen hatte er ja in einem seiner Gespräche mit Olgerich bereits den Grundstein dafür gelegt, aber es mußte mehr sein. Die Idee einer schwarzen Garde des Celestus hatte ihn schon seit geraumer Zeit nicht mehr losgelassen und nun schrieb er Regeln und Verfahrensweisen zur Bildung und Aufrechterhaltung einer solchen Truppe in das Buch.

Eigene Gedanken. Und sie würden einen Wert, ein Gewicht, eine Macht besitzen. Das gefiel ihm.

 

Am Nachmittag, er hatte kaum etwas gegessen, stand irgendwann Ghaundar im Zimmer und betrachtete ihn. Wie lange genau der Drow schon da gestanden hatte, wußte Joro nicht, aber er schrak von seiner Arbeit hoch, als er sich dessen bewußt wurde.

„Na, fleißig am Arbeiten, wie ich sehe.“

„J..ja. Ich bin ein wenig überrascht, daß du hier bist.“ „Ach ja?“

„Es muß wohl wieder daran liegen, daß du eine große Freude daran hast, dich an Leute anzuschleichen. Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Olgerich ist vor einer halben Stunde hier angekommen. Ich dachte, ich sollte dich darüber informieren.“

„Wunderbar“, Joro legte den Federkiel zur Seite, „dann werde ich mich sofort aufmachen, um mit ihm zu reden.“

Ghaundar lächelte.

„Es hätte mich auch gewundert, hättest du anders reagiert. Wäre es nicht vielleicht besser, ihn heute zum Abendessen einzuladen?“

„Nein, es sei denn, es wäre schon so spät.“

Ohne ein weiteres Wort ging der Assassine zur Tür und schaute dann erwartungsvoll zu Joro.

Dieser überflog noch die letzten Worte, die er geschrieben hatte und folgte ihm dann.

 

Es war ein frischer Frühlingsabend in Daishan und obwohl es kühl war, wärmte die Sonne Joros schwarze Kleidung noch recht stark. Auch wenn der Himmel nicht ohne Wolken war, regnete es glücklicherweise nicht mehr, wie am Tag zuvor.

Die Straße herunter in die Stadt war, wie es Kopfsteinpflaster so an sich hat, von der Nässe des Vortages immernoch glitschig. Joro haßte es, wenn man nicht einfach gehen konnte, sondern achtgeben mußte, ob man nicht mit dem nächsten Schritt hinfiele. Der Winter, den er so liebte, hatte mit dem mit ihm verbundenen Eis immer den gleichen gewünschten Nebeneffekt. Vorsichtig ging er hinter dem Drow her, der keine Probleme damit hatte und ärgerte sich, daß er laufen mußte wie ein Invalide.

Vor dem Stadtschloß Bargums standen immernoch eine Reihe von Gäulen, die nach und nach von zwei Stallknechten hinter das Gebäude in die Stallungen gebracht wurden. Ein paar Soldaten der Stadtwache standen dabei und unterhielten sich. Als sie Joro näherkommen sahen salutierten sie stramm.

„Nur keine Förmlichkeiten, ich will nur den Fürsten besuchen gehen.“ „Jawohl, Euer Eminenz!“, kam es zackig zurück. Soldaten… In der Eingangshalle empfing sie der Majordomus, dem der Schweiß auf der Stirn stand.

„Eminenz, es ist mir eine Freude, Euch und euren Freund begrüßen zu dürfen. Ich nehme an, daß Ihr wünscht, den Fürsten zu sehen?“

„Nein, es freute mich, hätte der Fürst Zeit für mich.“ „Oder so, ähhm…“, der Mann schaute sich hektisch um, „ ich werde einmal sehen, ob er zur Zeit indisponiert ist…“ Der Majordomus hastete die Stufen ins Obergeschoß hinauf und Joro sah Ghaundar an, der unverhohlen grinste.

„Was ist denn nun wieder?“

„Ist dir einmal aufgefallen, daß ‚indisponiert’ oft ein Begriff dafür ist, daß Leute gerade auf dem Lokus sind?“

Joro wußte nicht, was er darauf antworten sollte, aber der Gedanke war amüsant, also grinste er zurück.

Es dauerte nicht sehr lange und der Majordomus kam zurückgehastet und verbeugte sich überschwenglich.

„Seine Durchlaucht wird Euch jetzt empfangen. Er freut sich sehr über Euren Besuch.“

 

Sie gingen herauf in das erste Geschoß und der Weg führte dieses Mal nicht in die Privatbibliothek des Fürsten, sondern, wie sich herausstellte, in seine Privatgemächer. Ghaundar blieb aus Respekt vor der Tür stehen und Joro trat alleine in den Raum ein.

Olgerich stand in der Mitte des Raumes und bemühte sich gerade in ein weites Gewand, das mit Spitzen und Brokat gesäumt war.

Dabei fiel Joro auf, daß er offenbar Probleme damit hatte, seinen linken Arm zu bewegen.

„Mein Fürst, seid Ihr etwa verletzt?“

„Nur ein kleiner Kratzer, wir hatten auf dem Rückweg eine unerfreuliche Auseinandersetzung mit ein paar Wegelagerern.“

„Laßt mich sehen.“

„Es.. es geht schon.“

„Keine Widerrede, Durchlaucht. Ich nehme so etwas nicht auf die leichte Schulter.“ Der alte Mann seufzte und zog das Gewand, in das er sich gerade zu quälen versucht hatte wieder aus. Auf seinem linken Oberarm war eine große Schnittwunde, die nur notdürftig genäht war. An den Wundrändern lagerte sich bereits Eiter ab.

Joro machte ein böses Gesicht und sah den Fürsten tadelnd an.

„Das ist es also, was Ihr einen kleinen Kratzer nennt. Ich möchte nicht wissen, was Ihr dann unter einer tödlichen Verwundung versteht. Setzt Euch.“

Schweigend setzte sich Olgerich auf sein Bett und Joro legte seine Hände über die Wunde. Leise begann er zu beten und kurz darauf begann sich der Schnitt unter der Dunkelheit, die aus seinen Handflächen strömte, zu schließen. Nach einigen Augenblicken ließ er seine Hände wieder sinken.

„Jetzt könnt Ihr gerne wieder über einen Kratzer reden. Aber glaubt ja nicht, daß ich Euch einfach so an Wundbrand sterben lasse, Olgerich.“

Der Fürst lächelte.

„Ich bin nur ein dummer, alter Mann, Eminenz, verzeiht mir, wenn ich meinen Schmerz überspielt habe.“

„Ein typisch männliches Fehlverhalten“, Joro grinste, „ich glaube fast, ich täte es nicht anders…“

„Trotzdem danke ich Euch. Zudem freut es mich sehr, daß Ihr so schnell hier hergelangtet.“ „Ghaundar sagte mir, daß Ihr vor Kurzem wieder hier eintraft. Ich bin sehr interessiert daran, zu erfahren, was der Ältestenrat verfügt hat.“ Olgerich grunzte.

„Nicht viel. Ich muß sogar sagen, daß ich mit dem Ergebnis in keinster Weise zufrieden bin.“ „War es so schlimm?“

„Nun, die gute Nachricht ist wohl, daß Bargum mit den Änderungen, die hier vor sich gehen Anwärter auf die Ratsmitgliedschaft geworden ist. Aber alles, was sonst noch gesagt und beschlossen wurde, dürfte keineswegs als positiv bewertet werden.“

„Warum?“

Der Fürst ließ die Schultern hängen.

„Sie sind sich nicht einig, wie der Gefahr aus dem Süden begegnet werden soll. Einige sprechen sich dafür aus, ein Protektorat anzuerkennen und sich zu fügen. Andere, vor allem die weit nördlichen Provinzen, die am meisten unter Welverin gelitten haben, wollen bis zum Tod kämpfen.“

Joro spürte Zorn in sich hochkochen, aber unterdrückte ihn.

„Also ist die Summe der Entscheidungen, daß der Süden sich vor der Legion beugen will und die Nordprovinzen wollen sich im Kampf opfern?“

„Ihr denkt zu sehr in Extremen, Eminenz. Vor allem die Hirten des Nordens haben bereits angekündigt, daß sie jedem folgen werden, der die Sache in die Hand nimmt. Der Haken bei der Sache ist nur leider, daß sie zwar Männer beisteuern können, aber was Ressourcen angeht haben sie außer Vieh nicht viel zu bieten.“

Eine Idee flammte wieder einmal in Joro auf. Das konnte genau das sein, was er brauchte, denn die Hirtenstämme des Weltengebirges waren dafür bekannt, unglaublich fanatische Krieger zu sein, die niemals auch nur im Traum daran dachten, aus einem Kampf zu flüchten. Ihre Traditionen verbaten einem Mann, Schwäche oder Feigheit zu zeigen und er erinnerte sich spontan an ein altes daishanisches Märchen, in der der Hirte Luka einen Tag und eine Nacht mit einem Riesen kämpfte, nur um eines seiner Lämmer wiederzubekommen. Am Ende gab der Riese auf, weil der Hirte selbst halbtot noch immer wieder aufstand und ihm „Gib mir mein Schaf zurück!“ entgegenbrüllte.

Vielleicht waren diese Männer und Frauen das Zünglein, daß die Waage für sie ausschlagen lassen konnte..

„Ich werde noch heute einen Boten gen Norden schicken, um die Stämme zu kontaktieren. An Waffen und Rüstungen wird es uns nicht mangeln. Ich habe mit Balthasar gesprochen und er ist bereit, uns sowohl Schmiede, als auch Metall zur Verfügung zu stellen… für einen Preis natürlich.“

Das Gesicht des Fürsten erhellte sich merklich.

„Hätte ich das schon gewußt, als ich aufbrach, wäre es sicher anders verlaufen.“ „Ich hatte… Dinge zu erledigen, Olgerich. Vieles davon war sehr wichtig, auch wenn ich Scham empfinde, so lange von hier fort gewesen zu sein.“ „Ist es denn wenigstens zu einem guten Ende gekommen?“ Olgerich mußte lachen, als er Joros spontanes Honigkuchenpferdgrinsen sah.

„Schon gut, ich denke, daß beantwortet meine Frage.“ Joro reichte ihm die Hand zum Aufstehen.

„Ich lade Euch zu einem kleinen Abendmahl im Kloster ein, ist das nicht ein gutes Angebot?“ „Ihr macht Euch keinen Gedanken, wie sehr ich darauf gewartet habe, daß Ihr das sagt. Drei Wochen hartes Brot und Trockenfleisch kann man nicht gerade einen kulinarischen Höhepunkt nennen.“

 

Ghaundar wartete draußen vor der Tür, mit seinem gewohnt gelangweilten Gesichtsausdruck, den er immer auflegte, wenn er zu vertuschen suchte, daß er lauschte oder sonst etwas Unmoralisches tat.

„Wir gehen ins Kloster, Essen fassen.“

„Immerhin.“

 

Oben angekommen, suchte Joro allerdings als erstes Marinus auf, der mittlerweile ein eigenes Amtszimmer im Erdgeschoß des Hauptgebäudes hatte. Ghaundar hatte ihn zwar gewarnt, daß der Totengräber für gewöhnlich andernorts war und irgendetwas arbeitete, aber der Bischof hatte Glück, denn er war anwesend.

„Sei mir gegrüßt Marinus, ich habe einige Anliegen, die ich dringend mit dir besprechen muß.“

„Sicherlich, setzt Euch doch bitte.“

„Ich brauche zwei Boten, dringend.“

„Kein Problem, wohin sollen sie reiten?“

„Einer muß zu den Nordstämmen gehen, das ist das Wichtigere von beidem. Je schneller, desto besser“, Joro holte tief Luft, „Er soll eine Botschaft überbringen, daß sich alle wehrfähigen Männer und Frauen und deren Familien sich alsbald in Bargum einfinden sollen, da wir eine Armee aufstellen werden, um die goldene Legion abzuwehren. Wir können allerdings kaum für Unterkunft sorgen und sie sollen alles, was sie an Herden bei sich haben mitbringen, da es mit der Verpflegung vielleicht Probleme geben wird.“

Marinus nickte und schrieb alles auf ein Pergament.

„Und was soll der andere Bote tun?“

„Haben wir Lasttiere?“

„Nicht, daß ich wüßte…“

„Dann kauf welche, ich werde dir das Geld dafür zur Verfügung stellen.“ „Gut, und weiter?“

Joro zog ein Pergament, daß er am Vormittag geschrieben und versiegelt hatte aus seinem Robenärmel und reichte es Marinus.

„Wir brauchen zwanzig Lastesel und einen Boten, der zur Enklave reist. Dieses Pergament ist nur zu Händen von Hohepriesterin Alystin auszuhändigen und enthält alle wichtigen Informationen, die notwendig sind. Auch diese Botschaft ist ausgesprochen wichtig und sollte so schnell wie möglich überbracht werden.“

„Ich sehe ein Problem darin, zwanzig Esel oder Maultiere so schnell aufzutreiben. Wann sollen die Boten losreiten?“

„Heute noch. Bezahl den Besitzern alles, was sie wollen, es sei denn sie werden unverschämt. Je schneller die Reise losgeht, desto besser.“

Marinus machte ein zweifelndes Gesicht, aber er stand auf und meinte: „Ich sehe zu, daß ich es so schnell wie es geht möglich mache.“ „Gut, hier ist der Schlüssel zur Schatzkammer, nimm dir, was du brauchst.“

 

Joro verließ die Stube des Totengräbers mit einem Gefühl der Zufriedenheit und ging hinauf in den Speisesaal, in dem Toldor, Olgerich und Ghaundar bereits saßen und sich durch einen Haufen Essen kämpften.

„Eminenz, Ihr kommt spät, aber Ihr kommt…“, Toldor winkte mit einer Truthahnkeule, „Franz hat sich einmal wieder übertroffen.“

„Ich sehe es“, Joro schmunzelte, „ und wie mir scheint habt ihr euch alle schon in die vorderste Schlachtlinie gekämpft.“

Ghaundar grinste unverhohlen.

„Tja, wenn der Klerus sich wieder einmal mit Reden aufhält, muß die arbeitende Masse doch mit gutem Vorsatz vorangehen, oder?“

„Wenn ich was zum Werfen hätte…“, Joro ging um den Tisch und setzte sich auf seinen Platz.

Während des Arbeitens war es ihm gar nicht so sehr aufgefallen, aber nun merkte er, daß er sehr hungrig war und er griff gut zu.

Schlußendlich saßen sie alle mit vollen Bäuchen da und tranken noch das eine oder andere Bier.

Olgerich hatte sich von Ghaundar schon alles erzählen lassen, was dieser wußte und war sehr damit zufrieden.

„Hrynn ist ein großer Kriegsheld und wenn er sich mit Herrn Omareth versteht, ist es umso erfreulicher.“

„In der Tat. Zudem glaube ich, daß er auch sehr daran interessiert sein wird, was ich mir in den letzten Tagen ausgedacht habe“, meinte Joro.

„Und was wäre das?“, nicht nur Olgerich, sondern auch die beiden anderen Tischgenossen sahen interessiert zum Bischof herüber.

„Nun, es ist mir nicht recht, daß wir Söldner beschäftigen, die das Kloster bewachen. Dabei geht es mir nicht einmal um eine Loyalitätsfrage, sondern vielmehr darum, daß wir mit eigenen Gefolgsleuten sicherlich besser dastehen als mit angeworbenen.“

„Könntet Ihr das präzisieren?“, fragte Toldor.

„Eine Garde gebildet aus Menschen, die ein Interesse daran haben, unser geistliches Gut und unser weltliches Haben zu verteidigen wäre mir lieber. Das Eine muß das Andere ja auch nicht ausschließen, aber wir werden so oder so Truppen ausheben müssen.“

Olgerich setzte seinen Humpen ab und tupfte seine Mundwinkel mit der Serviette ab.

„Ich habe meinen Hauptmann bereits damit beauftragt, hier in der Stadt junge Männer und Frauen zu den Waffen zu rufen. Zur Zeit bildet er etwa fünfhundert Menschen aus, von denen er sagt, daß sie in Kürze zumindest für reguläre Kampfhandlungen tauglich wären.“

„Das ist das größte, was an Kapazität zu schaffen ist?“ „Für mehr fehlt uns die Ausrüstung, Eminenz.“ Das gefiel Joro nicht.

„Eine Ausbildung sollte auch für mehr möglich sein. Einer der Boten, die heute losgeschickt werden, wird dafür sorgen, daß auch Hrynn hier eintrifft. Wir brauchen Ausbilder und wir brauchen Rekruten, und zwar so viele wie nur irgendwie möglich.“

„Unser Plattner arbeitet bereits mit dem wenigen an Material, das uns bleibt, aber wenn ihr mehr Leute ausrüsten wollt, dann werden wir sehr bald Eisen brauchen.“

„Dafür ist gesorgt, Marinus ist in diesem Moment dabei, Lasttiere zu kaufen. Zudem werde ich auch die Nordstämme kontaktieren, um so schnell wie möglich noch mehr Menschen hierher zu bringen. Wie es aussieht wird Meister Parek wohl noch ein paar mehr Hütten bauen müssen.“

„Wenn Daishan irgendetwas zur Genüge hat, dann ist das ohne Zweifel Holz… und Steine“, meinte der Fürst mit einem Lächeln.

„Das kann man so sagen, ja...“

Sie schwiegen alle ein Weile, dann ergriff Ghaundar das Wort.

„Es ist noch etwas Zeit, bis hier der Himmel auf uns niederstürzt. Bis dahin werden wir noch viel leisten können.“

Toldor wandte sich unvermittelt an ihn.

„Sagt, Herr Ghaundar, seid Ihr nicht in der Kunst des schnellen Tötens erfahren?“ „Nun, wenn ihr so fragt…“, gab Ghaundar mit einem alarmierten Gesichtsausdruck zurück.

„Keine Sorge“, Toldor lachte, „ich habe nicht vor, Euch zu verurteilen. Es ist vielmehr so, daß vor einigen Jahrhunderten einmal eine Gruppe von Mönchen existierte, die für ihre, nun, heimlichen Methoden recht berühmt war.“

„Meuchelmörder?“

„Nein… eher Spione und Kundschafter. Zu Zeiten des Drowkrieges war es wichtig, solche zu haben.“

Ghaundar war überrascht.

„Das war mir nicht bekannt…“

„Nun, wenn wir schon von Möglichkeiten reden, dann wäre es doch vielleicht eine gute Idee, einige der Brüder in der Heimlichkeit zu unterrichten, damit sie uns von Nutzen sein können. Jegliches Talent, dessen Nutzung sich uns bietet, wäre eine Hilfe“, Toldor lächelte.

Es war nicht zu Übersehen, daß sich hinter Ghaundars Stirn ein Sturm der Zweifel abspielte, aber er fing sich schnell wieder.

„S…sicher. Ich kann mich ja einmal daran setzen und schauen, welche in Frage kämen“, er schielte zu Joro hinüber, der aber nur ziemlich bedeutsam nickte.

Olgerich sah auf seinen Teller und war darum bemüht, nicht zu aufdringlich zu Grinsen.

„Wer hätte gedacht, daß die absurden Wege einer falschen Kirche des Celestus einmal zu solch guten Ideen führen könnten.“

 

Es war schon nach Mitternacht, als Joro schlußendlich den Kiel beseitelegte und sich mit einem Ärmel den Schweiß von der Stirn wischte. Nach dem Abendessen hatte er noch einige Stunden vor dem Pult gestanden und geschrieben und nun war er einfach zu müde, um noch weiterzumachen. Nicht, daß er nicht gewollt hätte, aber irgendetwas in ihm weigerte sich, fortzufahren. Ghaundar hatte der Gedankenimpuls Toldors zum Grübeln gebracht, er war ziemlich wortkarg irgendwann aufgestanden und hatte sich verabschiedet, was Joro aber keine Sorgen machte, er brauchte wohl Zeit, nachzudenken. Die völkische Drowseele verkraftete eine solche Anfrage wohl nicht so leicht, immerhin waren die Meuchler dieses Volkes ziemlich berühmt. Er würde darüber hinwegkommen, vor allem, weil sich Ghaundar wohl sehr stark im Klaren darüber sein durfte, was auf sie zukam.

So abstrakt es war, die bisherigen Begegnungen mit der Legion waren real und hatten Joro mehr als einmal dazu gebracht, sich wirklich zu fürchten, bis hin zur Todesangst.

Er ging in das Amtszimmer und schaute aus dem Fenster. Unter dem Kloster lag Bargum, größtenteils dunkel, aber vom Mondlicht und einigen Feuern in den Häusern dennoch erleuchtet. Es machte ihn Schmunzeln, daß er nicht der Einzige war, der nicht schlafen konnte. Dies würde nicht das erste und auch nicht das letzte Mal sein, daß das geschah.

 

Auch am nächsten Tag verbrachte er viel Zeit damit, zu schreiben. Marinus kam gegen Mittag vorbei und brachte ihm den Schlüssel zurück, mit einer kurzen Bemerkung, daß alles in Ordnung gehe und die Boten seit dem frühen Morgen unterwegs seien.

Es war schon Abend, als Ghaundar ihn besuchen kam.

„Und? Wie geht es voran?“

„Gut, ich habe schon zwanzig Seiten geschrieben.“ „Schön…“, der Drow setzte sich auf einen der Schemel, die vor den Schreibpulten standen, „Ich habe heute eine Menge von dem gelesen, was sich hier so in diversen Büchern befindet.“ „Aha?“

„Toldor hatte recht. Es gab tatsächlich eine kleine Gruppe von Mönchen, die während des Krieges gegen Welverin spioniert und kundschaftet hat.“

„Es macht dich madig, daß du nichts davon wußtest, oder?“ Ghaundar grinste.

„Natürlich, du weißt ja, daß wir Drow informationssüchtig sind. Aber das ist nicht einmal der Punkt.“

„Sondern?“

„Die Einfachheit dessen, wie sie es getan haben ist bemerkenswert. Dabei liegt es nur daran, daß sie sich als Menschen freier bewegen konnten, weil unser Volk damals Sklaven hielt.“

„Du scheinst beeindruckt zu sein.“

„Das bin ich auch. Also… konkret auf unsere Situation bezogen wäre es nicht dumm, ein Netzwerk von Leuten aufzubauen, die sich auf genau diesen Bahnen bewegen. Ihnen die Grundzüge dessen beizubringen, was sie wissen müssen, wird nicht sonderlich schwer sein.“

„Dann hast du ja etwas gefunden, was du tun kannst. Ich habe immer das Gefühl, daß du dich hier langweilst.“

„Du hast ja keine Ahnung, wie sehr“, Ghaundar lachte, „und du hast recht. Je mehr wir wissen, desto besser. Das wird die Resultate dessen, was unsere Späher in der Enklave daraus ziehen können, was sie von Händlern erfahren weit übertreffen. Vor allem weil Totengräber als reisende Priester im ganzen Land bekannt sind und so relativ wenig Aufsehen erregen.“

Das leuchtete Joro ein. Informationen aus erster Hand waren immer besser.

„Also machst du dich daran und suchst dir ein paar Leute aus?“ „Ich war heute morgen bei Olgerich und habe mir ein paar Händler aus der Stadt nennen lassen, die viel herumkommen. Wir werden einfach einige unserer eigenen Leute mit ihnen mitreisen lassen und sehen, was dabei geschieht.“ „Aber die sollten vorher doch erst genug Handwerkszeug mitbekommen, um…“ „Schon klar. Darum kümmere ich mich.“

 

Eigentlich hätte Joro die nächsten Tage in quälendem Warten verbracht, hätte er nicht praktisch die ganze Zeit in der Schreibstube verbracht. Selbst das abendliche Essen fiel weitestgehend aus, da alle damit beschäftigt waren, sich um ihre Geschäfte zu kümmern, Olgerich hatte den Idee der Ausbildung einer größeren Anzahl von Rekruten aufgegriffen und umgesetzt, Ghaundar hatte sich einige der Totengräber herausgepickt, die er unterrichtete und Toldor und Marinus waren den ganzen Tag mit den Angelegenheiten des Klosters beschäftigt.

Joro seinerseits kippte morgens immer mit Mordgedanken bezüglich eines Federtieres aus dem Bett und schleppte sich noch im Halbschlaf in die Schreibstube, wo glücklicherweise schon am zweiten Tag ein heißer Kräutertee und ein kräftiges Frühstück auf ihn wartete.

Eigentlich war schreiben sehr anstrengend, aber da ihn die Absicht trieb, seine eigenen Ideen zu Papier zu bringen, floß es vor sich hin, sogar in einem Maße, daß er den Tag- und Nachtwechsel kaum bemerkte. Wenn Ghaundar oder Toldor zwischenzeitlich vorbeikamen, um ihm irgendwelche Berichte zu geben, hörte er nur mit halbem Ohr hin, weil seine Gedanken an dem hingen, was er aufschrieb.

Dennoch. Es war eine Aufbruchsstimmung in ihm, die dadurch gefördert wurde, daß er Schritt für Schritt sah, wie sich kleine Teile zu einem Ganzen entwickelten.

 

Unterbrochen wurde er am sechsten Tage davon, daß Ghaundar am Vormittag mit einem verschmitzten Lächeln auf dem Gesicht in die Stube geschlendert kam.

„Nur mal so… ich glaube wir bekommen Besuch.“ „Hm?“, Joro sah von dem Buch auf.

„Naja, ich habe gerade die Meldung von der Stadtwache bekommen, daß eine seltsame Karawane am Südtor angekommen ist. Sie haben Probleme, zu glauben, was da vor ihnen steht.“

„Wie jetzt?“

Ghaundar schnaubte.

„Am Südtor stehen etwa einhundert Duergar, zwanzig Maultiere mit Eisen, ein alter Mensch, ein übellauniger Drow und eine gewisse Dame.“

„Was zum…“, Joro schmiß den Kiel in die Ecke und rannte zur Tür, „Kannst du nicht mal schneller klare Aussagen treffen, du Depp?!“

Den noch lachenden Dunkelelfen hinter sich lassend flog Joro die Treppen zur Eingangshalle herunter und hastete so schnell er konnte aus dem Kloster.

Als sie den Bischof wie einen Geisteskranken die Straße entlanglaufen sahen, fragte sich die eine oder andere Klosterwache, was wohl geschehen war, denn einige von ihnen nahmen auf der Stelle ihre Schilde auf und taten es ihm gleich.

In wenigen Augenblicken war er am Südtor angekommen und war vom Anblick überwältigt.

Balthasar hatte es sich nicht nehmen lassen und eine ganze Kompanie seiner Krieger, inklusive Torkum, mit den Maultieren mitgeschickt. Viel wichtiger war jedoch, daß sowohl Hrynn, als auch Omareth und vor allem: Alystin dabei waren.

Der Drowgeneral, der schon von Weitem spöttisch in seine Richtung gesehen hatte, sagte zur Begrüßung:

„Wenigstens nimmst du das mit dem Laufen ernst.“ Joro ignorierte das, denn er hatte nur Augen für die Frau, die er liebte. Wie zu erwarten gewesen war, kam ein in-die-Arme-fallen wohl nicht absehbar, denn sie hatte wie so oft ihre distanzierte Miene aufgelegt.

Die eigentlichen Leidtragenden der Situation waren allerdings die Stadtwachen. Sie sahen hilflos zwischen Joro und der Karawane hin und her, sichtlich unfähig, sich zu entscheiden.

Mit dem Blick an den anwesenden Weibel gerichtet meinte Joro: „Es ist in Ordnung, sie sind unsere Verbündeten. Laßt sie passieren.“ „I…ihr seid Euch sicher, Eminenz?“

„Ja, völlig. Ihr braucht keine Bedenken zu haben.“ Immernoch unsicher traten die Gardisten zur Seite und deuteten dem Troß, die Stadt zu betreten.

Es waren einige Stadtbewohner anwesend, die als Schaulustige in der Straße standen, aber Torkum hatte seine eigene Art, damit umzugehen. Seine Soldaten gingen ziemlich ruppig daran, die Leute aus dem Weg zu schieben, um die Maultiere und ihre Fracht in die Stadt zu bringen.

Als der Marschall Joro erreichte, salutierte er kurz und fragte dann: „Wohin soll die Ladung gebracht werden?“

„Zum Marktplatz. Fürst Olgerich wird sich um die Verteilung kümmern.“ Der Duergar nickte und wies seine Soldaten an, den Weg weiter freizumachen.

Auf dem Weg dorthin ging Joro Seite an Seite mit Alystin und Omareth, in der stillen Hoffnung, sie würde etwas sagen, aber stattdessen war es der General, der etwas sagte.

„Es ist eine Weile her, daß ich hiergewesen bin. Nur war es damals Nacht und kein schöner Anlaß.“

„Es ist eine schöne Stadt“, sagte Joro, immernoch mit einem Seitenblick auf Alystin, deren Anstrengung, die Form zu wahren auf ihr Gesicht geschrieben stand, „sie sollte dir bei Tageslicht noch besser gefallen.“

Omareth sah zu Joro hoch.

„Das wage ich zwar zu bezweifeln, aber ich werde mich gerne eines Besseren belehren lassen.“

Der Bischof setzte einen stoischen Gesichtsausdruck auf.

„Das wird sicherlich bald geschehen, es sei denn du läßt dich wieder von deinen Vorurteilen leiten, Omareth.“

„Wir werden sehen.“

Sie gingen zusammen mit den Tieren bis zum Marktplatz, auf dem sie sowohl eine große Menge der Einwohner Bargums, als auch der Fürst und Ghaundar erwarteten.

Olgerich kam ihnen schon auf den letzten Schritten entgegen und verbeugte sich sowohl vor Omareth als auch Alystin sehr tief und man konnte ihm ansehen, daß er sehr angespannt war.

„Es freut mich außerordentlich, Euch hier begrüßen zu dürfen, äh…“, er sah hilfesuchend zu Joro, nicht weil ihm die Namen nicht einfielen, sondern weil er sich nicht sicher war, welcher von beiden Drow der oder die wichtigere war. Joros unmerklicher Fingerzeig auf Alystin löste das Problem, „werte Hohepriesterin. Und auch Euch, Herr Veldrin’Sreen, gebiete ich meinen Respekt. Es tut gut, sich einmal in friedlicher Form zu treffen.“

Alystin machte einen formellen Gruß und Omareth salutierte knapp.

„Wie ich sehe, habt ihr uns Hilfe gebracht“, fuhr Olgerich fort, „ für die ich Euch im Namen Bargums danke. Wir werden es alsbald zu dem Ort bringen, wo es verarbeitet werden wird.“

Torkum trat vor und wies auf zwei Duergar, die reichverzierte Kutten trugen.

„Dies sind die beiden Schmiede, die unser König dem Bischof von Bargum zur Verfügung stellt. Ich vertraue darauf, daß Ihr sie standesgemäß unterbringen werdet…“

Der Fürst nickte heftig.

„Sicherlich. Es warten bereits Gemächer im Schloß auf sie und sie werden in der hofeigenen Schmiede arbeiten können. Dort sollte es ihnen an nichts fehlen.“

„Gut“, entgegnete der Marschall knapp, „dann laden wir jetzt ab und holen uns die Bezahlung aus dem Kloster.“

Olgerich wandte sich an Hrynn, ohne ein Wort zu sagen, dann fielen sich die beiden Männer in die Arme und drückten einander sehr lange.

„Es ist schon so lange her, Hrynn.“

„Und es freut mich, dich in sehr guter Verfassung zu sehen, Olgerich.“ „Komm mit, ich habe dir schon ein Gemach vorbereiten lassen.“

 

Torkum reichte Joro ein kleines Pergament, auf dem in sehr schlechter Handschrift eine ganze Reihe von Zahlen gekritzelt waren. Dieser überflog es, lächelte, und steckte es in seinen Ärmel. Balthasars Forderungen waren, wie erwartet, unverschämt. Aber er würde das später regeln.

Joro machte eine ausladende Geste und deutete sowohl Omareth als auch Alystin, ihm zum Kloster zu folgen. Beide wirkten sofort ein wenig entspannter und kamen der Einladung nach, indem sie sich in Bewegung setzten.

Im Fortgehen meinte er noch zu Torkum:

„Wenn ihr fertig seid mit dem Abladen, kommt ins Kloster, wir werden dann darüber verhandeln, was ich euch auf die Rückreise mitgebe.“

Ghaundar schloß sich ihnen an und sie gingen zu viert, immernoch von den neugierigen Bewohnern der Stadt beäugt, die Straße hoch.

Jetzt fand auch Alystin zu Worten.

„Hätte ich gewußt, daß das hier zu einer solchen Ausstellung wird, hätte ich mir zwei Mal überlegt, ob ich hier herkommen will.“

„Was hast du erwartet?“, feixte Ghaundar, „Wir sind Exoten in einer Welt voll Kalkleisten.“ Sowohl Omareths, als auch Alystins Blick brachten ihn sofort dazu, seinen Ausspruch zu bereuen.

Als sie sich dem Eingangsportal des Klosters näherten und das Spalier der Schaulustigen endete, atmeten sowohl Omareth als auch Alystin merklich auf.

Sie traten durch den Torbogen, vorbei an den salutierenden Gardisten und Joro machte eine präsentierende Geste.

„Das ist also, sozusagen, mein Arbeitsplatz.“

Omareth sah sich um und pfiff durch die Zähne.

„Ich habe das ja bisher immer nur von außen gesehen, aber von innen ist es noch imposanter“, er kratzte sich am Kinn, „eigentlich hätte ich niemals erwartet, daß alles einmal zu Gesicht zu bekommen.“

Joro sah zu Alystin herüber, die schweigend in die Runde sah. Sie machte immernoch den Eindruck, als fühle sie sich unwohl, wobei er allerdings nicht genau sagen konnte, weshalb das so war. Er bemühte sich, irgendwie für Ablenkung zu sorgen.

„Laßt uns hineingehen, ich wette ihr seid müde und hungrig.“

 

Sie gingen in das Hauptgebäude und zu den Gastgemächern im ersten Stock, in dem auch Joros private Räume waren. Ghaundar nahm Omareth dezent beim Arm und führte ihn zu einem der leeren Gemächer, sodaß Alystin und Joro alleine auf dem Gang standen.

„Hier ist also dein Refugium?“

„Sozusagen, ja. Allerdings habe ich hier noch nicht ein einziges Mal geschlafen.“ Sie sah ihn überrascht an.

„Warum nicht?“

„Hast du den alten Bischof mal gesehen?“

„Nur von ferne…“

„Also ich habe ihn von Nahem gesehen und das hat mir auf ewig vergällt, in diesem Zimmer zu übernachten, daran konnte auch ein neues Bett bisher nichts ändern. Baden ist auch schon eine Sache, aber der Bottich ist einfach zu gut, um wahr zu sein.“

Es überraschte Joro überhaupt nicht, daß Alystin wortlos in das Zimmer huschte und sich zielstrebig in Richtung Badezimmer bewegte. Er lehnte sich in die Eingangstür und wartete lächelnd.

Ihr Kopf lugte plötzlich wieder in das Zimmer.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich…“

Joro lachte.

„Nein, habe ich nicht. Ich sorge mal für warmes Wasser.“

 

Toldor staunte nicht schlecht, als er Joro mit einem Tragejoch und zwei riesigen Eimern, die Ärmel seiner Kutte hochgekrempelt, an ihm vorbeikeuchen sah.

„Aber Eminenz, Ihr wißt doch, daß Ihr das nicht…“ „Es ist nicht für mich und ich bestehe darauf, das alleine zu machen, Toldor.“ „Oh, ich verstehe, die Dame. Da möchte ich mich nicht einmischen…“ „Danke“, Joro grinste, „ihre Reaktion auf eine Einmischung würde sicherlich auch härter ausfallen als meine. Und das wollen wir hier alle vermeiden, daß ist mal sicher.“

 

Alystin hatte den Kessel schon angeheizt und es dauerte nicht lange, bis Joro genug Wasser gebracht hatte und sich ein großer Schwall angenehm warmen Wassers in das steinerne Becken ergoß. Joro war über die unmenschliche Geschwindigkeit erstaunt, mit der sie sich ihrer Kleidung entledigte und in das Bad glitt.

Was folgte war ein langer, erfüllter Seufzer und sie hielt ihre Augen sehr lange geschlossen.

Joro setzte sich auf den Rand des Beckens und betrachtete sie. Es war wunderbar, sie wieder hier zu haben, allerdings machte ihm sein Sinn für seine Stellung ein schlechtes Problem damit, daß sie nackt vor ihm im Wasser saß. Ihm war zwar klar, daß der Vergleich hinkte, aber vielleicht gab ihm das einen leichten Einblick in ihr generelles Problem mit ihm, wenn es um ihre Stellung in der Enklave ging.

Sicherlich überlegte er sich kurzzeitig, einfach zu ihr in das Becken zu springen, aber wenn nun Toldor oder Marinus kämen...

Wie so oft war es Alystin, die die Situation auf ihre Weise löste. Eine kräftige, schwarze Hand packte ihn bei der Schulter und zog ihn in das Becken.

Erst überfiel ihn die Angst, keine Luft mehr zu bekommen, aber die gleiche Hand zog ihn wieder über Wasser und dann näherte sich ein Gesicht dem seinen.

„Hab ich schlecht gerochen?“

„Nein, aber wenn du schon einmal hier bist, kann ein Bad nicht schaden, oder?“, ihr Lächeln versprach eine Menge.

 

Gut eine halbe Stunde später traten sie beide, wieder trocken, auf den Gang hinaus und Alystin sah Joro auffordernd an. Sie zupften beide ihre Kleidung zurecht und lächelten sich dann gegenseitig wissend an.

„Magst du mir alles zeigen?“, fragte sie.

„Ich weiß nicht genau, was du zuerst sehen möchtest.“ „Vielleicht dein Amtszimmer?“

„Gleich so offiziell?“, Joro grinste, „Dann komm, aber es ist nicht sonderlich aufregend.“ Sie gingen den Gang hinab und betraten die Schreibstube. Toldor war gerade dort und las in dem Buch, an dem der Bischof gerade arbeitete.

„Laßt Euch von mir nicht stören, Eminenz, ich bin einfach nur ein wenig neugierig, woran Ihr gerade arbeitet“, er verbeugte sich, so gut es sein Rücken zuließ vor Alystin und sagte dann leicht verlegen: „Seid mir gegrüßt, Hohepriesterin, mein Name ist Toldor. Mir wurde bereits von Eurer Ankunft berichtet, aber ich dachte Ihr seiet von der Reise vielleicht so müde, daß Ihr zunächst einmal ausruhen wolltet…“

Alystin machte mit freundlichem Gesicht eine abwehrende Geste.

„Ihr müßt Euch nicht entschuldigen, daß Ihr mich nicht begrüßt habt, Toldor.“ Der Mönch entspannte sich ein wenig.

„Toldor ist der älteste Priester hier, er ist der einzige, den wir von den alten Bischöfen behalten haben“, bemerkte Joro.

„Dann muß Celestus ja große Stücke auf Euch halten“, sagte Alystin, an den alten Mann gewandt.

„Ich kann mich über mein Schicksal nicht beklagen“, sagte der, mit leicht verschmitztem Lächeln auf dem Gesicht, „Ich lasse Euch jetzt allein, ich wette, daß Ihr so einiges zu sehen und zu bereden habt.“

Er trat verließ den Raum und schloß die Tür hinter sich.

„Tja, äh, das hier ist also mein Arbeitszimmer und gleichzeitig die Schreibstube.“ „Du arbeitest nicht hier drüben?“, Alystin war ins Amtszimmer gegangen und schaute sich den Raum interessiert an.

„Nein, im Stehen, respektive auf dem Schemel kann man besser schreiben, weil die Arme frei sind und man vor allem nicht einschläft.“

Sie lachte.

„Warum sollte man einschlafen?“

„Setz dich mal auf meinem Sessel, dann weiß du es.“ Alystin setzte sich hinter den großen Schreibtisch und pfiff durch die Zähne.

„Jetzt verstehe ich, was du meinst…“

Sie lehnte sich zurück und betrachtete ihn lächelnd.

„Ein wirklich interessanter Ort. Auch wenn er sehr leer wirkt.“ Joro kratzte sich am Kopf.

„Ja, das ist nicht zu bestreiten, aber Toldor und Marinus haben die letzten Wochen immerhin schon einmal dafür gesorgt, daß wir ein paar neue Novizen bekommen haben.“

„Eigentlich ist es ein Wunder, daß du es damals geschafft hast, praktisch alle Mönche vertreiben zu lassen. Ich habe draußen nicht sonderlich viele Wachen gesehen…“

„Die waren nicht nur dekadent, sondern auch feige“, er rümpfte die Nase, „deshalb war es extrem einfach mit den paar Soldaten die wir hatten dafür zu sorgen, daß sie abziehen. Ich glaube heute auch, daß Olgerich seine Stadtwache geschickt hätte, wäre es zu Ausschreitungen gekommen“, er zuckte mit den Achseln, „aber bis auf diejenigen von ihnen, die sich vor der Enklave breitgemacht haben, habe ich nichts mehr von ihnen gehört.“

Alystin verzog das Gesicht.

„Ich habe Bragan auch gesagt, daß die mit Sicherheit nicht von dir geschickt waren, aber er meinte, daß man nach geltendem Recht eine Gruppe von Totengräbern nicht abweisen darf, wenn sie irgendwo hinkommen.“

Joro kicherte.

Das habe ich mittlerweile auch geändert“, er zeigte auf den Wälzer, an dem er schrieb, „Und auch noch eine ganze Menge anderer Sachen, die mir genausowenig eingeleuchtet haben. Wer sich nicht respektvoll verhält, darf auch nicht auf Gastrecht hoffen, daß war hier in Daishan schon immer so und das wird keine Kirche unter meiner Führung jemals ändern.“

Sie stand auf, kam um den Tisch herum und gab ihm einen sanften Kuß auf die Wange.

„Ich bin stolz auf dich.“

Er war ein wenig verlegen, deshalb wechselte er das Thema.

„Eigentlich bin ich mir nicht ganz sicher, wieviel Zeit noch bis zum Essen bleibt, aber vielleicht magst du dir noch die Reliquienhalle ansehen?“

„Gerne!“

 

Sie gingen hinab ins Erdgeschoß und Joro führte sie in das Gewölbe, in dem die Hinterlassenschaften früherer Bischöfe lagerten.

Alystins Blick fiel sofort auf Nuktus Bild und sie sah ihn fragend an.

„Die Rüstung kenne ich, aber ist das der, der sie ursprünglich getragen hat?“ „Ja, das ist er.“

Sie trat vor das Portrait und musterte es.

„Kein sonderlich freundlicher Mensch, wenn man das so sieht.“ „Albrecht hat es gemalt, und er kannte ihn nicht persönlich“, sagte Joro, „Er meinte wohl, daß er auch seinen Platz in diesem Kloster hat, wenn auch nur als schlechtes Beispiel.“ „Wo ist er überhaupt?“, sie drehte sich zu ihm um.

„Er ist gegangen. Nach seinen eigenen Worten meinte er, daß es für ihn interessanter wäre, einmal das Gemetzel im Süden zu anzusehen, als hier zu bleiben. Seine Bindung zur Kirche ist, freundlich gesagt, gering.“

„Also bist du hier alleine? Bis auf Toldor und diesen Marinus?“ „Nein, ‚allein’ würde ich es nicht nennen. Wir sind vielleicht nur ein wenig unterbesetzt, aber es funktioniert alles bestens.“ Alystin lächelte.

„Das freut mich zu hören…“ Sie sah noch ein wenig im Raum um Ghaundar kam in die Halle und schnalzte tadelnd mit der Zunge.

„Hier seit ihr also. Ich suche euch schon die ganze Zeit.“ „Gibt es einen bestimmten Grund oder hattest du einfach nur Sehnsucht?“, Joro grinste.

„Naja, ich dachte mir, daß ihr vielleicht Hunger habt und Franz hat heute wirklich einen neuen Rekord aufgestellt, was Mengen angeht.“

„Zum Glück hat mit Marinus vor ein paar Tagen gesagt, daß die Reste immer an die Armen in der Stadt gehen, sonst könnte ich das nicht einmal mehr genießen.“

Als sich Joro zu Alystin umdrehen sollte, stellte er fest, daß sie schon aus dem Raum gelaufen war. Als Ghaundar und er sich ansahen, mußten die beide Lachen, denn offensichtlich lief sie einfach dem Geruch nach ins erste Geschoß.

Das erklärte auch die Frage nach ihrem Hunger, die sich Joro vorher gestellt hatte.

 

 

 

Kapitel 3

 

Im Speisesaal war ein opulenter Tisch gedeckt. Ghaundar hatte Joro auf dem Weg nach oben erklärt, daß er Franz auf die besonderen Gäste an diesem Abend hingewiesen hatte, was diesen dazu gebracht hatte, alle schweren Geschütze aufzufahren, die er im Ärmel hatte.

Dementsprechend war der gut zwölf Schritte lange Tisch so vollgeladen, daß man sich fragen mußte, warum eigentlich nichts herunterfiel.

Joro verifizierte den Gedanken von vorher noch einmal. Mit einer riesigen Front im Süden und einigen sehr armen Menschen in der Stadt wäre es eine Unverschämtheit gewesen, eine derartige Menge an Essen für so wenige Leute aufzutischen, wenn das, was mit Sicherheit nicht gegessen wurde am Ende an die Schweine verfüttert würde, oder gar einfach fortgeworfen.

Trotzdem nahm er sich vor, auch wenn er irgendwie Angst vor dem Koch hatte, einmal mit Franz zu reden und zu sehen, ob es nicht auch ein wenig weniger verschwenderisch ginge.

Jetzt aber war erst einmal Fressen angesagt, den Essen konnte das, was folgte kaum nennen.

Selbst Toldor, der sonst eher geringe Mengen zu sich nahm, griff ordentlich zu und legte immer wieder benutzte Zinnteller zur Seite, um sich einen neuen zu nehmen und neues Essen darauf zu legen.

Rund um die Tafel saßen Hrynn, Toldor, Marinus, Omareth, Olgerich und nicht zu vergessen Alystin.

Wie es schon zu erwarten gewesen war, profitierten Omareth und Alystin am meisten von dem ausgiebigen Mahl. Anfänglich hatte Omareth noch wie ein Kind an seinem Geburtstag den Tisch mit den Gaben betrachtet und seine Augen wurden immer größter, je mehr Essen der dicke Koch in den Saal brachte. Während des Essens fluchte der General dann erst darüber, daß Zwerge trotz ihrer Größe einfach abartig ausdauernd waren und sie Torkum jeden Tag mindestens 40 Meilen hatte laufen lassen, aber mit vollerem Magen stellte sich auch bei ihm schnell ein Gefühl der wohligen Beruhigung ein.

Alystin, die neben Joro am Ende der Tafel saß hingegen hatte am Anfang noch versucht, in ihrer sonst üblichen Art gute Tischmanieren walten zu lassen, das aber sehr schnell abgelegt, als sie ihr Hunger übermannte.

Nach gut drei Stunden waren sie schließlich alle satt, wenn nicht gar abgefüllt, und saßen schweigend da, die einen, weil sie keine Kraft mehr zum Sprechen hatten, die anderen, weil sie einfach nur vor sich hin sinnierten.

Es war Toldor, der die Stille brach.

„Ich glaube, daß dies ein guter Zeitpunkt ist, um etwas zu sagen, daß mir sehr wichtig ist.“ Alle Augen richteten sich auf ihn, was ihn spontan verlegen auf den Boden sehen ließ.

„Nun, ich hoffe, daß ich diesen schönen Abend nicht damit verderbe, vor allem, weil ich mich freue, Hrynn endlich wiederzusehen, aber ich muß leider bekanntgeben, daß ich mich verabschiede.“

Die Anwesenden sahen ihn verwirrt an, aber Joro dämmerte es schon, worum es ging.

„Albrecht hat schon etwas angedeutet, auch wenn ich mir nicht sicher bin, woher er so etwas wissen kann.“

Toldor lächelte schüchtern.

„Wenn man so alt ist wie ich, bemerkt man einfach irgendwann, daß es bald zum Ende zugeht. Aber es ist nichts, was man mit Traurigkeit betrachten sollte, denn es gehört auch zum Leben dazu, daß man sterben muß“, er nahm einen Schluck von seinem Wein, „und ich wollte es im Kreis von Menschen, Verzeihung, und natürlich auch Drow, bekanntgeben. Außerdem ist kein Abschied für immer.“

Er stand auf und gab jedem mit einer Verbeugung die Hand, dann ging er langsam aus dem Saal.

Joro griff sich seinen Weinkelch, stand ebenfalls auf und hob das Trinkgefäß.

„Geh mit Celestus’ Segen, Toldor!“

Hrynn, Marinus und Olgerich standen ebenfalls auf und taten es ihm gleich, und sogar die drei Dunkelelfen beteiligten sich daran.

Toldor blieb noch einmal stehen, schon fast aus der Tür und lächelte in ihre Richtung, dann verließ er den Raum endgültig.

Sie setzten sich wieder und die vier Menschen nahmen alle noch einen Bissen. Alystin sah Joro sehr entfremdet an.

‚Tut dir das nicht ein wenig leid?’, gestikulierte sie verstohlen.

Er schüttelte den Kopf ‚Es ist Teil der Kirchenregeln, daß Priester alleine ihren Frieden mit unserem Gott suchen gehen. Der Tod ist eine Form von glücklicher Rasur’, gab er zurück.

‚Rasur?’, sie schaute verwirrt.

‚Er meint Abschluß’, Omareth rollte mit den Augen und nahm sich dann auch noch einen Happen.

Olgerich ergriff das Wort.

„Jetzt, da sowohl Herr Veldrin’Sreen als auch die ehrenwerte Anführerin der Enklave hier sind, möchte ich vorschlagen, daß wir uns morgen im Stadtschloß treffen und eine Sitzung abhalten, in der wir unsere derzeitige Situation erörtern. Es wäre eine sträfliche Vernachlässigung, so eine Gelegenheit nicht wahrzunehmen.“

Alystin nickte.

„Ich hatte schon eine ähnlich Idee und wollte Euch im Laufe des Abends fragen, ob sich so etwas einrichten ließe. Vor unserer Abreise hat Omareth noch ein langes Gespräch mit König Balthasar geführt und ich habe mit meinen Priestern ebenfalls diskutiert. Es sind ein paar wichtige Entscheidungen zu treffen, die sich nicht aufschieben lassen werden…“

 

Weiter kamen sie nicht, denn über ihnen erscholl ein lauter Knall, woraufhin mit einem Male Staub von der Decke rieselte.

Omareth und Ghaundar waren schon aufgesprungen und aus dem Saal gelaufen, bevor Joro überhaupt kapiert hatte, was geschah.

Alystin stand auch schon an der Tür und sah sehr ungeduldig in seine Richtung.

„Worauf wartest du eigentlich noch?!“

Joro sprang ebenfalls auf und rannte, die Serviette erst noch in der Hand, doch dann auf den Boden werfend hinter ihr her.

Draußen im Gang war Verwirrung, einige Totengräber standen dort, wohl gerade auf dem Weg zum Speisesaal und schauten abwechselnd zum Ende des Ganges und zu Joro und Alystin, die ebenfalls in vollem Rennen an ihnen vorbeikamen.

Joro machte noch schnell an seinem Schlafzimmer halt und holte Schild und Hammer aus dem Raum, dann rannte er wieder Richtung Erdgeschoß.

Als er am Fuß der Treppe ankam stand dort schon Omareth, der ihn mit einer abwehrenden Geste aufhielt.

„Nein! Nicht hinauslaufen, das ist lebensgefährlich.“ „Was ist passiert“, keuchte Joro.

„Draußen ist eine Angriffstruppe der Legion, sie werfen Steine auf das Kloster und ich wette es wird nicht lange dauern, bist noch Brandbomben hinzukommen.“

WAS??

„Zwei Luftschiffe und etwa ein halbes Dutzend Lindwurmreiter. Das ist mit Abstand das Unverschämteste, was ich in meinem Leben jemals erlebt habe. Wenn auch taktisch bewundernswert…“

Joro schwoll eine Zornesader auf der Stirn.

„Wie konnte das passieren?! Die Front ist doch im Süden Daishans… und wie können die es wagen…“

„Keine Zeit für derlei Fragen, wir müssen etwas tun“, Omareth sah sich um und deutete dann auf einen der Ausgänge der Eingangshalle, „Wohin führt diese Tür?“

„Zum Festsaal…“

„Komme ich dort in den anderen Hof?“

„Ja… direkt dahinter ist die Messe.“

„Gut. Mitkommen.“

Joro sah hilflos zu Alystin, aber die machte eine eindeutige Geste und lief hinter dem General her, der schon auf dem Weg war.

Hrynn kam ebenfalls die Treppe herunter und schloß sich ihnen an. Er hatte zwar nur ein Langschwert dabei, aber er hatte es gezogen und wirkte sehr ernst.

Sie durchquerten den Festsaal, in dem Joro gekrönt worden war und betraten die Messe.

Durch die kleinen Fenster, die zum Hof hinausgingen konnten sie sehen, daß draußen einige zersplitterte Felsbrocken und auch eine ganze Reihe zerbrochener Dachschindeln lagen.

Joro stöhnte: „Oh mein Gott, wir haben das Dach erst vor ein paar Wochen repariert…“ „Wenn wir uns nicht etwas gegen diese Hochelfen einfallen lassen, dann wird noch viel mehr zu reparieren sein, als nur das Dach. Konzentriere dich mal“, knurrte Omareth.

Dabei tat er das schon. In Joros Kopf schwirrten unendlich viele Ideen, was zu tun sei, aber einige legte er sofort beiseite. Die Wachen des Klosters waren draußen nirgendwo zu sehen, und das hatte er auch nicht erwartet, denn deren Moral schätzte er seit jeher nicht sonderlich hoch ein. Aber im Torhaus… er hätte schwören können, daß er irgendwann einmal im Torhaus einen Ballistenbolzen hervorragen gesehen hatte.

„Wir sollten es im Torhaus versuchen, Leute.“

„Was meinst du?“, fragte Alystin.

„Wenn ich mich nicht völlig irre habe ich dort einmal eine Ballista gesehen. Das ist vielleicht die einzige Chance, die wir haben, ansonsten können wir gegen fliegende Feinde kaum etwas machen.“

Die Priesterin nickte und fing leise an zu singen. Ein leichter violetter Nebel bildete sich im Hof, der langsam dichter wurde.

„Das wird nicht lange halten, es ist zu windig draußen.“ „Dann beeilen wir uns besser“, warf Hrynn ein und stürmte als erstes aus der Tür.

Sie rannten im Schatten der Gebäudewände so schnell sie konnten den Hof entlang und stoppten kurz am Ende, um den anderen Hof einzusehen, der aber bis auf einige Wurfgeschosse der Hochelfen auch leer war. Dann ging es zum Torhaus, das aber von innen verriegelt war. Joro zögerte nicht lange, drückte Alystin seinen Schild in die Hand und schlug mehrere Male beidhändig mit seinem Hammer gegen das Schloß der Tür, das schon nach wenigen Treffern in einer eisigen Explosion zersprang. Dahinter standen drei Wachen, die ihre Speere auf sie richteten.

„Aus dem Weg ihr feigen Bastarde“, brüllte der Bischof und die verdutzten Soldaten ließen ihre Waffen sinken und die Vier passieren.

Die Wendeltreppe im Wachraum führte scheinbar endlos viele Stufen hinauf zum Wehrgang und als sie die Spitze des Tores erreichten sah Joro mit Erleichterung, daß sich dort tatsächlich besagtes Geschütz befand.

Aber seine Freude war nur von kurzer Dauer.

Verdammt!“, Omareth trat gegen die Lafette.

„Was ist los?“

„Das Drecksding ist seit Jahren nicht gewartet worden. Das sind nicht einmal Taue in den Torsionskammern“, er riß ein paar Faserfetzen aus dem Geschütz, die wohl mal so etwas wie ein Seil gewesen waren.

Alle vier Anwesenden stießen in ihren Heimatsprachen die deftigsten Flüche aus.

Hrynn war kurz verschwunden und man konnte unten lautes Brüllen und üble Beschimpfungen hören. Dann kam er wieder die Treppe heraufgestürmt und deutete Omareth nur knapp, im zu folgen, was dieser auch sofort tat.

Joro sah verwirrt in Alystins Richtung, aber diese blickte sorgenvoll, hinter Joros Schild geduckt an den Himmel.

„Die machen da oben schon die ersten Brandbomben bereit. Erst haben sie das Dach zerstört und nun wollen sie die Dachstühle in Brand setzen.“

„Was auch immer Hrynn und Omareth vorhaben, ich hoffe sie sind bald damit fertig“, sagte er mit zitternder Stimme.

Sie antwortete nichts, sondern begann in ihren Gürteltaschen nach etwas zu suchen.

Joro sah die Ballista an. Das Holz war zwar nicht unbedingt morsch, aber an einigen Stellen schon stark vergilbt. Vorsichtig untersuchte er die Seile an den Wurfarmen und zu seiner Erleichterung schienen diese zumindest in einem besseren Zustand zu sein, als die völlig verdorbenen Seilreste in den Torsionskammern.

„Das Ding sieht insgesamt nicht gut aus. Wir hätten damit wahrscheinlich sowieso nicht schießen können.“

„Sag niemals nie“, kam Omareths Stimme von der anderen Seite des Raumes.

Hrynn und er waren die andere Treppe heraufgekommen, jeder von ihnen eine Taurolle auf der Schulter. Fieberhaft ging Hrynn daran, sperrte die linke Kammer des Geschützes auf, holte mit hastigen Bewegungen die Reste der alten Seile heraus und begann mit geübten Handgriffen, neue Seile einzuflechten. Omareth, der auf der anderen Seite stand tat es ihm gleich.

Alystin hatte derweil gefunden, wonach sie gesucht hatte und eine kleine, blau schimmernde Nadel aus der Tasche geholt. Sie legte sie auf eine der Zinnen und begann stumm zu beten.

‚Du fragst dich, was du tun kannst, oder?’, Celestus’ Stimme war sehr leise aber der Zorn, der sich in ihr befand, war so stark, daß es Joro unter der Schädeldecke brannte.

‚Da hast du nicht ganz unrecht’, gab er zurück.

‚Kommt Zeit kommt Rat. Aber glaube ja nicht, daß ich so etwas einfach hinnehmen werde.’ ‚Kannst du sie nicht einfach alle vom Himmel werfen?’ Celestus schwieg und Joro nahm an, daß er einfach gerade nicht irgendwelchen Eingebungen zuhören wollte.

Alystins Nadel erhob sich von der Zinne, wurde ein kleiner blauer Pfeil und zischte dann auf einen der Lindwurmreiter zu, die damit beschäftigt waren, Brandpfeile durch die Zimmerfenster zu schießen.

Beim Auftreffen auf den Körper des Halbdrachen zuckte dieser zusammen und begann, wild durch die Luft zu trudeln, wobei sein Reiter Mühe hatte, sich im Sattel zu halten.

Seine Kameraden merkten das und wandten ihre Reittiere herum, um ihm etwas zuzurufen, was Joro nicht verstand. Dann gaben sie ihm alle ein Zeichen und begannen, Kreise über dem Kloster zu drehen und dabei aufmerksam das ganze Gebäude zu beobachten.

„Ich hoffe sie bemerken uns nicht sofort, aber das hat sie immerhin schon einmal davon abgebracht, weiter Pfeile ins Innere zu schießen“, Alystin atmete sichtbar aus.

Hrynn und Omareth waren fertig und brachten wieder die Deckel auf den Torsionskammern an, um dann beide das Geschütz anzuheben, um es zu drehen und auf den Innenhof zu richten, denn natürlich hatte es vorher auf der anderen Seite gestanden.

„Wie wollen wir sie überhaupt abschießen, womit fliegen diese Dinger eigentlich?“, fragte Joro leise.

„Siehst du das Segel am Heck?“, Omareth deutete auf eines der beiden Luftschiffe, „Das hält sie in der Luft. Wenn wir da ein schönes Loch hineinmachen, werden sie Probleme bekommen, sich zu halten.“

„Reicht da denn ein einfacher Ballistenbolzen?…. Aua!“ „Was ist los?“, Alystin sah Joro besorgt an.

„Ich habe mich an einer der Steinkanten hier an der Wand geschnitten, es…“, er schaute verblüfft auf seinen Unterarm, an dem die Schnittwunde war.

Das Blut, das aus der Wunde austrat war nicht etwa rot, sondern pechschwarz und sehr dickflüssig. Fassungslos starrten alle auf Joros Arm.

„Das ist aber nicht normal, oder?“, fragte Omareth mit hochgezogener Augenbraue, „oder kommt das von diesem Duergardreck, den du dir immer in den Mund schiebst…“

„Nein, daß ist nicht normal. Aber ich glaube ich habe eine Ahnung von wem das kommt…“, Joro strich etwas von dem „Blut“ ab, um es näher zu betrachten, wobei ein kleiner Tropfen auf seine Robe tropfte. Sofort stieg Qualm auf und mit einem Zischen fraß sich die Substanz durch den Stoff der Robe und dann auch noch seiner Unterhose. Aber nicht nur das. Langsam breitete sich das Loch in seinem Gewand aus und er merkte, daß sich auch seine Unterhose auflöste.

Panisch riß er sich die Kleidung vom Leib und warf sie in eine der Ecken des Raumes, wo sie schon sich schon bald in eine undefinierbare Masse verwandelte.

Ghaundar grinste ihn an und gestikulierte: ‚Ich wußte gar nicht, daß es so kalt ist…’ „Was zum…“, Omareth kam herüber und betrachtete das Häuflein auf dem Boden. Dann schaute er auf dem Boden und pfiff durch die Zähne, „Aber den Stein verätzt es nicht…“ Hrynn wob den Gedanken weiter: „Und ich wette es wird auch Metall nicht verätzen, aber den Stoff des Segels mit Sicherheit auflösen.“ „Genau mein Gedanke, Joro schmier mal was von diesem Zeug auf den Kopf des Bolzens“, Omareth deutete auf das Geschütz.

„Zeug? Wir reden hier von meinem Herzblut!“

Der Bischof ging zur Ballista und begann, mit wackligen, weil leicht aufgeregten Fingern den Kopf des gigantischen Pfeiles mit der Substanz zu beschmieren, wobei ihn Hrynn ermahnte, daß er auf gar keinen Fall etwas auf das Holz kommen lassen solle. Dann richtete der ehemalige Abt das Geschütz aus, während Omareth und Ghaundar die Kurbeln bedienten, die die Sehne spannten. Dabei knarrte das Holz ziemlich stark und Joro meinte an einigen Stellen Risse zu sehen, die sich bildeten.

„Mehr als einen Schuß haben wir wohl nicht, wie es aussieht“, meinte er mit verzogenem Gesicht, seine Blöße dezent zu verbergen suchend.

„Dann wollen wir hoffen, daß es genug Eindruck macht“, meinte Hrynn mit zusammengekniffenen Augen, „Feuer!“

 

Es gab ein lautes Krachen und die Lindwurmreiter fuhren in der Luft herum und steuerten auf das Torhaus zu. Der Pfeil war abgeschossen worden, aber als die Sehne an die Torsionskästen geschlagen war, hatte sie sie durchtrennt und nun flog eine Wolke von Splittern und Seilresten durch den Raum, deren Einschläge Joro am ganzen Körper fühlen konnte. Aber er war zu aufgeregt, um die Schmerzen zu bemerken. Stattdessen griff er seinen Schild und hob auch den Hammer auf, den er hatte fallen lassen, als er seine Kleidung von sich geworfen hatte.

„Wir sollten zusehen, daß wir aus diesem Gebäude kommen, weil sie uns sonst hier drin in Klump und Asche schießen.“

Ghaundar reichte ihm seinen Piwafwi.

„Wickel dir den mal um deine besonders wertvollen Gegenden, sonst erkältest du dich noch.“ „Erstens würdest du ihn nicht wiederhaben wollen und zweitens brauch ich den nicht, ich bin ein Daishani und friere nicht!“ Den ganzen, und nackten, Körper voller Schrammen und Schnittwunden rannte er, Waffe und Schild im Anschlag, die Treppe herunter.

Die drei Drow und Hrynn liefen ihm hinterher und der alte Mann fragte Omareth: „Ist das eine seiner Eigenarten, solche impulsiven Dummheiten zu begehen?“

 

Als sie auf dem Hof ankamen, sahen sie nicht nur, daß Joro in einer Ecke stand und bereits hinter seinem Schild massiv von den Lindwurmreitern beschossen wurden, sondern auch, daß das beschossene Luftschiff schon begonnen hatte, abzuschmieren. Das Segel hatte ein großes Loch mit schwarzen Rändern und qualmte heftig. Das andere Schiff indes flog darauf zu, wohl um die Mannschaft zu retten.

Die Pfeile prallten, wie zu erwarten war, an dem Adamantitschild ab, als werfe jemand Wollknäuel gegen eine Mauer und Joro war hinter der schützenden Metallplatte dabei, ein Gebet vor sich hinzumurmeln und hatte die Augen geschlossen.

Omareth und Ghaundar liefen geschützt an der Mauer entlang, darum bemüht, von den Reitern keine Aufmerksamkeit zu erhalten und hatten damit durchaus Erfolg, denn diese versuchten die ganze Zeit Joro zu bedrängen, was bei der Enge vor dem Tor, an dem sich ja auch der Durchgang zwischen den beiden Höfen befand, kaum möglich war, ohne zu landen.

Alystin war in der Tür stehengeblieben und fing nun ihrerseits an zu beten, bis sie Hrynn vorsichtig zur Seite schob. Er hatte sich eine leichte Armbrust aus dem Wachraum geholt, zusammen mit einem randvollen Köcher mit Bolzen.

Joro hatte eine klare Absicht gehabt und da Celestus ihn nicht davor gewarnt hatte, diese zu verfolgen, vertraute er auf dessen Hilfe.

Als einer der Reiter schließlich landete, schoß er vorwärts und hieb auf den Kopf des Tieres. Gleichzeitig hörte er hinter sich ein metallisches Knallen und ein lautes Zischen kam dicht an seinem linken Ohr vorbei. Hrynn hatte den Reiter in die linke Schulter getroffen und dieser fiel vom Lindwurm herunter, welcher durch den Schlag ins Taumeln geraten war. Joro ließ aber nicht nach und verpaßte dem Halbdrachen so lange Schläge auf den Kopf, bis sich dieser durch eine der Entladungen des Hammers in einem Eisklumpen verwandelte und das Tier endgültig zusammenbrach.

Der von Alystin abgelenkte Reiter hatte sein Tier wieder unter Kontrolle bekommen und schoß nun mit seinen vier anderen Kameraden gleichzeitig auf Joro herunter. Dieser konnte dem Schwanzstachel eines der Lindwürmer nicht ausweichen und die Wucht des Aufpralls warf ihn zu Boden. Einer der Stachel hatte ihn am rechten Oberarm geritzt und sofort merkte er, wie sich eine Taubheit in seinem Arm breitmachte. Er rappelte sich mühsam wieder auf und entging nur knapp einem heransirrenden Pfeil.

Celestus Stimme war die Ruhe selbst.

‚Kümmere dich nicht darum, ich sorge schon dafür, daß es dich nicht umbringt.’ Hrynn hatte seine Armbrust nachgeladen und feuerte nun erneut, jedoch prallte der Bolzen an den harten Brustschuppen eines der Halbdrachen ab.

‚Wir müssen die irgendwie aus der Luft holen…’, meinte Joro verzweifelt zu der Stimme in seinem Kopf.

‚Omareth und Ghaundar hatten da schon eine wunderbare Idee, ich glaube sie sind gleich soweit. Du mußt nur noch eine kleine Weile aushalten.’

Ein weiterer Sturmangriff eines der Reiter war jetzt für Joro kein Problem mehr, denn er wußte schon, daß er auf den Schwanz achten mußte und stellte sich mit leicht gebeugten Beinen hin und hielt den Schild mit beiden Händen fest.

Der Aufprall war wieder hart, aber dieses Mal blieb er auf den Beinen und konnte zu seiner Verwunderung sehen, daß die Tatsache, daß der Schwanzhieb aufgehalten wurde, den Lindwurm zum taumeln brachte und den Reiter fast abwarf.

Als der nächste angeflogen kam, griff er seinen Hammer, auch wenn die immernoch vorhandene, wenn auch weniger stark gewordene Taubheit in seinem Arm das nicht einfach machte.

In dem Moment, als der Schwanz ihn traf, rückte er sogar noch ein wenig nach vorne und schlug dann so stark er konnte auf das gestachelte Ende. Das Tier kreischte laut, begann kurz zu trudeln und schlug dann mit voller Wucht auf den Boden des Haupthofes auf, schlitterte noch weiter und kollidierte dann mit der Wand des Hauptgebäudes.

Der Reiter, der abgeworfen worden war, lag bewegungslos auf dem Hof und Joro nahm an, daß er sich nicht mehr um ihn kümmern mußte.

Es waren noch vier Lindwürmer in der Luft und die Legionäre auf deren Rücken waren sich offenbar nicht mehr sicher, was sie machen sollten. Sie gingen auf Distanz und riefen sich gegenseitig etwas zu, das Joro nicht verstand. Doch aus dem Augenwinkel konnte er plötzlich einen Schatten sehen, der auf dem Dach des Zellengebäudes entlanghuschte.

Ghaundar erschien am Giebel und gestikulierte: ‚Wir haben einen Weg gefunden, sie herunterzubekommen. Du mußt sie nur näher heranlocken.’

‚Alle?’, gab Joro zurück.

‚Ja alle, sind doch nur vier.’, Ghaundar grinste.

Ein Donnern erschütterte den Nachthimmel, als das Luftschiff, daß sie beschossen hatten, auf den Boden aufschlug. Die vier übrigen Reiter wandten ihren Blick gleichzeitig in diese Richtung und machten Anstalten, hinüberzufliegen, aber etwas in Joro verlangte danach, auch diese vier noch zu erwischen.

„Hey, ihr Bastarde! Ihr wollt mich haben, dann kommt und holt mich!“, er warf den Schild zu Boden und riß die Arme nach oben.

Einer der Legionäre sah zu ihm herunter und gab seinen Kameraden ein Zeichen. Sie hoben ihre Bögen und Joro sah zu, daß er so schnell er konnte in einen toten Winkel an der Hauswand verschwand.

Es wirkte, denn die Lindwürmer schossen mit rauschenden Schwingen herab. Was folgte war ein zunächst ein peitschendes Geräusch, dann der Wutschrei eines der Tiere und kurz darauf ein unglaublich lautes Krachen. Neben Joro, keine zwei Schritte entfernt schlug ein Legionär auf, dessen Schädel beim Aufprall widerlich knackte. Er sah verwundert auf und sah dicht über dem Hof das Tier entlangfliegen, das allerdings jetzt zwei schwarzhäutige Reiter hatte.

Omareth, der an den Zügeln saß lenkte den Lindwurm direkt auf das zweite Luftschiff zu und Joro konnte erkennen, daß Ghaundar hinter ihm saß und irgendetwas mit einer Flamme in der Hand hielt. Der General hatte scheinbar einige Probleme, sein Reittier zu lenken, aber irgendwie schaffte er es trotzdem, es dazu zu bewegen, daß Luftschiff anzusteuern, das mittlerweile an großer Höhe gewonnen hatte.

Sie erreichten das Schiff, Omareth zog den Lindwurm hoch und flog seitlich am Segel vorbei, auf daß Ghaundar das warf, was er in der Hand gehalten hatte. Das Tuch entflammte in unglaublicher Geschwindigkeit und Omareth bemühte sich, so schnell er konnte wieder von dem Schiff fortzukommen, denn die Hochelfen auf dem Deck begannen, mit Bögen auf ihn zu schießen.

Nach wenigen Augenblicken bekam das fliegende Gefährt Schlagseite und dann stürzte es mit einem Mal wie ein Stein vom Himmel. Joro ging um die Ecke in den Nebenhof und sein Kiefer klappte nach unten. Am Boden lagen drei tote Lindwürmer, die allesamt zerschmettern waren, deren ehemalige Reiter sahen auch nicht besser aus.

Neben dem Eßsaal lag eine völlig zerborstene, vormals sehr große Holzkiste, deren oberes Ende mit einem nur noch locker gespannten Seil am Lastenkran des Dachbodens hing. Joro fiel auf, daß das Tau mit der anderen Seite um den Flügel eines der toten Reittiere gewickelt war. Ghaundar und Omareth mußten die drei Tiere damit zum Absturz gebracht haben, daß sie das vorderste Tier mit dem Seil verbunden und dann durch das Herabwerfen der Kiste in die anderen beiden gezogen haben.

Nur wie in aller Welt waren sie auf den vierten Lindwurm gekommen? Omareth und Ghaundar sprangen über dem Dach des Zellengebäudes ab und der letzte der Halbdrachen verschwand kreischend im Nachthimmel.

Joro, immernoch nackt und am ganzen Körper mit Schnittwunden von den Splittern des zerstörten Geschützes übersät, sank auf der Stelle, an der er stand zusammen und schloß die Augen. Er war furchtbar erschöpft und der Kampfrausch, der ihn erfüllt hatte klang ab und hinterließ eine schleichende Müdigkeit, die mit jedem Augenblick zunahm.

An einigen Stellen, unter anderem im linken Bein und auch im linken Oberarm, konnte er merken, daß Holzsplitter in den Wunden steckengeblieben waren. Aber die Schmerzen waren ihm egal, er hätte sich jetzt nicht einmal beklagt, wenn ein Dachziegel auf von ganz oben auf seinen Fuß gefallen wäre.

Alystin kam zu ihm herübergelaufen.

„Ist mit dir alles in Ordnung?“

„J…ja. Ich glaube ich bin einfach nur erschöpft.“ „Du blutest ziemlich stark, Joro, wir müssen die Wunden versorgen.“ „Schaut lieber erst einmal nach, ob es nicht im Gebäude schwerer verwundetere Personen gibt“, er versuchte den Arm zu heben, aber der stechende Schmerz ließ ihn die Hand mit einem Ächzen wieder senken. Das veranlaßte die Priesterin dazu, ihn am rechten Arm zu greifen und hochzuziehen. Auf sie gestützt humpelte er zum Hauptgebäude herüber und sie betraten die Eingangshalle.

Marinus war nicht untätig gewesen. Er hatte eine ganze Reihe von Pritschenbetten aufgestellt, auf denen er und die anderen unverletzten Mönche diejenigen unter ihnen, die weniger Glück gehabt hatten versorgten. Als er Joros Zustand sah, lief er zu einem Servierwagen, den er kurzerhand mit Verbandsmaterial und Wasserschüsseln vollgeladen hatte und schob ihn zu einer leeren Bahre.

„Es ist keine Zeit, Euch in Euer Gemach zu bringen, Eminenz, Ihr verliert Blut.“ Joro war unterdes zu schwach geworden, um noch etwas zu sagen und es wurde ihm schwarz vor Augen.

 

Für einen Moment hätte er erwartet, wieder zu erleben, daß ihm Celestus eine Offerte machte, aber nichts dergleichen geschah. Anstelledessen kam er irgendwann wieder im Bett des Bischofsgemaches zu sich. An Arm und Bein, sowie am rechten Fuß hatte er dicke Verbände und vor allem die Beinwunde schmerzte stark.

Alystin saß auf der Bettkante und legte ihm einen Stofflappen mit kaltem Wasser auf die Stirn.

„Da bist du ja wieder“, sie strich über seine Wange.

„W…wie lange war ich bewußtlos?“, fragte Joro mit leiser Stimme.

„Nicht sehr lange. Ein paar Stunden vielleicht, es ist bald Mittag“, sie wusch sich die Hände in einer Schale und stand dann auf, um in eine der Zimmerecken zu gehen, wo sie an etwas hantierte. Joro konnte sie nicht sehen, da er zu schwach war, seinen Kopf zu drehen. Alystin kam schnell wieder und hatte einen kleinen Salbentopf in der Hand. Sie öffnete ihn und begann, die Salbe auf einige der inzwischen zwar gesäuberten und verschorften, dennoch aber schmerzenden Schrammen und kleineren Schnitte aufzutragen. Sehr schnell stellte sich eine lindernde Wirkung ein, die Stellen wurden warm und der Schmerz wurde stark abgeschwächt.

„Danke…“, Joro sah sie glücklich an.

Sie lächelte ihn an und wischte mit einem sauberen Tuch die Salbenreste von ihren Fingern.

„Es ist schließlich mein Beruf. Außerdem ist es besonders schön, wenn dieser mich glücklich macht und das ist gerade der Fall.“

Auch wenn er jetzt lieber geschlafen hätte, rasten einfach zu viele Gedanken durch seinen Kopf.

„Hat es Tote gegeben?“

„Einer der Mönche wurde von einem Balken getroffen, der ihm ein Bein zerschmettert hat. Gestorben ist aber niemand, vorhin waren alle mehr oder minder vollzählig“, Alystin verzog das Gesicht, „Verzeihung, das war ein böses Wortspiel.“

Joro stöhnte leise.

„Schon gut, ich denke ein wenig Galgenhumor kann gerade nicht schaden.“ „Hast du immernoch Schmerzen?“

„Nicht mehr allzu stark, aber ich bin unglaublich erschöpft.“ „Dann schlaf ein wenig. Ich passe schon auf, daß dir nichts geschieht“, sie lächelte.

 

Obwohl er müde war und Erholung gut vertragen hätte, schlief Joro sehr unruhig. Hin und wieder schreckte er hoch und schaute sich um, aber es war alles still und Alystin saß neben seinem Bett auf einem Sessel und war auch eingenickt.

Es tat überall an seinem Körper weh, auch wenn es nur noch ein dumpfes Pochen war, die Salbe, die sie ihm aufgetragen hatte, dämpfte das Ganze wohl immernoch.

Drei größere Wunden hatten es erforderlich gemacht, daß sie genäht wurden. Er hob die Decke ein wenig und schaute an sich herab.

‚Meine ersten Kriegsnarben’, dachte Joro.

‚Auch nicht die letzten’, meinte Celestus trocken.

‚Danke, das baut auf’, der Bischof verzog das Gesicht, als bei dem Versuch, sich auf die Seite zu drehen klar wurde, daß die Schmerzen das verhindern würden.

‚Nichts, was du nicht ohnehin schon weißt“, der Gott klang beinahe gleichgültig, ‚das nächste Mal wirst du vielleicht wenigstens jemanden darum bitten, dir etwas zum Anziehen zu geben, wenn du schon deine Robe fortwirfst.’

‚Irre ich mich oder bist du gerade sehr zornig? Solche Nichtigkeiten sind für dich sonst auch keine Gesprächsgrundlage.’

‚Nun, laß mich nachdenken, ein paar Hochelfen haben heute mein Kloster bombardiert’, Celestus’ Stimme nahm nun tatsächlich eine Stimmlage von kaltem Zorn an, ‚meinst du nicht, daß mich das vielleicht ein wenig wütend macht?’

‚Es war eine gute Erinnerung daran, daß wir hier auch nicht sicher sind. Ich hätte diesen Botschafter töten oder als Geisel nehmen sollen, dann hätten wir das Problem nicht.’

‚Das hätte beides den gleichen Effekt gehabt. Der Prophet verhandelt nicht und wenn einer seiner Gesandten getötet oder gefangengenommen wird, ist ihm das einerlei. Er hat genügend Freiwillige, die sofort nachrücken würden.’

‚Ich muß dringend mehr über diesen Mann erfahren’, Joro starrte an den Betthimmel.

‚Dabei kann ich dir nur viel Glück wünschen, mein Sohn. Ich weiß nämlich auch nichts über ihn…’

 

Kapitel 4

 

Joro wachte früh am Morgen auf, Alystin schlief immernoch in ihrem Sessel. Probeweise versuchte er, sich aufzusetzen und mit Freude merkte er, daß die Schmerzen insoweit abgeklungen waren, daß das auch möglich war. So leise er konnte, versuchte er aufzustehen, aber dem feinen Gehör der Dunkelelfe entging nichts.

„Nicht aufstehen, du bist noch nicht wieder gesund“, sie rieb sich die Augen und legte ihn sanft, aber bestimmt wieder in das Bett.

„Aber ich hab doch noch so viel zu tun…“

„Das kann warten. Wenn du nicht wenigstens solange wartest, bis die genähten Wunden wieder zugewachsen sind, können sie sich entzünden. Ob wir sie nun gewaschen haben oder nicht.“

Joro verzog das Gesicht, denn gerade nach dem, was am Vortag geschehen war, fand er es wichtiger als sonst, präsent zu sein.

„Kannst du wenigstens Marinus sagen, daß er so schnell wie möglich vorbeikommen soll? Ich will wissen, wie die Lage aussieht.“

Alystin lächelte und gab ihm einen sanften Kuß auf die Wange.

„Ich sage es ihm. Aber erst einmal sehe ich zu, daß ich ein Frühstück auftreibe.“ Sie verschwand aus der Tür und erneut dachte er darüber nach aufzustehen, aber hätte er das getan, wäre Alystins Reaktion darauf diabolisch gewesen.

Also saß Joro aufrecht im Bett und betrachtete aus Langeweile die genähten Wunden und als er sah, daß sie wesentlich tiefer waren, als er am Vorabend gesehen hatte. Er seufzte und ließ sich in die Kissen fallen. Dann war er eben erst einmal ans Bett gefesselt.

‚Kannst du die Wunden nicht einfach schließen?’, fragte er die Stimme ins einem Kopf.

Celestus grunzte abfällig.

‚Ich bin kein Feldscher. Davon abgesehen, willst du mich jedes Mal um Beistand bitten, wenn du dir nur den Daumen anritzt?’

‚Die Wunden scheinen recht tief zu sein…’

‚Ich habe dir gestern Nacht das Leben gerettet, als dich ein Lindwurm in den Arm stach. Den Rest wird Mutter Natur schon alleine schaffen.’

