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Prolog � Erinnerungen an Daishan

�Der große Westkontinent ist ein Ort mit kleineren Staaten im Norden und zwei größeren Reichen, nämlich einem Kaiserreich der Menschen, dessen ursprünglicher Name �Hanlar� unter der Regentschaft der Gottkaisers Perin später in �Perinor� geändert wurde, und dem Reich der goldenen Sonne, dem vermutlich größten, zusammenhängenden Gebiet unserer Welt, das von Hochelfen besiedelt und regiert wird.
Daishan hingegen ist eins der kleineren Reiche im Norden und nicht nur der Ort meiner Geburt, sondern auch das Land auf unserem Kontinent, das ich ohne zu zögern �Heimat� nennen würde.
Daishan grenzt im Norden an das ewige Eis und ist im Süden von Wäldern durchzogen, während im Norden die mächtigen Berge des Weltengebirges in den Himmel ragen. Dort gibt es einen Sommer, in dem die Sonne nachts nicht untergeht und einen Winter, in dem sie am Tage kaum aufgeht, genaugenommen tut sie das im Winter nur in den weit im Süden liegenden Regionen Daishans.
Den Bewohnern Daishans sagt man nach, daß sie ein bißchen seltsam sind. Sie haben eine sehr schweigsame Art, und wenn sie doch einmal etwas sagen, dann machen sich die Leute aus anderen Regionen gerne über ihren Akzent lustig.
Was ein Daishani sagt, hat jedoch Gewicht. Mit zwei Jahren bekommt jeder von uns eine Rune unter dem Kehlkopf eingebrannt, die ihn unfähig macht, bewußt die Unwahrheit zu sagen. Tut er das doch, beginnt sie zu glühen, was derartige Schmerzen verursacht, daß es kaum möglich ist, sie zu verheimlichen.
Ich muß hoffentlich nicht erwähnen, daß die ersten Male, die man als Kind lügt, eine sehr stark erzieherische Wirkung nach sich ziehen..
Daishan selbst wird von einem Ältestenrat regiert, der sich zweimal im Jahr trifft, um Entscheidungen, die anstehen, zu treffen. Diese Ältesten sind im Regelfall die Oberhäupter der größeren Städte des Landes, es sind aber auch einige Stammesälteste der Nomaden der nördlichen Regionen darunter.

In den bewaldeten Ebenen meiner Heimat stand das Gehöft meines Vaters. Er war der Sohn eines Gelehrten, der sich im Alter in Daishan niederließ, um eine Rinderzucht aufzubauen. Als mein Vater erwachsen wurde, überließ ihm mein Großvater den Hof, damit er sich wieder dem Studium der Natur und der Menschen widmen konnte.
Ich war das neunte Kind meiner Eltern und auch das letzte, das sie bekamen. Sowohl Vater als auch Mutter hatten die Vierzig schon hinter sich gebracht und die beiden waren sich einig, das neun Kinder in ihrem Alter genug waren.
Unser Hof war groß. Nicht nur für Daishan selbst, sondern auch nach generellen Maßstäben. Auf ihm gab es sechzig Zuchtrinder, die allen Familienmitgliedern viel Arbeit abverlangten. Dennoch, die Größe der Zucht führte zu relativem Reichtum, sodaß mein Vater sich sogar einige Knechte leisten konnte, die aber, nach daishanischer Sitte, praktisch wie Familienmitglieder behandelt wurden.
Ich hatte eine ziemlich geborgene Kindheit und genoß die Gelehrsamkeit meines Großvaters in vollen Zügen. Er brachte mir vieles bei, was mir in meinem späteren Leben sehr von Nutzem war.
Eigentlich gehe ich heute die Pfade, die er damals, lange bevor er sich niederließ, gegangen ist. Bis dahin war es aber leider ein weiter und an vielen Stellen sehr steiniger Weg.

Als ich achtzehn Jahre alt war, geschah das große Unglück. Der Drowkönig Welverin, angetrieben von einigem Wahnsinn, hatte sich schon Jahrhunderte davor entschlossen, allen Bewohnern der Oberwelt den Garaus zu machen.
Die Drow sind eine Realität in Daishan. Kein anderes der Nordländer beherbergt unter der Erde eine größere Anzahl von Siedlungen dieses Volkes, als unseres. Allein an den Südrändern der nördlichen Bergen gibt es elf ihrer Königreiche oder Stadtstaaten (je nach Religion), im Süden gab es neben ein paar kleineren Städten noch das relativ große Reich des Welverin.
Der Krieg zwischen Welverins Truppen und den Daishani hatte bereits Generationen gedauert und war an seinem Ende durch eine Genozidoffensive geprägt, die nur durch sein gewaltsames Ende gestoppt worden war. Nach seinem Tode hatten die Drow seines Reiches damit begonnen, als Horden von Marodeuren auf der Oberfläche herumzustreifen und dort Chaos und Verwüstung anzurichten. Die Gründe dafür bleiben mir bis heute verschlossen.

Als ich also achtzehn war, wurde ich selber Opfer dieses sinnlosen Krieges. An einem Abend nach einem Tag schwerster Arbeit schlief ich einfach erschöpft auf einer unserer vielen Weiden in einem Unterstand ein. Das rettete mir das Leben.
Während ich schlief, stürmte eine riesige Menge Drow unseren Hof, töteten meine Eltern und Geschwister, alle Mägde und Knechte und brannten dann alles nieder. Die Rinder, die sie fanden, erschlugen sie und ließen sie liegen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich schon von ferne den Rauch aufsteigen und eilte sofort in Panik dorthin.

Ich fand nichts mehr, nicht einmal Leichen. Es war nur ein einziger Haufen schwelender Trümmer.

Die nächsten sechs Monate verbrachte ich damit, durch Daishan zu reisen und mich als Tagelöhner zu verdingen. Dabei stolperte ich eigentlich nur von Ort zu Ort, ohne je zu verwinden, was mir geschehen war. Vielen anderen aus meiner Generation ging es ähnlich.

Und dann� Ja dann kam der Tag, an dem sich alles änderte. Mitten im Wald, irgendwo zwischen Bargum und dem Nirgendwo.�


Joro Macun, Fossor Magnus Mortui, Im Jahre 743 nach dem großen Krieg.


1. Kapitel

Der Bolzen kam lautlos. Ein roter Blitz durchzog Joros Blickfeld und seine Kräfte schwanden in Windeseile. Während der Horizont plötzlich auf die Seite kippte und er zu Boden fiel, konnte er vier schwarzhäutige Gestalten sehen, die auf ihn zukamen und betrachteten, was mit ihm geschah, dann wurde alles schwarz und Stille umfaßte ihn.