‚Verzeihung, ich wollte nicht unverschämt klingen’, Joro seufzte, ‚es ist nur unerträglich, hier ans Bett gefesselt zu sein.’

Der Gott erwiderte nichts mehr und kurze Zeit darauf öffnete sich die Tür und Alystin kam, einen Servierwagen vor sich herschiebend, wieder ins Zimmer.

Es erstaunte Joro, daß der Tisch nicht völlig vor Speisen überquoll, aber an ihrem genervten Gesichtsausdruck entnahm er, daß sie wohl mit Franz diskutiert hatte.

„Dieser Mann ist schlimmer als Illivara, wenn sie betrunken ist“, sie keuchte und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Joro lachte, was aber sehr schnell wehtat.

„Wollte er wieder eine Jahresverpflegung mitschicken?“ „Ja. Und ich habe ihm gesagt, daß das weder notwendig, noch angebracht ist… Du kannst dir ja denken, wie er darauf reagiert hat.“ Das konnte er.

„Ich freue mich trotzdem, daß du etwas zu essen mitgebracht hast. Ich habe Hunger wie ein Wolf.“

Sie aßen mit großem Appetit und als sie fertig waren lehnte sich Joro wieder in die Kissen.

„Du hattest recht, es ist besser, daß ich im Bett liege.“ „Manchmal weiß ich, was ich tue“, Alystin sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an und deckte ihn zu, „Übrigens habe ich vorhin mit Marinus geredet und er hat gesagt, daß er, so schnell es geht hier herkommen wird. Er meinte allerdings, daß er noch sehr viel zu tun hat.“ „Wie sieht es aus?“

„Die meisten Mönche sind wieder auf den Beinen, der mit dem zerquetschten Bein liegt allerdings noch in seiner Zelle und wird versorgt. Er hat sehr viel Blut verloren, daher ist es noch nicht sicher, ob er überleben wird.“

„Verdammt…“

Sie zuckte mit den Achseln.

„Wir können froh sein, daß nicht mehr passiert ist als das. Omareth hat sich vorhin zu Olgerich aufgemacht und will dafür sorgen, daß das Kloster besser geschützt ist. Außerdem hat er dafür gesorgt, daß die Wachen verdoppelt werden.“

Joro sah Alystin lange an, die seinen Blick nur stumm erwiderte.

„Ich…“

„Ja?“

Er sah beschämt auf die Decke.

„Es ist mir unangenehm, dich einspannen zu müssen, aber könntest du ein paar Wege für mich erledigen?“

„Was soll ich denn tun, großer Meister?“, sie klimperte kokett mit den Augen.

„Jetzt mach dich nicht über mich lustig, wenn ich könnte, täte ich das alles selbst.“ „Wird es eine lange Liste?“

„Hm“, Joro kratzte sich am Kopf, „also erstens muß ich so schnell wie möglich mit Olgerich reden. Zweitens brauche ich dringend meine Schreibsachen hier. Wenn ich schon nirgendwo hingehen kann, will ich wenigstens an meinem Buch arbeiten.“

Sie nickte.

„Noch etwas?“

„Ja, magst du gleich wieder herkommen, wenn du fertig bist?“, er grinste.

„Ich glaube, daß sich das einrichten ließe“, sie lächelte zurück und strich ihm über das Gesicht, dann stand sie von der Bettkante auf.

„Bis gleich.“

Als sie aus der Tür trat, kam Marinus gerade herein, eine Reihe von Dokumenten unter dem Arm. Er begrüßte Alystin kurz, dann kam er zum Bett herüber und die Dunkelelfe schloß die Tür hinter sich.

„Ihr hattet nach mir schicken lassen, Eminenz? Es tut mir leid, es war zu viel zu tun und ich habe mich eben erst erinnert, daß Eure Gefährtin mir sagte, daß ihr mich erwartet.“

„Könntest du bitte endlich „du“ zu mir sagen, Marinus?“, Joro stöhnte.

„Nicht, solange ich als Klostervorsteher für den Bischof von Bargum arbeite.“ „Also gut, ich gebe es auf. Kannst du mir einen kleinen Überblick über die Schäden am Kloster und die Verletzten geben?“ Marinus nickte.

„Die Dachstühle des Hauptgebäudes und von Teilen des Zellentraktes sind schwer beschädigt, wir werden sogar einige Balken austauschen müssen. Im Eßsaal und einigen der Gastquartiere hat es kleinere Brände gegeben, aber der Schaden ist gering. Außerdem sind bis auf einen alle Mönche wieder in gutem Zustand, also würde ich als Conclusio sagen, daß wir mit einem Schrecken davongekommen sind.“

Joro fühlte sich erleichtert, denn offenbar hatte es sich gelohnt, daß er verletzt im Bett lag.

„Gut, dann habe ich jetzt einige Anordnungen.“ Marinus zückte einen Kohlestift aus seinem Ärmel und nahm einen kleinen Zettel zwischen den Akten hervor, die er unter der Achsel hatte.

„Also?“

„Werft alle Gardisten auf der Stelle auf die Straße.“ Der Totengräber ließ erstaunt den Stift sinken.

„Meint Ihr das ernst, Eminenz?“

„Ja. Gib ihnen ihren letzten Sold und sag ihnen, daß sie gehen sollen. Die Waffen und Rüstungen bleiben aber hier!“

„Ist das klug? Ich meine… wir wären dann völlig ohne Soldaten hier.“ „Was ich gestern Nacht gesehen habe, hat mir gereicht. Genausogut könnten wir eine Horde Orcs mit Mistgabeln zum Schutz unseres Klosters abstellen, nur hätten die im Zweifelsfall noch einen Nutzen.“ „Gut, wenn Ihr das sagt, ist es so“, Marinus kritzelte ein paar Notizen auf den Zettel, „und weiter?“ „Besorgt Hilfskräfte aus der Stadt, die dabei helfen, daß Kloster wieder herzurichten. Ich weiß, daß das auch unsere Leute machen könnten, aber auf diese Weise sorgen wir dafür, daß die Armen eine Arbeit haben und auch etwas Warmes zu Essen in den Bauch bekommen.“ Marinus nickte wieder und schrieb.

„Drittens: Was haben wir noch an Steinen im Lager?“ „Verzeiht?“

„Haben wir irgendwelche Vorräte an Steinen in unseren Lagern? Für Bödenbeläge oder so etwas?“

„Nun“, der Klostervorsteher kratzte sich am Kopf, „es gibt einen großen Vorrat an poliertem schwarzen Marmor, der für Ausbesserungen an den Wänden und Böden gedacht war.“

„Würde das reichen, um zumindest die Hauptwege über die beiden Innenhöfe zu pflastern?“ „Ihr wollt sündhaft teuren Stein für…“

„Ja, richtig. Es dürfte dir nicht entgangen sein, daß wir draußen zwei riesige Schlammsuhlen haben, sobald es regnet.“

Marinus schaute zweifelnd, aber Joro wußte schon, was er dachte, als fuhr er fort: „Es ist mir bewußt, daß das wie ein dumme Schönheitskorrektur anmuten muß, aber ich denke, daß es nicht nur dafür sorgen wird, daß die Armen sich ein Zubrot verdienen können, wenn die Dächer wieder repariert sind, sondern auch , daß wir uns auch bei schlechtem Wetter besser durch das Kloster bewegen können. Ich bin mir durchaus darüber im klaren, daß wir im Kriegszustand leben…“, er senkte die Bettdecke ein wenig und verwies auf einige seiner Wunden, „glaub mir, ich weiß es.“ „Einen gewissen praktischen Nutzen hätte es“, Marinus kratzte sich am Kopf, „und ich wollte auch nicht Eure Entscheidung anzweifeln.“ „Doch…“

„Nein, wirklich nicht.“

„Laß’ mich halt ausreden“, Joro grinste, „was ich sagen wollte war: Doch, tue das, so oft es nur geht. Ich bin nicht allwissend und auch nicht sonderlich weise. Wenn ich etwas entscheide, was sinnlos ist, dann sag mir das so früh wie möglich. Das ist immernoch besser, als wenn wir am Ende mit einer Katastrophe umgehen müssen.“

Der Totengräber nickte und meinte dann: „Gut, dann werde ich Sorge tragen, daß das alles umgesetzt wird.“

Er verließ den Raum und Joro war erst einmal wieder alleine. Es war schon seltsam, daß er hier saß und Leute durch die Gegend schickte. Auch wenn das ganze etwas angenehmes an sich hatte, beschämte ihn erneut die Tatsache, daß er nicht auch selbst etwas tun konnte, aber das Gefühl war nicht von langer Dauer.

Die Tür zum Schlafgemach öffnete sich und drei Mönche traten ein, mit Alystin im Gefolge.

Sie trugen zwei Schreibpulte, davon eins mit kurzen Beinen, Kiele, Tintenfässer und Löschsandtöpfe herein. Alystin selbst trug sowohl den Wälzer, an dem Joro arbeitete, als auch Albrechts Version mit sich.

Es wurde schnell klar, daß das kleinere Pult dafür konstruiert war, daß es auf ein Bett gestellt wurde, sodaß derjenige, der darin lag in einer angenehmen Position daran arbeiten konnte. Das andere, normale stellten sie so neben das Bett, daß Joro bequem in dem Buch darauf blättern konnte.

„Ich danke euch allen. So kann ich wenigstens dafür sorgen, daß ich nicht vollkommen untätig an diesen Ort gefesselt bin.“

„Es ist uns eine Ehre“, meinte einer der Mönche mit einem Lächeln und dann verließen die drei Priester den Raum.

Alystin sah amüsiert in seine Richtung, als er sofort anfing, sich über die Bücher herzumachen.

„Ich bekomme so langsam den Eindruck, daß dir dieser Beruf auf den Leib geschneidert ist, mein Joro.“

Er grinste frech.

„Da hast du nicht ganz Unrecht“, sein Gesichtsausdruck wechselte zu besorgt, „du langweilst dich doch hoffentlich nicht?“

„Nein, überhaupt nicht“, lachte sie, „Ich habe vor, gleich mit Ghaundar einen kleinen Rundgang durch die weniger offiziellen Teile des Klosters zu machen, man muß ja wissen wo man ist, nicht wahr?“

„Das ist wieder so eine dunkelelfische Angewohnheit, oder?“ „Ganz genau“, sie lächelte, „ich bin sehr bald wieder da, aber ich denke, daß du jetzt vermutlich sowieso für eine Weile abgelenkt sein wirst.“ Joro hörte sie schon gar nicht mehr.

 

Alystin hatte Wort gehalten –alles andere hätte Joro auch verwundert- denn am frühen Nachmittag kam Olgerich zu Besuch. Der Bischof hatte gerade eine Pause eingelegt und verzehrte etwas von dem, was Franz zwischenzeitig vorbeigebracht hatte. Der Koch war noch wortkarger als sonst und schien ein wenig beleidigt, aber Joro hatte weder die Kraft noch den Willen, jetzt mit ihm darüber zu reden.

Der Stadtfürst blickte besorgt in Joros Richtung, als der den Raum betrat und dieser winkte sofort ab.

„Es ist weitaus weniger schlimm, als Ihr vielleicht glaubt, Olgerich. Ich bin hier immerhin inmitten von Heilern.“

„Vielleicht spielt auch mein schlechtes Gewissen dabei eine Rolle. Unsere Stadtwache hat gestern völlig verschlafen, was sich hier abspielte. Als wir endlich mit einer Kompanie anrückten, war der Kampf schon längst vorbei.“

„Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern“, sagte Joro verblüfft.

„Man hatte Euch schon in Eure Gemächer gebracht, Eminenz. Ich möchte mich wirklich aufrichtig entschuldigen.“

„Es ist ja nichts geschehen. Grämt Euch nicht, Olgerich.“ Der Fürst deutete auf den Sessel neben dem Bett.

„Darf ich?“

„Natürlich, verzeiht meine schlechten Manieren.“ Nachdem sich der alte Mann auf den Sessel hatte sinken lassen, machte er eine abwägende Geste.

„Was mich dabei am meisten ärgert, ist, daß wir eigentlich für solche Vorkommnisse gerüstet sein müßten. Aber wie mir scheint, sind unsere Soldaten einfach nicht darauf vorbereitet.“

„Das macht das, was ich mit Euch bereden wollte ein wenig schwieriger.“ „Hm?“, Olgerich sah ihn fragend an.

„Ich habe soeben die gesamte Klosterwache entlassen.“ „So etwas hatte ich schon erwartet. Ich habe mich heute Mittag mit Herrn Omareth und Hrynn getroffen und die Lage diskutiert. Wie es scheint waren beide gestern mehr als unzufrieden mit deren Leistung, bei der Gelegenheit habe ich sogar einige neue Worte der Drowsprache gelernt, die sich allerdings wohl kaum für eine sittliche Konversation eignen.“ „Nun, Olgerich“, Joro drugste ein wenig herum, „ich hatte ja schon vor einiger Zeit eine Idee erwähnt, die ich eine Weile hatte. Darüber möchte ich jetzt noch einmal mit Euch reden, was unsere jetzige Lage angeht, ist es vermutlich überfällig.“ „Worum geht es?“

„Ich will eine eigene Klostergarde aufstellen. Die besten Waffen, die besten Rüstungen, die besten Männer. Wir haben sowohl mit Hrynn als auch Omareth zwei der besten Generäle hier, die Daishan jemals auf seinem Boden hatte.“

Des Fürsten Blick wirkte unentschlossen, daher fuhr Joro fort.

„Ihr hattet mir gesagt, daß Euer Hauptmann ein ausgesprochen fähiger, ehemaliger Söldner ist. Er wird ohne Zweifel sagen können, welche jungen Männer in der Stadt die talentiertesten und tapfersten sind. Wenn wir das Wissen von Omareth und Hrynn damit kombinieren, sollte sich in kurzer Zeit eine sehr schlagkräftige Truppe bilden lassen.“

Olgerich war von der Idee durchaus angetan.

„Das wäre das erste eigene Regiment, daß Bargum jemals hatte. Im Krieg gegen Welverin waren wir zu sehr abseits gelegen, als daß die Drow gegen uns gezogen wären, auch wenn wir einige Male überfallen worden sind.“

„Also kann ich auf Eure Unterstützung hoffen?“ „Absolut, ich werde gleich bei meiner Rückkehr ins Schloß mit Hrynn reden, ich wette er wird das auch begrüßen.“ „Das freut mich. Die Quartiere unserer Klosterwache stehen jetzt leer, je eher wir anfangen, desto besser. Die Zeit arbeitet gegen uns.“ „Wie geht es Euch, Eminenz?“

Der spontane Themenwechsel verwirrte Joro kurz.

„Nun, ich habe noch Schmerzen in den größeren Schnitten, aber ich fühle mich schon wesentlich besser.“

„Das freut mich zu hören. Wir sollten uns dann so schnell, wie es irgend möglich ist endlich einmal zusammensetzten und bereden, was wir sonst noch so planen“, er stand auf, „Ich will Eure Zeit gar nicht weiter in Anspruch nehmen, ruht Euch aus, damit Ihr alsbald wieder auf den Beinen seid.“

„Ich danke Euch für Euren Besuch, Durchlaucht, gehabt Euch wohl.“ „Ebenfalls“, Olgerich neigte knapp seinen Kopf und verließ dann den Raum.

Joro war wieder alleine und hing auch nur kurz seinen Gedanken nach. Stattdessen griff er sich schnell wieder seinen Kiel und schrieb weiter.

Es war draußen schon dunkel geworden und einer der Mönche war, ohne daß Joro Notiz von ihm genommen hätte, in den Raum gekommen und hatte Öllampen angezündet.

Er legte das Schreibwerkzeug fort und sah sich um. Eigentlich mußte er austreten, aber er war ein großer Feind des Nachttopfes. Der Gedanke, ein Gefäß mit Urin unter dem Bett stehen zu haben, gefiel ihm nicht, im Sommer roch es zudem streng. Alystin hatte ihm ja eigentlich verboten aufzustehen, aber er entschloß für sich selbst, daß es in Ordnung sein mußte, wenn er einfach nur auf den Abort ging.

Celestus machte kicherte leise.

‚Du läßt dich leicht von ihr beeinflussen, oder irre ich mich da?’

‚Das hat damit nichts zu tun. Sie ist älter als ich und hat bewiesen, daß sie oft genug weiser weiß als ich.’

‚Wenn du das sagst…’

Er hörte nicht weiter hin, sondern quälte sich aus dem Bett und versuchte, sich so wenig wie möglich so zu bewegen, damit die genähten Wunden nicht belastet wurden.

Das Badezimmer des bischöflichen Gemaches hatte ein formschönes Keramikbecken, daß für das Unterbringen körperlicher Funktionen gedacht war und beim Hinsetzen nach einigen Augenblicken des eisigen Erstarrens schnell an der Oberfläche Körpertemperatur annahm. Auch wenn Joro den Gedanken, daß jemand wie der ehemalige Bischof hier gethront haben mußte nicht sonderlich schätzte, wußte er, daß es zumindest in der Zwischenzeit einige Male gereinigt worden war und so konnte er den Vorgang auch irgendwie genießen.

Es war kalt in diesem Raum, denn im Gegensatz zum Schlafgemach gab es hier außer dem Kessel, der zum Heizen des Badewassers diente, keine Möglichkeit, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Er beeilte sich lieber und schleppte sich dann wieder zum Bett.

 

Plötzlich wachte er auf, als sich Alystins kühler Körper an ihn kuschelte.

„Verzeihung, ich wollte dich nicht aufwecken.“

„Ich habe mich selten so sehr über ein Wecken gefreut.“ Sie kuschelten sich aneinander und Joro schlief wieder ein.

 

Kapitel 5

 

In den kommenden Tagen stellte sich schnell eine Genesung ein und schon nach drei Tagen erlaubte die Priesterin dem jungen Mann wieder, aufzustehen und seinen Tagesgeschäften nachzugehen. Es kam einer Befreiung gleich, denn sein aufgehaltener Tatendrang hätte ihn beinahe in eine Depression gestürzt. So verbrachte er gleich den ersten Tag der Freiheit damit, einen Gang durch die Stadt zu erledigen, um sich nicht nur zu erkundigen, wie es mit den Hütten voranging, sondern auch, um einfach ein wenig Präsenz zu zeigen.

Ghaundar heftete sich dabei an seine Fersen, denn sowohl ihm als auch Alystin gefiel es nicht, daß Joro im geschwächten Zustand einfach so im Freien unterwegs war. Es mußte wohl eine urtypische Droweigenschaft sein, immer mit Meuchlern und dergleichen zu rechnen, zumindest nahm er an, daß das der Grund war.

Als er gegen Mittag wieder im Kloster ankam, inspizierte er die Arbeiten an den Dächern und konnte mit Freuden feststellen, daß eine ganze Reihe von Männern aus der Stadt dabei halfen, Materialien zu tragen oder auch die Arbeiten oben in den Dachstühlen zu unterstützen.

Rundum war er sehr zufrieden.

Olgerich hatte ihn schon zwei Tage später zusammen mit Omareth und Hrynn aufgesucht und die vier hatten sich einen guten Abend lang die Köpfe heißgeredet, um eine bestmögliche Grundlage für eine neue Klostergarde zu schaffen.

Wie Joro dabei erfahren hatte, war Olgerich nicht sehr gut auf seine dunkelzwergischen Gäste zu sprechen, da deren Umgangsformen grauenhaft waren. Sie waren gefräßige und unglaublich unhygienische Zeitgenossen, die das Hauspersonal des Stadtschlosses ohne Pause in Schach hielten. Deren Arbeit war allerdings dem Aufwand angemessen, schon bei dieser Unterhaltung hatte der Fürst eine der Streitäxte dabei, die sie hergestellt hatten und auch Joro mit seinem Laienblick konnte schnell feststellen, daß die Waffe ausgesprochen gut gearbeitet war.

Im Hof des Zellentraktes waren nun die neuen Rekruten dabei, die Grundlagen des Soldatenhandwerks zu lernen. Der Hauptmann der Stadtgarde hatte die Sache in die Hand genommen und drillte sie, als wäre das Weltenende gekommen.

Selbst Omareth war ob der Härte des Mannes beeindruckt, denn er murmelte im Vorbeigehen „Dieser Mann erinnert mich an etwas, an das ich wirklich nicht erinnert werden möchte.“

Joro sah das als bestmögliche Anerkennung aus dem Munde des Drow.

Auch das Aussehen der Uniform war Anlaß zum Staunen. Der Bischof hatte nur nebenbei erwähnt daß er es begrüßt hätte, wenn die Garde in schwarzen Halbplattenharnischen mit Turmschild und Axt gerüstet wären, da die Zwerge sich strikt weigerten, Schwerter herzustellen, Omareth hatte erwähnt, daß Duergar Schwerter für Frauenwaffen hielten, ohne zu ahnen, daß Hrynn und Olgerich das sofort umsetzten würden.

Auf Schilden und Kürassen prangte die rote Sichel des Celestus und Hrynn hatte ihm gesagt, daß die Helme dem seinen leicht nachempfunden werden würden, allerdings kam die Produktion kaum nach. Es war immerhin schon erstaunlich, daß so viele Rüstungsteile vorrätig waren.

Es waren noch nicht viele Männer, aber das, was er da sah war auf jeden Fall besser, als was vorher als Garde gedient hatte. Nun gut, man erinnere sich an die Orcs mit den Mistforken.

Joro hatte seine Schreibutensilien sofort wieder in den dafür vorgesehenen Raum gebracht. Im Bett zu schreiben konnte und durfte nur eine Notlösung sein und bei einem kleinen Mißgeschick hatte er sich sehr gefreut, daß auch die Bettlaken im Kloster schwarz waren.

Er betrat das Hauptgebäude und ging zielstrebig zur Schreibstube, in der er mit Freuden Alystin traf, die ihn fröhlich begrüßte.

„Na, wie ich sehe hast du einen großen Rundgang hinter dir.“ „Ja, ich mußte mir doch alles ansehen.“

„In drei Tagen kann ja auch eine Menge geschehen, nicht wahr?“, sie lächelte.

„Wie kommt es, daß du so gut gelaunt bist?“

„Ich habe heute etwas gefunden, mit dem ich mich beschäftigen kann.“ „Ach?“

„Die Apotheke des Klosters ist in einem grausigen Zustand und ich habe mich darangesetzt, auszumisten und neue Vorräte anzulegen. Der Markt unten in der Stadt ist außergewöhnlich gut bestückt.“

„Das hast du doch hoffentlich nicht selbst bezahlt, oder?“ Sie schmunzelte.

„Nein, ich habe Marinus gesagt, was ich vorhabe und er hat mir aus der Schatzkammer Geld gegeben. Dabei hat er mir auch gleich das hier gegeben“, sie wies auf einen Stoffstreifen, den sie an ihrer Schulter angebracht hatte. Eine rote Sichel auf einem schwarzen Hintergrund.

„Äh… und was soll das?“

„Marinus hat mit Olgerich lange darüber diskutiert, was man tun kann, damit wir Drow in der Stadt nicht in gefährliche Situationen mit den Einheimischen geraten.“

„Aha, und diese Aufnähstücke sind die Lösung?“

„Sozusagen, ja. Auch wenn ich es nicht gerne trage, weil es mir wie ein Brandzeichen vorkommt.“ Joro senkte den Kopf und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Wie war das noch mit Drow und Menschen…“ Alystin kniff die Augen zusammen und sah ihn mit einem gespielt bösen Blick an.

„Das machst du extra, oder?“

„Jupp“, er ging zu ihr herüber und gab ihr einen Schmatz auf die Stirn, „Sieh es als Provisorium an. Wenn sich die Leute hier erst einmal daran gewöhnt haben, dann wirst du es auch nicht mehr brauchen.“

Sie blickte schnippisch zu ihm auf.

„Ich kann mich trotzdem nicht des Verdachtes wehren, daß du eine diebische Freude daran hast, daß dieses Mal wir die Exoten sind und nicht du.“

„Nein“, erwiderte er mit ernster Miene, „überhaupt nicht. Du kannst mir sogar glauben, daß es mir höchstgradig unrecht ist, daß man euch hier anders behandelt. Aber wenn du siehst, daß zum Beispiel Ghaundar sich ohne Probleme in der Stadt bewegen kann und dabei auch nicht so etwas wie diesen Stofflappen braucht, dann weißt du auch, daß sie sich bald an dich gewöhnt haben.“

Alystin seufzte und ließ sich in Joros Amtssessel sinken.

„Ich habe in den letzten Tagen darüber nachgedacht, was du einmal gesagt hast.“ „Hm?“, er setzte sich auf die Tischkante.

„Du meintest irgendwann einmal, daß es noch mehr Menschen wie dich gibt, die anderen so begegnen wie du.“

„Ja, das stimmt ja auch.“

„Das habe ich auch festgestellt, seitdem ich hier bin. Es erstaunt mich, daß keiner der hier lebenden Mönche irgendwelche Feindseligkeiten gezeigt hat.“

„Warum sollten sie auch?“

„Ich weiß es auch nicht… Vielleicht sind sie nur nett zu uns, weil wir deine Freunde sind?“ „Wohl kaum. Ich verstehe ja dein Mißtrauen, aber ich glaube nicht, daß das eine Rolle spielt. Die Totengräber, die jetzt hier als Mönche leben sind mir im Geiste sehr ähnlich. Außerdem sind sie alle Daishani.“ Sie rümpfte die Nase.

„Solche Leute hätten wir in den letzten zehn Jahren oft sehr gut gebrauchen können.“ „Die Tradition dieser Kirche ist vor dem Krieg entstanden. Wenn wir uns darauf besinnen, wird es nicht allzuferner Zukunft eine ganze Menge von ihnen geben, zumindest, wenn wir es schaffen, daß wir wieder mehr Gläubige haben.“ „Na, daran arbeitest du ja zur Zeit, nicht wahr?“, sie lächelte wieder.

„Ja. Und es ist mir ein starkes Anliegen.“

Alystin stand auf und ging um den Tisch, wobei sie ihn noch leicht am Bein berührte.

„Ich gehe dann mal wieder an die Arbeit, es ist viel zu tun, Kräuter konservieren und was sonst noch so ansteht… Wir sehen uns dann heute beim Abendessen.“

„Bis später“, er warf ihr noch einen verliebten Blick zu und als sie aus der Tür verschwunden war, stellte er sich an sein Pult und schrieb weiter.

 

Es verging eine Woche, in der sich Olgerich, Joro und Alystin mehrfach trafen und als Oberhäupter der bisher zusammenarbeitenden Parteien berieten, wie man gemeinsam die Zukunft meistern konnten. Joro fühlte sich in diesen Sitzungen immer ein wenig außen vor, weil der Fürst und die Priesterin in Angelegenheiten der Organisation einfach versierter waren als er. Außer Ideen beizusteuern, konnte er nicht viel tun, aber immerhin machten die beiden nicht den Eindruck, als grenzten sie ihn aus.

Er lernte seine Angebetete wieder einmal von der Seite kennen, die sie ihm gegenüber normalerweise nicht zeigte, nämlich als harte und kühle Planerin, bei deren Überlegungen nur das zählte, was für die Enklave gut war. Diese Art sich zu verhalten wirkte wie ein Gegensatz zu ihrer sonst warmherzigen und fürsorglichen Weise, mit dem Leben umzugehen. Es fiel Joro schwer zu akzeptieren, daß sie nicht nur die eine Seite hatte, aber gleichzeitig stellte er sich die Frage, ob das daran lag, daß er sich viel lieber mit ihr an einen einsamen Ort geflüchtet hatte, an dem es außer ihnen beiden nichts und niemanden gab.

Alystin mußte bemerkt haben, daß er sie während dieser Zusammenkünfte oft und ausgiebig betrachtete.

Eines Abends, als sie zusammen im seiner Zelle waren, sprach sie ihn darauf an.

 

„Du machst dir viele Gedanken über mich, oder?“ Zunächst verwirrt, weil er darauf nicht vorbereitet gewesen war, nickte er schließlich.

„Ja. Irgendwie scheint es mir, als kannte ich dich noch weniger, als ich das bisher vielleicht gedacht habe. Dabei ist äußerst erstaunlich, wie nah wir uns trotz alledem sind.“

Sie legte den Kopf schief und lächelte.

„Nun, vielleicht sind wir uns deshalb näher gekommen, weil es auf einer Gefühlsebene einfach stimmt. Den Rest kann man doch nach und nach lernen.“

Joro schlug die Augen nieder und rang nach Worten, weil ihn plötzlich ein Gedanke quälte.

„Du…ich… ich meine… ich bin doch nicht nur eine Liebschaft oder?“ Ihr Gesicht zeigte erst Verwunderung, dann färbten sich ihre Augen leicht rötlich.

„Ich meine… ich glaube das ja nicht, aber irgendwie hab ich Angst davor, daß es vielleicht doch so sein könnte“, fügte er hastig hinzu und schluckte merklich.

In Alystins Kopf schienen sich die Zahnräder heißzulaufen, aber ihre Augen gingen wieder in ihre alte Farbe über.

„Wenn man bedenkt, was wir beide hinter uns haben, ist das nichts über das wir zu diskutieren hätten, Joro. Davon abgesehen ging es alles sehr schnell, da kann man davon ausgehen, daß man nicht zwingend alles über den anderen weiß, stimmst du mir da zu?“

Joro nickte und merkte, daß ihm Schweiß die Stirn herunterlief. Er konnte alles in der Welt irgendwie ertragen, nur nicht, wenn Alystin böse auf ihn war.

Sie strich ihm, wie so oft, über das Gesicht und fragte dann: „Was möchtest du denn wissen?“

Es war ja nicht einmal wirklich, daß er etwas „wissen“ wollte. Es ging ihm vielmehr darum, daß sie Wesenszüge hatte, die er nicht einordnen konnte. Und mehr noch, es war einfach problematisch, zu wissen, daß sie, nun… so alt war.

Er kam sich hin und wieder so vor, als hätte er eine alte Dame vor sich, gewissermaßen eine Großmutter.

Eine sehr attraktive Großmutter.

Ihm war aber auch nicht entgangen, daß ihm Alystin praktisch eine Einladung gegeben hatte, alles zu fragen, was er wollte. Für Drowverhältnisse war das geradezu unverschämt intim, mehr noch, als das Bett zu teilen, wie er annahm. Joro wollte aber keine sinnlosen Fragen stellen, sondern brachte stattdessen seine Überlegungen lieber auf den Punkt.

„Manchmal habe ich das Gefühl, daß wir was unsere Sicht der Dinge angeht in zwei verschiedenen Welten leben. Damit meine ich allerdings nicht das, was gerade in dem Moment geschieht, sondern eher, was unsere Einstellung gegenüber gewissen Sachverhalten angeht.“

Sie mußte unvermittelt kichern.

„Mit anderen Worten, ich bin dir zu erwachsen?“ „Ich habe nie von zu geredet“, er zog eine Schnute, „es ist eher so, daß ich mich manchmal unglaublich unterlegen fühle, weil du Manches einfach zielsicherer anpackst.“ „Ist das ein Problem für dich?“, Alystin legte den Kopf schief.

„Nein, es ist ja nicht so, daß man dir das vorwerfen könnte“, er machte ein trauriges Gesicht, „ich komme mir nur so oft wertlos vor, wenn du so etwas einfach aus dem Ärmel schüttelst.“

Alystin blickte ihn tadelnd an.

„Wertlos? Das kannst du doch nicht ernst meinen. Wie viele Menschen hier verlassen sich auf dich und freuen sich darüber, was für eine großartige Leistung du erbringst. Ich bin genau wie sie maßlos stolz auf dich.“

„Wirklich?“

„Ja, du großer, breiter Dummkopf“, sie senkte sich herab und gab ihm einen sanften Kuß, „Lebenserfahrung allein ist nicht das einzige Maß dafür, ob jemand einen Wert hat. Ich habe dir schon vor einiger Zeit gesagt, daß ich mich deshalb in dich verliebt habe, weil du ein gutes Herz hast. Wenn ich einen alten, weisen Besserwisser hätte haben wollen, hätte ich vielleicht einen in der Enklave gefunden.“

„Dabei ist Omareth doch schon verheiratet“, Joro grinste frech, denn er war erleichtert.

„Du….“, ihre Augen flackerten leicht rötlich.

 

Als Joro am nächsten Morgen aufwachte, ächzte er beim Aufrichten. Alystin hatte ihm ein paar sehr schmerzhafte blaue Flecke verpaßt, bevor sie ihm auf andere Art und Weise noch einmal die Leviten gelesen hatte.

Sie war schon verschwunden, was ihn aber auch nicht weiter verwunderte. Alystin nahm die Aufgabe mit der Apotheke sehr ernst und er wußte, daß es gewisse Kräuter gab, die man nur bei Sonnenaufgang pflücken durfte, weil sie sonst ihre Heilwirkung verloren.

Er kratzte sich am Kopf und schaute sich um. Auf dem Hocker lag tatsächlich eine kleine Notiz von ihr, in der sie ihm einen guten Morgen wünschte und erklärte, daß sie unterwegs sei, um Vorräte zu besorgen.

Joro fühlte sich ein wenig unsicher. Celestus hatte sich in den letzten Tagen nicht mehr gemeldet, nicht einmal mit den kleinen Kommentaren, die er hin und wieder einmal von sich gab. Auch auf Anfragen hatte er nicht reagiert, nicht einmal mit einem ablehnenden Brummen und das machte einen seltsamen Eindruck.

Er stand auf, zog sich an und ging hinüber zum Hauptgebäude.

Der Mönch mit dem zertrümmerten Bein war drei Tage zuvor gestorben, der Blutverlust war einfach zu schwerwiegend gewesen und Marinus und Alystin, beide Heiler aus Leidenschaft und mit viel Erfahrung, hatte beide keinen Weg gesehen, ihn zu retten.

Seitdem war eine leicht gedrückte Stimmung im Kloster und mehr als einmal erwischte sich Joro dabei, selbst ein angespanntes Gesicht zu machen, ohne direkt einen Grund dafür im Kopf zu haben.

Aber es war nicht alles negativ. Durch den Drill Omareths und des Hauptmannes war die erste Kompanie der Stadtgarde immerhin soweit, daß sie im Kloster Wachdienst verrichten konnte. Sicherlich waren sie immernoch „Grünschnäbel“, wie der Dunkelelf das nannte, aber im Vergleich zu den Söldnern, die hier vorher gewacht hatten, war das immernoch die bessere Lösung.

Hrynn hatte derweil einen Steinmetz und Parek den Zimmermann – denn Omareth war ja anderweitig beschäftigt – damit beauftragt, die Rundmauer um das Kloster zu einem Wehrgang auszubauen. Zudem hatte er Plattformen für Ballisten geplant und zwei neue Geschütze für das Torhaus in Auftrag gegeben.

Parek, dessen Einstellung zum Kloster und der Kirche sich in der Zeit nach Joros Besuch bei ihm sehr zum Positiven verändert hatte, war Feuer und Flamme für einen derartigen Auftrag, denn es gab ihm etwas Abwechslung in seiner Arbeit. Er hatte eine ganze Reihe Hilfsarbeiter eingestellt und war völlig in seinem Element, wie es schien.

Als Joro vorbeiging, winkte er Parek zu, der den Gruß erwiderte.

Marinus wartete schon im Hauptgebäude auf ihn, einen Stapel Pergamente unter dem Arm.

„Guten Morgen, Eminenz. Es gibt eine ganze Reihe von Dokumenten, die Eures Siegels bedürfen.“

„Ich habe ein Siegel?“, Joro schaute verwirrt.

„Seit heute schon, wir haben eins anfertigen lassen, immerhin habt Ihr darauf bestanden, daß die bloße Unterschrift eines Bischofs nicht mehr allein gültig sein soll, Ihr erinnert Euch?“

Das stimmte, es war eine von den Dutzenden Änderungen, die Joro im neuen Kirchengesetz vermerkt hatte.

„Dann mal frisch ans Werk, was?“

„Nach Euch, Eminenz…“

Sie gingen zum Amtszimmer hoch und nachdem sich Joro gesetzt hatte, legte ihm Marinus den Stapel auf den Tisch, dann sah er ihn erwartungsvoll an.

„Ist noch was, Marinus?“

„Nun… wollt Ihr nicht…“

„Als Erstes will ich erst einmal alles durchlesen, ich lasse dich dann wissen, wenn ich fertig bin.“

Marinus nickte und verließ das Zimmer.

Zugegeben, die Idee nicht einfach etwas zu signieren, respektive zu siegeln, sondern es vorher auch zu lesen war sicherlich besser, als einfach ungelesen alles abzustempeln, aber die Masse an Dokumenten, die der Klostervorsteher ihm da gegeben hatte, war größer, als Joro das geschätzt hatte.

Weitaus größer.

Als Marinus gegen Mittag mit einem milden Lächeln in die Amtsstube kam, war Joro endlich fertig. Eigentlich hätte er ja irgendwie unzufrieden sein sollen, daß alle Dokumente in Ordnung waren und er somit auch alle mit Siegel bedacht hatte, aber das war nicht so.

Stattdessen hatte er im Zuge des Kriechens durch die Worte einen guten Überblick über die Gesamtsituation in Stadt und Kloster erhalten.

Die Hütten für die Armen waren praktisch fertig, die Kriegsvorbereitungen waren in vollem Gange und – was ihn am meisten erstaunte – es gab freiwillige Spenden der Bürger an das Kloster. Sogar nicht einmal wenig. Wie es schien war also der Ernst der Lage bei der Bevölkerung angekommen, wobei der Kampf über dem nächtlichen Himmel vor einigen Tagen sicherlich noch geholfen hatte, das realisieren zu lassen.

Joro war zufrieden, als er Marinus den Stapel gefalteter Pergamente zurückgab.

„Habt Ihr noch etwas anzumerken, Eminenz?“, fragte der Mönch.

„Nein, alles in bester Ordnung. Ich glaube ich sollte mir das öfter einmal antun.“ „Ich will Euch nicht kritisieren, Eminenz, aber eigentlich ist es ja mein Aufgabenbereich, die Richtigkeit dieser Akten zu gewährleisten…“ „Das ist mit bewußt, Marinus, aber erstens trage ich am Ende trotzdem die Verantwortung dafür und zweitens hilft es mir, auf dem Laufenden zu bleiben. Es hat nichts damit zu tun, daß ich deiner Arbeit nicht vertraue.“ Der Mönch nickte ihm zu.

„Das verstehe ich natürlich.“

„Du machst hier eine sehr gute Arbeit, Marinus. Ohne dich wären wir alle aufgeschmissen.“ Nachdem er sich glücklich lächelnd verbeugt hatte, wünschte der Klostervorsteher Joro noch einen guten Tag und verließ dann das Zimmer.

Kurze Zeit später brachte Franz, wie jeden Mittag etwas zu Essen. Alystin hatte sich ihm gegenüber durchsetzen können, denn die Portionen waren deutlich geringer, als es sonst so seine Art war. Beim Abendessen blieb alles immer beim Alten, aber da war auch klar, daß die Reste sowieso an die Mönche und an die Armen gingen.

Joro murmelte einen Dank, aber er war zu sehr in seine Arbeit vertieft, als daß er weiter darauf hätte eingehen können.

Es war früher Nachmittag, als einer der frischgebackenen Unteroffiziere der Garde plötzlich vor ihm stand und ungelenk salutierte.

„Euer Eminenz…“

„Hmm..?“, Joro sah auf.

„Es gibt, äh…“

„Raus mit der Sprache!“, der Bischof lächelte.

„Wir haben da ein Problem. Ein kleines…nein, eher ein großes.“

„Nun laß dir nicht alles aus der Nase ziehen, Soldat. Was ist das Problem?“

„Es sind Leute gekommen. Viele Leute. Aus dem Norden. Es… es sind wirklich unglaublich viele.“ „Man braucht mich am Tor?“

„Mir wurde gesagt, daß ich Euch holen soll, Eminenz.“

„Komm mit, ich will meine Rüstung anlegen.“

 

Joro quälte sich mit der Hilfe des jungen Soldaten, er mochte wohl kaum älter sein als er selbst, in die Rüstung und bemerkte, daß nach über einer Woche, die er sie nicht getragen hatte, das Gefühl, sie auf dem Körper zu spüren, fremd war. Dennoch wußte er nicht, was geschehen würde und außerdem gab sie ihm ein imposantes Äußeres, also gab es mindestens zwei Gründe, sie mitzunehmen.

Vor dem Tor des Klosters wartete schon eine Eskorte von zwölf Mann, alles Gardisten in schwarzer Rüstung, mit Schild und Axt, so wie er sich das vorgestellt hatte. Die Duergar und der Plattner mußten eine unglaublich gute und schnelle Arbeit leisten.

Auf dem Weg durch die Stadt sah er, daß viele der Bürger in äußerster Anspannung zu ihm hinsahen und es waren überall kleine Gruppen von Menschen, die sich aufgeregt miteinander unterhielten.

Am Nordtor angekommen, einem Ort, an dem er selten gewesen war, wenn überhaupt nur in Sichtweise, bot sich ihm schon im Näherkommen ein erstaunliches Bild.

Draußen vor dem Tor standen in der Tat eine Menge Menschen. Eine große Menge.

Omareth und Hrynn kamen ihm entgegen, ebenfalls beide in voller Rüstung und bewaffnet. Der ehemalige Abt hatte seine Stirn in Sorgenfalten gelegt.

„Ich nehme an, daß das ein Resultat dessen ist, was Ihr zu verantworten habt, Eminenz?“ „Du sagst das so seltsam“, meine Joro verblüfft, „Ich habe euch allen doch erzählt, daß ich einen Boten zu den Nordstämmen geschickt habe, oder etwa nicht?“ Omareth kratzte sich am Kopf und schaute dabei durch das Tor auf die Masse an Menschen, die davorstand.

„Ich beginne, mich zu fragen, was du genau in die Depesche geschrieben hast.“ „Meine Worte waren, daß alle wehrfähigen Männer und Frauen nach Bargum kommen sollen…“ „Wobei du vermutlich vergessen hast, daß das bedeutet, daß sie, Nomaden, die sie sind, auch ihre Alten und ihre Kinder mitbringen werden“, Hrynn hatte die Arme vor der Brust verschränkt und eine Augenbraue gehoben.

„Nun… direkt vergessen habe ich das nicht, es ist vielleicht eher so, daß ich nicht damit gerechnet hatte, daß es wirklich so unglaublich viele Menschen im Norden gibt“, Joro war leicht rot geworden.

„Na, du hast es uns eingebrockt, also ist es auch an dir, daß das geregelt wird“, Omareth klopfte ihm auf die Schulter, wobei er ihn auch ein wenig nach vorne schob.

„Ich geh ja schon“, grummelte Joro und lief in Richtung Tor.

Bei näherem Betrachten war die Menge an wild aussehenden Menschen vor der Stadt noch weitaus verblüffender als von Weitem.

An der Spitze der Nordmänner stand ein außergewöhnlich großer und muskulöser Mann, in Wolfspelze gehüllt und sah erwartungsvoll in Joros Richtung. Als er den Bischof näher kommen sah, setzte er den großen Hammer, den er auf der Schulter hatte, auf den Boden. Die Gardisten am Tor setzten an, loszustürmen, als er die Waffe bewegte, aber Joro machte eine winkende Geste, die sie davon abhielt.

Aus der Nähe betrachtet war der Mann noch eindrucksvoller. Sein Gesicht war mit Narben übersät und er hatte aufwendige Tätowierungen um die Augen. Auch an den Armen und den nur von einem Lendenschurz leicht bedeckten Oberschenkeln waren solche Muster und nicht weniger ehemalige Verletzungen zu sehen.

„Mein Name ist Ulfr. Bist du derjenige, der uns den Boten geschickt hat?“ Joro nickte.

„Der bin ich, mein Name ist Joro Macun, ich bin der Erzbischof von Bargum.“ Ulfr musterte ihn und kratzte sich am Kopf.

„Ist was?“, fragte der Bischof leicht unsicher.

„Nein… es ist nur so, daß ich nicht…“, der Nordmann suchte nach Worten.

„Raus mit der Sprache, wir sind immerhin beide Daishani, oder?“, Joro lächelte.

Sein Gegenüber grinste zurück.

„Ich hätte nicht einen solchen Jungspund erwartet. Dabei wußte ich durchaus, daß der alte Bischof tot ist, aber jetzt bin ich von der Situation ein wenig überrascht.“

„Du wirst sehen, daß du deine Leute nicht umsonst hier hergebracht hast. Wir sind bereits mitten in den Kriegsvorbereitungen und können an allen Ecken und Enden Hände zum Helfen brauchen.“

„Wo sollen wir lagern?“

Joro sah sich um und grinste Ulfr dann unverhohlen an.

„Ist doch genug Platz hier, oder etwa nicht?“

 

Natürlich hatte Joro darauf bestanden, daß zumindest der Anführer der Hirten mit seiner Sippe im Kloster wohnte, aber erstens machte ihm Ulfr klar, daß er bei seinem Volk bleiben werde, und zweitens hätte das eine Menge von erstaunlichen dreiundvierzig Personen umfaßt, und dafür war im Kloster einfach nicht genug Platz, jetzt wo die Garde dort auch einquartiert war.

Da nach daishanischer Etikette allerdings Joro in der Bringschuld eines Gastmahls war, bestand er darauf, daß die Neuankömmlinge ins Kloster kamen, um dort auf dem Hof ein großes Essen abzuhalten.

 

Als er zu Franz in die Küche kam, war dieser bei seinem Anblick erst einmal wieder mit Grummeln beschäftigt. Als ihm Joro allerdings eröffnete, für wie viele Personen er am heutigen Abend kochen sollte, erlebte er das glücklichste Gesicht, daß er jemals bei einem Menschen gesehen hatte.

 

Selbstverständlich war das Erste, was Franz tat, ihn aus der Küche zu werfen.

 

Schon eine halbe Stunde später sah Joro Mönche, emsig wie die Bienen, auf den beiden Höfen des Klosters hin- und herlaufen.

Dabei wurden ganze Schafe und Rinder, die frisch von der Schlachtbank kamen, in den Keller unter dem Hauptgebäude geschleppt, wo die Küche war.

Ulfr hatte als Gastgeschenk zwölf Lämmer an das Kloster gegeben, die am heutigen Abend auch gleich ihrer Bestimmung zugeführt werden würden.

Joro faßte an, wo er nur konnte. Es wurden Bänke und Tische aus den Lagern und der Messe geschafft und in Kreisen um die Mitte des Hofes angeordnet, wo Franz gerade damit beschäftigt war, drei gigantische Bratenspieße und die dazugehörenden Feuerstellen herzurichten. Ghaundar huschte hin und wieder an ihm vorbei, entgegen seiner Eitelkeit extrem verschwitzt und auch nicht ganz sauber. Franz hatte ihn wohl als seinen Assistenten eingespannt und der Dunkelelf kam nicht mehr aus der Arbeit heraus.

Geschah ihm recht, auch einmal hart zu arbeiten, wie Joro fand.

 

Am frühen Abend, keine drei Stunden später hatte Franz angefeuert und an den Spießen drehten sich ein Ochse und zwei Lämmer, ständig in Bewegung gehalten von jeweils einem Mönch. Der Koch selbst rannte ohne Stillstand zwischen Küche und der Mitte des Haupthofes hin und her und verteilte allerhand kalte Speisen auf den Tischen. Es war ihm anzusehen, daß ihm das Herz vor Freude beinahe in der Brust zersprang, aber die schiere Geschwindigkeit und Präzision, mit der er arbeitete war erstaunlich für die Tatsache, daß ein Mann mit seiner Körperfülle sich derart viel bewegen mußte.

Joro war nach dem Aufbauen der Tische kurz in sein Gemach gegangen, sich gewaschen und eine der repräsentativen Roben angezogen, danach ging er wieder in den Hof.

Ghaundar stand neben der Eingangstür und hatte sich zwischenzeitlich auch frisch gemacht und neu eingekleidet. Als er Joro aus dem Gebäude treten sah, lächelte er.

„Da haben wir uns selbst übertroffen. Dafür, daß knapp fünfhundert Gäste erwartet werden, finde ich erstaunlich, daß wir schon alles vorbereitet haben.“

„Kann man nicht anders sagen“, Joro steckte sich eine Portion Kautabak in den Mund, „aber da kannst du mal sehen, was wir hier für gute Leute haben. Unsere Mönche sind einfach unschlagbar.“

Der Dunkelelf deutete auf Franz, der immernoch hin- und herhastete.

„Nicht zu vergessen der geniale Küchenchef. Allerdings mache ich mir Sorgen, daß Franz vielleicht eines Tages bei der Arbeit einfach tot umfällt.“

„So wie ich ihn einschätze, wäre das der schönste Tod, den er sich ausdenken könnte.“ „Das passiert hoffentlich nicht ganz so bald. Ich würde ungern auf ihn verzichten wollen…“ Ghaundar sah auf seine Hänge und rieb ein paar Stellen, die leicht grau waren, wohl das Drowäquivalent von Schwielen.

„Ich kann nicht sagen, daß es nicht anstrengend war, aber es hat Spaß gemacht.“ Unwillkürlich mußte Joro an das Fußöl von Omareth denken und lachte leise.

„Die kleine Tonflasche, was?“, Ghaundar grinste schief.

Der Bischof nickte und reckte sich, immernoch leise kichernd.

„Jetzt bin ich erst einmal gespannt, was heute Abend geschieht. Was Ulfr angeht habe ich sehr gemischte Gefühle.“

„Warum?“, der Drow hatte einen kleinen Salbentopf aus dem Wams gekramt und rieb sich mit dem Inhalt die Hände ein.

„Er schien von mir enttäuscht zu sein. Das hat allerdings vielleicht auch damit zu tun, daß die Nordmänner Alter und Erfahrung ganz anders einordnen und bewerten, als wir das vielleicht tun.“

„Du.“

„Hm?“

„Als du das tust. Bei uns Drow sind das auch Werte, die bei Anführern im Vordergrund stehen. Wenn ich älter wäre als Omareth, wäre nicht er unser militärisches Oberhaupt.“

Joro sah ihn schief an.

„Wie ich dich kenne, dankst du der Göttin jeden Abend auf Knien, daß es nicht so ist, nicht wahr?“

„Darauf kannst du Gift nehmen“, Ghaundar verschloß den Tiegel und schob ihn wieder in seinen Brustausschnitt, „Aber du hast es noch immer geschafft, Leute irgendwie auf deine Seite zu bekommen. An deiner Stelle würde ich mir erst einmal keine Sorgen machen.“

„Wenn du mich fragst ist mein Vorrat an Glück schon viel zu lange aufgebraucht“, der Bischof machte ein unzufriedenes Gesicht, das schnell Resignation wich, „wenn nicht sogar weit überzogen…“

Alystin trat ebenfalls vor die Tür. Eine Windböe ließ einen verführerischen Duft von ihr her zu Joro wehen, lange bevor er sie gesehen hatte. Sie sah sich auf dem Hof um und war verblüfft.

„Als ich vorhin in die Apotheke gegangen bin, war hier noch alles so wie immer. Eine erstaunliche Leistung“,sie sah müde und überarbeitet aus, „Geht es schon los?“

Ghaundar machte eine beruhigende Geste.

„Keine Sorge, werte Hohepriesterin, wir beide haben nur unser Pensum erfüllt und was die Montur angeht vorgearbeitet.“

„Puh, gut. Ich habe bis eben noch mit Pflanzen hantiert, die sofort nach dem Pflücken konserviert werden müssen. Einer der Mönche ist heute Mittag mit einer berstend gefüllten Kiepe an Kräutern zurückgekommen. Wir haben bis eben zu dritt dafür gesorgt, daß nicht mehr als die Hälfte davon auf dem Komposthaufen endet.“

Joro schenkte ihr das sanfteste Lächeln.

„Oben steht ein ganzes Becken warmes Wasser für dich bereit, ich hatte mir so etwas schon gedacht.“

Alystin sah Ghaundar kurz scharf an, der gespielt übertrieben fortsah, dann drückte sie Joro einen Kuß auf den Mund und verschwand im Haus.

„Immer diese Heimlichtuerei“, grinste der Assassine.

„Ja, und das ausgerechnet von Seiten der Drow. Undenkbar…“

 

 

Als die Sonne langsam hinter den Horizont verschwand, gab Franz das Zeichen, daß er soweit sei und Joro trommelte die Unteroffiziere der Garde zusammen, um sie, mit kleinen Geleitzügen, als Boten zu den Honorationen der Stadt und natürlich zu Ulfr zu schicken.

Auf dem Weg aus dem Kloster kam ihnen Olgerich mit seiner Leibstandarte entgegen.

Er begrüßte Ghaundar und Joro herzlich und sah sich dann um.

„Eindrucksvoll, Eminenz.“

„Ohne Zweifel, ja.“

Der Fürst drugste ein wenig herum und sagte dann: „Ich habe mir erlaubt, die Herren Duergarschmiede nicht mitzubringen, da ich ihr Benehmen einer diplomatisch günstigen Position eher abträglich empfinde. Ich hoffe, daß ich da keinen Fehltritt begangen habe.“ „Wie habt Ihr denn das geschafft“, fragte Ghaundar erstaunt.

„Indem ich ihnen ihre tägliche Ration an Bier und Schnaps bereits zur Mittagszeit gegeben habe. Auf die Art und Weise waren sie schon am Nachmittag so betrunken, daß sie schlafen gingen.“

„Es grenzt an eine Heldentat, Duergar von einem Gelage fernzuhalten“, grinste Joro, „und Ihr müßt Euch keine Sorgen machen, ich hatte selbst schon ein wenig Sorge, daß sie vielleicht darauf bestehen könnten, hier dabei zu sein.“ Mit einem leicht abwesenden Blick in Ghaundars Richtung fügte er noch hinzu: „Wenn ich mich daran erinnere, wie Ulfr vorhin Omareth angestarrt hat, fürchte ich, daß es schon schwer genug sein wird, gewisse andere Anwesende zu erklären.“

Ghaundar wollte wohl kurzzeitig einen Witz einflechten, aber er hielt sich davon ab. Der Schweiß auf der Stirn seines Freundes zeigte ihm, daß dieser nicht in der richtigen Stimmung war.

 

Ulfr und seine Ältesten zogen geschlossen durch das Tor in den großen Innenhof, dicht gefolgt von den Familienoberhäuptern und schließlich deren Angehörigen. Joro fiel auf, daß genauso wie in den Büchern seines Großvaters tatsächlich Männer und Frauen der Hirten Seite an Seite schritten. Entgegen den eher bürgerlichen Bewohnern Daishans waren die weiblichen Nordmänner, beziehungsweise –frauen, absolut gleichberechtigt in Politik und Kriegsführung. Wenn er sich einige der Damen dort so ansah, konnte er sich auch absolut vorstellen, wie diese ein Schwert ergriffen und loszogen, um Hiebe zu verteilen.

Joro ging ihnen entgegen und begrüßte Ulfr formell mit einer Verbeugung und einem Händedruck. Dann wies er an die Tafel, die direkt an der Mitte des Hofes aufgestellt war.

„Setzt Euch doch bitte, Ulfr, seid unser Gast.“

Der Jarl – Joro meinte, daß das bei den Hirten der korrekte Titel war – verbeugte sich seinerseits, und ging auf den Tisch zu. Sehr zum Erstaunen des Bischofs bewegte sich nicht ein Einziger anderer der Anwesenden, nicht einmal Olgerich.

Eine Etikettefalle und er wußte nicht, was er zu tun hatte.

Alystin, Ghaundar und Omareth waren noch nicht auf dem Hof erschienen, Joro nahm an, daß das aus taktischen Gesichtspunkten auch besser war, aber was sollte er nun mit Ulfr tun.

Olgerich, der hinter ihm stand, schubste ihn leicht an und machte eine unscheinbare Geste in Richtung Tisch, wo der Hirtenjarl schon an seinem Platz stand und erwartungsvoll zu ihm hinüberblickte.

Joro ging ein wenig unsicher auf den Tisch zu und stellte sich vor seinen Sessel. Dann setzte er sich intuitiv einfach hin. Der Jarl tat es ihm gleich und erst jetzt setzten sich alle anderen Anwesenden in Bewegung und suchten sich ihre Plätze. Dabei achtete jeder der Hirten peinlich genau darauf, sich nach seiner sozialen Stellung zu positionieren.

 

Franz hatte eine ganze Reihe von Mönchen dazu abkommandiert, Getränke zu verteilen und auch Beilagenplatten auf die Tische zu tragen. An die Bratenspieße durfte sich allerdings niemand auch nur auf drei Schritte nähern, denn dort stand der Koch mit jeweils einer armlangen Gabel und einem nicht minder großen Messer und schaute jeden, der es wagte, den innersten Ring von Tischen zu durchqueren so an, als wolle er beides auch gegen Menschen einsetzen.

Wiederum war Stille eingetreten. Ulfr sah Joro erwartungsvoll an und dieser ließ sich nur noch von seiner Intuition leiten, hob den Humpen und hielt ihn ihm entgegen.

Das war wohl eher mehr rustikal als wahre Etikette, aber Ulfrs Gesicht zeigte eine gewisse Form von Amüsiertheit, als er wortlos anstieß.

Die Erleichterung der Anwesenden, viele sicherlich noch geschafft von der langen Reise, war deutlich zu spüren, denn jetzt, als Ulfr trank, durften sie es ebenfalls.

Auch wenn Joro mit seinem eigenen Beitrag unzufrieden war, konnte er im Gesicht des Nordmannes keinerlei Zweifel oder Ablehnung erkennen. Das Gute daran, Daishani zu sein, war unter anderem, daß die Rune nicht nur für die gesprochene Wahrheit sorgte, sondern auch das generelle Benehmen der Einwohner dieses Landes von Falschheit abwandte.

Es beschämte ihn fast, aber er fühlte sich mit diesem Mann, den er kaum kannte, emotional auf einer Augenhöhe, wie er das bei den Drow der Enklave erst nach mehreren Wochen harter Arbeit empfunden hatte. Kulturelle Grundlagen und ihre fatale Auswirkungen auf das Miteinander... Fast schien es ihm, als hätte er für einen Moment eine Art Vorbehalt gegenüber Fremden verspürt, wie er ihn sich eigentlich sonst nicht gestattete.

Der Nordmann sah fragend über den Rand seines Humpens in seine Richtung, sagte aber nichts.

Joro stand auf und machte eine winkende Geste in Richtung des Einganges des Hauptgebäudes.

Das Portal schwang auf und die drei Dunkelelfen traten hindurch. Für einen Moment sah es aus als würden einige der Nordmänner aufspringen, sicherlich hatten viele ihre Hand am Schwertheft, aber Ulfr hob die Hand und gebot ihnen damit Einhalt. Dennoch blickte er in Richtung Joro und sein Gesicht spiegelte eine Mischung aus Sorge und Neugier wider.

Der Bischof straffte sich.

„Werte Gäste, ich möchte euch meine Freunde und Verbündeten vorstellen“, ein rascher Blick verriet ihm, daß das nicht den gewünschten Erfolg mit sich brachte, denn die Hirten versteiften sich nur in ihrer Haltung, „Alystin, Hohepriesterin der Eilistraee, Omareth, General der Enklave und Ghaundar, mein persönlicher Freund.“

Es war nicht zu übersehen, daß Ghaundar kurzzeitig ein gespielt beleidigtes Gesicht machte, wohl aufgrund des Mangels eines Titels, aber die Anspannung nahm schnell wieder Platz in seinem Gesicht, wenn auch halb verborgen unter einer Fassade von Selbstkontrolle.

Wohl eher ein Reflex.

Ulfr stand nun ebenfalls auf und breitete die Hände aus.

„Freunde des Bischofs sind auch die Freunde der Stämme. Ich biete euch ein herzliches Willkommen im Namen meiner Vorväter!“

Damit war die Sache gegessen. Oder zumindest wagte ab diesem Moment keiner der Nordmänner mehr, eine aggressive Haltung einzunehmen, denn der Häuptling hatte, so vermutete Joro, eine Art Schwurformel benutzt.

Als sich die Hirten entspannten, geschah fast gleichzeitig das Gleiche mit den Drow.

Alystin lief leichtfüßig voran und verbeugte sich knapp vor Ulfr.

„Es ist mir eine Ehre, den Hetman der Nordstämme kennenzulernen. Wer hätte jemals erwartet, daß wir uns einmal unter solchen Umständen treffen würden.“

Einer der Unterhäuptlinge murmelte etwas und Ulfr wandte sich scharf in seiner Richtung.

„Warum sagst du nicht laut, was du zu sagen hast, Bjarn?“ Der Angesprochene schaute zu ihm auf und sagte: „Es sind dunkle Zeiten, wenn sich Menschen mit der Brut des Unterreiches verbünden müssen.“ Ulfrs Antwort war ein Schwertstreich mit einer Geschwindigkeit, daß er die Waffe bereits wieder in die Scheide steckte, bevor Bjarns Kopf von dessen Hals kippte.

Hinter ihm gröhlten die Nordmänner und stießen ihre Humpen zusammen.

Ulfr nickte in Alystins Richtung und setzte sich wieder hin. Die drei Dunkelelfen nahmen nun auch ihre Plätze ein und Ghaundar sagte, grinsend: „Ich habe dieses Gefühl, daß wir extrem gut miteinander auskommen werden.“

 

Joro hätte vermutlich ein wenig geschockt sein müssen, aber ihm war auf der anderen Seite durchaus klar, daß es weder die Zeit noch die rechte Gelegenheit war, um sich darauf einzulassen. In den nächsten Stunden würde sich ein bedeutender Teil seines Schicksals entscheiden.

Des Schicksals aller, die im Hof versammelt waren, wenn man es genau nahm.

'Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich jetzt stolz, überrascht oder ein wenig eingeschüchtert sein soll', meinte Celestus mit neutraler Stimme.

'Seltsam. Normalerweise erwartete man doch, daß ein Gott nicht nur auf einer anderen Ebene lebt, sondern auch denkt, oder?', gab Joro zurück.

'Was soll das denn heißen?'

'Weil ich gerade den gleichen Gedanken hatte. Moment mal, das solltest du doch eigentlich wissen, immerhin kannst du meine Gedanken lesen!'

Ein leises Lachen kam zurück

'Manchmal vergesse ich das selbst. Trotzdem gibt es mir zu denken, daß du nicht einmal mit der Wimper gezuckt hast, als er den Mann getötet hat.'

Joro sah unterbewußt zu Ulfr, der sobald sich Alystin neben ihm gesetzt hatte sofort eine rege Unterhaltung mit ihr begonnen hatte, nicht ohne mißtrauische Blicke von seiner Frau zu ernten.

'Mein Großvater hat einmal gesagt, daß die Bräuche der Nordstämme anders sind als unsere. Vor allem ihre Vorstellung von Gerechtigkeit und Gesetz ist eine andere.'

'Anders...'

'Ja, ich weiß, das mag eventuell untertrieben klingen, aber wenn es für sie funktioniert...'

 

Jetzt erst merkte er, daß ihn Ghaundar die ganze Zeit anstarrte. Omareth ebenso.

 

„Was?“

„Führst du wieder Privatgespräche?“, der Zimmermann machte ein schiefes Gesicht.

„Gewissermaßen.“

Ghaundar grinste.

„Solange du dich nicht in kopflose Diskussionen versteifst...“ Omareth mußte sich offenbar zusammenreißen, ihm nicht auf den Hinterkopf zu schlagen, stattdessen nahm er zur Ablenkung einen Schluck Wein.

 

Es stellte sich recht schnell heraus, daß der Grund für die Anwesenheit der Nordmänner mitnichten nur ein einziger Bote aus Bargum war. Auf der Versammlung, an der Olgerich teilgenommen hatte war es unter den Ältesten und Vertretern der Städte geradezu zu einer kleinen Schlacht gekommen.

Wie Ulfr es ausdrückte war es, so wörtlich, dazu gekommen, daß er sich wie ein einziger Erwachsener auf einem Haufen von Kleinkindern sitzend vorgekommen war. Olgerich drückte es etwas differenzierter aus:

Die meisten Anwesenden hatten sich für eine Kooperation mit der Legion ausgesprochen, oder zumindest darauf zu setzen, daß Daishan aufgrund seiner Lage und seiner nicht sonderlich reichen Bodenschätze (und von gewissen Untermietern, die Erzfeinde der Hochelfen waren mal gar nicht erst zu reden) vielleicht so uninteressant sein könnte, daß es seitens des Propheten überhaupt nicht von Wichtigkeit sein könnte, hier eine Invasion zu beginnen. Olgerich hatte zuerst vorsichtig, dann mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß das Oberhaupt der wichtigsten Religion des Landes schon mehrfach Ziel von Angriffen gewesen sei, was allerdings aufgrund der nicht sonderlich hohen Reputation der Kirche als Argument auch keinen Effekt gehabt hatte.

Ulfr auf der anderen Seite hatte von Anfang an begriffen, daß es mit dem Propheten keine friedliche Lösung geben konnte, weshalb er schon im Vorfeld des Treffens dafür gesorgt hatte, daß er als Kriegsjarl gewählt dort hinging. Und er hatte von vorneherein entschieden, das erste Angebot wahrzunehmen, sich in einer Streitmacht zu organisieren.

Joros Bote war also schlußendlich nur die Hand am Hebel gewesen, die dafür gesorgt hatte, daß sich die Stämme in Bewegung setzten.

 

Als ihm Joro von den Geschehnissen im Kloster, dem Angriff durch die Legionäre berichtete, bestand er darauf, die Wrackteile und die Leichen der Lindwürmer zu begutachten, was prompt dazu führte, daß Omareth, Joro und er von Tisch aufstanden – und Ulfrs Leibgarde von jungen Männern, die im der Sitte nach wohl einfach überall hinfolgten, Ghaundar machte Andeutungen bezüglich Schlafzimmer, die ihn beinahe in Probleme brachten.

In einer der Lagerhallen hatten die Mönche nach dem Angriff alles zusammengesammelt, was von Wert erschien. Da es bekanntes Wissen war, daß die Kadaver von Lindwürmern extrem langsam verrotteten, was wohl mit ihrem Gift zu tun haben mußte, waren die toten Flugtiere immernoch gut erhalten.

 

Ulfr betrachtete alles lange und gründlich.

„Wir haben hier einen Feind gegen uns, der uns viel abverlangen wird, wie mir scheint.“ Omareth nickte.

„Sie haben einen Vorteil in Soldaten von momentan etwa zweitausend zu eins. Und mit ihren Luftschiffen und Reittieren... Sie können sich schneller und gezielter bewegen als irgendeine andere Armee auf der Welt. Ein Pessimist hätte seine schiere Freude daran...“

Ghaundar war leider nicht zugegen, aber Omareth huschte ein kurzes Zucken über das Gesicht, der Vorlage wegen.

Joro selbst musterte den großen, tätowierten Mann. Dabei versuchte er, sich möglichst an alles zu erinnern, daß ihm sein Großvater jemals über die Nordstämme erzählt hatte. Vor allem die Sache mit Alter und Erfahrung kam ihm immer wieder in den Sinn, was ihn fast madig machte, weil er wußte, daß er irgendwie eine Verbindung mit dem Hetmann aufbauen mußte.

Da kam ihm ein Geistesblitz.

„Sie kommen aus dem Süden und sind nicht an unser Klima gewöhnt. Unsere Sommer sind an ihren wärmsten Tagen so kalt wie ihre kürzesten Wintertage. Wir sind eins mit dem Land in dem wir wohnen und haben mehr zu verlieren als nur Soldaten, wir kennen unsere Wälder, unsere Berge und unsere Steine. Sie nicht. Und wenn sie auch noch zehn Dutzend mal über uns hinwegfliegen, werden sie es nur sehen, aber nicht verstehen.“

Ulfr hob sein Gesicht und sah ihn an, in seinen Augen war zumindest Interesse zu erkennen.

Der Bischof setzte noch einen drauf.

„Wir haben hier oben einen langen harten Krieg hinter uns. Das Reich der Sonne hat fast viertausend Jahre in Frieden gelebt. Selbst ihre ältesten Soldaten, auch wenn sie noch so viel trainiert haben, können sich aus erster Hand an keine einzige Schlacht mehr erinnern. In Daishan ist immer Krieg. Wenn nicht gegen einen Feind von außen oder innen, dann zumindest gegen die Natur. Und genau diesen haben wir in eine Liebe umgewandelt. Der einzige Krieg, den wir täglich führen müssen ist unsere größte Liebe geworden, weil sie uns wie eine gute Ehefrau ständig unsere Fehler aufzeigen und unsere Stärken lobt. Weil wir daraus lernen und Kraft schöpfen. Sollen sie kommen. Vielleicht werden wir nicht gewinnen, aber zumindest werden wir für das kämpfen, was für uns das Wichtigste ist. Mit der Liebe unseres Lebens zu leben und vielleicht auch für sie zu sterben.“

 

Omareth sah ihn völlig fassungslos an, aber Ulfrs Gesicht hatte sich von interessiert zu grimmig gewandelt. Es brauchte eine Weile, um unter all der dunkelgrauen Farbe der Ornamente zu durchschauen, daß im Kopf des Mannes ein Gefühlssturm brodelte. Schließlich fiel seine Hand langsam und bestimmt auf seinen Schwertgriff, er war einer der wenigen Nordmänner, die eins besaßen, und er zog es langsam aus der Scheide. Der Drow neben ihm machte einen alarmierten Eindruck, aber immerhin schien er Joro stark genug zu vertrauen, daß er auf dessen minimales Kopfschütteln nicht damit reagierte, eine der sicherlich irgendwo in seinem Wams verborgenen Waffen zu zücken.

Der Hetmann nahm das Schwert in beide Hände, eine am Heft, eine an der Spitze der Klinge und hob es dann über den Kopf. Und mit einer einzigen, blitzartigen Bewegung brachte er es nieder auf sein Knie, wo es in zwei Stücke zerbrach.

„Schafft mir das Küchenmesser aus den Augen, HOLT MIR MEINEN HAMMER!

 

Es entging Joro nicht, daß eine ganze Reihe der jungen Männer, die um sie versammelt waren beinahe glücklich aufatmeten und einer rannte so schnell er konnte auf den Hof hinaus.

Ulfr selbst sah zu Joro herab und sagte:

„Wenn du so handelst, wie du sprichst... Wie hat es dein Drowfreund vorhin ausgedrückt..? Dann werden wir vielleicht wirklich gute Freunde!“

 

Wie auf ein Kommando drückte es an Joros Hüfte. Es war der kleine Beutel, in dem er das Amulett des Orcs aufbewahrte.

‚Darf ich das als Wink verstehen?’ fragte er Celestus.

‚Hm? Ich habe gerade nicht aufgepaßt’, der süffisante Ton in der Stimme des Gottes war nicht zu überhören.

‚Mir ist nicht ganz klar, was das bringen soll, wenn ich ehrlich bin...’ ‚Das war es dir in sehr vielen anderen Situationen vorher auch nicht, oder?’ ‚Unbestreitbar, aber wenn ich das mal vergleiche? Zudem ich mich langsam frage, warum du das alles immer so inszenierst, wenn es am Ende doch so oder so klar ist, was geschehen wird.’ Joro war sich nicht sicher, ob der Gott ob dieser Aussage beleidigt war. Seine Reaktion ließ es zumindest vermuten.

‚Mir scheint fast, daß du zuviel Umgang mit Albrecht hattest, Joro. Zudem kann man wohl kaum von einer Loyalität deinerseits sprechen, wenn du hinter Dingen, die ich für dich tue eine böse Absicht vermutest.’

Joro fühlte Trotz in sich aufsteigen. Und eine Art gerechten Zorn, denn immerhin hatte er bisher frag- und klaglos jederzeit getan, was Celestus von ihm verlangt hatte. Genaugenommen ja nicht einmal das, denn der Gott hüllte sich in seinen Absichten ja prinzipiell in Schweigen, nur um ihn zu erziehen.

Celestus' Stimme war jetzt plötzlich wieder ganz kühl.

‚Ich werte das jetzt einfach mal als einen Anflug von Pubertät.’ Das hatte nicht geholfen. Joro stand, sehr zur Verwunderung der Anwesenden auf und sagte: „Ich muß mich für einen Moment entschuldigen, es wird nicht lange dauern“, ‚hoffe ich’, fügte er in Gedanken hinzu.

Er ging ins Hauptgebäude, in die Reliquienhalle und stellte sich dort demonstrativ vor das Bild Nuktus.

„So. Ich weiß, daß ich mich deiner Meinung nach sicherlich zu weit aus dem Fenster lehne, aber wir müssen wirklich mal ein paar Dinge klären.“

Der dunkle Mann manifestierte sich, an eine Vitrine lehnend – ebenso demonstrativ – vor ihm, die Arme auf der Brust verschränkt.

„Und?“

Joro ließ sich nicht beirren.

„Es ist mir durchaus bewußt, daß du willst, daß ich meine eigenen Entscheidungen treffe. Ich erkenne auch völlig an, daß das nur meinem Besten dient, das ist nichts, was mich aufregt.“

„Aber?“

„Findest du es eigentlich absolut notwendig, mich niemals in deine Pläne mit mir einzuweihen und stattdessen immer diese Mär von der Selbstbestimmung der Sterblichen zu erzählen?“

„Mär?“, es war nicht zu überhören, daß der Gott sich bemühen mußte, keinen Wutanfall zu bekommen. Joro hatte bewußt eine Formulierung gewählt, die von Albrecht hätte stammen können.

Für einen Moment schwieg Celestus und schaute auf den Boden, sichtlich bewegt von einem Ansturm von Emotionen. Schließlich blickte er wieder auf und sah seinen Bischof an.

„Ich werde dir dies nur einmal sagen, Joro. Und das auch nur, weil ich dich nicht nur aufgrund dessen liebe, was du für mich getan hast, sondern weil ich auch weiß, daß du in deinem Herzen ein grundguter Mensch bist, der sich gegen vermeintliche Ungerechtigkeit wehren will...“, er hielt kurz inne, um Worte zu suchen, „Mir... ist vor allem daran gelegen, daß du am Leben bleibst, daher versuche ich die ganze Zeit über, dafür zu sorgen, daß du alle Möglichkeiten erhältst, die im Zweifelsfall für dich offen stehen. Mal ganz davon abgesehen, daß ich mich mitunter auch darum kümmern muß, daß du dich selbst nicht umbringst.“

„Ich mache nur, was du von mir verlangt hast: meinem Herzen folgen“, warf Joro sarkastisch ein, aber Celestus überging das.

„Was du vielleicht nicht bemerkt hast, ist, daß ich dir weder in der Durchführung, noch in dem, was daraus erwächst, jemals unter die Arme greife.“

Er hatte nicht ganz Unrecht. Der Trotz hielt Joro allerdings davon ab, einfach einzulenken.

„Das mag ich manchmal nicht glauben, wenn ich mich an Balthasar oder auch nur an die Tatsache erinnere, wie ich in der Enklave gelandet bin.“

Der Gott hatte sich offensichtlich beruhigt, oder fühlte sich zumindest in der besseren Position.

„Was habe ich denn getan, außer Eilistraee um Hilfe zu bitten, oder einem Mann, dessen Leben faktisch zerstört war, wieder eine Aufgabe zu geben?“

„Wer hat denn sein Leben überhaupt erst zerstört?“

Vorsicht, Joro...“

„Fällt es dir schwer, zu akzeptieren, oder wenigstens zuzugeben, daß deine Kampagne mit Nuktu ein totaler Fehlschlag war und nicht nur ihn selbst, sondern auch sein Volk und natürlich auch Balthasar ins Unglück gestürzt hat? Bin ich nicht dir gegenüber immer ehrlich, wie das so meine Natur ist?“, nichts in der Welt hätte Joro in diesem Moment einschüchtern können. Er war im Recht.

Tatsächlich schwieg Celestus zunächst. Dann richtete er sich auf und fragte: „In Wirklichkeit hast du einfach Angst, nicht wahr?“

Der junge Mann war verunsichert, aber irgendwie stimmte das sogar.

„Vielleicht, ja. Ich möchte nicht blind in mein Schicksal rennen. Gewissermaßen deckt sich das doch damit, was du immer sagst: daß die Sterblichen ihr Schicksal selbst bestimmen sollen.“

„Sicherlich, das sage ich nicht nur, das meine ich auch so, wie ich es sage. Es ist allerdings so, daß es einfach ein paar Dinge gibt, die du aufgrund deiner sterblichen Natur einfach nicht allein oder von dir aus leisten kannst. Das sind die Bereiche, in denen ich dir unter die Arme greife...“, er hielt kurz inne, dann fügte er hinzu: „Sieh mich einfach als einen Mitarbeiter im Hintergrund an, der versucht, dir weitere Trümpfe in die Hände zu spielen und dir als Ratgeber zur Seite zu stehen, wenn du einen benötigst und dir sonst kein Anderer helfen kann.“

So sehr ihm Celestus da entgegen kam, gefiel es Joro nicht. Das war doch nicht die Art und Weise, wie man einen Gott sehen konnte... oder doch?

Nüchtern betrachtet war es immer so gewesen, das verblüffte ihn. Von der Lebensrettung durch Celestus abgesehen, trafen seine Worte schlichtweg zu.

„Dein Zweifel erstaunt mich ein wenig. Immerhin hast du doch eben noch auf Selbstbestimmung verwiesen.“

„Das habe ich mir auch nicht anders überlegt, nur...“, Joro stand vom Überlegen Schweiß auf der Stirn und er fuhr sich durch die Haare, „Irgendwie sollen wir Sterblichen doch die Götter als übergeordnete Wesen anbeten. Das was du gerade gesagt hast, hört sich an wie ein Freundschaftsangebot und stimmt nicht mit dem Geist überein, in dem ich dir vor wenigen Wochen ein Versprechen abgegeben habe.“

Joro bekam es langsam wirklich mit der Angst zu tun. Allerdings war das vielmehr darauf zurückzuführen, daß er sich mit einem Male sehr unsicher fühlte. Wo sich seine Gefühle zwischen blindem Vertrauen und dem Willen zur eigenen Entscheidung aneinander rieben war, wie ihm vordergründig bisher nicht klar gewesen war, das Vertrauen der wichtigere Punkt.

Was das Ganze aber potenzierte war, das Celestus ihm gegenüber in diesem Moment seine Souveränität eingebüßt hatte.

Der Zorn des Gottes, den er nun erwartete, blieb aber aus. Stattdessen ging er auf Joro zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Als die schwarze Hand ihn berührte, drang sie in seinen Körper ein und für den Bruchteil eines Momentes spürte er die Gegenwart seines Gottes in einer Intensität, wie er es vorher nur ein einziges Mal erlebt hatte: Einige Monate zuvor im Wald vor Bargum.

Die Zweifel waren fort.

Und Joro schämte sich maßlos.

„Danke. Ich glaube, das hätte ich nicht brauchen sollen.“

„Der Unterschied zwischen uns beiden ist, daß du ein Mensch bist und ich nicht. Was wir allerdings beide gemein haben, ist, daß ich einmal ein Mensch war und daher weiß, wie man sich manchmal fühlt Joro.“ Joro nickte.

„Im Übrigen“, fuhr Celestus fort, „schließt das eine das andere nicht aus.“

„Was?“

„Ich kann dein Gott sein, aber trotzdem auch dein Ratgeber und, wenn du so willst, Freund.“ „Ja...Ich denke ich gehe lieber wieder nach draußen, es beschleicht mich gerade das Gefühl, daß ich einen bis zwanzig Schlucke Bier brauche“, Joro verbeugte sich und wandte sich zum Gehen. Als er fast aus der Halle heraus war, sagte Celestus leise: „Joro?“

„Ja?“

„Du hast Recht. Es war ein totaler Fehlschlag, den ich mir nur schwer verzeihen kann.“

 

Kapitel 6

 

Es war schon vor einer ganzen Weile dunkel geworden, als die letzten Gäste sich schließlich verabschiedeten. Die einzigen, noch verbliebenen Anwesenden war die tägliche Abendgesellschaft, bestehend aus den Drow, Joro, dem Fürsten und Hrynn.

Omareth konnte sich nicht mehr zusammenreißen und fragte.

„Was war eigentlich vorhin los?“

„Wieso?“, fragte Joro überrascht.

„Du hast einen sehr seltsamen Gesichtsausdruck bekommen, bevor du ins Haus gingst und als du wiederkamst, war er sogar noch seltsamer.“

Der Bischof seufzte.

„Es war wieder einmal eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen Celestus und mir. Außerdem hat er mich an etwas erinnert“, er griff in den Beutel an seinem Gürtel, holte die Kette heraus und erschrak, als der Shura plötzlich neben ihm stand.

Ghaundar verzog sein Gesicht, als er die Knochen in Joros Hand sah.

„Das hatte ich schon ganz vergessen... Hat Celestus gesagt, daß es Zeit ist, dort hinzugehen?“ „Nein, er hat mich eigentlich nur darauf hingewiesen, daß ich sie noch habe.“

„Und?“, fragte Alystin, „Was hast du dir überlegt?“

„Noch nichts, ich wollte erst mit euch besprechen, was ihr von der Sache haltet.“

„Das ist ja mal ein erstaunlicher Bruch mit alten Gewohnheiten“, grunzte Omareth und hob demonstrativ seinen Humpen zum Mund.

„Hab ich irgendetwas falsch gemacht?“, fragte Joro verwirrt.

„Nein, ich hab nur einfach gerade keine Lust, mir vorzustellen, wie wir wieder einmal mit naivem Optimismus in eine Jauchegrube zu hüpfen. Es grenzt so oder so an ein Wunder, daß wir nicht schon bei unseren vorherigen Ausflügen ins Gras gebissen haben.“

„Harte Zeiten fordern harte Mittel, oder?“

„Jedes Mal wenn wieder so etwas ansteht wird es potentiell gefährlicher. Ich frage mich manchmal, wann Celestus auf die Idee kommt, uns nach Orridin zu schicken...“

Joro kannte den alten Drow mittlerweile gut genug, um zu wissen, daß sich hinter seiner griesgrämigen Art oft genug auch einfach nur Sorge steckte. Dennoch...