Ein plötzlicher, stechender Schmerz in seiner Brust brachte ihn wieder zum Atmen, und als er Luft einsog, brannte es wie Feuer in seinen Lungen. Joro schlug die Augen wieder auf und das Licht und seine Umgebung prallten in unglaublicher Härte in sein Gehirn, obwohl alles grau und verschleiert wirkte. Instinktiv faßte er sich an die Stelle, wo ihn der Bolzen getroffen hatte.
Dieser hatte seinen Brustkorb offensichtlich durchschlagen, denn es klaffte dort ein handtellergroßes Loch, aus dessen Rändern Blut seinen Torso herunterlief. Verwirrt und mit wachsender Panik sah er sich um. Hatten ihn die Drow wiederbelebt und zu einem ihrer toten Sklaven gemacht?
Eine ruhige Stimme erscholl neben ihm.
�Fürchte dich nicht, mein Sohn.�
Joro schaute, immernoch in Panik, nach rechts und sah auf einem Stein einen Mann sitzen. Sein Körper schien komplett aus Dunkelheit zu bestehen, Schwaden von Schatten waberten um ihn herum.
Joro sah auf und blickte in das Gesicht der Gestalt, das keine Konturen aufwies und auch nur aus völliger Schwärze bestand.
�B-bin ich tot?�
�Ich fürchte ja��
�Oh�� Eigentlich war es seltsam, wie nüchtern er das wegsteckte.
�Aber du bist noch nicht im Jenseits, mein Sohn, noch nicht. Es besteht die Möglichkeit, dich wieder in die Welt der Lebenden zu bringen, wenn es dein Wunsch ist.�
Das verwirrte Joro nun endgültig. Vom Unglauben, mit einem handbreiten Loch in der Brust dazusitzen, bis hin zum Zweifel, ob diese Situation wirklich real war, tobten ihm tausend Gedanken durch den Kopf.
Der dunkle Mann fuhr fort, zu sprechen.
�Ich ahne, daß das alles ein bißchen viel für dich sein muß. Aber dies sind der rechte Zeitpunkt und der rechte Ort.�
�Es ist schon ein wenig zynisch zu behaupten, dies hier sei ein �rechter Zeitpunkt�, vor allem in Anbetracht der Tatsache, daß man mich gerade ermordet hat! Wer bist du überhaupt?�
Der Dunkle schien zu schmunzeln.
�Sei beruhigt, ich habe nichts Böses mit dir vor. Ich bin Celestus, der Gott der Toten. Der Grund, weshalb ich hier bin ist, daß ich möchte, daß du mir dienst. Wenn du einwilligst, will ich dich dafür reich belohnen.�
Joros Verwirrung machte das zwar keinen Deut besser, aber sein Interesse wurde geweckt.
�Du willst, daß ich einer deiner Priester werde, sehe ich das richtig? Ich, ein Toter?�
�Viele meiner Priester waren bereits einmal tot. Aber du, du wirst etwas Besonderes werden.�
�Inwiefern?�
�Der dir bestimmte Weg wird anders sein, als der meiner anderen Jünger.�
Joro überlegte. Sterben � also richtig � wollte er nicht. Also hatte er keine Wahl.
�Was�was genau muß ich denn für dich tun?�
Sein Gegenüber lachte leise.
�Das wird sich dir mit der Zeit alles erschließen, mein Sohn. Aber ich sehe dir an, daß dir am Tod nicht viel liegt, also gehe ich davon aus, daß zustimmen wirst, den Platz an meiner Seite einzunehmen?�
Die Frage stellte sich für Joro nicht. Er hätte jede Alternative dem Sterben bevorzugt.
�Ja!�
Plötzlich begann die riesige Wunde in seiner Brust sich zu schließen und die letzte Kälte wich von ihm. Die Farben und Lichter um ihn herum nahmen wieder an Intensität zu und er fühlte sich stark genug, wieder aufzustehen.
Noch wacklig auf den Beinen sah er sich instinktiv nach den Drow um, die ihn getötet hatten � oder zumindest versucht hatten, ihn zu töten.
Celestus hob die Hand.
�Halt! Ich weiß, daß es der menschlichen Natur entspricht, Rache üben zu wollen, aber das ist jetzt nicht mehr deine Aufgabe.�
Joro hielt inne und starrte den Gott ungläubig an.
�Soll das heißen, daß ich es hinnehmen muß, daß sie mich eiskalt ermorden wollten?�
�Es ist nicht die Rede vom Hinnehmen, sondern du solltest dir die Frage stellen, ob du jetzt und hier etwas tun kannst. Wenn du kurz nachdenkst, wirst du schnell merken, daß du mit sinnloser Gewalt nicht weiterkommen wirst und diese niederen Gefühle müssen für dich ab jetzt auch Vergangenheit sein, ich brauche dich als Priester und nicht als Racheengel.�
Celestus stand auf.
�Ich werde dich an einen Ort leiten, an dem du lernen wirst, was es heißt, mir zu dienen.�
Der dunkle Mann verschwand und Joro stand alleine im Wald. Dort wo der Gott eben noch gesessen hatte, lag ein Bündel. Vorsichtig ging er darauf zu.
Auf dem Stein lag eine Maske, darunter etwas, was wie eine schwarze Kutte aussah. Joro nahm die Maske mit einem prüfenden Blick hoch. Bis auf zwei senkrechte Atemschlitze und zwei rechteckige, horizontale Augenausschnitte war sie geschlossen.
Eine Stimme erscholl in seinem Kopf.
�Setze sie des Nachts auf, um dein Gesicht vor der Dunkelheit zu verbergen. Das Dunkel der Nacht ist mir heilig.�
Joro nahm das zur Kenntnis.
Die pechschwarze Kutte war schlicht und gerade geschnitten und passte wie angegossen. Sie hatte einen handbreiten Gürtel aus scharlachroten Stoff, auf dem in etwas dunklerem Rotton kleine Sicheln aufgestickt waren.
Sie paßte wie angegossen und mit dem Gürtel sah die Aufmachung auch noch einigermaßen gut aus, wie Joro innerlich zugab.
Es lag noch etwas auf dem Stein, das er nicht gesehen hatte. Es war ein Hammer, etwa armlang, der genau wie Celestus selbst Schwaden von Dunkelheit absonderte und aus einem Metall zu bestehen schien, das auch noch das kleinste Bißchen Licht zu absorbieren schien. Das schwärzeste Schwarz.
Vorsichtig hob Joro ihn an und bemerkte, daß er erstaunlich leicht war, zumindest was seine Größe anging. Die Waffe lag gut in der Hand und er schwang ihn ein paar Male zur Probe hin und her, dann steckte er ihn zufrieden in eine Schlaufe im Gürtel der Robe, die scheinbar dafür vorgesehen war.
Nun stand er da, allein im Wald, Maske und Hammer am Gürtel und in eine schicke, schwarze Kutte gekleidet. Was nun?
Die Entscheidung wurde ihm von höherer Instanz abgenommen, denn plötzlich ertönte in der Nähe Kampfeslärm. Joro zögerte nicht lange und sprintete los. Schon von Ferne hörte er einige Männerstimmen laut brüllen und das Klirren von Schwertern und dumpfe Schläge auf Schilde begleiteten dieses.
Eine kleine Gruppe von Menschen kämpfte gegen drei Dunkelelfen, von denen einer bereits schwer verletzt am Boden lag und sich die Seite hielt.
Joro setzte die Maske auf, da er sich damit irgendwie sicherer fühlte, zog den Hammer aus dem Gürtel und ging schnellen Schrittes auf den Kampfschauplatz zu. Als er das Geschehen schließlich erreichte, fiel gerade der letzte Drow zu Boden. Der Anführer der Menschen sah in seine Richtung, hob erst seine Waffe, ließ sie dann aber wieder sinken.
�Puh, gut, ein Totengräber.�
�Wer, ich?�
�Ja, Eminenz, Ihr seid doch ein Totengräber, oder etwa nicht?�
Joro war verwirrt, denn ihm fiel spontan auf, daß er nichts über die Celestusreligion wußte, auch wenn sie in seiner Heimat offenbar durchaus bekannt war. Er nickte einfach, in der Hoffnung, daß es richtig war.
�Warte es ab, du wirst schon noch alles lernen, was du wissen mußt�, sagte die Stimme in seinem Kopf.
Der Anführer erhob erneut die Stimme, in der Unsicherheit mitschwang.
�Seid also gegrüßt, Eminenz, ich nehme an, daß Ihr nun für die Toten beten wollt?�
Da Joro Grund zu der Annahme hatte, daß das seine Sinn und Zweck seiner neuen Berufung war, machte er eine zustimmende Geste und ging dann wortlos zu den Leichen der Gefallenen und senkte seinen Kopf.
Die Stimme in seinem Kopf lachte.
�Ich wette, daß du keine Ahnung hast, was du sagen sollst, oder?�
�Das macht dir Spaß, nicht wahr?�, dachte Joro.
Celestus kicherte.
�Ein Bißchen� Bitte mich einfach, die Toten ins Jenseits zu geleiten.�
�Äh, na gut.� Joro tat das.
Dabei bemerkte er, daß.einer der Drow, die tot vor ihm lagen, noch atmete.. Das war auch offenbar dem Anführer der Menschen nicht entgangen, denn er lief mit einem Male sehr schnell auf ihn zu.
�Vorsicht, Eminenz!�
�NEIN!� Celestus� Stimme hatte einen Klang, der absolut keinen Widerspruch zuließ.
Joro hob die Hand.
�Halt! Töte ihn nicht!�
�Wie bitte?!�, der Mann sah ihn fassungslos an und ließ sein Schwert nur sehr langsam sinken.
�Der Herr befiehlt es��
�Celestus selbst?�
�In der Tat, tretet zurück!�
�Was soll ich tun�, fragte er in Gedanken.
�Lege deine Hände auf seine Wunden und bitte mich, sie zu schließen.�
Mit Erschrecken sah er, daß seine Hände begannen, Dunkelheit abzusondern, die in die Wunden kroch und sie dazu brachte, sich zu schließen.
�Warum tut Ihr das, Eminenz?�, der Mann hinter ihm schien völlig außer sich.
Die Frage war nicht ganz dumm, am Liebsten hätte er dem Drow selbst die Kehle zugedrückt oder ein Schwert in den Bauch gerammt, anstatt ihn zu heilen, aber er konnte nicht umhin, dem Gott, der gerade erst sein Leben gerettet hatte, zu gehorchen.
�Wie ich bereits sagte, Celestus hat es befohlen und wir wollen ihm doch gehorchen, oder?
�S�sicher��, es was nicht schwer zu sehen, daß der Mann einen inneren Konflikt ausfocht, �heißt das, daß Celestus zu Euch spricht?�
�Das tut er in der Tat.�
Diese Aussage war beeindruckend genug für Joro selbst, aber den Soldat mußte sich noch stärker beeinflussen, denn seine Körperhaltung wandelte sich von seiner Angriffsbereitschaft schlagartig zu einer demütigen. Fast kleinlaut fragte er: �Erlaubt Ihr, daß wir die Toten begraben?�
Joro nickte. Das ging wohl in Ordnung, denn Celestus wandte nichts ein.
Der Drow kam wieder zu sich und sah ungläubig zu ihm hoch.
�Wie heißt du?�, fragte Joro.
Es schien fast so, als überlegte der Dunkelelf kurz, ob er überhaupt antworten sollte, dann sagte er mit leiser Stimme: �Ghaundar.� Dann sah er ihn ziemlich lange an und schien dabei auf etwas zu lauschen.
�Du hast keine Ahnung, warum du mich heilen solltest, oder?�
Joro war baff. Irgendwie erschien es ihm, als verlaufe sein Leben plötzlich in sehr ungewöhnlichen, aber von außen streng festgelegten Bahnen�
Ghaundar lächelte.
�Du mußt nicht antworten. Ich danke dir für meine Rettung.� Der Drow sprang auf und verschwand in den Wald.
Der Anführer der Menschen kam herbeigeeilt.
�Hat er Euch etwas angetan?�
�Nein.�
Der Mann kratzte sich am Kinn und sah Joro nachdenklich an.
�Die Wege des Celestus sind seltsam� Wie konnte er die Heilung eines Feindes befehlen?�
Darauf wußte Joro keine Antwort, weshalb er einfach nur mit den Schultern zuckte.
�Mein Name ist Pentos, ich bin Hauptmann in der Händlergilde von Bargum. Ich nehme an, Ihr wart auf dem Weg ins Kloster?�
�Um ehrlich zu sein, ich bin erst vor einer Stunde zum Priester berufen worden, mein Name ist Joro. Joro Macun.�
Pentos musterte ihn und sagte dann mit einem Lächeln:
�Dann werdet Ihr euch freuen, daß wir uns ganz in der Nähe der Hauptstadt des Celestuskultes befinden, immerhin ist das Kloster von Bargum die wichtigste Kultstätte Eures Gottes. Wollt Ihr mir folgen? Ich werde Euch sicher in die Stadt geleiten.
�Hm, ja, ich denke, daß wäre eine gute Idee.�
Unsicher folgte Joro der sich in Bewegung setzenden Menschengruppe.