„Celestus hat, soweit ich das einsehen kann, nichts damit zu tun.“ „Das ändert nichts daran, daß es wesentlich nettere Arten gibt, sich umzubringen, als ausgerechnet zu einem Orkstamm zu reisen, sich vor sie hinzustellen und zu sagen „ach übrigens, ich hab da diese Kette gefunden, ich glaube die gehört euch!““ „Totsaufen zum Beispiel?“

„Halt die Klappe, Ghaundar!“, Omareths Augen leuchteten leicht rötlich.

Joro wußte nicht genau, wie er fortfahren sollte.

‚Sag mal, hast du da eigentlich Einfluß genommen oder nicht?’, fragte er Celestus.

Der Gott zögerte kurz, dann sagte er: ‚Es besteht die Möglichkeit, daß ich indirekt damit zu tun habe, aber ich habe dir nicht die Kette zugespielt, wenn du das meinst.’

‚Kannst du das präzisieren?’

‚Es ist so, daß die Orcs dort leben, wo einst das Königreich lag, aus dem Nuktu stammte. Ich weiß jedoch nicht, inwieweit deren Vorfahren mit ihm zu tun hatten, oder ob sie vielleicht als Nomaden erst später in diese Gegend kamen.’

„Und, was sagt er?“, Omareths Stimme klang genervt.

„Er ist unschlüssig. Es kann aber sein, daß Nuktu eine Rolle spielt.“ „Na prima...“, der Drow stand auf, zog die Nase hoch und meinte dann: „Darüber muß ich erst einmal eine Nacht schlafen. Zu viele schlechte Nachrichten auf einmal.“

 

Nachdem er gegangen war, entschloß sich auch der Rest der Gesellschaft, ins Bett zu gehen, denn es war schon sehr spät geworden. Joro konnte nicht umhin, zu bemerken, daß unter allen Anwesenden eine gedrückte Stimmung geherrscht hatte und auch Alystin war da keine Ausnahme. Als sie eine halbe Stunde später zusammen in der Zelle lagen, fragte er sie:

„Ist die Vorstellung so schlimm? Wir können doch jede Hilfe brauchen, die sich uns bietet...“ Sie richtete sich auf und sah ihm in die Augen.

„Hast du ernsthaft in Betracht gezogen, daß sich ausgerechnet Orcs uns anschließen könnten? Und komm mir jetzt bloß nicht wieder mit dem Drow/Menschenargument.“

„Keine Ahnung, es sind doch schon einige sehr unwahrscheinliche Dinge geschehen, warum sollte sich da nicht auch eine Gelegenheit bieten? Zumindest theoretisch...“

Alystin seufzte, legte sich wieder hin und starrte an die Decke.

„Nimm es mir bitte nicht übel, aber deine Naivität treibt hier gerade sehr seltsame Blüten.“ Joro überlegte. Dann faßte er einen Entschluß.

„Dieses Mal sage ich es dir vorher und ich muß von dir verlangen, daß du dich nicht gegen mich entscheidest...“

Sie richtete sich wieder auf und in ihrem Blick war große Sorge.

„Was?“

„Ich habe mich schon einmal entschieden, dich nicht in Gefahr zu bringen und ich kann nicht umhin, mich noch einmal so zu entscheiden.“

Ihr Gesicht war ausgesprochen angespannt und er bemerkte auch einen roten Schimmer in ihrer Retina.

„Du wirst mir jetzt nicht sagen, daß du alleine zu den Orcs gehen willst, oder?“ „Ich bin durch ein Versprechen gebunden. Es ist so oder so unmöglich jetzt einen Rückzieher zu machen, aber ich sehe, daß ihr alle die Meinung teilt, daß es eine verdammt dumme Idee ist, das zu tun, was ich vor habe.“ Alystins Blick war nun vollends böse.

„Das kannst du doch nicht ernst meinen!“

Joro starrte an die Decke und spürte Verzweiflung in sich aufsteigen.

„Du… du verstehst das nicht…“

„Dann erkläre es mir.“

„Ich“, er rang nach Worten, „ich lebe nur noch in Angst und Anspannung. Das Kloster, die Enklave, der Krieg, die Legion, Verantwortung, Planungen, was auch immer…“

Ihre Miene war immernoch böse, aber immerhin unterbrach sie ihn nicht. Den Blick weiterhin an der Zimmerdecke dachte er nach. Es lief alles auf einen Punkt hinaus.

„Weißt du, es ist ein entscheidender Punkt. Ich bin neunzehn Jahre alt und der Sohn eines Bauern. Alles, was ich für andere bin sind Rollen und Kostüme, die sie mir angezogen haben, ob nun Bischof, Freund oder…“

„Geliebter?“, es schwang eine gehörige Portion Unheil in ihrer Stimme mit.

Joro schüttelte den Kopf.

„Nein, das Seltsame ist, daß du bei allem, was andere von mir erwarten und wollen, der einzige Faktor in meinem Leben bist, der mir davon losgelöst erscheint.“

„Ohne das Mal an deinem Hals hätte ich dich jetzt als Lügner bezeichnet und dir ins Gesicht geschlagen.“

Er lächelte gequält.

„Du wirst vielleicht verstehen, daß mich das gerade wenig tröstet…“ „Worauf willst du eigentlich hinaus?“

Jetzt war Joro es, der sich aufrichtete, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein.

Die großen, mandelförmigen, violetten Seelenspiegel in ihrem Gesicht waren nur noch leicht rot untermalt und funkelten wunderbar im Mondlicht, das durch das Butzenfenster schien, über ihren Wangenknochen.

„Omareth und Ghaundar sind hier gebunden und das ist auch gut so. Und du…“, er mußte sich davon abhalten in Tränen auszubrechen, „sollst niemals Schaden nehmen, wenn ich es nicht verhindern kann.“

Alystin schlug die Augen nieder und er meinte einen leicht feuchten Schimmer in ihnen zu sehen.

„Ich kann dich nicht dazu zwingen, hier zu bleiben“, sagte sie leise, „aber ich hoffe du weißt, daß du nicht der Einzige bist, der den anderen beschützen will.“

Er berührte sie sanft an der Wange.

„Man sagt immer, daß es Dinge gibt im Leben, die ein Mann alleine tun muß. Vielleicht ist genau das hier eines dieser Dinge. Wahrscheinlich habe ich noch mehr Angst, als du, aber wenn ich jetzt nicht die Gelegenheit wahrnehme, herauszufinden, was ich eigentlich will, bin und sein soll, werde ich sie vielleicht niemals bekommen.“

Sie nickte schwach und schaute wieder auf.

„Wenn es dir so wichtig ist, werde ich dich nicht aufhalten, aber schwöre mir bitte, daß du nicht einfach nur fortlaufen willst.“

Sein Blick fuhr tief in ihre Augen, so tief, daß sie unwillkürlich zusammenzuckte.

„Es gibt nur einen Ort auf der Welt, von dem ich niemals flüchten würde. Und das ist zu jeder Zeit genau der Ort, an dem du dich gerade befindest.“

 

Es war früher Morgen, als Joro, in voller Rüstung und mit einem Bündel über den Schultern am Stadttor stand, die Sonne hatte gerade begonnen, den Horizont zu überqueren.

Alystin stand neben ihm und beide sahen, die Lungen tief mit dem klaren Wind des Frühlings füllend, in den Himmel hinauf.

Er blickte zu ihr herab und sie zu ihm herauf.

„Ich werde mich beeilen. Wenn ich in vier Wochen nicht wieder da bin, dann sucht nicht nach mir.“

„Wenn du in vier Wochen tatsächlich nicht wieder da bist, werde ich an der Spitze eines Heeres nach Norden ziehen und mir einen Gürtel aus Orcohren machen“, gab sie trocken zurück.

Joro grinste, auch wenn ihm eher nach Weinen zu Mute war.

„Celestus ist mit mir. Das, gepaart mit deiner Liebe, gibt mir mehr Kraft, als irgend jemand oder irgendetwas jemals aufzuhalten im Stande wäre.“

Sie stellte sich auf die Fußspitzen und gab ihm einen sehr langen Kuß. Dann sah sie ihn ernst an.

„Ich hinterfrage nicht, warum du das hier tust, Joro. Aber ich hoffe, daß du dir klar bist, daß du allmählich tief in meiner Schuld stehst.“

„Schon verstanden, Alystin. Ich liebe dich.“

 

Erst gegen Nachmittag bemerkte Joro, daß er die Taubheit, die ihn die ganze Zeit davon abgehalten hatte, zu fühlen, wie er fühlte, von ihm wich.

Das Resultat war, daß er sich mitten im Wald an einen Baum lehnte und für beinahe eine Stunde völlig ungehemmt weinte. Danach, als er sich langsam beruhigte, durchströmte eine furchtbare Mattheit seinen ganzen Körper und er starrte eine ganze Weile nur vor sich hin.

Was hatte ihn überhaupt geritten, solch eine Wahnsinnsidee alleine umsetzen zu wollen.

Es war wirklich nicht die Zeit Held zu spielen, aber auf der anderen Seite drückte dieses Unwissen, wer er eigentlich war, auf seine Schultern wie eine ganze Kiepe voll Granit.

Joro vermied es, mit Celestus darüber zu reden. Er hatte nicht das Bedürfnis, sich irgendwelche zynischen Kommentare von seinem Gott anhören zu müssen und er war sich sicher, daß genau diese kommen würden.

Schlimmer noch.

Es war ihm zwar bewußt, daß dieser ihn nie hätte gehen lassen, wäre es nicht sein Wille gewesen, aber fröhlich konnte er mit seiner Entscheidung ebenfalls nicht sein, denn Joro hätte auch darauf bestehen können, daß ihn seine Freunde begleiteten.

Der Bischof stand auf, rückte die Rüstung zurecht und ging weiter den Weg ins Hochland hinauf. Schon nach wenigen Schritten trat er mit voller Wucht hinter einen Stein, der auf dem Pfad lag. Es war einfach zum aus der Haut fahren. Egal wie auch immer er sich entschied, auf die eine oder andere Art und Weise konnte und mußte nur jeder in seinem Umfeld darunter zu leiden haben. Immerhin würden so, wie es jetzt war, keiner seiner Freunde sterben müssen, falls er eine falsche Wahl traf.

Er grübelte den ganzen Rest des Tages und auch die nächsten beiden über die verzwickte Lage.

Nachdem Joro so weit nach Südosten gelaufen war, daß er das Waldstück sehen konnte, in dem er den Geist zuerst getroffen hatte, erinnerte er sich daran, wohin Ghaundar damals gezeigt hatte und korrigierte seinen Kurs in diese Richtung.

Schon nach einem halben Tag und mit immer größerer Angst, über einen Steinriesen zu stolpern, wurde die Landschaft so derart karg, daß selbst Büsche nicht mehr höher waren als seine Knie.

Die Sonne brannte tagsüber in seinem Nacken und nachts war es so verdammt kalt, daß es ihn, selbst wenn er praktisch direkt an der Feuerstelle lag, immernoch frösteln ließ. Frühling war hier oben einfach nur eine geringfügig wärmere Version von Winter.

Nicht genug damit.

Als er am nächsten Tag aufstand, hatte er eine kleine Schicht Schnee auf der Rüstung und als er sich umsah, konnte er sehen, daß überall der Boden mit einem grauen Schimmer überzogen war.

‚Hättest du mir nicht den Tip geben können, ein Zelt mitzunehmen?’

‚Bist du erwachsen? Warst du schon einmal im Hochgebirge?’

Joro seufzte.

‚Also nehme ich an, daß du auch schlecht geschlafen hast?’

‚Götter schlafen nicht, es sei denn sie wollen es.’

‚Was ist es denn dann?’

‚Nichts, was dich direkt betrifft. Ich bin unzufrieden mit der Lage im Süden.’

Der Bischof horchte auf.

‚Gibt es etwas, das du mir erzählen kannst? Das würde auch das Reisen ein wenig erleichtern, es lenkt von Kälte und Müdigkeit ab.’

Celestus manifestierte sich im Laufen neben ihm und schritt neben ihm her. Seine Körperhaltung drückte sorgenvolle Gedanken aus.

„Es ist von vorne bis hinten alles zum Brechen…“

„Die Ereignisse überschlagen sich, was?“

„Richtig. Die Vermutung, daß es in den Westreichen Fürsten gibt, die mit der Legion eine Sache machen hat sich leider bewahrheitet.“

Verdammt!

„Und damit nicht genug, sie greifen nicht nur ihre alten Rivalen, sondern auch Hanlar von der Seite an.“

Joro kratzte sich am Kopf und schaute nach oben.

„Manchmal kann ich nicht verstehen, warum sich Menschen dazu entscheiden, das zu tun, was sie tun.“

„Mich brauchst du da nicht zu fragen, seit meinem Aufstieg hat sich an meiner Einsicht in das Wesen des Menschen leider nur sehr wenig verändert.“

„Albrecht hätte jetzt einen bissigen Kommentar eingestreut.“

„Aber du bist nicht Albrecht und ich hoffe, daß du das auch niemals wirst.“

„Das hoffe ich auch.“

Celestus sah sich um, während sie weiter durch die kleinen Büsche der Tundra stapften.

„Irgendwie kommt mir die Gegend hier bekannt vor…“

In Joros Hirn schrillten die Alarmglocken so laut, daß sogar der Gott zusammenzuckte.

„Was war das denn eben?“

„Verzeihung“, antwortete Joro, „Aber ich habe, wie du weißt, ein ungutes Gefühl, inwieweit du in die Sache mit dem Orc verstrickt bist.“

„Ich hatte ja keine Ahnung, daß das so tief drin sitzt…“

„Tut es.“

Der Gott schüttelte den Kopf.

„Es ist nichts, was mir klar vor Augen steht, aber ich werde die nächste Zeit darüber nachdenken, wann ich das hier schon einmal gesehen habe.“

„Danke, je eher ich da eine Information bekommen kann, desto besser ist es. Vielleicht kannst du ja durch die Zeit reisen und es dir noch einmal ansehen..?“

Ein Schuß ins Blaue, der leider nicht einmal ansatzweise irgendetwas traf.

„Zeitreisen sind nur den mächtigsten der Götter vorbehalten. Hast du vergessen, daß ich nur ein Gott der Bauern und einer kleinen Schar von Menschen in Bargum bin?“

„Verzeihung, ich wollte dich nicht beleidigen“, Joro blickte schamhaft zu Boden.

„Erstens hör auf, dich zu entschuldigen“, grunzte Celestus, „und zweitens war es eher schmeichelhaft, daß du mir so etwas zutraust. Aber ich werde einmal Eilistraee fragen, sie ist wesentlich länger in diesen Gefilden unterwegs als ich.“

„Danke…“

Ein Flimmern in der Luft und der Gott war verschwunden. Nicht gerade die abendfüllende Konversation, auf die Joro vielleicht gehofft hatte, aber immerhin konnte er Omareth bei seiner Rückkehr in Bargum eine wertvolle Information geben.

Falls er je zurückkehrte.

Schritt für Schritt durch unwegsames Gelände und mit jedem Schritt kam ein Bild in seinen Kopf von denen, die er liebte und denen, die im entgegenstanden.

Rannte er in sein Verderben? War es ein notwendiges Übel? Oder vielleicht doch eher eine Chance, wofür auch immer?

Vor allem fragte er sich, warum Alystin eigentlich so verhältnismäßig schnell eingewilligt hatte, ihn alleine gehen zu lassen.

Joro schlug sich vor die Stirn und rief: „Scheiße!“

Er hielt an und sah hinter sich. Nirgends war etwas zu sehen, aber das hieß nichts, wenn sie wollte, konnte sie sich bis auf Armlänge an ihn heranschleichen, ohne, daß er auch nur das Geringste davon merkte.

Vielleicht war dies auch nur ein Anfall von Verfolgungswahn, weil er mit sich selbst uneins war.

Nein, das war es auch nicht. Er hätte Alystin gerne mitgenommen, genauer gesagt hätte er vor allem in den letzten Wochen am liebsten einfach ihre Hand nehmen und ans Ende der Welt rennen wollen, um mit ihr in Sicherheit und alleine zu sein.

Am Abend rastete Joro an einem kleinen Rinnsal in der Tundra, riß ein paar Büsche aus dem Boden und klebte diese, seinen Wasserschlauch und den Streithammer benutzend, mit kleinen Eiskugeln zu einem Windschutz zusammen. Es war sehr kalt geworden und der Himmel ließ vermuten, daß sich in der Nacht wieder der eine oder andere Schneeschauer über das Land ergießen würde. Nach oben konnte er sich nicht abdecken, außer mit seinem Umhang, aber wenigstens der verdammte Wind sollte ihm nicht wieder unter die Rüstung fahren.

Es dauerte unendlich lange, bis das Feuer endlich brannte, denn er hatte am Nachmittag nur eine kleine Menge von der Sonne mühsam getrocknetes Holz mitgenommen und die Büsche, die hier wuchsen waren alle feucht. Schließlich knisterte es aber vor ihm in einer Erdmulde und er wärmte sich die Hände daran, eng in seinen Umhang gewickelt.

In die Glut seines Feuers blickend, fing Joro wieder an, über seine Bestimmung nachzudenken. Vielleicht war er besser beraten, die Sache analytisch anzugehen.

Vor seinem Tod war er ein Niemand gewesen. Außer Schweine und Rinder zu hüten hatte er eigentlich nichts gemacht im Leben. Gut, er hatte sehr viel gelesen und von seinem Großvater gelernt, aber wenn man es genau betrachtete, hatte er es verpaßt, einen richtigen Beruf zu lernen. Ohne das, was ihm nun einmal geschehen war, nachdem Celestus ihn gerettet hatte, wäre er heute noch immer ein Hilfsarbeiter auf einem Bauernhof. Nicht ganz ohne Unmut gegen seine eigene Person stellte er innerlich fest, daß er die Zeit auf dem Hof seines Vaters nur damit verbracht hatte, von dessen Essen zu leben und nur so viel zu arbeiten, wie es unbedingt nötig war. Den Rest der Zeit hatte er mit Träumen verbracht.

Zugegeben, er hatte mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, ein Magier zu werden und innerlich immer gehofft, sein Vater würde ihm vielleicht die Ausbildung in Tont finanzieren. Das wäre bei dem Einkommen, das der Hof erwirtschaftete durchaus möglich gewesen, aber aufgrund der Einstellung seines Vaters zu solchen Dingen niemals geschehen. Die Landbevölkerung von Daishan war extrem abergläubisch und Joro wußte von mehreren Gelegenheiten, an denen reisende, eigentlich harmlose Magister ohne erfindlichen Grund von Dörflern gelyncht und vertrieben worden waren.

Eine Ausbildung zum Priester wäre auch nicht in Frage gekommen, seine Eltern waren keine Angehörigen einer Religion gewesen und niemals besonders gläubig. Ihr religiösen Aktivitäten beschränkten sich auf das Aufstellen von kleinen Tellern und Bechern mit Speisegaben für die Hausgeister.

Joro hatte schon mit fünf Jahren gesehen, daß die Katzen des Hofes dafür sorgten, daß die Teller am nächsten Tag leer waren und daher nicht einmal einen Aberglauben entwickelt.

Diese Überlegungen brachten eine erste fundamentale Erkenntnis:

Seine innere Weigerung, ein einfacher Bauer zu werden, hätte ihn irgendwann tatsächlich in ein Leben als Hilfsknecht getrieben, denn keiner der anderen Dorfbewohner hätte auch nur im Traum daran gedacht, einem Taugenichts wie ihm die Tochter zur Frau und damit auch den eigenen Hof zu überlassen. Er hatte auch keinen Zweifel daran, daß sein nächstälterer Bruder ihn niemals auf der Zucht behalten hätte, denn die beiden hatten keine gute Beziehung zueinander gehabt.

Er blickte hoch zum Himmel und gab einen Laut des Erschreckens von sich.

Mit anderen Worten: Ohne den Tod seiner Familie hätte er ein genauso schlechtes Leben führen müssen, wie nach ihrem tatsächlichen Ableben.

Joros Blick senkte sich wieder in die Glut und er merkte, daß in ihm unterschwellig immernoch große Trauer und Wut kochte, daß jemand alle seine Verwandten ermordet hatte, in seinen Augenwinkeln bildeten sich Tränen.

Genug der weibischen Heulerei. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und reckte das Kinn vor.

Es war eine Mission zu erfüllen und er würde im Zweifelsfall bei dem Versuch, das zu tun sterben.

Vier Tage später erreichte er ein Gebiet, in dem die Landschaft wesentlich hügelreicher und wieder mit Tafelbergen durchsetzt war und er kam nur noch sehr schlecht voran. So kam es dazu, daß er am Ende des vierten Tages in einer kleinen Senke mit einem Bach rastete.

 

Joro fuhr hoch und sah sich um. Die Sonne war noch nicht vollständig aufgegangen und auf den Büschen und Felsen um ihn herum war überall Rauhreif.

Für einen kleinen Moment konnte er einen Schatten auf einem Hügelkamm, keine zweihundert Schritt von ihm entfernt sehen, dann bewegte sich nichts mehr.

Er griff den Hammer und versuchte sich aufzurichten, nur mußte er mit großer Frustration feststellen, daß er ihn zu dicht an den Bach gelegt hatte. Unter Zuhilfenahme des kleinen Dolches, den er zum Schneiden von Brot dabei hatte, hackte er, fluchend und sich ständig umsehend, die Scholle vom Hammerkopf, um diesen dann schließlich aufzuheben.

‚Magische Waffen. Man muß sie lieben’, dachte er und meinte, Celestus leise kichern zu hören.

Die paar Dinge, die er mit sich trug, hatte er schnell zusammengerafft und bewegte sich dann, Schild auf dem Arm und Hammer fest umschlossen, vorsichtig den Hügel hinauf.

Am Kamm angekommen, fand er dort nichts, aber als er seinen Blick schweifen ließ, konnte er am Horizont eine kleine Gruppe von drei Reitern erkennen. Und was für Reiter…

Es waren unzweifelhaft Orcs, die auf riesigen Worgen in Richtung einer Schlucht ritten, die in einem der vielen Tafelbergen war. Sie schienen es eilig zu haben, denn die Wölfe galoppierten mit gigantischen Sätzen auf die Kluft im Stein zu.

Dort war also das Lager. Keine Wochenreise von Bargum entfernt.

‚Das wird Omareth aber freuen, wenn er das hört’, meinte Joro spöttisch.

‚Keine Frage, er wird richtig begeistert sein’, Celestus klang nicht gerade entspannt.

‚Soll ich da wirklich hingehen?’

‚Deine Entscheidung.’

 

Der Bischof ging noch gut einen halben Tag weiter, wobei er immer langsamer wurde, je näher er dem Berg kam. Das schwarze Gestein des ehemaligen Vulkankraters wirkte bedrohlich.

Schließlich stand er plötzlich, nachdem er einige Zeit mit gesenktem Haupt grübelnd vor sich hingelaufen war, vor einer Stange.

Es war ein Holzpfahl, auf dem, an einem Querbalken hängend, eine ganze Reihe von Schädeln baumelte. Orcschädel, Rentierschädel, …Menschenschädel.

Joro schluckte.

‚Vielleicht…’

‚Ja?’

‚Warum hänge ich nicht einfach die Kette hier hin und gehe nach Hause?’

‚Vielleicht, weil du ein Versprechen gegeben hast?’

‚Aber…’, er schluckte noch einmal, diesmal so heftig, daß eine Portion Luft mit durch die Kehle wanderte, ‚ ich bin nur ein Bauer, der zu viel Glück gehabt hat. Was tue ich hier, außer mich selbst zum Narren zu machen?’

Celestus manifestierte sich vor ihm, die Arme vor der Brust verschränkt. Als er sie auseinander nahm und dann hob, bildete sich vor dem Gott ein Flimmern in der Luft und dann kristallisierte sich ein mannshoher Spiegel daraus.

Joro blickte in sein eigenes Gesicht und dann an seinem Körper herauf und herunter.

„Sieht so ein Bauer aus, Joro?“, fragte Celestus leise.

Etwas im Kopf des Bischofs wollte sagen: ‚Wenn man ein Schwein in ein Ballkleid steckt, hat man immernoch ein Schwein, nur eben eins mit einem Ballkleid.’ Das hatte sein Großvater oft gesagt.

Aber ein anderer Teil seines Bewußtseins brachte diesen Gedanken zum Schweigen.

„Nein. Ich bin der Bischof von Bargum und das Oberhaupt der einigen Celestuskirche.“

„Dann gehe und löse dein Versprechen ein.“

 

 

Plok saß auf seinem Thron in seinem Palast - also realistisch betrachtet einer überdimensionalen, schlecht gezimmerten Bretterbude - und sah auf den für Orkverhältnisse schmächtigen und schlanken Späher herunter.

Die Nachricht, die dieser ihm am Morgen gebracht hatte, war unglaublich gewesen: Ein einzelner Mensch war auf dem Weg zu ihnen.

Normalerweise hätte ihn das nicht gewundert, es gab selbst hier, in seinem Reich einige dumme Menschen, die glaubten, sie seien alleine sicher. Händler, Jäger, was auch immer.

Aber was diesen Mann anging, der da auf seinen Berg zugelaufen kam, hatte es zwei Dinge auf sich, die ihm seltsam vorkamen.

Erstens war dieser Mensch nicht nur einfach im Gebirge unterwegs, sondern lief schnurstracks auf seinen Berg zu. Selbst das hätte noch allein ein Zeichen von Irrsinn sein können, und Menschen spannen alle gewaltig, das wußte Plok.

Das Andere jedoch, was ihn wunderte und sogar ein wenig, nun, Angst hatte er natürlich nicht, Angst kannten nur Frauen und Idioten, also gestand er sich Sorge zu, war, daß ihm der Späher berichtet hatte, daß der Mann, der da kam ein Geist sein mußte. Genauer gesagt ein böser Geist, von dem man kleinen Orcs erzählte, wenn sie ihren Zwergen nicht aufessen wollten.

„Nuktu ist tot, Dummbeutel!“

„Aber, die Geschichten..?“

„Die Geschichten sind für solche Hohlköpfe wie dich. Ich gehe persönlich zum Tor und werde diesem Menschen den Kopf abhacken. Du kannst froh sein, wenn ich dich seinen Darm essen lasse. Ungesäubert!

 

Plok stand auf. Er war ein riesiger Krieger, selbst für einen Orc. Seine Schultern waren so breit wie die eines Ochsen und sein Nacken etwa so stark. Mit der Hand fest um den Griff seiner fast zwei Schritt langen Streitaxt, trat er aus dem Bretterverschlag und ging den Abhang herunter in die Mitte der Schlucht, in dem sein Stamm lagerte. Unten hatte sich schon eine große Menge von Kriegern versammelt, die alle wie wild durcheinanderdiskutierten.

Es war eine weitverbreitete, aber unwahre Legende der Menschen, daß die Orcs nicht über eine distinguierte Sprache verfügten. Sicherlich, ihr Wortschatz war vielleicht um einige Begriffe wie „Harfe“ oder „Unterhose“ ärmer, aber warum sollte man extra Worte erfinden, wenn man stattdessen „Klimperdingens“ oder „Frauenlappen“ sagen konnte.

Die Diskussion in der Mitte verstummte sofort, als sie ihren Häuptling den Berghang herunterstapfen sahen.

Viele der Krieger hatten ihre Stirn gerunzelt und hofften auf eine Ermutigung oder einen Schlachtaufruf von ihm, aber den Gefallen würde er ihnen nicht tun. Wenn sie sich schon wie die Frauen beim Kochen verhielten, würde er sie keines Wortes bedenken, sondern einfach nur an ihnen vorbei zum Tor laufen.

Er grunzte verächtlich und rempelte einen von ihnen im Vorbeigehen vorsätzlich an.

Die Krieger folgten Plok in einem großen Abstand. Wenn er nicht einmal etwas sagte, dann war er ausgesprochen schlecht gelaunt und wenn ihm jetzt einer quer kam, würde das mit einem eingeschlagenen Schädel enden.

 

Joro kam dem Tafelberg jetzt so nahe, daß er eine Palisade sehen konnte. Außerdem waren zwei Wachtürme an den Rändern des Schluchteinganges aufgebaut, auf denen jeweils zwei Orcs mit kurzen Bögen standen, die sich aber aus irgendeinem Grund, auch als er schon deutlich in Schußreichweite war, nicht dazu entschließen konnten, auf ihn anzulegen.

‚Ähm?’

Celestus schwieg und Joro keuchte vor Anspannung. Das war alles mehr als seltsam.

Als dann auch noch das Tor in der Palisade aufging und ein Riese von einem Orc hindurchtrat, eine gewaltige Axt auf der Schulter, die man ohne Zweifel auch hinter ein Pferd als Pflug hätte spannen können, rutschte ihm das Herz beinahe in die Hose.

Der Bischof hielt an und mußte sich stark beherrschen, weder Hammer noch Schild bereit zu machen.

Irrte er sich oder war der Orc, der da auf ihn zukam, auch immer unsicherer?

Auf zwanzig Schritte aneinander herangekommen, blieben Orc und Mensch stehen und sahen sich lange an. Joro hatte die Maske heruntergeklappt, dahinter fühlte er sich sicherer.

„Was du hier wollen?“ Die Stimme des Orcs war tief und dumpf.

„Ich bin hier, um euch etwas zu bringen.“

„Bringen?“, der Orc drehte sich halb um und schielte hinter sich, ohne Joro dabei aus den Augen zu lassen, „Was soll Mensch schon bringen?“

Joro griff in den Beutel, wobei der Riese vor ihm unwillkürlich zusammenzuckte und um ein Haar auf ihn losgestürmt wäre. Er biß sich auf die Lippe, wie konnte er so unvorsichtig sein.

Langsam zog er die Hand heraus und zeigte dem Orc dann die Knochenkette.

Das Gesicht des Grünhäuters wurde von Panik verzerrt und es mußte ihn unglaubliche Willenskraft kosten, nicht auf der Stelle zu fliehen. Joro kam sich lächerlich vor, denn immerhin hatte er doch nur eine alberne Kette in der Hand… Oder… war es mehr als nur das?

„Du Nuktu!“

„Wuss?“

„Du Nuktu! Du kommen meinen Kopf abzuhauen!“

„Erstens bin ich nicht Nuktu…“

„Doch!! Du Nuktu! Ich mit dir kämpfen, jetzt, hier!“

Der Orc griff die Axt mit beiden Händen und setzte an, auf Joro zuzustürmen. Dieser überlegte für den Bruchteil eines Wimpernschlages, ob er die Waffe greifen sollte, um sich zu verteidigen, aber dann klappte er einfach nur das Visier hoch.

Sein Gegenüber erstarrte mitten in der Bewegung. Dann ließ er die Axt vorsichtig auf halbe Höhe sinken, immernoch sprungbereit.

„Ich bin nicht Nuktu, glaub es mir doch bitte einfach!“

„Woher du dann haben Kette?“, der Orc zog eine Augenwulst hoch.

„Von einem deiner Ahnen, er hat sie mir gegeben.“

„Du lügen! Nuktu geraubt Kette von Vorfahre!“

„Ich bin ein Daishani, ich kann nicht lügen“, Joro zog die Halsberge herunter und zeigte einen Hals. Der Orc zuckte mit den Schultern, weil er es offensichtlich nicht verstand und Joro seufzte resigniert.

„Starke Magie. Kann nicht lügen. Böse Rune verbrennt mich wenn ich lüge.“

„Beweisen!“, die Axt hob sich wieder.

Wenn es sein mußte, mußte es eben sein.

„Ich bin der Kaiser von Hanlar“, sagte Joro betont ruhig, vorbereitet auf den kommenden Schmerz. Es war schon sehr viele Jahre her, daß er einmal gelogen hatte, damals, als er dem Nachbarn einen Apfel gestohlen hatte, aber die Erinnerung war frisch wie vom Vortag.

Die Rune an seinem Hals leuchtete rot auf und das Fleisch um sie herum begann zu dampfen, was ihn sofort dazu brachte: „Nein, bin ich nicht!!!“ zu brüllen. Der Schmerz hatte ihn fast in die Knie gezwungen, aber er wußte, daß er das auf keinen Fall zulassen durfte. Langsam erlosch das Zeichen an seinem Hals wieder und ein widerlicher Bratengeruch stieg in seine Nase.

Ein erstaunter Blick lag auf dem Gesicht des Orcs und er ließ die Axt vorsichtig sinken.

„Warum du dann haben Kette? Nicht verstehe.“

„Ich habe in einem Waldstück, einige Tagesreisen im Süden, ein Skelett gefunden, das wohl einmal einer deiner Vorfahren war“, keuchte Joro, immernoch nicht ganz erholt, „und er hat mich gebeten, sie dir zu bringen.“

„Aber Nuktu hat gestohlen Kette von Vorfahre.“

„Nein, hat er offensichtlich nicht.“

„Doch, doch!“

Langsam reichte es dem Bischof.

„Nein! Mein Gott, hör mir doch einmal zu! Ich habe Nuktu vernichtet, er existiert nicht mehr! Und diese Kette war nicht in seinem Grab, sondern in diesem Waldstück, bei dem Skelett deines Ahnen!“

„Du getötet Nuktu?“

„Ja, woher habe ich wohl sonst diese Rüstung?“

„Weiß nicht.“

Joro seufzte.

„Ja, ich habe Nuktu getötet.“

Dem Orc war anzusehen, daß er, trotz der Demonstration der Rune nicht ganz glauben konnte, was sein Gegenüber ihm da versuchte zu erzählen. Joro war sich langsam sicher, daß der legendäre Kriegsherr bei diesem Stamm einen mythischen Status genießen mußte und mit Sicherheit keinen guten.

„Es ist Nuktus Rüstung und dies ist sein Hammer“, der Bischof deutete mit der rechten Hand auf die Waffe, „Du glaubst doch nicht, daß er das freiwillig herausgerückt hätte, oder?“

„Aber Kette nicht in Grab?“, der Orc kratzte sich am Kopf, „Geschichte sagt Kette gestohlen von Nuktu.“

„Nein, der Geist deines Ahnen hat sie mir gegeben.“

„Du ihn auch besiegt?“, fragte der Orc lauernd.

„Er war tot, sein Geist ist erschienen und hat mich gebeten, sie hier herzubringen, also nimm sie bitte an dich“, Joro streckte die Hand aus und hielt ihm die Knochen entgegen. Sehr zu seinem Erstaunen wich der grünhäutige Riese zurück.

„Nein. Nein, du behalten.“

„Öh…“

„Kette böse, verflucht, Nuktu hat verflucht.“

„Nuktu konnte gar nichts verfluchen. Davon abgesehen hat er sie doch sowieso niemals bekommen.“

Den Satz hätte er sich sparen können, das wußte Joro schon, als er ihn sagte. Dementsprechend wunderte es ihn überhaupt nicht, als sein Gegenüber heftig mit dem Kopf schüttelte und die Hand abwehrend ausstreckte.

‚Was passiert eigentlich, wenn ich einen Shura rufe, wenn jemand zugegen ist, der ihm eigentlich etwas bedeuten sollte?’, fragte er die Stimme in seinem Kopf.

‚Ich habe keine Ahnung, das hat soweit ich weiß noch niemals irgend jemand getan’, antwortete der Gott ratlos.

Joro versuchte sich auf den einen bestimmten Geist zu konzentrieren. Dabei erinnerte er sich an die Vision, die dieser ihm damals geschickt hatte und fokussierte sich ganz darauf.

Das Sirren wurde schnell stärker und dann manifestierte sich ein Shura neben ihm. Der Orc seinerseits holte sofort mit seiner Axt aus, um nach ihm zu schlagen, aber ein einzelner Hieb der krallenbewehrten Hand des Geistes durchtrennte den Stiel und ließ das Axtblatt dicht an Joros Kopf vorbeisegeln.

Verblüfft hielt der große Grünhäuter inne und starrte die schemenhafte Gestalt an. Der Shura machte einen Schritt zu Joro und nahm ihm die Kette aus der Hand, wobei alleine die Berührung der Krallen zwei blutige Schnitte auf der Haut hinterließen, als seien sie von einem unsichtbaren Feld der Schärfe umgeben.

Die Kette beschädigten sie jedoch nicht, der Shura ging einige Schritte auf den Orc zu und reichte sie ihm entgegen.

Zunächst zögerte der Riese aber dann fiel er auf die Knie, senkte den Kopf und nahm sie mit beiden Händen entgegen.

Joro wagte nicht zu atmen.

Kurz nachdem die Kette den Besitzer gewechselt hatte, verschwand die schemenhafte Kontur des Geistes und der Bischof konnte zum ersten Mal in seinem Leben ein völlig fassungsloses Gesicht auf einem Orcschädel sehen.

 

Der Grünhäuter sagte lange nichts und Joro bemerkte mit Unbehagen, daß die Orcs auf den Wachtürmen immer unruhiger wurden.

Dann stand der riesige Orc zögerlich auf und sah ihm in die Augen.

„Ich Plok. Sohn von Runk.“

„Äh, angenehm, ich bin Joro Macun, Bischof von Bargum.“

„Von dir gehört“, Plok wischte sich mit der linken Hand Rotz unter der Nase weg, während er auf die Kette in seiner Rechten starrte, „mächtiger Zauber, das. Nicht gut du bringen hier.“

„Moment mal, du hast von mir gehört?“, fragte Joro fassungslos.

„Orcs nicht dumm, Orcs nur leben anders als Menschen.“

„Das kann man wohl sagen, ihr…“, der Bischof erwischte sich dabei, wie er beinahe etwas gesagt hätte, von dem er eigentlich keine Ahnung hatte, deshalb schüttelte er den Kopf „vergiß es, ich bin gerade nur etwas verblüfft.“

Plok beobachtete ihn und sah immer wieder zwischendurch auf die Knochen in der Hand.

„Nicht wissen, warum du nicht tot…“

„Warum sollte ich tot sein?“

Der Orc sagte nichts, sondern hängte die Kette vorsichtig um den Hals und murmelte, die Faust fest um einen Kaninchenschädel, der Teil der Kette war geschlossen ein paar Worte in seiner Muttersprache, dann streckte er den anderen Arm auf und deutete auf einen etwas höheren Busch in der Nähe.

Joro ließ einen Laut des Schreckens aus dem Mund, als er sah, wie der Busch plötzlich schwarz zu qualmen anfing und dann die Blätter wie Wasser von den Ästen tropften.

Wenige Augenblicke später war der Busch verschwunden.

„Ich…ich hatte ja keine Ahnung…“, er schluckte und fügte im Geiste hinzu: ‚Sag mir bitte, daß du das nicht wußtest!!!’

Celestus antwortete nicht, aber Plok tat es.

„Kette sind Fingerknochen von Vorfahren und heilige Tiere. Seit viele Generationen gesammelt Finger von mächtigste Schamanen. Und von besondere Tiere. Kaninchen zwei Köpfe gehabt, aber nur einer davon drei Augen!“ Er deutete auf den Schädel und in der Tat hatte dieser drei Augenhöhlen.

„Bist du auch ein Schamane?“

„Ich Häuptling. Wissen viel über Geister, aber nicht Schamane.“

„Oh, verzeih mir, ich wußte nicht, daß du der Anführer dieses Stammes bist“, Joro verbeugte sich tief und zu seinem Erstaunen hatten sich danach die Orcs auf den Türmen wieder ein Wenig beruhigt.

„Warum ich wohl herausgekommen?“, grunzte der Orc verächtlich.

„Ich gestehe dir, daß ich über Orcs nur die Geschichten kenne, die Menscheneltern ihren Kinder erzählen, wenn sie unartig waren.“

Plok legte den Kopf schief und hob einen Augenwulst – Joro wurde bewußt, daß der Mann vor ihm tatsächlich außer auf dem Schädel nicht ein einziges Haar am Körper zu haben schien – aber sagte nichts. Es war ihm anzusehen, daß er nachdachte.

„Nun, ich habe dir die Kette gebracht, ich hoffe, daß der Wille deines Vorfahren damit erfüllt ist. Lebe wohl.“

Joro wollte sich zum Gehen wenden, aber der Orc machte ein abweisenden Geste.

„Ich dich nicht gehen lassen.“

Des Bischofs Hand fuhr unbewußt an seinen Gürtel, aber Plok schüttelte den Kopf.

„Du mein Gast. Ich schulden dir das.“

 

Nicht ohne die Sorge, daß dies eine Geiselnahme sein könnte, nickte Joro, als ihm Plok deutete, mit ihm in die Schlucht zu kommen. Wer hätte jemals von gastfreundlichen Orcs gehört. Im besten Falle konnte er sich ja vielleicht darauf freuen, der Hauptgang des Abends zu werden…

Doch schon als sie das Tor in der Palisade passierten, war ihm klar, daß es nicht zwangsläufig dazu kommen mußte. Es war nämlich zu bemerken, daß die Orcs offensichtlich nicht nur generell vor ihrem Häuptling, sondern vor allem auch vor der Kette, die er nun um den Hals trug, Angst hatten. Ehrlich gesagt ignorierten sie ihn beinahe, sondern schauten nur voller Entsetzen auf die Knochen an Ploks Hals.

 

Die Schlucht war innen in einem grauenhaften Zustand. Überall lagen Unrat, Tierkadaver und Exkremente herum und die Orcs standen mittendrin, ohne daß es sie zu stören schien. An den Wänden waren Bretterverschläge gebaut, aber es gab auch Lager, die nur mit einem Tarp überdacht waren, deren Material Joro nicht näher begutachten wollte. Es war wohl Leder, aber er erkannte sehr unangenehme Formen von Körpern wieder.

In der Mitte der Schlucht gab es eine große Feuerstelle, auf der ein echter Scheiterhaufen brannte. Durch die Form der Schlucht, die sich oben verjüngte, erzeugte dieses Höllenfeuer ein erstaunlich warmes Klima, allerdings verstärkte diese Wärme wohl auch die Gerüche.

Und es stank bestialisch.

Weit oben am Hang konnte er eine ausgesprochen große Bretterbude sehen, über deren Eingang der Schädel eines Riesen prangte. Ohne Zweifel war das Ploks Refugium und darauf steuerten sie auch zu.

Es entging ihm auch nicht, daß auf der genau gegenüberliegenden Seite der Schlucht, ebenfalls hoch am Hang eine zweite, wenn auch etwas kleinere Behausung stand, die allerdings, anders als alle anderen, aus Steinen gemacht war. Der Bau war zylindrisch und bestand aus sehr schlecht behauenen Basaltblöcken, die Wände waren in vielen verschiedenen Farben mit Zeichen und Bildern bemalt.

Plok war nicht entgangen, daß Joro dort hinaufsah und meinte nur knapp: „Das Tempel.“

Sie betraten Ploks „Palast“ und der Geruch war fast schlagartig fort. Nicht nur das, es roch sogar einigermaßen gut darin, vornehmlich nach Essen.

Der Bischof war erstaunt, aber sagte nichts, da er nicht wußte, ob das nicht zu einem Fettnäpfchen werden konnte.

Sie erreichten den „Thronsaal“ und Plok gebot ihm, sich auf einen Schemel zu setzen, der dort stand. Der große Raum war rund und mit allerlei Beutestücken ausgeschmückt und Joro konnte anhand der schieren Masse derselben, sowie der Verschiedenartigkeit erkennen, daß der Häuptling sehr weit gereist, oder zumindest schon eine ganze Weile sehr weite Raubzüge unternehmen sein mußte.

Plok hatte den Menschen sehr intensiv beobachten und dessen Interesse an seinen Trophäen ließ den Orc auf seinem Thron ein paar Fingerbreit wachsen.

„Schatz meiner Ahnen! Aber natürlich ich das meiste gesammelt!“, fügte er hastig hinzu.

„Beeindruckend.“

Der Häuptling machte ein zufriedenes Gesicht und brüllte etwas in seiner Muttersprache.

Eine kleine, nackte Orcfrau betrat den Raum und fragte sehr leise etwas, Plok antwortete und sie verließ den Raum wieder.

Joro war ein wenig perplex und konnte sich auch eines gewissen Ekels nicht erwehren.

„Du haben Problem?“

„Ist das normal, daß eure Frauen nackt herumlaufen?“

„Frauen nur gut zum Kochen und für Nacht. Und wenn das nicht klappen, schmecken gut.“

Es fiel dem Bischof schwer, darauf irgendetwas zu entgegnen, deshalb sagte er stattdessen nichts und sah sich weiter um. Ihm fiel auf, daß es sich bei dem Beutegut in diesem Raum größtenteils um Gegenstände von Zwergen und Drow handeln mußte, allerdings waren auch durchaus einige Kunstgegenstände von menschlicher Hand. Dabei war aber keine Kohärenz in der Art der Objekte zu finden. Teils war es vergoldetes Geschirr und dann wieder Gemälde oder verzierte Waffen. Letztere waren vor allem an die Wände gehängt, was ihn nicht verwunderte. Bei einem Volk, daß Stärke und Kampf über alles andere stellte, waren Waffen und Rüstungen zweifelsohne die wertvollsten Jagdtrophäen.

Die Frau kam wieder in den Raum und trug dabei schwankend ein überproportioniertes Tablett herein, was sie auf einen gußeisernen Ständer stellte, der rechts neben dem Thron stand. Nach dem Absetzen beeilte sie sich, davonzuhuschen, denn Plok hatte bereits nach ihr ausgeholt.

Der Häuptling griff sich mit der einen Hand ein gebratenes Tier, daß Joro nicht identifizieren konnte und warf dann mit der anderen ein kleineres direkt vor den Bischof auf den Boden.

„Du essen, sehen hungrig aus.“

Joro hob es auf und bemühte sich, einigermaßen unauffällig den Staub herunterzustreichen, bevor er hineinbiß. Er war erleichtert, daß es sich um eine Bergratte handelte und nicht um die Überreste eines denkenden Wesens. Zudem mußte er sich eingestehen, daß er wirklich Hunger hatte.

Dennoch, von einem formellen Festessen konnte hier keine Rede sein, also wagte Joro, eine Frage zu stellen.

„Bin ich dein Gefangener?“

Der Orc sah ihn schief an und nuschelte, das Gesicht hinter seinem Braten:

„Gefanger oder Gast, was Unterschied?“

„Bei Menschen gibt es da einen und auch wenn du sicherlich gleich darauf hinweisen wirst, daß ich hier bei Orcs bin, sollte ich dich vielleicht darauf hinweisen, daß es eine schlechte Idee wäre, mich als Gefangenen zu nehmen.“

„Aha?“

„Jupp.“

Plok ließ den Braten sinken und fragte dann, Fleischstücke durch den Raum verteilend:

„Und warum das?“

„Weil ich in knapp zwei Wochen wieder in Bargum sein muß. Sollte das nicht geschehen, kommt hier eine Streitmacht von mindestens eintausend Mann an, Duergar, Drow und Menschen und wird hier alles dem Boden gleichmachen.“

Es war ihm klar, daß es sicherlich unter normalen Umständen eine schlechte Idee wäre, einem Gegenüber in so einer Situation zu drohen, aber immerhin waren Orcs dafür berühmt, Stärke zu respektieren.

„Kümmert mich nicht“, der Häuptling nahm den Braten wieder zum Gesicht und kaute darauf herum.

Das hatte also nicht geklappt. Also mußte er etwas Anderes versuchen.

„Außerdem diene ich dem Gott, dem auch Nuktu gedient hat. Darüber solltest du einmal nachdenken.“

Wieder ein Schuß ins Blaue, aber dieses Mal hielt der Orc tatsächlich inne und schaute ihn mit einer Mischung aus Angst und Zorn an.

„Du drohen mir schon wieder?“

„Ich habe dir nur klar deutlich gemacht, daß ich nicht einfach so als Gefangener in deinen Händen sein werde. Wenn es sein muß, werde ich auch gegen dich kämpfen.“

Plok sprang auf, warf den Braten in eine Ecke des Raumes und riß wahllos eine Waffe von der Wand, einen armlangen Streitkolben.

Aber der riesige Orc zögerte, unwillkürlich griff seine Hand an die Kette an seinem Hals, was Joro seinerseits aufspringen und sowohl Hammer als auch Schild bereitmachen und innerlich ein Stoßgebet an Celestus senden ließ.

Doch Plok bewegte sich nicht, sondern schien zu überlegen.

 

Eine Stimme erscholl am Eingang des Raumes, die in der Orcsprache sprach. Plok starrte weiter auf Joro und der wiederum wagte nicht, den Blick von dem Mann vor sich abzuwenden.

Der Häuptling sagte leise etwas, was von dem Neuankömmling mit eine Grunzen und dann mit einem Lachen beantwortet wurde. Doch als Plok den Talisman um seinen Hals anhob und präsentierte, wandelte sich das Lachen in ein angstvolles Schnauben.

Es ertönten Schritte neben Joro und in sein Blickfeld trat ein Orc mit weißer Kopfbehaarung und unglaublich vielen Narben im Gesicht und seinem nur mit einem Lendenschurz und einem Umhang bekleideten Körper. Kein Fleck seiner muskulösen Statur war nicht mit ehemaligen Schnitten und Stichen übersät, manche von ihnen bildeten sogar Muster, weshalb sich Joro fragte, ob sie nicht teilweise Ziernarben waren.

Der Neuankömmling machte noch ein paar Schritte auf Plok zu und sah dann hektisch zwischen Joro und der Halskette hin und her. Dann sprach er einige sehr hastige Sätze, bei denen er sogar vergaß zu schlucken, was sich in einem Speichelfaden im Mundwinkel manifestierte. Plok antwortete genauso schnell und sah dabei weiterhin dem Menschen in die Augen, den Streitkolben fest in der Faust.

Der alte Orc schüttelte jedoch den Kopf und ging dann auf Joro zu, den Arm ausgestreckt, um dann vorsichtig den Schild zu berühren, den dieser vor sich hielt. Als der grüne Finger den Rand berührte, zuckte er jedoch zusammen und taumelte ein paar Schritte zurück. Plok hob den Streitkolben, auf dem Sprung zum Angriff, aber der Alte hielt ihm die Hand vor die Brust und sagte ein paar leise Worte.

Des Häuptlings Blick war skeptisch, aber er ließ den Streitkolben sinken, immer noch Wut im Gesicht.

„Du mußt den Jungen entschuldigen, Priester, er weiß nichts über dein Volk, außer vielleicht, wie man es am besten zubereitet“, sagte der Alte in klar verständlicher Menschensprache, sogar mit leicht daishanischem Akzent.

Auch wenn er verblüfft war, ließ er weder Waffe noch Deckung sinken, so wie es ihn Omareth gelehrt hatte. Niemals glauben, man sei in Sicherheit, es sei denn man ist nur von Freunden umgeben. Und selbst dann… naja, hier fing dann eine seiner obligatorischen Drowansprachen an, die Joro meist überhörte, aber das war jetzt auch nicht wichtig.

„Ich… ich bin erstaunt…“

„Was, daß ich eure Sprache spreche? Orcs sind nicht dumm…“

„Jaja, ihr lebt nur anders, das hat mit Plok schon gesagt“, fuhr Joro ihm ungehalten dazwischen.

„Oh, das hat er gesagt?“, der Alte sah mit einem zweifelnden Blick zum Häuptling, dieser nickte nur grimmig.

„Ja, vorhin vor der Schlucht.“

„Es war ein großer Fehler von ihm, dich hier herzubringen und ich glaube, daß du mir zustimmen wirst.“

„Ich kenne eure Bräuche nicht gut genug, als daß ich dazu etwas sagen könnte. Allerdings war es wirklich eine dumme Idee, falls seine Absicht war, mich am Ende des Tages zu kochen und meine persönlichen Gegenstände als Trophäen zu behalten…“

In der Sicherheit, daß in den kommenden Augenblicken über Leben und Tod entscheiden würden, suchte ein Teil von ihm unbewußt nach Shuras in der Umgebung. Das Resultat brachte ihn kurzzeitig zum Taumeln.

Die Schlucht war bis zum Rand gefüllt mit den Geistern haßerfüllter Toter, die Orcs mußten hier eine gewaltige Menge Menschen, Zwerge, Elfen und anderer Völker getötet haben.

Plok setzte aufgrund seiner Schwäche zum Angriff an, aber der Alte brüllte, ebenfalls taumelnd, in unglaublicher Lautstärke ein paar Worte, die sowohl Joro als auch den Häuptling zusammenzucken ließen.

Die Shuras waren fort, oder zumindest konnte Joro sie nicht mehr wahrnehmen, aber jetzt war es der Alte, der ihn voller Schrecken ansah, was sich auch auf Plok übertrug, als er dessen Zustand bemerkte.

Der alte Orc kramte in einem Beutel, der an seinem Lendenschurz hing und holte ein weißes Pulver heraus, daß er so schnell er konnte hastig vor dem Thron auf den Boden streute.

Dabei murmelte er in einem leisen Singsang vor sich hin und klopfte sich dann drei Mal die Hände ab.

Dann sah er wieder zu Joro.

„Ich sehe, daß Plok einen größeren Fehler begangen hat, als er sich selbst je bewußt werden wird“, er wischte sich Schweiß von der Stirn, „und ich frage mich, wie wir diese Situation lösen können.“

Der Bischof hatte sich wieder gefangen und schaute jetzt nachdenklich auf den Alten.

„Du bist der Schamane, sehe ich das richtig?“

„Ich heiße Runk. Ich bin nicht nur der Schamane dieses Stammes, ich bin auch Ploks Vater“, er sah zu seinem Sohn herüber, „auch wenn ich schon mehr als einmal bereut habe, daß ich das bin.“

 

 

Kapitel 7

 

Der Sohn sah den Vater an und grunzte dabei abfällig.

„Du schwach! Zu viel Zeit mit Menschen verbracht!“

„Und du bist der größte Dummbeutel, den dieser Stamm je hervorgebracht hat, leider bist du aber mein Sohn und ein Kraftprotz, deshalb hast du es irgendwie geschafft, Anführer zu werden.“

„Ich dir sollten Kopf abreißen“, das klang nicht wie eine Drohung, sondern eher wie der Versuch, sich zu beschweren.

Wieder zu Joro gewandt redete der Schamane weiter:

„Du mußt unbedingt von hier verschwinden. Je eher unsere Leute erfahren, wer oder was du bist, desto eher werden sie von mir oder Plok fordern, dich den Geistern zu opfern. Nur wissen wir beide, welchem Geist du dienst und zu was du im schlimmsten Falle fähig bist.“

„Ich will hier niemanden provozieren, aber ich dachte immer, Orcs fürchteten sich vor gar nichts in der Welt?“

„Das ist auch normalerweise richtig. Aber die Legende über den, dessen Rüstung du trägst hat für unseren Stamm eine wichtige Bedeutung.“

„Nämlich welche?“

Runk lauschte für einen Moment, dann ging er zur Tür, riß sie auf und verpaßte der Frau, die dahinter stand einen gewaltigen Kinnhaken. Danach schlug er die Tür wieder zu und schob einen in der Nähe stehenden Kriegsflegel so in die Angeln, daß sie verkeilt war.

Was ein Hohn, die Wände waren so schlecht gezimmert, daß man praktisch hindurchsehen konnte, dachte sich Joro.

Doch der alte Orc ging weiter, er nahm aus einem anderen Beutel an seinem Gürtel ein Tongefäß, in dem eine zähflüssige rote Substanz war und begann, an die Wände Zeichen zu malen.

Während Joro interessiert zusah, bemerkte er im Augenwinkel, wo er immernoch den Häuptling beobachtete, daß dieser sich mit einem genervten Gesichtsausdruck wieder auf den Thron sinken ließ, den Streitkolben an die Seite lehnte und dann ein weiteres Stück Fleisch von der Platte nahm.

Runk war fertig, murmelte ein paar Worte auf Orcisch und ein leichtes Flimmern erschien hinter ihm in der Luft, ein wager Schemen, den Joro nicht identifizieren konnte.

Kurz darauf legte sich ein samtiges Gefühl auf des Bischofs Ohren und als der Schamane daraufhin sprach, klang es dumpf.

„Die Geister haben den Lauf der Zeit in diesem Raum verlangsamt, damit wir zumindest einen Moment haben, die Lage zu klären. Sie tun das allerdings leider nur ungern, deshalb sollten wir uns sputen.“

„Also, was machen wir jetzt?“, Joro entspannte sich wieder ein wenig, behielt Schild und Hammer jedoch in den Händen.

„Das neugierige Miststück da draußen hat sicherlich schon allen Bescheid gesagt und ist nur wiedergekommen, um herauszufinden, was sonst noch geschieht. Immerhin weiß ich so, was ich heute Abend essen werde…Aber ich lasse mich ablenken, also: wir sollten versuchen, dich irgendwie unter einem Vorwand aus der Schlucht zu bekommen…“

Joro schüttelte heftig den Kopf.

„Zunächst einmal würden mich die Umstände interessieren, vor allem was diese Kette und was Nuktu angeht.“

Runk sah sich besorgt um und lauschte, wobei kurzzeitig ein Wispern in der Luft zu hören war, dann nickte er.

„Also gut. Nuktu kam in den dunklen Zeiten durch diesen Landstrich und hat sich mit unseren Vorfahren den einen oder anderen Kampf geliefert. Er war schon sehr schwach zu diesem Zeitpunkt, aus seiner Heimat vertrieben, aber er war dennoch nicht machtlos. Bis auf ein paar wenige hat er sie alle getötet und ihre Seelen gestohlen, um sich selbst nach seinem Tode am Leben halten zu können.“

Das machte nur bedingt Sinn, zumindest vom Wortlaut, aber Joro konnte sich jetzt wesentlich besser vorstellen, wie es die Seelenessenz des alten Kriegsfürsten geschafft hatte, so lange den Widerstand gegen seinen eigenen Gott aufrecht zu erhalten. Er hörte weiter zu.

„Die Kette, die Plok jetzt trägt wurde von Generation zu Generation von den Schamanen unseres Stammes getragen und mit jedem Individuum, das es trug um einen Teil ergänzt. Jeder Knochen an dieser Kette hat eine besondere Fähigkeit, vor allem weil sie nach dem Tode des Trägers dessen Geist in sich aufnimmt und dem von ihm zugefügten Teil Kraft gibt.“

„Und mit Nuktus Angriff ging sie verloren.“

„Genau das. Du wirst allerdings an meiner und auch Ploks Reaktion abgelesen haben, daß hier niemand wirklich traurig war. Ehrlich gesagt haben wir uns eher gefreut, daß dem so war, denn diese Kette war zwar ein Symbol der Macht, aber sie hat auch viel Leid über uns gebracht. Nuktu kam auch nur deshalb zu uns, weil er davon gehört hatte.“

„Ich frage mich, wie ein Mensch von einer Orclegende erfährt.“

Runk streckte sich und machte ein würdevolles Gesicht.

„Unser Stamm war, bevor er durch Nuktus Krieg hierher, nach Süden, verdrängt wurde der mächtigste Orkstamm des Weltengebirges. Sogar Drow und Duergar hatten Angst vor uns.“

„Aber?“

Der Schamane sank wieder ein Stück in sich zusammen.

„Die Kette hat ein Eigenleben. Zumindest hatte sie das früher, jetzt gerade bemerke ich nicht viel davon, was aber auch eine Täuschung sein könnte. Die Geister der Ahnen darin konkurrieren miteinander und der jeweilig dominierende bestimmt auch das Verhalten dessen, der sie trägt.“

„Mit anderen Worten, wenn ein nicht ganz so freundlicher Ahne darin die Macht übernimmt, dann verwandelt sich der Träger auch in ein…Monster?“

„Nicht physisch, aber charakterlich. Das hat uns unsere Vormachtstellung gekostet, als ein irrer Häuptling es schaffte, kurz bevor er starb noch seinen Geist in die Kette zu bringen. Daraufhin hat es immer wieder Perioden gegeben, wo unsere Häuptlinge völlig wahnsinnig wurden und Dummheiten begingen. Insofern hat er unsere Gesetze umgangen, nachdem ein schwacher oder schlichtweg zu dummer Anführer sofort zu töten ist, sobald sich seine Schwäche zeigt.“

„Aber warum bannst du diesen Geist nicht einfach aus der Kette?“

„Das kann ich einem Mann, der keine Ahnung von Schamanismus hat, sicher nicht in der kurzen Zeit erklären, die wir noch haben“, Runk drehte sich zu Plok um und sah ihn böse an, „Warum hast du die Kette überhaupt angenommen?!“

„Hm?“, Plok sah von der Rentierkeule hoch, die er gerade mit seinen Hauern zermalmte und sagte dann hastig: „Ahne hat mir gegeben, konnte nicht anders.“

Runk sah fragend zu Joro, aber der nickte und erzählte im knapp, wie er zu der Kette gekommen war und warum er sie hergebracht hatte.

„Verdammt! Das muß genau dieser Ahne gewesen sein…“

„Glaube ich nicht, derjenige, der mir die Kette gab, hat einen sehr geradlinigen Eindruck gemacht und fühlte nichts als Stolz, als er an seiner Heimat dachte.“

„Gib mir die Kette, Dummbeutel!“, Runk trat auf seinen Sohn zu und auch wenn dieser als Reflex erst an den Streitkolben griff, mußte er sich wohl gewahr werden, daß er in diesem spezifischen Gebiet seinem Vater unterlegen war. Es war so oder so seltsam, wie Plok dem Schamanen gegenüber reagierte.

Der Schamane zögerte einen Moment, das Schmuckstück überhaupt zu berühren, was ihm sein Sohn entgegenhielt, dann nahm er es dennoch.

Die roten Zeichen an den Wänden flackerten hell auf, als der alte Mann die Knochen berührte und auch der Schemen erschien wieder hinter ihm. Plok preßte sich eng in seinen Thron, sichtlich unangenehm berührt.

Joro beobachtete dieses Mal genau, was da hinter Runk war und konnte erkennen, daß es eine wage humanoide Gestalt war, die jedoch den Kopf eines Wolfes, vier Arme und an den Enden derselben lange, dünne Krallen hatte. Die Augen des Schamanen leuchteten in einem bläulichen Licht und es zuckten kleine Entladungen daraus hervor, als er mit seinen groben, kurzen Fingern einzeln über die Knochen fuhr.

Das samtige Gefühl auf Joros Ohren war beträchtlich stärker geworden und als Runk schließlich aufsah, immernoch blaue Funken aus seinen Augen sprühend, und sprach, hörte es sich an, als rede er durch ein Kissen zu ihm.

„Es ist erstaunlich und ich bin mir nicht sicher, wie das zustande gekommen ist, aber es scheint als sei ein Teil der Geister verschwunden. Stattdessen hatten die anderen Zeit, sich zu entfalten.“

Joro schluckte, denn das Gefühl, daß die Zeichen in seinem Kopf machten verursachte ihm immer stärker werdende Übelkeit.

„Das heißt, daß diese ihre eigene Macht verstärkt haben?“

„Ja, wie es scheint haben sie in all der Zeit, in der sie unter diesen Steinen lagen, miteinander gekämpft und nur die stärksten haben am Ende weiterexistieren können.“

„Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Sache?“

„Das kann ich dir noch nicht sagen, aber ich weiß immerhin schon, daß ich sie Plok nicht wiedergeben werde, denn er wird damit nur Unheil verursachen.“

„Hey! Kette ist meins!“, Plok versuchte wieder zu protestieren, aber sein Vater ignorierte ihn und fuhr stattdessen fort:

„Auf der einen Seite macht das die Situation einfacher, weil wir dadurch nicht gezwungen sind, uns mit einem alten Übel auseinandersetzen zu müssen, aber das wird trotzdem nicht deine Anwesenheit hier rechtfertigen, es sei denn…“

„Ja?“, fragte Joro.

„Es sei denn du forderst Plok zu einem Duell.“

„Was?!“, riefen sowohl Bischof als auch Häuptling gleichzeitig.

Sowohl Joro als auch Plok begannen damit, wild auf den Schamanen einzureden, bis Runk einen sehr scharfen Laut des Unmutes von sich gab.

„Haltet beide die Klappe! Du“, er zeigte auf Plok, „warst dumm genug, ihn hier einfach hineinzubringen, weil du dir leichte Beute erhofft hast, nachdem du die Kette in Händen hieltest und du“, jetzt war Joro an der Reihe, „hättest wissen müssen, daß man nicht einfach so in ein Orclager geht!“

Die beiden Gescholtenen setzten erst an, sich erneut zeitgleich rechtfertigen zu wollen, aber dann sahen sie einander an und dann beide auf den Boden. Runk hatte Recht.

Es war der Häuptling, der mißmutig grunzte und dann, den Streitkolben und noch eine Axt nehmend, aus dem Raum lief, wobei er sich, sobald er die Tür verließ mit unglaublicher Geschwindigkeit zu bewegen schien.

Der Druck auf den Ohren nahm aber ab dem Moment ab, in dem die Tür geöffnet worden war und verschwand schließlich. Joro sah zu Runk herüber, der die Kette gerade in seinem Lendenschurz verstaute.

„Wie kommt es, daß du dich so… menschlich verhältst?“

„Was meinst du damit, daß ich deine Sprache spreche?“

„Ich weiß nicht so recht… ich habe mir immer vorgestellt, daß Orcs soviel anders sind als Menschen.“

„Das sind sie auch, deshalb kannst du von denen da draußen auch nicht erwarten, daß sie dir so begegnen wie ich, aber im Gegensatz zu denen war ich fast fünfzehn Jahre lang der Sklave eines Magiers und habe dementsprechend Umgangsformen gelernt, wie sie die Menschen untereinander pflegen. Dabei solltest du aber nicht den Fehler begehen, zu glauben, daß ich innerlich ein Mensch bin. Wenn Plok dich besiegt, werde ich dein Gehirn essen“, der Schamane ging aus dem Raum.

Joro stand alleine da und schluckte. Sein Blick fiel zweifelnd auf Hammer und Schild und dann führte er sich vor Augen, wie groß und muskulös der Häuptling war.

Er hatte keine Chance gegen ihn, ein einzelner Schlag würde ihn schon von den Füßen fegen und dann war er praktisch schon tot.

‚Kannst du mir irgendwie helfen?’, fragte er Celestus.

Es schien als zögere der Gott für einen kleinen Moment, dann aber antwortete er.

‚Ich habe noch keine Ahnung, wie ich dich aus dieser Klemme befreien soll.’ ‚Was soll das heißen??’, Joro bekam es mit der Angst zu tun.

‚Es ist simpel’, Celestus’ Stimme war sehr ruhig, ‚Selbst wenn du Plok besiegst, wirst du nicht von hier fortgehen können. Sie werden dich als neuen Häuptling allerdings auch nicht akzeptieren können, also werden sie einen Weg suchen, dich zu töten und dann einen neuen Anführer aus ihrer eigenen Mitte suchen.’

‚Na prima’, der Bischof ließ die Schultern hängen, ‚Und was jetzt?’ ‚Es hilft nichts, jetzt mußt du erst einmal da herausgehen und mit ihm kämpfen.’

 

Als Joro vor den Bretterverschlag trat, war unten beim Feuer die Hölle los. Plok stand in der Mitte, Streitkolben in der rechten und Axt in der linken Hand, und war bereits mit Blut überströmt. Im Näherkommen konnte der Bischof einige tote Orcs erkennen, die neben dem Feuer lagen und der Häuptling griff auch weiter jeden, der ihm zu nahe kam, ohne Zögern an. So landete ein Schlag nach dem nächsten auf den Köpfen derer, die aus dem weiten Kreis der Anwesenden traten.

Der erste Orc erspähte Joro, griff sofort zu dem Beil an seinem Gürtel und stürmte auf ihn los.

Wortlos parierte dieser den Angriff und schmetterte ihm den Hammer in die Seite, woraufhin der Grünhäuter mit einem Wimmern zusammenbrach.

Einige der anderen, die auf ihn aufmerksam geworden waren, ließen daraufhin ihre Waffen wieder sinken, aber es gab dennoch eine Handvoll, die, während Joro weiter den Hang herunterschritt auf ihn zugestürmt kamen.

Er erledigte jeden einzelnen von ihnen, auch wenn er über die Angriffe mehr als überrascht war.

Nur.

Plok wurde auch angegriffen, dies mußte also eine Gelegenheit für jeden Stammesangehörigen sein, die Macht an sich zu reißen.

Erst als er sich durch den Kreis geprügelt hatte und in der Mitte stand, hörten die Angriffe sofort auf, stattdessen sahen alle gebannt auf ihn und ihren amtierenden Häuptling.

Plok spuckte blutigen Speichel aus und schaute ihn haßerfüllt an.

„Du feige!“

„Warum, ich bin doch hier!“

„Du mich warten lassen, damit mich andere schlagen! Aber nicht helfen, ich dich zermalme!“ Joro hatte gerade noch Zeit, das Visier herunterzuklappen, denn mit den Worten hob der riesige Orc beide Waffen und stürmte unverzüglich auf ihn zu.

Der Aufprall war so hart, wie er befürchtet hatte, aber irgendwie schaffte er es, auf den Beinen zu bleiben, auch wenn er trotz der Verteidigungshaltung, die er eingenommen hatte, mehrere Schritte rückwärts über den Boden schlitterte, bis die Sohlen seiner Stiefel wieder genug Reibung aufbrachten, um ihn anzuhalten.

Sein linker Arm war taub von der Attacke mit beiden Waffen, die Ploks auf ihn ausgeführt hatte und als dieser nachsetzte, konnte er auch nur mit Mühe einen Schlag mit dem Hammer abfangen, der andere traf wieder auf den Schild und machte aus der Taubheit einen schweren, dumpfen Schmerz in Unterarm und Schulter.

Der Orc fuhr fort, ihn vor sich herzutreiben, wobei Joro mehr als einmal nicht dazu in der Lage war, einen Schlag völlig abzufangen, so trafen ihn erst eine Attacke am Bein und dann ein schmetternder Schwinger mit dem Streitkolben am rechten Oberarm, was ihn dazu brachte, aufzuschreien und den Hammer loszulassen. Die Schlaufe an dessen Griff verhinderte, daß dieser herunterfiel.

Joro sah sich schon tot am Boden liegen, da bemerkte er, daß in ihm Unwillen aufstieg. Er war nicht so weit gekommen und hatte nicht so viel erreicht, als daß er jetzt sein Ende finden würde. Was hatte ihm Omareth einmal über Wut erzählt? Wenn man sie fokussierte, war sie ein wichtiger Verbündeter. Außerdem mußte er aufhören nachzudenken sondern einfach nur kämpfen, und zwar so, wie der General es ihm Tag für Tag eingebleut hatte.

Plok machte wieder Anstalten, ihn mit beiden Waffen gleichzeitig anzugreifen, aber Joro drehte sich im letzten Moment leicht nach links und ließ die Attacke an seinem Schild abgleiten. Gleichzeitig führte er seinen rechten Arm so, daß der Hammer, immernoch nur an der Schlaufe baumelnd, wie ein Flegelarm durch die Luft peitschte. Ihm war klar, daß ihn das aus dem Gleichgewicht bringen würde, sollte es nicht treffen, aber erstens war der Orc kaum zu verfehlen und zweitens hatte er nichts zu verlieren.

Und er traf.

Nicht nur, daß Plok von seinem Schild abgeglitten und ins Stolpern geraten war, als ihn der Hammer in den Rücken traf, schoß er nach vorne und fiel zu Boden.

Joros Waffe traf ihn beinahe selber am Knie als sie zurückpendelte, aber er nutzte den Schwung, der entstanden war und ließ die Schlaufe um sein Handgelenk laufen, bis der Griff von alleine in seine Hand sprang.

Er mußte sich dazu zwingen, sich nicht zu sehr damit aufzuhalten, sich über das geglückte Kunststück zu freuen, das konnte seinen Tod bedeuten. Also griff er den Hammer fest und setzte nach.

Aber Plok war noch lange nicht am Ende seiner Fähigkeiten und als der Bischof näherkam trat er, immernoch am Boden liegend, nach dessen Knöchel, wodurch Joro mit dem rechten Bein einknickte.

Die Axt verfehlte seinen Kopf nur knapp, als er ihn gerade noch hinter den Schild brachte.

In einer fließenden Bewegung drehte sich der Orc wieder in den Stand und es ging von vorne los, mit Joro im Rückwärtsgang.

Doch dieses Mal war Joro nicht nur mit der Kraft der Wut gesegnet, sondern dachte auch nicht mehr nach, sondern ließ sich völlig von seinen Augen und deren Wahrnehmung kontrollieren.

Plok war schnell, er war kräftig und konnte vorzüglich mit zwei Waffen gleichzeitig kämpfen.

Allerdings benutzte er fast die ganze Zeit die selben Angriffe, zunächst ein Schlag mit rechts, links, dann wieder rechts und dann mit beiden gleichzeitig.

Auch wenn Joro im Hinterkopf behielt, daß Plok vielleicht genau so agierte, um ihn schließlich mit einem unvorhergesehenen Trick zu überraschen, stellte er sich zunächst darauf ein, um dann seinerseits plötzlich, kurz nachdem er einen Schlag der Axt mit dem Hammer aufgehalten hatte, den Hammerkopf mit aller Wucht gegen den Orc zu stoßen. Dabei legte er sein ganzes Körpergewicht in die Vorwärtsbewegung, das linke Bein anhebend, um sich im Zweifelsfall abfangen zu können, falls er nicht traf.

Plok war sich zu sicher gewesen, denn der Stoß traf ihn mitten auf der Brust, als er wiederum mit dem Streitkolben ausholte, seinem Muster folgend.

Mit einer normalen Waffe wäre der Effekt sicherlich nicht so überragend gewesen, aber der Hammer zeigte beim Auftreffen wieder einmal sein Innenleben und eine weiße Wolke aus Eiskristallen explodierte auf dem Oberkörper des Orcs

Zu Joros Ungunsten war er zu nahe an seiner eigenen Waffe gewesen und trotz der Maske schossen einige Splitter in seine Augen. Es brannte fürchterlich und für kurze Zeit sah er nichts mehr.

Dabei hörte er Plok keuchen und auf dem Boden scharren, den Häuptling hatte es umgeworfen.

Die Orcs um sie herum stimmten ein Anfeuerungsgebrüll an, Joro wußte aber nicht, ob das nun ihm galt oder ihrem Anführer. Oder generell der Tatsache, daß Blut vergossen wurde.

Er griff sich unter die Maske und wischte sich die Tränen aus den Augen, die sich durch das nunmehr geschmolzene Eis auch noch verdichtet hatten. Als er die Hand wieder zurückzog, konnte er erkennen, daß er Blut auf dem rechten Arm hatte und es war nicht sein eigenes.

Plok hatte sich wieder aufgerichtet und starrte jetzt mit ständig wechselndem Gesichtsausdruck auf seinen Gegner.

Seine Brust war eine einzige blutige Schramme, offenbar hatte der Hammer zwar getroffen und auch Schaden angerichtet, doch war die Explosion von ihrer psychologischen Wirkung effektiver gewesen.

Der Häuptling begann ihn nun zum umkreisen und Joro bemerkte, daß ihm ein Teil seiner rechten Nasenseite fehlte.

„Zauberwaffe, eh?“, meinte Plok abschätzig, „Wird dir auch nicht helfen.“ „Das werden wir sehen.“

Joro machte eine Finte, die der Orc allerdings nur verächtlich aus der Luft fischte und dann mit der Axt nach seinem Waffenarm hieb. Der Bischof konnte sich nur im letzten Moment zurückziehen und das schartige Blatt kreischte funkensprühend über den Armpanzer.

Er war sich nicht sicher, ob es intelligent gewesen war, den Orc dazu zu bringen, seine vermeintliche Überlegenheit zu überdenken, denn nun mußte er mit allem rechnen und er konnte sich nicht vorstellen, daß Plok, wenn er nachdachte, ungefährlicher wurde.

Da fiel ihm etwas ins Auge, daß ihn überraschte. Er konnte oben am Hang erkennen, wie Runk vor seiner Hütte tanzte und dabei immer wieder etwas in das kleine Feuer warf, das davor brannte.

Jedes Mal, wenn er das tat, schien sich die Verletzung auf Ploks Brust ein wenig zu schließen. Also war klar, auf wessen Seite der Schamane stand, ehrlich gesagt wunderte es ihn auch nicht.

‚Wie mächtig sind diese Geister?’

‚Du hast vorhin gesehen wieviele Shuras hier sind, Joro.’ ‚Die Orcs beten Shuras an?’

‚Nein, aber Runk ist ein sehr alter und unglaublich mächtiger Schamane. Für ihn ist jede Lebensessenz nichts Anderes als eine Energiequelle. Ich glaube er könnte auch einem Menschen einfach so die Seele aus dem Leib reißen, wenn er wollte.’

‚Willst du mir sagen, daß er die Toten benutzt, um seinen Sohn zu heilen?’ Joro wich nur knapp einer Ausfallattacke aus und schaffte es, mit einem nicht sonderlich guten Hieb wieder Distanz zwischen sich und Plok zu bringen.

‚Würdest du das nicht auch für deinen Sohn tun?’ ‚Mein Gott…’

‚Ja?’

Der Bischof machte einen verärgerten Laut.

‚Mann! Ich meine damit, daß das nicht die verdammte Zeit für Grundsatzdiskussionen ist. Kannst du mich nicht einfach mit irgendeinem Segen belegen, der das ausgleicht?’

‚Was schwebt dir denn vor?’

Es reichte Joro, er machte einfach eine Satz vorwärts und begann, wie ein Berserker auf den tatsächlich verblüfften Orc einzuprügeln. Gleichzeitig rief er innerlich so laut er konnte jeden Shura in einem Umkreis so weit, wie es seine Gedanken erlaubten, es sich vorzustellen. Seine Augen begannen sich mit Schwärze zu füllen.

Während die meisten seiner Angriffe an der Deckung des Orcs verloren gingen, war oben vor der Hütte des Schamanen eine Veränderung zu erkennen. Langsam aber sicher kam Runk ins Wanken und irgendwann blieb er stehen, sich mit immer stärker wachsender Sorge umblickend.

 

Die wenigen Orcs, die immernoch auf den Wachtürmen am Schluchteingang standen wurden Zeugen eines furcheinflößenden Bildes.

Am Horizont bildeten sich graue Wolken. Zunächst nur wenige und sehr klein, aber wo sie sich trafen verschmolzen sie miteinander, wurden größer und dunkler. Und es wurden immer mehr und mehr.

 

Auch wenn seine Schläge den Orc kaum trafen und er selber mehrere Treffer einstecken mußte, die seine Rüstung glücklicherweise größtenteils abfing, zeigte sich in den folgenden Augenblicken, daß je mehr Unruhe in Runk zu erkennen war, die Stärke des Häuptlings abnahm.

Die Wunde auf seiner Brust mußte doch wesentlich tiefer sein, als es von außen aussah und ohne die Unterstützung seines Vater machte sie Plok immer mehr zu schaffen.

Der Orc hustete Blut und konnte Joro nur mit einem Tritt auf den Schild von sich fortbewegen. Dieser taumelte zurück, aber sobald er das Gleichgewicht wiederfand, stürmte er wieder auf den einen Kopf größeren Grünhäuter zu.

Dabei brüllte er: „Celestus, gib mir Kraft!“

Und genau das tat dieser.

Plok hatte sich darauf vorbereitet, Joros Schlag mit beiden Waffe gekreuzt abzufangen, ihm seine Waffe aus den Händen zu reißen und ihn dann mit einem gezielten Schlag zu töten, aber als der Hammerkopf auf Streitkolben und Axt traf, zerschmetterte ein schwarzer Blitz, der direkt aus dem Himmel fuhr beide Waffen des Orcs und der Hammer traf mit voller Wucht auf seine linke Schulter.

Als hätte ihn der Blitz selber getroffen sackte Plok zusammen wie ein Sack, den man auf den Boden wirft.

 

Das Heulen außerhalb der Schlucht wurde lauter und lauter und auch die ersten Orcs im großen Kreis um das Feuer, die das Geschehen im Inneren nicht so gut sehen konnten, hörten es und drehten sich um.

Mittlerweile war es eine fast schwarze Wolke, die mit unglaublicher Geschwindigkeit auf den Tafelberg zuraste und wo sie den Boden berührte verwelkte das Gras, Büsche zerfielen zu Staub und Wasser wurde zu einer braunen Gallerte.

 

Im Inneren des Kreises herrschte fast panische Stille, als die Orcs ihren Häuptling mit zerschmettertem Körper auf dem Boden liegen sahen.

Runk kam vom seiner Hütte herabgestürmt, abwechselnd zu seinem Sohn und zum Eingang der Schlucht sehend.

Er trieb sich mit wuchtigen Schlägen eine Schneise in den Kreis und rannte dann in die Mitte.

Seine Augen waren blutunterlaufen und auch aus seiner Nase kam ein rotes Rinnsal. Erst sah er mit eiskaltem Blick auf seinen Sohn und dann starrte er Joro haßerfüllt an.

„Du bist genau der Selbe, wie jener, der die Rüstung vor dir trug, dummer Mensch! Du bringst Verderben, wohin dich deine Schritte führen, weil du über nichts nachdenkst, was du tust!“

Runk griff nach den Schultern seines Sohnes und hob ihn an, sichtlich so geschwächt, daß er nicht mehr dazu in der Lage war, ihn alleine zu heben, aber keiner der Orcs setzte auch nur an, ihm zu helfen.

„Du wolltest ein Duell, Runk, jetzt lebe mit dem Resultat desselben!“, Joro fixierte den Orc durch die Sehschlitze und wich nicht einen Moment vor dessen Blick zurück.