Bargum war eine überraschend saubere Stadt, zudem konnte er schon von Weitem ein geradezu gigantisches Kloster erinnern, das auf einem Hügel am Rande der Stadtmauer thronte.
Die Stimme in seinem Kopf schnaubte verärgert.
�Das hier war einmal das Zentrum meiner Kirche. Kein einziges Kloster dieser Größe haben sie mir jemals wieder gebaut.�
�Was genau meinst du mit �war�? Ist es das heute nicht mehr?�
�Nein��
�Sondern?�
�Es ist nur noch ein Gebäude, dessen eigentlicher Sinn verschwunden ist.�
�Inwiefern?�
�Ich bin ein Gott der Bauern geworden. Nur noch die Totengräber auf dem Land glauben noch wirklich an mich, aber aus den Herzen der Menschen bin ich schon lange verschwunden, es sei denn, sie hätten einen Todesfall in der Familie.�
Das erklärte, warum Joro selbst noch niemals vom Kult des Celestus, geschweigedenn seiner Kirche gehört hatte. Aber er hatte einen Geistesblitz.
�Könnte es sein, daß du gesagt hast, daß ich etwas Besonderes sein soll, weil du etwas an dieser Situation ändern möchtest?�
Celestus schwieg eine Weile.
�Auf gewisse Art und Weise. Weißt du, ich bin immer der Ansicht gewesen, daß sich Götter nicht direkt in das Leben der Sterblichen einmischen sollten, immerhin habe ich meine Existenz einmal selbst als Mensch begonnen. Und da kommst du ins Spiel.�
Joro war überrascht.
�Du bist aszendiert?�
�Ja, das ist schon einige Jahrhunderte her� Moment. Woher kennt ein Bauernjunge das Wort �aszendiert�?�
Joro überging das. Er hatte Legenden gehört, vornehmlich von seinem Großvater, der schon vor Jahren gestorben war. Darin hatte dieser ihm erzählt, daß ein Mensch unter gewissen Umständen, so sich genug Leute fänden, die glaubten, daß er die Macht dazu habe, gewisse Dinge zu tun, noch zu Lebzeiten oder nach seinem Tode in den Rang der Götter aufsteigen konnte. Aber Legenden waren eben Legenden, oder?
Celestus mischte sich in seine Gedanken ein.
�Legenden haben immer einen wahren Kern, Joro. Ich war ein einfacher Mann, der unter widrigen Umständen zum Totengräber seines Dorfes wurde. Schon damals bestand diese Welt nur aus Leid und Kriegen und ich bekam in jenen Jahren mehr und mehr zu tun. Krankheiten, Überfälle� die ganze Palette. Irgendwie kam es dazu, daß auch die Menschen aus den Nachbardörfern zu mir kamen, um ihre Toten von mir unter die Erde bringen zu lassen, es mußte sich wohl herumgesprochen haben, daß ich das besonders gut konnte� Obwohl ich immernoch eher glaube, daß es bloß niemand anders machen wollte.�
Joro war zugegeben erstaunt, daß er dastand und sich die Lebensgeschichte eines höheren Wesens anhörte. Er nahm jedoch an, daß Celestus seinen Grund dafür hatte, ihm diese Dinge zu erzählen.
�Langweile ich dich?�, fragte Celestus höflich.
�Nein, verzeih mir. Aber ich frage mich, worauf du hinaus willst.�
�Vielleicht solltest du dann weniger nachdenken und mehr zuhören. Also. Eines Tages war ich plötzlich tot. Ich weiß leider nicht mehr, wie es geschehen ist, aber von einem Moment auf den nächsten war ich auf einmal von völliger Finsternis umgeben. Und ich hörte Stimmen, von überall her, tausende. Ich konzentrierte mich auf diese Stimmen, versuchte sie zu verstehen und mit einem Mal fand ich mich über der Welt schwebend wieder.�
Joro verstand auf einmal alles. Weil sich Celestus� Ruf über eine große Fläche and Land verbreitet hatte, wurde sein Name immer wieder in Verbindung mit dem Begraben genannt, vielleicht war er sogar sprichwörtlich geworden. So hatte er sich ungewollt eine Funktion als Schutzpatron der Verstorbenen erlangt. Der Rest war klar.
�Du bist wirklich nicht gerade dumm für den Sohn eines Bauern, Joro.�
�War es so?�
�Ja, ich nehme an, daß es genauso so vor sich ging. Ich begann also, mich um die Seelen der Toten zu kümmern und so setzte es sich immer weiter fort.�
�Und heute bist du der Gott der Totengräber. Ich frage mich, ob so etwas wohl mit allen bedeutenden Menschen passiert.�
Celestus klang unentschlossen.
�Ich glaube eher, daß so etwas nur sehr selten und unter sehr besonderen Umständen geschieht. Aber ich bin fern davon, mich zu beklagen, das kannst du mir glauben.� Er kicherte.
�Du sagtest vorhin, daß du der Ansicht seiest, daß sich Götter nicht in das Leben der Sterblichen einmischen sollten, aber genau das hast du doch getan oder?�
�Ach ja. Nun ja, ich habe niemals selbst an einen Gott geglaubt. Dementsprechend habe ich mich trotz der Tatsache, daß ich selber einer wurde nicht von dem Standpunkt gelöst, daß ich der Meinung bin, daß Götter sich aus den Belangen der Menschen heraushalten sollten, es sei denn die Menschen wünschen das. In erster Linie sollen sie doch für sich selbst sorgen.�
Joro war sich nicht ganz sicher, wie das mit seiner Situation zu vereinbaren war.
�Dann ist es jetzt aber seltsam, daß ich darauf warten muß, daß du mir sagst was ich tun soll. Oder daß du überhaupt von mir wolltest, daß ich einer deiner Priester werde.�
�Du hast nicht ganz unrecht, mein Sohn. Aber es ist alles etwas komplizierter, als ich es dir sinnvoll erklären könnte. Vielmehr wirst du für eine geraume Zeit darauf vertrauen müssen, daß ich es gut mit dir meine und du mir gehorchen mußt. Für den Moment erteile ich dir den Auftrag, hier einen Friedhof zu errichten.�
�Äh, habe die hier nicht schon einen? Immerhin steht hier doch auch das riesige Kloster und� moment! Genau darum geht es, oder?�
�Du hast eine herrliche Begabung, das Offensichtliche festzustellen, Joro.� Celestus lachte laut. �Gehe zum Stadttor und suche nach einem Ork, einem kleinen, dicken solchen. Der wird dir das geben, was du brauchst.�
�Ausgerechnet ein Ork?�
�Ist daran etwas auszusetzen?�
Genau, war daran etwas auszusetzen?
�Äh, ich denke nicht� Joro kratzte sich am Kopf.
�Gut, dann sind wir uns ja einig.�
Die Gruppe hatte das Stadttor erreicht. Joro unterrichtete Pentos davon, daß er dort bleiben müsse und dieser verabschiedete sich von ihm.
Nun stand er da wie die Ölgötzen und wartete. Kurz bevor er soweit war, wieder zu gehen, stand plötzlich ein Ork vor ihm, in der Tat ein kleiner und sehr, sehr dicker.
�Du Joro?�
�Äh ja� du bist der Ork?�
�Genau! Du nehmen, hier!�
Der grüne, dicke und ausgesprochen unangenehm riechende Humanoide reichte ihm eine verschmutzte Pranke mit einem noch schmutzigeren Fetzen Pergament entgegen. Die Zeichen darauf waren beim besten Willen nicht zu erkennen.
�Mein Hof. Ich gehen zurück hause. Dunkler Mann gesagt du brauchen jetzt. Lebwohl�,er wandte sich zum Gehen.
�Moment mal, wo ist denn dein Hof überhaupt?�
�Da hinten auf Hügel. Mann gesagt ich putzen und leerräumen, also ich getan. Waren sehr streng mit mir��, der Ork kratzte verlegen mit dem Fuß auf dem Boden
�Oh, gut, danke.�
Während der Grünhäutige sich endgültig vom Acker machte, sah Joro in Richtung des Hügels und konnte eine kleine Steinhütte darauf erkennen. Er seufzte und machte sich auf den Weg.