„Hörst du das da draußen? Kannst du sie hören?!“ „Ja, ich habe sie gerufen, damit sie dich daran hindern, weiter ihre Brüder zu töten!“ „Brüder?! Hat dir als Kind keiner beigebracht, nicht mit dem Feuer zu spielen?! Das lernen sogar unsere!“ „Hättest du nicht die Regeln ignoriert, hätte ich es nicht getan, aber du mußtest Plok ja helfen!“ „Du hast keine Ahnung! Es gibt keine Regeln, das war ein Kampf auf Leben und Tod!“ Joros Bewußtsein wurde kalt. So kalt, wie die tiefste Nacht im höchsten Norden.

„Und das ist auch das Ergebnis. Es wird Tote geben, viele“, sagte er trocken, „Es sei denn ich halte sie auf.“

Runk lachte ein unglaublich bitteres Lachen.

„Das, was ihr Menschen Shura nennt und wir Orcs „T’Rakh“ kann man nicht aufhalten. Wenn sie entfesselt sind, wüten sie solange, bis sie vernichtet sind oder ihre Rache hatten. Aber du kannst zu den Deinen zurückkehren und dich damit brüsten, daß du einen ganzen Orkstamm vernichtet hast. Falls du meine Rache überlebst.“

Runk nahm eine Knochenkeule vom Rücken.

Der Bischof war schneller. Er schoß vorwärts und der Hammer landete hart auf der Stirn des Schamanen, der zusammenbrach.

Um ihn herum führerlose Orcs, die nur einen Moment zögerten, und dann wie die wilden aufeinander einzuschlagen begannen.

Joro sah sich fassungslos um. Waren sie sich nicht darüber im Klaren, daß der Tod in Gestalt einer heulenden Wolke auf sie zugerast kam?

 

Schon nach wenigen Augenblicken zeichnete sich ein Ergebnis ab, denn ein etwas größerer Orc , der eine kleine Anhängerschaft um sich geschart hatte, hob seine schwere Streitaxt über den Kopf und stieß ein Siegesgebrüll aus. Einige Dutzend Orcs lagen regungslos auf dem Boden.

 

Von Joros Füßen kam ein Röcheln zu ihm herauf und er sah Runk, der sich leicht aufgerichtet hatte, im Mundwinkel ein kleines Blutrinnsal.

„Du bist wirklich noch ein größerer Idiot als die meisten Orcs hier. Hättest du mich nicht attackiert, wäre es noch möglich gewesen, etwas zu tun, um sowohl den Stamm, als auch dein Leben zu retten. Jetzt bist du nur ein verabscheuungswürdiger Massenmörder...“, er hustete noch leise, dann brach er endgültig zusammen.

 

Zunächst war nur das kreischende Kratzen von Krallen auf Stein zu hören, dann brach die graue Masse in die Schlucht. Anders als in Noth dauerte es allerdings nur einen kurzen Moment, dann waren die Shuras wieder verschwunden, wobei Joro auffiel, daß bis auf Plok , Runk und die niedergeschlagenen Orcs keine Leichen oder deren Teile herumlagen.

Er schluckte.

Dann tat er ein paar Schritte auf Plok zu und beugte sich zu ihm herunter.

'Ich weiß, daß das jetzt seltsam klingen wird, aber besteht die Möglichkeit, ihn wiederzubeleben?'

'Was?'

'Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg war...Außerdem habe ich einen Plan, aber der wäre nur zu verwirklichen, wenn Plok nicht tot ist.'

'Das fällt dir früh ein, Joro...'

Bei genauerer Untersuchung stellte Joro mit Erstaunen fest, daß die Frage an Celestus sogar eigentlich überflüssig gewesen war, denn trotz der massiven Verletzungen atmete Plok immernoch schwach.

Joro verschwand keinen Gedanken darauf, was er als Nächstes tun sollte, sondern schloß die Augen und legte seine Hände auf die Brust des grünen Giganten.

Celestus antwortete und nach kurzer Zeit wurden die Atemzüge wieder tiefer und der Orc schlug die Augen auf.

„Ich noch lebe? Was passiert ist?“

„Naja“, der Bischof verzog sein Gesicht, „Ich glaube, daß ich soeben deinen Stamm ausgelöscht habe. Oder zumindest dafür verantwortlich bin, daß hier alle...“ Er sprach nicht weiter, sondern sah zu den anderen Orcs, die immernoch in der Schlucht lagen.

Rasch sprang er auf und untersuchte sie nach und nach, wobei er feststellte, daß jeder einzelne von ihnen noch atmete.

Was war hier passiert?

Zeit zum Nachdenken war später, Joro fiel auf die Knie, senkte den Kopf und begann leise, aber intensiv zu Celestus zu beten, daß er sie alle heilen solle. Im Nachhinein fragte er sich manchmal, ob diese Anfrage nicht eigentlich extrem unverschämt gewesen war, aber in diesem Moment wußte er einfach tief in seinem Herzen, daß es absolut richtig und notwendig war.

Um ihn herum bildete sich ein Kreis aus Schwärze, die wabernd über dem Boden schwebte und die Orcs begannen, einer nach dem anderen, die Augen aufzuschlagen.

Plok hatte sich soweit aufgerichtet, daß er das Schauspiel sehen konnte und schaute halb verwundert, halb ehrerbietig in Joros Richtung.

„Warum du das tust?“

Der Bischof beendete sein Gebet mit einem Dank und sah dann zu dem Häuptling.

„Weil es nur einen Grund geben kann, warum ihr alle noch am Leben seid. Shuras attackieren nur diejenigen, auf die sie einen Haß haben, zumindest wurde mir das einmal gesagt. Und auch wenn sie mit zunehmendem Alter nicht mehr genau wissen, wen sie eigentlich hassen, hatte ich schon seit langem die Vermutung, daß sie irgendwie merken, ob ein Wesen es wert ist, getötet zu werden oder nicht.“

Plok kratzte sich am Kopf.

„Kapier ich nich.“

Joro seufzte.

„Du lebst noch, weil du nicht komplett verdorben bist.“

 

Kapitel 8

 

 

Der Häuptling sah ihn bitterböse an.

„Soll das heißen Plok nicht stark?“

„Nein, das heißt eher, daß du nicht so dermaßen dem Bösen verfallen bist, wie man das vielleicht von einem Orc erwartet.“

Das mich in Sinnkrise stürzt“, wenn ein Orc verzweifelt dreinblicken konnte, dann tat Plok das gerade.

'Wenigstens ist er nicht sonderlich intelligent, also kann er sich immernoch rühmen in einer Weise einem typischen Orc zu entsprechen...', Joro mußte ein Grinsen unterdrücken, auch, weil ein betroffener Grünhäuter so gar nicht dem entsprach, was man meinte, über dieses Volk zu wissen.

'Unterschätze ihn besser nicht, immerhin kennt er das Wort 'Sinnkrise' ', Celestus klang ebenfalls amüsiert.

Die anderen Überlebenden kamen auch wieder auf die Beine und sahen sich verwirrt um. Es mußten so an die dreißig sein, allesamt eben noch tödlich verletzt auf dem Boden, jetzt plötzlich wieder im echten Leben.

Joro ging zu Plok herüber und half ihm auf die Beine. Der stand erst ein wenig wackelig da, dann ging er zur Leiche seines Vaters herüber.

„Er tot“, sagte er nach einem Moment des schweigenden Betrachtens.

„Es...tut mir leid, Plok.“

„Macht nichts. Ich ihn nie gemocht. Mich immer dumm genannt und verhaun.“ In Joros Kopf machte sich allmählich ein Konflikt breit, denn er mußte sich darum bemühen nicht bei jedem Wort und jeder Aktion seines Gegenübers in Muster der Vorurteile zu verfallen. Plok war mit absoluter Sicherheit kein normaler Orc und auch wenn es ihn prinzipiell nicht überraschte, daß er seinen Vater nicht gemocht hatte, war es schwer, nicht fast automatisch davon auszugehen, daß Orcs generell ihre Eltern hassen.

Wenn der Häuptling aber all dem entsprechen sollte, was die Geschichten über sein Volk normalerweise aussagten, warum lebte er dann noch und war nicht wie Großteil seines Stammes tot?

Der Orc hatte sich soweit gefangen und sah jetzt mit einer halb herausfordernden, halb unsicheren Miene auf Joro herab.

„Und?“ „Und was?“

„Was wir jetzt tun?“

Joro kratzte sich am Kopf. Die letzte halbe Stunde war mit einer ganzen Reihe von impulsiven und bei genauerem Nachdenken nicht sonderlich klugen Entschlüssen durchsetzt gewesen und nun mußte er, wenn er denn irgendetwas zu retten hatte, recht vorsichtig vorgehen.

Er sah den Grünhäuter an und sagte: „Wir begraben die Toten. Und dann werden wir beide uns einmal unterhalten.“

Mit Begraben war nichts, denn sowohl Plok, als auch der Rest der Orcs, die Joro kontinuierlich mit einer Mischung aus Furcht und Ärger betrachteten, bestanden auf ein Verbrennen der Toten. Joro hatte ein ausgesprochen schlechtes Gewissen, denn immerhin war er für das frühzeitige Ableben aller ihrer Verwandten verantwortlich, aber auf der anderen Seite hätte die Alternative mit dem eigenen solchen geendet.

Also schichteten sie gemeinsam vor dem Eingang der Schlucht einen gewaltigen Haufen an Brettern und anderem brennbaren Material auf, um dann die Leichen darauf zu legen und ein Feuer darunter zu entfachen.

Als die ersten Wogen aufloderten, machte sich plötzlich eine peinlich berührte Stimmung unter den Orcs breit, die Joro dazu führte, Plok zu fragen:

„Was ist los? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ „Hmmm... Wir nicht haben Schamane mehr. Nicht gut. Tote Krieger müssen zu Geistern.“ Das war die Chance, auf die Joro insgeheim gehofft hatte.

'Das wäre jetzt eine gute Gelegenheit, eine kleine Show hinzulegen, meinst du nicht?' Celestus summte nur fröhlich.

 

Joro hob die Hände und fing an, laut zu beten. Die Krieger, die um ihn standen sahen zunächst noch mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck zu, aber als sich plötzlich aus den Leichen der Gefallenen schwarze Schemen lösten, die noch kurz über den Körpern verharrten, sich dann aber auflösten und mit dem Rauch gen Himmel fuhren, hörte er das eine oder andere erstaunte Einatmen. Dann loderte der Scheiterhaufen einmal hell auf und fiel dann in einen Haufen Asche zusammen.

Plok starrte eine Weile nachdenklich auf den Hügel und wandte sich dann an Joro.

„Du Schamane?“

So etwas Ähnliches. Ich diene nicht den Geistern als solchen, ich diene einem Geist.“ „Hmmm. Starker Geist?“

„Er ist nicht schwach, nein.“ (Celestus machte einen grunzenden Laut, den Joro ignorierte) Plok dachte nach. Auf eine Art und Weise, daß man sich bildlich Zahnräder vorstellte, die sich langsam – und mahlende Geräusche machend – in seinem Kopf drehten.

Dann sah er besorgt auf die kleine Schar an Kriegern, die ihm vom seinem Stamm noch geblieben waren und, was Joro beinahe aus der Fassung brachte, seufzte.

„Dann wir müssen dir folgen. Hier nichts mehr gibt, keine Zukunft.“ Joro sah ihn überrascht an.

„Ist das dein Ernst?“

„Kein Stamm kann sein ohne Schamane. Und Runk tot. Du neuer Schamane von Stamm jetzt.“

Die knapp dreißig Orcs sahen mehr oder minder hoffnungsvoll zu ihm herüber und Joro begann sich zu fragen, warum dieses Volk überhaupt Häuptlinge hatte, wenn ihm schon vor wenigen Stunden klargeworden war, daß Runk die eigentliche Führungsposition dieses Stammes eingenommen hatte. Oder zumindest hatte das so gewirkt.

Vielleicht war das auch so eine Aufteilung in Politik und Krieg, wie es in den menschlichen Kreisen Daishans der Fall war. Oder... vielleicht war es auch eine Form von Organisation, die das Denken auf eine Person delegierte und der Rest konnte dann fröhlich dem brutalen Unsinn nachgehen.

Gehupft wie gesprungen, er sah eine Chance und ergriff sie.

„Dann sollten wir uns unterhalten, was wir als Nächstes tun, komm!“

 

Plok sah zu seinen Untergebenen herüber und brüllte einige kurze Anweisungen in der Orcsprache, dann zeigte er auf einen etwas kurz geratenen, allerdings nichtsdestotrotz sehr muskulösen Orc und winkte ihn zu sich.

Das Krut. Er mein Sergeant.“

Dein was?“

„Äh, mein Stellvortreter?“

„Stellvertreter, meinst du?“

„Nein, er treten Leute, die sich vor mich stellen.“ Joro unterdrückte den Impuls, sich vor die Stirn zu kloppen und zuckte nur mit den Achseln.

Sie gingen zu den Überresten von Ploks Bretterbude, Verzeihung, Palast und setzten sich in die Mitte des ehemaligen, naja, Thronsaales. Sehr zu Joros Erstaunen kamen aus unzähligen Verstecken eine ganze Reihe Orcfrauen gelaufen und sahen ihren Häuptling erwartungsvoll an.

'Wie kommt es, daß die alle überlebt haben?'

'Orcfrauen leben in einer Welt, die sich von der der Drow nicht gravierender unterscheiden könnte. Außer ihren Männern zu dienen und Essen zuzubereiten haben sie keinerlei Aufgaben. Und wenn du genau hinsiehst ist mindestens die Hälfte von ihnen schwanger. Man muß Plok lassen, daß er in dieser Hinsicht keine Mühe scheut.'

'Mit anderen Worten: Sie haben weder die Zeit noch die Möglichkeit irgendwelche Untaten zu verüben?'

'Genau.'

Der große Orc bellte ein paar Befehle und die Herangeeilten zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen, vermutlich um für irgendeine Form von Verkostung zu sorgen.

Dann wandten der Häuptling und der Tretende auffordernd Joro zu.

Nach kurzem Nachdenken richtete der sich auf und griff in die Taschen seiner Robe. Wortlos nahm er die Kette heraus und reichte sie Plok.

Dieser zuckte zurück, aber Joro hielt den Arm ausgestreckt.

„Du bist der Häuptling, du trägst die Kette.“

Auch wenn sich kurz noch Widerstand im Gesicht des Orcs abspielte, nahm er die Kette schließlich an und hängte sie um seinen Hals. Seine Augen weiteten sich, als sie seine Brust berührte.

„Kette...“

„Ja?“

„Nicht mehr verflucht!“

„Was meinst du?“

„Kette stark, Kette mächtig, aber böse Geister fort.“

„Das hat dein Vater schon gesagt.“

„Nein, du nicht verstehen. Waren immernoch böse Gedanken in Kette als du mir geben. Nicht mehr jetzt. Nur noch Kraft.“

Plok hob seinen rechten Arm und für kurze Zeit flimmerte die Luft um ihn herum, bis plötzlich lange Krallen aus seinen Fingerspitzen wuchsen. Fasziniert starrte der Orc eine Weile auf seine Hand, und dann verschwanden die Krallen wieder.

„T'Rakh haben Geister aus Kette verbannt, aber Kraft von Geister immernoch dort!“ Konnte ja nicht schaden. Joro nickte.

„Gut. Dann wird uns das helfen. Als Nächstes sollten wir darüber reden, was wir jetzt zu tun gedenken.“

Die beiden Orcs schwiegen und sahen ihn wieder so an als sei er eine Mischung aus Unterhaltung und potentiellem Abendessen. Joro hatte generell das Gefühl, daß diese beiden Dingen für dieses Volk ungefähr den gleichen Stellenwert hatten.

„Nun, ich habe etwas, daß ich euch erzählen muß. Im Süden hat ein Krieg begonnen. Die Hochelfen haben sich im Namen ihres Sonnengottes daran gemacht, alle angrenzenden Länder zu erobern und wenn ich mir ansehe, was bisher geschehen ist, werden sie nicht aufhören, bis alle, die nicht ihrem Gott dienen, oder vielmehr alle, die nicht so sind wie sie, vernichtet sind.“

Ploks Gesichtsausdruck fiel praktisch auf den Boden. Joro meinte sich zu erinnern, daß Orcs und Zwerge sich nicht sonderlich gut leiden konnten, aber er hatte auch einmal eine Geschichte gelesen in der Behauptet wurde, daß Orcs eigentlich zu Anbeginn der Zeiten einmal ein Elfenvolk gewesen seien, das aus irgendeinem Grund verflucht wurde und seither ihre weniger feine Existenz leben mußten. Wobei das sicherlich Ansichtssache war, vor dem Zwischenfall mit den Shuras hatte dieses Orclager nicht unbedingt einen unglücklichen Eindruck gemacht. Er mußte schlucken und hatte ums wiederholte Mal ein schlechtes Gewissen.

„Spitzohren wollen Krieg?“

Joro unterdrückte den Impuls, Plok auf seine eigenen, nicht sonderlich runden Ohren hinzuweisen und nickte stattdessen.

„Nicht nur das, die haben sogar schon damit angefangen. Vor einigen Tagen haben sie sogar Bargum angegriffen...“

„Menschenlager? Großer schwarzer Palast?“

„Äh, ja, kann man so nennen. Das ist die Stadt, in der ich wohne. Und es ist kein Palast, es ist ein Kloster.“

Plok und Krut kratzten sich simultan am Kopf.

Der Stellvortreter zog die Nase hoch und fragte: „Was Unterschied?“

„In einem Kloster leben Priester. Menschen, die dem Geist dienen. Der, äh, Häuptling von Bargum lebt in einem Schloß in der Mitte der Stadt.“

Ploks Gesicht leuchtete auf.

„Aha, also Schamane von Menschenlager auch Anführer wenn nicht Krieg?“ Joro war sich nicht sicher, was er darauf antworten sollte. Ihm kochte schon wieder die Magensäure hoch, wenn er sich darüber bewußt wurde, daß das Kloster von Bargum nicht nur etwa viermal so groß war, wie die Residenz des Fürsten, sondern auch, daß man von außerhalb der Stadt eigentlich nichts Anderes als das Kloster als prägendes Merkmal der gesamten Siedlung wahrnahm.

Abreißen kam allerdings nicht in Frage.

„Nein, bei uns haben die beiden Dinge nichts miteinander zu tun. Oder zumindest nicht mehr, aber das ist auch nicht wichtig gerade. Ich wollte eigentlich eher darüber reden, warum ich zu euch gekommen bin.“

Plok sah ihn ein wenig traurig, aber auch trotzig an.

„Kette zurückbringen, Orcs töten, nach Hause gehen?“

„Du weißt genau, daß ich nicht hier herkam, um irgend jemanden zu töten. Ihr habt mich dazu gezwungen, mich zu verteidigen.“

„Du dumm wenn denken daß einfach herkommen und Kette hierlassen und nach Hause gehen“, die Unterlippe des Orcs rückte nach vorne.

Joro seufzte.

„Ja, das ist mir auf die harte Tour klar geworden, aber jetzt ist es so, wie es ist. Die Elfen sind eine Bedrohung und wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Ich hatte eigentlich gehofft, daß ich hier mehr Verbündete finden könnte.“

Der Häuptling fand sofort wieder seinen bösen Gesichtseindruck.

„Müssen kaputthauen.“

„Ich mag deine Entschlossenheit, aber es sind nicht mehr viele von diesem Stamm am Leben und das ist meine Schuld“, Joro setzte die Stirn in Falten, „ich glaube, daß ich eine gute Idee hatte und sie extrem schlecht umgesetzt habe.“

Zu seiner Überraschung grinste Plok plötzlich, lehnte sich zu ihm herüber und schlug ihm gönnerhaft und extrem schmerzlich auf die Schulter.

„Dann wir müssen suchen mehr, gibt viele Orcs hier in Bergen. Außerdem Orcs kriegen viele Kinder.“

„Und wie werden wir die dazu bekommen, sich uns anzuschließen?“

Der riesige Orc lehnte sich noch weiter zu ihm und machte eine verschwörerische Geste.

Wir machen Politik!“

„Und was beinhaltet das?“

„Oh, einfach. Wir gehen zu anderem Stamm, suchen größten Orc in Stamm und hauen ihm auf den Kopf.“

 

Kapitel 9

 

Am Nachmittag des dritten Tages nach dem Zwischenfall in der Schlucht lagen Plok, Joro und Krut hinter einer Hügelkuppe und schauten vorsichtig in eine Senke, in der sich hinter einer rauhen Palisade mehrere Gebilde befanden, die Orcs sicherlich als Haus bezeichnet hätten.

„Und nun?“

„Jetzt warten bis Abend, dann wir rennen rein und machen Politik.“

„Da unten sind mindestens zweihundert Krieger und die Palisade sieht verhältnismäßig gut gepflegt aus.“

„Wir warten bis Abend, rennen rein und machen Politik.“

„Wie kannst du dir sicher sein, daß wir nicht alle sterben?“

„Du nur warten, werden sehen.“

 

Tatsächlich änderte sich im Verlauf des frühen Abends eine Menge in dem sonst recht wehrhaft aussehenden Orcdorf. Schon in den späten Stunden des Nachmittags wurde Joro bewußt, daß die Wachen nicht mehr wirklich ihre Aufgabe wahrnahmen, sondern zunehmend betrunken wurden. Nach dem Wachwechsel geschah das Selbe, allerdings noch schneller.

„Ist das nicht gefährlich wenn die Wachen schon am Nachmittag saufen?“

„Ist Tradition. Wache langweilig, saufen einzig gut damit.“

„Und wer paßt auf Gefahren auf, wenn alle besoffen sind?“

„Worgen. Sehr zuverlässig.“

Joro sah herab zu den Verschlägen, in denen die Orcs ihre Reittiere und, wenn man den Aussagen Ploks vertrauen konnte eigentlichen Wachen hielten.

„Das sind mindestens drei Dutzend. Bist du dir immernoch sicher, daß das mit der Politik so einfach funktionieren wird?“

„Wachen zu betrunken um Käfig aufzumachen. Wenn wir rennen rein niemand uns aufhalten.“

„Wie zum Henker überlebt ihr eigentlich hier oben...“

 

Gesagt getan, als die Sonne untergegangen war, standen alle Orcs um Joro herum auf, griffen ihre Waffen fest in der Hand und rannten wie ein Haufen Irrer den Hügel herunter, laut brüllend. Omareth hätte in diesem Moment vermutlich vor Frustration geheult, aber während Joro ächzend, weil vom Liegen auf dem Boden an vielen Stellen seines Körpers wundgescheuert hinter ihnen herhumpelte, merkte er schnell, daß die wenigen Orcs die noch aufrecht auf den Wachtürmen stehen konnten einen eher interessierten Gesichtsausdruck annahmen, als daß sie auf die Idee gekommen wären, Alarm zu geben oder gar ihre Bögen zu spannen und sich auf einen Angriff vorzubereiten.

Die zwei oder drei Wachen, die das Unglück hatten, vor dem Tor zu stehen verloren dementsprechend auch verhältnismäßig unrühmlich ihr Leben und sanken mit einem überraschten Blick im Gesicht zu Boden.

Plok lief an vorderster Front direkt auf die größte Behausung zu und als er diese schon fast erreicht hatte, trat ein nicht unwesentlich kleinerer Orc aus dem Eingang, einen gigantischen Speer in der Hand. Eine ganze Reihe von selbst für die Sprache unkundige Personen als klare Kraftausdrücke zu verstehende Worte wurden gewechselt und dann sprangen beide gleichzeitig aufeinander zu.

Mittlerweile hatte Plok wieder seine große Streitaxt als Waffe gewählt und da diese nicht bedeutend kürzer war als der Speer befanden sich die beiden Krieger sehr schnell in einem hitzigen, aber ausgeglichenen Gefecht miteinander.

Joro wandte sich innerlich seinem Gott zu.

'Ist das der Moment wo ich als „Schamane“ des Stammes dazu angehalten bin, dem Häuptling zusätzliche Kraft zu verleihen?'

'Das kannst du nach eigenem Gutdünken entscheiden.'

'Warum so gönnerhaft?'

'Weil ich mich in den letzten paar Tagen ausgesprochen gut unterhalten gefühlt habe. Du und Plok kommen erstaunlich gut übereins, Joro.'

 

Das stimmte und Joro wußte nicht ob ihm das Sorgen bereiten sollte oder ob es nur eine natürliche Entwicklung war. Als er den riesigen Orc nun betrachtete, wie er auf seinen Gegner eindrosch, Finten schlug oder derben Stößen auswich dachte er nach, was in den letzten Tagen so geschehen war.

Er konnte beim besten Willen nicht sagen, daß er Ploks Vater gut kennengelernt hatte und auch wenn der Orc keinen Zweifel daran gelassen hatte, daß er diesen nicht sonderlich gern gehabt hatte, war es eine überraschende Erkenntnis gewesen, daß ihn der Häuptling seltsamerweise praktisch als neuen Vater angenommen hatte.

Dies war nicht falsch zu verstehen, der Orc war als Anführer seiner kleinen Schar absolut konsequent und, wenn es ihm nötig erschien, sehr brutal, aber während sie durch die Berge reisten waren immer diese kleinen Momente, wenn er kurz davor war, eine Entscheidung zu treffen, wo er kurz zu Joro herübersah und Zustimmung erwartete.

Das war ihm eigentlich nicht recht, aber als er sich mit der Tatsache konfrontiert sah, sich entweder zu entscheiden, ob er Autorität über den Orc haben sollte oder ob er das nicht so eng sehen sollte um dann vielleicht in der Zukunft ein Problem mit der Situation zu entwickeln, war die Entscheidung relativ einfach zu treffen.

 

Dabei war es noch nicht einmal schwierig.

Joro hob den Hammer über den Kopf und rief „Die Macht Gottes ist mit uns!“ Ein Barde oder voreingenommener Geschichtsschreiber hätte über das, was danach geschah in etwa Folgendes geschrieben: 'Und als der Bischof seine Waffe gen Himmel reckte und Worte der Beschwörung rief, fuhr die Kraft des Celestus in die Hand des großen Helden Plok und ließ seine Axt mit gerechter Macht auf den Kopf seines Widersachers niederbringen.' Realistisch gesehen war der andere Orc für einen Augenblick einfach nur davon abgelenkt, daß ausgerechnet ein Mensch unter den Angreifern irgendetwas in einer fremden Sprache brüllte, daß er die fatale Millisekunde zögerte und Plok seine Chance bekam.

Das Resultat war zwar unpoetisch, aber effektiv und sehr zu Joros Erstaunen rührte keiner der Orc des angegriffenen Lagers auch nur einen Finger. Stattdessen starrten sie Plok an und einige von ihnen warfen hin und wieder einen kurzen Blick auf den Bischof.

Der riesige Orc nutzte jeden einzigen Moment aus, um um sich zu sehen und böse, groß und brutal auszusehen. Dann riß er einfach nur die Arme hoch und brüllte aus der Tiefe seines Herzens und die wenigen Stammesangehörigen, die mit ihm gekommen waren stimmten sofort ein.

Nur Augenblicke später stimmten nach und nach alle anderen Orcs des Lagers ein und in Kürze war die gesamte Senke von Gegröhle erfüllt.

Geheule von Worgen eingerechnet.

Eine ziemlich lange Zeit.

Als es dann genug war, ließ Plok seine Axt sinken und begann kurze Sätze in seiner eigenen Sprache zu sprechen. Erst sahen die Orcs verwirrt aus, dann sahen sie immer öfter zu Joro herüber und als der Orc seine Stimme lauter werden ließ und anfing auch noch wild um sich zu gestikulieren, machte sich nach und nach Unruhe unter ihnen breit.

Wohl gemerkt: fröhliche Unruhe. Immer mehr von ihnen grinsten oder wedelten ihre Waffen in die Luft oder bohrten sich weitaus vehementer in der Nase.

Als er schließlich fertig war, schwitzend und auch ein wenig außer Atem, zeigte er erst mit der Axt auf den Bischof und dann gen Norden.

Plok nickte Joro zu und kam langsam, fast gemächlich, zu ihm herüber.

 

„Geklappt. Nun wir haben mehr als, äh, wieviele hier?“

„Zweihundert hatte ich geschätzt.“

„Und wir hatten?“

„Dreißig etwa.“

„Das machen?“

„Zusammen zweihundertunddreißig. Du kannst nicht rechnen, sehe ich das richtig?“

Plok sah ehrlich verletzt aus.

„Kann rechnen, aber Orcs rechnen anders.“

„Da bin aber ich mal gespannt.“

Der Orc hob beide Hände hoch, legte die Daumen zusammen und spreizte die kleinen Finger und ließ diese Geste vor seinem Gesicht mehrfach über die anwesenden Orcs wandern. Dann nickte er zufrieden und wandte sich wieder Joro zu.

„Rotte. Noch nicht Haufen und noch lange nicht Horde. Horde am besten, aber schwer zu bekommen, Rotte reichen für kleines Plündern und vielleicht Karawane, aber nicht mehr als das. Deshalb wir gehen Norden.“

Joro stand und rechnete selbst, allerdings nicht Orcs, sondern Tage. Er hatte zu Alystin gesagt, daß er in vier Wochen wieder da sein würde, und ihm war komplett entfallen, wie lange er nun schon unterwegs war. Sicherlich noch keine vier Wochen, aber er wollte es auch nicht zu lange hinauszögern.

„Was ist im Norden?“

„Mehr Orcs“

Das war vielleicht nicht einmal so schlecht.

„Wieviele?“

Plok kratzte sich am Kopf.

„Nicht weiß. Vielleicht, äh, noch eine Rotte. Eventuell genug für Haufen.“

„Wieviele Orcs mehr sind ein Haufen?“

Hilflos streckte der Orc fünf Finger vor sich.

„Fünf?“

„Fünf?“

„Du streckst fünf Finger aus.“

„Ja, ich doch sagen!“

Eintausend Orcs Das klang schon eine ganz großes Bißchen interessanter als zweihundert und ein paar nicht mehr ganz so zerquetschte, wenn er sich das Wortspiel erlaubte.

„Also müssen wir noch mehr Politik betreiben?“ Ploks Antlitz hellte sich auf.

„Jaaaa, das werden ein Spaß! Aber erst müssen traurige Rotte ein wenig in Form bringen. Wir hier bleiben und Krut sie trainieren.“

Joro zögerte kurz, aber entschloß sich dann doch, es zu sagen: „Wir haben nicht zu viel Zeit, Plok, die Gefahr im Süden ist ausgesprochen nah und wir müssen schon sehr bald darauf antworten. Ich kann nicht ehrlich sagen, wie lange ich hier in den Bergen bleiben und, äh, politisieren kann...“

Der Häuptling sah ihn verständnislos an.

Du sagen wir müssen kämpfen gegen Elfen. Brauchen gute Krieger. Rotte trauriger Haufen, brauchen Mut, brauchen Sinn, brauchen Moral.“

Es war schwer, irgendetwas dagegen zu sagen und auch wenn Joro die Gedanken bezüglich Zeitdruck im Hinterkopf hatte, war es nicht abzustreiten, daß der Orc nicht nur Recht hatte, sondern auch, daß er die nun begonnene Sache nicht einfach so beenden konnte. Immerhin hatte er Verantwortung übernommen, wie auch immer die aussah.

Joro ließ die Schultern sinken und sah zu Plok auf.

„Du hast recht. Wir bleiben ein paar Tage und sehen was mit diesem Haufen, nein, ich meine natürlich mit der Rotte anzufangen ist.“

 

Das Quartier, das ihm die Orcs der Siedlung zugewiesen hatten, mit einigem Respekt in ihrem Verhalten, wie ihm auffiel, war wie zu erwarten eher eine Art Verschlag, dessen Wände nicht nur natürlich durchsichtig waren, sondern in dem es auch extrem zog. Von irgendwoher waren auch hier plötzlich eine ganze Reihe Orcfrauen aufgetaucht, die vorher praktisch unsichtbar gewesen waren und hatten so gut es geht die Utensilien des vorherigen Besitzers aus dem Weg geschafft. Was blieb war eine Lagerstatt mit getrocknetem Gras darunter und einigen Gemsfellen darüber, die nicht nur unglaublich nach Schweiß und vor allem anderen eingetrockneten Körperflüssigkeiten roch, eine Feuerstelle in der Mitte, in der immerhin ein wohlig knisterndes Feuer war und ansonsten war die Behausung leer.

Joro war müde und an allen Gelenken und auch den Stellen wo seine Knochen der Haut nahe waren so derart von der Rüstung durchgescheuert, daß er sich dazu entschloß, sie abzulegen, auch wenn er sich trotz allem nicht sonderlich sicher fühlte. Ein einziger Mensch unter einem Haufen... Verzeihung, Rotte Orcs war nicht die beste Situation, die sich irgend jemand wünschen würde. Aber auf der anderen Seite war Plok nun ziemlich offensichtlich deren neuer Anführer und wenn Joro eins über dieses Volk verstanden hatte, war es, daß sie konsequent demjenigen, der sie anführte sklavisch gehorchten. Auf die eine oder andere Weise ähnelten sie der Gesellschaftsstruktur der Hirten aus dem Norden.

Er mußte zwei Orcfrauen, die ihm eindeutige Angebote machten aus dem Verschlag scheuchen und dann stand er da, starrte erst kurz auf die Felle an der Wand und nahm dann seufzend die Decke aus seinen Bündel, legte sie nahe an das Feuer und legte sich ächzend auf den kalten und harten Boden.

 

Er stand im Eingang einer Höhle und blickte hinaus auf ein großes Bergtal, daß von gleißendem Sonnenschein erhellt war.

Die andere Seite des Tales war mit Tausenden und Abertausenden Soldaten in weißgoldenen Rüstungen gefüllt, in der Luft über ihnen schlugen hunderte von Lindwürmern mit ihren Flügeln, die Sonne ließ die Reflektionen auf ihren Schuppen wie Funkenflug erscheinen.
Nicht weit von ihm entfernt stand eine bekannte Gestalt, ein uralt erscheinender Elf mit schneeweißen Haaren, nur in ein einfaches, weißes Tuch gehüllt. Seine blinden, weißen Augen starrten ihn an.

Joro war überrascht, daß er keine Angst und keinen Zorn empfand, er sah dem Propheten mit einer Geistesruhe in die Augen, die ihn verwunderte.

Das haßverzerrte Gesicht des Elfen verzog sich zu einem höhnischen Grinsen.

Du bist dir also bewußt, daß dieses ein Traum ist?”

Diese Berge sind die Berge von Bargum und ich würde nicht einmal in einem Traum daran glauben, daß du so viele Soldaten so nahe hast. Zudem hätten dich meine Verbündeten schon lange zurückgeschlagen.”

Ein Lachen, das kaum Freude in sich trug erscholl aus dem Mund des Propheten.

Selbstüberschätzung ist eine Torheit die vor dem Falle kommt, Mensch. In weniger als einem Jahr wird die Legion ihre Arbeit mit dem „Kloster”, das der Götze, den du anbetest so liebt beenden.”

Das werden wir...”, Joro konnte den Satz nicht zuendebringen, weil er mit einem Male ein widerliches Gefühl hatte, als ob sich eine eiskalte Nadel in seinen Nacken bohrte.

Er fuhr herum, aber die Höhle war vollständig finster und er konnte weder etwas sehen oder hören.
Leicht verwirrt drehte er sich, mit der Hand den Nacken massierend wieder herum, und erschrak ob des Anblicks, der sich ihm bot.

Das eben noch sonnendurchstrahlte Tal war mit schwarzen Wolken bedeckt und es wehte ein kalter, beißender Wind. Die ganze Ebene war mit zerstückelten Leichen bedeckt, Vögel kreisten über der Szene.

Sehr zu seinem Horror konnte er unter den Leichen, die ihm am nächsten lagen eine ganze Reihe toter Drow, Menschen und Duergar erkennen und nirgendwo rührte sich, von den Krähen und Raben einmal abgesehen, auch nur eine Gliedmaße.

Das Stechen im Nacken kam zurück, und dieses Mal noch stärker als zuvor. Hatte er eine Stimme leise wispern hören?

Joro wandte sich erneut um, aber die Höhle war immernoch stockfinster.

Obwohl er sich sicher war zu träumen, machte ihm das Gefühl, daß etwas Böses in den Tiefen lauerte Angst. Dennoch konnte er sich nicht daran hindern, langsam vorwärts zu gehen.

Er klappte das Visier seines Helmes herunter und war glücklich zu bemerken, daß es auch im Traum funktionierte.

Innerhalb des begrenzten Sichtradius', den ihm der Helm gewährte war alles mit dem üblichen, violetten Schleier überzogen, die Wände der Höhle waren aus einem ausgesprochen glatten Stein, der kaum Risse oder Klüfte in sich hatte. Der Boden der Höhle, logischerweise aus dem gleichen Material, war vollständig leer, keine kleinen Steine oder Knochen, oder was man sonst so in einer gefährlichen, klischeegeladenen Situation erwarten würde.

Joro machte ein abschätzig grunzendes Geräusch und freute sich, daß die Ironie ihm ein wenig die Angst nahm.

Er ging langsam und vorsichtig vorwärts und je weiter er ging desto lauter wurde das Wispern, gepaart mit dem widerlichen Ziehen im Nacken. Es erinnerte stark an das Gefühl, daß er immer hatte wenn er mit Shuras kommunizierte, aber da war noch etwas Anderes. Oder...Jemand...

 

 

Joro schrak hoch und fühlte eine Hand, die sich hart auf seinen Mund preßte. Die instinktive Reaktion war, nach seinem Hammer zu greifen, aber sein rechter Arm wurde auch festgehalten. Was er auch tat, er konnte sich nicht bewegen.

Eine Stimme flüsterte leise:

„Versuch es gar nicht erst. Beruhige dich lieber und dann können wir reden.“ Das war einfacher gesagt, als getan, aber als er sich an die Dunkelheit im nur von Glut erhellten Raum gewöhnt hatte, machte er vage Gesichtszüge aus.

„Alystin?“

Sie nahm die Hand ein Stück fort und legte ihm dann den Finger auf die Lippen.

„Leise, wir wollen niemanden aufwecken.“

„Was machst du hier?”

Die kurze Pause, die auf seine Frage folgte füllte er in seinem Kopf mit einem Bild ihres Gesichtes, daß eine hoch gezogene Augenbraue mit einschloß.

„Hast du allerernstens geglaubt, daß ich vier Wochen in Bargum sitzen und darauf warten würde, daß eines Tages ein Bote mit deinem Kopf in einem Korb vorbeikommt?”

Er setzte an, etwas zu antworten, aber die Finger erhöhten ihren Druck.

„Mir ist sehr wohl bewußt, daß du das hier alleine machen wolltest und ich habe es dich alleine machen lassen. Aber es gibt irgendwo eine Grenze, was das Heldenspielen angeht und spätestens zu sehen, daß du ohne deine Rüstung in einer Hütte inmitten eines Orcdorfes liegst macht mir eine gravierende Übelkeit. Könnte Omareth dich so sehen prügelte er dir die Haut vom Rücken und böte sie anschließend den Orcs gegrillt als Abendessen an.”

Joro wußte, daß letzteres ein recht wahrscheinliches Szenario darstellte. Aber es machte ihn trotzdem böse, daß seinem Wunsch nicht nachgekommen war. Zudem ärgerte er sich, weil er sich übergangen fühlte. Aber konnte er ihr eigentlich vorhalten, daß sie sich Sorgen um ihn machte? Nein. Wohl eher nicht. Davon abgesehen gab es kaum einen Zweifel daran, daß sie ziemlich gut alleine zurecht kam, ein Faktum das sie generell nicht müde wurde, sowohl zu zeigen, als auch zu erwähnen.

„Du hast mit beiden sicherlich Recht, aber ich habe ein wenig das Gefühl, daß ihr mich nicht vollständig ernst nehmt, Alystin.”

„Erstens: wer sind „wir”, zweitens: ich habe weder Zweifel an deinem Selbstvertrauen, Joro, noch an deinem tatsächlichen Können. Aber mal davon abgesehen, daß ich mich oft genug frage, ob du dich nicht oftmals in dem, was du tust überschätzt.”

„Soll das heißen, daß Omareth und Ghaundar nicht einmal wissen, daß du hier bist?”

„Das ist unerheblich, weil die beiden keinen Einfluß auf meine Entscheidung, hinter dir herzugehen gehabt, geschweige denn gewagt hätten, einen zu haben.”

Joro runzelte die Stirn.

„Was das Überschätzen angeht kann ich nur sagen, daß es nicht so aussieht als sei hier irgendetwas schiefgelaufen.”

„Sag das ein paar hundert toten Orcs in einer gewissen Schlucht, die nicht weit von hier liegt. Außerdem: Was glaubst du, was der große Grüne mit dir macht, wenn er das Gefühl bekommt dich nicht mehr zu brauchen, hm?”

Er setzte sich halb auf, was ihm Alystin gestattete, und kratzte sich am Kinn.

Technisch gesehen bin ich sein Boß.”

„Ach was...” Mittlerweile waren seine Augen so gut an die Dunkelheit gewöhnt, daß die Augenbraue ein Faktum war.

Joro erzählte kurz, was in der Schlucht und den Tagen danach geschehen war und das er sich ziemlich sicher war, daß Plok ihn als Autoritätsperson akzeptiert hatte.

„Wie kannst du dir da sicher sein?”

„Nun, zunächst einmal ist Plok extrem intelligent, verschlagen auch, ja, aber vor allem intelligent. Außerdem habe ich recht schnell begriffen, daß er von der Unterstützung seines Vaters abhängig war, wir haben nicht viel darüber geredet, aber Plok ist schon ungewöhnlich lange Häuptling seines Stammes und das wäre ohne Runk nicht möglich gewesen. Ich habe in den letzten Tagen bemerkt, daß ich, ohne es zu wollen oder bemerken die Rolle des Schamanen übernommen habe. Und ob man es nun glaubt oder nicht, Orcs scheinen ausgesprochen religiös, oder vielleicht besser gesagt spirituell zu sein. Du wirst keinen finden, der nicht mindestens ein halbes Dutzend Amulette, Ohrringe oder Armbänder trägt, die er mit den Geistern verbindet.”

Alystin legte einen Finger auf den Mund und legte den Kopf schief.

„Und Herr Völkerverständigung akzeptiert es einfach so, zu einer religiösen Figur gemacht zu werden und spielt die Rolle, weil sie ihm in den Kram paßt?”

Joro fühlte echten Ärger in sich.

„Was Frau Llothpriesterin vielleicht als Sorge um meine Integrität empfindet hätte sie vielleicht ein wenig anders ausdrücken können.”

Zu seiner Überraschung reagierte sie nicht zornig sondern mit einem Aufblitzen in ihren Augen, daß er nicht erwartet hätte. Von dem, was sich in den nächsten fünf bis zehn Minuten abspielte mal ganz abgesehen.

Als er wieder einigermaßen klar denken konnte, wandte er seinen Kopf zu Seite, wo Alystin mit einem zuckersüßen Lächeln bereits seinen Blick erwartete.

„Wofür war das jetzt?”

„Oh, mindestens zwei Gründe.”

„Nämlich?”

„Ich war die letzten Wochen ein wenig einsam. Und davon abgesehen bin ich sehr erfreut zu sehen, daß du deine Tage des ständigen Entschuldigens langsam hinter dir läßt, mein Joro.”

Nun war er doppelt verwirrt.

„Soll das heißen, daß du mit der Entwicklung hier einverstanden bist?”

„Selbst wenn ich das nicht wäre, ist es deine eigene Entscheidung gewesen und du hast offensichtlich Erfolg gehabt, auch wenn es sich schwer abschätzen läßt, inwiefern und -weit sich dieser am Ende rentieren wird.”

Ein plötzlicher Gedanke ließ ihn hochfahren.

„Wenn die dich hier sehen...”

„Werden sie nicht. Davon abgesehen sind die Orcs gerade alle so derart von fermentierter Ziegenmilch betrunken, daß sie es vermutlich nicht einmal einordnen könnten. Du hast vielleicht bemerkt, daß es diesem Volk an Disziplin fehlt.”

Der spontane Einwand, der sich praktisch automatisch im Kopf von Herrn
Völkerverständigung bildete wurde von einer harten, logischen Überlegung sofort gekontert: Sie hatte Recht. Die Leichtigkeit, mit der Plok den anderen Stamm durch das einfache Töten des ehemaligen Häuptlinges übernommen hatte war, von einem strategischen Standpunk gesehen, katastrophal. Sollte Plok etwas zustoßen, was würde mit ihm geschehen?

Mehr noch: Konnte es nicht auch so sein, daß das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, daß der alte Schamane mit ihm gehabt hatte nichts Anderes als eine fatale, gegenseitige Abhängigkeit gewesen sein?

„Stirbt der Schamane, stirbt der Häuptling. Und anders herum.”

Alystin sah ihn mit einem Blick an der verriet, daß sie diesen Gedanken schon die ganze Zeit in sich getragen hatte. Sie nickte.

„Richtig. Deshalb sagte ich ja, daß dein Erfolg hier im schlimmsten Falle auf tönernen Füßen steht. Aber das bedeutet ja nicht gleichzeitig, daß er sich nicht auf auf gute Weise anwenden läßt...”

Joro nickte ebenfalls, auch wenn ihm ein kaltes Gefühl langsam den Rücken hochstieg. Es war gefährlich.

Er versuchte das Thema zu wechseln.

„Wie sieht die Lage in Bargum aus?”

„Kann ich dir beim besten Willen nicht sagen. Ich bin nur zwei Tage nach deiner Abreise selbst losgewandert. Du bist übrigens gar nicht so langsam.”

„Äh, danke.”

„Ich denke allerdings, daß, wenn nun alles nach Plan verläuft, die Vorbereitungen zum Abmarsch bald begonnen werden können.”

„Abmarsch?”, Joro sah sie verdutzt an, „Abmarsch wohin denn?”

Nun war sie es, die überrascht aussah.

„Ich dachte, dir sei bewußt, daß wir nicht auf ewig in Bargum bleiben würden, oder?”

„Nein... nicht wirklich... aber wo sollen wir denn hingehen und vor allem sind denn alle gut ausgerüstet, und...”

Sie schüttelte den Kopf.

„Bargum hat zwar eine Stadtmauer und das Kloster ließe sich fast wie eine Burg verteidigen, aber gegen eine richtige Armee, zudem mit fliegenden Truppen, könnte die Stadt keine Woche standhalten. Und was die Ausrüstung der eigenen Soldaten angeht: das verläuft wesentlich schneller, als du denkst. Einfache Waffen kann schon ein einfacher Hufschmied anfertigen, aber wir haben nicht nur eine ganze Reihe von Schmieden in der Stadt, sondern auch in der Enklave. Außerdem sind alle Hirten mehr oder minder dazu in der Lage, sich selbst Lederrüstungen und Waffen anzufertigen, einige von ihnen sind sogar richtige Schmiede und arbeiten, als hinge ihr Leben davon ab, was vermutlich auch der Fall ist”, sie hielt kurz inne, „und dann sind da noch die drei widerlichen, dicken...”

„Ja?” Joro grinste.

„Ich bin nach wie vor nicht davon überzeugt, daß es eine gute Idee war, mit Balthasar gemeinsame Sache zu machen. Duergar sind, unabhängig von deiner persönlichen Einstellung, im großen und ganzen unzuverlässig.”

„Es hängt ein riesiges „Aber” im Raume, meine kleine, schwarze Perle.”

Sie ignorierte das.

„Die drei Schmiede, die unser dicker König geschickt hat, sind kaum etwas Anderes als unglaublich zu nennen. Ein normaler Schmied braucht für ein Schwert von akzeptabler Qualität mindestens einen ganzen Monat. Für ein gutes Schwert zwei und für ein richtig gutes drei.”

„Und?”

„Sie fertigen fünf bis zehn am Tag. Und es sind gute Schwerter.”

Joro sah sie forschend an.

„Aber soweit ich Balthasar verstanden habe, sind sie Runenschmiede. Spielt da nicht auch Magie mit?”

„Nicht mit der Esse, die sie verwenden, zumindest glaube ich das nicht, wobei ich auch nicht allzuviel über Runenschmiede weiß. Ich konnte es mir nicht verkneifen und habe einen von ihnen gefragt, wie sie es im Namen der Götter hinbekommen, so schnell zu arbeiten. Und die Antwort, die ich bekam war ein höchst arrogantes „Es ist doch nur Eisen”...”

Der Bischof nickte.

„Das könnte die Erklärung sein. Ich habe keinen einzigen von Balthasars Soldaten mit auch nur einem Stück Eisen am Körper gesehen.”

„Laut Balthasar persönlich ist Eisen ein Abfallprodukt beim Bergbau von Adamantit und Mithril, was auch erklärt, warum nur einen Tag nach deiner Abreise gleich zwölf weitere Maulesel mit Eisenbarren in Bargum eintrafen.”

„Hm. Also ist die Ausrüstung kein Problem, aber wohin wollen denn nun Omareth und Olgerich abmarschieren.”

Alystin wirkte unsicher.

„Nach Süden, sicherlich. Aber wohin genau weiß ich selbst nicht, weil im letzten Treffen, das wir hatten noch immer kein Konsens geschaffen war”, sie hob den Kopf und lauschte, „ich muß gehen. Wir sprechen morgen abend, wenn es sich einrichten läßt.”

In Windeseile war sie angezogen und verschwand aus dem Verschlag.

 

 

Kapitel 10

 

Am nächsten Morgen trat Joro zum Lärm klingender Waffen aus der Tür und sah, daß Ploks Vortreter damit beschäftigt war, die assimilierten Orcs dazu anzutreiben, sich gegenseitig zu verprügeln. Es hatte beileibe nichts von einem geordneten Training, wie es Omareth organisiert hätte, aber als Joro sich neben ihn stellte grinste ihn Krut nur an (mit einer halben Mahlzeit zwischen den Zähnen, Joro nahm an, daß er vielleicht für später aufhob).

„Orcs trenihren.”

„Das sehe ich”, der Bischof ließ seinen Blick über das Chaos wandern, „Ist das normal, daß da hinten ein oder zwei nur rumliegen?”

Plok trat neben ihn, die Brust stolz herausgepreßt und lachte laut.

„Die zu schwach. Nicht mehr trainieren.”

„Wenn du mich fragst, sehen die ziemlich tot aus...”

„Ich ja sagen: Zu schwach!”

Joro kratzte sich an der Stirn.

„Wenn wir alle die, die zu schwach sind einfach sterben lassen, haben wir irgendwann keinen mehr, der kämpft.”

Der Orc zuckte mit den Schultern.

„Orcs machen viele Kinder. Wachsen schnell. Stark überlebt, schwach nicht.”

„Wie lange braucht denn ein Orckind, bis es erwachsen ist?”

Plok streckte die Finger an seiner rechten Hand aus, tippte mit dem linken Zeigefinger darauf (auf einige mehrfach, wie Joro auffiel) und wechselte dann zur anderen Hand. Dann seufzte der Orc und hielt unbeholfen sechs Finger hoch, vier an der rechten und zwei an der linken und sagte:

„So viele Monde.”

Der Bischof war verblüfft.

„Nur ein halbes Jahr?”

Der Häuptling zuckte wiederum mit den Schultern.

„Wenn du das sagen... aber so viele Monde”, er wiederholte die Geste.

Joro fand sich wiederum mit einem unangenehmen Gedanken konfrontiert. Wenn Orcs sich in der Tat so unglaublich schnell fortpflanzen konnten, war es vielleicht ein Segen, daß ihr Lebensstil in einem großen Fall der Fälle ein vorzeitiges Ende mit einschloß. Sonst wäre die Konsequenz für den gesammelten Rest der Welt mit Sicherheit nicht erfreulich gewesen.

„Wie lange lebt ihr denn?”

Plok sah ihn verständnislos an und es dämmerte dem Bischof, daß Orcs, vermutlich auch beruhend auf eben jenem Lebensstil, kein Konzept von Jahren hatten. Also versuchte er es anders.

„Wieviele Winter lebt ein Orc, wenn er nicht vorher an irgendetwas anderem stirbt.”

Die Verständnislosigkeit in Ploks Blick blieb noch in paar Sekunden, bis es ihm zu dämmern schien, was Joro meinte. Sofort veränderte sich sein Blick zu etwas Abschätzigem.

„Du meinen sterben weil alt und schwach?”

„Ja, richtig.”

„Nicht passieren. Ist feige.”

„Also geht ein Orc, der bemerkt, daß er alt wird und bringt sich irgendwie um?”

Wiederum Verständnislosigkeit, diesmal gepaart mit einem Wenig „mußt-du-so-doofe-Fragen-stellen” im Gesicht des Orcs

„Nicht passieren, Joro.”

„Aber dein Vater hatte graue Haare, das ist zumindest bei fast allen anderen Völkern ein klares Zeichen von Alter.”

„Runk reden mit Geistern. Geister entscheiden wann sterben. Krieger nie haben graue Haare, ist feige. Keiner respektiert Krieger mit graue Haare.”

Joro fand das seltsam. Soweit ihm das selbst bekannt war, wurden Krieger zumindest bei den Menschen sehr dafür geschätzt wenn sie alt und erfahren wurden. Sie konnten vielleicht nicht mehr in der ersten Reihe mitmarschieren, auch wenn es genug Geschichten gab, wo sie das dennoch taten und dann einen heldenhaften Tod fanden, aber sie hatten Erfahrung, die sie an jüngere Generationen weiterreichen konnten, und immerhin waren auch eine ganz Reihe von berühmten Feldherren nicht unbedingt noch in der Blüte ihres Lebens gewesen.

Als er Plok dieses Konzept erklärte, überraschte ihn dessen Reaktion. Der Orc sah plötzlich recht nachdenklich aus.

„Hmmm. Du meinen Krieger so gut, daß überleben bis alt und grau? Kann ich nicht vorstellen, wie soll das funktionieren?”

„Man könnte damit anfangen, ihnen zum üben statt scharfen Waffen und Eisenkeulen lieber Holzschwerter zu geben, damit sie sich nicht dauernd gegenseitig umbringen.”

Ploks Unterkiefer klappte herunter, dann wandte er sich zu Krut um. Kurze Momente später brachen beide in krachendes Gelächter aus.

Joro stand mit einer Schnute daneben und wartete mit verschränkten Armen, bis sie fertig waren.

Der Häuptling war völlig außer Atem, hatte auch Tränen in den Augen und stützte sich, immernoch kichernd und keuchend mit einem Arm auf Joros Schulter, was ihn fast umfallen ließ.

„Das gut! Das wirklich gut! Und lassen anziehen Schafspelze auch?”

Joro Blick wanderte zu den Orcs herunter. Zum ersten Mal fiel ihm bewußt auf, das nicht ein einziger Orckrieger wirklich so etwas wie eine Rüstung trug. Nicht nur das: Die kleinen, runden Schilde, die sie benutzten waren kaum mehr als ein Stück Holz mit einem Griff darauf. Die meisten bevorzugten sowieso eher, mit übertrieben großen zweihändigen Waffen zu kämpfen oder hatten eine in jeder Hand.

Er wandte sich wieder Plok zu.

„Genau.”

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis er Plok und Krut so weit beackert hatte, daß sie einwilligten, es zumindest zu versuchen. Dies schließ allerdings auch mit ein, daß der gesamte Rest der Orcs ihre beiden Anführer ansahen, als hätten sie vollständig den Verstand verloren.

Also seufzte Joro, deutete Plok, ihm dabei zu helfen, die Rüstung abzulegen und nahm dann einen Schafspelz und band ihn sich mit Lederstreifen über den Oberkörper. Dann ging er zu einem der vielen Holzstapel und griff sich zwei lange, halbwegs grade Knüppel und ging zurück in die Mitte, jetzt umringt von einer Schar grinsender, auf Unterhaltung wartender Orcs.
Er deutete Plok, es ihm gleich zu tun, und auch wenn der Häuptling erst Einwände zu haben schien, verstand er kurz darauf warum und ging, grinsend wie der Rest der Bande, mit der neuen Ausrüstung auf Joro zu.

'Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch hirnrissig, Joro.'

'Ist mir egal, Celestus. Ich hab irgendwann mal gelesen, daß man durch Beispiel anführen muß, weil es nichts gibt, daß überzeugender ist.'

'Und wer sagt dir, daß Plok nicht diese Gelegenheit zum Anlaß nehmen wird, seine Stärke demonstrieren zu wollen, indem er dich zu einem blutigen Klumpen haut?'

'Weil er klug genug ist, um zu wissen, daß er mich braucht, und weil er auch weiß, daß ich Dinge weiß, die er eben nicht weiß. Ich glaube kaum, daß er sich auf eine potentiell für ihn selbst demütigende Situation einließe, sähe er nicht einen potentiellen Nutzen.'

'Dein Wort in meinem Ohr.'

 

Plok sah mißbilligend auf den Knüppel in seiner Hand, dann auf seine leere Linke und sah dann Joro an.

„Und nun?”

„Einfache, grundlegende Angriffe und Paraden.”

Der Häuptling zuckte mit den Achseln und begann wild auf ihn einzuprügeln.

Es wußte, daß er in jedem anderen Falle, so Plok den Kampf ernstgenommen, oder gar, wie vorher geschehen, zwei Waffen gehabt hätte, nach einer halben Minute in der Tat als Blutklumpen in der Landschaft geendet wäre. Aber er hatte mit einem Drow trainiert. Einem sehr ernsten, zielbewußten solchen.

Er parierte jeden einzelnen Schlag und konnte sogar einem Schulterstoß des Orcs mit Leichtigkeit ausweichen. Ohne die schwere Rüstung am Körper war es einfacher, sich schnell und agiler zu bewegen.

Nach ein paar Momenten brachen sie auseinander und Plok musterte ihn. Er lächelte nicht mehr.

Der zweite Zusammenstoß war wesentlich heftiger, weil der Orc zwar immernoch wild drosch, aber dieses Mal gezielter zur Sache ging. Der letzte Schlag des Orcs traf ihn in der Seite und Joro konnte nur mit seiner vollständigen Willenskraft verhindern, mit einem Knie zu Boden zu gehen.

Er ächzte, aber hielt sich auf den Füßen, während er den Abstand zwischen ihm und dem Orc vergrößerte.

Außer Atem hob er seinen Knüppel und zeigte in die gesammelte Runde der Orcs

„Was wäre wohl passiert, wenn Plok eine richtige Waffe in der Hand gehabt hätte?”

Plok grinste.

„Du tot.”

„Richtig. Und was wäre passiert wenn ich das Fell nicht um den Leib gebunden hätte?”

„Rippen kaputt. Und vielleicht...”, der Orc hielt kurz inne und dann erhellte sich seine Miene, „und vielleicht auch tot...”

Der Häuptling warf seinen Knüppel fort und begann einen Schwall von Befehlen zu brüllen, dem die anderen Orcs zunächst noch skeptisch, aber dann mit immer mehr Begeisterung anhörten, bis die gesammelte Bande alle ihre Waffen von sich schmiß und nach Knüppeln zu suchen begann.

Joro war sich nicht so ganz sicher, ob er nicht vielleicht doch eine gebrochene Rippe hatte, zumindest tat ihm die Seite weh, als hätte ihn dort ein Bulle gerammt. Aber solange es der Bildung zugute kam sollte es ihm recht sein.

Er quetschte sich wieder in seine Rüstung und bemerkte, daß ihn Krut dabei eindringlich beobachtete.
„Das gute Idee, Mensch.”

„Natürlich. Ein Krieger, der einen Fehler macht und dadurch nicht umkommt, hat immerhin die Chance, aus diesem Fehler zu lernen und wird dadurch im Zweifelsfall ein besserer Krieger.”

Der Orc nickte.

„Bißchen weibisch, aber vielleicht funktionieren.”

Plok kam zu ihnen herüber, frenetisch den Kopf kratzend.

„Nur hoffen, daß nicht verweichlichen. Knüppel tun weh vielleicht, aber Blut ist Blut. Krieger der nicht lernt bluten kein guter Krieger.”

Joro schüttelte den Kopf.

„Ich habe mit Dunkelelfen trainiert, die vermutlich mehr Blut gesehen haben als in all Adern all deiner Krieger fließt, Plok. Und ich denke, daß die Drow recht gut als fähige Kämpfer bekannt sind.”

Der Orc sah zunächst nicht so aus, als verstünde er, was Joro gesagt hatte, aber dann ging ihm ein Licht auf und sein Gesicht nahm einen beinahe ängstlichen Ausdruck an.

„Drow sind kleine schwarze Elfen?”

„Genau.”

Plok trat einen Schritt zurück und sah Joro ungläubig an.

„Du kennen Drow?”

Joro war sich eigentlich sicher, das irgendwann vorher erwähnt zu haben, aber wie dem auch sei hatte Plok das vermutlich nicht richtig verstanden oder unterbewußt ignoriert.

„Ich lebe mit Drow, genaugenommen gibt es da sogar eine Frau unter ihnen, die mir sehr nahe steht.”

Der Häuptling schüttelte den Kopf und begann auf und ab zu gehen.

„Drow schlechte Neuigkeiten. Nehmen Orcs als Sklaven. Nehmen Menschen als Sklaven. Töten alle die nicht koo...ko... mitmachen.”

„Oh, das ist für eine ganze Reihe von ihnen tatsächlich die Art und Weise wie sie leben. Aber diejenigen, mit denen ich seit einiger Zeit Umgang pflege sind anders, Plok.”

Dieser sah ihn zweifelnd an.

„Schwer zu glauben.”

„Ist aber so. Die Drow mit denen ich lebe sind Ausgestoßene, die nicht mehr unter der Erde leben. Sie sind vielleicht auch manchmal ein wenig brutal, aber das erscheint mir nicht als eine Eigenschaft, die dir so sonderlich fremd wäre.”

Plok konnte sich zwar immernoch nicht mit dem Gedanken abfinden, daß es vielleicht auch Drow gab, die nicht alles in Reichweite entweder unterwarfen oder auslöschten, aber was für Joro besonders interessant war, war die Tatsache, daß der Orc offensichtlich einen Heidenrespekt vor den Dunkelelfen haben mußte. Es schien fast so, als fühlte er sich extrem unbequem damit, nur an sie zu denken. Das konnte von Vorteil sein. Sehr sogar. Böser Gedanke, böser, böser Gedanke.

 

Es dauerte eine Weile bis auch der letzte Orc die ganze Idee mit den Knüppeln ernst nahm, aber es war auch gut zu erkennen, daß Krut schnell das Faktum, Leuten auf den Kopf hauen zu können, ohne das sie gleich tot waren, zu genießen lernte. Und nachdem sich auch der letzte Orc bis zur völligen Erschöpfung mit seinen Artgenossen geprügelt hatte, gab der Vortreter ein Zeichen und die Schläuche mit der Ziegenmilch wurden herumgereicht.

Plok hatte sich, wie es sich wohl auch für einen Häuptling gehört, mit den Besten der Besten gemessen und war sehr zufrieden mit sich selbst, er saß mit einer ganzen Reihe hellvioletter Flecke auf seiner Haut vor dem Verschlag, den er bezogen hatte und nahm tiefe Schlucke aus dem ihm gereichten Schlauch.

Er hatte natürlich auf jegliche Form von Schutz verzichtet, aber Joro akkreditierte das kulturellen Zwängen.

Aber er war gut gestimmt und winkte Joro zu sich herüber.

„Hat gut funktioniert. Macht sogar Spaß. Erinnert ein wenig an Frühlingsfest, aber besser!”

Joro wollte sich gar nicht vorstellen, wie wohl ein orcisches Frühlingsfest aussah, auch wenn er spätestens nach diesem Kommentar eine recht gute Vorstellung davon hatte, wie das aussah.

„Ist es besser, weil die Krieger noch etwas dabei lernen?”

„Ja, ich denken, daß vielleicht paar gute Krieger dabei sind. Und mit deiner Idee überleben die vielleicht auch eine Weile. Gute Idee, wenn auch Bißchen weibisch.”

Der Bischof machte eine Kurze Pause, dann sagte er:

„Ich denke auch, daß sich schon in Kürze ein positiver Effekt einstellen kann. Wir müssen allerdings sehr bald losmarschieren, Plok. Mir läuft die Zeit weg und ich muß so schnell wie möglich nach Bargum zurück.”

Krut und Plok tauschten einen Blick und dann sah ihn der Häuptling ernst an.

„Du gehen nach Bargum, ich rekrutieren mindestens Rotte. Dann kommen und helfen.”

„Meinst du das ernst?”, die Anspannung, die Joro empfunden hatte ließ ein wenig nach.

„Ja. Du Schamane von Stamm, aber Schamane macht was Geister wollen, nicht was Stamm will. Wenn du gehen müssen, du gehen, wir kommen nach wenn fertig hier.”

Joro war sich nicht völlig sicher ob er nun glücklich oder mißtrauisch sein sollte. Auf der anderen Seite war ihm der Drang, nach Bargum zu gehen und nach dem Rechten zu sehen in den letzten Tagen beinahe unerträglich stark geworden und er hatte sich innerlich eine einfache und schnelle Lösung gewünscht. Dennoch. Es war ein wenig überraschend, daß der Orc ihn so schnell loswerden wollte, aber er konnte sich nicht so genau entscheiden, ob da nur seine verletzte Eitelkeit sprach oder ob Plok vielleicht etwas im Schilde führte.

Der Orc hatte wohl seine Gedanken erraten.

„Du Schamane von Stamm jetzt. Du verstehen?”

„Ich bin mir immernoch nicht so ganz sicher, was das genau bedeutet.”

„Das bedeuten, daß du das sein bis du sterben. Egal was passieren.”

Um ein Haar hätte Joro einen Kommentar bezüglich seiner Historie des Ablebens gemacht, aber er verkniff sich das. Mußte wohl Ghaundars schlechter Einfluß sein, der da am Werk war.

Stattdessen nickte er und sah sich einmal komplett im Dorf um.

Er hatte so oder so keine Wahl. Wenn das, was ihm Alystin gesagt hatte stimmte, war es höchste Zeit, nach Bargum zurückzukehren und zuzusehen, was Olgerich, Omareth und der Rest geplant hatten und beabsichtigten. Und warum sollte er auch kein Vertrauen haben. Wie bereits erwähnt war er sicher, daß Plok ohne ihn auf sehr unsicheren Füßen stand.

„Dann werde ich mich morgen früh auf den Weg machen. Ich hoffe doch, daß ihr konsequent weiter versucht, euch nicht gegenseitig umzubringen und zuseht, daß ihr eure Krieger besser werden läßt. Wie kann ich euch erreichen, wenn ich eure Hilfe brauche?”

Plok grunzte nur.

„Ein Mond und wir sind mit Politik fertig. Dann kommen nach Bargum.”

 

Dabei blieb es und während der ganzen folgenden Nacht lag Joro wach und fragte sich, ob das wirklich eine gute Idee war. Aber wenn sich diese Alternative nun bot, wäre er ein Idiot gewesen, diese nicht beim Schopfe zu packen. Zumindest war er davon überzeugt.

Zudem kam Alystin diese Nacht nicht zu ihm, was ihn nur noch mehr grübeln ließ. Die Orcs waren genauso betrunken wie die Nacht davor, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie ihre Gründe hatte.

Am nächsten Morgen erwachte er zu einem nun bekannten Geräusch. Draußen waren alle Orcs damit beschäftigt, sich gegenseitig bewußtlos zu prügeln. Dem Gelächter und den anspornenden Rufen der bereits auf dem Boden liegenden war zu entnehmen, daß sie ihren Spaß hatten, und mehr war vermutlich auch nicht zu wollen.

Joro hatte seine Sachen recht schnell gepackt und trat aus dem Verschlag. Der Anblick, der sich ihm bot entsprach vollends seinen Vorstellungen und mit einem schiefen Lächeln ging er gemächlich zu Plok herüber.

'Ich brauche etwas, das ich ihm geben kann.'

Celestus machte ein überrascht aufhorchendes Geräusch.

'Wie zum Beispiel..?'

'Einen Talisman, ein Amulett, keine Ahnung. Etwas, das klar Macht ausstrahlt, aber es muß vermutlich nicht besonders stark sein. Ich denke, daß das als Geste wichtig ist.'

Der Gott antwortete eine Weile nicht, dann fragte er:

'Was hast du denn anzubieten?'

Joro hatte sich das gut überlegt. Er hatte, gemäß dem, was Ghaundar und Omareth ihm beigebracht hatten, einen zweiten Feuerstahl mitgenommen, denn laut den beiden konnte es nie schaden, einen zweiten als Ersatz zu haben, falls einer verloren ging.

'Der Ersatzfeuerstahl. Ich habe gesehen, daß Orcs Feuer genauso machen wie wir, also könnte ein solcher, der garantiert jedes Mal Feuer macht, egal wie naß alles ist, ein guter Talisman sein.'

'Davon einmal abgesehen, daß du mich gerade darum bittest, einen Teil meiner Essenz darauf zu verwenden, einen Gegenstand mit verhältnismäßig wenig Bedeutung magisch zu machen, stört mich am allermeisten, daß die Orcs das am Ende als Geschenk irgendwelcher Geister ansehen werden.'

Joro hielt inne und kratzte sich am Kopf.

'Das ist so oder so etwas, das ich dich einmal fragen wollte, eigentlich schon seitdem die Hirten in Bargum ankamen: Gibt es die Geister, zu denen die beten, eigentlich überhaupt wirklich?'

Celestus schwieg einen Moment und sagte dann:

'Ja, die gibt es wirklich und ich rate dir, immer auf der Hut zu sein. Es sind zwar keine Götter, aber Personifikationen von Naturkräften. Ein arroganterer Gott würde das niemals akzeptieren, aber ich habe einen gehörigen Respekt vor ihnen.'

'Wirklich?'

'Was glaubst du, was Großvater Winter, und ja, der existiert in der Tat, für eine Macht besitzt. Und das ist nur ein Beispiel.'

'Könnte man die Orcs nicht davon überzeugen, daß du auch ein Geist bist. Oder so etwas Ähnliches, zumindest?'

Wiederum eine kurze Pause.

'Ich sage prinzipiell nicht nein, aber ich bin einmal sehr gespannt, wie du denen das verkaufen willst, Joro. Eine Gottheit, die Tote auf ihrem Weg ins Jenseits leitet ist nichts, was für einen Orc interessant ist. Ihrem Glaube zufolge kommt alles aus dem Matsch und wenn einer von ihnen stirbt, wird er wieder Matsch. Inklusive des Matsches der aus der Rückseite der Tiere kommt, die die Leichen fressen.'

'Laß mich mal machen, nur der Feuerstahl muß funktionieren.'

 

Joro ging nun wieder auf Plok zu, der ihn fragend ansah.

„Plok, ich habe mit meinem Gott, äh, dem Geist geredet, dem ich diene.”

„Aaah, und was sagen?”, mit der rechten Hand machte der Orc eine Geste, die beschwörerisch aussah.

„Er hat beschlossen, daß du mit deiner Aufgabe hier oben in den Bergen nicht einsam sein sollst. Da ich aber gehen muß hat er mir einen Talisman gegeben, der dich daran erinnern soll, daß du ihm nun auch dienst.”

Plok zog eine Augenbraue hoch.

„Ich soll Geist dienen?”

„Dieser Geist kann sehr wütend werden, wenn man ihm nicht gehorcht.” 'Oder?' 'Maßlos. Rede weiter, ich bin ganz Ohr...'

Der Orc machte ein schmerzhaftes Gesicht.

„Was wollen Geist wenn nicht böse werden soll?”

„Ihr sollt mit dem weitermachen, daß ihr angefangen habt. Außerdem sollt ihr in Zukunft eure Toten begraben”, er sah sich um und testete den Boden kurz, „oder zumindest Steine über die Toten stapeln, damit sie in Ruhe zu ihren Vorvätern gehen können.”

Plok schüttelte den Kopf.

„Du bist seltsam, Mensch. Und deine Ideen sein auch seltsam. Aber wenn das uns Kraft geben, dann soll so sein. Was machen Talisman?”

„Mein Go..Geist sagt, daß er sicherstellen will, daß ihr immer die Macht des Feuers habt. Auch wenn es regnet, auch wenn es schneit. Das soll euch daran erinnern, daß er immer auf euch schaut.”

Der Orc wirkte interessiert.

„Was soll heißen?”

Joro holte den Feuerstahl aus seiner Tasche und hielt ihn vor sich.

„Dieser Feuerstahl wird immer Feuer erzeugen, egal wie die Umstände sind, selbst wenn das Holz naß ist.”

Das machte recht wenig Eindruck, wie es schien, bis es plötzlich sehr dunkel wurde, als hätte sich eine gigantische Wolke vor die Sonne geschoben, und ein Strahl absoluter Finsternis auf Joros Hand herabfuhr. Sämtliche Orcs hatten sich auf den Boden geworfen, einige der kleineren wimmerten sogar. Selbst Plok, sonst immer um eine Demonstration seiner Überlegenheit und Stärke bemüht, zuckte merklich zusammen.

'Für die Spezialeffekte berechne ich für gewöhnlich extra, aber wenn ich dran denke, daß dir nichts Besseres als der „Feuerstahl Super Deluxe” eingefallen ist, war das wohl im Preis inbegriffen.'

'Was hätte ich denn sonst machen sollen? Ihm meinen Hammer schenken?'

'Wir reden da ein anderes Mal drüber. Ich denke, daß es funktioniert hat.'

In der Tat. Als die Dunkelheit verschwand, und die ersten Orcs wieder vorsichtig gen Himmel blickten, streckte Plok sehr vorsichtig seine Hand aus und nahm das Stück Stahl mit einer Achtsamkeit entgegen, als sei es ein Kleinkind.

„Geist mächtig, auch wenn Talisman irgendwie...”, er hielt inne, als es plötzlich wieder ein wenig dunkler wurde, „Ich meine: Talisman sehr beeindruckend. Werde gut aufpassen.” Auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen.

„Und denk daran, wenn einer von euch stirbt, dann vergrabt ihn. Das gilt auch für gefallene Feinde. Solltet ihr das nicht tun, wird der Geist sehr böse.”

Plok nickte hektisch.

„Ja, ja. Verstehen!”

„Gut. Wenn ihr das tut, ist der Geist mit euch.”

Er strich seine Robe glatt und sah nach Süden.

„Und ich werde jetzt gehen. In einem Mond erwarte ich euch in Bargum”, er wollte dich schon zum gehen wenden, da fiel ihm etwas ein, „Wenn ihr nach Süden zieht, dann seid euch bewußt, das viele Menschen dort dem selben Geist dienen wie ich. Also benehmt euch zivilisiert. Kein Brandschatzen, kein Töten. Es sei denn ihr lauft Hochelfen über den Weg, dann dürft ihr euch so viele Schädel als Trophäen nehmen wie ihr wollt.”

Auch wenn Plok den Anfang des Satzes offensichtlich gemißbilligt hatte, leuchteten seine Augen beim zweiten Teil merklich auf.

„Das wir können machen!” Er grinste und nickte.

„Wunderbar. Also in einem Monat.”

„Ein Mond, ja.”

 

 

Nach ein paar Stunden hielt Joro an und nahm sich etwas zu essen aus seiner Tasche. Im Großen und Ganzen war er mit sich und seinen Errungenschaften zufrieden. Das Einzige, was ihm ein wenig Unbehagen bereitete, war, daß er zwar, seiner Natur gemäß nicht gelogen hatte, aber es war eine Menge des Manipulierens in der Art und Weise, wie er die Orcs auf seine Seite gebracht hatte. Zugegeben, das war nicht das gleiche wie Lügen, aber es fühlte sich ein wenig so an.

Celestus manifestierte sich, auf einem Stein sitzend, vor ihm.

„Feuerstahl...”

„Jaja, ich habs begriffen. Und daß das mit der Symbolik auch nicht wirklich passend war ist mir auch klar. Aber immerhin hat es funktioniert, und das ist was zählen sollte.”

Der Gott legte den Kopf schief, aber nickte dann zustimmend.

„Das kann ich nicht bestreiten. Ich habe trotzdem das Gefühl, daß ich ein Auge auf Plok und seine Spießgesellen behalten sollte. Orcs sind nun einmal Orcs, egal ob sie freundlich erscheinen oder nicht. Zudem sehe ich Potential in dem großen Grünhäuter.”

„Inwiefern?”

„Plok ist herausragend intelligent für seine Rasse. Ich glaube, daß er mit ein paar kleinen Stößen in die richtige Richtung durchaus ein wertvoller Verbündeter sein könnte.”

„Das Gefühl hatte ich von Anfang an.”

Eine Stimme erscholl hinter Joro.

„Ich grüße dich, Gott der Toten.”

Der Bischof fuhr herum und sah Alystin um einen Findling biegen.

„Du bist mir immer willkommen, Hohepriesterin”, gab der Gott zurück und verneigte sich. Ein kleines Wenig.

„Wie ich sehe bist du auf dem Weg nach Süden, Erzbischof. Ich will nicht stören, aber da ich selbst vor hatte, in diese Richtung zu gehen, schlüge ich vor, daß wir gemeinsam reisen.”

Joro hätte schwören können, Celestus kichern gehört zu haben, aber seine Aufmerksamkeit blieb dann doch bei einer gewissen Frau hängen.

„Gerne, gute Gesellschaft macht Reisen immer zu einer Freude.”

„Ich geh' dann mal...”, sagte der Gott mit übertrieben leidender Stimme, und fügte in Joros Kopf hinzu: 'Ich werde dich auf dem Laufenden halten, was Plok anstellt. Jetzt sieh' zu, daß du deine Frau glücklich machst.'

 

Zugegeben, sie hatte ihm wirklich gefehlt. Und bis auf die eine Nacht hatte es ja auch keine Gelegenheit gegeben, mit ihr zu reden, oder...

Wie dem auch sei, sie kamen nicht weit und bis zum frühen Nachmittag des nächsten Tages änderte sich auch nichts an dieser Tatsache. Als sie dann endlich ihre Sachen aufrafften und Joro sich ächzend in seine Rüstung quetschte, waren sie beide glücklich und liefen sogar einen Teil des Weges Hand in Hand, eine Geste, die sich Alystin in Gegenwart aller anderer Drow niemals erlaubt hätte.

„Ich hoffe, daß nicht Ghaundar irgendwo ist und uns beobachtet, ansonsten wäre das hier kompromittierend”, sagte Joro.

Alystin schüttelte den Kopf.

„Keine Chance. Ich habe ihm ausdrücklich und mit meinem bösesten Gesicht verboten, hinter mir herzulaufen. Außerdem hat er alle Hände voll zu tun. Die Idee mit den Spionen hat ihn völlig in seinen Bann gezogen und als ich ihn das letzte Mal traf hat er mir kaum zugehört, weil er derart in Planungen vertieft war. Ich glaube, daß er sich nach all den Jahrzehnten endlich wieder zu etwas Nutze fühlt.”

„Wirklich? Ich hatte ja immer so eine Ahnung, daß er mit seinem Leben unzufrieden und das dauernde Gewitzel eine Form von Kompensation dafür ist.”

„Oh, das stimmt so nicht ganz. Es war nur stärker und noch nerviger, solange er nichts wirklich Interessantes zu tun hatte. Jetzt, wo er wenigstens jeden Tag hart arbeiten muß, ist er um einiges erträglicher.”

„Und Omareth?”

Alystin sah erst zu Boden und dann gen Himmel.

„Omareth ist gefangen zwischen dem, was von ihm erwartet wird und dem, was er von sich selbst erwartet. Und dann ist da auch noch seine Frau, die ihm, wie du weißt, ständig das Leben zur Hölle macht. Außerdem... Ich habe hin und wieder das Gefühl, daß er seine Kompetenzen überschätzt.”

„Ja, stimmt, so richtig glücklich hab ich ihn nur sehr selten erlebt.”

„Versteh ihn niemals falsch. Omareth ist glücklich wenn er etwas tun kann, das von ihm keine moralischen Entscheidungen abverlangt. Zum Beispiel wenn er einen Zaun oder Möbel bauen kann. Aber sobald er über das Leben anderer entscheiden muß wird er angespannt, weil er auf der einen Seite große Verantwortung empfindet, aber auf der anderen von einer Fülle von schlechten Erfahrungen und daraus resultierenden Zweifeln geplagt wird. Vielleicht ist es auch einfach nicht mehr gewohnt, zu kommandieren.”

„Ich dachte eigentlich immer, daß ihm die Anführerrolle gefällt?”

„Nein. Omareth ist eine Pflichtperson. Er tut prinzipiell das, was ihm nötig erscheint, aber das bedeutet noch lange nicht, daß ihm das auch gefällt. Aber wie gesagt: versteh ihn nicht falsch. Er tut das, was er tut immer mit maximalem Gewissen.”

Joro grübelte eine Weile, aber prägte sich das, was ihm Alystin gesagt hatte tief ein. Er hatte schon öfter überlegt, warum die Drow eigentlich so schnell und enthusiastisch seine eigene Sache zu ihrer gemacht hatten. Überraschenderweise hatte aber nie den Gedanken bekommen, daß es vielleicht daran hätte liegen können, daß die kleine Gruppe von Ausgestoßenen, die die Enklave ja nun darstellte, vielleicht schon seit Jahren darauf gewartet hatte, endlich etwas zu haben, was ihnen ein Sinn gab. Auf der anderen Seite plagte ihn ständig das unterbewußte Gefühl, daß alles das, was ihnen bevorstand möglicherweise nicht das war, daß sie sich erwartet hätten.

„Du wirst mir jetzt aber nicht sagen, daß du Mitleid mit uns hast, oder?”, Alystin sah ihn forschend von der Seite an.

„Nein. Mitleid ist das falsche Wort. Mitgefühl trifft es wesentlich besser, immerhin kann ich sehr gut nachvollziehen, wie sich ein Leben anfühlt, in dem ein Tag wie der andere aussieht und man sich ständig fragt, ob das alles war, das man sich vom Leben erwarten kann. Kannst du eigentlich meine Gedanken lesen?”

„Nein, aber ich kenne den Gesichtsausdruck, den du eben hattest.”

Joro setzte einen übertrieben schüchternen Blick auf.

„Ich bin halt so...”

Die Antwort darauf war ein Schmatz auf die Wange und ein helles Lachen, daß ihm Schmetterlinge im Magen machte.

„Ich weiß. Deshalb bin ich jetzt auch gerade bei dir, mein Joro.”

 

Die Rückreise verlief ohne Zwischenfälle und als sie endlich das Kloster von Bargum am Horizont erblicken konnten, merkte Joro, daß er nervös wurde. Natürlich freute er sich darauf, seine Freunde und Verbündeten wiederzusehen, aber dennoch bemerkte er auch, daß die Tage mit Alystin, unter freiem Himmel, nur sie und er...

Nein. Er hatte sich auf dem Weg zu den Orcs gefragt wer er eigentlich war. Die Antwort war ihm nun klar und sie war eine einfache: Joro war für eine Menge von Menschen, Drow und vielleicht sogar Duergar eine ausgesprochen wichtige Person, und nun waren auch noch mehrere Hundert Orcs dazugekommen. Was ihm sein Bauch sagte konnte und durfte keinerlei Einfluß auf das haben, was ihm sein Herz und sein Gehirn sagten.

Er blickte zu Alystin herüber, die in ihren gewohnt wiegenden Schritten gemächlich neben ihm herlief und als sie ihn ansah und lächelte wußte er, daß die eine Sache die andere niemals ausschließen würde. Solange diese Frau bei und mit ihm war, konnte er alles erreichen, daß er wollte oder mußte.

 

 

Kapitel 10

 

Joro hatte eigentlich fast erwartet, daß die Begrüßung in der Stadt wie vorher informell geschehen würde. Das war dieses Mal allerdings nicht der Fall.

Stattdessen wurden Alystin und er zwei Kilometer vor der Stadt von einer berittenen Patrouille aufgehalten. Sechs Reiter auf schwarzen Pferden, in Kettenhemden gehüllt und Wappenröcken mit dem Banner Olgerichs.

„Halt, wer da?”

„Der Erzbischof und die Hohepriesterin der Enklave.”

Der Anführer der Gruppe, ein Mann, den Joro sicher war, niemals vorher getroffen zu haben, sah höhnisch zu ihm herab.

„Und ich bin der Kaiser von Hanlar.”

Alystins Augen schimmerten leicht rötlich, aber Joro machte eine beschwichtigende Geste.

Er trat zwei Schritte vor und wie er erwartet hatte, wurden die Pferde unruhig. Schon in seiner Kindheit war dieser Effekt immer eingetreten, aber seit seinem Tode hatte er eine Verstärkung bemerkt.

„Ich bin ein ausgesprochen geduldiger Mensch und verstehe auch, daß ihr vielleicht Langeweile habt oder vielleicht wirklich der Ansicht seid, eure Pflicht zu erfüllen. Aber am Ende dieses Tages werdet ihr euch wesentlich besser in euren Häuten fühlen, wenn ihr jetzt einfach einmal die Augen aufmacht, euch meine Rüstung, meinen Hammer und meine Robe anseht und dann friedlich umkehrt und Marinus, Olgerich und General Omareth Bericht erstattet, daß der Erzbischof auf dem Weg in die Stadt ist.”

Für einen kurzen Moment herrschte, bis auf das nervöse Schnauben der Pferde, völlige Stille. Dann sagte der Anführer der Reiter, nachdem er geschluckt hatte:

„Ja, ja... Ich glaube Ihr habt Recht Eminenz, ich habe mich wohl ein wenig im Ton vergriffen. Und es ist eine Mischung aus Langeweile und Pflichtgefühl. Benötigt ihr eine Eskorte?”

„Nein, wenn ich ein paar Wochen alleine in den Bergen überlebe, dann werde ich auch noch zwanzig Minuten vor den Toren Bargums verkraften können.”

Die Reiter salutierten und ritten in die entgegengesetze Richtung davon.

Alystin starrte Joro mit einer Mischung aus Faszination und Unglauben an.

„Mir war ja gar nicht bewußt, daß du so souverän sein kannst. Mein Joro wird allmählich erwachsen, wie es scheint.”

„Das ist ja wohl nicht das erste Mal, daß ich mich so verhalte”, gab dieser mit einer Schnute zurück.

„Das vielleicht nicht, aber da war keinerlei Unsicherheit in deiner Stimme. Das ist eine Veränderung.”

Joro zuckte mit den Achseln.

„Manchmal muß man einfach machen, was ansteht.”

Alystin sagte nichts, aber in ihren Augen war Stolz zu sehen.

Als sie am Stadttor ankamen wartete dort trotz alledem eine Eskorte von zwanzig Soldaten, die allerdings allesamt in Schwarz gekleidet und gerüstet waren. Joro sah mit großer Freude, daß die Klosterwache allmählich Formen annahm.

So trotten sie langsam inmitten zweier Kolonnen von Soldaten in Richtung Stadtmitte und mit jedem Schritt, wie es schien, sammelten sich immer mehr Menschen, um zu sehen, was vor sich ging.

Schon nach wenigen Minuten war die Schar so groß geworden, daß die Wachen dazu gezwungen waren, Leute aus dem Weg zu schieben.

Joro lauschte konzentriert, was die Leute tuschelten und riefen.

Es erleichterte ihn sehr, daß praktisch alle zustimmende Worte von sich gaben. Hin und wieder bat jemand laut um einen Segen und gemäß seiner Pflicht hielt Joro an und erteilte diesen, was sowohl von den Rezipienten als auch den Umstehenden mit Beifall oder zustimmenden Worten bedacht wurde.

Wenn man sich vor Augen führte, daß die Stadt in den letzten Wochen von einer kleiner, provinziellen Handelssiedlung mit einem Wasserkopf kirchlicher Institution praktisch zu einem Kriegslager gewachsen war, konnte es nur vom Willen und der Einheit der Menschen hier sprechen, daß es keinen offenen Unmut deshalb gab. Die nächtliche Attacke auf das Kloster hatte sicherlich ihren eigenen Teil dazu beigetragen, daß sich auch der Letzte in der Stadt der tatsächlichen Gefahr für die eigene Haut bewußt war.

Es war Joro auch klar, daß die Daishani an sich, vor allem die älteren Generationen, so oder so ein starkes Gemeinschaftsgefühl hatten, vermutlich das einzig Gute, daß der Drowkrieg jemals als Folge gehabt hatte.

Dementsprechend war er auch guten Sinnes, als er schließlich mit seiner kleinen Truppe am Stadtschloß ankam, wo ihn Fürst Olgerich erfreut in Empfang nahm.

„Eminenz, es ist wunderbar, Euch in guter Gesundheit willkommen zu heißen!”, der alte Mann kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zu und gab ihm eine lange Umarmung.

Dabei war Joro etwas aufgefallen.

„Kann es etwa sein, daß Ihr Euch eine Rune setzen gelassen habt?”

Der Fürst trat einen Schritt zurück und entblößte seinen Hals. Die Ränder des Zeichens waren immernoch ein wenig rot, was darauf schließen ließ, daß es noch nicht lange her sein konnte, seitdem sie appliziert worden war.

„Das ist richtig, ich dachte, daß es sich für einen Mann meiner Stellung und in dieser Situation absolut notwendig ist. Im Nachhinein frage ich mich, warum ich das nicht schon viel früher gemacht habe.”

„Und seid Ihr noch in der Gewöhnungsphase?”

Olgerich lachte leise.

„Nun, ich habe lange genug in diesem Land gelebt, um eine grundehrliche Einstellung zu haben, denke ich. Aber ja, ein oder zwei Mal sind mir kleine Alltagslügen schon zum Verhängnis geworden.”

Joro klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter.

„Willkommen im Klub. Man gewöhnt sich dran...”

„Genug von mir, wie ist es Euch ergangen, Eminenz?”, Olgerich führte Alystin und ihn in die Eingangshalle des Stadtschlosses und rief kurz nach dem Majordomus, der auch schnell antrabte und dabei hektisch Befehle an die gesamte Dienerschaft verteilte.

Der Bischof überlegte kurz, wie er anfangen sollte, entschloß sich dann aber dazu, einfach eine kurze Version der Geschichte zu erzählen.

„Ich habe das Artefakt, das ich in den Bergen gefunden hatte zu den Orcs zurückgebracht und im Zuge dessen diese als Alliierte gewonnen.”

Olgerich blieb stehen und starrte ihn einen Moment lang an. Dann ging er weiter und schüttelte dabei mit dem Kopf.

„Da hatte ich mich gerade halbwegs an Duergar und Drow in der Stadt gewöhnt... Und nun berichtet Ihr mir, daß ich mich auf einen Orcstamm einrichten kann?”

„Was heißt denn hier 'halbwegs', Durchlaucht?”

Ghaundar kam eine der Treppen heruntergeeilt und ging fröhlich lächelnd auf die drei zu.

Er begrüßte alle drei und gab Olgerich dann eine dicke Pergamentrolle in die Hand, wandte sich gleich wieder zum gehen und hielt dann doch kurz inne, zeigte auf Joro und sagte:

„Heute abend essen wir zusammen und ich will die ganze Geschichte hören. Bis dahin viel Spaß.”

Der Drow eilte die selbe Treppe hoch und verschwand im Obergeschoß.

Joro schielte zu Alystin.

„Ich glaube ich weiß jetzt, was du meintest, als du gesagt hast, daß er endlich was zu tun hat.”

„In der Tat”, warf Olgerich ein, „arbeitet Herr Ghaundar ausgesprochen hart. Er hat von Marinus, Omareth und mir die Verantwortung für den Informationsdienst bekommen und erfüllt seine Aufgaben mit makelloser Präzision und Hingabe.”

„Ja, das ist der Ghaundar, den ich kenne”, sagte Joro mit weitaus mehr Ironie in der Stimme, als er es beabsichtigt hatte.

„Ihr werdet in den nächsten Tagen eine ganze Reihe von erstaunlichen Dingen sehen und erfahren, die er erarbeitet hat”, sie waren am Audienzsaal vorbeigegangen und traten nun in einen mit dunklen Holzpanelen ausgekleideten Raum, den Joro vorher noch nie gesehen hatte. In der Mitte stand ein großer, runder Tisch mit zwölf Stühlen darum herum. Olgerich gebot Alystin und Joro, sich zu setzen.

„Hier im Kabinett haben wir in den letzten drei Wochen täglich morgens und abends getagt. Die Morgensitzung ist schon vorbei, aber heute Abend werden wir uns wieder treffen, bei Sonnenuntergang, und alles, was am Tage geschehen ist beurteilen. Ghaundar und seine Vögelchen, wie er sie liebevoll nennt, haben in den letzten Wochen eine ganze Reihe erstaunlicher Informationen sammeln können.”

„Drei Wochen erscheinen nicht sonderlich viel, um sich wirklich über die Lage schlau zu machen. Alleine bis Tont braucht man zu Pferd schon zwei Wochen, oder nicht?”, fragte Joro.

„Das ist völlig richtig”, gab Olgerich mit einem Lächeln zurück, „Mit einem Pferd dauert das in der Tat sehr lange. Mit einem Luftschiff allerdings...”

Alystin und Joro starrten ihn beide ungläubig an.

Die Hohepriesterin fand als erste Worte: „Soll das heißen, daß Ihr es irgendwie geschafft habt, ein Luftschiff zu erbeuten?”

Olgerich lachte.

„Die Geschichte ist so unglaublich, daß ich sie selbst nicht glaubte, wenn es nicht vor meinen Augen geschehen wäre. Wie es aussieht, war das Schiff, daß unser Herr Erzbischof mit seinem eigenen Blute vom Himmel geholt hat nicht nur weniger beschädigt als angenommen, sondern tatsächlich in einem Zustand, der sich reparieren ließ. Einer der Runenschmiede hat sich maßlos dafür interessiert, es wieder flugfähig zu machen. Und als wir ihm gesagt haben, daß es inakzeptabel ist, daß er seine Arbeit an der Esse vernachlässigt, hat er nur gegrunzt und hat stattdessen nachts am Schiff gearbeitet und tagsüber geschmiedet”, er räusperte sich, „Ich hatte die Duergar erst für faul oder arrogant gehalten, und Letzteres ist vermutlich auch gar nicht falsch, aber das Interesse für die Technik des Flugschiffes hat den Mann wie ein kleines Kind mit den Augen glänzen lassen. Seitdem sind alle drei weitaus umgänglicher.”

Alystin machte ein forschendes Gesicht.

„Soweit ich weiß, ist bei den hochelfischen Luftschiffen das Segel der tragende Faktor und die benötigten Dweomere sind reine Magie, zu der nur ausgesprochen wenige Duergar fähig sind.”

„Was sind Dweomere?”, fragte Joro.

„Ein Dweomer ist ein magisches Konstrukt, man könnte sagen eine Matrix aus magischen Effekten, die zu einer Einheit kombiniert werden. Ihr Menschen nennt es für gewöhnlich eine 'Verzauberung'.”

Olgerich nickte zustimmend.

„Das wurde mir ebenfalls so erklärt, aber es fanden sich zwei eurer Gefolgsleute, die sich in den arkanen Wegen gut genug auskannten, um dem Schmied dabei zu helfen, neue Segel herzustellen.”

Alystin sah Olgerich noch mißtrauischer an als vorher.

„Zwei Drow haben dem Zwerg geholfen, das Schiff wieder tüchtig zu machen? Das halte ich für beinahe ausgeschlossen.”

Der Fürst lächelte.

„Herr Ghaundar und Herr Omareth hatten die Idee, bei den Magiern der Enklave anzufragen, ob es möglich sei, dem Schmied zu helfen. Wie es scheint waren beide der festen Überzeugung, daß sowohl das studieren der feindlichen Technologie, als auch die Möglichkeiten, die sich mit einem funktionierenden Schiff eröffnen würden jeglichen kulturellen Problemen übergeordnet werden müssen. Seitdem das Schiff fertig ist, arbeiten die beiden Magier daran, ein Portal zur Enklave im Kloster zu errichten.”

Alystin stand recht abrupt aus ihrem Stuhl auf und man konnte an ihren Augen sehen, daß sie Mühe hatte, ihren Zorn im Zaum zu halten. Dennoch bemühte sie sich um Höflichkeit.

„Ich werde mich verabschieden müssen, da ich gerade das dringende Bedürfnis entwickelt habe, jemanden zu erwürgen.” Sie verließ umgehend den Raum und Joro, der nichts Gutes ahnte hatte für einen Moment den Impuls, hinter ihr herzueilen. Aber es kam ihm schnell in den Geist, daß es keine gute Idee war, hier handelte es sich um Interna, die ihn schlicht nichts angingen.

Stattdessen seufzte er und ließ sich in seinen Stuhl sinken. Olgerich, der ihm gegenüber saß machte nur ein mitleidiges Gesicht.

„Willkommen im Klub? Nun, ich denke, ich kann das jetzt zurückgeben. Die Reibereien zwischen Drow und Duergar, aber auch zwischen Hirten und Stadtbevölkerung sind in den letzten Wochen ein ständiges Thema gewesen.”

„Ein großes Problem?”

„Der gemeinsame Gedanke, sich wehren zu müssen verhindert eine Menge, was sonst vielleicht geschehen könnte. Allerdings ändert das nichts an der Tatsache, daß wir praktisch ständig kleinere Probleme aus der Welt schaffen und Kompromisse eingehen müssen, um zu dafür zu sorgen, daß nicht in der Zukunft echte Probleme entstehen. Die Kooperation zwischen Drow und Duergar, die Frau Alystin so wütend gemacht hat war eine Notwendigkeit. Die Magier haben fast zeitgleich Interesse angemeldet, aber noch am selben Abend sind sowohl sie als auch der Schmied separat voneinander bei Herrn Ghaundar vorstellig geworden und haben zugeben müssen, daß sie es alleine nicht bewerkstelligen könnten.”

Das machte Sinn. Zudem glaubte er auch nicht, daß Alystin zornig war, weil Duergar und Drow zusammenarbeiteten, denn das hatten sie ja in der Enklave beim Durchzug Balthasars auch schon getan.

„Ich vermute eher, daß sie der Ansicht ist, daß über ihren Kopf hinweg entschieden worden ist. Zudem ist das mit dem Portal auch noch so eine Sache...”

Olgerich seufzte.

„Mir ist mehr als nur klar, daß die Drow trotz allem, was derzeit vor sich geht immernoch eine Unabhängigkeit oder ein gewisses Maß an Sicherheit behalten wollen. Aber es kann kein „Ich” mehr geben. Wir brauchen ein vollständiges und einheitliches „Wir”, weil ansonsten jedes Resultat eine Katastrophe nach sich zöge.”

Joro schluckte.

„Ich glaube, daß ich jetzt sofort in mein Amtszimmer gehen und alles an Berichten lesen sollte, was da auf meinem Tisch liegt.”

„Das ist eine ausgesprochen gute Idee, Eminenz. Laßt Euch aber nicht von der Größe des Stapels einschüchtern, ich bin mir sicher, daß Herr Ghaundar alles gut organisiert hat. Mein Rat ist es, mit den Berichten aus Hanlar und den Westkönigreichen anzufangen.”

Der Bischof verabschiedete sich förmlich und eilte dann, an den verdutzten Wachen vorbei, aus dem Schloß und ging mit zügigem Schritt die Straße zum Kloster hoch.

Die Menge vor dem Schloß war zwar noch anwesend, aber bevor sie ihn bemerkt hatten war er schon den halben Weg zum Klostertor gehastet und trat auch schon kurze Zeit später in dessen Hof.

 

Hier war eine einzige, große Baustelle. Im Hof mit den Zellen standen große Zelte, in denen Lebensmittel und Materialien gestapelt waren, im Haupthof war, neben dem Fundament des Portals, daß dezent in einer Ecke plaziert war, auch ein ganzer Trupp Maurer und Zimmerleute dabei, die Befestigungen der Mauern aufzurüsten. Überall lagen Baumaterialien und Werkzeuge und an zwei Stellen hatte man große Kräne aufgebaut, um die Steine auf die Zinnen zu bekommen.

Marinus stand mit einem Schreibbrett vor dem Eingang des Hauptgebäudes und notierte sich alles, was ihm Leute, die an ihm vorbeigingen mitteilten, wobei er hin und wieder hektisch aufblickte. Als er Joro erkannte, legte er das Brett auf einen Schemel, der ebenfalls neben der Tür stand und kam mit schnellen Schritten und einem freudigen Lächeln auf dem Gesicht auf ihn zugelaufen.

„Eminenz, es ist wunderbar, Euch wohlbehalten zurückzubekommen. Es hatte mir ernste Sorgen bereitet zu hören, daß ihr alleine in die nördliche Wildnis aufgebrochen seid!”

„War alles weniger schlimm, als du vielleicht denken würdest, Marinus”, Joro grinste, „ aber ich bin leider nicht hier, um meine Rückkehr zu feiern. Ich muß mich so schnell wie es geht auf das abendliche Treffen mit allen Parteien vorbereiten.”

„Ihr habt keine Ahnung wie wenig ihr dem alten Bischof ähnelt, Eminenz. Der hätte sich vermutlich erst einmal in seine Badewanne gelegt und hinterher geschlafen”, Marinus lachte fröhlich.

„Mit dem alten Bischof wäre dieses Kloster ein schwelender Haufen Altholz und die Stadt vermutlich schon aufgegeben”, Joro hielt inne und bemerkte, daß ihm durchaus alles wehtat, „Ich wäre allerdings schon dankbar, wenn die Wanne vorbereitet werden könnte, es dauert ja so oder so eine Weile bis sie fertig ist und so wie ich derzeit aussehe und rieche kann ich unmöglich in irgendeine Tagung gehen.”

Marinus nickte und deutete nur auf die schwere Eingangstür.

„Euer Amtszimmer ist bereit und ich werde Bescheid geben, wenn wir das Bad vorbereitet haben, ich werde zudem Franz anleiten, etwas Kleines zu essen für euch bereitzuhalten.”

Der Magen des Bischofs begrüßte diese Idee.

 

Joro machte kurz halt in seinem Schlafgemach, um die Rüstung abzulegen. Die Unterkleidung behielt er an, weil sie sowieso nach Bärenhöhle roch und es keinen Sinn machte auf den schmutzigen Körper frische Kleidung zu ziehen.

Also lief er barfuß und nur in ein einfaches Hemd und Hose gekleidet den Gang herunter und durch die Schreibstube, um schließlich vor einem Haufen Pergamente und, wie ihm auffiel, dem in Daishan viel weniger gebräuchlichen, weil teureren Papier zu stehen. Irgendwo da drunter war sein Schreibtisch, da war er sicher. Aber es würde wohl eine ganze Weile dauern, diesen ausfindig zu machen.

Olgerich hatte allerdings Recht behalten, auf jeden einzelnen Stapel war ein kleiner Zettel gelegt, der in Stichworten beschrieb, was der jeweilige Haufen thematisch mit einschloß.

Provisionen, Waffen, Rohstoffe... Nein, das war erst einmal nicht interessant.

Truppen, Ausbildungsrapporte, Ausgaben/Einnahmen/Schatzkammer...

Er fand einen kleinen Stapel, der ausschließlich aus Papier bestand, auf dem „Kundschafterberichte/Hanlar” als Thema stand.

Seufzend nahm er sich das erste Dokument und begann zu lesen.

 

Joro hatte nicht das Gefühl, weit gekommen zu sein, als Marinus leise an die offene Tür klopfte und verkündete, daß das Bad bereit sei und daß in seinem Schlafgemach ein Besucher auf ihn wartete. Also legte er eine Liste mit den Truppenstärken des Kaiserreiches und deren Stationierung beiseite und ging mit einem langen Seufzer in Richtung Badezimmer. Als er die Tür zum Privatgemach aufmachte, sah er dort Alystin am Fenster sitzen, die sich zu ihm umdrehte. Ihre Augen waren veilchenblau.

„Hallo Joro. Ist das deine neue Alltagskleidung?”

Er sah an sich herunter und kam sich unglaublich schäbig vor.

„Wie lief das Erwürgen?”

„Gut. Ich glaube kaum, daß Omareth sich noch einmal anmaßen wird, solche Entscheidungen ohne meine Ausdrückliche Erlaubnis zu treffen. Kooperation schön und gut, und ich verstehe auch den Sinn des Portals, aber, und ich hoffe du verstehst das nicht falsch, die Idee hier, wo potentiell jeder ein Spion sein kann ein Portal zu bauen, das mit unserer geheimsten Magie funktioniert war etwas, das er schlicht und ergreifend nicht hätte tun dürfen.”

„Aber da unten sind die doch gut dabei, das Ding fertigzustellen?”

„Ja. Weil Omareth mir sehr gute Gründe dafür geben konnte, warum es strategisch notwendig ist. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er diese Entscheidung nicht alleine machen durfte. Und was meine Stellvertreterin angeht...”, sie machte eine Pause und dachte kurz nach, „Was meine Stellvertreterin angeht ist das eine interne Affäre und ich erwarte, daß du dich da nicht einmischt.”

Eigentlich wollte Joro erst nachfragen, aber dann wurde ihm klar, daß das nicht klug gewesen wäre, also hielt er lieber den Mund. Stattdessen kam ihm eine Frage in den Sinn.

„Wie habt ihr das Problem mit potentiellen Spionen denn gelöst?”

Alystin legte den Kopf schief und schien kurzzeitig zu Überlegen, ihm nicht zu antworten, aber dann seufzte sie und sagte:

„Da du formell einer von uns bist: das Portal im Innenhof ist eine Attrappe. Das richtige Portal wird im Keller gebaut, in einem Teil des Klosters, den außer Marinus und vielleicht dem Koch sonst keiner je bemerkt hat.”

„Das war Ghaundars und Omareths Idee und deshalb bist du auch gerade nicht so böse, wie ich es erwartet hatte, richtig?”

Sie lächelte.

„Richtig. Am Ende war meine Sorge unberechtigt und ich hätte mich um ein Haar lächerlich gemacht. Die Entscheidungsfrage war eine Formsache und alle Verantwortlichen haben sich bei mir entschuldigt, aber haben gleichzeitig auf Putativnotstand plädiert.”

„Das is ja nu ein wenig übertrieben”, nuschelte Joro während er sich das Hemd über den Kopf zog.

„Den Ausdruck kannte ich vorher auch nicht, aber ich bin mir sicher, daß Ghaundar den in irgendeinem Wörterbuch gefunden hat und Omareth gesagt hat, er solle das als Grund anführen.”

Joro zog derweil seine Hose runter und der hochwogende Mock gab ihm nun endgültig den Impuls, so schnell wie möglich ins Bad zu steigen.

Während er in den Bassin stieg, kam Alystin langsam hinter ihm her und lehnte sich in die Türfüllung. Sie betrachtete ihn aufmerksam, während er sich glücklich ächzend in das heiße Wasser niederließ.

„Soll ich dir ein paar Kräuter ins Wasser tun, die dich für den Abend frisch und konzentriert machen?”

Joro grinste.

„Ich könnte mir da ein schwarzes Kräuterlein vorstellen, daß ich sehr gerne im Wasser hätte, allerdings würde mir das vermutlich den letzten Lebenssaft aussaugen.”

„Depp”, sie grinste zurück.

„Haben die Nebenwirkungen?”

„Nein, nur wirst du vermutlich erst spät einschlafen können. Was mir durchaus gelegenkommt”, ihr Grinsen wurde beinahe dämonisch. Sie hielt einen Moment mit der Hand in ihrer Kräutertasche inne und sah ihn dann mit leicht sorgenvollem Blick an.

„Stört es dich, daß ich manchmal jähzornig bin?”

Joro gab einen liebevollen Blick zurück.

„Dein Temperament ist eins der Dinge, die ich an dir liebe, Alystin. Daß das auch Schattenseiten hat kann ich gut verkraften.”

Sie lächelte glücklich und begann dann, ein paar Büschel aus ihrer Tasche zu holen, einige Stengel auszusortieren, von denen sie die Blätter abstrich und dann zwischen den Händen zerrieb. Dann ließ sie ihre Hände vorsichtig ins Wasser sinken und begann langsam umzurühren. Die Berührung an einer interessanten Stelle wertete Joro als versehentliche Aktion im vollständig konzentrierten Geisteszustand, weil die andere Option arbeiten für den Rest des Tages unmöglich gemacht hätte.

Der Effekt der Kräuter stellte sich nicht sofort ein, aber schon nach einigen Minuten fühlte er ein Prickeln auf der Haut und die Schmerzen in den Gliedern (fast allen, das Selbstbelügen aktivierte zwar nicht die Rune aber schien bei Daishanis trotzdem nicht zu funktionieren) verschwanden gemächlich.

Alystin rührte während der ganzen Zeit weiter im Wasser.

„Kriegst du jetzt nicht hyperaktive Hände?”

Sie kicherte leise und ließ sich nicht stören.

Schließlich richtete sie sich auf und sagte:

„Jetzt sofort aus dem Wasser und übergieße dich mit kaltem Wasser.”

„Weil ich...äh...?”

„Nein, nicht weil du dich freust mich zu sehen, sondern weil du sonst in einer halben Stunde so tief schläfst, daß dich selbst eine neue Attacke der Legion nicht wieder aufwecken wird.”

Joro stieg aus dem Wasser, mit einem anzüglichen Blick Alystins bedacht und ging in die Ecke des Raumes, in dem ein Eimer mit eiskaltem Wasser stand, den er sich dann mit einem einzigen Ruck über den Kopf goß.

Durch seinen ganzen Körper zuckte etwas, was sich wie ein Feuerstrahl anfühlte und er schrie laut auf. Der Schmerz war aber nur augenblicklich und als er sich ein wenig beruhigt hatte, fühlte er in seinem ganzen Körper eine wohlige Wärme.

„Besser?”

„Hättest du mich nicht vorwarnen können?”

Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein. Man darf nicht zögern, der Effekt verschwindet sonst sehr schnell und man ist noch matter und müder als zuvor.”

Mit einem gespielten Ächzen streckte sich Joro und ging dann zu ihr herüber und nahm sie in den Arm, was sie mit einem ebenso gespielten Kreischen kommentierte. Sie küßten sich lange und intensiv, und dann ging er zu seiner Garderobe im anderen Zimmer, um sich etwas Anzuziehen zu suchen.

Alystin lehnte sich erneut in die Tür und sah an sich herunter.

„War das mit den nassen Klamotten die Rache für den Schock?”

Joro kicherte.

„Ich bin nicht rachsüchtig, das weißt du genau.”

„Deine Schuld, wenn ich den Rest des Tages nackt herumlaufen muß...”

Er drehte sich um und machte ein gespielt böses Gesicht.

„Ich muß arbeiten, das ist fies!”

Sie lachte, kam herüber und gab ihm noch einen Kuß.

„Keine Sorge, ich hab noch das Eine oder Andere zum Umziehen. Wir sehen uns heute Abend im Schloß, ich habe noch eine Menge Dinge zu erledigen.”

Alystin verließ den Raum und Joro, der sich noch eine kleine Weile mit einem Erregungszustand herumplagen mußte, zog sich Unterkleidung und eine einfache, schwarze Robe an. Dann ging er zurück in sein Arbeitszimmer und setzte seine Informationsbetankung fort.

Alles in allem erschien es ihm fast unmöglich, daß alles was er las echt sein konnte. Wie hatte es Ghaundar geschafft, in so kurzer Zeit so derart viel in Erfahrung zu bringen?

Luftschiff oder nicht, nach Hanlar waren es mehrere hundert Meilen, zumindest wenn man bis nach Tont kommen wollte, der Hauptstadt. Zugegeben, vieles war wage und eine Reihe von Einzelheiten wirkten nicht sonderlich wertvoll, zum Beispiel daß ein gewisses Regiment, das an der Grenze zu Daishan stationiert war sich weigerte zu marschieren, weil sie seit Wochen nur Kohlsuppe zu essen bekamen.

Aber auf der anderen Seite waren hier spezifisch die Loyalitäten einzelner Fürsten beschrieben und daß der Kaiser wohl gleichzeitig eine Invasion zurückschlagen und dabei die Einigkeit seiner Lehnsleute bewahren mußte.

Politik. Die Wurzel allen Übels.

Joro seufzte und nahm sich einen anderen Stapel vor, nicht bevor er bemerkt hatte, wie schnell er durch diesen gegangen war.

Dieser war alles, was sich über die Legion und den Propheten in Erfahrung lassen hatte. Er hatte ihn erst übersehen, denn er war merklich klein, und was er zu lesen bekam war nicht sonderlich erfreulich, denn Informationen waren, wie es schien, dünn und sehr ungenau. Im Großen und Ganzen war die Invasionsarmee gewaltig und griff von drei Seiten an, im Westen zudem unterstützt von Truppen der sogenannten Könige im Westen, einer der Rapporte ließ sich lang und breit darüber aus, daß es sich bei diesen Möchtegernmonarchen eher um eine Rotte halbzivilisierter Hirtenhäuptlinge und mit Ziegen verkehrender Idioten handelte, in der Mitte und im Osten aber mit umso größerer Anzahl. Das mußte eine Mitschrift einer Unterhaltung sein.

Bisher hatte das Kaiserreich es geschafft, die Hochelfen zumindest zu bremsen, aber es waren bereits einige Provinzen dem Feind in die Hände gefallen.

Es machte Joro schlucken, daß es keinerlei Berichte aus den besetzten Gebieten gab, auf einem Dokument war klar vermerkt, daß solche nicht zu existieren schienen. Er legte das Blatt vor sich und schaute an die Decke.

Keine Berichte. Was auch immer da vor sich ging konnte absolut nicht gut sein. Eine Evaluierung der Situation am Ende des Stapels sprach davon, daß die Hauptstadt des Reiches, Tont, aufgrund seiner geographischen Lage ziemlich im Mittelpunkt innerhalb der nächsten sechs Monate unter Belagerung kommen würde.

Joro schüttelte energisch den Kopf und machte einen Laut des Unmutes. Das durfte auf gar keinen Fall geschehen. Die Hilfe, die er und seine Freunde dem Kaiser bieten konnten war vielleicht ausreichend, um die Hochelfen zu besiegen und zurückzutreiben, aber alleine konnten und würden sie es niemals schaffen. Sollte Tont fallen, waren sie alle tot.

 

Franz war zwischenzeitig mit einem freundlichen Wort in seinem kaum verständlichen süddaishanischen Akzent in den Raum gekommen und hatte ein kleines Tablett auf einem Bock neben dem Pult plaziert, und war dann ebenso schnell wieder verschwunden.

Joro griff sich einen Happen Schinken, stand auf und ging zum Fenster.

Draußen war es später Nachmittag, drinnen auch und er fand die Formulierung albern.

Im Hof waren die Arbeiter damit beschäftigt, ihr Tageswerk abzuschließen, Taue an den Kränen wurden festgezogen und Werkzeug in Kisten verstaut.

Die angeblich am Portal arbeitenden Dunkelelfen saßen am Fuße des Podestes und diskutierten eifrig mit Alystin, die mit einer Hand auf die Hüfte gestützt vor ihnen stand. Hin und wieder lachten sie, also konnte es da keine weitreichenden Probleme geben, Joro hoffte nur, daß ihr Wutausbruch keinen Schaden verursacht hatte. Auf der anderen Seite war das sicher nicht der erste gewesen und sie war immernoch Hohepriesterin, also war da bestimmt alles in Butter.

Er seufzte leise. Eine Vorahnung sagte ihm, daß die Zeiten des Lachen und Herumsitzens bald vorbei sein würden und ihm wurde auch klar, daß eine ganze Reihe von Leuten, die heute noch lebten in der nahen Zukunft vielleicht nicht mehr da sein würden.

Bei dem Gedanken, daß Alystin vielleicht sterben könnte wurde ihm eiskalt auf dem Rücken. Er schwor sich, das unter allen Umständen zu verhindern.

'Wenn ihre Zeit gekommen ist, wirst weder du noch ich etwas daran ändern können.'

Joro ließ den Kopf sinken.

'Ich weiß. Aber das wird mich nicht daran hindern, alles zu tun, das in meiner Macht steht, daß das nicht passiert bevor sie alt und, äh, naja, du weißt schon.'

 

Kapitel 11

 

Als die Glocke zum Abendgottesdienst schlug, legte Joro alle Dokumente beiseite und ging zum Tempel herüber, um daran teilzunehmen.

Er fühlte sich nicht in der Lage, sich auf den Ritus zu konzentrieren und bat deshalb Marinus darum, ihm zu vertreten, was dieser ohne eine Frage tat.

Celestus schnalzte zwar mißbilligend mit der imaginären Zunge, aber er ließ Joro ansonsten in seinen Gedanken und diese waren so viele, daß es sich beinahe so anfühlte, als würde ihm der Kopf platzen.

Nicht nur das, Joro fühlte sich um ein weiteres Mal überfordert. Nicht, daß ihm nicht klar gewesen wäre, daß er eine ganze Reihe wirklich fähiger Freunde und Verbündeter um sich herum hatte, das war ja nicht einmal die Frage. Eher, was er sagen sollte, wenn sie nach seiner Meinung fragten.

Seine Gedanken hingen sich am Ende an einem Punkte auf: er würde sich in Zukunft wie auch schon zuvor um die Belange der Kirche kümmern und das war alles. Er hatte sich schon in der Vergangenheit zu viel in Dinge eingemischt, von denen er keine Ahnung hatte, und selbst hier, in diesem Gebäudekomplex hatte er mehr oder minder nur die Kirchenregeln und ein paar wilde Ideen als Grundlage für sein Handeln und kaum etwas mehr.

Joro unterdrückte ein zufriedenes Grunzen, das sonst die Stille nach dem Abschiedssegen ruiniert hätte.

Nichtsdestotrotz konnte sich Celestus ein solches nicht verkneifen. Wenn auch glücklicherweise nur in Joros Kopf.

 

Mit neuem Mut versehen verabschiedete er sich von allen Totengräbern und machte sich auf den Weg ins Stadtschloß. Der Hauptmann der Stadtgarde stand am Tor des Klosters und nachdem er heftig salutiert hatte wies er Joro an, ihm zu folgen.

Nach ein paar Schritten kam dem Bischof ein Gedanke.

„Ich habe dich niemals nach deinem Namen gefragt, Hauptmann.”

„Das ist richtig. Ich heiße Joken.”

Joro zuckte zusammen, denn sein ältester Bruder hatte den selben Namen getragen.

„Ah, gut, Joken. Wie läuft das Training der Klosterwache?”

Gut, Euer Eminenz, wir haben zwei Kompanien von Rekruten, die nicht vollständig untauglich sind. Es kommen außerdem immer mehr junge Männer aus der Umgebung, die ein Abenteuer suchen. Eine ganze Reihe von denen wird schnell merken, daß das hier kein Platz für Kinderspiele ist, darauf könnt Ihr euch verlassen, aber hin und wieder sind einer oder zwei dabei, die ich gebrauchen kann.”

„Wunderbar.”

„Ich... ich wollte Euch um etwas bitten, Eminenz.”

„Sicher, Joken, nur raus damit.”

Der Hauptmann machte mit seinem Kiefer Bewegungen als wollten die Worte seinen Mund nicht verlassen, doch dann blickte er Joro an und sagte:

„Da ich für das Ausbilden der Klosterwache verantwortlich bin, kann ich mich nicht mehr ausreichend um meine Pflichten als Kommandant der Stadtwache kümmern. Fürst Olgerich ist mit mir da einer Meinung, aber er hat die Entscheidung darüber, wie damit umgegangen wird in Eure Hände gelegt.”

Das überraschte Joro.

„Verzeihung, aber wir kommt das?”

„Die Motive des Fürsten sind nicht meine Angelegenheit, Eminenz.”

„Nein, natürlich nicht... Ich werde mit ihm darüber reden.”

„Gut.”

Joken schwieg den Rest des Weges und Joro fragte nicht weiter.

 

Am Stadtschloß angekommen salutierte der Hauptmann um ein weiteres Mal und Joro ging durch das Hauptportal in den Empfangssaal, wo er auch gleich weiter ins Kabinett geleitet wurde. Dort saßen Olgerich, Hrynn, Omareth, Alystin, Ghaundar und Ulfr beisammen und waren bereits heftig am diskutieren. Als Joro in den Raum trat standen alle auf und begrüßten ihn förmlich.

Olgerich ergriff das Wort:

„Ich bin höchst erfreut heute Abend eine komplette Sitzung abhalten zu können. In den letzten Wochen hat Marinus als Euer Stellvertreter beigesessen, aber in einigen Punkten konnte er natürlich nicht einfach Entscheidungen treffen.”

Joro schluckte und setzte sich, wie ihm auffiel betont vorsichtig, auf den ihm zugewiesenen Stuhl und raffte kurz alle seine Gedanken zu einem praktischen Bündel zusammen.

„Ich freue mich über die freundliche Begrüßung und kann immerhin mitteilen, daß ich mich am heutigen Nachmittag über die Dinge, die anstehen so grundlegend wie nur möglich informiert habe. Zunächst möchte ich allerdings lieber erst nur zuhören und mir einen Überblick über das Tagesgeschehen verschaffen.”

„Natürlich. Hrynn, ich denke, daß es helfen könnte, noch einmal von vorne zu beginnen.”

Der Abt nickte, räusperte sich und sagte dann:

„Um es noch einmal zusammenzufassen: Herr Omareth und ich kommen überein, daß die Versorgung der Anwesenden Truppen, inklusive einer Überschlagsmenge von Neuzugängen, die sich in den letzten Wochen eingefunden hat, ist derzeit kritisch, bis zur ersten Ernte werden wir mit beinahe einhunderprozentiger Wahrscheinlichkeit nicht durchhalten.”

„Und die Forderung, daß mein Volk, daß von dieser Situation absolut unbehelligt ist, da wir uns vollständig selbst versorgen können, da Hilfe geben soll ist absurd”, warf Ulfr ein.

„Wir sind alle ein Volk”, sagte Olgerich, mit Anspannung in der Stimme, „wenn auch vielleicht nicht kulturell, so doch in dem was vor uns liegt. Wir können uns Uneinigkeit nicht leisten und jeder muß seinen Teil dazu beitragen, daß das Ganze als Einheit funktioniert.”

Die drei Männer waren kurz davor, wieder anzufangen, sich gegenseitig anzubrüllen, doch dann hielten sie alle inne und sahen zu Joro hinüber.

Der Bischof hatte so etwas schon erwartet und erinnerte sich an seinen Beschluß.

„Meine Herren, ich kann mich nicht wirklich in eine derartige Entscheidung einmischen, da es sich nicht direkt um eine Angelegenheit der Kirche handelt”, den Anwesenden war spontan Überraschung anzusehen, „und da ich mich entschlossen habe, mich nicht in Dinge einzumischen, die nicht direkt in meinem Verantwortungsbereich liegen, damit ich mich auf das, was für meine Position ausschlaggebend wichtig ist konzentrieren kann, ist alles, was ich geben kann ein Ratschlag und was ich selbst denke, in dieser Situation beisteuern zu können.”

Olgerich kratzte sich am Kopf, sagte aber nichts.

„Was ich also zu tun gedenke ist das Folgende”, setzte Joro fort, „erstens werde ich eine Aufstellung machen, wieviel der Schatzkammer des Klosters wir auf das Einkaufen von weiterer Ausrüstung, Rohmaterialien et cetera benutzen können, und dann werde ich einen Teil davon für den Einkauf von Provisionen bereitstellen. Ich stimme mit Fürst Olgerich übereins, daß wir entweder alle zusammenarbeiten, oder jegliche Anstrengung, die wir bisher unternommen haben war so oder so vergebens.”

Ulfrs Stirn kräuselte sich in einer Mischung aus Frustration und Ärger.

„Mein Volk ist hier, weil wir unsere Heimat verteidigen wollen und, mit Verlaub, meine geschätzten Anwesenden, eine Wiederholung der Jahre unter Welverin auf gar keinen Fall gestatten können und wollen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die bisher wunderbar funktionierende Selbstversorgung in Gefahr geriete, falls wir anfingen, unsere Ressourcen an andere zu verteilen.”

Hrynn massierte sich die Schläfen.

„Werter Ulfr, ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr nichts, aber auch gar nichts über habt, das ihr nicht als Reserve in der Hinterhand behaltet. Wir werden in weniger als drei Monaten so oder so nach Süden marschieren und es wird schlichtweg nicht möglich sein, eure gewaltigen Herden mitzunehmen. Selbst hier, wo der Krieg noch nicht angekommen ist geht der Weidegrund jetzt schon zu Ende. Nicht zu vergessen, daß sich die Bauern in der Umgebung nun schon seit Wochen beklagen, daß die Ziegen und Schafe ihnen die Aussaat unmöglich machen werden.”

Jetzt war es an Omareth, die Stimme zu erheben.

„Wenn wir abmarschieren werden die Tiere auf die eine oder andere Weise mit uns mitkommen müssen. Entweder lebend oder als Vorrat in einem Faß mit reichlich Salz oben drauf. Dann können die Bauern in aller Ruhe säen und ernten. Die Frage ist also einzig und allein die, ob wir es schaffen, unseren Soldaten und deren Anhang noch zwei Monate lang genug zu essen auf den Tisch zu bringen. Eine Armee marschiert nicht nur auf dem Magen, im Lager liegt sie auf ihm.”

Ulfrs Gesicht verzog sich nun in Abscheu, Joro wußte, daß die Vorstellung, auch nur ein einziges Tier zu schlachten, wenn es nicht absolut notwendig war, für einen Nordmann beinahe ein Sakrileg darstellte. Die Tiere waren nicht nur ein klares Zeichen für den Wohlstand eines Mannes, sondern auch als Geber von Milch und Wolle lebend mindestens genausoviel wert wie als Fleisch. Zu seiner Überraschung kommentierte der Jarl allerdings Omareths Aussage nicht, sondern sah stattdessen zu Joro herüber, mit einem Blick, den man nur als hilfesuchend bezeichnen konnte.

Joro seufzte. Bei seinem Entschluß, sich aufs Kloster und die Kirche zu fokussieren hatte er vermutlich den einen Teil, der vorher schon oft genug eine Rolle gespielt hatte entweder ignoriert oder vielleicht eher gehofft hatte, umgehen zu können. Er stand als geistliche Autorität ein wenig abseits. Außerdem erinnerte er sich daran, daß er höchstpersönlich die Idee gehabt hatte, die Hirtenvölker nach Bargum einzuladen und das machte ihn in Ulfrs Augen sicherlich zur wichtigsten Person in diesem Raum.

Er seufzte noch einmal und blickte dann zu Ulfr auf.

„Ulfr, wenn wir rechnen, daß wir in drei Monaten so oder so von hier aufbrechen müssen und ein Mitnehmen der ganzen Herden aus logischen Gründen im allerbesten Falle trotzdem nur für eine kurze Zeit möglich sein wird, weil wir die Tiere auf den Feldern Hanlars so oder so nicht weiden lassen können: Kannst du dir eine Lösung vorstellen, in der die wohlhabensten unter deinen Häuptlingen das, was sie nicht wirklich für ihren eigenen Gebrauch behalten müssen der Allgemeinheit zugute kommen lassen können?”

Der Jarl entblößte betont die Rune an seinem Hals und sagte:

„Können? Ja, vielleicht. Aber werden sie es wollen: Nein. Ich würde zudem meine Autorität zutiefst in Frage stellen, sollte ich so etwas auch nur vorschlagen. Sollte ich es befehlen würde das unter Umständen zu einem Bruch von Treueeiden führen.”

„Dann müssen wir einen Weg finden, wie sie das trotzdem tun, es aber für ihre eigene Idee halten. Der Gemeinschaftssinn deines Volkes ist legendär, Ulfr und ich denke, daß es irgendeinen Präzedenzfall geben muß, wo die Hirten ihren Nachbarn geholfen haben, über eine schwere Zeit hinwegzukommen.”

Der Jarl rümpfte die Nase.

„Die Idee ist besser als gar keine. Ich werde mich wohl mit meinem Schamanen einmal darüber unterhalten. Aber ich verspreche nichts.”

Olgerich war seine Erleichterung anzumerken.

„Gut, dann hätten wir das zumindest schon vom Tisch. Ich hoffe, daß ich in Bälde vom Kloster Nachricht erhalten werde, wieviel Gold zum Einkauf von Versorgungsgütern zur Verfügung gestellt werden kann.”

Joro nickte.

„So schnell es geht.”

Omareth ergriff das Wort.

„Wo wir schon einmal vom Abmarschieren gesprochen haben: Wir können in Kürze einen Botschafter Hanlars erwarten. So wie es scheint haben die auch endlich gemerkt, daß sich in Daishan etwas tut, zudem wissen wir, daß unser Leib- und Magenkumpel Sorael dort auch schon vorstellig geworden ist. Während wir nur wenig über dessen Unterredung mit Kaiser Rilkin wissen, weil diese natürlich unter vier Augen stattgefunden hat, bin ich mir sicher, daß er nicht viel freundlicher war als hier und daß es dem Kaiser nunmehr offensichtlich ist, daß er auf keine Hilfe verzichten kann. Was auch immer am Ende die Gründe sind, dürfte jener Botschafter in zwei oder drei Tagen hier eintreffen und dann werden wir auch eine Antwort bekommen, ob und wann und unter welchen Umständen wir nach Süden aufbrechen müssen.”

Alle Anwesenden nickten oder machten ein zustimmendes Geräusch.

Hrynn räusperte sich.

„Ich kann allerdings nur davon abraten, schon in Kürze aufzubrechen. Die Truppen, die wir bisher gesammelt haben sind in keiner Form, um in den Krieg zu ziehen, gute Ausrüstung oder nicht. Wenn die Männer und Frauen, die sich uns angeschlossen haben nicht noch mindestens vier bis acht Wochen mit ihren Waffen und Formationen üben können, sind sie nichts weiter als ein überraschend gut bewaffneter Mob. Die Einzigen, die das wollen können sind die Legionäre.”

Omareth war der selben Meinung.

„Wir haben alles daran gesetzt, einfache Kompanien aufzubauen, die zumindest als Hilfstruppen für die kaiserliche Armee agieren können. Die Duergar und wir Drow können Kämpfer dazugeben, die den Kern einer Truppe ausmachen können. Vor allem Balthasars Soldaten dürften die schwerste Infanterie auf dem ganzen Kontinent sein.”

„Das ist noch ein Punkt, über den wir sprechen müssen”, warf Hrynn ein, „Torkum war nur eine halbe Woche hier und ist dann wieder in Richtung Enklave abgereist. Es wäre von Vorteil, wenn wir einen Angehörigen von Balthasars Hof als reguläres Mitglied dieses Gremiums hätten.”

Alystin meldete sich zu Wort.

„Ich habe da eine Idee und wenn ich mich nicht völlig irre wird die sogar wunderbar funktionieren.”

Alle Gesichter wandten sich zu ihr.

„Als wir zu Gast an seinem Hofe waren, ist mir zwar aufgefallen, daß Torkum als sein Marschall sicherlich sehr korrekt und loyal agiert, aber es gab nur eine Person, die ich da getroffen habe, die nicht nur einen disziplinierten Eindruck gemacht hat, sondern auch so etwas wie eine Macht über den König gehabt zu haben schien.”

Joro ging ein Licht auf.

„Du willst Myelin als Botschafter nach Bargum berufen?”

Sie lächelte.

„Kannst du dir irgendwen anderes vorstellen, der Balthasar ein Versprechen abringen kann, das dieser sich dann auch gezwungen fühlt, einzuhalten?”

Olgerich lachte leise.

„Das ist genial, Hohepriesterin. Wenn wir das hinbekommen, sollten wir keine Probleme mit seiner Unterstützung haben.”

Omareth hatte seine gewohnte Ernsthaftigkeit behalten.

„Zudem habe ich da Gerüchte gehört, daß sich ein Orkstamm auf dem Weg nach Bargum befindet?”

Joro schluckte.

„Nein, noch nicht. Plok wird in einem Monat Richtung Süden aufbrechen.”

„Ein wenig mehr Informationen wären erfreulich..?”

Der Bischof erzählte in kurzen Worten das, was er erlebt hatte und als er fertig war, war er mit fünf sehr zweifelnden Gesichtern konfrontiert, selbst Alystin, die die Geschichte ja nun schon kannte, konnte sich das nicht ganz verkneifen.

„Ich sollte vielleicht noch einmal deutlich erklären, daß ich nicht nur offiziell der Schamane von Ploks Stamm bin, sondern daß Celestus persönlich seine Hilfe nicht nur angeboten, sondern auch gegeben hat.”

„Du sprichst von etwas über zweihundert”, sagte Omareth, „wenn man nicht mitrechnet, was der Grünhäuter vielleicht noch unterwegs aufgegabelt.”

„Richtig.”

„Ich muß dir hoffentlich nicht erzählen, was das schon in sich für ein theoretisches Problem darstellt. Wenn er nun vielleicht dazu in der Lage wäre, mit der „Hilfe”, die du ihm gegeben hast, von dem Amulett mal ganz abgesehen, das ihn ohnehin vermutlich schon stärker macht als jeden anderen Häuptling, die Anzahl seiner Krieger zu verdoppeln oder verdreifachen, dann kann man sich kaum ausmalen, was hier los sein wird, wenn mit einem Mal eine Horde von sechshundert Orcs auftauchen.”

„Soweit ich das richtig verstanden habe, sind sechshundert Orcs noch keine Horde.”

Der Drow sah ihn verwirrt und ein wenig verärgert an.

„Es ist völlig unerheblich, wie sich das nennt, sechshundert Grünhäute sind genug, um uns einen guten Teil unserer Soldaten zu kosten, sollten die sich dazu entschließen, das Fürstentum zu plündern. Dafür haben wir weder Zeit noch die nötigen Ressourcen!”

Joro merkte erst Trotz in sich aufwallen, dann beruhigte er sich aber schnell. Es würde keinem helfen, einen Streit vom Zaun zu brechen.

„Du hast natürlich Recht Omareth, aber ich bin zuversichtlich, daß es nicht dazu kommen wird. Nenne es Intuition, nenne es Vertrauen in meinen Gott oder vielleicht sogar eine Kombination beider Dinge. Auf jeden Fall denke ich, daß wir mit Plok als Verbündetem rechnen können.”

'Ähm, ja. Da gibt es etwas, worüber wir reden müssen, aber das hat Zeit bis später.' Celestus klang irgendwo zwischen unsicher und peinlich berührt.

Nun war es an Ghaundar, das Wort zu ergreifen.

„Ich habe noch eine Sache, die wir heute bereden müssen, danach geht es nur noch um Ziffern, Summen und Bestände.”

Olgerich machte eine Geste, die ihn aufforderte, fortzufahren.

„Mal davon abgesehen, daß ich andauernd Berichte auf den Tisch bekomme, die sich zunächst schwachsinnig anhören, sich dann aber bewahrheiten, gibt es einen, der in den letzten Tagen heraussticht. Gehörig”, er räusperte sich und kratzte sich dabei am Kopf, „So wie es aussieht, befindet sich eine Gruppe von Steinriesen auf dem Weg nach Bargum.”

Joro verwirrte das.

„Steinriesen? Soweit ich das verstanden habe, können die Menschen, oder genauer gesagt eigentlich niemanden so gut leiden. Warum sollten ausgerechnet...”

Ghaundar unterbrach ihn.

„Die Sache ist ein wenig verzwickt, aber ich habe in Erfahrung bringen können, daß es in den Bergen wohl mehr als nur einen Zwischenfall mit der Legion gegeben hat. Der Angriff auf Noth war nur ein Teil der Anstrengungen, deine Rüstung und den Hammer in die Hände zu bekommen und wie es scheint haben sie so ziemlich jede noch so kleine Höhle ins Auge genommen, die sich in den Bergen finden ließ.”

„Steinriesen leben in Höhlen...”

„Stimmt. Nun hattest du ja schon erwähnt, daß dieses Volk nicht sehr gesellig ist, und wenn man dem Bericht glauben darf, was ich in der Tat tue, dann hat es ein Scharmützel gegeben, in dem einige Riesen und eine ganze Reihe von Legionären ihr Ende gefunden haben. Warum nun aber diese Gruppe ausgerechnet hier herkommt ist mir schleierhaft. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit der Situation umgehen wollen. Mit Riesen ist nicht zu spaßen.”

Joro überlegte, dann hob er seinen Zeigefinger.

„Ich glaube, daß wir erst noch einmal nachlesen sollten, was über Steinriesen an Informationen zu finden ist, ich gehe nachher in die Klosterbibliothek und suche heraus, was ich finden kann. Die Sache macht mir ein seltsames Gefühl im Magen.”

„Nicht nur dir... Wir haben vermutlich noch eine Woche, bis die in die Nähe Bargums kommen.”

Der Bischof überlegte kurz, ob er sich nicht wieder zu weit aus dem Fenster lehnte und sich in Dinge einmischte, die nicht direkt in Bezug auf die Kirche standen, aber eine Bedrohung für die Stadt war eine Bedrohung für das Kloster, also akzeptierte er seine Eifer und nickte sich innerlich selbst zu.

„Gut, ich gebe morgen früh Bescheid, was ich herausgefunden habe.”

 

Ghaundar hatte Recht behalten, es ging im Folgenden nur noch um Statistiken und Organisatorisches. Am Ende waren alle müde und Ulfr war der Erste, der sich verabschiedete. Alystin und Olgerich waren noch in ein Gespräch bezüglich Vorräten an Heilkräutern und der generellen medizinischen Versorgung der Stadt vertieft, kamen aber auch irgendwann zum Punkt und die Drow stand auf, verabschiedete sich von Olgerich und sagte Joro, daß sie später im Kloster vorbeikommen würde.

Als der Bischof mit dem Fürsten allein war, fragte ihn dieser:

„Ich nehme an, daß Ihr noch hier seid, weil Joken mit Euch gesprochen hat.”

„Das ist in der Tat der Fall, Durchlaucht.”

Olgerich seufzte und ließ die Schultern hängen.

„Der Mann ist ein besserer Soldat, als ich ihn jemals getroffen habe. Hrynn und Omareth halten ebenfalls ausgesprochen hohe Stücke auf ihn. Aber in den Wochen, in denen er sich nun mit der Ausbildung der Klostergarde beschäftigt hat, wurde mir immer mehr und mehr klar, daß er mit seinen Aufgaben mit der Stadtwache unterfordert gewesen ist. Nicht was die Arbeitsmenge angeht, sondern was den Inhalt seiner Pflichten betrifft. Vor einer Woche habe ich ihn dann zu mir gebeten und ihn gefragt, ob er sich noch imstande fühlt, beide Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen und er hat mir zum ersten Mal in der ganzen Zeit, die er hier verbracht hat eine negative Antwort gegeben.”

„Er will also nicht mehr für Euch arbeiten?”

Der Fürst machte einen bekümmerten Laut und schüttelte dann den Kopf.

„So einfach ist es nicht. Er fühlt sich uneingeschränkt der Wache zugehörig und weigert sich, seinen Posten aufzugeben, falls es keinen Nachfolger in seiner Position gibt, der seinem eigenen Standard entspricht, und der ist hoch. Auf der anderen Seite weiß ich, daß ihn die Ausbildung der Klostergarde mehr Erfüllung verschafft, als der Dienst mit den Soldaten der Wache. Also sitzen sowohl er als auch ich zwischen zwei Stühlen.”

Joro verstand. Olgerich hatte ihm den Hauptmann zur Seite gestellt, wohl teilweise als Geste guten Willens, und das Ergebnis war, daß die Stadtwache einen beschäftigten Kommandanten hatte, der seine ursprüngliche Arbeit nicht mehr auf einem Niveau ausführen konnte, das für alle Parteien akzeptabel war.

Sein erster Gedanke war, vorzuschlagen, die Stadtwache einfach in die Armee zu inkorporieren, aber das wäre außerhalb seiner Entscheidungsmacht. Außerdem mußte es auch bei Abzug der Armee immernoch eine Wache geben, die sich um die Belange der Stadt kümmerte.

„Es gibt niemanden, der seine Arbeit als Hauptmann der Wache übernehmen kann? Einen Sergeanten oder dergleichen?”

„Joken hat mir eindeutig klar gemacht, daß sein Stellvertreter ihn ersetzen könnte, aber daß er nicht genug Vertrauen für den Mann besitzt, um ihn zu empfehlen.”

„Hat das spezifische Gründe?”

Olgerich wirkte unentschlossen.

„Auf der einen Seite bin ich mir nicht sicher, inwiefern Joken gewisse Probleme mit Kontrollzwang besitzt. Auf der anderen Seite spielt eventuell eine Rolle, daß die beiden vor ihrem Dienst hier in rivalisierenden Söldnerregimenten verdingt waren. Da war immer eine Rivalität, die ich allerdings als Quelle für Ansporn für beide gesehen habe.”

Joro runzelte die Stirn.

„Ich würde ihn wirklich gerne behalten und er hat mir gesagt, daß Ihr die Entscheidung in meine Hände legen wollt.”

„Das ist richtig.”

„Dann wäre ich der Ansicht, daß Ihr ihn aus Eurem Dienst entlassen sollt, ich ihm einen Treueeid abverlangen werde und ihn somit als Mitglied der Kirche einstellen werde. Auf die Art und Weise wird er keinerlei Grund oder Handhabe behalten, sich in die Geschäfte der Stadtwache einzumischen und gleichzeitig wird er sich voll und ganz auf seine Aufgabe im Kloster konzentrieren können.”

Der Fürst schien erleichtert und enttäuscht zugleich.

„Ich lasse ihn wirklich ungern gehen, aber es ist offensichtlich, daß er mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden ist. Vermutlich ist Euer Vorschlag die beste Lösung.”

„Sein Stellvertreter hat sich nichts zu Schulden kommen lassen, oder?”

Ein Lächeln schmiegte sich über das Antlitz des Fürsten.

„Nein, und ich glaube sogar, daß er sich doppelt anstrengen wird, um es dem „Bastard”, wie er Joken hinter seinem Rücken nennt zu beweisen.”

Joro stand auf und reichte Olgerich die Hand.

„Abgemacht, ich nehme ihn sofort mit, wenn Euch das Recht ist.”

 

Der Fürst hatte zugestimmt und als Joro aus dem Portal des Schlosses trat, ging er direkt und schnellen Fußes auf Joken zu.

„Hauptmann, ich muß dich sowohl um deine Insignien, als auch dein Schwert, deinen Helm und deinen Wappenrock bitten.”

Joken war einen Moment verdutzt, doch dann trat ein breites Lächeln auf sein Gesicht und er begann, seinen Stab und alle anderen Dinge, von denen Joro gesprochen hatte an einen seiner Weibel zu geben. Dann wandte er sich dem Bischof zu und fragte:

„Also werdet Ihr mich sofort in Euren Dienst nehmen?”

„Das hängt davon ab, ob du dir voll und ganz darüber im Klaren bist, was deine neue Aufgabe beinhaltet.”

„Ich bin ganz Ohr.”

„Wenn du in meinen Dienst eintrittst, wirst du nicht mir, sondern der Kirche dienen. Deine Pflicht wird darin bestehen, die Gläubigen zu verteidigen und das geistige und weltliche Gut der Kirche zu bewachen, bis ans Ende deines Lebens. Kannst du das akzeptieren?”

Joken war unschlüssig.

„Ich bin Zeit meines Lebens nicht unbedingt der Gläubigste gewesen, Eminenz...”

„Was nicht ist, kann ja noch werden. Davon abgesehen habe ich nicht gesagt, daß du ein Zelot vor dem Herren werden mußt, wenn du deine Aufgaben pflichtgetreu erledigst, bin ich schon zufrieden. Genaugenommen kannst du das Beten den Mönchen überlassen, solange du dafür sorgst, daß sie das ungestört machen können, wenn du verstehst was ich meine.”

Des Hauptmanns Gesicht hellte sich auf.

„Das krieg' ich hin, Eminenz.”

„Gut. Folge mir zum Kloster. Ich werde dir etwas zu lesen geben... du kannst doch lesen, oder?”

Die Antwort war ein Schnauben.

„Natürlich. Habt Ihr eine Idee, wieviel Papierkram ein Hauptmannsposten ist?”

Guter Punkt. Ich fürchte, daß sich daran nicht viel ändern wird, ich bin nämlich ziemlich penibel mit Dokumentation aller Art. Aber was ich dir zu lesen geben will ist ein kleines Büchlein, daß ich geschrieben habe. Oder besser formuliert: überarbeitet. Das wird deine Aufgabe für heute Nacht sein. Wenn du damit fertig bist, werden wir uns morgen früh darüber unterhalten, ob du mich wirklich als Dienstherren haben willst oder nicht.”

 

Gesagt, getan. Joro brachte Joken ins Kloster, wies ihm eine Zelle zu und ließ einen der Totengräber in die Schreibstube eilen und eines der Exemplare der neuen Kirchenregeln holen, die man dort bereits begonnen hatte zu kopieren.

Er drückte dem Hauptmann das Buch in die Hand und verabschiedete sich von ihm, Joken hatte bereits zu dem Zeitpunkt an dem sich Joro zum Gehen wandte begonnen zu lesen, was ihm ein gutes Gefühl machte.

Nun stand er einen Moment unschlüssig im Hof, bis auf ein paar Totengräber, die beim Schein von Öllampen damit beschäftigt waren, die Vorräte zu inventarisieren war sonst keiner mehr auf den Beinen. Es kam ihm eine Idee und er ging zielgerichtet zu Marinus Zelle.

Der hatte schon geschlafen und Joro bekam ein schlechtes Gewissen, als er das vom Anstrengung zerfurchte, müde Gesicht seines Kollegen sah, aber wie immer erhellte sich das Gesicht des Totengräbers sofort zu einem freundlichen Lächeln, als er seinen Bischof erkannte.

„Wie kann ich Euch helfen, Eminenz?”

„Ich bräuchte den Schlüssel zur Schatzkammer, Marinus. Mir ist eine Erinnerung gekommen, daß da etwas war, das ich gut gebrauchen kann und es kann leider nicht warten.”

„Ihr braucht Euch doch nicht zu entschuldigen, Euer Eminenz, der Schlüssel ist von Rechts wegen Eurer.”

Marinus kramte im Haufen seiner Kleider und holte den großen, schweren Bund hervor, um ihn dann an Joro zu reichen.

„Darf ich fragen, was Ihr benötigt?”

„Es ist nur eine Idee und es kann sein, daß ich mich falsch erinnere, aber hatten wir nicht eine ganze Reihe sehr teurer und alter Waffen in der Schatzkammer? Etwas, das man wohl als „Sammlerstücke” oder gar „Artefakte” bezeichnen könnte?”

Der Totengräber lächelte müde.

„Sammlerstücke trifft es schon eher. Das meiste sind Waffen und Rüstungen, die eher aufgrund ihres Materialwertes und Einzigartigkeit dort gelandet sind, als aufgrund ihrer Anwendbarkeit. Aber es stimmt schon, daß ein Teil der Kammer damit vollgestopft ist. Sie stehen auf der Inventarliste unter „Einschmelzbares”.”

„Dann werde ich mir die mal ansehen. Ich bringe den Schlüssel morgen früh zurück.”

 

Die Tür zur Schatzkammer war mittlerweile sehr gut geölt und öffnete sich trotz ihrer immensen Größe und Gewichtes lautlos. Der Haufen Gold und Silber, den Joro in Erinnerung gehabt hatte war deutlich geschrumpft, aber es war immernoch so viel aufgestapelt, daß es ihm fast wie ein Wunder schien, daß in Jahrzehnten kein Kriegsherr auf die Idee gekommen war, Bargum zu plündern.

„Ich habe alle Kraft, die ich noch übrig hatte darauf verwandt, das zu verhindern, Joro. Immer in der Hoffnung, daß eines Tages jemand wie du daherkommt, der diese Schätze für etwas Gutes einsetzt.”

Celestus stand ein wenig Abseits und betrachtete ein Ölgemälde an der Wand, das eine Prozession von Totengräbern auf dem Weg den Hügel hinauf zum Kloster darstellte.

„Das muß anstrengend gewesen sein, vor allem mit dem Gedanken, daß diejenigen, die all das hier angehäuft haben mit Sicherheit kein Interesse an dir hatten. Nur an ihren eigenen, fetten Mägen.”

„Das trifft es auf den Punkt genau, mein Sohn. Glaube ja nicht, daß ich auch nur eine Minute davon genossen habe, aber auch für Götter stimmt am Ende, daß die Hoffnung zuletzt stirbt.”

Joro schaute in das dicke Buch, daß auf einem Pult am Eingang stand und fand recht schnell den Eintrag, den Marinus dort gemacht hatte. Dann sah er sich um und ging in den hinteren Teil der Kammer, die man wohl mit Fug und Recht eine Halle nennen konnte und fand dort mehrere Kisten und Truhen, die mit dem gleichen Zeichen wie der Eintrag im Inventar versehen worden waren.

Marinus hatte Recht behalten, der Inhalt der meisten Behältnisse war enttäuschend. Harnische und Helme, die nur so vor Gold und Edelsteinen protzten, eine Reihe zeremonieller Streitkolben, die man wohl eher als überschwere Zepter für den Kaiser mit den dicken Unterarmen hätte akzeptabel finden können, aber selbst Joro hatte so viel Ahnung von Metallurgie, daß es ihm klar war, daß ein Streitkolben aus purem Gold für etwa einen Schlag gut war, dann hatte man eine Streitkartoffel.

Er ließ sich auf seine Fersen sinken und seufzte. Eitelkeit und Gier hatten selbst in manchen auf den ersten Blick unklaren Weisen wirklich selten irgendeinen Nutzen.

Celestus hatte ihn aufmerksam betrachtet und ging nun langsam zum Pult, nahm das mindestens zwanzig Kilo wiegende Buch mit einer Hand herunter und kam dann zu Joro hinüber.

„Ich glaube, daß du einfach nur an der falschen Stelle suchst.”

Der Bischof wischte sich Schweiß von der Stirn und drehte sich zu seinem Gott um:

„Was meinst du?”

„Hier steht etwas von „Kuriositäten”. In meiner Erfahrung ist das fast immer genau der richtige Ort um damit zu beginnen etwas zu suchen von dem man keine Ahnung hat, was es ist.”

„Wer sagt denn, daß ich keine Ahnung habe?”

„Schon vergessen, daß ich deine Gedanken lesen kann?”

„Guter Punkt. Was ist denn das Zeichen für Kuriositäten?”

„Ein Stern mit sieben Zacken.”

Joro stand auf und blickte sich um. Im hinteren Teil der Halle, in den er sich gerade befand waren fast alle Kisten mit dem gleichen Zeichen vermerkt wie diejenige, die er eben durchsucht hatte. Doch in einer der Ecken standen drei kleinere Kisten, die etwas abseits plaziert waren.

„Dort?”

„Sieht fast so aus.”

Die Kisten waren alle drei aus dem gleichen, schwarzen Holz, das zwar ein wenig an Ebenholz erinnerte, aber ausgesprochen aromatisch und fremdartig roch.

In der ersten waren einige, von Motten zerfressene Kleider von ihm unbekannter Machart, eventuell vom Ostkontinent, aber sicherlich nur deshalb hier aufbewahrt, weil sie mit Goldfäden durchwebt waren. In der zweiten befand sich eine Armbrust, wie sie Joro vorher noch nie gesehen hatte. Die schweren Armbrusten, die die Duergar benutzten hatten eine Art Seilwinde, die man auf das eine Ende des Stockes aufsteckte und dann mußte man erst einen schweren Eisenhaken in die Sehne einbringen, bevor man mühsam die Selbige bis zum Anschlag hochkurbelte.

Dieses Gerät hatte eine eingebaute Winde, die merklich klein aussah, wenn man bedachte, daß die Waffe von ihrer Bauart und Größe her denen der Duergar in nichts nachstand.

„Ganz schön alt, das Ding. Es erstaunt mich, daß sie so gut in Schuß zu sein scheint.”

Celestus war ebenfalls in seine „Knie” gegangen und schaute Joro über die Schulter.

„Es ist schon eine ganze Weile her, daß ich so etwas gesehen habe.”

„Was meinst du?”

„Das erste Reich. Vor beinahe eintausend Jahren.”

„Zu deinen „Leb”-Zeiten?”

„Ein wenig früher, aber prinzipiell: ja. Die Menschen im ersten Reich waren ausgesprochen erfindungsreich und das Modell, das du hier vor dir liegen siehst ist eine typische Infanteriewaffe dieser Zeit. Ich frage mich ehrlich gesagt, wie die überhaupt hier hergekommen ist.”

Es lag Joro auf der Zunge, etwas von Vorsehung zu witzeln, aber da er sowieso wußte, daß Celestus mitlas, verkniff er sich, das auch auszusprechen. Etwas anderes interessierte ihn mehr.

„Wenn sie eine typische Infanteriewaffe war, dann muß sie sich auch bewährt haben. Davon abgesehen sieht das mit der Winde einfach aus als mit den Seilen, die die Duergar benutzen. Vielleicht wäre das hier interessant für unsere Soldaten?”

„Ich weiß nicht, ob das Vorsehung war, meine jedenfalls nicht. Aber du hast Recht, das könnte vielleicht interessant sein. Allerdings ist das hier nicht, wonach du gesucht hast, oder?”

„Nein. Nicht wirklich.”

Celestus deutete auf die dritte Kiste.

„Einen Versuch hast du noch.”

Die dritte Kiste war eine totale Enttäuschung. Zumindest was potentielle Erwartungen anging, denn hier fand sich nur ein Sammelsurium an kleinen Porzellanfiguren, zwei mit Tinte auf Papyrus gemalte Landschaftsfiguren mit Menschen die seltsam aussahen, mit weißer Haut und Schlitzaugen und ein Spiegel aus Obsidian, an dessen Kanten etwas klebte, das wie getrocknetes Blut aussah.

Ansonsten Fehlanzeige.

Mit einem enttäuschten Ächzen ließ sich Joro auf seinen Hintern sinken und ließ einen zusätzlichen Laut des Unmutes von sich.

„Es wäre vielleicht einfacher gewesen, falls du gewußt hättest, was du eigentlich suchst. „Irgendwas Brauchbares” war nicht spezifisch genug.”

„Joken soll etwas in die Hand bekommen, das nicht nur für seine Position symbolisch ist, sondern auch für die Zukunft als eine Form von Symbol für die Garde dienen kann...”

Joro stand auf und trat mißmutig gegen die Kiste mit den zerfressenen Kleidern, was ein unerwartetes „Klonk” produzierte.

„Ich bin ja vielleicht nur ein Gott, aber ich kann mich nicht daran erinnern, Kleider jemals „Klonk” machen gehört zu haben”, meinte Celestus.

Der Bischof fiel auf seine Knie und begann in der Kiste zu wühlen. Mit einem Mal spürte er einen stechenden Schmerz und zog instinktiv seine Hand zurück. In seiner Handfläche war eine Schnittwunde.

„Beißen tun sie für gewöhnlich auch nicht”, Celestus schob ihn vorsichtig zur Seite und nahm mit einiger Vorsicht die Kleider aus der Kiste. Auf dem Boden lag ein seltsam geformtes Etwas, das man als eine Mischung aus Handaxt, Stilett und Kriegshammer hätte bezeichnen können. Der Griff war nur etwa drei Spannen lang und hatte am Ende eine Aushöhlung.

Der Gott hob es an und wischte mit einer Handbewegung sämtlichen Staub und alle Kleiderfetzen, die darauf lagen davon. Er machte ein leise pfeifendes Geräusch.

„Das sieht man nicht alle Tage.”

Joro, der damit beschäftigt war, einen Streifen Stoff von seinem Unterhemd um die Handfläche zu wickeln und sich dabei ausmalte, ob er nicht eintausend Jahre alten Wundbrand zu erwarten hatte, schaute fragend auf die Waffe.

„Auch ein Artefakt aus dem ersten Reich?”

Nein, das hier ist beileibe nicht so alt, aber nichtsdestotrotz kostbar. Allerdings glaube ich kaum, daß es in dieser Kiste unter alten Klamotten begraben war, weil jemand es besonders wertvoll fand. Ich denke eher, daß es damit zu tun hat, daß es einmal einem guten alten Freund von mir gehört hat.”

„Laß mich raten: Nuktu?”

„Richtig...”

„Es ist aber nicht magisch, oder?”

„Nein, aber es ist in den richtigen Händen eine furchtbare Waffe.”

„Ich dachte immer, Nuktu sei mit dem Hammer und der Rüstung unterwegs gewesen?”

Celestus schüttelte den Kopf.

„Am Anfang war er nichts anderes als ein Mitglied eines Stammes, der sich darauf spezialisiert hatte, im Süden Daishans Handelskarawanen zu überfallen. Da aber diese fast immer berittene Eskorten hatten und wie du weißt die Pferde Daishans nicht nur rar gesät, sondern auch alles andere als Streitrösser sind, hatten sie damit oftmals Probleme.”

„Aha...”

Der Gott wandte sich zu Joro um und schnalzte tadelnd mit einer Zunge, die es nicht gab.

„Du solltest diese Geschichte ernst nehmen, denn das hier”, er streckte seine Hand mit der Waffe aus, „ könnte ein kommendes Problem lösen.”

„Schon gut, verzeih mir bitte. Fahr fort.”

„Dieser Waffe war der Grund, warum er überhaupt dazu kam, der zu werden, der er war. Zwar hat er sie nicht erfunden, das war der Schmied seines Stammes, aber Nuktu hat als erster das Potential erkannt, das darin steckte und hat sich quasi den Ruhm der Erfindung eingeheimst.”

Joro nahm die Waffe vorsichtig entgegen und war überrascht, daß sie verhältnismäßig gut ausbalanciert war, trotz des großen Axt/Hammer/Dornkopfes. Ein wenig kopflastig, aber dennoch nicht zu schwer.

„Warum ist da eine Aushöhlung im Griff?”

„Damit man eine Stange anbringen und das Ganze dann wie eine Hellebarde benutzen kann.”

Der Bischof pfiff leise durch die Zähne.

„Wiegt nicht viel, mit dem Dorn kann man stoßen, mit der Axt schneiden und dem Hammer, naja, hämmern.”

„Richtig. Der Erfolg war immens und schon bald war Nuktu so mächtig geworden, daß die Südreiche vor ihm zitterten.”

Joro wog die Waffe in seinen Händen, während sich in seinem Kopf ein Sturm von Ideen und möglichen Szenarien abspielte. Das war genau das, wonach er gesucht hatte. Er legte sie vorsichtig zurück in die Kiste und fragte dann:

„Hatte das auch einen Namen?”

„Im alten Daishani nannten sie es „Mech'rek”, was so viel wie „Der Fleischer vom Dienst” bedeutet.”

„Poetisch.”

„Treffend.”

 

Als Joro in seine Zelle kam, konnte er im Halbdunkel einen bekannten Schemen unter der Bettdecke erspähen. Da er aber wie immer auf der Hut vor dummen Streichen seitens Ghaundar war, ob er nun vielbeschäftigt war oder nicht spielte keine Rolle, kniff er erst vorsichtig in den Fuß der Person, die da lag.

Alystin schlug die Decke zurück und gab einen überrascht-ärgerlichen Laut von sich, was ihn zum Lachen brachte. Und dann dazu, seine Kleider von sich zu reißen und mit aufs Bett zu huschen.

 

 

Kapitel 12

 

Am nächsten Morgen, noch bevor die Sonne aufgegangen war, holte Joro, nachdem er alles Andere vorbereitet hatte, Joken aus seiner Zelle, ging mit ihm schnurstracks in den großen Audienzsaal, wo bereits eine Menge Totengräber, Marinus inklusive, warteten und ließ ihn vor dem Thron knien.

Er sah ein Mal in die Runde, nickte dann zufrieden und erhob die Stimme.

„Joken, Sohn des, Moment, wie hieß eigentlich dein Vater..?”

„Keine Ahnung...”

„Gut, äh, Joken, Sohn Daishans, du stehst hier und heute vor uns, um einen Eid auf die Kirche abzulegen. Hast du die Gesetze der Kirche gelesen und für dich entschlossen, daß du ihnen folgen wirst?”

„Das schwöre ich.”

„Wirst du von jetzt an bis zu deinem Tode treu dienen und, so Celestus es will, dein Leben für die Verteidigung des Glaubens geben?”

„Das schwöre ich auch.”

„Dann erhebe dich, Hauptmann der schwarzen Garde und sei willkommen in unserer Mitte!”

Joken stand vorsichtig auf und die anwesenden Totengräber umringten ihn und jeder einzelne von ihnen gab ihm eine Umarmung und einen Handschlag.

Als sie alle damit fertig waren, stellte sich ein jeder wieder auf seinen Platz und Joken trat vor und sah Joro erwartungsvoll an.

'Sag mal, hätte man da nicht vielleicht auch etwas mit einem, wie hieß das noch gleich, Dweomer machen können?'

'Das fällt dir jetzt ein?'

'Ich war gestern so aufgeregt...'

'Hab ich mitbekommen...'

Wortlos ging der Bischof zu einem Pult, das neben dem Thron stand, auf dem sich, in schwarzes Tuch eingewickelt, ein Gegenstand lag. Er hob ihn betont vorsichtig an und ging dann zu Joken herüber. Vorsichtig nahm er das Tuch herunter und überreichte dem Hauptmann die Waffe.

„Dies soll von nun an die Waffe unserer Krieger sein. Die erste sollst du als Zeichen deines Ranges und deiner Position bekommen.”

Joken sah offen verwirrt auf das seltsame Konstrukt vor sich und rang sich dann ein würdigendes Nicken ab und nahm es in Empfang.

Die anwesenden Totengräber applaudierten und eilten dann aus dem Saal, um der Morgenmesse beizuwohnen.

Am Ende waren nur Joro und Joken allein zurückgeblieben.

Der Hauptmann fand als erster Worte.

„Rein technisch gesehen bin ich aus Hanlar...”

„Macht nichts.”

„Und was ist jetzt mit Frauen?”

„Totengräber dürfen heiraten. Außerdem bist du kein Priester.”

Stille. Dann:

„Was zum Henker ist das hier überhaupt?”

„Du bist von uns beiden der Berufssoldat. Was fällt dir dazu ein?”

Joken sah prüfend auf die Waffe und blickte dann hoch.

„Sieht aus, als hätte jemand nicht nur zu viele Waffen auf einmal favorisiert, sondern auch zu wenig Holz für eine Hellebarde gehabt...”

„Wie wäre es mit einer Evaluierung basierend auf dem zweiten Eindruck?”

„Das waren schon die ersten beiden.”

„Gut. Der dritte?”

Es folgten eine Reihe von prüfenden Armbewegungen, bei denen Joken die Waffe erst schwang, dann damit stieß und dann ein paar parierende Bewegungen machte. Seine Miene erhellte sich ein wenig.

„An sich gar nicht mal so schlecht. Wenn man den Hammerkopf ein wenig dünner machte und damit Gewicht einsparte, könnte das im kurzen Zustand als Fechtwaffe taugen. Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob die Verankerung einer Stange in den Griff das ganze stabil genug macht, um es in einem Speerwall zu benutzen.”

„Meines Wissens nach wurde diese Waffe vor ein paar Jahrhunderten erfolgreich gegen Reiter und Infanterie eingesetzt. Zudem ist sie von der Länge her kurz genug, sie in einer Schildformation zu benutzen, aber lang genug, um um einen Turmschild herum benutzt zu werden.”

Der Hauptmann sah noch begeisterter aus und nickte heftig.

„Sie ist grauenhaft häßlich, aber Ihr habt da durchaus Recht, Eminenz.”

„Sie?”

„Naja, wenn wir hier schon alle mehr oder minder Totengräber sind, dann kommt mir als Name als erstes „Schaufel” in den Sinn.”