Kapitel 2

Der Hof war dreckig. Wenn der Ork tatsächlich geputzt hatte, wollte er nicht wissen, wie es hier vorher ausgesehen hatte. Oder vielleicht hatten Orks schlichtweg eine andere Auffassung davon, was Putzen bedeutete, in jedem Fall konnte sich Joro beim besten Willen nicht vorstellen, wie das Gehöft vor der �Säuberung� durch den kleinen Grünhäuter ausgesehen hatte, aber das wollte er auch gar nicht. Es war sowieso nicht der Zeitpunkt, sich mit derartigen Gedanken aufzuhalten, er hatte immerhin eine Aufgabe zu erfüllen. Also krempelte er seine Ärmel hoch und machte sich seufzend daran, alles richtig zu reinigen.

Etwa drei Wochen lang arbeitete Joro hart an der Errichtung dessen, was er für einen schönen Friedhof hielt. Celestus selbst hielt sich vornehm zurück, wenn der junge Mann ihn fragte, was denn nun rein formell betrachtet alles dort sein mußte und was verboten war. Stattdessen hatte Joro freie Hand und nutzte das auch. Er hatte viele Ideen, was alles zu machen sei und setzte diese auch um. Finanziell wäre das nicht zu machen gewesen, denn immerhin brauchte er Baumaterial für Reparaturen am Haus und vor allem, um einen völlig neuen Zaun um das Gelände zu ziehen, der alte war dermaßen verdreckt und verrottet, daß er nicht zu retten war.
Aber zu Joros Erstaunen kamen immer wieder Bürger vorbei, die ihm kleinere Geldmengen zusteckten, wodurch er in die Lage versetzt wurde, Händlern, die seinen Hof auf dem Weg in die Stadt passierten, etwas abzukaufen.
Eines Tages aber näherte sich ein Mann in einer schwarzen Robe dem Gnadenacker. Von dem dreckigen kleinen Bauernhof - Joro vermutete, daß der Ork dort Schweine gezüchtet hatte, aber er fand es nie wirklich heraus, weil die Krusten an allen Wänden grauenhaft alt und hart waren - war nichts mehr geblieben. Ein sauber gezogener schwarzer Holzzaun umspannte das Gelände, die Steinhütte war an der Außenmauer mit der roten Sichel des Celestus verziert und die vierzehn Gräber, die der Hof mittlerweile beherbergte, waren ordentlich errichtet und sauber gehalten in einer geraden Reihe angeordnet.
Als der Mann näher kam, sah er einen dicklichen Mann mit langen Haaren, der in einer leicht verschmutzten schwarzen Robe vor der Hütte stand und Wasser aus dem Brunnen schöpfte, der auf dem Vorplatz der Behausung stand.
�Seid Ihr Joro Macun, der Priester?�
Joro wandte sich zu ihm um. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.
�Ja, der bin ich, wie kann ich euch helfen?� �Mein Name ist Justin, ich bin der Ordinarius des Oberhauptes der Celestuskirche, dem Bischof von Bargum.�
Joro lächelte.
�Na, was für eine Überraschung, ich habe bereits erwartet, daß eines Tages einer von euch zu mir kommt. Tretet ein!� Er wies auf die Tür der Hütte.
�Ich bin nicht hier, um mit Euch zu plaudern, Macun. Der Bischof wünscht Euch sofort zu sehen und er ist nicht gerade fröhlich gestimmt!�
Joro schwieg und lauschte nach Celestus� Stimme, aber dieser meldete sich nicht, also war es wohl an ihm, eine Entscheidung zu fällen.
�Nein. Nein, ich fürchte, daß ich dem nicht nachkommen kann, werter Justin. Der Friedhof geht vor und ich glaube, daß es im Sinne unseres Herren ist, daß ich zuerst mein Tagewerk verrichten soll bevor ich etwas Anderes tue. Aber vielleicht wollt ihr mir ja helfen, dann könnte ich eher zum Bischof gehen��
Der Ordinarius war sichtlich empört.
�Was glaubt ihr eigentlich� Ihr versteht scheinbar nicht, was ich Euch sage��
�Doch, ich verstehe Euch völlig. Aber ich muß leider darauf bestehen, daß ich zunächst meine Arbeit zu Ende führe. Der Bischof muß also wohl oder übel warten.�
Es wunderte Joro überhaupt nicht, daß der Bürokrat vor ihm entrüstet schnaubte und dann herumfuhr und sich bereit machte zu gehen. Noch während dieser losstapfte, preßte er ein �Das wirst du noch bereuen, Bauer� hervor.
�Vielleicht sehe ich den Sinn meines Amtes ein wenig anders als euer Bischof, Justin. Ich habe hier eine Verantwortung und werde dieser uneingeschränkt nachkommen, egal was ihr mir für Befehle gebt. Wenn der Bischof unbedingt mit mir reden will, soll er doch vorbeikommen!�, rief er ihm hinterher.
Der Ordinarius schnaubte erneut, sagte aber nichts mehr und eilte nur davon.

Zwei weitere Monate lang geschah nichts, während Joro täglich seiner Arbeit nachging und einigen Zulauf hatte. Die Menschen der Stadt waren schnell von seiner Arbeit überzeugt geworden und fanden in ihm nicht nur einen Totengräber sondern auch eine Person, die sich für ihre Trauer interessierte und ihnen praktische Seelsorge anbot, es lag ihm einfach im Blut. So hatte er innerhalb kürzester Zeit Dutzende neuer �Kunden� bekommen, die auch noch Wochen nach dem Begräbnis täglich zu ihm kamen, um mit ihm Neuigkeiten auszutauschen, oder einfach nur, um die Gräber ihrer Verblichenen zu besuchen und hinterher ein wenig Zuspruch zu erhalten.
Dabei stellte sich der Platz für den Gnadenacker als ausgesprochen gut gewählt heraus. Hier ging nicht nur die wichtigste Handelsstraße der Stadt entlang, sondern auch eine wichtige Route für die Handwerker Bargums, die zu einem Großteil Waldarbeiter, Köhler und Zimmerleute waren. Auf diese Weise konnte er sich sicher sein, nicht übersehen zu werden.

Als er nun eines Morgens erwacht war, mittlerweile war es schon fast Frühling, und sich gerade angezogen hatte, hörte er draußen mit einem Mal einigen Lärm. Er wunderte sich, denn es war noch sehr früh, die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, aber draußen vor seiner Hütte war lautes Stimmengewirr zu hören.
Seit dem unrühmlichen Besuch Justins war seitens des Klosters über der Stadt nichts mehr geschehen, fast als hätten seine Worte sie dazu bewegt, ihn zu ignorieren.
Der Winter war zwar schon fast vorbei, aber Joro hatte trotzdem nach wie vor mehr mit Bodenfrost und Eiszapfen am Zaun zu kämpfen müssen, als daß er Zeit gehabt hätte, sich um die Belange eines ominösen Bischofs hätte zu kümmern. Stattdessen hatte er Tag um Tag damit verbracht, Gräber in den steinhart gefrorenen Boden zu schlagen, was durch die Unmasse an Findlingen im Boden nicht gerade begünstigt worden war.
Jetzt waren schon 49 Gräber belegt und er hatte zusehends Probleme, die alltäglichen Arbeiten alleine zu erledigen. Zudem war es immernoch fast den ganzen Tag dunkel, die Frühlingssonnwende kam zwar näher, aber hier im Norden bedeutete das, daß die Tage trotzdem höchstens sechs Stunden Tageslicht aufwiesen.
Was nun den Lärm anging � irgendwie wußte er instinktiv, daß es etwas mit dem Bischof zu tun haben mußte. Er setzte seine Maske auf und trat vor die Tür.