 

Die Taufe war fertig und ehrlich gesagt fand Joro „Schaufel” auch nicht schlechter als „Fleischer”. Joken machte sich, nachdem er noch von Joro das Versprechen bekommen hatte, in Kürze mit einer seiner Station angemessenen Version der Rüstung der Garde versehen zu werden, auf zum Stadtschloß, um mit den Duergarschmieden Palaver zu halten. Irgendetwas sagte Joro, daß den dreien die Schaufel sehr zusagen würde, eine glorifizierte Mischpoke mindestens zweier Waffen, die die Zwerge bekannterweise liebten, und eine Extraspitze konnte ja nicht schaden.

Er selbst machte sich daran, in seinem Amtszimmer schnell noch eine Reihe von Dokumenten zu lesen, um dann eine Stunde nach Sonnenaufgang im Stadtschloß mit den versammelten Honorationen zu tagen.

Auch wenn Joro konzentriert bei der Sache war hatte praktisch alles, was zu besprechen war einen so routinierten Charakter, daß es ihn nicht weiter begeisterte. Weitestgehend waren es wieder Zahlen und Statistiken, nur dieses Mal das, was vom Tag erwartet wurde.

Die Sitzung dauerte auch nicht lange und Joro fand sich mit einem Mal vor dem Schloß stehend, ohne eine Idee, was er tun sollte.

Ghaundar trat plötzlich neben ihn, gewohnt lautlos.

„Zu viel oder zu wenig zu tun?”

„Ich hab nicht einmal eine Ahnung, welches von Beidem...”

„Hast du alle Berichte gelesen, die Marinus dir auf den Tisch gelegt hat?”

„Die Hälfte etwa, vieles ist repetitiv.”

„Willkommen in meiner Welt. Zumindest der, in der ich jetzt lebe. Hilft es, wenn ich dir sage, daß du den ersten Bericht lesen kannst und dann alle weiteren eigentlich nur auf Veränderungen durchsieben mußt? Wir halten die Formulierungen normalerweise so, daß Veränderungen sofort auffallen.”

Joro nickte.

„Das war mir schon aufgefallen. Sonst wäre ich sicherlich noch nicht zur Hälfte durchgekommen.”

Ghaundar zog eine Pergamentrolle aus seinem Ärmel und reichte sie Joro.

„Das hier ist der Status Quo. Ich denke, daß dir das erst einmal reichen kann, falls du nicht vor Neugier brennst, wie alles so schnell so schiefgehen konnte.”

Der Bischof nahm die Rolle dankbar entgegen.

„Sehr gut, das wird mir eine Menge Zeit sparen. Gibt es sonst noch etwas, womit ich vielleicht dir helfen kann?”

Ghaundar machte ein übertrieben überraschtes Gesicht.

„Jetzt wo du es sagst... Ja. Was hast du über die Steinriesen herausbekommen, wir hatten das in der Sitzung gar nicht besprochen.”

Joro schoß das Blut in die Wangen.

„Das habe ich total vergessen, ich bitte um Verzeihung.”

„Komisch, Alystin hatte erwähnt, daß du endlich damit aufgehört hast...”

Der Bischof machte eine ärgerliche Geste mit der rechten Hand und sagte dann:

„Ich gehe sofort zur Bibliothek und werde dir Bescheid geben, wenn ich mehr weiß.”

Ghaundar sah sich um, dann gen Himmel und zuckte schließlich mit den Achseln.

„Dann werde ich dich begleiten, die Späher sind nicht vor heute Nachmittag zurück und die olle Bücherei ist ziemlich groß. Zu zweit finden wir schneller mehr heraus.”

Sie gingen die Straße zum Kloster hoch.

„Warum hast du eigentlich nicht selbst schon nachgeforscht, Ghaundar, hast du zu viel zu tun?”

„Prinzipiell ja, aber Marinus hat deutlich gemacht, daß die Bibliothek des Klosters eine Tabuzone ist, solange der Bischof nicht in der Stadt ist. Vermutlich weil da so viele, kleine, böse Geheimnisse aufgeschrieben sind.”

„Das muß dir derbe in den Fingern gejuckt haben”, Joro hielt inne und wandte sich dem Drow zu, „Moment mal, ich kann mir nicht vorstellen, daß dich das abhalten würde.”

Ghaundar schien einen Moment zu überlegen, dann zuckte er mit den Achseln.

„Nein, rein theoretisch würde es das auch nicht, aber ich habe Respekt vor dir und deshalb habe ich meine Neugier im Zaum gehalten. Allerdings sind die Sicherheitsmaßnahmen unterirdisch. Eine Alte Frau mit einer Haarnadel und einem Mop auf dem Kopf könnte da beinahe einfach hereinmarschieren.”

„Warum der Mop?”

„Verkleidung.”

 

Nach drei Stunden intensiver Suche und einem kleinen Imbiß, den Franz vorbeigebracht hatte, lagen schließlich zwei Wälzer auf den Lesepulten der Bibliothek. Seitdem Joro das erste Mal einen Blick in diese Halle geworfen hatte, hatte sich viel getan, auch hier war die Handschrift von Marinus deutlich zu spüren und sehen. Die Leuchter an der Decke, die vormals Kerzen getragen hatten, waren durch abgeschirmte Öllampen ersetzt worden und wenn diese auch dennoch nicht überall Licht spendeten, denn die Regale standen sehr dicht beieinander, war der generelle Lichtpegel besser. Dennoch freute er sich, Ghaundar dabeizuhaben, denn die Nachtsicht des Drow ermöglichte ein schnelleres und effektiveres Suchen.

Die beiden Bücher waren in sehr altbackenem Daishani geschrieben, aber dennoch verständlich. Eines davon hatte Joros Großvater in einer stark vereinfachten Version besessen, das andere war eine Enzyklopädie aus Hanlar.

Während das Lexikon erwartungsgemäß kurz und bündig und nicht sonderlich informativ nur eine Reihe von allgemein anerkannten Fakten präsentierte, die nach der Wahrheit zu durchforsten waren, war das andere Buch, „Eyn Historia der Fölker des Nourdens” eine Goldgrube.

Wer auch immer es geschrieben hatte, dem Titel nach ein „Constantin von Reiva”, mußte mit großer Wahrscheinlichkeit entweder über hellsichtige Fähigkeiten oder gar direkte Erfahrungen mit einer ganzen Reihe der beschriebenen Völker verfügt haben.

Ghaundar las die drei Seiten über die Drow und schluckte hinterher.

„Ich glaube, daß Menschen gar keine so schlechten Spione sind, wie wir sie immer gerne hätten.”

'Erzähl ihm, was du riechst.'

'Wie bitte?'

'Rieche an dem Buch und sag ihm dann, was du riechst.'

Joro lies die Nase über den Einband fahren, was Ghaundar ein erstauntes Kichern verursachte, er sagte aber nichts. Der Geruch des Buches kam ihm bekannt vor, aber er konnte nicht einordnen warum. Irgendwie modrig, alt... tot?

„Dieses Buch hat ein Leichnam geschrieben. Ich glaube allerdings nicht, daß das Albrecht war.”

'Richtig und richtig.'

„Woher willst du das wissen?”

„Geheime magische Fähigkeiten, die nur eingeweihte Priester der Celestuskirche besitzen.”

„Celestus hat es dir verraten, oder?”

„Aufmerksam gemacht. Nicht verraten.”

„Nun gut, also der Wälzer ist durch die Hände eines Leichnams gegangen. Was bedeutet das?”

Joro war sich selbst nicht so sicher.

„Ich vermute mal, daß das bedeutet, daß die Informationen hier drin recht akkurat sind.”

Ghaundar rümpfte die Nase.

„Bezüglich uns Drow sind mir die absolut zu akkurat. Aber ich weiß, was du meinst. Schau mal unter Steinriese und dann wollen wir sehen, was die für eine durchschnittliche Schuhgröße haben...”

Der Eintrag „S” war, seiner Natur gemäß reicht weit hinten im Buch und begann mit einer Lebensechten Zeichnung eines Steinriesen, Joro fühlte sich an die Beinahe-Begegnung auf dem Weg zur Bruderschaft von Jarta erinnert.

„Hier. Steinriesen messen für gewöhnlich vier bis sechs Schritte in ihrer Körperhöhe. Auffallend ist das völlige Fehlen von Haaren an ihren Körpern und das ebenfalls völlig absente Körperfett.” Das stimmte, der Riese, an den sich Joro erinnerte war eine einzige Ansammlung aus Sehnen, Knochen und imposanten Muskeln gewesen. „Die Weibchen dieses Volkes unterscheiden sich äußerlich nur durch ihre sekundären Geschlechtsmerkmale, die Angesichter wirken auch bei ihnen wie schlecht aus einem Felsen gehauen.”

„Scheint mir, als sei er enttäuscht gewesen ob dem Mangel an möglichen Romanzen”, warf Ghaundar ein, aber Joro ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

Steinriesen leben in großen Familienverbänden von zwanzig bis vierzig Individuen zusammen, in denen für gewöhnlich das älteste Subjekt, unabhängig vom Geschlecht, die Rolle eines Anführers übernimmt. Eine spirituelle Neigung ist bei ihnen nicht festzustellen, jedoch tragen sie ihren Namen zu Recht, denn abgesehen von Fellen, die sie von erjagten Tieren zu Kleidung und Alltagsgegenständen verarbeiten, umgeben sie sich sowohl was Werkzeuge als auch Wohnraum angeht mit Felsen und Mineralen, die sie aus dem Berg hauen.

„Soweit so gut. Das wußte ich bereits alles. Was noch?”

Joro kratzte sich am Kopf.

„Hier ist eine ganze Geschichte der Beobachtung eines Clans über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, inklusive Verschiebungen im sozialen Gefüge und einem Vermerk, daß Steinriesen im Stehen gebären und Neugeborene, die davon verletzt werden in der Wildnis aussetzen.”

„Ich habe Schlimmeres gehört und leider auch gesehen, Joro. Irgendetwas, das uns helfen kann?”

„Hmmm, Steinriesen sind dafür bekannt, daß sie als Wohnstätte abgelegene Gegenden im Hochgebirge bevorzugen und diese äußert xenophob verteidigen... wußten wir auch schon... Moment!”

„Was?”

Das hier ist interessant. Weißt du, was ein Geas ist?”

„Ein Dweomer, daß eine Person an eine Tat oder einen Bestimmungsort bindet und ihm oder ihr Schaden zufügt, sobald er oder sie davon abweicht, dieses Ziel zu erreichen.”

„Genau. Dieser Constantin schreibt hier, daß Steinriesen, trotz der bewiesenen völligen Absenz magischer Kräfte in ihrem Volk scheinbar dazu in der Lage sind, sich selbst ein Geas aufzuerlegen. Und hier wird es erst interessant! Die Ursachen dafür können vielartig sein, haben aber fast immer mit Verlust von Eigentum oder Familie oder einer Verletzung des als eigenem Territorium verstanden Areales zu tun. Ein Steinriese wird das Ziel seines Geas bis zur kompletten Selbstaufgabe verfolgen, die seinem Volke grundeigene Sturheit nur noch ins Unermeßliche verstärkt.

„Du glaubst, daß die Riesen, die auf dem Weg hier her sind unter einem Geas stehen?”

„Wäre doch möglich?”

Ghaundar machte einen ärgerlichen Laut und spuckte eine schwarze, unappetitlich aussehende Masse in seine Hand.

„Ich muß mir beizeiten einmal wieder das Original von Balthasar besorgen. Das Zeug, das wir hier als Ersatz haben ist nicht das Wahre”, er nahm ein Tuch aus der Tasche und wischte den Klumpen vorsichtig daran ab, was dunkelbraune Flecken auf der Seide verursachte, „ Aber um mal darauf einzugehen, was da steht: Wir sollten dringend herausfinden, was das Ziel dieses Geas ist und das schnellstens. Laut meinen Spähern sind es zwanzig Riesen und das könnte ein großes Problem werden, Wortspiel dieses Mal unbeabsichtigt.”

Joro runzelte die Stirn.

„Aber was, wenn... Nur einmal angenommen, daß die Hochelfen da oben ein Massaker angerichtet oder zumindest versucht haben, eins zu veranstalten und die Riesen haben ihnen das wirklich, wirklich übel genommen. Vielleicht gar so übel, daß sie sich auf den Weg nach Süden gemacht haben, um ein paar Schädel einzuhauen.”

„So weit so gut?”

„Vielleicht sind die ja gar nicht auf dem Weg nach Bargum. Der Paß, der vom Plateau herunterführt ist nur wenige Tage von der Stadt entfernt und welchen Weg sie einschlagen, wenn sie durch diesen hindurch sind ist noch lange nicht sicher.”

Ghaundar zog die Schultern hoch.

„Das ist ja alles schön und gut, aber erstens müssen wir trotzdem ein Auge auf ihnen behalten und zweitens verstehe ich gerade nicht... oh nein. Du willst nicht wirklich...”

Joro grinste.

„Doch, genau das habe ich vor.”

 

 

Als Joro seine Idee beim gemeinsamen Mittagessen mit Omareth, Ghaundar und Alystin allen Anwesenden erörterte, konnte man im gesamten Stock das Klopfen von Zeigefingern auf Stirnen hören.

„Ich kann dich wirklich gut leiden, Joro, aber du überraschst mich immer wieder mit Vorschlägen, die noch bekloppter sind als das, was du bisher getan hast”, meinte Omareth mit halbvollem Mund, „und auch wenn ich dir nicht übergeordnet bin, kann ich nicht anders als zumindest zu versuchen, es dir zu verbieten. Ein wenig Hilfe diesbezüglich käme mir sehr gelegen, Alystin.”

Die hielt sich zurück und schaute stattdessen auffordernd in Ghaundars Richtung.

Jener schüttelte den Kopf.

„Ihr wißt es alle besser. Wenn der Mensch hier eine seiner Ideen hat, könnt ihr ihn eh nicht davon abbringen. Also am besten erst gar nicht versuchen.”

Joro hätte noch vor ein paar Wochen seine Arme schmollend vor der Brust verschränkt, aber ihm fiel auf, daß ihm die Meinung seiner Freunde sehr viel bedeutete und er sah nun stattdessen fragend in Alystins Richtung. Die Hohepriesterin machte auf ihn trotz der Ablehnung der beiden anderen einen überraschend entspannten Eindruck.

Es schien erst, als wolle sie sich gar nicht dazu äußern, aber dann sah sie erst zu Omareth, dann zu Ghaundar und schließlich Joro, der wie -fast- immer, wenn ihre Augen die seinen trafen einen leichten Stich des Glücks durch seinen Körper zucken fühlte.

„Wenn wir etwas in den letzten Monaten gelernt haben, dann daß das Allermeiste, was Joro anfaßt auf die eine oder andere Art und Weise gelingt. Inwiefern da Glück oder die Tatsache, daß wir seine Fehler ausbügeln eine Rolle spielt, sei dahingestellt, zumindest ein kleines Wenig Talent und gute Intuition müßt ihr ihm beide zusprechen.”

In der Tat konnten sich sowohl Ghaundar als auch Omareth ein grummelndes Nicken nicht verkneifen.

„Davon ausgehend”, fuhr sie fort, „halte ich es dieses Mal auch für eine bescheuerte Idee, weil unabhängig von deiner Einstellung, mein Joro, jeden und alle gleich zu behandeln, gewisse Dinge einfach in Stein gemeißelt sind, und da gehört unter anderem das Faktum hinzu, daß man mit Steinriesen einfach nicht verhandeln kann. Ich will die Steinallegorie jetzt nicht bis zum Erbrechen ausreizen, aber dem Umstand genüge tragend kann ich nicht umhin zu sagen, daß du auch genausogut versuchen könntest, mit einem Felsen zu reden.”

Er setzte an, etwas zu entgegnen, aber ihr erhobener Zeigefinger ließ ihn innehalten.

„Jedoch”, sie nahm einen Schluck Wein, „bin ich auch der Ansicht, daß nach allem was wir in den letzten Monaten getan und dabei aus welchen Gründen auch immer erreicht haben, deine Idee nicht halb so bescheuert wirkt, wenn man dies alles als Grundlage nimmt.”

„Soll das heißen, daß du meinst, daß ich es versuchen sollte?” fragte Joro mißtrauisch.

Sie zuckte mit den Achseln und nahm noch einen Schluck Wein.

„Wenn ich dir einen Rat geben soll, dann sage ich, daß du dir das noch einmal gründlich überlegen solltest. Zwei oder drei Tage hast du dafür noch Zeit, dann müssen wir im Zweifelsfall handeln. Ansonsten ist es deine Entscheidung”, sie machte eine kurze Pause und sah ihm dann wieder direkt in die Augen, „aber ich egal wie du dich entscheidest werde ich dich unterstützen. Sollte irgendeiner der Anwesenden damit nicht zufrieden sein, oder gar bei irgend jemandem petzen gehen, wird das entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen.”

Omareth sah starr zu Boden und sagte leise:

„Es ist meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß das von manchen als ein Zeichen des Verlustes deiner Urteilsfähigkeit angesehen werden könnte, Hohepriesterin. Was mit Joro geschieht ist für die Enklave weniger bedeutend als die Tatsache, daß du dich für ihn in, wie es aussieht, unnötige Gefahr begibst”, er wandte sich zu Joro, „ Verzeih' mir bitte, Joro.”

Der Bischof wollte just entgegnen, daß er dafür Verständnis hatte, als Alystin mit ebenso leiser, aber eiskalter Stimme zurückgab: „Dein Einspruch ist notiert, Omareth und ich mache dir auch keinen Vorwurf. Aber wie ich bereits in der Vergangenheit mehr als einmal klar gemacht habe, ist Joro einer von uns, Drow oder nicht, und selbst wenn ich nicht eine besondere Beziehung mit ihm hätte, wäre meine Einstellung die gleiche. Ich bin jederzeit dazu bereit, für ihn die selben potentiellen oder realen Opfer zu bringen wie für dich, Ghaundar oder jeden anderen in meiner näheren Umgebung.”

Omareth sah auf und Joro konnte eine Mischung von Erleichterung und Verständnis in seinen Augen erblicken.

„Dann haben wir das Formelle geklärt. Es gefällt mir trotzdem nicht, aber ich werde da sein, wenn du aufbrichst, Joro.”

„Ich auch”, fügte Ghaundar mit vollem Mund hinzu, „Wird schön sein, das olle Büro einmal hinter sich zu lassen.”

Joro war überglücklich, auch wenn er mit dem Ausgang dieser Unterhaltung, vor allem mit Blick auf deren Beginn niemals gerechnet hätte.

 

 

Den gesamten Nachmittag verbrachte Joro damit, darüber nachzudenken, wie er das Ganze eigentlich angehen sollte. Er hatte sich noch einmal in die Bibliothek gehockt und war sämtliche Regale durchgegangen. Dabei hatte er nicht nur das Buch des Herren Constantin noch ein weiteres Mal nach mehr Informationen durchsucht, sondern auch den Autoren selbst in die Suche mit eingeschlossen. Interessant war, daß sämtliche Versuche, etwas über ihn herauszufinden im Sande verliefen. Es gab zwar durchaus Querverweise, aber wo auch immer er ankam, fehlten entweder Seiten in den entsprechenden Büchern, oder es waren ganze Passagen entweder überschrieben oder ausradiert. Joro war sich unsicher, ob das nun für oder gegen die Glaubwürdigkeit des Verfassers sprach, aber er wurde das Gefühl nicht los, daß da noch ein weiteres Geheimnis wartete, das es beizeiten zu ergründen gab.

Er klappte seufzend einen weiteren Wälzer zu und saß dann, das Kinn auf die Hände gestützt sinnierend am Pult.

Alystin und die anderen hatten ihm ihre Hilfe zugesprochen, auch wenn sie alle der einhelligen Ansicht waren, daß es gelinde gesagt schwachsinnig war, mit den Riesen zu reden zu versuchen.

Es war schon nicht ganz unrichtig, daß es eine ausgesprochen wage Idee war und ein erfolgreicher Ausgang dieser Unternehmung war nicht nur nicht garantiert, sondern auf den Punkt gebracht extrem unwahrscheinlich. Aber er hatte um ein wiederholtes Mal eine Ahnung, ein Gefühl, daß es etwas bedeutete. Natürlich würde er auch dieses Mal nicht bei Celestus nachfragen, ob er irgendeine Hand im Spiel hatte oder was er zu erwarten hatte. Sein Gott hatte ihm schon sehr früh klar gemacht, daß er nur seinem Herzen, seiner Intuition folgen sollte und daß das am Ende schon seine Richtigkeit haben würde.

Riesen. Warum auch nicht. Joro hatte es mit Hilfe seiner Freunde schon geschafft, nicht nur Duergar und Drow an einen Tisch zu bringen, von Torkums konsequenter Absenz im Kabinett einmal abgesehen, Hirten und Stadtbevölkerung für eine Sache zu vereinen und dann waren da noch Plok und seine Rotte. Oder großer Haufen. Was auch immer.

Da war allerdings noch eine Sache, die ihm schon eine Weile auf dem Herzen lag und die er aus der Welt schaffen wollte.

'Mir ist in den letzten Wochen immer mehr bewußt geworden, daß ich mich nicht wirklich viel um die geistlichen Belange im Kloster kümmere, Celestus. Teils war das ja auch nicht möglich, weil ich ständig unterwegs war. Du hast auch bisher nichts dazu gesagt, aber ich will das nicht einfach so im Raum stehen lassen, wenn du mit mir unzufrieden bist, dann möchte ich das lieber wissen bevor es zu spät ist.'

'Hast du nicht eben noch darüber sinniert, daß ich dir gesagt habe, daß du deinem Herzen folgen sollst?'

'Stimmt, aber das kann ja trotzdem beinhalten, daß ich ein schlechter Bischof bin.'

'Erzbischof.'

'Wenn du schon so anfängst, dann hört es sich noch schlimmer an.'

Ein Seufzen.

'Joro, du hast in wenigen Monaten mehr für die Kirche getan, spirituell oder nicht, als es die letzten fünf Männer in deiner Position in ihren ganzen Leben zusammen erreicht haben.'

'Mir geht es nicht um einen Vergleich.'

'Nein, aber du solltest dir auch darüber im Klaren sein, daß es für die Kirche in den letzten Jahrhunderten nicht einmal während Welverins Angriff gegen das Oberreich auch nur einen Moment des Kriegszustandes gegeben hat. Bargum lag weitab vom Schuß und es wurde nirgends in der Nähe einen Augenblick gekämpft.'

'Mit anderen Worten: die Umstände machen die Situation aus?'

'Richtig. Davon abgesehen gefällt mir deine Version der Kirchenregeln ausgesprochen gut und das sehe ich schon als den größten Dienst an der Kirche, den irgend jemand seit Albrecht gemacht getan hat.'

Joro kratzte sich am Kinn und mußte dann lachen.

'Was?', fragte der Gott mit mißtrauischer Stimme.

'Ich hätte nie gedacht, daß Albrecht und du einmal einer Meinung sein würden.'

'Das waren wir mal eine ganze Weile', gab der Gott leicht säuerlich zurück.

'Was ist passiert?'

'Albrecht ist einmal zu oft gestorben.'

 

Joro hatte, selbst als er sich von der Bibliothek in den Klosterhof aufgemacht hatte, um dort zu sehen, wie er mithelfen konnte, ein sehr bitteres Gefühl im Magen.

Der letzte Satz Celestus' hing ihm im Kopf und er wußte nicht einmal warum.

Er fand schnell Arbeit und half den Totengräbern, die damit beschäftigt waren Versorgungsgüter zu sortieren bei der täglichen Sisyphusarbeit, alle Listen auf dem neuesten Stand zu bringen und konnte sich so auf andere Gedanken bringen. Dennoch blieb es ihm irgendwo im Unterbewußtsein hängen und nagte an ihm.

 

Als die Sonne unterging und er sich auf den Weg zum Stadtschloß machte, hatte er es irgendwie überwunden, ob nun verdrängt oder akzeptiert wußte er selbst nicht, aber er wollte auch nicht weiter darüber nachdenken.

Das Treffen im Schloß hatte, neben den obligatorischen Ziffern zumindest eine gute Veränderung zu vermelden und das war, daß Ulfr mit einigem Geschick und wohl auch einer ganzen Reihe von Bestechungen die drei wichtigsten seiner Gefolgsleute davon überzeugt hatte, mit guten Beispiel voran zu gehen und die schwächsten Tiere ihrer Herden zum Schlachten freizugeben. Natürlich wollten diese für ihren „Verlust” eine Entschädigung haben, aber Joro winkte das nur müde beiseite und versprach Ulfr, daß das Kloster dafür aufkommen würde. Olgerich war ob dieses Versprechens seinerseits sehr erfreut, denn die Schatzkammer der Stadt war in den vorangehenden Wochen immer spärlicher gefüllt gewesen.

Der Fürst konnte dennoch nicht umhin, seine Sorge auszusprechen.

„Die Frage nach der Finanzierung unserer Expedition nach Süden ist immernoch im Raum und ich glaube, daß wir alle schon zu lange nicht darauf eingegangen sind: Wer wird eigentlich unsere Soldaten bezahlen? Und womit?”

Stille herrschte im Raum. Dann war es Ulfr, der als erster das Wort ergriff.

„Meine Männer und Frauen kämpfen für die Sache und auch wenn meine Häuptlinge sicherlich ihren Anteil an der Kriegsbeute fordern werden, wird ein jeder solange kämpfen, wie es Essen gibt.”

Omareth nickte.

„Für die Drow gilt das Selbe. Wir haben wenig Anwendung für Reichtümer und solange wir eine Essensversorgung aufrechterhalten können sehe ich keine Probleme. Was die Duergar angeht kann ich da allerdings nichts sagen.”

„Das wird sich schon in Kürze klären, Myelin ist auf dem Weg hierher”, Alystin hatte ein zuckersüßes und leicht selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen.

„Wirklich?”, fragte Joro.

„Ich habe heute Morgen einen Raben empfangen, der eine Nachricht von ihr trug. Sie ist gestern aufgebrochen und dürfte in zwei oder drei Tagen hier ankommen.”

„Wollen wir nur hoffen, daß sie nicht...”, Joro beendete den Satz nicht, denn bei allen Anwesenden waren gleichzeitig die Alarmglocken angesprungen.

 

Eine Stunde später waren Omareth, Ghaundar, Alystin, Joro und Irruit im Eilmarsch auf dem Weg zum Bergpaß. Alystin hatte darauf bestanden, die junge Drow mitzunehmen, dieses Mal allerdings weniger, um Omareth zu foppen, wie es schien.

Dennoch war Omareth in einem seiner grummelnden Gemütszustände, was für eine Spannung sorgte, denn Alystin war wiederum anzusehen, daß sie sich ob ihres Fehlers ärgerte.

Joro und Irruit gingen am Ende der Kolonne, beide wohl bewußt, daß die Stimmung zwischen den beiden Anführern der Drow ziemlich schnell außer Kontrolle geraten konnte und keiner von den beiden hatte Lust dann in der Mitte zu stehen. Sie hatten sich nur kurz wissend angesehen und waren dann sozusagen eine Allianz eingegangen, deren einziges Ziel es war, sich aus der Sache herauszuhalten.

Ghaundar war während des Wanderns damit beschäftigt, immer wieder Schriftrollen aus dem übertrieben großen Rucksack zu holen, den er mitgenommen hatte und deren Inhalt zu studieren. Joro hatte sich erst überlegt zu fragen, was denn so wichtig war, daß es auf gar keinen Fall bis zur Rückkehr nach Bargum warten konnte. Als allerdings nach nur zwei Stunden plötzlich ein Rabe angeflogen kam und auf Ghaundars Schulter landete, wußte er die Antwort. Der Assassine, der nunmehr der Chef des Nachrichtendienstes war konnte tatsächlich selbst unterwegs einen Teil seiner Aufgaben erfüllen.

„Wo kommen eigentlich die Raben her?”, fragte er leise Irruit.

„Die gehören eigentlich Olgerich, aber er hat sie fast nie benutzen müssen, daher hat er sie alle Ghaundar vermacht. Die armen Tiere kommen kaum zum Schlafen.”

„Mir scheint fast, daß der gute Ghaundar ein Händchen für die Vögel hat”, meinte Joro mit einem Lächeln. In der Tat ging der Drow mit dem Vogel, der auf seiner Schulter saß erstaunlich liebevoll um. Als erstes hatte er ihm einen Happen Trockenfleisch gegeben, den der große schwarze Vogel mit einem einzigen Schluck verschlang. Während er dann eine Nachricht als Antwort auf einen kleinen Fetzen Papier schrieb, liebkoste er das Tier vorsichtig mit der Seite seines Kopfes, was der Rabe mit einem leisen Krächzen erwiderte.

„Wer hätte je gedacht...”, weiter kam Joro nicht, denn die Spannung zwischen Omareth und Alystin entlud sich schlußendlich und die Folge war ein Wortschwall in der Drowsprache, den Joro nicht verstand, von ein paar Worten einmal ausgenommen, deren Bedeutung alles andere als freundlich war.

Sie schrien sich gegenseitig gleichzeitig an und an einem Punkt war sich Joro sicher, daß beide kurz davor waren, ihre Waffen zu ziehen. Er machte einen Schritt vorwärts um einzugreifen, aber Ghaundar drehte sich blitzschnell um und hielt ihm die Hand vor die Brust. Dann gestikulierte er 'Laß' es. Du machst es sonst noch schlimmer.'

'Was ist denn überhaupt das Problem?', gab Joro zurück, etwas unbeholfen, weil er lange nicht mehr mit Gestensprache gesprochen hatte.

'Später', und damit war die Sache gegessen. Ghaundar setzte betont uninteressiert seine Arbeit mit der Nachricht, die er schrieb fort und schickte dann den Raben, der durch das Gebrülle zweier der Anwesenden sichtlich nervös geworden war Richtung Himmel.

Irruit stand derweil mit der Drowversion eines roten Gesichtes, irgendwo zwischen violett und blaugrau etwas abseits und schaute bestürzt zu Boden.

Zumindest kam es nicht zu einem physischen Schlagabtausch zwischen Priesterin und General, aber sie kamen scheinbar zu einem Patt, denn irgendwann stampfte Alystin einfach weiter in Reiserichtung und Omareth ging demonstrativ zum Ende der kleinen Gruppe und wies Irruit und Joro mit einer ärgerlichen Handbewegung an, weiterzugehen.

So stapften sie etwa eine Stunde weiter, bis es Joro schließlich reichte.

Er hielt an und setzte sich auf einen Findling, der etwas abseits des Weges stand.

Ghaundar bedachte ihn mit einem fragenden Blick und der Bischof lächelte ihn herausfordernd an. Es dauerte einen kleinen Augenblick, dann zuckte der Drow mit den Achseln und setzte sich neben ihn.

Irruit blickte derweil mit wachsender Unsicherheit, die an Panik grenzte zwischen den beiden auf dem Felsen und Omareth und Alystin hin und her, machte dann aber ein leise stöhnendes Geräusch, zuckte mit den Achseln und setzte sich ebenfalls dorthin.

Die beiden Streithähne waren jeweils so tief in ihren Gedanken versunken gewesen, daß sie fast zweihundert Schritte weitergelaufen waren, bis sie bemerkten, daß sich der Teil der Gruppe, der sich zwischen ihnen befanden hatte verschwunden war.

Beide blieben verdutzt stehen und sahen sich um. Joro saß und stopfte sich einen Klumpen Kautabak in den Mund, Ghaundar putzte mit einem seiner Dolche seine Fingernägel und Irruit hatte ihre Flöte aus dem Wams gezogen und machte Fingerübungen.

Alystin ging erst einige wütende Schritte auf sie zu, dann merkte sie, daß sie das gefährlich nahe Omareth brachte, der seinerzeit mit angespannter Körperhaltung da stand und mit seiner Gemütshaltung kämpfte.

Sie stellte sich stattdessen mit ihren Händen auf den Hüften hin und fragte mit mühsam beherrschter Stimme.

„Was hat das jetzt zu bedeuten?”

Ghaundar sah zu Joro und sagte:

„Deine Idee. Keine schlechte, aber trotzdem deine Idee.”

Der Bischof schloß betont langsam das Nachladen des Tabaks ab, wischte sich dann seine Finger, ebenso langsam, an seinem Schnupftuch ab und blickte dann erst zu Alystin, dann zu Omareth und dann wieder auf die Hohepriesterin.

„Eigentlich nichts, ich hatte nur das Gefühl, daß ihr beiden immernoch nicht fertig seid und ich habe ehrlich gesagt keine Lust, die Reise fortzusetzen während hier Uneinigkeit herrscht.”

Omareth setzte an, etwas zu sagen, aber Joro hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen.

„Ich bin noch nicht fertig. Mir persönlich könnte es ja eigentlich egal sein, warum ihr beiden euch gegenseitig an die Kehle geht, aber seit dem Zeitpunkt an dem ihr beide eure Hände auf euren Waffen hattet, ist der Spaß vorbei. Weder ich noch irgend jemand anders kann und will eine Situation ertragen müssen in der die beiden wichtigsten Personen der Enklave nicht dazu in der Lage sind, ihre Differenzen mit Worten zu bereinigen, welche es auch immer sind”, er machte eine kurze Pause und dann eine abfertigende Geste, „und ehrlich gesagt will ich es auch gar nicht wissen, weil es mich vermutlich so oder so nichts angeht. Aber ich weigere mich, einen einzigen Schritt weiterzugehen bevor ihr euch nicht hinsetzt und es aus der Welt schafft. Uneinigkeit ist für jeden einzelnen unter eurer Obhut im Zweifelsfall gleichbedeutend mit Sterben.”

Alystin und Omareth sahen sich gegenseitig mit einer Mischung aus Bestürzung und schlechtem Gewissen an.

„Und was mich daran wirklich wütend macht”, setzte Joro fort, „ist, daß ich das eigentlich keinem von euch beiden erklären müssen sollte.” Die letzten Worte hatte er beinahe geschrien und nun starrten ihn alle Anwesenden an. Außer Irruit, die hinter ihm saß und einen offenen Versuch machte, zu Schrumpfen.

Omareth raffte sich als erster auf.

„Ich bitte für mein Fehlverhalten um Verzeihung, Hohepriesterin. Meine Worte waren unangemessen und ohne es als Entschuldigung gebrauchen zu wollen: die Anspannung die die Verantwortung, die nunmehr auf meinen Schultern lastet hat mich dazu gebracht, außerhalb meiner Stellung zu agieren und mich in einen Geisteszustand gebracht, der meinen Horizont stark verringert hat.”

Alystin schüttelte nun den Kopf.

„Wir haben fast einhundert Jahre mit klaren Fronten verbracht, was sich in den vergangenen Monaten stark verändert hat, Omareth, und ich werde einen Teil der Verantwortung wohl auf meine eigenen Schultern nehmen müssen. Wenn du der Ansicht bist, daß ich Fehlentscheidungen treffe, dann hast du deine Gründe”, ihr war anzumerken, daß ihr der Satz schwer fiel, „und ich werde mich fragen müssen, ob du mit dem was du anmerkst nicht Recht hast. Aber du wirst auch verstehen müssen, daß ich nicht gewillt bin, mir von irgend jemandem meine Autorität in Frage stellen zu lassen, inklusive dir.”

Omareth versteifte sich wieder und Joro merkte, daß ihn seine Geduld im Stich ließ, aber dann raffte sich der General auf und streckte seine Hand aus.

„Für die Art und Weise, wie ich meine Bedenken ausgedrückt habe, bitte ich von ganzem Herzen um Verzeihung, Alystin, aber für deren Inhalt kann, will und werde ich mich nicht entschuldigen.”

Es schien kurz als würde Alystin seine Geste ausschlagen, aber sie kannte Omareth gut genug, um zu wissen, daß es ihn viel Überwindung gekostet hatte, seinen eigenen Stolz hinten an zu stellen. Sie schlug ein und sagte:

„Ich schätze deinen Ratschlag, Omareth, jetzt und immer. Außerdem wissen wir beide, daß Joro vollständig Recht hat. Laß' uns versuchen, die Autoritätsfrage in der Zukunft nicht noch einmal zwischen uns kommen zu lassen.”

Nach dem Handschlag gingen beide wieder weiter in Richtung Bergpaß, dieses Mal in ein ernstes, aber zumindest nicht gewaltsames Gespräch vertieft und die anderen drei völlig ignorierend.

 

Der Bischof sah ungläubig zu Ghaundar.

„Nur damit ich das jetzt richtig verstehe, der einzige Streitpunkt war, wer bei den Drow das sagen hat?”

„Im Prinzip ja. Wenn auch in einem etwas komplexeren Zusammenhang”, Ghaundar raffte seine Siebensachen zusammen und deutete den anderen beiden aufzubrechen.

Doch Joro war noch nicht zufrieden.

„Alystin trifft Entscheidungen, die Omareth nicht gefallen, er giftet sie deshalb an und dann hauen sie sich beinahe gegenseitig den Schädel ein? Ich bin mir nicht so sicher, wie du das mit soviel Ruhe betrachten kannst, Ghaundar. Das geht dich genausoviel an wie den Rest der Enklave.”

Der Assassine zuckte mit den Achseln.

„Du weißt nach wie vor nicht genug über unser Volk, wie mir scheint, Joro. Wären die beiden Unterreichsdrow, hätte einer den anderen schon vor langen Jahren getötet. Nun sind wir aber alle keine solchen mehr und das ist auch gut so, es ändert aber nichts daran, daß es jederzeit geschehen kann, daß sich ein Konflikt eventuell mit Waffengewalt entlädt. Es wäre allerdings sicherlich nicht dazu gekommen, daß einer den anderen getötet hätte, denn unserer Göttin hätte das sehr wenig gefallen.”

Joro stand langsam auf und schaute hinter den beiden her, die langsam um eine Kurve bogen, wobei Omareth eine Militärgeste machte, die „Aufbruch” bedeutete.

Er hatte einen bitteren Geschmack im Hals.

„Bisher hatte ich immer den Eindruck von den beiden, daß sie ihre Aufgaben mit hoher Professionalität bewältigen. Solche Temperamentsausbrüche vermindern mein Vertrauen ein kleines Wenig...”

„Das sollten sie aber nicht, Joro. Wenn es hart auf hart kommt, sind die beiden immer sofort konzentriert bei der Sache und das weißt du. Ich glaube, daß der ganze Konflikt nur aus drei Gründen überhaupt aufgetreten ist.”

„Und welche wären das bitte?”

Es war Irruit, die antwortete.

„Die Hohepriesterin ist nicht gewohnt, das Kommando zu teilen, mein Vater ist es nicht mehr gewohnt zu führen und wenn ich das richtig sehe sind sie beide einfach zu sehr von der Tatsache genervt, daß sie auf dem Hintern sitzen müssen, ohne etwas tun zu können, bevor wir abmarschieren können. Ich glaube, daß die beiden sich langweilen.”

Joro hätte eigentlich erwartet, daß ihn das fassungslos machen würde, aber dann setzte bei ihm Erkenntnis ein. So wie er die beiden kannte, hatte Irruit es auf den Punkt gebracht.

 

Kapitel 13

 

Am Abend des ersten Reisetages hatten sich die Fronten zwischen Alystin und Omareth scheinbar geklärt, sie teilten sogar einen Schluck Branntwein miteinander, was deutlich für eine bessere Stimmung sprach, denn Alystin trank höchst selten und wenn dann keinen Schnaps.

Es brachte Joro die benötigte Seelenruhe, denn er war äußerst nervös, was die kommende Aufgabe anging. Dabei war er erstaunt darüber, daß er sich weniger Sorgen um das Wohlbehalten Myelins machte, denn er war sich sicher, daß Balthasar seine Frau nicht nur sicherlich mit einer übertriebenen Eskorte schicken würde, sondern daß die kleine, dicke Duergarfrau mit großer Wahrscheinlichkeit auch dazu in der Lage war, auf eigenen Füßen zu stehen, wenn es notwendig war. Manche Legenden und Vorurteile stellen sich ja regelmäßig als Fakten heraus und bei den Duergar, wie auch bei allen anderen Unterreichsvölkern waren die Frauen in die Verteidigung der eigenen vier Höhlenwände genauso eingebunden wie die Männer. In einer so feindlichen Umgebung wie den endlosen Kavernen unter dem Berg konnte man es sich einfach nicht leisten, daß auch nur ein einziges Individuum nicht die eigene Last zu tragen imstande war.

Er war sich natürlich auch darüber im Klaren, daß der mögliche Tod Myelins fatale Folgen für die ohnehin schwierige Allianz mit dem dicken König haben konnte. Aber die Idee, die Steinriesen auf die eigene Seite zu bringen ließ ihn nicht los. Die schiere Masse an Möglichkeiten, die sich mit ihnen auftun konnten war machte ihn beinahe schwindelig.

Alystin riß ihn aus seinen Gedanken.

„Hast du dir schon überlegt, wie du das riesige Problem angehen willst?”

Irruit kicherte leise.

„Nein, bisher tappe ich immernoch im Dunkeln. Ich denke, daß es vermutlich damit stehen oder fallen wird, ob wir sie zum Reden bekommen oder nicht. Dafür brauchen wir aber erstens einen guten Grund, den sie sich auch anhören wollen...”

„Nicht zu vergessen die Gelegenheit, bevor der eine oder andere von uns einen Stein auf den Kopf geworfen bekommt”, grunzte Omareth.

„Ja”, gab Joro erschöpft zurück, „Das ist von den beiden das schwere...”

Der General grunzte noch einmal und nahm sich ein weiteres Stück vom Hasen, der das große Unglück gehabt hatte, Ghaundar vor die Armbrust zu laufen.

Irruit hob die Hand und Alystin sagte lächelnd: „Dies ist keine Unterweisung, Irruit, wenn du etwas sagen willst, dann tue es einfach.”

„Ich habe eine Idee, aber ich weiß nicht, ob sie funktioniert.”

„Immer heraus damit.”

„Die Duergar haben eine angeborene Fähigkeit, für eine kurze Weile ihre Körpergröße drastisch zu erhöhen. Ich habe das selbst zwar noch nie gesehen, aber schon oft gehört. Zudem weiß ich, daß es einige Zauberer gibt, die diesen Effekt ebenfalls beherrschen. Wäre das nicht eine Lösung?”

Alystin blickte sie nachdenklich an und meinte dann: „Ich habe zwar schon mehrfach davon gehört, daß Magier diese Formel anwenden, aber meines Wissens gibt es keinen Gott, der derartige Fähigkeiten verleiht.”

'Celestus?'

'Jaaaa?'

'Du weißt schon.'

'Jetzt mal nicht denkfaul werden, hier!'

'Steht es in deiner Macht, uns das zu verleihen oder nicht?'

Der Gott schwieg einen Moment. Dann sagte er:

'Ich werde vermutlich eine dritte Partei zur Hilfe nehmen müssen, aber ich denke das ist machbar. Dir ist allerdings hoffentlich klar, daß es euch trotzdem nicht größer als die Riesen machen wird, oder?'

'Wie groß denn ungefähr?'

'Doppelt so viel, wie es jetzt gerade ist. Außerdem stellt sich da noch das Sprachproblem.'

'Daran hatte ich schon gedacht, läßt sich das nicht irgendwie auch umgehen?'

'Du bist ganz schön fordernd manchmal, mein Joro...'

'Alles für die gute Sache, mein Gott.'

'Dein Helm, mein Joro. Du hast noch lange nicht alles ausgeschöpft, was dieser zu bieten hat.'

 

Die Drow hatten ein Aufhellen seines Gesichtes bemerkt und sahen alle interessiert in seine Richtung und er setzte sogleich ein fröhliches Grinsen auf.

„Sprache wird kein Problem darstellen und Celestus meint, er könne mit der Größe helfen. Ob es nun funktionieren wird oder nicht ist natürlich immernoch nicht klar, aber immerhin haben wir so eine Möglichkeit, ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf negative Art und Weise zu erregen. Den Rest werden wir dann sehen.”

Ghaundar schüttelte ungläubig seinen Kopf und lachte dann.

„Bei jedem Anderen würde ich das sofort naive Unbeschwertheit nennen, aber du bist wirklich fest davon überzeugt, daß das alles gut laufen wird, oder?”

Fest überzeugt nein, aber ich bin optimistisch, daß wir eine Chance haben. Davon abgesehen sind wir auch in der Lage, den Ort des Treffens selbst zu bestimmen, denn wir wissen, daß die unterwegs sind...”

„... aber die nicht, daß wir kommen”, beendete Omareth seinen Satz und auch seine Miene erhellte sich ein kleines Wenig, „Das verschafft uns einen strategischen Vorteil.”

„Mit anderen Worten: wir können uns so positionieren, daß wir uns im Zweifelsfall zurückziehen können, falls alles schiefgeht”, schloß Alystin die Überlegung ab und alle nickten.

„Oder aber wir werden der formschönste Haufen Blut und Knochen, den die Wildnis Daishans jemals gesehen hat”, fügte Ghaundar hinzu, nur um mit vernichtenden Blicken aus allen Richtungen abgestraft zu werden. „Schon gut, ich halte die Klappe.”

„Du bist noch unwitziger geworden, seitdem du dauernd in deiner Amtsstube hockst, Ghaundar”, sagte Omareth.

„Ich gebe zu, daß ich aus der Übung bin, aber ich arbeite daran.”

 

Am nächsten Tag kamen bereits die Berge in Sicht, aber seit dem vorangehenden Abend war die Stimmung weitaus besser als zuvor. Omareth und Alystin verbrachten den ganzen Tag damit, intensiv miteinander zu diskutieren und Ghaundar empfing vier Raben, die kurze Zeit später wieder ihren Flug nach Bargum antraten.

So war Joros einziger Gesprächspartner Irruit und er fragte sich fast, ob das einer der Gründe war, warum Alystin sie mitgenommen hatte. Als sie das erste Mal mit der Gruppe gereist war hatte es kaum Gelegenheit gegeben, mit ihr zu sprechen, teilweise, weil sie sehr schüchtern war und teilweise, weil Alystin sie von den drei Männern ferngehalten hatte, wohl um ihre sanfte Seele zu schützen, wie Joro vermutete. Dieses Mal allerdings war ihre Vorgesetzte anderweitig beschäftigt und der Bischof war neugierig, mehr über sie herauszufinden.

Das Einzige, was er bisher wußte war, daß sie nach Drowmaßstäben praktisch ein kleines Kind war, auch wenn sie rein praktisch betrachtet doppelt so alt war wie er.

Zudem wußte er nicht wirklich, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Sie kam ihm zuvor.

„Es ist schön, zu reisen, ich habe mein ganzes vorheriges Leben nur in der Enklave verbracht. Ich danke für die Gelegenheit, Eminenz.”

Du brauchst nicht so formell zu sein, Irruit”, sagte Joro peinlich berührt, „Wir sind hier unter Freunden und ich habe generell ein Problem damit, wenn mich jemand, der älter ist als ich mit meinem Titel anspricht, es sei denn es ist eine offizielle Situation. Sag bitte „du” und „Joro” zu mir.”

Die kleine Drow, die ihm knapp bis zur Hüfte reichte sah zu ihm herauf, zunächst verwundert, doch dann lachte sie.

„Das mag sein, aber wenn ich das mit den Menschenjahren richtig verstanden haben, seid Ihr...bist du fast drei Mal so alt wie ich.”

Er lächelte zurück.

„Jahre sind Jahre und ich habe schon früh verstanden, daß Alter noch lange nicht Weisheit bedeutet. Wir hatten einen Mann in unserem Dorf von dem keiner wußte wie alt er wirklich war, in richtiger Greis”, er bemerkte, daß ihm Irruit sehr aufmerksam zuhörte, „ Der war mindestens siebzig oder achtzig, hatte keinerlei Zähne mehr im Mund und roch immer ein wenig muffig. Auf jeden Fall bestand er darauf, einmal ein großer Feldherr gewesen zu sein und gegen Welverin gestritten zu haben. Als ich etwa zwölf war hat mir meine Mutter erzählt, daß er in Wirklichkeit einmal ein Köhler gewesen war, der sich selbst und seine Familie ruiniert hatte und daran geistig zerbrochen war.”

„Aber Wahnsinn kann doch jeden treffen, das hat nichts mit Alter zu tun.”

Joro nickte.

„Das ist zwar richtig, aber das hat ihn dennoch nicht daran gehindert, als erwachsener Mann all sein Geld zu verspielen und seine Familie im Stich zu lassen. Worauf ich hinaus will ist, daß das Alter einer Person keine Rolle spielt, was deren Weitsicht oder Entscheidungen angeht.”

Sie überlegte eine Weile und nickte dann verständnisvoll.

„Wenn wir also von der Altersfrage absehen, ist es nicht dennoch so, daß du mehr von der Welt gesehen hast als ich und vor allem, daß du mehr Erfahrungen gesammelt hast?”

„Das ist auch richtig, ja.”

„Dann sehe ich es trotzdem als meine Pflicht an, dich als Respektperson zu betrachten. Ich kann allerdings trotzdem „du” sagen, wenn du das bevorzugst.”

Das machte Sinn, also sollte es Joro auch recht sein.

„Was erhoffst du dir denn, von der Welt zu sehen, Irruit?”

„Das weiß ich selber nicht so genau, Joro. Solange es interessant und lehrreich ist, ist mir eigentlich alles recht.”

„Du solltest nicht leichtfertig über so etwas denken. Die Welt in der wir leben ist manchmal ziemlich gefährlich.”

Sie warf einen schüchternen Blick gen Boden.

„Verzeihung, ich hatte ganz vergessen, daß du das schon einmal auf sehr harte Weise lernen mußtest.”

Joro lächelte.

„Das macht nichts, ich bin ja trotzdem irgendwie durch die Krise hindurchgeschlittert. Aber das war zu einem großen Teil Glück und damit sollte man nicht rechnen.”

Sie drugste einen Augenblick herum, aber Joro wußte schon, was sie fragen wollte.

„Du willst wissen, wie es ist zu sterben, oder?”

Irruit nickte hektisch.

„Das läßt sich nicht gut beschreiben und in meinem Falle ging es sehr schnell, der Bolzen muß von einer schweren Armbrust gekommen sein, denn ich hatte ein ziemlich großes Loch in der Brust.”

„Tat es weh?”

„Ich kann mich nicht daran erinnern, aber ich glaube, daß es sehr weh tat, ja.”

„Wenn es so schnell ging, tat es vielleicht nur einen sehr kurzen Augenblick weh. Das ist besser als wenn es sehr lange dauert.”

„So wie bei Illivara?”

Sie sah zu ihm hoch und Joro konnte nicht genau ausmachen ob sie bestürzt oder ärgerlich war. Doch sie schien schnell zu begreifen, daß er es nicht böse gemeint hatte.

Irruit sah wieder zu Boden, dieses Mal allerdings nicht aus Schüchternheit, wie Joro klar war.

„Illivara ist eine unglaublich starke Person. Die Schmerzen, mit denen sie jeden einzelnen Tag umgehen muß sind immens und ich glaube kaum, daß es eine Person auf dieser Welt gibt, die dazu in der Lage wäre.”

„Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen und das nur kurz. Sie war ziemlich unfreundlich, aber Omareth hat mir später erzählt, was ihr passiert ist. Sie tut mir sehr leid.”

Die junge Drow sah wieder zu ihm hoch und Joro war von dem intensiven, klaren Blick in ihren strahlend gelben Augen überrascht.

„Das sollte sie nicht. Illivara mag auf den ersten Blick wie eine haßerfüllte Person wirken, aber sie hat eine Seite an sich, die nur wenige sehen. Vor ihrem...Unglück war sie selbst bei den Unterreichdrow eine gefragte Künstlerin, sowohl als Malerin als auch als Dichterin. Was ihr geschehen ist, ist eine Sache, aber was in ihr wohnt...”, sie hielt kurz inne, „Du warst auch bei der Neujahrsfeier, oder?”

Joro nickte.

„Dann kannst du dich auch noch an das Lied erinnern, das wir gesungen haben?”

„Ja, das war wirklich schön.”

Irruit sagte eine Weile nichts und Joro verstand.

Der Bischof blickte nach vorne, wo Omareth und Alystin zeitgleich sprechend und gestikulierend eine Unterhaltung auf zwei Ebenen führten.

„Irruit?”

„Ja?”

„Die Probleme zwischen Alystin und Omareth haben aber doch hoffentlich nichts mit Illivara zu tun? Ich hoffe daß diese Frage nicht zu privat ist.”

Die Drow lachte leise.

„Macht die Rune eigentlich auch, daß du immer sagst, was du denkst?”

Er wurde ein wenig rot.

„Nein, nicht notwendigerweise, ich denke, daß das nur eine Eigenheit von mir ist. Ich mache mir Sorgen, weißt du?”

„Schon gut, ich verrate es keinem, der es nicht ohnehin schon weiß. Nein, ich glaube nicht, daß das ein Faktor ist. Allerdings weiß ich es auch nicht genau, Illivara ist ja in der Enklave und Omareth ist hier und ich weiß nicht, inwiefern die beiden miteinander kommunizieren. Wenn das Portal im Kloster fertiggestellt ist wird alles wieder ein wenig einfacher.”

„Wessen Idee war das eigentlich?”

Die Reaktion, die Joro darauf bekam überraschte und bestürzte ihn. Irruit zuckte zusammen und machte reflexartig eine abwehrende Geste.

„Darüber darf ich nicht reden, Eminenz...”

„Schon gut, ich frage nicht weiter. Ich dachte mir schon, daß das ein größeres Problem ist, als das von irgendwem zugegeben würde”, er hielt kurz inne, „Mit wem kann ich denn darüber reden, ohne daß es zu einem noch größerem Problem wird?”

„Hat die Hohepriesterin irgendetwas darüber gesagt?”

„Nur, daß ich nicht fragen soll, was mit ihrer Stellvertreterin passiert ist.”

Irruit schluckte merklich.

„Dann rate ich dringend davon ab, irgend jemanden zu fragen, Joro.”

 

Wohl merkend, daß das letzte Thema die Unterhaltung getötet hatte, beschloß Joro, erst einmal die Klappe zu halten und weiterzumarschieren und Irruit war anzumerken, daß sie darüber glücklich war. Im Verlaufe des Nachmittags begannen sie allerdings wieder damit, ein wenig zu tratschen, und dieses Mal über unverfänglichere Themen wie Kleidung, Essen und die Tatsache, daß sich Irruit schon seit geraumer Zeit einen Freund wünschte, aber als Novizin war das extrem schwierig, nicht nur weil sie andauernd beschäftigt war, sondern auch weil sowohl Alystin als auch Illivara bei den jungen Männern der Enklave für ihre Strenge gefürchtet waren.

„Ich glaube kaum, daß Alystin etwas dagegen hätte, solange du nicht deine Pflichten vernachlässigst, Irruit.”

Sie nickte, aber machte zeitgleich ein seufzendes Geräusch.

„Das ist nicht das Problem. Es ist eher, daß die Jungen in meinem Alter alle so furchtbar unreif sind.”

Joro erinnerte sich an ein Gespräch mit einer etwa vier Handspannen großen Drow, das mehrere Monate zurücklag. Er erzählte das Irruit und sie mußte lachen.

„Das war eine meiner Cousinen. Und sie hat recht, an der Situation ändert sich auch dreißig Jahre später nicht viel, die meisten von uns sind bis zu ihren sechzigsten Geburtstag ohne Partner. Jungen brauchen ein wenig länger als Mädchen, wenn du verstehst, was ich meine.”

Der Bischof mußte grinsen.

„Das ist bei Menschen auch nicht anders.”

 

Gegen Abend machten sie, schon in Sichtweite des Passes, an einem kleinen Bach halt und sehr zu Joros Erleichterung waren Alystin und Omareth wohl endlich auf der selben Ebene angekommen. Kurz bevor sie angehalten waren hatten sie schlußendlich beide ein lautes Seufzen von sich gegeben und hatten sich dann umarmt. Joro erleichterte das ungemein, und auch Irruit machte einen Laut der Entspannung.

 

Ein Rabe kam geflogen und setzte sich auf Ghaundars Schulter. Er nahm den Zettel in Empfang und sein Gesicht nahm einen höchst besorgten Ausdruck an.

„Alles in Ordnung, Ghaundar?”

„Ich...nein...Moment.”

Nun sahen auch Omareth und Alystin ein wenig besorgt zu ihm herüber.

„Irgendetwas, das wir wissen sollten?”, fragte Omareth.

Ghaundar begann, in seinen Papieren zu kramen und warf dann mit einem Laut der Frustration einen ganzen Stapel von sich.

„Der 'Große Rabe' ist heute morgen nach Bargum zurückgekehrt. In extrem schlechtem Zustand und mit einer ganzen Reihe Verletzter an Bord. Ich habe drei unterschiedliche Berichte, wie es dazu gekommen ist, und ich glaube keinen einzigen davon, aber trotzdem muß mindestens einer der Wahrheit entsprechen, oder, wenn man davon ausgehen kann, daß zumindest anteilig etwas von allen dreien stimmt, ist es trotzdem Humbug.”

Omareth kniff die Augen zusammen und fragte:

„Erstens: hat es Tote gegeben und zweitens: warum ist das Schiff beschädigt?”

Ghaundar blickte auf.

„Drei meiner besten Männer sind tot, einer hat es nicht einmal zum vereinbarten Treffpunkt geschafft, die anderen sind beim Angriff auf das Schiff verletzt worden.”

„Wer hat angegriffen und wo und wie?”, Omareth klang ein wenig ungeduldig.

„Laut der Nachricht hat eine Gruppe von sechs Schiffen der Legion sie kurz hinter der Grenze zu Hanlar abgefangen. Ohne die Modifikationen, die die Duergar am Schiff durchgeführt haben wären sie abgeschossen worden”, Ghaundars Augen hatten angefangen eine tiefrote Farbe anzunehmen, „und ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sechs Schiffe es geschafft haben, durch unsere Beobachtungslinien zu kommen.”

„Sehr hoch geflogen, vielleicht, über den Wolken?”, versuchte Joro zu helfen.

„Möglich, aber unwahrscheinlich. Ich bekomme langsam das Gefühl, daß die ein Geheimnis haben, denn die Schiffe, die im Nordland und in den Bergen unterwegs waren haben wir auch zu keinem Zeitpunkt jemals erfassen können”, die Frustration stand Ghaundar ins Gesicht geschrieben, „Außerdem kann ich mir bei besten Willen nicht erklären, wie sie es geschafft haben, den Raben zu finden.”

Omareth nahm einen Stein vom Boden und warf ihn wütend ins Unterholz.

„Na toll. Jetzt haben wir eine Schwadron Hochelfen direkt vor der Haustür. Ist Bargum in Alarmbereitschaft versetzt?”

„Natürlich, und meine Jungs haben auch sofort Kundschafter ausgesandt, um in großem Bogen um die Stadt herum zu patrouillieren. Aber ein Pferd ist dennoch nur halb so schnell wie ein Luftschiff.”

„Dann müssen wir uns die Frage stellen, ob wir nicht sofort zurück zur Stadt gehen sollen”, sagte Alystin.

„Nein”, gab Joro zurück, „Myelin und die Riesen sind wichtiger. Wir vier, Verzeihung Irruit, fünf werden am Ende nicht das Zünglein an der Waage sein und wenn Myelin stirbt, richtet das mindestens genausoviel Schaden an, wie eine Attacke auf die Stadt, wenn nicht gar mehr. Außerdem ist das Kloster mittlerweile so dermaßen mit Ballisten vollgeladen, daß es für sechs Schiffe trotzdem reiner Selbstmord wäre, das zu versuchen.”

Ghaundar legte den Kopf schief und dachte nach. Dann nickte er und sah Joro mit einem forschenden Blick an.

„Du hast Recht, aber das wirft eine weitere Frage auf: Wissen die das? Wenn sie schon wußten wo der Rabe war, müssen sie Informanten in der Stadt haben, und das vielleicht sogar sehr in meiner Nähe.”

„Möglich, aber jetzt akut uninteressant, oder?”

Der Assassine nickte ein weiteres Mal und meinte dann:

„Das bedeutet also, daß sie es auf etwas oder jemanden anderes abgesehen haben. Die Frage ist was oder wen.”

„Hmmm. Entweder die Herden der Hirten, oder...”, weiter kam sie nicht, denn sie hörten alle ein sehr bekanntes Geräusch. Ein Sirren, gepaart mit dem Ächzen und Knacken von Holz und Tauen.

„Sssussun!”, Omareth sprang auf und starrte gen Himmel, nur um von Alystin und Ghaundar sofort wieder zu Boden gerissen zu werden. Joro und Irruit ließen sich ebenfalls sofort auf den Boden fallen, der Bischof kippte dabei den stets neben dem Feuer stehenden Eimer mit Wasser auf die Flammen.

Über ihnen glitten sechs Schatten in Richtung Norden auf den Paß zu, mit ungewohnt langsamer Geschwindigkeit. Als Joro nach oben lugte, packte ihn eiskalte Überraschung. Die Geräusche und ein Schatten waren da, aber die Schiffe selbst waren nicht zu erkennen, es war nur ein Flimmern in der Luft.

'Unsichtbar', gestikulierte er, aber Alystin schüttelte den Kopf und gab 'Tarnung' zurück.

'Wir müssen sofort zum Paß', fuchtelte Ghaundar hektisch, 'ich glaube wir wissen alle, was die hier wollen.'

Sie ließen ihre Ausrüstung liegen, griffen nur ihre Waffen und hasteten dann im Schatten der wenigen Bäume und Büsche hinter den Schiffen her.

 

Kapitel 14

 

Alystin hatte leise zu singen begonnen und das hielt sie bei Atem. Joro war überglücklich, daß er sich angewöhnt hatte, seine Rüstung auf Reisen immer solange anzubehalten, bis Wachen eingeteilt worden waren, denn sonst hätte er sich jetzt Vorwürfe machen müssen. Über ihnen waren, wenn er das richtig einschätzte, über zweihundert Legionäre und das war schon gefährlich genug.

Die Schiffe bewegten sich sehr langsam und je näher sie dem Paß kamen desto mehr verbreiterten sie ihre Formation.

„Die suchen”, flüsterte Joro.

„Das Selbe wie wir, da bin ich mir sicher”, stimmte Ghaundar zu.

Ungefähr eine halbe Stunde später waren sie am Fuße des Passes und die Schiffe über ihnen waren zu einem Halt gekommen, wartend.

„Klapp' dein Visier runter, Joro”, sagte Alystin und nachdem er das getan hatte, senkte sich eine Halbkugel der völligen Finsternis über die Gruppe. Er war dankbar, daß Balthasar dafür gesorgt hatte, das magische Dunkelheit kein Hindernis für ihn darstellte und so bewegten sie sich schnell und zielsicher durch den steilen Bergpfad. An den Augen seiner vier Begleiter konnte er sehen, daß sie ebenfalls keine Probleme hatten, durch den übermächtigen Schatten zu sehen, der leicht zinnoberrote Schimmer über ihren Pupillen zeigte, daß sie ihre Dunkelsicht benutzten, distinkt unterschieden vom blutroten leuchten, daß für Zorn sprach.

Kurz bevor sie die Mündung der Schlucht erreichten, erscholl ein Krachen über ihnen und Irruit wich in letzter Sekunde einer zu Boden stürzenden, mannslangen Planke aus.

Ein weiteres Krachen erscholl und eine Wolke von Splittern raste zu Boden.

Ghaundar war als Erster am Ausgang der Schlucht angelangt und warf sich sofort blindlings auf die Erde. Einen Bruchteil eines Wimpernschlages später brach über ihnen die Hölle los, als alle sechs Schiffe gleichzeitig ihre Geschütze abfeuerten. Zwei Dutzend feurige Linien zogen sich über den Himmel und nach wenigen Augenblicken hörten sie eine ganze Kette von Explosionen, gepaart mit einem unglaublich lauten, tiefen und wütenden Aufschrei aus mehreren Kehlen. Joro kam ebenfalls am Ende der Schlucht an und warf sich neben Ghaundar auf die Erde.

Keine hundert Schritte von ihnen entfernt standen mehrere gigantische, humanoide Schatten, von denen sich gerade einige zu Boden bückten, um Findlinge von der Größe eines Pferdes aus der Erde zu ziehen und sie dann gen Himmel zu schleudern. Drei der Gestalten wanden sich auf den Boden, während weitere um sie herumstanden und mit großen Fellen Flammen an deren Körpern ausschlugen.

Die Felsen trafen mit gewaltiger Wucht auf die Schiffe und eines von ihnen ging in einer einzigen großen Flamme auf und begann abzuschmieren.

Ghaundar deutete auf die Riesen, die in der vordersten Linie standen.

„Die sind mit Ballistenbolzen gespickt und stehen immernoch. Kein Wunder, daß sie der Legion ordentlich eingeheizt haben, als diese ihre Heimstatt angegriffen hat.”

„Das wird ihnen dieses Mal nicht helfen”, brüllte Omareth über den chaotischen Lärm und zeigte auf die zwei Schiffe am äußersten Rand links von ihnen, „der erste Angriff war ein Ablenkungsmanöver.”

In der Tat waren diese beiden Schiffe damit beschäftigt, sich mit erhöhter Geschwindigkeit hinter die Riesen zu begeben. Von den anderen dreien, die noch still in der Luft standen seilten sich blinkende Gestalten ab, um sich dann in breiter, loser Formation aufzustellen.

„Wenn wir jetzt rennen, können wir zu den Riesen kommen, bevor die Legionäre angreifen”, rief Joro und machte Anstalten, aufzustehen, doch Ghaundar hielt ihn an der Schulter fest.

„Bist du vollkommen von Sinnen? Die werden uns sofort als Feinde ansehen und uns zertrampeln.”

'Celestus?'

'Schon klar, Zeit für das Gegenteil einer Diät.'

 

Joro sprang auf und bemerkte im Rennen, wie sich in seinem Körper ein widerliches Ziehen in allen Gliedern breitmachte. Dann senkte sich der Boden so schnell vor seinen Augen, daß ihm einen kleinen Moment lang schwindelig wurde. Hinter ihm brüllte Omareth erst Verwünschungen, dann änderte sich sein Fluchen in einen erstaunten Aufschrei.

Zwei Riesen, die in vorderster Reihe standen und gerade wieder Felsen aufgehoben hatten hielten für einen Moment verblüfft inne, als sie fünf zwar deutlich, aber eben auch nicht viel kleinere Gestalten auf sie zurennen sahen. Sie sahen einander kurz fragend an, dann hielten sie die Felsen in Bereitschaft.

Joro war glücklich, daß sein Hammer und sein Schild, genau wie seine Rüstung, mit ihm mitgewachsen waren und außerdem, daß er aufgrund seiner ursprünglichen Körpergröße der tatsächlichen Höhe der Steinriesen immerhin ein wenig nahe kam. Bis zum Bauch ungefähr.

Er hielt seine beiden Hände ausgestreckt und sandte noch ein Stoßgebet zu Celestus, daß der Helm seine Aufgabe erfüllen würde.

„Wir sind Freunde, das da drüben sind unsere Feinde!”, brüllte er und einer der Riesen ließ seinen Findling immerhin ein kleines wenig sinken. Dann wandte er sich wieder den Schiffen zu und schwang seinen Arm in weitem Bogen, was den Stein mit einem ohrenbetäubenden Sausen nur wenige Meter von Joros Kopf durch die Luft fliegen ließ. Der Felsen schlug nur einige Schritte vor den ersten Legionären, die am Boden angekommen waren auf und rollte dann mit einem mahlenden Geräusch über sie herüber.

Der andere Steinriese hatte seinen Stein derweil in Richtung Schiff geworfen und ein weiteres Krachen erscholl, gepaart mit Todesschreien von Legionären deren Seile durch den Treffer gekappt worden waren.

Ghaundar war kurz hinter ihm.

„Die Geschütze müssen jeden Augenblick nachgeladen sein, sag denen, daß sie sich darauf vorbereiten müssen.”

Joro deutete auf die Schiffe und schrie: „Geschütze! Vorsicht!”

Die Riesen mußten ihn tatsächlich verstehen, denn alle nahmen nun die Steine, die sie in der Hand hatten und hielten sie vor sich. Tatsächlich hatte diese Salve einen weitaus geringeren Effekt als die erste, Joro hatte sich hinter seinen Schild gepreßt und sowohl Irruit, als auch Ghaundar hatten ebenfalls dahinter Schutz gesucht. Er blickte sich hektisch nach Omareth und Alystin um, aber diese waren mit langen Schritten an der Riesengruppe vorbei in ein kleines Waldstück auf der anderen Seite des Schauplatzes gerannt.

Als Joro den Kopf wieder hervorstreckte, holten die ersten Riesen schon wieder zum Wurf aus. Ghaundar nahm Irruit beiseite und begann leise und bestimmt auf sie einzureden und der Bischof versuchte, seinerseits etwas zu finden, daß er tun konnte.

Dann gab er dem Assassinen ein Zeichen, daß er in die Mitte der Riesengruppe zu laufen beabsichtigte, was dieser mit einem Nicken quittierte und 'Irruit und ich haben etwas vor' mit einem kalten Grinsen auf seinem Gesicht zurückgestikulierte.

Joro kam sehr schnell zu den drei Riesen, die sich am Boden wälzten, einer davon offensichtlich eine Frau, was aber, wie dem Buch zu entnehmen gewesen war, nur durch die gewaltigen Brüste zu erkennen war.

Die anderen Steinriesen, die um sie herumstanden wollten sich erst in den Weg stellen, doch als Joro „Ich bin Heiler” rief, traten sie vorsichtig zur Seite.

Der Bischof rammte seinen Schild in den Boden, so daß er zumindest prinzipiell zwischen Angreifern und Verletzten stand und ließ sich dann vor dem ersten, stark blutenden Riesen auf die Knie sinken.

'Celestus gib mir Kraft.'

'Ich bin immer bei dir, Joro.'

Seine Hände begannen zu wabern und die sich herabsenkenden Schwaden von Dunkelheit schlossen langsam aber stetig die Wunden des Riesen, eine davon eine Brandwunde von der Größe eines Mittagstisches. Vorsichtig brach Joro die Enden der Bolzen ab, die im Fleisch des gewaltigen Humanoiden steckten und zog sie aus seinem Fleisch, was mit einem Ächzen quittiert wurde, daß ihm seine Zähne vibrieren ließ.

Die anfänglich mißtrauischen Umherstehenden machten alle laute der Verwunderung, dann bellte einer von ihnen einen Befehl, sich des Feindes anzunehmen. Danach deutete er auf die Frau, die am Boden lag und sagte ebenso laut: „Diese. Jetzt.”

Joro deutete einem der Riesen, einen Stein vor den von ihm behandelten Verwundeten zu legen und seiner Aufforderung wurde nachgekommen. Dann nahm er seinen Schild hoch, bewegte sich so schnell er konnte zu der Frau herüber und begann die gleiche Prozedur.

Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, daß Irruit ihr Rapier und einen Linkshänder gezogen hatte und Ghaundar seinerseits seine Dolche in den Händen hatte.

Die junge Drow sah noch einmal zu Ghaundar, und der bestätigte ihren Blick.

Dann öffnete sie ihren Mund und fing an zu singen und eine schwarz-violette Aura umgab die beiden. Mit zunächst langsamen Schritten begannen die beiden, umeinander herumzutanzen, wurden immer schneller und dann bewegten sie sich in einem Wirbel auf die Legionäre zu.

Die Riesenfrau vor ihm war in noch schlechterer Verfassung als der erste Verwundete. Sie atmete nur flach und das Gras um sie herum war mit Blut getränkt. Sie war zwar von keinem der Brandgeschosse getroffen worden, aber zwei Bolzen hatten sie gefährlich nahe des Herzens durchbohrt und es erschien fast wie ein Wunder, daß sie überhaupt noch am Leben war.

'Kannst du sie retten, Herr?'

'Das hängt ganz von ihr ab, sie steht an der Grenze von dieser Welt zur nächsten.' Celestus klang sorgenvoll.

Joro senkte sein Gesicht, wenn es auch von der Maske bedeckt war, so nahe wie möglich an den gigantischen Schädel vor sich herab.

„Du kannst leben, wenn du willst, ich bin hier um dir einen weiteren Tag zu schenken, Schwester.”

Die Augen, beinahe so groß wie ein Bucklerschild, sahen leicht glasig zurück und mit leiser Stimme flüsterte die Riesin: „Bist du der Bote, der mich in die weißen Berge bringen soll?”

„Ich bin der Bote des Gottes der Toten, der er lieber sehen würde, wenn du deine Reise noch nicht antrittst.”

Sie hustete leise und sagte dann:

„Ich kann den Wind in den Klippen hören.”

„Das ist deine Familie, die um ihr Leben kämpft. Sie brauchen dich!”

Die Augen der Riesen wurden klar und die wabernde Dunkelheit um Joros Hände, die sich vorher nicht gerührt hatte, senkte sich nun auch auf ihren Körper.

Als er schließlich die Bolzen aus ihrem Körper entfernt hatte, während eine weitere Salve der Schiffe über die Senke prasselte und einen weiteren der Riesen fällte, schloß sie kurz die Augen, als würde sie einschlafen, oder gar dennoch den Geist aufgeben, aber dann öffnete sie sie wieder und stand langsam und vorsichtig auf. Joro half ihr dabei, so gut es ging, doch das Buch hatte maßlos untertrieben. Die Riesin war kleiner als ihre Artgenossen und maß voll aufgerichtet dennoch mehr als fünf Schritte und selbst im vergrößerten Zustand reichte er ihr gerade einmal bis zu ihrer (gewaltigen, das sollte man noch einmal erwähnen) Brust.

Sie lächelte, was Joro überraschte, und griff dann eine Steinkeule, lang wie ein junger Baum und rief ihren Artgenossen eine Reihe von Befehlen zu, die Joro aufgrund des Lärmpegels nur schlecht verstand.

Die Reaktion der Riesen war allerdings umso eindeutiger. Gut die Hälfte von ihnen griff ebenfalls nach Keulen, die auf dem Boden gelegen hatten und ging dann mit donnernden Schritten auf die Legionäre zu.

Joro hatte einen Augenblick zum Verschnaufen und schaute, hinter seinen Schild geduckt, in die andere Richtung. Von Omareth und Alystin war nichts zu sehen und auch die Hochelfenschiffe waren nirgends zu erblicken.

Was auch immer da ausbaldowert wurde, es konnte nicht sonderlich gut sein.

Derweil hatten Ghaundar und Irruit ihren Reigen der Klingen bis zu den Legionären gebracht und richteten genug Schaden und Ablenkung an, daß die Soldaten der Hochelfen nicht ausreichend vorbereitet waren, als die Riesen sie erreichten.

Die Riesin marschierte in erster Reihe mit, was Joro beinahe als abschätzig gegenüber seinen Anstrengungen ansah, aber er mußte sich noch auf den dritten Riesen konzentrieren, der nicht weit von ihm auf dem Boden lag. Dieser hatte eine ganze Reihe von Brandverletzungen, blutete aber wenigstens nicht.

Auch dieser ließ die Prozedur über sich ergehen, während er Joro die ganze Zeit erstaunt ansah. Der Bischof bekam das Gefühl, daß dieser jünger war als die meisten anderen, allein von seiner Länge her war das anzunehmen, denn Joro war kaum kürzer, soweit er das einschätzen konnte. Als er fertig war und die Wunden geheilt waren, wenn auch Narben zurückblieben, stand er vorsichtig auf und schaute sich erst ein wenig hektisch um und dann zu Joro.

„Wer bist du?”

„Ich heiße Joro und ich bin ein Freund.”

„Warum hilfst du uns? Wir haben keine Freunde.”

„Mindestens fünf”, Joro streckte alle Finger seiner rechten Hand aus, „Und die da oben sind unsere Feinde, genauso wie eure.”

„Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ja”, der junge Riese wirkte unschlüssig.

„Du weißt nicht, was du tun sollst?”

„Nein. Kannst du meinem Onkel helfen? Ich werde dich beschützen”, er deutete auf den Riesen den die vorletzte Salve niedergestreckt hatte.

Joro konnte sehen, daß sich drei Bolzen durch seinen Kopf gebohrt hatten und er schüttelte traurig den eigenen.

„Nein, ich fürchte für ihn kommt alle Hilfe zu spät.”

Im Halbdunkel konnte er sehen, daß dem jungen Riesen Tränen aus dem Gesicht liefen.

„Dann hilf mir seinen Tod zu rächen”, er nahm eine Keule vom Boden und machte Anstalten, hinter den anderen herzulaufen, aber Joro hielt ihn am Ellenbogen fest.

„Ich habe eine Idee, wie du den Tod deines Onkels rächen kannst, aber wir müssen in die andere Richtung gehen.”

„Aber der Feind ist dort”, der Riese wies mit seiner Keule zum Rest seiner Gruppe.

„Das mag sein, aber zwei der Schiffe sind in die andere Richtung geflogen und können uns jeden Moment von hinten angreifen.”

Der Riese blickte gen Himmel und machte mit der linken Hand eine zählende Geste.

„Du hast Recht, da fehlen zwei”, er wandte sich um und schaute auf den Himmel über dem Waldstück.

„Komm, wir gehen und sehen, was da vor sich geht, zwei meiner Freunde sind bereits in diese Richtung gelaufen und ich kann mir vorstellen, daß die Hilfe brauchen”, Joro nahm seinen Schild auf und ging los. Den dumpfen Vibrationen hinter sich entnahm er, daß der junge Riese ihm folgte.

 

Auf der anderen Seite des Waldstückes hatten sich Omareth und Alystin, so gut es eben ging, zwischen den Bäumen verborgen und konnten sehen, daß die Schiffe dicht über dem Boden angehalten hatten. An den Vorderstegen bauten die Mannschaften eifrig und eilig etwas auf, das aufgrund der Lichtverhältnisse nicht gut zu erkennen war, die natürliche Dunkelsicht der Drow hatte eine begrenzte Reichweite und sie wollten aufgrund ihrer derzeitigen Körpergröße nicht wagen, näher heranzugehen. Als sie ein stapfendes Rumpeln hinter sich hörte, fuhren beide herum, aber die beiden Schemen, die sich ihnen näherten erkannten sie sofort.

„Du schleichst wie die Axt im Walde, Joro”, grummelte Omareth, aber Alystin sah Joro freudig an.

„Wie groß du geworden bist, mein Bischof.”

Joro überlegte kurz, einen Kommentar bezüglich seines Genitales anzustrengen, aber entschied sich dann aus Taktgründen dazu, das für später aufzuheben.

„Was geht hier vor sich?”, fragte er stattdessen, mühsam ein Grinsen unterdrückend, das sowieso keiner gesehen hätte mit der Maske und so.

„Die bauen irgendwas auf da oben und was auch immer es ist, es bedeutet sicher nichts Gutes”, gab Omareth zurück.

„Und was machen wir jetzt?”

Der junge Riese machte einen Schritt vorwärts, doch wurde dann wieder von Vorsichtigkeit übermannt und trat wieder einen zurück.

„Wir müssen verhindern, daß sie meiner Familie in den Rücken fallen. Mein Onkel...”, der Rest des Satzes verschwand in einem leisen Schluchzen.

Omareth musterten ihn einen Moment lang, dann nahm er ihn beim Arm und führte ihn ein kleines Stück zurück in den Wald. Dann deutete er ihm dort zu warten.

„Kannst du ihm sagen, daß er auf mein Zeichen warten soll und dann beginnen soll, Bäume auszureißen und auf das Schiff zu werfen?”

„Sicherlich”, Joro tat, wie ihm gesagt worden war und der junge Riese nickte, dann wandte er sich wieder Omareth zu, „Hast du einen Plan?”

„Nein. Ich hoffe nur, die eine Weile ablenken zu können, damit die anderen Riesen ihre Attacke zu Ende führen können. Wo wir schon einmal dabei sind, wie läuft es da hinten?”

„Zuletzt waren sie dabei, die Offensive in die eigenen Hände zu nehmen. Ich habe dreien von ihnen wieder auf die Beine helfen können, aber sein Onkel”, er deutete auf den hinter ihnen kauernden Steinriesen, „ist leider gestorben. Drei Bolzen durch den Kopf...”

„Schaut!”, Alystin klang aufgeregt und besorgt.

Über ihnen hatten sich die Schiffe so sehr genähert, daß sie sich gegenseitig berührten. An den Vorderstegen waren Legionäre damit beschäftigt, dicke, mit Haken und Spitzen versehene Taue von einem Schiff auf das andere zu laden und an etwas zu befestigen, was sich jetzt klar als zwei gigantische Ballisten abzeichnete.

Omareth fluchte.

„Das ist es also. Wenn sie die Riesen zu Fall bringen oder behindern können, haben die Infanteristen jede Zeit der Welt, sie in Stück zu hauen. Wir müssen etwas tun!”

Der junge Steinriese hinter ihnen hatte den Tonfall des Generals gut verstanden und deutete fragend auf einen der Bäume in seiner Nähe.

Omareth sah ein paar Mal zwischen ihm und den Schiffen hin und her und zischte dann das Drowäquivalent von „Scheiß drauf!” und nickte.

Des Generals Einschätzung, daß eine Reihe geworfener Bäume kaum mehr als eine Ablenkung sein könnten bewahrheitete sich schnell, denn erstens flogen sie nicht sonderlich weit und zweitens waren sie einfach zu klein und jung, um beim Aufprall auf die Schiffe irgendwelchen bedeutenden Schaden zu verursachen.

„Wenn die nur ein paar Schritte tiefer fliegen würden könnte ich die mit meiner Axt erreichen”, preßte er zwischen seinen Zähnen hervor.

Joro sah hilfesuchend zu Alystin.

„Ein Blitzschlag oder dergleichen?”

Sie schüttelte den Kopf.

„Unsere Göttin hat eine generelle Abneigung gegenüber solchen Machtdemonstrationen, wie sieht es bei dir aus?”

'Hmmm....'

'Ja?'

'Naja, geht so etwas?'

'Sehe ich wie ein Donnergott aus?'

'Du mußt doch irgendwie ein Mittel haben, die Ungläubigen mit deinem gerechten Zorn niederzustrecken, oder?'

'Kannst du mal aufhören, mich mit irgendwelchen Klischees in eine Schublade zu stecken?'

'Irgendetwas?'

Celestus schwieg und Joro war sich nicht sicher, ob er nicht zu weit gegangen war. Also seufzte er, murmelte im Geiste eine Entschuldigung und dachte angestrengt nach, was er als nächstes tun konnte.

Da setzten sich die beiden Schiffe, gänzlich unbeeindruckt von der Gebüschbetankung langsam aber zielsicher in Bewegung.

Omareth gebot dem Riesen Einhalt und deutete in Richtung des Kampfes. Dieser verstand ohne Worte, griff seine Keule und rannte mit donnernden Schritten in diese Richtung.

„Was auch immer jetzt passiert, Joro, wir müssen den anderen Steinriesen helfen. Vielleicht schaffen sie es ja die beiden Schiffe mit Steinen vom Himmel zu holen.

Als die beiden Schiffe über ihnen passierte, fiel Joro beinahe das Herz in die Hose.

Der Grund, warum sie sich insgesamt langsamer bewegt hatten wurde offenbar: Der Rumpf der Schiffe war mit geschwärztem Metall beschlagen, einige der Bäume hatten immerhin die Farbe abgekratzt. Er deutete nach oben und Alystin nahm die Wahrheit mit einem Stöhnen zur Kenntnis, Omareth fluchte nur ein weiteres Mal.

Wieder an der Senke angekommen sahen sie, daß die Riesen unter den Legionären leider weitaus weniger aufgeräumt hatten, als es Joro gehofft hatte. Irruit und Ghaundar hatten sich ein wenig abseits hinter einem Stein verkrochen, die junge Priesterin verband gerade das Bein ihres Mitstreiters.

Als die anderen drei ankamen, der junge Riese stürzte sich nach kurzem Zögern dennoch mit ohrenbetäubendem Brüllen in den Kampf, sah Ghaundar müde zu ihnen auf.

„Die sind nicht dumm, die Hochelfen. Die lassen die Riesen niemals mehr als einen von ihnen gleichzeitig angreifen. Was ist mit den anderen beiden Schiffen?”

Omareth setze an, es kurz und bündig zu erklären, da kamen die beiden metallbeschlagenen Schiffe bereits über die Bäume gesegelt und mit einem Krachen wirbelte das Tau über die Senke.

Es traf und fesselte drei der Riesen mit einem lauten Schnappen. Sofort sprangen die Legionäre in deren Richtung.

Joro, der immernoch ein wenig erschöpft war fühlte wie schon einige Male zuvor gerechten Zorn in sich aufsteigen. Er nahm seinen Hammer vom Gürtel und den Schild vor sich und rannte wie ein Verrückter brüllend auf das Geschehen zu.

Dabei sagte ein kleiner Teil seines Bewußtseins:

'Es tut mir leid, falls ich mich übernommen habe, ich bin verzweifelt, Celestus.'

'Ich weiß. Mach dir keine Sorgen.'

Omareth und Alystin sprangen hinter ihm her, jeder aus den eigenen Gründen fluchend und nach weniger als zwei Minuten brachen sie in die Menge der auf die Riesen einhackenden Legionäre. Diese hatten nicht damit gerechnet und es gelang sowohl Joro als auch Omareth, mehr als ein Dutzend zu töten, bevor dieser überhaupt bemerkten, was vor sich ging. Die Kommandanten der Legion begannen Befehle zu brüllen und als die Legionäre sahen, wer da angriff erscholl ein Schlachtruf und die stürzten auf die drei Angreifer zu.

Sie befreiten die am Boden liegenden Riesen von den Legionären und Omareth kappte die Taue mit einigen, schnellen Axthieben.

Derweil drehte sich Joro zur anstürmenden Legion um, legte seinen Schild eng vor sich an den Körper und griff seinen Hammer so hart, daß er merkte, daß ihm das Blut aus den Fingern floß.

„Alystin?”

„Ja, mein Joro.” Sie stand auf seiner linken Seite hinter ihm.

„Jeder Einzelne, der an mir vorbeikommt stirbt.”

„Natürlich.” Sie begann zu singen und Joros Körper füllte sich mit Wärme und Kraft. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, daß Omareth auf seiner anderen Seite Stellung bezogen hatte.

Er schloß noch ein letztes Mal die Augen und brüllte dann „CELESTUS!!!” als die ersten Wurfspieße auf seinen Schild prasselten.

 

Was genau danach geschah konnte er später nur in Bruchstücken zusammensetzen. Eine endlose Explosion von Schmerzen auf seinem linken Arm, ein immer schwerer werdender Hammer in der rechten, Schläge gegen seine Knie und ein Stich in einen seiner Füße, der ihn fast fallen ließ, hätte Alystins Gesang den Schmerz nicht schnell abgemindert.

Er konnte sehen, daß sowohl sie als auch Omareth mehrfach getroffen wurden, aber beide hielten sich ebenfalls auf den Füßen.

Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, daß die drei Riesen, denen sie geholfen hatten mit ihnen in einer Reihe kämpfen und regelmäßig Findlinge anhoben und dann einfach wieder ein Stück weiter fallen ließen. Sie bluteten aus Dutzenden Schnitt- und Stichwunden, aber waren dennoch scheinbar gänzlich unberührt von den Schmerzen.

Innerlich erwartete Joro jede Sekunde daß entweder ein Legionär eine kritische Stelle in seiner Rüstung finden würde oder daß die Riesenballisten auf den beiden gepanzerten Schiffen wieder feuern würden.

Aber mit einem Male riß ihn ein Knall aus der Trance, der laut genug gewesen sein mußte, als daß man ihn in Bargum hörte.

Die Legionäre vor ihm waren für einen Moment vor Schreck wie erstarrt und in diesem Moment sprang Ghaundar über seinen Kopf und begann wie ein Sturm aus Klingen in ihrer Mitte zu wüten. Omareth und Alystin zogen ebenfalls an ihm vorbei und nutzten den Moment der Verwirrung zu ihrem Vorteil.

Es dauerte nicht lange, dann erscholl ein zweites Krachen, dem ersten in Lautstärke in nichts nachstehend und Joro wandte sich verwundert um.

Beide Schiffe hatten mannshohe Löcher in ihren gepanzerten Seiten und in einem der beiden Fahrzeuge vermeinte er eine wage humanoide Gestalt aus purem Feuer erblicken zu können.

Joro drehte sich wieder um und sah, daß die Legionäre begonnen hatten zu flüchten, die Riesen hatten an allen Stellen die Gunst der Stunde genutzt, jeden einzelnen Hochelfen in ihrer Reichweite niederzustrecken.

Was darauf folgte, kann man nur als Gemetzel beschreiben. Es krachte noch drei Mal und am Ende drifteten alle fünf Schiffe in Flammen davon, zwei von ihnen schlugen nicht weit vom Kampfschauplatz in die Erde.

Als der letzte Legionär sein Leben ausgehaucht hatte, war es vollständig Nacht geworden, aber die Senke war überall von hellen Flammen erleuchtet.

Zu Joros Überraschung waren sie alle fünf wieder geschrumpft und als sich dann plötzlich die versammelten Riesen in ihre Richtung bewegten fühlte er zum ersten Mal kalte Angst in sich aufsteigen.

In wenigen Momenten waren sie umringt und die sechs bis sieben Schritte hohen Gestalten blickten nur stumm auf sie herab.

Eine Weile lang geschah nichts, doch dann trat die Riesin zwischen ihren Reihen hervor und beugte zu Joro herab.

„Du bist kleiner, als ich das in Erinnerung habe, Freund.”

„Größe ist oft genug eine Frage der Geisteshaltung, Freundin.”

Ihr Gesicht veränderte sich zu einem strahlenden Lächeln.

„Ich kann mich erinnern, daß du mich „Schwester” genannt hast. Ich denke, daß du es dir verdient hast, mich so zu nennen”, ihr Blick schweifte zu den Drow und für einen Moment überzog ein Schatten ihre Miene, „Und jene sind deine Familie?”

Joro sah zu den anderen herüber. Omareth und Ghaundar hatten beide eine Reihe schmerzhaft aussehender Schnittwunden und Irruit war am Rande des Kollaps. Eine Woge von Mitgefühl durchströmte ihn.

„Ja, diese sind wahrlich meine Familie. Alle vier.”

Die Riesin zögerte einen Moment, dann lachte sie ein erderschütterndes Lachen.

„Ich habe heute mehr unglaubliche Dinge gesehen als in meinem ganzen Leben zuvor. Also warum sollten nicht die Schwarzhäute mit einem Menschen eine Familie bilden dürfen”, sie hob einen Finger an die Stirn, „ich grüße euch, Brüder und Schwestern.”

Omareth und Alystin gaben den Gruß zurück, Irruit stand schwankend, das Rapier auf den Boden gerichtet, den Linkshänder wer weiß wo und Ghaundar versuchte seinen Arm zu heben, aber machte sofort einen Schmerzlaut und fiel auf sein Knie. Alystin sprang sofort zu ihm und legte ihn vorsichtig auf den Boden.

Joro blickte wieder zur Riesin hoch.

„Mein Name ist Joro.”

„Meiner ist Zir. Kümmere dich um deine Familie, ich werde die meine versorgen.”

Einer der Riesen machte einen Laut und alle anderen fuhren herum.

Der Bischof sah in die gleiche Richtung und konnte eine Gruppe vertrauter Formen erkennen, die langsam und sehr vorsichtig auf die Versammlung zumarschiert kam.

Einige der Steinriesen hoben ihre Keulen, aber Joro rief: „Nein! Das sind Verbündete!”

Zir sah ihn zweifelnd an.

„Die Ratten gehören ebenfalls zu deiner Familie?”

„Ähhh, entfernte Cousins...”

Es dauerte ein paar Momente, Zir im Wesentlichen zu erklären, wer da im Anmarsch war und warum es eine Gute Idee war, entgegen ihres Vorschlages Steine auf deren Köpfe zu werfen.

Es überraschte Joro, daß die Steinriesen keineswegs etwas von der etwas dumpfen, langsamen Art der Orcs hatten. Ganz im Gegenteil waren sie ausgesprochen schnell im Denken und auch wenn es der Riesin anzusehen war, daß ihr die Situation nicht gefiel ließ sie sich dazu überreden, ihn erst einmal mit den Duergar zu reden, bevor auch nur ein einziger Stein flog. Stattdessen machten sich die Riesen daran, ihre gefallenen einzusammeln und sich um ihre Verletzten zu kümmern. Wohlgemerkt abseits von Joro und den Duergar.

An der Spitze der Kolonne marschierten Torkum und ein anderer Duergar, der in die dickste Rüstung gehüllt war, die er jemals gesehen hatte. Es schien fast so als liefe dort ein zu klein geratener Festungsturm aus Metall vor den anderen Soldaten.

Die Kolonne hielt, als Joro nur wenige Schritte vor ihnen angekommen war abrupt an, als der Turm seine rechte Hand hob, ein wenig unbeholfen, wie er bemerkte.

Torkum salutierte straff und dann nahm der Turm den Helm ab.

Es war Myelin.

„Oh Götter, was ist nur mit dir geschehen mein Junge?”, sie watschelte auf ihn zu, wobei sie auch ihre gepanzerten Handschuhe von sich warf und legte ihm vorsichtig die Hände auf die Arme.
„Ich habe mich ein wenig geprügelt”, gab er mit einem müden Lächeln zurück, „Sehe ich das richtig, daß wir unsere Rettung in höchster Not dir und den Truppen des tapferen Königs zu verdanken haben?”

Sie sah einmal an ihm auf und ab und als sie mit dem Resultat zufrieden war, nickte sie eifrig und zeigte auf eine Gruppe von etwas abseits stehenden Gestalten, die in Roben aus Kettengeflecht mit eisernen Gesichtsmasken gerüstet waren.

„Ich habe mir, wenn man einem gewissen Herren glauben darf, die „Unverschämtheit” geleistet, eine Gruppe von Elementaristen mitzunehmen. Man weiß ja nie, wann man die einmal brauchen kann und mein Leib- und Magengatte hatte sich in den Kopf gesetzt, eine Waffe zu erfinden, mit der diese verfluchten Dinger von Himmel geholt werden können”, sie grinste, „Er ist ja so süß, wenn er sauer ist.”

Joro sah sie fragend an und sie deutete einem der Duergar, nach vorne zu treten. In seinen Händen hielt er ein Rohr, das beinahe doppelt so lang war wie er selbst und ein glockenförmiges Gebilde an einem Ende aufwies. Seine Stimme klang blechern hinter der Maske.

„Eine Elementarschleuder. Man sperrt ein niederes Feuerelementar ein, füttert es, bis es kurz vorm Platzen ist und macht dann das andere Ende auf.”

„Den Rest kann ich mir denken. Genial.”

„Natürlich”, gurrte Myelin, „Mein kleiner, dicker König wurde schon genial geboren.”

Torkum deutete auf die Riesen.

„Problem?”

„Nein, ich glaube, daß wir gerade so etwas wie einen Pakt mit denen geschlossen haben.”

Der Marschall zog eine Augenbraue hoch.

„Was? Mit den zu groß geratenen Stalagmiten da?”

„Richtig und ich erwarte, daß ihr euch benehmt, ich will keinen Zwist aufkommen lassen.”

Der Duergar setzte an, etwas zu sagen, aber Myelin war mit einem Mal vor ihn gehuscht, insoweit der Klumpen Metall an ihrem Körper das zuließ, und hatte ihm den Finger auf den Mund gelegt. Dann wandte sie sich Joro zu.

„Ich bin als Botschafterin nach Bargum berufen und nur allzu bereit, dir so weit zu helfen, wie es in meiner Macht steht, mein Herz. Wir marschieren direkt weiter, wollt ihr uns begleiten?”

Der Bischof sah zu den vier Drow herüber, die immernoch damit beschäftigt waren, sich gegenseitig wieder auf Vordermann zu bringen und dann zu den Riesen, die damit begonnen hatten, einen Haufen Steine aufzuschichten, von dem Joro vermutete, daß sie ihre Toten darunter bestatteten.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bin hier noch nicht fertig. Wenn du in Bargum ankommst, berichte dem Fürsten bitte alsbald, was hier geschehen ist. Ich werde so schnell ich kann zurückkehren.”

Sie zog ihn zu sich herunter und gab ihm einen Schmatz auf die Wange.

„Gut, dann sehen wir uns in Bargum. Du mußt mir unbedingt dieses Kloster zeigen, von dem ich schon so viel gehört habe, hach, ist das alles aufregend...”

Die Kolonne der Duergar setzte sich klimpert und krachend wieder in Bewegung und Joro ging zurück zu den Drow.

Ghaundar lag immernoch auf dem Boden, jetzt mit einem dicken Verband um seinen linken Arm.

Die anderen drei sahen ein wenig bekümmert zu ihm herunter, er war entweder bewußtlos oder schlief.

„Wie schwer hat es ihn erwischt?”

„Hat ziemlich viel Blut verloren”, preßte Omareth mit schmerzerfüllter Stimmer hervor, „aber er wird es überleben, das war nicht das erste Mal.”

Alystin saß müde dreinblickend neben dem Assassinen auf der Erde, ihre Hände schwarz von getrocknetem Blut. Was man natürlich nicht sehen konnte.

Sie sah zu Joro auf und fragte:

„War es das wert?”

Joro hörte etwas und schaute zu den Riesen herüber. Einer von ihnen kam mit langen Schritten auf sie zugelaufen.

„Das werden wir wohl gleich wissen.”

 

Es stellte sich heraus, daß es der junge Riese war.

„Ich heiße Nor. Meine Mutter hat mich gebeten, euch zu uns herüberzubitten, ich kann auch diesen dort tragen, wenn es notwendig ist.”

Joro übersetzte und auch wenn Alystin erst dagegen zu sein schien zuckte sie am Ende nur müde mit den Schultern.

Der Griff mit dem Nor Ghaundar anhob war auf so eine seltsame Art zärtlich, daß Joro beinahe gelacht hätte, aber er behielt es bei sich.

Als sie schließlich zu den versammelten Steinriesen hinübergehumpelt waren, wartete Zir bereits mit ernster Miene auf sie.

Sie ging wortlos einen donnernden Schritt auf Joro zu, dann griff sie ihn und hob ihn vorsichtig auf ihre Schulter.

Die anderen Riesen stimmten einen summenden Singsang an.

„Dieser hat mit uns geblutet.”

Das Summern nahm einen kurzen Moment eine höhere Lautstärke an.

„Dieser hat für uns gestritten.”

Es wiederholte sich.

„Dieser hat seine Familie für die unsere riskiert.”

Ein erneutes Aufklingen des Summens und je ein Riese trat auf die restlichen drei Drow zu und ergriff einen von ihnen.

Für einen Moment durchfuhr Joro ein Stich und er fürchtete, daß entweder Alystin oder Omareth sich zur Wehr setzen würden, aber er sah, daß sie beide verstanden, was hier geschah.

Die drei Riesen setzten sich die Drow ebenfalls auf die Schultern während das Singen sich fortsetzte.

„Diese haben uns am Ende unseres Pfades zur Seite gestanden und sollen auf dem kommenden Pfad eine Stimme besitzen”, fuhr Zir fort.

Das Summern wurde um ein weiteres Mal lauter und änderte seine Tonlage. Joro hätte schwören können, daß die Erde unter ihren Füßen vibrierte und nicht nur aufgrund der lauten Stimmen der Steinriesen.

„Sag mir nun, Joro, Kind der Erde, welchen Pfad du gehen willst”, sie wandte ihren Kopf in seine Richtung.

Er klappte sein Visier hoch und sah ihr lange in die Augen, die einen merkwürdigen Glanz annahmen, als sie sein Gesicht erblickte.

Dann klappte er es wieder herunter, zeigte auf einige tote Legionäre und sagte:

„Diese haben uns verfolgt und meine Familie angegriffen.”

Das Summen nahm kurz einen disharmonischen Ton an, dann wurde es wieder homogen.

„Diese haben sich geschworen, alle zu töten, die sich ihnen nicht unterwerfen.”

Wiederum eine Dissonanz, gefolgt von Normalität.

„Ich habe mir selbst geschworen, meine Familie zu verteidigen oder bei dem Versuch zu sterben. Ich bitte euch, mir dabei zu helfen.”

Dieses Mal endete das Summen abrupt und Zir sah einmal in die Runde.

„Wir haben drei weitere unserer Familie verloren. Diese”, sie wies auf einen toten Hochelfen, „sind ums weitere Mal der Grund. Wir gehen diesen Pfad mit dir, Kind der Erde, von jetzt an bis zum Ende des Weges, welches auch immer dieser sein mag.”

Die anderen Riesen stießen einen kurzen, summenden Laut aus, dann herrschte Stille und nun konnte Joro sehen, daß die Erde nicht nur wirklich vibriert hatte, sondern daß nun ein schwaches Licht aus ihr aufstieg. Es sammelte sich um den Steinhaufen, unter dem die Toten lagen und stieg dann gemächlich gen Himmel, um sich dort zu verflüchtigen.

Für einen kurzen Moment konnte er einen bekannten Schemen in der Mitte der Lichtsäule schweben sehen und in seinem Kopf herrschte ein Gefühl von überwältigender Zufriedenheit.

 

Kapitel 15

 

Sie überholten schon am frühen Morgen die Dunkelzwergkolonne, wie es schien heilten die Wunden der Steinriesen sehr schnell und sie brauchten auch ausgesprochen wenig Schlaf.

Myelin wurde kurzerhand ebenfalls aufgehoben und mitgenommen, natürlich gegen den schärfsten Protest Torkums, aber nachdem sie ihn vor seinen versammelten Soldaten einen alten Brummbär genannt und ihm in die Wange gekniffen hatte, machte er grummelnd eine Handbewegung, daß sie seinetwegen tun sollte, was sie wollte und fügte noch hinzu, daß er das dem König mitteilen werde, was Myelin zum Anlaß nahm, ihm noch eine ganze Reihe von Liebeserklärungen mit auf den Weg zu geben. Torkum wandte seine persönliche Eskorte um und erteilte dem Rest von Myelins Begleitung den Befehl, im Eilmarsch nach Bargum zu gehen.

Joro war, wie auch die Drow, in Zirs Arm eingenickt und wachte erst auf, als Myelin ihm lachend einen guten Morgen wünschte und sich darüber ausließ, wie doch alles so spannend war.

Er sah müde zu Alystin herüber und sah, daß sie immernoch schlief, genau wie die anderen vier. Umso erstaunter war er, als er Myelin in scheinbar akzentfreier Riesensprache mit dem Steinriesen, der sie trug zu sprechen begann. Dieser war für einen Moment überrumpelt, doch dann ließ er sich auf ein Gespräch mit ihr ein. Das Visier heruntergeklappt mußte Joro feststellen, daß es zwischen Essensbereitung bei den Riesen bis hin zu Stein- und Felsqualität so ziemlich alles umfaßte, das er gerade uninteressant fand, aber er war dem Riesen dankbar, das er Myelin beschäftigte.

Stattdessen nahm er die Gelegenheit zum Anlaß, Zir auszufragen.

Sie erklärte ihm recht schnell, daß die Reputation ihres Volkes teils der Richtigkeit entsprach und teilweise sogar von ihnen gefördert wurde. Die Steinriesen hatten über Jahrtausende mit Konflikten leben müssen, die immer wieder auftraten, weil andere Bergvölker ihnen ihren Lebensraum streitig machten. Ihre Einstellung gegenüber Duergar war besonders negativ, wobei sie es sich nicht verkneifen konnte zu erwähnen, daß sie jemanden wie Myelin niemals erwartet hätte.

Es lief am Ende darauf hinaus, daß sie einfach nur in Ruhe gelassen werden wollten und wenn das hin und wieder einen Stein auf dem einen oder anderen Haupt als Konsequenz nach sich ziehen mußte, dann war das dem guten alten Bild vom Eier zerschlagen zum Kuchen backen zuzuordnen.

Joro erzählte ihr seinerseits in kurzer Form, was ihm alles passiert war und das eine oder andere Mal hob sie eine Augenbraue.

Als er fertig war, schwieg Zir eine Weile, bis sie dann ihren Kopf zu ihm wandte und fragte:

„Das soll ich dir alles glauben?”

Er zuckte mit den Achseln.

„Ich glaube das manchmal selbst nicht. Aber die Rune auf meinem Hals hindert mich am Lügen.”

Sie sah forschend auf seine Kehle und lächelte dann.

„Ein mächtiges Dweomer, das kann ich sogar als Laie erkennen. Du sagst, daß jeder deines Volkes ein solches trägt?”

„Nun ja, nicht jeder Mensch, aber diejenigen, die in diesem Lande geboren werden, zumindest jene in den ländlichen Regionen tragen alle die Rune.”

„Das gefällt mir. Glaubst du, daß diese auch bei uns funktioniert?”

Er drugste einen Moment herum, doch dann sagte er:

„Man müßte wohl ein größeres Brandeisen herstellen, aber ich glaube schon.”

Sie lachte eine dröhnendes Lachen, was bei den anderen Riesen für amüsiert fragenden Blicke sorgte.

„Du hast einen schönen Sinn für Humor, Joro. Vielleicht können wir das ja gemeinsam herausfinden.”

 

Schon gegen Nachmittag war in der Ferne das Kloster in Sicht und Myelin kommentierte, daß es wohl keine bessere Form des Reisens gäbe, besonders für jemanden der von den Göttern mit so verflucht kurzen Beinen geplagt worden sei, natürlich Verzeihung für die Blasphemie aber die Mühe sei nun einmal eine Wirklichkeit.

„Wenn sie nicht bald die Klappe hält, stopfe ich ihr eine meiner benutzten Socken in die Röhre”, zischte Omareth ein paar dutzend Schritte von Joro entfernt.

„Schön zu sehen, daß deine Lebensgeister zurückkehren, Omareth”, sagte der Bischof mit einem Grinsen.

„Die Geister kannst du aus dem Spiel lassen, keiner von uns wird in der kommenden Woche sonderlich viel Zeit oder Lust haben herumzutollen oder tanzen zu gehen.”

Was vermutlich richtig war, Joro hatte bemerkt, daß schon wenige Stunden nach dem Kampf sein Körper eine Rechnung für den erlittenen Schaden ausgestellt hatte. Es war ein Segen, getragen zu werden, denn er konnte sich vorstellen, er an sämtlichen Gliedern ein interessantes blau/rosa/violettes Mosaik zu erwarten hatte, wenn er endlich seine Rüstung abnahm.

Aber erst standen wichtigere Dinge an.

„Zir, ich muß dir ein paar wichtige Fragen stellen, bevor wir in der Stadt ankommen.”

„Frag nur.”

„Ich muß wissen, was ihr eßt.”

Die Frage verwirrte die Riesin sichtlich.

„Essen.”

„Fleisch, Gemüse, Wurzeln und dergleichen?”

„Ja, natürlich, was dachtest du denn, vielleicht Steine?”

Die anderen Riesen lachten.

„Dann nehme ich auch an, daß ihr einen Riesenappetit habt?”

Der Witz verlief im Sande, denn die Antwort war ein trockenes:

„Das ist treffend ausgedrückt, ja.”

Joro sah sich um und zählte zwanzig. Ein jeder würde vermutlich für zehn Personen essen und die Vorräte der Stadt hätten somit auf kurze Sicht ein Problem. Dennoch, das war es wert und sie würden zur Erntezeit abmarschieren. Es galt also nur, die Zeit bis dahin zu überbrücken.

„Eine zweite Frage: stimmen die Legenden, daß ihr über Jahrhunderte hinweg im Streit mit den Hirtenvölkern gelegen habt? Es gibt da die Geschichte vom Hirten...”

„Die Geschichte kennen wir auch, auch wenn sie von uns aus einer anderen Perspektive erzählt wird und der Riese der Held ist. Wie dem auch sei sind diese Legenden unwahr. Mit einem oder zwei Stämmen der Hirten hat es in der Vergangenheit eine gute und freundschaftliche Handelsbeziehung gegeben, daran kann ich mich sogar noch erinnern. In gewisser Art und Weise sind wir verwandte Seelen, auch wenn keine Seite das zugibt.”

Das erleichterte den Bischof gewaltig. Er beschloß bei Ulfr zu sehen, ob dort jemand die Sprache der Riesen sprach, denn das würde helfen.

„Dann gibt es nur noch eine Frage. Habt ihr euch mit einem Geas belegt?”

Zir sah ihn fragend an, doch dann leuchteten ihre Augen auf.

„Der Pfad ist das, was du Geas nennst. Wir gehen ihn bis ans Ende.”

„Wie viel Zeit habt ihr, um den Pfad zu gehen?”

„Das liegt daran, wie der Pfad beschrieben ist, Kind der Erde.”

„Wie ist er denn beschrieben, du mußt verzeihen, aber ich weiß darüber nichts.”

„Unwissen ist keine Schande. Du hast deinen Wunsch ausgesprochen und wir haben ihn zu unserem eigenen gemacht. Es wird dauern, so lange es dauert, aber wir werden ihn gehen.”

Eine weitere Welle der Erleichterung wallte durch Joro und er merkte, daß er immernoch sehr müde war.

Zir bemerkte dies und ließ ihre Hand vorsichtig über ihn streichen.

„Ich wecke dich auf, wenn wir den Rest deiner Familie treffen.”

 

Joro wachte in Schlafgemach des Bischofs auf, und der erste Ärger darüber endete in dem Augenblick, in dem er versuchte, eine seiner Gliedmaßen zu bewegen. Die Nerven in seinem Arm schrien nach Erlösung, als er versuchte seine Hand zu heben. Mit einem Ächzen wandte er seinen Kopf nach links und sah, daß Alystin dort, immernoch schlafend, ebenfalls in seinem Bett lag.

Besser als gar nichts.

Er mußte wohl gestöhnt haben, denn vom Stuhl, der unweit des Bettes stand sprang ein besorgt dreinblickender Marinus auf und eilte zu ihm herüber.

„Wie geht es Euch, Eminenz?”

Joro schluckte. Selbst das tat weh.

„Ich kann mich an eine Fülle von Situationen erinnern, in denen meine körperliche Verfassung weitaus besser war, als zu diesem Zeitpunkt.”

„Ihr habt zwei angebrochene Knochen im rechten Bein und eure beiden Arme sind jeweils eine einzige Prellung. Ohne die Rüstung wäret ihr sicherlich heute nicht hier.”

„Wenn ich mich recht erinnere war die am Ende reichlich verbeult, ja.”

„Die Schmiede im Schloß sind gestern Abend noch höchstpersönlich hier erschienen und haben sie abgeholt. Sie haben darauf bestanden, sie augenblicklich zu reparieren und mehrfach betont, daß sie dafür nicht bezahlt werden wollen, was mich ehrlich gesagt ein wenig verwundert hat...”

Joro versuchte zu lachen, aber seine Magenmuskulatur hatte Einwände.

„Niemand Geringeres als ihr König hat sie angefertigt. Das muß für sie eine Ehrenfrage darstellen”, er hielt kurz inne, „Wie geht es den anderen und vor allen Dingen: was ist mit den Riesen?”

Marinus machte eine beruhigende Geste.

„Herr Omareth und Herr Ghaundar liegen im Stadtschloß in ihren Betten und der Fürst hat seinen Leibarzt bereitgestellt. Fräulein Irruit ist nebenan in einem Gästezimmer einquartiert und Bruder Jost kümmert sich um sie, außer einer etwas tieferen Schnittwunde am Arm hat sie von allen am wenigsten ertragen müssen, was sie Herrn Ghaundar hoch anrechnet.”

„Und die Steinriesen?”

Der Totengräber kratzte sich am Kopf.

„Das war eine etwas problematische Situation, in die wir da geraten sind. Die Stadtwache hat Alarm geschlagen, als Eure Entourage in Sichtweite kam und ist mit zwei Kompanien ausgerückt. Als sie vor der Stadt versammelt waren und losmarschieren wollten, kamen mit einem Mal drei- oder vierhundert Hirtenkrieger an und haben ihnen gedroht, daß es zu Ausschreitungen kommen würde, falls auch nur einer seine Waffe gegen die Steinriesen erhebt.”

Joro stöhnte, sowohl aus physischen, als auch psychischen Gründen.

„So haben die beiden Gruppen vor dem Tor gestanden und sich gestritten”, fuhr Marinus fort, „bis die Riesen mit einem Male da waren. Was dann geschah war ein Wortschwall, der vermutlich in die Geschichte eingehen wird.”

„Mit anderen Worten: sie sind auf eine gewisse Botschafterin gestoßen.”

„Richtig. Königin Myelin hat sie derart mit Worten zugedeckt, daß am Ende alle zwangsläufig geschwiegen haben. Die Hirten haben die Riesen dann mit zu sich genommen und Olgerich hat mir berichtet, daß er noch am selben Abend einen Antrag des neuen Hauptmannes für die Einführung eines Waffenscheines für „Mundwerk” auf den Tisch gelegt bekommen zu haben.”

„Die Frau ist eine Waffe...”

Marinus' Gesicht verzog sich.

„Olgerich hat darauf bestanden, daß sie im Kloster einquartiert wird. Heute Morgen gab es zwischen ihr und Franz ein Handgemenge, das mit einer großen Menge blauer Flecken, einem ausgeschlagenen Zahn und zwei überglücklichen Personen in der Küche geendet hat. Zumindest hat sie eine Aufgabe für sich entdeckt und Franz kann sie scheinbar gut leiden.”

„Da haben sich zwei gefunden, was...”

Der Totengräber legte den Kopf schief.

„Wie man es nimmt. Auf der einen Seite haben wir leider wieder größere Mengen an Essen zu erwarten, auf der anderen Seite hat die Königin nicht nur darauf bestanden, für alle Armen in der Stadt zu kochen, sondern hat wie es scheint auch bereits dafür gesorgt, daß ihr Ehemann Essensvorräte nach Bargum schickt. In der Zukunft werden wir wohl eine Menge Pilze essen, wenn ich ihren Ausführungen glauben darf.”

Joro zuckte nur innerlich mit den Achseln, äußerlich wagte er das nicht.

„Besser als nichts, mit den Riesen als Neuzugang können wir nicht einen einzigen Bissen ablehnen.”

Marinus nickte zustimmend.

„Wenn Ihr Euch sonst nicht am Rande des Todes fühlt, würde ich mich jetzt gerne zurückziehen, um meinen Aufgaben nachzugehen, Eminenz.”

„Kein Problem, aber warte einen Moment”, Joro machte eine Kopfbewegung in Richtung Alystin, „Was ist mit ihr?”

„Sie hat sich selbst einen Trank verabreicht, von dem mir der Apotheker versichert hat, daß er sie lange und heilsam schlafen läßt. Zudem hat sie eine Portion davon für Euch bereitgestellt, von der sie sagte, daß Ihr selbst entscheiden sollt, ob Ihr sie trinken wollt.”

Schlafen erschien derzeit die einzig sinnvolle Alternative und mit Marinus' Hilfe schluckte er das dickflüssige, bittere Zeug.

 

Als Joro erwachte war seine Blase so derart gefüllt, daß er keinen Ausweg sah, als zu versuchen aufzustehen. Zu seiner freudigen Überraschung waren die Schmerzen fast vollständig aus seinen Glieder verschwunden, nur sein Bein gab in seiner Schiene ein widerlich pochendes Gefühl von sich. Er griff einen Gehstock, der neben sein Bett gestellt worden war und humpelte ins Badezimmer, um sich dort zu erleichtern.

Was auch nach einer Phase des Abschwellens irgendwann möglich war.

Er bewegte sich vorsichtig ins Schlafzimmer zurück und zu seiner großen Erleichterung wandte Alystin ihr Gesicht in seine Richtung.

Ihr rechtes Auge war stark geschwollen und auf ihrer Stirn hatte sie eine große Stelle, die vollständig von Schorf bedeckt war, aber sie lächelte.

„Na, mein Invalide? Wie geht es dir?”

„Ich fühle mich wie Albrecht, ohne den Vorteil nicht fühlen zu können oder tot zu sein.”

Sie kicherte leise und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Platz neben sich.

„Wir sollten dringend noch mindestens eine ganze Nacht miteinander schlafen.”

 

Das taten sie, jeder für sich und doch in Geist und Herz vereint.

Als sie schließlich nach einer weiteren Nacht erwachten konnten sie beide zumindest wieder halbwegs auf eigenen Beinen stehen.

Einer der Totengräber kam mit einem Tablett mit Essen vorbei und zum ersten Mal fand Joro die Klingelschnur in diesem Zimmer nicht dekadent. Sie saßen und aßen, während draußen die Sonne langsam über den Horizont kroch.

Alystin hatte immernoch tiefe Ränder unter den Augen, aber hatte gute Laune.

„Das nächste Mal wenn du einen deiner Einfälle hast, darfst du wieder alleine losziehen, Joro.”

Er lächelte.

„Du kommst doch sicherlich sowieso wieder hinter mir her.”

Sie gab ein übertrieben lautes Seufzen von sich.

„Wenn keiner auf dich aufpaßt heiratest du noch irgendwann eine Riesin.”

„Glaubst du, daß Zir...?”

Alystin lachte und verschluckte sich beinahe an dem Schluck Tee, den sie versucht hatte zu trinken.

„Von den rein physischen Problemen, die ihr sicherlich auch klar sind, glaube ich kaum, daß da etwas zu erwarten ist, Joro”, ihre Augen senkten sich ein kleines Wenig zu einem Blick, den Joro nur zu gut kannte, „Außerdem könnte sie das so oder so nur über meine Leiche tun.”

„Dein Blick grenzt an Mißhandel von Kriegsversehrten, Alystin.”

Sie kicherte, „Keine Sorge, es ist nur eine Absichtserklärung, aber mehr als bluffen kann ich derzeit leider nicht mit meiner Kondition vereinbaren.”

Nach einer Weile des gemeinsamen Gackerns aßen sie gut gelaunt ihr Frühstück zu Ende. Beide waren ausgesprochen durstig gewesen und hatten deshalb einen der Totengräber kommen lassen müssen, um einen großen Krug Wasser herbeizuschaffen.

Schließlich ließen sie sich erschöpft beide wieder ins Bett sinken und begannen einzudämmern.

Joro nuschelte noch „Lust hätte ich ja eigentlich schon”, was Alystin mit „Halt die Klappe und schlaf dich aus” quittierte.

 

Kapitel 16

 

Nach drei Tagen, in denen es ihnen beiden immer besser ging, waren sie endlich wieder soweit bei Kräften, daß ein Verlassen der vier Wände des Schlafgemaches auf den Plan rückte. Joro humpelte natürlich immernoch, aber mit dem Gehstock ging es und der behandelnde Totengräber mit Namen Jost versprach ihm, noch vor dem Ende der Woche die Schiene abnehmen zu können.

Alystin machte sich sogleich in die Apotheke auf, um nach Brauchbarem zu suchen, daß vor allem ihr Gesicht wieder herstellte, soviel Eitelkeit gab sie offen zu, während Joro sich direkt in den Tempel bewegte, um dort lange und intensiv seine Dankbarkeit gegenüber Celestus auszudrücken, was von höherer Stelle mit einem fröhlichen 'Keine Ursache' kommentiert wurde. Sollte ihm Recht sein.

Nach zwei Stunden kam er dann wieder in den Innenhof und war mit einer Szene konfrontiert, die er nicht erwartet hätte.

Die Kräne waren verschwunden, stattdessen standen vier Steinriesen im Innenhof und schichteten mit einer Geschwindigkeit Steine auf die Mauern, die den Steinmetzen und Maurern Schwierigkeiten bereitete, diese auch entsprechend schnell zu plazieren.

Einer der Riesen nickte ihm freundlich lächelnd zu, während er in jeder Hand drei Steine von der Größe eines Wandschranks vorsichtig auf die Stellen warf, wo sie einmal Zinnen werden sollten.

„Deren Präzision ist umwerfend”, grunzte einer der Steinmetze, der in Joros Nähe stand und wischte sich mit einem durchnäßten Tuch eine weitere Ladung Schweiß von der Stirn.

„Ich glaube, daß sich jeder König ein paar von ihnen zum Burgbau wünschen würde”, gab der Bischof mit einem Lächeln zurück.

„Wohl wahr... wohl wahr...”

Im anderen Hof war das Tageswerk auch im vollen Gange, mit dem Unterschied, daß vor der Klosterküche eine etwa zwanzig Schritte lange Tafel aufgestellt war, vor der eine lange Schlange von Bürgern Bargums stand. Hinter der Tafel wirbelte ein Schemen, der nur knapp über die Kante des Tisches reichte hin und her und trug Essen auf einfache Holzteller auf.

Joro vermied es, auch nur in die Nähe zu kommen. Ein direktes Aufeinandertreffen mit Myelin hätte eventuell zu einer Verschlechterung seiner mentalen Gesundheit geführt.

Stattdessen ging er zurück zum Hauptportal und in die Eingangshalle des Klosters, um nach Marinus zu sehen.

Dieser war wie immer über seinen mittlerweile auf zwei große Eichentische gewachsenen Arbeitsplatz gebeugt und machte eine freundliche Willkommensgeste.

„Wie ich sehe, seid Ihr wieder auf den Beinen, Eminenz.”

„Danke, es geht mir soweit wieder gut. Hat der Fürst nach mir geschickt?”

„Nein, er hat ausdrücklich gesagt, daß er warten wird, bis Ihr euch erholt habt. Gleiches gilt für die Hohepriesterin.”

„Kannst du eine Meldung zu ihm schicken, daß ich beabsichtige, heute Abend im Kabinett beizusitzen?”

„Darum werde ich mich umgehend kümmern. Gibt es sonst noch etwas, mit dem ich Euch helfen kann?”

Joro kratzte sich am Kinn.

„Ich hätte ehrlich gesagt eine Frage.”

„Sicher, was wollt Ihr wissen?”

„Wie zum Henker hast du eigentlich die Kraft für alles das hier?”, er deutete auf Berge von Papierarbeit.

Der Totengräber lächelte verschmitzt.

„Erstens eine gute Organisation, zweitens ein Blick für das Wesentliche und drittens ein Talent fürs Delegieren, gepaart mit einem anderen, das es immer so aussehen läßt als hätte ich alles selbst getan.”

Joro starrte ihn kurz verblüfft an, dann lachten sie beide.

„Gut, dann weiß ich das auch”, sagte der Bischof und ging darauf zu seiner Amtsstube.

Dort angekommen ließ er sich mit einem erleichterten Ächzen auf seinen Sessel nieder und bemerkte, daß trotz der allgemein verbesserten Verfassung dennoch von längeren Fußmärschen abzuraten wahr, wie es aussah. So wenig er es mochte, er würde wohl am Abend eine Kutsche zum Schloß nehmen müssen, aber das konnte Marinus sicherlich auch delegieren.

Er blickte über die erneut gewachsenen Stapel an Papierkram und machte sich dann mit einem Seufzen an die Arbeit.

 

Am Abend, als er mit Alystin in die Kutsche zum Schloß stieg hatte sich sein Bein wieder stärker gemeldet und sie hatte ihm eine Tinktur aus Weidenrinde gegeben, die den Schmerz auf ein erträgliches Niveau reduzierte.

Sie selbst hatte die Schwellung in ihrem Gesicht unter Kontrolle gebracht und der Schorf war unter einer dicken Schicht einer grünlich-grauen Kräutermasse verschwunden.

„Es sieht grauenhaft aus, aber bis morgen früh wird die Wunde vollständig geheilt sein.”

„Was ist da passiert?”

„Ich weiß es selbst nicht mehr so genau, aber wenn ich mich richtig erinnere war da irgendwas mit der Schildkante eines Legionärs.”

„Ansonsten geht es dir aber gut? Es fehlt nichts?”, ein Feixen konnte er sich nicht verkneifen.

„Sei artig oder ich lasse dich noch eine geraume Zeit darüber im Unwissen.”

 

Sie kamen im Kabinettszimmer an und wurden von allen Anwesenden freundlich begrüßt, Ulfr gratulierte Joro ob seiner Kriegswunden und Myelin kniff ihm in die Wange.

Am hinteren Ende des Zimmers stand das Fenster offen und im Hinterhof des Schlosses hatte sich Zir auf das Gras gelegt, um hineinblicken zu können. Joro bedachte sie mit einem fröhlichen Lächeln, daß sie mit einem Zwinkern erwiderte.

In der Folge des Gespräches mußte Ulfr für die Riesin übersetzen, wobei Joro erstaunt feststellte, daß die Riesensprache mit dem alten Dialekt des Daishani, den viele Hirten noch sprachen zu einem großen Teil übereinstimmte, einzelne Worte konnte er sogar verstehen.

Wie der Bischof schon vermutet hatte, war die gesamte Situation in der Stadt erstaunlich entspannt, der Sieg über die Hochelfen hatte generell für eine Erhöhung der Moral gesorgt und das gepaart mit Myelins Anstrengungen, zu helfen wie und wo sie konnte hatte die Stimmung in der Stadt nur noch verbessert.

Laut Olgerich hatte die Geschichte von Joros Unternehmung am Bergpaß sogar schon für Legendenbildung gesorgt, die Tavernen der Stadt waren voll von Männern und Frauen, die sich mit Ausschmückungen zu überbieten versuchten. Dementsprechend war auch Zir in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt, was ihr sichtlich unangenehm, aber der Ordnung in der Stadt schlußendlich förderlich war.

 

Dem stand allerdings immernoch ein schwerwiegender Punkt gegenüber. Die Tatsache, daß die Hochelfen es nicht nur geschafft hatten, durch das Informationsnetz zu kommen, daß Ghaundar so fein säuberlich aufgebaut hatte, das war nur ein Teil des Problems. Einer von seinen Spionen war niemals zur vereinbarten Stelle angekommen, ein Suchen nach ihm hatte seine Leiche nicht unweit davon gefunden.

Keine Nachrichten oder Anhaltspunkte, wer ihn getötet hatte, aber es war nicht auszuschließen, daß es sich bei den Tätern um Agenten der Legion gehandelt haben konnte.

„Was mich an der Sache am allermeisten stört ist, daß es nicht nur sehr weit im Norden Hanlars war, sondern auch, daß es scheint als hätten die Hochelfen in der Tat so etwas wie Raffinesse entwickelt. An der hatten sie es vorher mangeln lassen”, berichtete Ghaundar.

„Wir sollten nicht ausschließen, daß vielleicht die Westkönigreiche diese Aufgabe für sie übernehmen”, warf Omareth ein, „Hochelfen haben vielleicht nicht ganz die gleichen Probleme wie wir, unser Aussehen den Menschen anzupassen, aber Elfen sehen nicht nur aufgrund von Hautfarbe anders aus.”

„Ich werde das sofort in Angriff nehmen”, erwiderte Ghaundar, „und auch die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Wenn jemand Gegenspionage betreibt müssen wir sie ausschalten, ich habe da schon die eine oder andere Idee.”

„Was machen wir nun mit den Schiffen?”, fragte Joro.

„Mit denen, die abgeschossen am Bergpaß liegen: nichts, wir sammeln nur die Teile ein, die wir gebrauchen können, der große Rabe benötigt eine Menge Reparaturen und mit einem kleinen wenig Glück finden wir auch heraus, wie sie die Schiffe getarnt haben”, Ghaundar kratzte sich am Kopf.

„Ich meinte eigentlich den generellen Umstand, daß sie getarnt sind. Hätten wir nicht direkt unter ihnen gestanden und sie gehört, wären die einfach unbemerkt an uns vorbeigezogen.”

Omareth machte eine zustimmende Geste.

„Vielleicht sollten wir die Landbevölkerung in Hanlar darauf schulen, auf derartige Zeichen zu achten, aber ich glaube, daß es noch wichtiger sein wird, dafür zu sorgen, eine Gegenmaßnahme zu deren Verzauberung zu finden.”

Dem konnte alle nur von ganzen Herzen zustimmen.

Bisher war von der Tarnung der Schiffe noch nichts an die Öffentlichkeit gelangt, und sie waren sich einhellig darüber eins, daß das auch so bleiben sollte.

Joro sah kurz zu seinem Bein herunter, was ihn an etwas erinnerte.

„Ich habe jetzt eine Weile zum Nachdenken gehabt. Was ich mich frage ist, wie gut unsere Soldaten eigentlich gegen Legionäre aushalten würden, wenn sie dazu gezwungen wären in den Kampf zu ziehen.”

Am Tisch herrschte für einen Moment bedrücktes Schweigen, dann räusperte sich Omareth.

„Realistisch: nicht sonderlich gut. Selbst die Wenigen, die ihren Weg in die Klostergarde gefunden haben , wären in einer echten Schlacht immernoch weit davon entfernt, es mit einem hochelfischen Berufssoldaten aufzunehmen. Ein paar Wochen Training sind einfach nicht das Selbe wie zwanzig Jahre Militärdienst. Ganz zu schweigen von dem eigenen Einsatz und dem Interesse an allem Martialischen , das die meisten Legionäre mitbringen.”

Joro ächzte, teilweise, weil er die Antwort mehr oder weniger so erwartet hatte, teilweise, weil es ihm natürlich nicht gefiel.

„Für mich wäre eine andere Frage ebenso interessant”, sagte Olgerich, „und das ist die Frage, wieviele Legionäre die Hochelfen eigentlich aufstellen können. Herr Ghaundar?”

Dieser kramte kurz in seinen Papieren und zog dann einen kleinen, dicht beschriebenen Bogen heraus.

„Prinzipiell ist es schwierig, überhaupt irgendwelche Informationen über sie zu bekommen, aber ich habe hier zumindest einen Bericht, der von einem Feldwebel der kaiserlichen Armee stammt. Er hat über eine Schlacht berichtet, die verhältnismäßig früh in der Invasion stattgefunden hat. Die kaiserliche Armee stand mit beinahe 20.000 Mann bereit und die Legion kam mit zwei Legionen, also etwa 10.000 Soldaten.

Das Resultat war die völlige Vernichtung der kaiserlichen Truppen. Wenn man ihm glauben kann, und das tue ich aus Gründen, die jetzt zu lange dauern würden, haben die Hochelfen kaum mehr als zweihundert Mann verloren.”

„Ich frage mich langsam, wie wir es bisher immer geschafft haben, denen so derart einfach den Arsch zu versohlen, wenn wir auf sie getroffen sind”, murmelte Joro.

Alystin, Omareth und Ghaundar sahen ihn bitterböse an.

„Dir ist schon klar, daß wir jedes Mal fast gestorben sind, oder?”, zischte Omareth und Alystin fügte hinzu: „Hätten wir nicht alle Register gezogen, und zwar wirklich jedes Mal säßen wir jetzt nicht hier, du Dummkopf. Schau dich mal nackt im Spiegel an.”

Joro streckte trotzig das Kinn raus.

„Ich weiß das, aber Überlegenheit zwei zu eins und die Kaiserlichen verlieren alles und die Legion nur zweihundert? Vor ein paar Tagen hatten wir fünf plus zwei Dutzend Riesen und zugegeben eine Duergarwaffe, die sich als extrem effizient erwiesen hat, aber die hatten zweihundert. Macht euch das nicht nachdenklich? Denkt an Noth. Da hatten sie zwar keinen Zahlenvorteil, aber mit dem, was der Bericht da sagt hätten die uns gehörig den Arsch versohlen sollen.”

Ghaundar setzte an, etwas ähnlich unfreundliches wie Omareth oder Alystin zu sagen, doch dann hob er einen Zeigefinger.

„Joro hat nicht ganz unrecht.”

Omareth und Alystin sahen ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

'Celestus, ich muß dich bitten mir ehrlich zu sagen, inwiefern da von höherer Seite eingegriffen wurde, weil ich glaube, daß das für jegliche Überlegung in der Zukunft extrem wichtig sein wird.'

'Viel Feuerwerk, auf jeden Fall eine ganze Reihe von Eingriffen in Hinsicht auf Mirakel und Heilung, wie du sehr gut weißt. Vergiß außerdem nicht die Shuras in Noth. Aber meine persönliche Einschätzung war, daß ihr sie bisher immer überrascht habt und die Stärken, die sie geschickt haben nicht darauf eingestellt waren, auf jemanden wie euch zu treffen. Selbst mit den Riesen habt ihr einen deutlichen Unterschied gemacht.'

Ghaundars nächste Ausführungen gaben fast wortgetreu das wieder, was Celestus gesagt hatte.

Omareth und Alystin hatten sich soweit beruhigt, daß sie sogar anfingen zu nicken, als er sprach und Alystin murmelte eine leise Entschuldigung in Joros Richtung und legte ihm die Hand auf die seine.

Der Assassine sagte zum Schluß:

„Die Hochelfen bevorzugen traditionelle Kriegsführung. Offene Feldschlachten, in denen sie ihre Formationen und ihre Hilfstruppen, wie Lindwurmreiter und schwere Ballisten effektiv einsetzen können. Wenn wir sie in Hinterhalte oder ähnliche Situationen bringen können, sind sie wahrscheinlich fast immer erst einmal überrascht und müssen umdenken. Das könnte der einzige taktische Vorteil sein, den wir haben.”

Omareth war nun auch nachdenklicher.

„Noth. Gutes Beispiel. Ich kann mich an einige ihrer kleineren Einheiten erinnern, die es einfach nicht geschafft haben, sich mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß sie es ihnen nichts nützte, in dichter Formation durch die Straßen zu marschieren. Wir haben sie von allen Seiten mit Bolzen und Hieben eingedeckt und sie konnten sich kaum entscheiden, in welcher Richtung eigentlich der Kampf stattfand. Ich muß mich bei dir entschuldigen, Joro. Dennoch war deine Wortwahl, besonders in Hinblick auf „einfach” mehr als unpassend.”

„Verzeihung, ja, ich habe halt geredet wie ich gedacht habe. Ist eine meiner Eigenheiten.”

Ghaundar konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen.

Olgerich ergriff das Wort.

„Dann sollten wir das im Auge behalten. Ich glaube zudem nicht, daß es eine schlechte Idee wäre, das Training unserer Truppen in dieser Richtung nicht zu vernachlässigen.”

Hierüber herrschte Einigkeit.

Später, als sie wieder im Kloster waren entschuldigte sich Alystin für ihren Ausbruch auf eine sehr angenehme, wenn auch nicht ganz uneigennützige Art und Weise. Hinterher lagen sie ächzend nebeneinander auf dem Bett.

„Ich glaube mein Bein ist jetzt ganz gebrochen”, stöhnte Joro.

„Übertreib nicht, mein Bischof. Es tut mir wirklich sehr leid, vor allem, weil ich glaube, daß ich immernoch eine Weile brauchen werde, mich auf die neue Situation einzustellen.”

Er lehnte sich hoch und stütze sich auf einen Arm.

„Versteh mich nicht falsch, ich mag dein Temperament sehr, aber es stimmt, daß wir uns alle an den Status Quo gewöhnen müssen. Ich habe da selbst meine Probleme.”

„Weil du irgendwie nicht lassen kannst, dich in alles einzumischen?”, sie lächelte.

Joro schlug seine Augen nieder.

„Ja. Ich habe mir zwar vorgenommen, mich strikt nur um Dinge des Klosters und der Kirche zu kümmern, aber ich habe dauernd Ideen und Vorschläge in meinem Kopf. Außerdem wirkt immer alles, als ginge es entweder die Kirche oder mich persönlich an. Die Sitzungen im Kabinett sind doch auch dazu gedacht, solche Dinge auszutauschen, oder?”

Alystin strich ihm sanft über die Wange und gähnte dann.

„Mach dir mal keine Sorgen, Joro. Ich habe vor allem bei meinem Streit mit Omareth gemerkt, daß du ein gutes Auge auf die Dinge hast, die um dich herum geschehen. Ein Einblick von dritter Seite hat schon so manches Problem gelöst.”

„Hättest du deine Waffe gezogen?”

Sie sah ihn mit einer Mischung aus Interesse und Traurigkeit an.

„Wer weiß. Es gab Momente, wo ich kurz davor war, aber ich bin überglücklich, daß es nicht dazu gekommen ist. Im Nachhinein wirkt es alles so...dumm.”

 

 

Kapitel 17

 

Die kommenden Tage brachten außer fortschreitender Heilung auch eine Routine in alle Aktivitäten, die Joro schlußendlich davon überzeugten, daß jedwede Spannungen, die es zwischen den einzelnen Parteien in der Führungsetage der Organisationsmaschine, die Bargum nun darstellte sich langsam aber sicher gelöst hatten.

Joro übernahm nun regelmäßig den Abendgottesdienst und konnte mit einiger Freude bemerken, daß das Stadtvolk, das bisher eigentlich immer spärlich zum Tempel gekommen waren in zunehmender Anzahl erschienen. Marinus hatte zudem in der Stadt selbst, auf Joros Geheiß, sechs Häuser so ausgestattet, daß sowohl die Speisung von Armen als auch deren geistliche Bedürfnisse dort versorgt werden konnten. Der Friedhof vor der Stadt, in dem Joro die ersten Wochen und Monate seines Priesterdienstes verrichtet hatte war zum Hauptfriedhof der Stadt avanciert und hatte eine etwa hüfthohe, schwarz getünchte Mauer bekommen, zudem war er auch gehörig gewachsen, was Joro immer mit einer bittersüßen Emotion belegte.

Wann immer er konnte, ging er selbst in die Stadt, zunehmend weniger humpelnd, dank Alystins Heilkünsten, und horchte, wo auch immer er hinkam, was die Leute so sagten. Zu Beginn half es nicht sonderlich, daß er in der Stadt so immens populär war, denn er kam kaum voran, wenn ihn jemand auf der Straße erblickte, aber schon weniger als einer Woche waren die dauernden Menschenaufläufe abgeklungen und er konnte sich halbwegs frei bewegen.

Bis auf die Eskorte aus sechs Soldaten der Klostergarde, auf die sowohl Ghaundar, Olgerich, als auch Joken bestanden. Aber die machte definitiv Sinn, man konnte nicht zu vorsichtig sein, insbesondere mit der Vermutung, daß die Hochelfen ihre eigenen Spione weit nach Norden schickten. Außerdem verzichtete Joro während seiner Aufenthalte in der Stadt auf seine Rüstung und die Waffen, bis auf einen Dolch und dem Wissen, daß ihm Celestus im Zweifelsfalle wieder einen Schattenschild und den dazugehörenden Hammer geben würde trug er nichts bei sich. Er hatte für sich bestimmt, daß das auch ein Zeichen setzten konnte, wenn der Bischof sich offenbar in der Stadt sicher fühlte, konnten das die Einwohner auch.

Bargum hatte sich gewandelt, das war sicher.

Die kleine, verschlafene Stadt von vielleicht sechstausend Einwohnern mit dem schwarzen Tumor am Kopf, das es bei seiner ersten Ankunft gewesen war hatte sich in seiner Größe beinahe verdoppelt. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadttore waren Menschen überall damit beschäftigt, sich nützlich zu machen, es gab kaum eine Stelle, wo jemand einfach nur herumsaß. Gut. Ein paar alte Männer vielleicht, die vor ihren Häusern saßen und dem allgemeinen Treiben zusahen. Und die alten Frauen zwei Häuser weiter, die sich über die faulen, alten Säcke aufregten.

Normalität, wie sie im Buche stand.

Die Ausflüge vor die Stadt hatten ihn auch oft zu den Hirten gebracht, aber das mußte er im vornherein immer mit seinem Magen abstimmen, denn aufgrund der Traditionen der Nordmänner war es die Pflicht jedes Gastgebers, einem Neuankömmling Essen zu reichen und die Pflicht des Gastes, das gebotene Essen auch zu verspeisen.

Natürlich gab es da Vorsichtsmaßnahmen, so war die Menge des Gereichten immer eher symbolisch, aber für jeden Haushalt gebot sich der selbe Vorgang und nach etwa fünf bis sechs Familien war Joro jedes Mal so vollgestopft, daß er einfach nicht weitermachen konnte.

Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, in regelmäßigen Abständen bei ihnen vorbeizusehen, teils weil es ihn interessierte, wie es mit den Steinriesen lief, teils weil Ulfr ihm mitgeteilt hatte, daß seine Präsenz sowohl für ihn selbst als auch für Joro von großem Vorteil sei. Es bewahrheitete sich in der Tat recht schnell, daß ein persönlicher Kontakt mit den Hirten einen positiven Effekt hatte, denn einige der Häuptlinge hatten mehr oder eher weniger hinter vorgehaltener Hand gewitzelt, daß der Bischof, der ja unbedingt ihre Hilfe haben wollte nichts als ein grüner Jungspund war, der vom Leben etwa so viel wußte wie... naja, ein grüner Jungspund eben.

Ulfr hatte ihm geraten, die Ärmel seiner Robe hochzukrempeln, wenn er sich unter den Hirten bewegte, egal wie kalt es war und Joro hatte diesen Rat befolgt.

Seit der Schlacht mit den Luftschiffen hatte er einige durchaus sichtbare Narben auf den Armen, besonders an den Stellen wo ihn Schwerthiebe auf die blanke Rüstung, am Schuld vorbei getroffen hatten. Es waren wohlgemerkt keine Schnittwunden gewesen, aber die Wucht der Hiebe hatte an einigen Stellen seine Haut aufgerissen und seit deren Heilung hatte er ein Muster von Linien auf dem linken Oberarm.

Natürlich hatte sich auch die Nachricht von der Schlacht bei ihnen verbreitet und die Riesen hatten ihren eigenen Anteil daran gehabt, das Bild des Bischofs bei den Zweiflern zu verändern, schon nach wenigen Tagen kam zum Magenproblem noch das Problem der stetig sinkenden Nüchternheit dazu, aber Joro genoß es jedes Mal. Auf eine gewisse Art und Weise waren die Hirten für ihn viel typischer für Daishan als es die Stadtbewohner waren, auch wenn er sich keine Illusionen machte, daß er „zivilisiert” genug war, um deren Leben nicht einen einzigen Winter überstehen zu können.

An einem kleinen Bach vor der Stadt, nahe des Hirtenlagers, war eine regelrechte Lederindustrie entstanden, aufgrund des Mangels an Eisen war der Bedarf an Lederrüstungen beträchtlich und hier arbeiteten die ärmsten der Stadt als Tagelöhner. Selbst hier war die Motivation der Leute beinahe greifbar, auch wenn der Gestank das fast surreal erscheinen ließ. Joros Vater hatte irgendwann einmal berichtet, daß Menschen, die als Gerber arbeiteten nach einer Weile ihren Geruchssinn verloren. Das konnte nur ein Segen sein.

Auch auf dem Weg in die Stadt, vorbei am Friedhof hatte sich vieles verändert. Die Häuser, die der Zimmermann Parek in kürzester Zeit aufgebaut hatte, Holz in Leichtbauweise, aber immerhin mit Schutz gegen die Elemente, standen dicht an dicht und viele von ihnen waren bereits ausgeschmückt und hatten einen individuelles Aussehen angenommen, wo es ging hatten die Bewohner zumindest im unteren Stockwerk eine grobe Steinmauer um ihre Wände ihrer Behausungen gezogen, um die Dichtung gegen Wind und Regen noch zu verbessern.

Auf den Straßen waren einfache Gräben zur Entsorgung von Abwasser gezogen worden und auch wenn der Geruch hier nicht viel besser war als bei den Gerbern, konnte man sehen, daß ständig daran gearbeitet wurde. Als Joro ein paar Straßen weitergegangen war, sah er, daß dort Arbeiter damit beschäftigt waren, einen einfachen, gemauerten Abwasserkanal zu ziehen.

 

So vergangen drei Wochen und die Erntezeit kam näher und näher, wobei die Essensvorräte in Bargum schmaler und schmaler wurden.

Sämtliche Bewohner der Stadt waren gezwungen, ihre Nahrung einzuteilen und wann immer ein Händler in die Stadt kam, wurden diese direkt zum Kloster geschickt und alles, was für die Truppen der Stadt verwandt werden konnte wurde dort requiriert. Dabei kam es regelmäßig zu Ärger, weil die Händler natürlich wußten, wie es in der Stadt aussah und Preise verlangten, die gelinde gesagt halsabschneiderisch waren.

Es half aber nichts, die Händler zu verärgern hätte dazu geführt, daß sie nicht wiederkamen, also war Verhandlungsgeschick benötigt und hier erwies sich ums wiederholte Mal Marinus als ein Geschenk der Götter.

Dennoch nahm sowohl im Stadtschloß als auch im Kloster die allgemeine Masse an Silber und Gold beträchtlich ab.

Von den Haufen an Goldmünzen und Juwelen, die zumindest dereinst im Kloster gelegen haben, war mittlerweile mehr als die Hälfte verschwunden und Joro wußte, daß die Armee dringend in Bewegung gesetzt werden mußte, weil sonst eine Katastrophe eintreten würde.

 

Er wurde eines Morgens aus seinen Sorgen gerissen, weil ein schwitzender, aufgeregter Ghaundar plötzlich in seinem Amtszimmer stand.

„Ich glaube, daß wir bald herausfinden werden, was deine Unternehmungen bei den Orcs wirklich für einen Effekt gehabt haben.”

Joro sprang von seinem Stuhl auf.

„Plok kommt? Ich hatte mich schon gefragt, was passiert ist, er ist spät dran.”

„Ob nun Plok kommt oder nicht kann ich nicht sagen, aber der Große Rabe hat gestern eine Runde über die Hochebene gemacht und sind dann panisch wieder hier hergekommen. Wie es scheint haben wir eine mindere Invasion zu erwarten.”

„Ich empfehle, das Ganze als letzten Mosaikstein für die Vorbereitungen zum Marsch nach Süden zu betrachten”, Celestus hatte sich auf einem der Besucherstühle manifestiert.

Ghaundar und Joro verbeugten sich und dann frage der Bischof:

„Kannst du das bitte etwas genauer erklären?”

Der Gott bewegte sich ein wenig unruhig auf seinem Stuhl hin und her und sagte dann:

„Sagen wir einfach, daß ich die eine oder andere Unterredung mit Plok gehabt habe. Ich hatte ein schlechtes Gewissen bezüglich des Feuerstahls.”

„Feuerstahl?” Ghaundar sah verwirrt in die Runde.

„An dem Feuerstahl war nichts Falsches”, murrte Joro.

„Wie dem auch sei”, setzte der Gott fort, „hatte ich wohl die Bereitschaft Ploks, sich auf meine Vorschläge einzulassen ein Wenig unterschätzt. Vielleicht nicht nur ein Wenig...”

Drow und Mensch sahen mit halb ängstlicher/halb genervter Miene zu ihm herüber aber der Gott ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort:

„Die Orcs haben großen Gefallen an einer eigenen Version des Totenkultes gefunden, Glaube an ihre Vorfahren hatten sie ja so oder so schon. Es ist nur... sie übertreiben es ein Bißchen und das mag wohl als mein Fehler angerechnet werden.”

Ghaundar ächzte und sah zu Boden.

„Das erklärt zumindest die Berge an Knochen, die sie alle am Leibe tragen”, er hielt kurz inne, „und da war irgendwas mit mehr als der Hälfte von ihnen, die sich eine Totengräbermaske auf das Gesicht malen...”

Celestus hüstelte.

„Tätowiert...”

Joro stöhnte nun ebenfalls und sah bettelnd zu Celestus.

„Sag mir bitte, daß die keine Dummheiten machen werden, wenn sie hier ankommen.”

„Mit Sicherheit nicht”, der Gott klang beinahe beleidigt, „du wirst dich wundern, wie diszipliniert sie sind. Plok ist in der Tat weitaus klüger, als man das jemals von einem Orc erwarten könnte.” Nach einer Pause fügte er hinzu: „Außerdem habe ich sein sprachlich-orthographisches Problem gelöst. Seine ständig wechselnde Verwendung von Infinitiven und bestimmten Formen ging mir auf den Geist.”

„Man darf den Blick für das Wesentliche nicht verlieren”, kroch es aus Ghaundars Mund, nur um ihn im selben Augenblick zusammenzucken zu lassen.

„Ich entschuldige mich in aller Form, ich hatte nicht die Absicht...”

„Schon gut”, gab Celestus zurück, „Kommentar verstanden und akzeptiert. Nenne es eine organisatorische Maßnahme am Arbeitsplatz zur Effektivierung.”

„Wieviele hat er denn zusammenbekommen?”

„Einen Haufen. Also etwa sechshundert.”

Ghaundar schüttelte den Kopf.

„Wir haben es ja bisher irgendwie geschafft, die einzelnen Bevölkerungsgruppen in der Stadt unter einen Hut zu bringen, aber sechshundert Orcs werden auf gar keinen Fall funktionieren. Das gibt Ausschreitungen.”

Der Gott wandte sein Gesicht in seiner Richtung und Joro wußte intuitiv, daß dieser lächelte.

„Keine Sorge, ich glaube, daß sich das sehr schnell und einfach lösen wird.”

Mit diesen Worten verschwand der Gott.

Joro sah zum Drow, dem Anstrengung ins Gesicht geschrieben stand.

„Sags einfach..”

„Würd ich ja gerne, aber ich weiß ja, daß er immer mithört.”

„Im Zweifelsfall kann er auch deine Gedanken lesen, also laß zumindest mich nicht im Unwissen.”

Ghaundar schluckte und machte einen kurzen Blick nach oben, einen Blitzschlag erwartend, dann sagte er:

„Ich habe ein unglaublich ungutes Gefühl, was die ganze Sache angeht. Was soll ich denn überhaupt der Stadtwache sagen?”

„Warte hier”, sagte Joro und verschwand kurz aus dem Raum. Als er zurückkam, hatte er eine Maske in der Hand. „Wir schicken den Orcs eine Patrouille von berittenen Klostergardisten entgegen, die Plok die Maske geben sollen. Ich denke, daß sich dann der Rest wirklich von alleine lösen wird.”

 

Joro konnte die Orcs hören, bevor auch nur einer von ihnen je in der Stadt ankam. Zugegeben, sein Amtszimmer war im der Außenseite der Stadt zugewandten teil des Klosters, was bedeutete, daß die Straße zum Bergpaß darunter entlangführte, aber das änderte nichts daran, daß es unglaublich laut war. Die Grünhäuter mußten eine Masse an Trommeln und Rasseln mitgebracht haben und trotz der Absprache mit Ghaundar kam kurze Zeit nachdem der Lärm begonnen hatte Olgerich in Joros Zimmer gestürzt.

„Eminenz...? Ist... das ein Angriff?”

Joro versuchte, entspannt zu wirken.

„Nein, laut Celestus selbst ist das der letzte Mosaikstein in unseren Vorbereitungen. Plok ist auf dem Weg und er hat sechshundert Orcs dabei.”

Der Fürst schnappte nach Atem.

„Das...” Er sackte auf einen der Stühle und Joro sprang seinerseits auf und hole ein Glas mit Wasser.

„Ihr solltet erst einmal wieder zu Atem finden, Durchlaucht. Ich versichere Euch, daß wir nicht in Gefahr sind.”

„Vor den Toren sind die Menschen kurz davor, in Panik auszubrechen.”

Das hatte Joro vorausgesehen und hatte Joken und den Rest der Garde vor die Stadt geschickt, um für Ruhe zu sorgen.

„Das wird sich alles in Grenzen halten. Wenn ich das richtig einschätze wird Plok mit seinen Anführern und seinem Stellvortreter, nicht fragen, hier zum Kloster kommen. Joken hat Anweisungen, den Orcs die gerodeten Flächen im Süden vor der Stadt als Lagerplatz anzubieten.”

„Ich hoffe stark, daß Eure Pläne alle aufgehen, Eminenz. Zudem hoffe ich, daß die Orcs sich etwas zu essen mitgebracht haben, sechshundert weitere Münder können wir leider absolut nicht füllen.”

 

Das Trommeln und Rasseln verstummte abrupt und dann ging ein Gegröhle los, gefolgt von einer erneuten Stille. Olgerich und Joro gingen vom Amtszimmer zu einer der Schreibstuben, die einen Blick aus der Stadt heraus ermöglichten und trafen dort auf Dutzende Totengräber, die sich bereits um die Fenster drängten. Sie machten Platz und der Anblick, der sich unter dem Kloster bot war gewaltig.

Die Straße vor der Stadt war schwarz. Ein chaotisches Gewimmel von leicht gebückt gehenden Gestalten wuselte sich vor und zurück. An der Spitze des schwarzen Knäuels konnte Joro eine bekannte Gestalt erblicken, die mit einer Hand fuchtelnd und mit der anderen jeden anderen Orc, der ihr zu nahe kam auf den Kopf schlagend mit der vom Kloster geschickten Eskorte diskutierte. Als Joken, der sich freiwillig gemeldet hatte, die Männer anzuführen unter seinen Umhang griff und die Maske herauszog, die Joro ihm gegeben hatte, verstummte der ganze Haufen auf der Stelle und die Orcs blickten ehrfürchtig auf den Hauptmann, nur um noch ehrfürchtiger auf Plok zu starren, als dieser die Maske mit beinahe übertriebener Vorsicht entgegennahm. Dann reckte Plok den Arm gen Himmel und stieß ein Brüllen aus, das Joro bis oben ins Kloster hören konnte und seine versammelten Anhänger stimmten ein.

Joken hatte bis zu diesem Zeitpunkt eine angespannte Körperhaltung gehabt, nun schien er sich ein wenig zu entspannen und lächelte sogar.

Der Orc klopfte seinem Pferd auf den Hals, dann dem Hauptmann auf den Arm und wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann wandte er sich zum Stellvortreter, den Joro kurz hinter ihm stehen sehen konnte und gab eine Reihe von Befehlen und deutete gen Süden. Alsbald nahm dieser eine Keule, die er bisher auf der Schulter getragen hatte, schwang diese und brüllte wie ein Ochse und langsam aber sicher bewegte sich das schwarze Gewusel von der Stadt fort nach Süden, wo ein großer Teil des daishanischen Urwalds als Baumaterial sein Leben hatte einbüßen müssen.

Zurück blieben eine Reihe von Orcs, von denen Joro aus der Ferne keiner bekannt vorkam, aber er wußte irgendwie, daß er sie alle in Kürze sehen würde. Er wandte sich zu Olgerich um.

„Wir haben nicht viel Zeit und ich glaube, daß wir für die eine oder andere Sache sorgen müssen, bevor Plok hier ankommt.”

Der Fürst wischte sich Schweiß von der Stirn.

„Das kann man wohl sagen, Eminenz, ich werde sofort zum Schloß reiten und die notwendigen Vorbereitungen treffen um zu verhindern, daß die Leute in der Stadt auf falsche Gedanken kommen.”

 

Während sich der Fürst halb rennend auf den Weg in die Stadt machte, ging Joro schnellen Schrittes in die Eingangshalle, deutete Marinus, alles liegen zu lassen und stellte sich ins Eingangstür.

Alle sammeln, ich wiederhole: alle sammeln sich im Hof und zwar schnell, wenns recht ist!

Innerhalb kurzer Zeit kamen alle im Kloster beschäftigten vor dem Hauptportal zusammen und als es schien als seien es alle, schaute Joro einmal in die Runde, nickte zufrieden und rief dann:

„Ich will, daß ihr alle sofort in eure Unterkünfte geht und eure beste Kleidung herausholt und anzieht. Für Totengräber und Novizen gilt: Alle setzen die Maske auf, keinerlei Ausnahmen. Die zuständige Gruppe richtet sofort den Tempel her, als sei es Mittwintersonne, auf die Misteln könnt ihr pfeifen, aber ich will daß da alles so aussieht als stünde ein großes Fest bevor. Ansonsten will ich nicht einen einzigen sehen, der nichts zu tun hat, auch wenn ich mir sicher bin, daß es keinen solchen gibt. Wir bekommen wichtigen Besuch und der muß stark beeindruckt sein, wenn er hier wieder abzieht. Ich erkläre euch später alles, was ihr vielleicht wissen wollt, aber jetzt heißt es erst einmal Arschbacken zusammen und ran an die Arbeit!”

Die Anwesenden sprangen alle in unterschiedliche Richtungen davon und Marinus räusperte sich hinter ihm.

„Dürfte ich bitte jetzt schon wissen, was Euch in solche Tatkraft versetzt hat, Eminenz?”

„Plok kommt und wenn ich unseren Herrn richtig verstanden habe, ist es wichtig, daß er die Kirche in ihrer besten Form zu sehen bekommt.”

„Ich bitte, meine Ignoranz zu verzeihen, Eminenz, aber warum sollte sich ein Orc um die Kirche kümmern?”

Joro erklärte ihm knapp, daß Celestus die erste Saat, die Joro selbst gepflanzt hatte, ihn als einen mächtigen Geist anzusehen, scheinbar ordentlich gedüngt und reifen lassen hatte. Die plötzliche Dominanz von schwarz tätowierten Gesichtern und geschwärzter Kleidung, die die Orcs trugen sprachen da auch für sich.

Marinus' Reaktion war freundlich aber vorsichtig.

„Ich verstehe. Dann sollten wir zusehen, daß wir ihnen einen besonderen Empfang bereiten können. Ich glaube allerdings, daß wir stark darauf achten sollten, daß sie nicht auf falsche Ideen kommen, dies hier ist ein Ort der Geistlichkeit und des Friedens. Wenn nicht gerade Hochelfen meinen, das Kloster in Brand stecken zu müssen, versteht sich.”

Joro verstand Marinus und seine Sorgen und nickte deshalb.

„Ich glaube nicht, daß Plok mit einer großen Anzahl seiner Männer hier herkommen wird, außerdem wirst du schnell sehen, daß er mir gegenüber eine sehr, sagen wir mal, „kooperative” Person ist.”

„Darauf werde ich stark hoffen, Eminenz”, der Totengräber machte sich wieder ans Werk und Joro ging in seine privaten Gemächer, um seine Rüstung anzulegen. Es mußte wirklich alles perfekt funktionieren.

 

Es dauerte fast eine Stunde, bis schließlich das Tor zum Kloster etwas nonchalant aufgestoßen wurde und sieben Orcs durch den Bogen getrottet kamen, eine unglaublich müde aussehende Eskorte hinter sich herschleppend. Joken sah aus, als hätte er gebadet, sein Wappenrock war am Hals vollständig naßgeschwitzt und die anderen Reiter saßen auf ihren Pferden als seien sie von verprügelt worden. Der Hauptmann machte eine Geste, die wohl „Die sind jetzt dein Problem...” aussagen sollte, aber das hinderte ihn nicht daran, die Eskorte anzuhalten, absitzen zu lassen und dann Order zu geben, hinter Plok und seinen sechs Spießgesellen herzumarschieren.

 

Als Plok Joro erblickte, begann er schon von Weitem fröhlich zu Grinsen. Der Orc hatte sich verändert, wie dem Bischof sofort aufgefallen war. Wo er vorher noch bis auf einen Lendenschurz und eine ganze Reihe von Knochenketten praktisch nackt gewesen war, trug er nun eine etwas zu lang geratene Tunika aus geschwärztem Schafsfell, die Ketten waren, bis auf das Amulett, daß Joro zu ihm gebracht hatte, vollständig verschwunden.

Die Totengräbermaske, die Joken mitgegeben worden war hing an einem Gürtel der unmöglich orcischen Handwerks sein konnte, und auch die Waffen, die der Orc trug waren scheinbar anderen Ursprungs.

Hinter ihm gingen die sechs Orcs, allesamt in ähnliche Tuniken gewandet. Zu Joros Überraschung waren nur vier von ihnen dem Anschein nach Krieger, die anderen beiden waren eher schmal, wirkten gar alt und stützten sich auf lange Stäbe. Schamanen vielleicht?

Gemein hatten sie zumindest, daß alle ihre Gesichter schwarz tätowiert hatten, mit einer kruden Version der Maske, die Joro in seinem Visier hatte.

Als diese nun Joro erblickten, blieben sie ehrfürchtig dreinblickend stehen und sahen ihn an wie ein Kind ein Mittsommernachtsgeschenk, die beiden alten Orcs blieben zwar stehen, aber die vier Krieger fielen auf ein Knie nieder und hielten ihre rechten Arme zum Gruß vor der Brust.

Plok war zwar auch stehen geblieben, aber als seine Anhänger ihre Ehrbekundungen ausgeführt hatten, trat er einen Schritt auf den Bischof zu.

„Es tut mir ganz ausgesprochen Leid, daß ich später erscheine, als ich das ursprünglich gelobt habe, Mann der mit dem Geist geht, aber es gab einen guten Grund, warum es dazu kam.”

Zunächst konnte Joro kaum glauben, daß diese Worte aus Ploks Mund gekommen waren. Celestus hatte sich wohl richtig Mühe gegeben.

'Das tue ich immer, vor allem wenn mir jemand auf den Geist geht.'

„Wie ich sehen konnte hat sich deine Rotte in einen Haufen verwandelt. Das nenne ich einmal eine ausgesprochen erfolgreiche Politik.”

Der Orc grinste.

„Der Geist mag mir vielleicht in den Kopf gekrochen sein und irgendwie meine Art und Weise zu sprechen verändert haben, aber das ändert nicht viel daran, daß ich es sehr genieße ein Orc zu sein. Politik gehört definitiv dazu.”

Joro klappte sein Visier hoch, was bei den anderen Orcs ein mißtrauisches Gemurmel aufkommen ließ, doch sie verstummten schnell, als Plok sich kurz mit gefletschten Hauern umdrehte.

Der Bischof mußte sich ein Grinsen verkneifen und fragte dann:

„Wie ich sehen kann, habt ihr euch dem Dienste Celestus' verschrieben.”

Plok machte ein ernstes Gesicht und nickte.

„Ich habe das eine oder andere Mal ein paar sehr klare Worte von ihm gehört und muß mir eingestehen, daß mich das sehr nachdenklich gemacht hat.”

„In der Tat?”

„Ja. Wir haben über Generationen hinweg die Geister eigentlich eher als als eine Form von wilden Kreaturen betrachtet, denen man zwar in gewisser Weise gehorchen kann, die aber dennoch tun oder lassen, was sie wollen. Dieser Geist ist anders und mein Haufen hat das sehr schnell begriffen. Politik ist eine Sache, aber die meisten von ihnen sind wild darauf, in die Gunst dieses Geistes zu kommen, was du auch an ihrem Äußeren erkennen kannst.”

Joro kratzte sich an der Stirn.

„Ist mir nicht entgangen, die schwarzen Klamotten, nicht von den Tätowierungen zu schweigen.”

Plok grinste.

„Nicht nur das, sie haben auch alle Knochenamulette vergraben, weigern sich, neue zu machen und plötzlich sind alle von uns, die auch nur ein wenig schmieden können sehr gefragt, weil sie einfache Sicheln herstellen können. Das ist sozusagen die Mode geworden”, er machte eine Pause und ein angeekeltes Gesicht, „warum kenne ich Worte wie „Mode”...”

'Das wird er dir nachtragen, Mein Herr...'

'Ich mußte schon mit Schlimmerem leben.'

„Dann bleibt noch eine Frage, bevor ich euch das Kloster zeige, Plok”, Joro versuchte immernoch ein Kichern zu unterdrücken, „und das ist, woher ihr die Waffen habt.”

Nun spannte sich ein Ohr-zu-Ohr-Grinsen über Ploks Gesicht.

„Der größte Teil meines Haufens sind die Überreste des Knochenbrecherclans. Die waren einmal der größte Clan im Norden und locker eine Horde, aber das ist schon viele Generationen her. Ursprünglich sind sie so stark geworden, weil sie ein kleineres Zwergenkönigreich vernichtet haben, aber das war nur die Legende. In Wirklichkeit haben sie einfach nur ein altes Loch im Berg gefunden, wo einmal Zwerge gelebt haben, und dort haben sie von den Skeletten und allem anderen, was zu finden war die Rüstungen und Waffen geklaut. Das Problem war aber Orcpolitik. Ständig wechselnde Anführer und die damit verbundenen Unruhen haben sie immer schwächer gemacht, als ich ankam waren da nur noch, äh...”, der Orc machte ein hilfloses Gesicht und wechselte dann zu ärgerlich, „Na toll, ich weiß was Mode ist, aber kann immernoch keine Zahlen.”