Draußen standen gut ein Dutzend Soldaten in pechschwarzer Rüstung, auf deren Harnischen und Schilden die rote Sichel Celestus� prangte. Sie umringten einen Schlitten, auf dem ein unglaublich fetter, hässlicher Mann in einer schwarzen Kutte mit goldverbrämten Säumen saß. Umso erstaunlicher war allerdings, daß der Friedhof von einer Unmenge an Menschen umringt war, es mußte fast die halbe Stadt sein. Viele schauten mit Mißmut, nur einige wenige mit Neugier auf den Würdenträger.
Der dicke Mann sah ihn missmutig und verärgert an.
Joro fühlte einen trotzigen Zorn in sich aufsteigen, denn er ahnte schon, daß etwas geschehen würde, das gegen ihn gerichtet sein würde.
�Nun, was wollt Ihr von mir?�
�Ich bin der Bischof dieser Stadt und das Oberhaupt der Kirche, von der du behauptest, ihr anzugehören.�
�Behauptest?�
Der Bischof überging ihn.
�Ich bin heute hier erschienen, um deinem Treiben hier ein Ende zu setzen. Du hast die Unverschämtheit besessen, hier, direkt vor unserer Haustür dein Lager aufzuschlagen, zu arbeiten und zu predigen in unserem Namen, ohne dafür jemals eine Erlaubnis eingeholt zu haben. Und trotz der Tatsache, daß wir sogar so gnädig waren und dich freundlich aufgefordert haben, bei uns vorstellig zu werden, hast du uns fortwährend ignoriert. Das kann und werde ich nicht mehr dulden.�
Die Stimme in Joros Kopf meldete sich mit einem eiskalten Unterton zu Wort.
�Hast du ein Problem damit, jemanden zu töten?�
�Wie meinst du das?�
�Wie kann ich das schon meinen. Warte ab.�
Der Bischof richtete sich in seinem Sitz auf und verkündete:
�Joro Macun, ich bestimme hiermit im Namen der einigen Celestuskirche��, Celestus rief ein �HA!� in Joros Kopf, und es klang fast wie Erbrechen, �habe beschlossen, daß du aufgrund deiner Mißachtung unserer Gesetze und des fortgeführten Ignorierens der Anweisung, dich uns unterzuordnen eine Gefahr für den reinen Glauben darstellst und somit hiermit zum Tode verurteilt wirst.�
Er gab den Soldaten ein Zeichen.
Joro war vor Entsetzen wie gelähmt.
Als die Bewaffneten auf ihn zugestürmt kamen, brach er aus seiner Erstarrung und streckte den ersten mit dem Spaten nieder, den er instinktiv aus einem Erdhaufen vor sich zog. Dieser zerbrach beim Aufschlag und Joro griff ebenso gedankenlos den Hammer an seinem Gürtel und zog ihn aus der Schlaufe. Er wich dem nächsten Soldaten aus und schlug ihm mit dem Hammer auf die Seite des Kopfes, womit er ihm den Schädel zertrümmerte.
Dabei hatte er begonnen, ein Stoßgebet zu sprechen, denn die Todesangst kroch ihm die Knochen hoch, was von Celestus mit einem �jaja, ich weiß, mach halt weiter!� quittiert wurde.
Der Schlag eines weiteren Soldaten, von denen ihn mittlerweile vier umringt hatten und der ihn eigentlich hätte treffen müssen prallte kurz bevor er in erreichte von einer unsichtbaren Wand ab.
Joro fühlte, wie sich seine Glieder mit unglaublicher Stärke füllten und mit neuem Mut beseelt machte er sich daran, sich seine Gegner einen nach dem anderen vorzunehmen. Doch er war eben kein ausgebildeter Kämpfer und mit einem Mal duckte sich einer seiner Gegenüber unter einem Schlag durch, wischte seinen Hammer beiseite und setzte ihm die Schwertspitze an den Hals.
Der Bischof, sichtlich gezeichnet von dem zunächst unvorteilhaft erscheinenden Kampfausgang , grinste nun triumphierend aus seinem fetten, verschwitzten Gesicht.
�Nun, das war es dann wohl, tö�� Weiter kam er nicht.
Eine schwarz belederte Hand hatte seinen Kopf bei den Haaren ergriffen und zog ihn nach hinten. Eine andere hielt ihm einen Dolch aus leicht violett schimmerndem, dunklen Metall an die Kehle, auf dem rote Runen bedrohlich leuchteten.
Eine leise Stimme hinter ihm sagte betont langsam:
�Vielleicht solltest du das noch einmal überdenken��
Der Bischof schwitzte noch mehr.
�L�laßt ihn los! Sofort!�
Der Soldat ließ zögerlich die Schwertspitze von Joros Hals niedersinken. Dieser schoß vorwärts und schlug ihm mit dem Hammer die Stirn ein. Die anderen drei Soldaten verließ jeglicher Kampfesmut und die rannten in Panik davon.
Hinter dem Bischof kicherte es leise und die Stimme, die zu den Händen gehörte sagte mit einem bitterbösen Unterton:
�Danke für die Kooperation, ich denke wir brauchen dich jetzt nicht mehr.�
Der Dolch glitt durch die fetten Halsfalten und ein Strom aus Blut brach daraus hervor, mit einem gurgelnden Geräusch brach der Mann zusammen.
Während der Ordinarius dem Schlittenführer mit hysterischem Kreischen antrieb, loszufahren, setzte sich auch die Menschenmenge die zugesehen hatte in heilloser Panik in Bewegung um dem Schrecken zu entkommen.
Der Schlitten setzte sich schnell in Bewegung und eine kleine, dunkel gewandete Gestalt sprang herunter und steckte den Dolch weg, den sie eben noch benutzt hatte. Sie kam auf Joro zu und nahm die Kapuze ab.
Es war Ghaundar.
�D-du?�
�Ja, ich. Man befahl mir, dich in Sicherheit zu bringen.�
�Wie, wer? Was soll das heißen?�
�Ich bin ein Diener der Eilistraee, der dunklen Maid. Dein Gott hat sie um Hilfe gebeten und meine Herrin hat zugestimmt. Folge mir.�
Joro war mal wieder komplett verwirrt und schaute abwechselnd zu den Gräbern und dann wieder auf den Drow.
�Aber� der Friedhof� ich kann doch nicht einfach so��
�Wenn die wiederkommen, kannst du ziemlich schnell gar nichts mehr. Oder meinst du, daß es denen egal ist, daß ein abtrünniger Priester und ein Drow gerade das Oberhaupt ihrer Kirche getötet haben?�
Der Drow hatte wohl recht, das war nicht zu leugnen. Dennoch war ihm nicht klar, warum Celestus ihn dann überhaupt hier hergebracht hatte. Der Konflikt mit dem Bischof und seiner sogenannten Kirche war ja auch für einen sehr blinden, sehr dummen Mann mehr als offensichtlich gewesen.
Celestus selbst unterbrach seinen Gedankenfluß, indem er mit einem Male vor ihm stand.
Ghaundar verbeugte sich tief und der dunkle Mann nickte ihm zu.
�Joro, geh mit ihm. Mach� dir keine Gedanken über den Friedhof, der hatte seinen Zweck und den hat er auch erfüllt. Ich wollte sehen, ob du bereit bist, deinen Platz bei mir einzunehmen und die Arbeit, die du hier geleistet hast war mehr als zufriedenstellend. Geh jetzt.�
Ghaundar wies ihm, etwas hektisch, an, zu gehen und Joro folgte.