Plok hielt einen Moment inne und schien zu lauschen, dann erhellte sich sein Gesicht.

„Vierhundertundeinundzwanzig.”

„Also nur ein Haufen.”

„Fast eine Rotte. Aber die haben sich nicht auf Politik eingelassen, sondern sind stattdessen wie unzivilisierte Idioten in den Kampf gezogen. Wir haben sie natürlich besiegt und konnten dann ihre gesammelten Schätze, oder das, was davon übrig war, einsacken.”

Joro schielte auf den gewaltigen Hammer, den Plok auf seinem Rücken hängen hatte und konnte nicht umhin zu bemerken, daß der Stiel der Waffe im Gegensatz zu dessen Kopf kaum, wenn nicht keine Verzierungen aufwies.

Der Orc hatte seinen Blick bemerkt und lächelte verschmitzt, was aufgrund seiner riesigen Hauer eher diabolisch als humorvoll wirkte.

„Was sollen wir denn machen, wenn alles, was man da finden konnte für Leute gemacht ist, die kaum größer als einen Schritt sind. Ich kann ja Zwerge nicht sonderlich gut leiden, aber jemand, der einen so großen Hammer mit einem unterarmlangen Stiel zu führen im Stande ist, muß wirklich muskulöse Arme haben.”

„Mit anderen Worten: ihr habt die eine oder andere Anpassung durchgeführt.”

„Meine Schmiede werden ständig besser und die ersten umgebauten Rüstungen werden auch langsam fertig”, man konnte den Stolz in Ploks Miene sehen, „Besonders meine sieht bereits ausgesprochen interessant aus.”

Auch wenn Joro sich die Neugier zugestehen mußte, sehen zu wollen, wie es wohl aussähe, wenn ein Orc modifizierte Zwergenrüstung trug, wollte er nicht weiter auf die Einzelheiten eingehen, vor allem, weil er aus den Augenwinkeln überall Totengräber sehen konnte, die nervös zwischen ihm und den Orcs hin und her starrten. Also rückte er sich zurecht und wies dann in Richtung des Tempels.

„Dann wollen wir mal keine Zeit verlieren und ich werde euch ein wenig herumführen.”

Innerlich war da jedoch immernoch eine Frage, die es zu klären galt.

'Mit anderen Worten: du kommunizierst auch mit ihm?'

'Eifersüchtig?'

'Ich bin mir nicht so sicher, zuvor hatte ich immer das Gefühl, daß ich da in einer besonderen Position war...'

'Bist du auch, aber die Art und Weise, wie ich mit Plok rede ist sehr unterschiedlich.'

'Inwiefern?'

'Erst eifersüchtig und dann auch noch neugierig?'

Joro konnte sich eine schmollendes Gesicht nicht verkneifen, was Plok mit Unverständnis aufnahm, aber der Bischof hatte nicht vor, es ihm zu erklären.

'Neugierig ja, aber ich bin nicht eifersüchtig, du kannst natürlich tun und lassen, was du willst, Herr...'

'Richtig. Aber da die Frage nun einmal im Raume deines Gehirnes steht: Plok braucht hin und wieder einen kleinen Stoß in die richtige Richtung, und da du in den letzten sechs Wochen nicht zugegen warst, habe ich diese Rolle für dich übernommen. In Zukunft wirst du das allerdings selber machen müssen, ich habe da nur eine Zeit lang die Vortretung übernommen', Celestus konnte sich ein Lachen über den eigenen Witz nicht verkneifen.

'Ich glaube, daß mein größtes Problem darin liegen wird, mit ihm zu reden. Er klingt wirklich völlig anders.'

'Das wird schon...'

 

Sie waren im Tempel angekommen und kaum durch die Tür warfen sich alle sieben Orcs ehrfürchtig auf den Boden.

Joro stand daneben und auch wenn er erst erwartet hätte, daß sie wieder aufstehen würden, tat das keiner von ihnen.

'Ähh...'

'Was?'

'Wie lange bleiben die da nun?'

'Bis du ihnen sagst, daß sie aufstehen dürfen.'

„Ähm, ich denke ihr könnt euch erheben.”

Plok stand als erster auf und dann deutete er dem Rest, es ihm gleich zu tun. Langsam und im Falle der beiden Schamanen mit knackenden Gelenken erhoben sich die anderen sechs Orcs ebenfalls vom Boden. Dann sahen sie sich interessiert um.

Das Innere des Tempels war seit Joros Amtsantritt zwar von Unmengen an goldenem und silbernem Ramsch befreit worden, aber die gigantische Sichel mit zwei Schritten Durchmesser, die über dem Altar hing und vollständig mit leicht Rotgold überzogen war, hing immernoch dort und machte einen spektakulären Eindruck auf die Grünhäuter. Dies äußerte sich mit offenstehenden Mündern und langen Speichelfäden, die durch Mangel an Schlucken langsam ihren Weg gen Boden antraten.

Beide Schamanen bestanden darauf, einen Ritus zu hören, also zog sich Joro die Meßgewänder über die Rüstung und entsprach ihrem Wunsch. Daraufhin ging er ins Refektorium und überreichte beiden jeweils eine Robe in Schwarz, die diese mit großem Respekt entgegennahmen. Den vier Kriegern war anzusehen, daß sie das ein wenig eifersüchtig machte, aber Joro war bereits fest entschlossen, ihnen ebenfalls etwas angedeihen zu lassen, wenn er auch noch nicht wußte was.

 

Als sie wenig später durch die Reliquienhalle im Hauptgebäude gingen, wiederholte sich die Situation mit den Speichelfäden und dieses Mal war selbst Plok beeindruckt. Besonders intensiv wurde es allerdings, als sie am Bilde Nuktus vorbeikamen.

Hier waren die Orcs praktisch paralysiert, und starrten abwechselnd auf Joros Rüstung und das mannshohe Portrait vor ihnen.

Nun sprach zum ersten Mal einer der Schamanen, seine Stimme war rauh und sehr tief.

„Amulett das Plok tragen. Mann hat von seinem Stamm genommen. Du zurückgebracht, aber nicht selber Mann. Aber selbe Rüstung. Was bedeuten?”

'Erklärungsnotstand.'

'Denk dir was aus.'

„Nun...also... Es bedeutet, daß der Kreis sich geschlossen hat.”

Das reichte sichtlich keinem der Orcs, also mußte wohl noch mehr gesponnen werden.

„Was ursprünglich verloren wurde, weil es böse war, wurde gereinigt zurückgegeben, weil...” er hielt inne, denn er bewegte sich auf sehr dünnem Eis.

'Ich kann denen unmöglich sagen, daß das von vorneherein deine Idee gewesen ist, das ist eine klare Lüge.'

Celestus seufzte.

'Es war natürlich nicht geplant, aber manchmal kann man einen Zufall als glücklichen Wink des Schicksals ansehen, oder?'

„...weil es so vorgesehen war.”

„Von wem?”, fragte Plok mißtrauisch.

„Celestus hat mir gesagt, daß es vom Schicksal so gewollt wurde und daß es den Geistern vorbehalten sein muß, warum es so gekommen ist.”

'Gut ausgewichen.'

So richtig zufrieden mit der Antwort waren die Orcs allerdings immernoch nicht. Der Schamane deutete erneut auf Joros Rüstung.

„Und was bedeuten Rüstung?”

Hier stand Joro glücklicherweise auf sicheren Füßen.

„Die Rüstung ist ein Symbol dafür, daß eine großes Übel, daß in der Vergangenheit stattfand überwunden ist und heute steht sie für einen neuen Anfang und einen Dienst im Sinne Celestus'. Derjenige, der sie zuerst trug hat den Willen des Geistes ignoriert und wurde dafür bestraft. Ich bin derjenige, der sie als Zeichen für den rechten Weg trägt”, 'hoffe ich zumindest...' fügte er im Geiste hinzu.

'Bisher kann ich mich nicht beklagen.'

Joro war sich nicht sicher, ob der Schamane das, was er gesagt hatte richtig verstanden hatte, aber wenn dies so war, machte er sich erfolgreich die Mühe, das nicht zu zeigen. Stattdessen nickte er und sah den Bischof mit großen Augen an.

„Das heißen du oberste Schamane von Geist, ja?”

„Das ist das Amt, das mir auferlegt worden ist”, Joro nickte.

Beide Schamanen betrachteten einander kurz, dann fielen sie beide vor dem Bischof auf die Knie.

„Du uns lehren alles was du weißt.”

Das kam sehr überraschend und für einen Moment wußte Joro nicht genau, was er tun sollte, doch dann kam ihm eine Idee.

„Könnt ihr beiden lesen?”

Unverständnis in zwei grünen Gesichtern war die Antwort.

„Wißt ihr, was Schrift ist?”

Wieder keine Antwort, nur fragendes Schweigen.

„Gut. Dann werden wir damit anfangen müssen. Aber nicht heute, denn es stehen erst wichtigere Dinge an. Plok und ich werden über eine ganze Reihe von Themen reden müssen und das hat vor allem Anderen Vorrang.”

Er machte eine kurze Pause und wandte sich dann an den Häuptling.

„Was ist der Rang dieser vier Krieger?”

„Das sind meine Ersten. Von allen Kriegern, die ich habe sind sie die stärksten und wildesten, Krut einmal ausgenommen.”

„Ich habe bereits eine Idee, wie wir sie als solche auszeichnen können und werden. Aber ich denke, daß wir das in einer Zeremonie vor den anderen Orcs tun sollten. Was Celestus angeht ist dieser Ort wichtiger und wie du mir vor einiger Zeit gesagt hast sind die Wege der Schamanen ihre eigenen. Ich denke, daß das mit den Kriegern anders gehandhabt werden sollte.”

Plok nickte.

„Das sehe ich genauso. Wir machen das später, vielleicht heute Nachmittag?”

„Ich denke, daß sich das einrichten läßt”, gab Joro mit einem Lächeln zurück, „aber jetzt werden wir erst einmal über die Zukunft reden müssen.”

Die sechs Orcs in Ploks Gefolge wurden in Marinus Obhut übergeben, was dem Totengräber sichtliche Unruhe verursachte, aber ihm dennoch kein Klagen abrang. Dann gingen Plok und Joro in dessen Amtsstube und setzten sich dort hin, um zu palavern. Der Besuchersessel, auf den sich der Orc niederließ knarzte zwar klagend, aber er hielt dem Gewicht des Grünhäuters stand.

Sie schwiegen beide eine Weile, bis Plok sich nicht mehr halten konnte.

„Ich kann mit ehrlichem Erstaunen sagen, daß ich vor nicht einmal drei Monaten nicht im Geringsten gedacht hätte, einmal hier zu sitzen. Was noch als Spitze auf der ganzen Situation sitzt ist die Art und Weise, wie sich meine Perspektive gegenüber allem, und das meine ich wörtlich, verändert hat.”

Joro seufzte.

„Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dir das nachfühlen kann, auch wenn es für mich jetzt fast ein Jahr her ist.” Ihm wurde das nur doppelt bewußt wenn er daran dachte, daß draußen nach etlichen Wochen mit Regen so langsam etwas wie beginnender Spätsommer einsetzte. Drinnen auch. Immernoch eine reichlich dämliche Formulierung.

„Nun, laß uns darüber reden, was jetzt alles geschehen wird.”

Der Bischof raffte sich auf, dachte kurz nach und sagte dann:

„Zunächst werde ich den beiden Schamanen wohl Lesen und Schreiben beibringen müssen. Ich nehme an, daß du das auch lernen wollen wirst.”

Plok lächelte verschmitzt, nahm ein Stück Papier von einem der Haufen auf Joros Pult und las dann, langsam, aber nicht stockend:

Im Verlaufe der nächsten drei Wochen sind mindestens vier Wagenladungen Weizen aus Lirdwig zu erwarten, die der dortige Fürst gegen eine Bezahlung von...

„In Ordnung, ich denke ich weiß wer dir diese Fertigkeit vermittelt hat.”

„Stell dir meine Verwirrung vor, als ich das erste Ortsschild auf der Straße nach Bargum gesehen habe. Noch vor zwei Monaten hätte ich es für Schmutz auf einem Holzbrett gehalten, aber jetzt...”

„Kann ich mir gut vorstellen... Was deine Ersten angeht, beabsichtige ich, ihnen als Zeichen für ihre Stellung die Waffen der Klostergarde zu übergeben, allerdings weiß ich nicht, ob sie damit einverstanden sind oder nicht. Wenn man bedenkt, was ihr von den Knochenbrechern erbeutet habt...”

Plok runzelte die Stirn.

„Von welchen Waffen reden wir denn da?”

„Hast du die Soldaten mit den schwarzen Waffenröcken gesehen, die überall im Kloster verteilt auf ihren Posten stehen?”

„Ja. Die haben einen sehr imposanten Eindruck gemacht für Menschen. Einer meiner Ersten hat kommentiert, daß das seltsame Beil, das sie an ihren Gürteln tragen an eine alte orcische Waffe erinnern, die irgendwann aus der Mo... oh Geister!Jetzt hätte ich das um ein Haar wieder gesagt!”

Joro ging kurz aus dem Raum und bat einen der Gardisten im Korridor, ihm seine Schaufel zu geben, dann ging er zurück zu Plok.

„Hier. Das ist offiziell die Waffe der Gardisten.”

Plok nahm die Waffe in die Hand und meinte dann mit einem Grinsen:

„Mech'rek.”

„Wie bitte?”

„Orcisch. Bedeutet buchstäblich „Werkzeug”, aber eins zum Ausweiden von Tieren.”

Der Bischof war verblüfft.

„Laut Celestus ist das ein altes Daishaniwort und bedeutet „Schlachter vom Dienst”.”

Der Häuptling lachte laut.

„Ich kann dir versprechen, daß praktisch jeder meiner Jäger eine kleinere Version, allerdings mit weitaus kürzerem Sporn und ohne den Hammerkopf bei sich trägt. Für eine Weile hatten ein oder zwei Clans im Nordwesten die Idee, das ganze in größerer Form und mit einer Kugel an der Stelle wo jetzt der Hammer sitzt zu benutzen. Das ist allerdings schon sehr lange her und die Waffe war aus Steinen und einem Knochensporn gefertigt. Weil das aber nur mit Leim und Sehnen an Ort und Stelle verankert war, gingen die im Kampf ständig zu Bruch, weshalb sie sehr schnell nicht mehr benutzt wurden.”

'Mit anderen Worten: Die Geschichte von Nuktus Anhänger oder Kameraden oder was auch immer ist auch wieder nur eine Legende.'

'Es ist die offizielle Version. Woher der Schmied die Idee hatte weiß ich nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, daß er eventuell irgendwann einmal mit Orcs Kontakt hatte. Zu Nuktus Zeiten waren die Menschen und Orcs in Daishan konstant im Krieg miteinander, denk daran, was die Kette dir für eine Vision geschickt hat, als du sie gefunden hast.”

„Was allerdings an diesem hier anders ist”, fuhr Plok mit deutlich versöhnlicher Stimme fort, „ist die Tatsache, daß sie aus Eisen ist.” Er fummelte eine Weile am Schaft herum und machte dann eine Reihe von testenden Bewegungen mit der Schaufel.

„Für einen Orc müßte sie allerdings schwerer und größer sein, glaubst du, daß sich das machen läßt?”

Dem Bischof fielen drei kleine, dicke Männer ein, die das mit Sicherheit bewerkstelligen konnten. Gerüchten zufolge waren die Duergarschmiede so derart erfreut gewesen, als sie den Auftrag bekamen, endlich eine männliche Waffe herzustellen, daß sie sich überenthusiastisch ans Werk begeben und kurzer Zeit eine viel zu hohe Menge an Schaufeln hergestellt hatten.

„Sag mal, Plok, wie stehen eigentlich Orcs zu Duergar?”

„Du meinst die kleinen, grauen Zwerge, die die anderen nicht leiden können?”

„Äh, ja, richtig.”

„Och, der Feind meines Feindes ist mein Freund, nicht wahr? Wir haben, solange wir denken können, immer freundschaftlichen Ärger mit ihnen gehabt. Mal wurde gehandelt, mal wurde sich gegenseitig umgebracht, je nachdem, was mehr Laune machte.”

„Und anders herum?”

„Ich denke einmal, daß die Duergar immer froh waren, wenn sie uns ihren Schrott andrehen konnten. Wenn es irgendwas gibt, was die lieben, dann sind es wertvolle Dinge, die sie in irgendeine Truhe stopfen können und wenn sie dann ihren Abfall noch gleichzeitig loswerden können macht sie das nur um so fröhlicher.”

„Das klingt nicht gerade positiv, wenn ich ehrlich sein soll”, meinte Joro mit verzogenem Mund.

„Das mag sicherlich sein, aber des einen Abfall ist des anderen Schatz. Was für die Grauzwerge wertlos war, war für uns immer ein Weg, einen Vorteil über unsere Feinde oder innerhalb unserer Gesellschaft zu erlangen, also waren derlei Geschäfte für beide Seiten lohnend. Ich kann mich erinnern, daß mein Vater eine ganze Zeit lang einen Dolch bei sich getragen hat, der in Wirklichkeit nur schlecht schwarzrot angemaltes Eisen war, aber trotzdem so gut gemacht, daß die anderen Orcs dachten, es sei ein Adamantitdolch. Wenn es seinen Zweck erfüllt, dann hat es seinen Wert, wir sind ein pragmatisches Volk, Joro.”

„Du sagtest „hatte”, was ist denn mit dem Dolch am Ende passiert?”

Plok grinste über sein gesamtes, breites Gesicht.

„Ein Schamane von einem anderen Stamm hat ihn gegen einen sehr starken Talisman eingetauscht. Das Gesicht von dem Idioten hätte ich gerne gesehen, als ihm auffiel, welchen Ramsch er von Runk bekommen hatte.”

„Opportunisten seid ihr also auch”, gab der Bischof mit einem Lächeln zurück.

„Natürlich”, gab Plok ernst zurück, „Wenn du in den Bergen lebst und Winter überstehen mußt, in denen jeder Einzelne, nicht einmal ein Häuptling, wissen kann, ob er den nächsten Frühling noch erleben wird, dann lernst du alles zu nutzen, was dir in die Hände fällt.”

Joro fühlte sich entschlossen, den Orcs keinen Ramsch in die Hände zu geben. Stattdessen schrieb er eine kurze Notiz und rief dann einen Gardisten in seinen Raum, um ihn mit dem Auftrag, die Notiz an Olgerich weiterzugeben zum Stadtschloß zu schicken.

„Heute Nachmittag wird vielleicht ein wenig zu früh sein, aber ich denke, daß wir in Kürze die angebrachten Waffen für deine Ersten haben werden. Zwei große Zweihandversionen und dann jeweils zwei Einhandversionen, wenn ich mich recht erinnere?”

„Richtig. Gut beobachtet.”

„Wunderbar. Dann bleibt da noch eine Sache...”

„Ich nehme an, die beinhaltet, daß wir uns zu benehmen haben und das wir uns darauf vorbereiten sollen, nach Süden zu ziehen?”

„Nein”, antwortete Joro, „Denn ich denke, daß sich das von selbst versteht. Worum es mir eigentlich mehr geht ist, inwiefern Celestus euch nun wirklich auf ihn eingeschworen hat.”

Plok sah ihn verwirrt an.

„Das hat er dir nicht gesagt?”

„Nein und ich denke, daß das so ist, weil er nur eine Grundlage schaffen wollte und ich den Rest machen soll.”

Der Orc schielte auf die Rune an Joros Hals.

„Er hat mir zumindest gesagt, daß ich mich darauf vorbereiten soll, daß ich von dir eine Reihe von Aussagen und Antworten zu erwarten habe, die mir vielleicht nicht sonderlich gut gefallen werden.”

Der Bischof machte ein schmerzverzerrtes Gesicht und meinte dann:

„Ich bin ein Daishani und habe die Vermutung, daß du weißt, was das Zeichen auf meiner Kehle bedeutet.”

„Ja.”

„Gut. Die Wahrheit ist, daß ich eigentlich nur mit der Kette zu euch gekommen bin, weil dein Vorvater mich dazu aufgefordert hat und ich diesem ein Versprechen gegeben habe. Die Rune hat damit weniger zu tun, aber es ist eine Eigenheit meines Volkes, Versprechen bedingungslos einzulösen.”

„Eine ganze Reihe von Orcs würden das für eine ausgesprochen dumme Eigenschaft halten”, gab Plok zurück, „aber in meinem Falle kann ich sagen, daß ich das für sinnvoll halte. Und weiter?”

„Mich hat das Resultat meiner Handlungen, die zum Tode des Großteils deines Stammes geführt haben tief betroffen, ich hatte nicht beabsichtigt, einen minderen Völkermord zu begehen.”

Der Häuptling machte eine abwehrende Geste.

„Es hat keinen Falschen getroffen, soviel kann ich dir sagen. Wäre ich weiterhin in dieser alten Schlucht Anführer gewesen, hätte ich mich bis ans Ende meines Lebens jede Woche gegen irgendeinen Schwachkopf verteidigen müssen, der meine Rolle einnehmen wollte, bis ich irgendwann zu alt gewesen wäre und, naja, denk dir den Rest...”

„Das ist jetzt anders?”

„Völlig. Kein einziger von meinen Anhängern würde wagen, mich anzurühren und das ist zu einem großen Teil dein Verdienst”, er hielt kurz inne, schielte verstohlen an die Decke und fügte dann hinzu: „Nicht zu vergessen der des schwarzen Geistes.”

„Du hast also akzeptiert, Celestus zu dienen?”

„Der Geist gibt uns Kraft und dafür geben wir ihm unseren Dank. So ist es bei uns immer gewesen und so wird es immer sein.”

Das war praktisch betrachtet genau die umgekehrte Version dessen, was das Dogma der Celestuskirche ausmachte, nämlich Glauben vor Unterstützung durch die Gottheit.

'Und damit bist du zufrieden?' fragte Joro in seinem Kopf.

'Am Ende funktioniert Beides auf die gleiche Weise, es ist nur eine Frage der Perspektive', gab Celestus mit deutlich amüsierter Stimme zurück.

Joro mußte sich erst einmal sammeln, aber Plok war immernoch bei der Sache.

„Ich vermute mal, daß wir eine ganze Reihe von Kompromissen erreichen werden müssen, aber ich habe in deiner Abwesenheit dafür gesorgt, daß dich alle als besondere Person und meinen persönlichen Schamanen ansehen und dich auch dementsprechend behandeln”, für einen Moment sah der Orc Joro mit einer forschenden Miene an und fragte dann: „Du bist doch mein persönlicher Schamane, oder?”

Joro nickte.

„Natürlich. Aber du mußt dir auch bewußt sein, daß ich der Anführer der Kirche bin und deshalb noch andere Verantwortungen habe, als nur für dich zu sorgen.”

Der Häuptling hob beide Hände.

„Was du mit den Menschen und allen anderen hier tust, ist nicht meine Sache, solange du unter den Orcs deine Stellung einnimmst und diese gut vertrittst. Um alles andere kümmere ich mich selbst.”

 

Eine Stimme erscholl im der Schreibstube.

„Störe ich?”

Es war Alystin und die Reaktion Ploks war eine Überraschung für sowohl Bischof, als auch Drow. Der Orc fuhr mit einem Zischen aus seinem Stuhl, griff mit beiden Händen seinen Hammer und stellte sich schützend vor Joro.

Natürlich fuhr die Hand der Hohepriesterin sofort zu ihrem Schwert und es bedurfte sowohl einer Willens-, als auch einer Kraftanstrengung Joros, sich an Plok vorbeizuquetschen und zwischen die beiden zu gelangen.

„Halt! Hier wird keiner irgend jemanden angreifen!”

Während der Orc ihn fassungslos anstarrte, verschränkte Alystin mit einem leicht hochgezogenen Mundwinkel, der durch den sorgenvollen Blick in ihren Augen unterminiert wurde die Arme vor dem Körper.

Zum Häuptling gewandt, die Hände in einer beschwörenden Geste, sagte Joro, so ruhig es seine Verfassung zuließ:

„Kannst du dich daran erinnern, daß ich dir sagte, daß ich mit Drow trainiert habe und mit ihnen lebe?”

Für einen Moment sah es so aus, als verstünde Plok kein Wort von dem, was Joro ihm sagte, aber dann verlor der Blick des Orcs langsam seinen halb wahnsinnigen Glanz und er ließ betont langsam die Waffe sinken.

„Hatte ich vergessen. Eine Vorwarnung wäre mir durchaus gelegen gekommen.”

Alystin sah ihrerseits verblüfft aus.

„Hat er das wirklich gerade genau so gesagt?”

„Celestus hat nachgeholfen”, Plok zog so männlich, wie ihm das möglich war Rotz in der Nase hoch. Dann hielt er kurz inne, sah von Joro zu Alystin und wieder zurück zum Bischof und fragte dann:

„Ist sie diejenige, die, also...”

Joro wurde puterrot und nickte nur verschämt und fuchtelte mit seiner Hand hin und her.

„Alystin, Plok...Plok, Alystin.”

Weder Orc noch Drow bewegten sich einen Handbreit. Nach einer Weile des peinlichen Schweigens sah der Bischof in die Runde und fragte:

„Gibt es irgendein Problem, bei dem ich behilflich sein kann?”

Plok brach als erster die Stille.

„Ich hab noch nie eine Drow direkt aus der Nähe gesehen. Sie ist so...klein...”

Nach einer kurzen Pause meldete sich Alystin zu Wort mit:

„Ich habe noch nie einen so derart großen, grünen...”, dann brachen sowohl der Orc als auch sie in Lachen aus.

Joro, der sich außen vor fand, hatte zwar wie gewohnt zunächst den Impuls zu schmollen, aber stattdessen zuckte er nur mit den Achseln und meinte:

„Wenn sich hier keiner mehr gegenseitig auf den Kopf hauen will, wäre ich zumindest erfreut, wenn du den Hammer weglegen könntest, Plok. Wenn hier ein Gardist reinkommt und dich so sieht, wird es keine Fragen geben.”

Wortlos stellte Plok das Gerät, denn eine Waffe konnte man das Ding nach Joros Ansicht kaum noch nennen, auf den Boden und lehnte den Schaft an den Schreibtisch, was diesen mit einem leisen Knarren etwa eine halbe Handbreit verschob.

„Du bist also Plok”, Alystin trat vorsichtig einen Schritt vor und streckte ihre Hand aus, „Ich habe schon viel von dir gehört.”

Natürlich erwähnte sie nicht, daß sie vor nur wenigen Wochen ziemlich in seiner Nähe gewesen war und Joro dankte Celestus innerlich, daß sie kein Daishani war.

Für einen Moment sah es so aus, als wolle Plok einfach einschlagen, doch dann streckte er vorsichtig seine Hand aus und griff Alystins mit einer bewundernswerten Zartheit. Sie sah ihn verdutzt an und griff seine Hand ordentlich, was ihm erst einen überraschten Laut entlockte, doch dann griff er auch zu und Alystin machte einen schmerzerfüllten solchen.

Der Orc zuckte zurück und sah zu Joro wie ein Kind, daß etwas Dummes getan hatte und dabei erwischt wurde.

Doch Alystin lachte, während sie sich die Hand rieb.

„Du bist wirklich stark Plok, das ist beeindruckend.”

Des Häuptlings Gesichtsfarbe wurde irgendwo zwischen grauviolett und er schaute verlegen auf den Boden.

„Danke. Ich, äh...”

„Keine Sorge, meine Knochen sind alle heil, aber ich werde mich in Zukunft vorsehen”, sie lächelte zuckersüß, was den Orc noch verlegener machte, doch dann sagte sie, „Du bist der Gast des Bischofs und als solcher heiße ich dich auch bei uns Drow willkommen, Joro ist einer von uns.”

„Er sieht nicht wirklich aus wie einer von euch, wenn ich das sagen darf...”

„Nun, mit Worten ausgedrückt, die es dir vielleicht einfacher machen, es zu verstehen: Joro wurde in unseren Stamm aufgenommen, als er uns brauchte und hat sich während seines Aufenthaltes um den Stamm verdient gemacht. Deshalb haben wir ihn als einen der Unsrigen akzeptiert.”

Nun leuchteten Ploks Augen in Verständnis auf.

„Ahh, ja. Hmmm”, er kratzte sich am Kinn, „Aber er ist auch Mitglied meines Stammes. Ich weiß nicht genau, ob das erlaubt ist.”

Joro ging zum Orc herüber und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Plok, wenn es hier eine wichtige Sache für dich zu lernen gibt, dann ist es, daß wir alle ein einziger, großer Stamm sind. Auch wenn einige vielleicht etwas dunkler und dicker oder grüner und größer sind.”

 

 

 

Kapitel 18

 

Zu Joros täglichen Aufgaben war nun neben endlosem Papierkram und einer ganzen Reihe Administrativem, als auch geistlichen Verpflichtungen noch Leseunterricht für zwei Orcs dazugekommen.

Er hatte sich erst erhofft, daß er das vielleicht an einen der Totengräber abgeben konnte, aber leider bestanden die beiden darauf, daß nur er und kein Anderer sie in die Geheimnisse der Buchstaben einweihen durfte. Das führte dazu, daß zwei Stunden jeden Tag darauf verwandt werden mußten, die Grundlagen in die grünen Köpfe zu hämmern.

Vor einiger Zeit hätte es ihn vermutlich noch erstaunt, wie schnell es ging, aber Plok hatte ihn bereits eines Besseren belehrt und die beiden Schamanen waren, wie er es schon vermutet hatte, um nichts dümmer als der Häuptling. Eher das Gegenteil war der Fall und Joro fragte sich mehrfach, ob es nicht von den Göttern so eingerichtet worden war, daß alle paar Generationen ein Orc geboren wurde, der zwar nicht so stark wie die anderen war, aber dafür mit geistiger Brillianz gesegnet und deshalb für einen spirituellen Posten im Volk prädestiniert war.

Die Arbeitsanweisung, gut, -bitte, war von den Duergar prompt angenommen worden, es schien als hätten sie ihren Spaß an der Sache und nach nur zwei Tagen wurden die sechs Waffen bereits zum Kloster geliefert, was dazu führte, daß er bereits an diesem Nachmittag zu den Orcs gehen und die vier Ersten mit ihren Insignien ausstatten konnte.

Die Schmiede hatten sich scheinbar wirklich viel Mühe gegeben, und auch wenn die Waffen aus Stahl waren, waren sie reich verziert und hatten eine ganze Reihe von zusätzlichen Zacken und Ecken, was bei den Empfänger beinahe für Kieksen sorgte.

Plok war darüber sehr erleichtert, denn die vier hatten sich ignoriert gefühlt.

Joro nahm die Gelegenheit auch zum Anlaß, sich über die Veränderungen bei den Orcs zu erkundigen. Die Anzahl derer, die bei den Grünhäutern schwarz gerußte Schafsfelle trugen war gewaltig und die Tätowierungen im Gesicht ein Statussymbol geworden.

Nur wer sich im Kampf bewährt hatte, wurde in die Ränge der „Toten” aufgenommen. Die Knochen und Amulette waren in der Tat vollständig verschwunden, stattdessen trugen die Orcs Sichelohrringe aus Holz oder Stein, trugen Ketten um den Hals, die entweder aus halbmondförmigen Elementen bestanden und hatten, wenn es ihr Status und Rang zuließen, gar eine metallene Sichel daran.

Joro fiel auch auf, daß die höher gestellten Orcs durch die Bank weg gut bewaffnet waren. Der Hort der Knochenbrecher mußte ziemlich groß gewesen sein, denn überall konnte man den matt silbrigen Glanz von Mithrilwaffen sehen.

In der Mitte des Orclagers hatten deren Handwerker, von denen es nach Joros Ansicht erstaunlich viele zu geben schien, ein halbes Dutzend tiefe Essen in die Erde gegraben, in denen sie mit, wie Plok versicherte, aus der Stadt gekaufter Kohle Tag und Nacht dabei waren, einzelne Waffen und Rüstungen in ihren Vorräten zu modifizieren.

Der Häuptling hatte ihn beinahe umgehend nach der Zeremonie dort hingeführt, weil er Joro seine Rüstung zeigen wollte.

Bei den Essen angekommen war er in einem Zelt verschwunden und hatte darauf beharrt, daß der Bischof warten sollte, bis er fertig sei. Daraufhin begann innen ein Heidenlärm, gemischt aus Metall, das auf Metall schlug und die teilweise aufgeregten, teilweise schmerzerfüllten Schreie anderer Orcs. Dann herrschte plötzlich Stille und Plok trat mit einem Ta-taaa! Moment aus dem Zelt.

Joro war sprachlos.

Das, was der Häuptling da am Körper trug konnte man nur als das brutalste bizarre Phänomen seit Erfindung der bitteren Orangenmarmelade beschreiben.

Davon abgesehen, daß sein Kopf in etwas steckte, was man wage als einen dickwandigen, umgedrehten Eimer bezeichnen konnte, war der Rest der Rüstungsplatten, die nicht gerade formschön und an einigen Stellen auch mit gefährlich viel Zwischenraum auf seinem Körper angebracht worden waren mit einer Unzahl an scharfen Kanten, Spitzen und Zacken versehen, insgesamt mußten es wohl an die Hundert sein. Ein Arm war völlig frei, der andere war mit so dicken Platten versehen, daß er sich fragen mußte, wie Plok überhaupt schaffte, diesen anzuheben. Er stellte diese Frage dann auch, aber der Orc grinste, was zu sehen war, weil der Eimer unter der Nase eine Aussparung hatte, die die Hauer des Häuptlings gut zur Geltung kommen ließ.

„Mithril ist ein ausgesprochen leichtes Metall. Die Rüstung wiegt weniger als ein Schaf, wenn man ihm die Hinterbeine ausreißt, oder eine mittelgroße Ziege.”

Im Kopf rechnete Joro bewußt mit Steinen, deren Anzahl er auf zirka vierzig schätzte. Wenn es sich um ein kleines Schaf handelte, was wiederum den eigentlichen Wunsch, sich eben nicht mit dem Bild auseinanderzusetzen zu wollen vollständig ruinierte.

Vierzig Steine waren leider immernoch fast doppelt so viel, wie seine eigene Rüstung wog, aber mit Ploks Körperbau durfte das wohl in Ordnung gehen. Er hatte irgendwann mal gelesen, daß eine volle Gestechrüstung in Hanlar zwischen vierzig und fünfzig Steinen wog und die meisten Ritter waren sicherlich wesentlich kürzer und schmaler gebaut als der Orc.

Das änderte allerdings nichts daran, daß die Rüstung für den Tragenden wesentlich gefährlicher aussah, als für jeden möglichen Gegner.

„Hast du keine Angst, dich an irgendeinem der Teile selbst zu verletzen?”, fragte er bewußt vorsichtig.

Plok schüttelte den Kopf.

„Du hast mich kämpfen sehen, Schamane. Die Idee ist, daß der andere mir so nahe kommt, daß er sich daran verletzt. Außerdem sind alle Spitzen und Kanten so gebogen, daß Schläge keine Wuchtwirkung auf mich und meine Balance haben können.”

Joro hielt einen Augenblick inne und ließ seinen Blick über das Metall wandern. Was der Häuptling sagte, stimmte absolut, nicht einmal die Spitzen, die aussahen wie eine Einladung für eine Klinge, um den Orc einen Wimpernschlag später zu Boden zu ziehen waren so gebogen und gefeilt, daß das unmöglich war. Er mußte sich zugestehen, daß er den Orc ein weiteres Mal unterschätzt hatte.

„Dann habe ich nur eine weitere Frage...”

„Sie gefällt dir nicht”, Plok streckte seinen Unterkiefer vor.

„Nein, nein... sie ist wirklich imposant! Ich habe nur einige taktische Fragen, das ist alles.”

„Taktische Fragen? Was soll das bedeuten?”

Joro stützte das Kinn auf eine Hand und meinte:

„Mein Trainer, Omareth, sagt immer, daß man sich bei einem Gegner die Schwachstellen in der Rüstung heraussuchen soll und diese als erstes angreifen soll. Wenn er diese gezielt verteidigt kann man ihn stattdessen an den anderen Stellen attackieren.”

„Natürlich. Oder aber man stürzt sich auf ihn, damit er gar keine Zeit hat, sich auf irgendeine Verteidigung zu konzentrieren.”

„Äh, ja. Genau. Die andere Frage, die ich mir gestellt habe ist, warum dein rechter Arm völlig frei von Metall ist und warum der rechte eine einzige Platte darstellt. Bringt dich das nicht auch aus der Balance?”

Plok betrachtete kurz seine beiden Arme, dann zuckte er mit den Achseln.

„Der linke Arm ist Schildersatz, weil ich Rechtshänder bin und der Gewichtsunterschied ist nicht so groß, der linke Teil wiegt etwa soviel wie ein in der Mitte...”

„Schon gut. Verstanden.”

„Fein! Nun muß ich nur noch zusehen, daß ich das Ganze gut schwarz gefärbt bekomme. Das Problem mit Mithril ist, daß es praktisch unmöglich ist, es zu färben, Ruß fällt einfach herunter, Blut bleibt auch nicht dran hängen, soweit ich weiß nicht einmal Staub.”

Erst hatte Joro den Impuls, die Duergar als mögliche Option zu erwähnen, aber er entschloß sich lieber dagegen, da er sich möglichen kulturellen Meinungsverschiedenheiten ausgesetzt sah. Dennoch dachte er ernsthaft darüber nach, ob er nicht beizeiten einmal bei Balthasar anfragen würde, ob er nicht die Herausforderung auf sich nehmen wolle, für Plok eine etwas weniger behelfsmäßige Verpackung herzustellen. Für den Augenblick war die einfachere Lösung -hoffentlich- Celestus.

'Kannst du da helfen, Herr?'

'Als kleine Wiedergutmachung für den Feuerstahl?'

'So langsam rege ich mich auf! Ich prophezeie dir, daß der irgendwann mal wirklich nützlich sein wird!'

'Kein Grund zur Aufregung', der witzelnde Ton sprach Lügen, 'aber ich denke, daß das, was du dir vorstellst eine herausragend gute Idee ist.'

Als Joro ihn mit einigem Feuer im Blick ansah, zuckte Plok beinahe zusammen, aber der Bischof machte eine beruhigende Geste und sagte:

„Ruf alle deine Ersten und sonstigen Würdenträger zusammen.”

„Würdenträger? Wir sind Orcs hier”, der Häuptling klang beleidigt.

„Dann halt die fiesesten, brutalsten Krieger, die du hast. Nicht zu vergessen so viele Schamanen wie es nur geht.”

 

Nachdem dieses nun vollbracht war, setzte Joro seine Maske auf und brüllte so laut er konnte, um die Aufmerksamkeit der Orcs zu bekommen.

Der Effekt war praktisch exakt das Gegenteil, weil diese das zum Anlaß nahmen, mindestens genauso laut zurückzubrüllen. Er nahm die Maske wieder ab und sah Plok mit hochgezogener Augenbraue an. Dieser grinste nur, machte eine übertriebene Kunstpause und brüllte dann in einer Lautstärke, die Joros Zähne vibrieren ließ.

Augenblicklich verstummte die komplette Horde. Haufen.

Der Häuptling sah erwartungsvoll zu ihm herüber und die Orcs taten es ihm gleich.

Joro setzte die Maske wieder auf, zog seine Kapuze über den Kopf und räusperte sich kurz.

„Plok, Sohn des Runk, Häuptling dieses Stammes, knie nieder vor dem Geist.”

Dieser tat, wie ihm geheißen war und der Bischof konnte sich ein 'Dein Zug, ich hoffe es hat den gewünschten Effekt.' nicht verkneifen.

Es hatte den.

Als sich eine Wolke von purer Finsternis um ihren Häuptling formierte, konnte Joro aus den Augenwinkeln sehen, daß eine ganze Reihe der Orcs entweder verschreckt zurücklehnten oder stattdessen nach ihren Waffen griffen, wohl weil sie dachten, ihr Anführer sei in Gefahr, war noch nicht klar, wie es enden würde, aber dann, als sich die Wolke langsam verdichtete und stattdessen praktisch eine Silhouette Ploks wurde, rissen die allermeisten von ihnen ungläubig die Augen auf.

Dann geschah einen Augenblick nichts, bis mit einem Donnerschlag der Schatten, der den Orc umgab verschwand.

Zurück blieb Plok, in seiner Rüstung, diese war pechschwarz und auf der größten Brustplatte prangte eine blutrote Sichel.

Der Orc sah an sich herunter und stieß dann mit hochgereckten Armen ein Brüllen aus, das noch lauter war als das erste, woraufhin alle anderen Anwesenden, Joro inklusive, mit einstimmten.

 

Zugegeben, die Rüstung machte mehr Eindruck als der Feuerstahl und den völligen Verlust seiner Stimme betrachtete Joro als Arbeitsschaden. Seine Leber würde ihn allerdings am nächsten Morgen hassen, von den Beisitzern des Kabinetts einmal abgesehen, denn das hatte er auch verpaßt. Olgerich hatte zwar einen Boten geschickt, dieser war aber irgendwie in die Sache mit hereingezogen worden und war nach einer halben Stunde mit einigen Stellen, die am nächsten Tag blau sein würden und vermutlich auch den Ansätzen einer Alkoholvergiftung wieder in Richtung Stadtschloß verschwunden.

Joro hoffte, daß er dem Boten die richtigen Worte mit auf den Weg gegeben hatte und nahm die Tatsache, daß er nichts Weiteres von Kloster oder Schloß hörte und auch keine Entsatztruppe geschickt wurde als gutes Zeichen, daß man ihn verstanden hatte.

Er torkelte durch die Stadt, mit der stillen Hoffnung, daß ihn keiner sah und schlich sich, so gut das ging, ins Kloster. Immerhin war es in den frühen Morgenstunden und in einer so arbeitsamen Stadt schliefen wohl alle. Oder fast alle, denn Marinus saß immernoch an seinem Pult und ging durch endlose Berge von Dokumenten.

Der Bischof war dankbar, daß sein Stellvertreter sich nicht zu einem Kommentar hinreißen ließ, er lächelte nur wissend und wünschte Joro eine gute Nacht, als dieser vorbeiwankte.

Eigentlich war er ja gar nicht so besoffen er hatte immerhin noch das Gefühl, daß seine Gedanken klar waren, aber sein Körper wollte ihm einfach nicht gehorchen.

Aber das machte ihn wütend und außerdem konnte er sich das als Bischof eigentlich nicht erlauben. Wo gabs denn sowas?

Also wandte er auf der Stelle um, fiel mitten aufs Gesicht, stand wieder auf, fluchend, machte ein Zeichen an Marinus, daß soviel wie „mir geht’s gut, ich packe das schon” bedeuten sollte und schlurfte wieder heraus auf den Hof. Dort ging er zum anderen Klosterteil herüber, steckte seinen Kopf solange in den Trog mit kaltem Wasser, der vor dem Brunnen stand und ging dann zur Zelle 12, um sich schlußendlich völlig fertig auf die Pritsche fallen zu lassen und sofort einzuschlafen.

 

Er erwachte am nächsten Morgen mit der Mutter aller Kopfschmerzen, aber auch mit der Überraschung, daß nicht nur seine Robe ausgetauscht worden war, sondern sich auch jemand die Mühe gemacht hatte, seine Haare und seine Maske zu trocknen. Einen kleinen Moment überkam ihm ein Schuldgefühl, denn er war sich sicher, daß da nur eine Person in Frage kam. Aber als er aus dem Fenster blickte, sah er, daß es mit Sicherheit schon wieder Zeit für die morgendliche Sitzung des Kabinetts war, also stand er auf, wankte zwei Schritte und schlug sich fast den Kopf an der anderen Wand auf und ging dann, wiederum fluchend, mehr oder weniger sicheren Schrittes aus der Tür.

Die draußen arbeitenden nahmen keine Notiz von ihm oder versuchten zumindest den Eindruck zu erwecken und dafür war Joro dankbar. Er ging zuerst wiederum zum Trog und hielt seiner Arme lange in das wunderbar kühle Wasser, danach benetzte er auch sein Gesicht.

Dadurch wurde das Kopfweh zwar nicht besser, aber immerhin bekam er das Gefühl, ein wenig klarer denken zu können.

Etwas erfrischt machte er sich dann zum Klostertor auf, wo Joken stoisch dreinblickend auf ihn wartete.

„Bereit für den Gang zum Schloß, Euer Eminenz?”

„J..ja. Ich denke ja.”

„Rauhe Nacht gestern, wenn ich das richtig sehe?”

„Sehr. Aber mir geht’s gut, den Umständen entsprechend.”

„Dann wollen wir mal.”

 

Auch die Soldaten hielten sich beachtlich taktvoll und sagte nichts und Joro konnte damit gut leben. Der Empfang, der ihn im Schloß erwartete war allerdings umso eisiger.

Sämtliche Anwesenden, mit der Ausnahme Zirs, deren Gesicht immer ein wenig ausdruckslos erschien, warteten und eine Barrage von hochgezogenen Augenbrauen und schiefen Mündern waren das erste, daß ihm im Kabinett ins Auge fiel.

„Bevor irgendwer fragt: Ja, es war es wert und nein, die Absicht war nicht, einen Abend mit Orcs Einen zu heben.”

Dem Schweigen der Anwesenden zu folgen reichte denen das nicht, also seufzte Joro und fügte hinzu:

„Ich habe gestern dafür gesorgt, daß der gesamte Orchaufen versteht wer ich bin und daß ich Macht habe. So wie ich die Anwesenden einschätze, brauchen sie ein bißchen mehr als nur das gute Zureden Ploks. Die Orcs sind meine Verantwortung und ich habe mich darum gekümmert, auch wenn einem gewissen Entgegenkommen ihrer kulturellen Eigenschaft nicht zu widerstehen war.”

„Das Einzige, was wir gehört haben, und zwar buchstäblich, war ein einziges Gegröhle und wir waren zwei Mal kurz davor, die Truppen zu mobilisieren, weil es wirkte, als seien sie auf dem Kriegspfad”, meinte Omareth trocken.

„Wohl kaum”, Joro ließ sich mit einem Stöhnen auf seinen Stuhl sinken, „mit der Menge an Alkohol, die die Orcs aufgestapelt haben, wäre das schon nach kürzester Zeit nicht möglich gewesen.”

Olgerich räusperte sich.

„Was ist denn nun von den Resultat dieser, nun, Maßnahme zu erwarten?”

„Ich bin mir ziemlich sicher, daß es vor gestern Abend noch eine ganze Reihe von Orcs gab, die mich entweder für Ploks Hirngespenst gehalten haben oder mich einfach generell nicht ernst genommen haben”, Joro kratzte sich am Kopf, „im Nachhinein habe ich fast ein wenig das Gefühl, daß es da vorher eine gewisse Chance für den einen oder anderen Zwischenfall gegeben haben könnte, aber das sollte sich jetzt erledigt haben. Als ich mich wieder auf den Weg in die Stadt gemacht habe, waren sofort zwei Dutzend Orcs da, die mich hintragen wollten.”

„Mit anderen Worten, wir brauchen uns nun weniger um sie zu sorgen?”, Alystin legte den Kopf schief.

„Da bin ich mir ziemlich sicher. Allerdings ist ihnen anzumerken, daß sie extrem große Lust haben, nach Süden zu gehen und den einen oder anderen Kopf einzuschlagen”, Joro grinste schwach, denn sein Kopf bereitete ihm Ärger.

„Da sind sie nicht die Einzigen”, murmelte Ulfr aus einem Mundwinkel.

Eine Stimme in seinem Kopf, die nicht Celestus, sondern vermutlich eher seine Eingebung war sagte ihm, daß das mürrische Auftreten der anderen nicht notwendigerweise nur seine Schuld war, also hob Joro seinen Blick und sah fragend in die Runde.

„Was ist passiert?”

 

Keiner der Anwesenden schien etwas sagen zu wollen, aber dann räusperte sich Ulfr und sagte:

„Letzte Nacht, als die Orcs ihre kleine Feier hatten, hat es einen Zwischenfall gegeben, drei Männer sind tot und ein halbes Dutzend ist hier im Schloß eingesperrt worden.”

„Was für ein Zwischenfall?”, Joro hatte ein ungutes Gefühl.

„Bei der Essensverteilung hat es erst ein kurzes Gerangel gegeben und dann ist offener Streit ausgebrochen. Eine Reihe von Stadtbewohnern haben daraufhin angefangen zu skandieren, daß Menschen in der Stadt wie Wesen zweiter Klasse betrachtet werden und daß scheinbar alle außer ihnen ein Leben in Luxus führen können”, der Nordmann rümpfte die Nase, „als ob wir Hirten keine Menschen wären.”

Olgerich schüttelte müde den Kopf.

„Drei Tote und mindestens zwei Dutzend Verletzte. Und das alles nur, weil es drei Tage am Stück Kohlsuppe gab. Wir haben kaum noch etwas Anderes als eingelegten Kohl auf Lager und auch wenn der nahrhaft ist, gibt es eine ganze Menge Menschen, die ihn auf Dauer nicht mögen.”

„Hat es denn solche Vorfälle vorher auch schon gegeben?”, fragte Joro.

„Nein, das war das erste Mal, daß es zu Ausschreitungen kam.”

Der Bischof wandte sich an Ghaundar.

„Ich meine, mich da an einen Bericht zu erinnern, was ein Regiment im Norden Hanlars angeht, das ein ähnliches Problem hatte...”

Der Assassine zuckte mit den Achseln.

„Reiner Zufall, wenn du mich fragst, es sei denn wir haben es mit einer internationalen Welle des allgemeinen Kohlhasses zu tun.”

„Wie lange bis zur Ernte?”, fragte Alystin.

„Noch drei Wochen, bis dahin müssen wir hier irgendwie durchhalten.”

„Gibt es irgendwelche Nachwirkungen?”, Joro wurde sein übles Gefühl nicht los.

Olgerich nickte.

„Die Stimmung in der Stadt war den ganzen Morgen schon gedrückt und wir werden eine schwere Aufgabe damit haben, wie wir die Täter bestrafen. Der kleinste Fehltritt und ich denke, daß es zu offener Revolte kommen könnte.”

Irgendwas war daran faul, da war sich Joro sicher. Wochenlang Eintracht, eigentlich kaum jemals Streitigkeiten oder andere Probleme und nun mit einem Mal gab es eine Massenschlägerei mit Toten?

„Da stimmt was nicht.”

Zu seiner Überraschung stimmten Omareth, Ghaundar und Ulfr beinahe gleichzeitig zu.

„Wir haben vorher keinerlei auch nur annähernd so ernste Vorkommnisse gehabt, es war ganz im Gegenteil beinahe zu ruhig hier in der Stadt”, sagte der General, „Die Frage ist, was das zu bedeuten hat.”

„Ich bin bereits daran, meine Informanten an der Straße horchen zu lassen”, warf Ghaundar ein, „aber bevor die mit Brauchbarem zurückkommen kann ich nichts weiter dazu sagen.”

„Dann werden wir heute abend sehen, was sich hat herausfinden lassen”, sagte Olgerich, „und jetzt werde ich erst einmal in den Kerker gehen und sehen, was die fünf, die wir eingesperrt haben zu ihrer Verteidigung zu sagen haben.”

„Wenn Ihr nichts dagegen habt, komme ich mit”, sagte Alystin, „ich habe mitunter die Fähigkeit, Leute ihr Gewissen erleichtern zu lassen.”

„Ihr deutet doch nicht etwa an...”, begann der Fürst, aber sie lachte nur und schüttelte den Kopf.

„Es ist Eure Gerichtsbarkeit und ich halte nur in den absoluten Ausnahmefällen etwas von physischer Überzeugungsarbeit. Ich denke es wird reichen, wenn ich mich schweigend im Hintergrund halte.”

„Wollt Ihr ebenfalls dabei sein, Eminenz?”

Joro schüttelte den Kopf.

„Nein, dies hat nichts mit dem Kloster oder der Kirche zu tun. Sollte allerdings einer von denen am Ende vielleicht ihr Gewissen bereinigen wollen, stehe ich natürlich zur Verfügung.”

 

Sie waren bereits auf dem Weg nach draußen, und eigentlich wollte Joro sich nur zum Kloster schleppen, ein heißes Bad nehmen und dann versuchen sich durch Arbeit von seinem Kater abzulenken, da nahm ihn Ghaundar zur Seite. Er drückte ihm ein längliches, kleines, braunes Ding in die Hand, das aussah wie ein zusammengerolltes Blatt.

„Erstens: nimm das in den Mund, kau ein wenig sanft darauf herum und laß es dann in deiner Wange liegen, bis es anfängt ein wenig bitter zu schmecken, dann kannst du es ausspucken.”

„Ist das eine neue Art von Kautabak?”

„Nein, ein altes Rezept gegen Kater. Zweitens: ich habe etwas, von dem ich mir sicher bin, daß du es dir ansehen solltest.”

„Muß das jetzt gleich sein?”

Der Drow sah ihn mit einem erstaunlich bösen Blick an.

„Nein, es reicht am Markttag in drei Monaten. Glaubst du ich käme jetzt zu dir, um das zu sagen, wenn ich das Gefühl hätte, daß es warten könnte?”

Joro schluckte.

„Nein, wohl nicht... Also was gibt es?”

„Folge mir.”

 

Sie gingen einige Treppen hoch, immer weiter in den obersten Teil des Schlosses, den Joro noch nie betreten hatte. In einem der Gästezimmer ging Ghaundar auf den Kamin zu, zog einen verborgenen Hebel in der Wand und das hintere Paneel der Feuerstelle sprang mit einem metallischen Knacken ein Stück weit auf.

„Ziemlich stilsicher, Herr Veldrin'ssreen...”

„Nicht wahr?”, der Drow grinste, „und das Beste ist, daß ich das nicht einmal in Auftrag geben mußte. Das ganze Schloß ist Zeugnis eines Vorfahren Olgerichs, der sich vor einer Mischung aus Paranoia und seltsam romantisierten Ideen von geheimen Korridoren und Räumen kaum retten konnte.”

Hinter der Tür, die erstaunlich dick und wie Joro merkte tatsächlich so mit Schamott ausgekleidet war, daß sie wie eine richtige Kaminrückwand funktionieren konnte, befand sich eine kurze Passage, die an einer sehr engen, steilen Wendeltreppe aus Gußeisen endete.

Ghaundar huschte hinauf und deutete Joro, es ihm gleichzutun.n

Der Raum, den er mit der Treppe erreichte war ein gewaltiger Dachboden, der ein Glasdach besaß und so roch, wie man das von einem Dachboden erwartet.

In der Mitte hatte sich Ghaundar mit endlosen Bänken und Tischen so eingerichtet, daß er alle Dokumente, die durch seine Hände gingen mühelos aufspüren konnte.

Auf der einen Seite des Raumes befand sich ein ziemlich großer Kamin, der, wie der Drow nebenläufig erwähnte, eine wunderbare Entsorgungsstelle für nicht mehr benötigte Schriftstücke war und direkt daneben war eine Ecke des Dachbodens für die Raben reserviert, die in einer großen Voliere, die zur Hälfte hinaus aufs Dach ging, fröhlich vor sich hinkrächzten und -flatterten.

Auf der anderen Seite des Raumes war ein Sammelsurium von Gegenständen fein säuberlich in Regalen oder Kisten plaziert, die laut den Zetteln, mit denen sie bedacht waren als Beweisstücke dienten, aber es gab auch Verkleidungen und andere Utensilien, die Agenten beim Dienst im Felde behilflich sein konnten.

Ghaundar wühlte in einer der Kisten und ging dann zu einer Bank mit aufgereihten Papierstücken, die leicht ungeordnet lagen.

„Das hier ist eigentlich die Ablage für „ferner liefen”, aber mir ist heute Morgen, als ich die Stelle des Zwischenfalles untersucht habe, etwas aufgefallen”, er fuchtelte mit dem Etwas, daß er aus der Truhe geholt hatte herum, wobei es Joro immernoch nicht gelang auszumachen, was es war, „es hat nämlich, so wie ich das sehe, jemand etwas zurückgelassen.”

Er fuhr fort, frenetisch durch die Zettel zu gehen, bis er mit einem lauten „AHA!” einen von ihnen hochriß. Auf Joro zugehend klemmte er den Zettel in seinen Mund und während er das Objekt in seiner Hand, das sich nun als ein straff gewickeltes Stück Lumpen entpuppte, auseinanderfaltete, nuschelte er:

„Irgendwer hat in dem Handgemenge ein Stück seiner Unterbekleidung verloren und sehr zu meiner Freude scheint es sich dabei um eine Maßanfertigung zu handeln. Das Zeichen hier”, er hatte das Wickeln beendet und hielt Joro jetzt ein Stück recht übel riechenden, aber straff gespannten Tuches vor das Gesicht (direkt davor, schönen Dank auch...), auf dem ein fremdartiges Symbol zu sehen war, „habe ich in den letzten Tagen mehrfach zu sehen bekommen.

Es sah aus wie eine auf der rechten Seite liegende Neun, die mit einzelnen Strichen gemalt und deshalb leicht kantig wirkte. Auf dem Zettel, den er nun aus seinem Mund nahm waren drei weitere Varianten zu sehen, alle mehr oder minder das Gleiche Zeichen.

„Was hat das zu bedeuten?”, fragte Joro, froh über die Tatsache, nicht alten Urin riechen zu müssen.

„Da fragst du mich genau das, was ich eigentlich dich fragen wollte. Ich habe nämlich keine Ahnung.”

„Hmmm, hast du schon in der Klosterbibliothek nachgesehen?”

„Gleich heute Morgen, aber da war auch nichts zu finden, und hier im Schloß, wo die Literatur eher weltlicher und politischer Natur ist, war auch nichts in Erfahrung zu bringen.”

„Glaubst du, daß das etwas mit den Zwischenfall zu tun haben könnte?”

„Hatte ich erwähnt, daß das Stück Stoff vom Tatort stammt?”

„Ja, aber das bedeutet ja noch nichts, oder?”

Ghaundar machte eine abschätzende Geste.

„Ich kann dir nicht genau sagen, wo ich die anderen Zeichen gefunden habe, aber ich kann dir versichern, daß es jedes Mal in einem Zusammenhang war, der nicht unbedingt mit dem Gesetz konform ging, wenn du meine Andeutung verstehst.”

Joro grinste.

„Du machst doch hoffentlich nichts Verbotenes?”

„Ich nicht, aber in einer Stadt mit so vielen Einwohnern und einer noch größeren Menge von Fremden... Wir haben eine ganze Menge Menschen, Zwerge und sogar einige Gnome in der Stadt, die hier nur „zu Besuch” sind und demnach schwer zu überblicken.”

„Wirklich? Gnome?”

„Ja, das hat mich auch erst überrascht. Wenn man bedenkt wie wenige von diesem Volk auf unserem Kontinent leben ist das schon ein gewaltiger Zufall.”

Joro blickte wieder auf das Symbol.

„Ist das vielleicht ein gnomisches Schriftzeichen?”

Ghaundar blickte ihn verwundert an.

„Wie kommst du denn darauf?”

„War nur eine Eingebung.”

„Hmmm...”, der Drow ging zu einem der Regale und fand nach kurzem Suchen ein Buch.

„Wenn es das ist, werden wir gleich wissen.”

Er wühlte in dem Buch, das er als Wörterbuch aller bekannten Sprachen bezeichnete und fand dann nach kurze Suche einen Eintrag über Gnomisch in allen seinen Varianten. Dann klappte er es wieder zu.

„Gute Idee, nur leider Fehlanzeige.”

„Dann weiß ich auch nicht weiter. Aber gib mir mal das Buch mit, vielleicht fällt mir was ein oder auf”, Joro dachte kurz nach, „Wenn ich ehrlich sein soll, vermute ich, daß wir Agenten der Hochelfen in der Stadt haben, die auf Krawall aus sind.”

Ghaundar nickte nur müde.

„Das ist auch meine Vermutung, oder besser gesagt Befürchtung. Solange ich keine Beweise auf dem Tisch habe oder irgendwelche Indizien, die eindeutig dafür sprechen, halte ich das immernoch nur für eine der Möglichkeiten. Die andere ist naheliegender.”

„Was meinst du?”

„Kannst du dich noch an den Mann erinnern, der dich kurz nach deiner Wahl auf offener Straße ermorden wollte?”

„Ja..?”

„Gestern, als du völlig betrunken alleine Orclager zurückgetorkelt bist, waren da zwei Männer, die in einer Gasse auf dich gewartet haben. Du kannst meinem Agenten, der ständig ein Auge auf dich hat später danken.”

 

Joro wurde es eisig auf dem Rücken.

 

 

 

 

Kapitel 20

 

Mit einem Mal war die Eskorte alles andere als eine Last, ganz im Gegenteil hatte ihn Ghaundars Aussage mit einer Unsicherheit beladen, die Joro zwar die Überreste des Katers vergessen ließ, aber dennoch Übelkeit bereitete.

Er wollte auch gar nicht Celestus fragen, ob er etwas getan hätte, seine eigene Dummheit war Schuld an allem, was hätte passieren können, Rüstung oder nicht, er war nicht unverwundbar und im betrunkenen Zustand hätte er sich auch nicht verteidigen können. Alleine die Tatsache, daß er am Tor angekommen dafür gesorgt hatte, daß die Wachen ihn nicht bemerkten und wie ein Halbstarker nach Hause geschlichen war, oder zumindest es versucht hatte, machte Joro ein so starkes Gefühl von Selbsthaß, daß er am liebsten seinen Kopf gegen eine Wand gehauen hätte.

Knapp zwanzig Jahre alt oder nicht, das war weder eine Entschuldigung noch war es in irgendeiner Weise eine Erklärung dafür, sich leichtsinnig zu benehmen. Innerlich war er Ghaundar dankbar, daß er Alystin diese Information entweder nicht hatte zukommen lassen oder es ihr in einer Art und Weise erklärt hatte, die dafür gesorgt hatte, daß die Dunkelelfe Joro nicht zur Sau gemacht hatte. Oder noch nicht. Er machte ein schmerzerfülltes Geräusch und mußte dann Joken mit einer Geste beruhigen, denn dieser stand sofort in Habacht.

Die Gruppe war im Kloster angekommen, und noch im Hof hatte Joro angefangen, in dem Buch zu blättern, das ihm Ghaundar mitgegeben hatte.

Das Offensichtlichste waren nicht Gnome oder irgendetwas anderes Exotisches. Das Naheliegendste waren zwei Dinge und das waren Hochelfisch und altes Daishani.

Und natürlich: Hochelfisch gab es natürlich in dem Buch, lang und breit und dort war nichts zu finden. Das Einzige, was ein wenig an das Zeichen erinnerte war das altelfische „A”, das eine Raute war.

Vor Marinus' Tischen blieb er stehen, dieser war wie immer zugegen.

„Marinus?”

„Ja, Eminenz?”

„Gibt es hier im Kloster jemanden, der altes Daishani schreiben kann?”

Der Totengräber überlegte kurz.

„Franz, der Koch vielleicht.”

„Ausgerechnet Franz?”

„Unterschätzt ihn nicht, Eminenz, der Mann ist viel gereist und hat das eine oder andere auf seinen Reisen aufgeschnappt.”

 

Joro ging also zur Küche, um mit dem Koch zu sprechen und konnte schon von Weitem Myelins Organ tönen hören.

Zu seinem Erstaunen antwortete der Koch ihr ebenso laut auf Duergar. Vielleicht hatte Marinus ja gar nicht so Unrecht mit seiner Vermutung.

Er hatte sich fest vorgenommen, vorsichtig vorzugehen, artig zu klopfen und auf ein Hineinbitten zu warten, aber im Korridor des Kellers, der zur Klosterküche führte angekommen, sah er wie ein ganzer Trupp Totengräber mit hochroten, angestrengten Gesichtern durch die weit geöffneten Doppeltüren der Essenswerkstatt ein und aus rannten, einige von ihnen mit Tabletts, andere mit Töpfen und schweren Schüsseln aus Holz oder Stahl.

Joro wurschtelte sich an einem Zweierteam mit einem Kübel der groß genug für ein ganzes Schwein war und zu zwei Dritteln mit einer dicken Suppe gefüllt war, Kohl, wie ihm auffiel, vorbei und stand dann inmitten des organisierten Chaos, das Franz sein Paradies nannte.

Der dicke Koch stand mit einem mannshohen Rührutensil, das verdächtig an ein Bootsruder erinnerte, an einem Topf, der die Größe jenes Utensils absolut rechtfertigte und rührte wie ein Besessener darin um, während Myelin auf einem Hocker neben ihm stand und hineinblickte, das Gesicht von der Hitze dunkelgrau und mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als gäbe es im ganzen Universum buchstäblich keinen schöneren Ort. Da hatten sich zwei gefunden.

„Franz?”

Der Koch drehte sich nicht zu Joro um, sondern dröhnte in seinem schweren, süddaishanischen Akzent:

„Keine Zeit für Fragen, ihr wißt alle was zu tun ist und wer das nicht weiß gehört hier nicht hin!”

„Oh, dann sollte ich vielleicht später wiederkommen”, rief der Bischof amüsiert und stellte sich mit verschränkten Armen hin.

Myelin hatte ihn erspäht und machte einen kieksenden Laut, sprang vom Hocker und kam auf ihn zugelaufen.

„Es ist der junge Bischof, Franz! Hach, Götter, wie schön, dich hier begrüßen zu können, mein Junge!”

Der Koch blieb gänzlich unberührt.

„Ihr seid natürlich willkommen Eminenz, aber Ihr werdet verstehen müssen, daß der Topf hier gerade wichtiger ist als das Schicksal der ganzen Welt. Wenn ich das nicht umrühre verdirbt Essen für zweihundert Menschen.”

Die Dunkelzwergin nahm Joro in eine Umarmung, die seine Hüftknochen quietschen ließ und sah dann zu ihm herauf.

„Ich bin ja so glücklich, dich einmal zu treffen. Nun bin ich schon seit Wochen hier aber ich habe kaum Zeit gehabt, mich um meine Position als Botschafterin zu kümmern. Das Essen ist ja so wichtig für alle.”

In der Tat hatte sie den Sitzungen im Kabinett nur sporadisch beigewohnt und war jedes Mal erstaunlich still gewesen. Alystin hatte Joro erklärt, daß Myelin sich zwar gefreut hatte, einmal von ihrem Mann fortzukommen, aber daß sie in Bezug auf Politik extrem schüchtern war und lieber nach den Sitzungen mit ihr zusammensaß und alles im Detail durchging, um dann ihre Entscheidungen zu treffen. In der Küche fühlte sie sich offensichtlich besser zu Hause. Der Bischof hatte seiner Herzallerliebsten erklärt, daß er Myelin für alles, aber nicht schüchtern hielt, aber am Ende hatte er sich mit der Erklärung zufriedengegeben.

„Keine Sorge, Majestät, ich glaube, daß Ihr hier einen diplomatischen Dienst tut, der seinesgleichen sucht. Wenn man den Leuten draußen glauben darf, halten die meisten Euch für einen Engel.”

Das dunkelgrau auf ihren Wangen wurde noch grauer und sie schaute verlegen zu Boden.

„Danke, das ist sehr freundlich”, doch dann raffte sie sich wieder auf, „und hör' bloß auf, mich „Majestät” zu nennen, du weißt wie ich heiße!”

„Was gibt es denn, das so wichtig ist?”, grölte Franz über das Krachen und Klappern von Geschirr, daß bei der Ankunft eines weiteren Trupps Totengräber, die von der Speisung herunter in die Küche gekommen war verursacht wurde.

„Ich hatte eigentlich gehofft, daß du mir mit einem linguistischen Problem helfen könntest”, schrie Joro zurück.

„Mit sowas kommst du ausgerechnet zu deinem Koch, Hochwürden?”

Joro lachte.

„Das Wort ist immernoch „Eminenz”, aber ja, ich komme damit zu meinem Koch, weil Marinus meinte, daß du vielleicht Altdaishani schreiben kannst.”

Franz hielt kurz im Rühren inne und drehte sich zu ihm um.

„Das hat er gesagt?”, sein Gesicht spiegelte Amüsiertheit wieder.

„Exakt seine Worte.”

Der Koch machte ein verschmitztes Lächeln und deutete Myelin, herüberzukommen. Dann sagte er etwas in der Duergarsprache, daß die Königin erstrahlen ließ und sie hüpfte, fast wie ein kleines Mädchen, ein sehr, sehr dickes, muskulöses kleines Mädchen, zu ihm herüber, sprang auf den Hocker und nahm das Paddel in Empfang.

Franz wischte sich nun seinerseits die Finger an der speckigen Schürze ab und ging zu einer Tafel an der Wand, auf der er eine ganze Reihe von Gerichten, inklusive deren Zutaten angeschrieben hatte. Mit einem nassen Tuch säuberte er die Hälfte der Tafel in drei kurzen Zügen und begann dann mit einem Stück Kreide in schneller Abfolge eine Reihe von Runen an die Tafel zu malen, von denen einige Joro bekannt vorkamen, eine besonders, weil sowohl Franz als auch er sie auf der Kehle trugen. „V” wie das alte Daishaniwort für „Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Ehre”.

Vierundzwanzig Zeichen, dann legte er die Kreide wieder fort, betrachtete kurz sein Werk und ging dann zufrieden grunzend zum Topf zurück, wobei er „was lernt ihr eigentlich heute noch in der Schule” vor sich hin grummelte.

Joro starrte auf die Zeichen und war für einen Moment unsicher, aber da war eins, daß sein Interesse weckte.

Der linke, offene Teil einer Raute, der zusammen mit dem hochelfischen „A” fast so aussehen würde wie das Symbol, daß ihm Ghaundar gezeigt hatte.

Er nahm die Kreide auf und zeichnete das Symbol direkt darunter.

„Franz?”

„Was denn noch?”

„Zwei Fragen hab ich noch, dann lasse ich dich in Ruhe.”

Joro war ziemlich sicher, daß das resignierte Seufzen des Kochs gespielt war, aber dennoch drehte dieser sich um und schaute ihn an.

„Erstens, was bedeutet das Zeichen da?”

„Das ist ein „c” und steht für Mond, Ernte und Monat.”

„In Ordnung. Zweitens: macht das da irgendeinen Sinn?”, er deutete auf das Symbol, daß er gemalt hatte.

Der Koch ließ kurz seinen Blick darauf hängen, dann schüttelte er den Kopf und kam wieder zur Tafel herüber. Er nahm Joro die Kreide aus der Hand und machte einen weiteren Strich, der den ersten, der das „c” mit dem „a” verband soweit verlängerte, daß die Raute nun auf einer geraden Linie und nicht an deren Ende lag. Dann wies er auf eine anderen Rune, die entfernt an eine auf der rechten Seite liegende Sechs erinnerte.

„Mit einem „o” wird daraus das Wort für blutige Ernte oder blutiger Mond, aber so wie du es ursprünglich gezeichnet hast, bedeutet es gar nichts.”

„Woher weißt du eigentlich so etwas?”

Franz grinste verschmitzt.

„Du solltest nie unterschätzen wieviel ein Koch hört und sieht, mein Bischof, nie.”

Damit war es getan, er ging zurück und löste Myelin bei Rühren ab, die trotz ihrer Oberarme, die es in einem Wettstreit bezüglich Dicke mit Joros Oberschenkeln sicherlich gewonnen hätten, ordentlich in Schweiß ausgebrochen war.

Joro verabschiedete sich knapp und ging dann, unschlüssig über den Erfolg seiner Unternehmung wieder ins obere Geschoß des Klosters.

Dort angekommen betrachtete er das Symbol und stellte sich die Frage ob es wirklich etwas zu bedeuten hatte, aber „Blutmond” oder „blutige Ernte” klang so derart bescheuert, daß es einfach zu wahrscheinlich erschien, als daß es nur ein Zufall sein konnte. Er saß eine Weile an seinem Tisch und merkte, daß es nicht half darüber weiter nachzudenken, weil seine Gedanken immer mehr ins Abwegige drifteten.

Franz hatte zumindest seinen Topf solange dem Rest der Welt überlassen, daß es ihm möglich war, vorbeizukommen und einen kleinen Happen fürs Mittagessen hinzustellen.

Als er den Bischof über seinem Tisch brütend fand, hielt er, wie es so gar nicht seine Art war, für einen Moment inne und verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Mich hat ja schon die Neugier im Griff, weshalb Ihr das vorhin wissen wolltet, Eminenz.”

Joro schrak hoch.

„Hast du mich gerade wieder mit Titel angeredet?”

„In meiner Küche bin ich der Boß, im Rest des Klosters dürft Ihr das gerne sein”, der dicke Mann grinste.

„Da danke ich aber”, Joro lächelte zurück, „aber um deiner Frage eine Antwort zu geben: ich habe Grund zur Annahme, daß es eine Gruppe in der Stadt gibt, die auf Unfrieden aus ist. Das Symbol hier kann eventuell deren Zeichen sein.”

„Ihr erlaubt?” Franz kam um den Tisch und schaute auf die diversen Versionen des Zeichens, die Joro auf die vor ihm liegenden Zettel gekritzelt hatte.

Der Koch sah es eine Weile an und meinte dann:

„Es könnte auch eine Kombination aus dem hochelfischen „A” und dem daishanischen „c” sein. Dann bleibt mir allerdings die Bedeutung verschlossen.

Joro glotzte ihn fassungslos an.

„Sag mir bitte jetzt sofort woher du Kenntnisse von alten und fremden Sprachen hast.”

„Ich war nicht immer ein Koch, Eminenz, in jungen Jahren habe ich in Tont studiert, mit besonderem Interesse an der Geschichte der einzelnen Reiche um uns herum. Allerdings kann man als Historiker nur schlecht Geld verdienen und ich habe immer eine gewisse Passion fürs Kochen besessen, also ist das dann irgendwann mein Beruf geworden.”

„Und was war das vorhin mit „was ein Koch so hört und sieht”?”

Franz lachte.

„Ich habe für Professoren gekocht, als ich mir Vorlesungen und Seminare nicht mehr leisten konnte. Meine Eltern waren ziemlich arm.”

Das verstand Joro nun halbwegs.

„Deines Wissens nach ist das Symbol aber keine historisch bekannte Sache?”

„Nein. Wenn es etwas bedeuten soll, dann muß es jemand neu geschaffen haben. Allerdings kann ich mich da natürlich auch irren, ich hab die letzten dreißig Jahre vornehmlich gekocht und nicht viel Zeit zum Lesen gehabt.”

„Ich danke dir für deine Hilfe, auch wenn ich jetzt trotzdem nicht viel mehr weiß”, der Bischof wischte sich Schweiß von der Stirn und schaute dann auf das Tablett, das neben ihm auf dem Bock stand, „Danke für das Essen, du und Myelin seid wirklich das Rückgrat dieses Klosters, wenn nicht gar der Stadt.”

Das machte den Koch verlegen.

„Ich mach' nur meine Arbeit, Eminenz. Die ruft auch schon wieder, wenn Ihr noch mehr Fragen habt, dann teilt mir das bitte mit.”

 

Franz ging und Joro beschloß, sich etwas anderes zu tun zu suchen, denn er kam so oder so nicht weiter. Für die Abendmesse war es noch zu früh, also ging er kurz durch die -neuen- Dokumente auf seinem Tisch, aber auch das brachte ihn nicht weiter, seine Konzentration war mittlerweile völlig aufgebraucht, auch wenn Celestus sei Dank der Kater auch verschwunden war. Dementsprechend genehmigte er sich auch einen kleinen Schluck Wein aus dem Krug, der bei seinem Essen stand.

Ihm kam ein Gedanke.

'Deinem Schweigen entnehme ich, daß du willst, daß ich das selbst löse, oder irre ich mich da?'

'Meinem Schweigen kannst du entnehmen, daß ich mich dazu nicht äußern will.'

'Kannst du mir zumindest die Gründe dafür sagen oder ist es einfach generell so, daß du das Thema nicht anschneiden willst?'

Celestus sagte eine Weile nichts und meinte dann nur:

'Ich werde mit dir darüber nicht reden.'

 

Noch eine Sackgasse. Dieser Tag würde vermutlich als einer von Joros unproduktivsten in die Geschichte eingehen, aber was sollte er tun.

Er seufzte, zog sich aus seinem Sessel hoch und ging in den Klosterhof, um dort beim Verteilen von Essen an die Armen zu helfen.

Myelin empfing ihn natürlich mit offenen Armen und so half er bis zum Spätnachmittag dabei, Suppe in Holzteller zu schöpfen oder benutzte zu nehmen und sie in einem großen Trog mit Wasser abzuspülen, um sie dann wieder verwenden zu können.

Wie auch schon so oft bevor hatte es einen reinigenden Effekt auf seine Seele und er fragte sich, ob er nicht hin und wieder, solange es noch ging, zu seinem nicht mehr ganz so kleinen Friedhof vor der Stadt gehen und dort das eine oder andere Begräbnis durchzuführen.

Gegen Ende des Tages fiel ihm ein alter Mann auf, der kurz nachdem er seinen Teller in Empfang genommen hatte nur wenige Meter von der Ausgabestelle stand und mit unzufriedener Miene auf sein Essen starrte. Joro wischte seine Hände an einem Tuch ab und ging dann zu ihm herüber.

„Stimmt etwas nicht?”

Der Mann blickte zu ihm auf und sah kurz forschend auf seinen Hals.

„Ihr seid der Bischof, oder?”

„Das ist richtig.”

„Was habt Ihr heute gegessen, mein Herr?”

„Nicht viel, aber es war ein wenig Brot, ein wenig Käse und ein paar Scheiben Schinken.”

Der Alte blickte wieder auf seinen Hals und verzog sein Gesicht.

„Und Gestern?”

Joro dachte kurz nach und sagte dann:

„Gegrillte Ziege. Und etwas, das die Orcs Käse nennen, das allerdings überhaupt nicht so schmeckt.”

„Mein Mitleid hält sich in Grenzen, Herr. Ich habe jetzt seit zwei Wochen praktisch nur Kohl gegessen, manchmal war eine dünne Rinderbrühe dabei, wie auf diesem Teller.”

„Die Vorräte der Stadt gehen zur Neige und besonders hier bei der Armenspeise müssen wir Essen kochen, daß sich in großen Mengen herstellen läßt und für viele reicht.”

Der alte Mann schüttelte den Kopf.

„Ich klinge sicherlich sehr undankbar wenn ich das sage, aber wenn ich sehen muß, daß nicht nur wir, die sowieso nichts haben, sondern auch der Großteil der Bevölkerung der Stadt kaum etwas zu essen hat, aber alle, die vor der Stadt ihre Lager haben essen wie die Götter und diejenigen, die stark genug sind, um sich den Truppen anzuschließen haben ebenfalls, was das Herz begehrt, dann macht mich das erst betrübt und dann wütend.”

Joro war kurz etwas am Handgelenk des Mannes aufgefallen, aber er hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Stattdessen antwortete er:

„Wir müssen dafür sorgen, daß jeder Mann und jede Frau, die sich als Soldat anschließen kann bei Kräften ist, um in drei Wochen abzumarschieren. Die Soldaten werden alle bei der Ernte helfen und wenn diese eingefahren ist, verschwindet das komplette Heer von hier.”

„Und nimmt die Ernte mit? Wie soll der Winter dann aussehen?”

Die Frage hatte der Bischof schon erwartet und er hatte sich an etwas erinnert, daß Olgerich in einem der Kabinettsgespräche kurz angerissen hatte.

„Fürst Olgerich wird nicht mit dem Heer mitmarschieren und wir lassen genug Geld hier in der Stadt, um die Bevölkerung über den Winter zu bringen, den größten Teil wird das Kloster bezahlen, denn das Gold, das hier gelagert ist, ist das Gold der Gläubigen.”

Der Mann schielte zu ihm hoch, wieder kurz die Rune beäugend, und sagte dann:

„Das sind Versprechungen, aber ich kann Euch sagen, daß es eine ganze Menge Menschen in der Stadt gibt, die mit der Lage unzufrieden sind und vor dem Winter Angst haben und es werden täglich mehr.”

„Ich bin ein Daishani und stehe zu meinem Wort, mein Herr. Wenn ich dir sage, daß ich bereits einen Großteil dessen, was das Kloster an Geld hat dem Fürsten zur Verfügung gestellt habe, dann kannst du dich offensichtlich darauf verlassen.”

Der Alte seufzte und sah wieder betrübt auf seinen Teller.

„Euer Wort in Celestus' Ohr, Bischof, aber Unzufriedenheit und Angst machen Menschen manchmal zu schlimmeren Wesen als so manches Tier. Das Resultat ist meistens Blutvergießen und wer weiß, vielleicht werden wir eine sehr blutige Ernte erleben.”

Joro stand still und starr als hätte ihn ein Blitz getroffen. Er war kurz davor, den Mann zu fragen, was er eben gesagt hatte, aber dann kam ihm der Geistesblitz, daß das keine gute Idee war. Stattdessen blickte er zum Klostertor, um aus dem Augenwinkel noch einmal auf das Handgelenk zu schielen, auf dem er etwas gesehen hatte. Das Symbol war eindeutig und er schluckte unvermittelt.

„Meinst du, daß es zu Ausschreitungen kommen könnte?”

Der Mann zuckte mit den Achseln.

„Ich kann es Euch nicht sagen, mein Herr. Aber ich glaube, daß sich dringend etwas ändern muß und zwar schnell, oder es wird eine Katastrophe geben. Ich hoffe, daß Ihr das als Warnung annehmen könnt.”

 

 

 

 

[Vorläufiges Ende. Bald kommt mehr!!!!]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 10.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mir selbst, weiel: Ich hab das nämlich geschrieben. Und allen, die es mögen sowieso, weiel: ohne euch wäre es recht sinnfrei es weiterzuschreiben!

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