Joro Macun war alles andere als ein geduldiger Mensch. Dazu kam noch erschwerend, daß er jemand war, der Probleme damit hatte, etwas zu tun ohne den Sinn davon zu verstehen oder vorher ausreichend erklärt bekommen zu haben. Dementsprechend waren die Vorkommnisse in Bargum im Nachhinein betrachtet mehr als fragwürdig für ihn und während er hinter dem Dunkelelfen herstapfte, haderte er auf massive Weise mit seinem Schicksal.
Ghaundar hatte schnell erkannt, daß der Mensch, der jetzt in seiner Obhut war alles andere als einfach war, aber er hatte Vorbehalte, ihn darauf anzusprechen.
Der junge Mann schlurfte jetzt seit drei Tagen, in Grübeleien versunken, hinter ihm her und murmelte unverständlichen Kram vor sich hin, aß nur wenig und machte den Eindruck, seine Umgebung nur durch einen Schleier wahrzunehmen. Irgendwann jedoch riß Ghaundar der Geduldsfaden und er hielt ihn an.
�Was ist eigentlich dein Problem, Mensch?�
Joro sah ihn verdutzt an.
�Was meinst du?�
�Du hast jetzt seit einigen Tagen kaum etwas gegessen, wir sind auf dem Weg in die Berge und es ist verdammt kalt. Glaubst du, daß du auf diese Weise noch einen langen Marsch durchstehen wirst? Willst du sterben?�
Der junge Priester schien kurz zu überlegen, was er antworten sollte, dann sah er Ghaundar herausfordernd an.
�Ich nehme einmal stark an, daß du in dem Moment, in dem ich dich vor Pentos gerettet habe schon wusstest, daß dies hier eines Tages geschehen würde, oder?�
Zu Joros Erstaunen sah ihm der Drow direkt in die Augen..
�Naja, ich wußte zu dem Zeitpunkt immerhin schon wer du bist�, sagte er ernst.
�Aha?�
�Aber ich hatte keine Ahnung was genau passieren würde.�
Joro schien ihm gar nicht zuzuhören.
�Genau damit fängt es doch schon an! Seitdem ich Celestus geschworen habe, ihm zu dienen, ist mein ganzes Leben praktisch ohne mein Zutun verlaufen und ich habe das Gefühl, daß hier jeder über alles Bescheid weiß außer mir!� Er trat einen Ast vom Weg.
Ghaundar kratzte sich am Kinn.
�Naja, du hast wahrscheinlich Recht, was deine Gefühle diesbezüglich angeht, aber ich denke, daß Celestus sicher gehen wollte, daß du auch für das taugst, was du einmal für ihn tun sollst. Ich denke, es war ein Weg zur Vertrauensfindung.�
Darauf wußte Joro nichts zu Antworten. Nicht ohne ein Schmunzeln bemerkte Ghaundar, daß sich seine Haltung im Folgenden noch nachdenklicher gestaltete und der junge Mensch irgendwie noch mehr grübelte. Doch keine zwei Meilen später reckte er sich plötzlich und er konnte ein Feuer in seinen Augen sehen.
�Weißt du was, Ghaundar?�
�Nein, was denn?�
�Wenn Celestus sagt, daß es richtig ist, dann ist es das eben auch. Warum soll ich mir krampfhaft Gedanken machen, was mit mir geschehen soll? Mehr als Sterben kann mir in dieser Welt sowieso nicht mehr geschehen und das hab ich immerhin schon hinter mir, oder?�
Ghaundar wußte es besser, aber er entschied sich, Joros neuen, aufgeweckteren Zustand nicht gefährden zu wollen. Stattdessen nickte er und sie gingen weiter, wobei sie langsam aber sicher miteinander ins Gespräch kamen.
Dabei betrachtete Joro den Drow aufmerksam

Ghaundar war ein für einen Dunkelelfen mittelgroßer Mann von etwa einem Schritt und einer Hanbreit. Er hatte schulterlange, natürlich schneeweiße Haare, die er im Nacken zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden hielt. Joro war schon sehr schnell aufgefallen, daß er wesentlich älter sein musste, als er auf den ersten Blick schien. Aber das konnte man bei diesem Volk ja sowieso nie am rein Optischen festlegen. Die Augen waren die einzige Quelle, die halbwegs sicher zeigte, wie alt ein Drow wirklich war. Was ihm allerdings auffiel, war, daß dieser Dunkelelf nicht so zu sein schien, wie er dessen Volk eigentlich sah. Er schien beinahe�freundlich?

��und so kam es, daß ich endlich an der Oberfläche ankam und die Mondgöttin mich an sich nahm, um mich zu retten, während ich blind war von der Sonne.�
Die Lebensgeschichte Ghaundars hatte aus etwa drei Sätzen bestanden und nicht wirklich irgendetwas preisgegeben, aber Joro nahm an, daß es für einen Drow ein geradezu offenes Geständnis gewesen sein mußte.
Er hatte ihm im Gegenzug erzählt, wie er auf dem Bauernhof seines Vaters aufgewachsen war und wie vor einem halben Jahr die marodierenden Horden des Drowkönigs Welverin den Hof niedergebrannt und alle seine Verwandten ermordet hatten. Nachdem er seine Berufung ebenfalls erzählt hatte, starrte ihn Ghaundar wirklich erstaunt an.
�Du mußt deinem Gott wirklich vertrauen, wenn du jetzt wirklich mit mir mitgehst. Du hättest jeden Grund auf dieser Welt, mich auf der Stelle töten zu wollen.�
�Als du blutend vor mir lagst, hatte ich den Impuls. Aber Celestus hat mir in den letzten Wochen gezeigt, daß Barmherzigkeit und Mitgefühl wichtiger sind als Rache.�
�Glaubst du, daß Rache eine rationale Sache ist?�
�Nein, aber du warst mir gegenüber sehr freundlich. Außerdem hat Celestus bestätigt, daß du seinen Willen tust. Soll ich glauben, daß er mich wieder aufstehen läßt nur um mich wieder töten zu lassen?�
�Das hat einen logischen Kern, dem man sich nicht verschließen kann.�
Eine Weile liefen sie nebeneinander auf dem immer steiler werdenden Pfad, der in die nördlichen Berge führte, vor sich hin.
�Sag mal, Ghaundar, wohin gehen wir eigentlich?�
�Zu einer Gemeinschaft der Göttin, die uns aufnehmen wird.�
�Auch alles Dunkelelfen?�
Ghaundar grinste.
�Ich glaube nicht, daß du dir Sorgen machen mußt, unsere Gottheit ist eine des Tanzes und des Gesanges.�
�So weit im Norden Dunkelelfen� Bist du dir da sicher?�
�Ja, sie nannte es eine �Enklave�, was auch immer das bedeuten soll.�
Das Wort kannte Joro, aber er hielt sich mit klugscheißen zurück und hielt lieber den Mund.
Nach ein paar weiteren Hügelketten kamen sie in ein Tal, in dessen Mitte sie im schwachen Licht der Wintersonne einen kleinen Engpaß am Pfad ausmachen konnte.
Der Priester hob eine Augenbraue.
�Hälst du es für eine gute Idee, dort entlangzugehen?�
�Wieso?�
�Vielleicht wird man uns dort auflauern?�
�Wer soll uns denn in dieser Einöde auflauern, außer ein paar Orks?�
�Ein paar Orks gegen einen Drow und einen wie mich?�
�Stell dich nicht so an, uns wird schon nichts geschehen.�
Irgendwas stimmte da nicht, waren es nicht die Drow, die für ihre Verschlagenheit und Vorsicht in allen Belangen bekannt waren? Außerdem hatte er Ghaundar schon gegen eine kleine Gruppe von Menschen zu Boden gehen sehen, also vertraute er auch nicht auf dessen Überlegenheit. Dennoch. Er wagte es nicht, dem Dunkelelfen zu widersprechen, stattdessen ging er schweigend, jedoch mit großer Anspannung hinter ihm her.
Als sie der engen Stelle im Pfad näher kamen und die Steinwände sich neben ihnen hochzogen, wurde es Joro mulmig zumute und er griff das Ende seines Hammers fester.
�Ghaundar?�
�Ja?�
�Ich hab da eine Gefühl� ein ungutes. Irgendwie glaube ich, daß uns jemand auflauert��

Hinter ihnen erscholl die Stimme einer Frau.
�Ganz genau! Und ich denke wir, das heißt in diesem Moment vornehmlich ich fühlen uns alle etwas wohler, wenn ihr beiden Jungs eure Waffen fallenlaßt.�
Joro und Ghaundar fuhren herum und sahen auf dem Rand des linken Abhanges ein halbes Dutzend Drow stehen, die Armbrusten auf sie gerichtet hatten.
Den jungen Menschen traf der Schlag, als er deren Anführerin, die zu ihnen gesprochen hatte, zum ersten Mal sah. Sie hatte strahlend violette Augen, die es ihm nicht erlaubten, von ihnen fortzusehen, auch wenn ihr Blick sehr bedrohlich war.
Das schien ihr nicht zuzusagen, denn ihr Gesichtsausdruck wurde eisig, als sie seinen Starren bemerkte.
Ein Dunkelelf, der neben ihr stand, ein erstaunlich muskulöser Mann mit einem kurz gestutzten Vollbart und straff nach hinten gebundenen Haaren winkte mit seiner erstaunlich großen Axt in ihre Richtung und rief:
�Habt ihr nicht gehört, was die Priesterin sagt? Noch einmal wird sie das nicht tun!�
Ghaundar trat vor Joro.
�Oloth pholor doss, Sharess! Wir sind im Dienste der Göttin hier, wir suchen Unterschlupf in der Enklave!�
Das Gesicht der Priesterin nahm einen spöttischen Ausdruck an.
�Du und die Kalkleiste da? Wer ist dieser Ogglin?�
�Dieser Mensch hat den Namen Joro Macun und ist ein Priester des Celestus. Er steht unter dem Schutz unserer Herrin.�
Die Dunkelelfin schien in sich hineinzulauschen und Joro vermutete, daß es sich hierbei um einen ähnlichen Dialog handelte, wie er ihn immer mit seinem Gott hielt.
Dann ließ sie ihre Armbrust sinken, wenn auch betont langsam. Die anderen Drow taten es ihr gleich.
�Also ich weiß zwar nicht warum und es gefällt mir schon gar nicht, aber es hat den Anschein, daß du die Wahrheit sagst.�
Ghaundar atmete hörbar auf, sie hob aber ihre Armbrust noch einmal.
�Ihr werdet uns folgen und zwar ohne Ärger zu machen, hört ihr?�
Die beiden nickten heftig und die Priesterin sprang scheinbar mühelos die gut drei Schritte hohe Steinwand herunter.
Joro starrte sie immernoch an. Sie war mindestens einen Kopf größer als Ghaundar und hatte den typisch elfischen, schlanken Körperbau. Ihre Haare waren zu einem riesigen Dutt im Nacken zusammengerollt und mußten offen ohne Probleme fast bis zum Boden reichen. Ein Ellenbogen traf seine Rippen.
�Hör bloß auf zu starren, Mann!�, flüsterte Ghaundar und schaute ihn mit einer Mischung aus Ärger und Sorge an.
Der Mensch blickte verschämt zu Boden und murmelte eine Entschuldigung.
Wortlos zog die ganze Truppe los und machte sich zu einem Flecken Bergwald auf, der in einiger Ferne an einem Hang lag.
�Woher wußtest du, daß sie eine Priesterin ist?�, flüsterte Joro seinem Begleiter zu.
�Na das ist doch offensichtlich, sie hat das Mal auf der Stirn.�
�Äh, hat sie das?�
�Oh� Verzeihung, du als Mensch kannst das ja nicht sehen��
Natürlich. Drow konnten in völliger Dunkelheit sehen, das hatte Joros Großvater einmal erzählt. Sie konnten scheinbar besondere Arten Licht wahrnehmen, die den Augen der Menschen verborgen blieben. Joro nahm an, daß das Mal auf der Stirn der Priesterin in einer Farbe gemalt war, die also nur Drow sehen konnten.
Sie erreichten den Wald gut drei Stunden später und während der junge Mann so hinter der Priesterin herstapfte, ertappte er sich immer wieder dabei, wie er ihr kontinuierlich auf den Hintern starrte.
Die beiden Rundungen, die sich da unter der Wildlederhose abzeichneten hatten etwas geradezu Magisches an sich, das ihn in seinen Bann zog.
Schließlich traf ihn ein Schlag an seinem Hinterkopf, Ghaundar sah ihn bitterböse an.
�Ich habe gesagt, daß du das lassen sollst!�, zischte er, �oder willst du uns massiven Ärger einbringen?�
Als sie den Wald durchquert hatten, blieben sie am Berghang stehen und die Priesterin hob ihre Hand. Sie sprach ein paar Worte in der Drowsprache und der steinige Hang verschwand, nur um den Blick auf eine Plattform freizugeben, die in darin eingelassen war. Auf deren Boden knisterten Zeichen in einem hellblauen Licht. Sie wies alle an, sich daraufzustellen und sprach noch ein paar Worte. Die Landschaft um sie herum verschwamm.


Kapitel 3

Die Umgebung wurde wieder scharf und Joro gab einen Laut des Erstaunens von sich. Vor der eben noch im Wald stehenden Plattform war ein kleines, verschneites Tal erschienen. Darin stand eine Ansammlung von aus schwarzem Stein gebauten Hütten, die im runde Grundflächen und zahlreiche, ebenfalls runde Erker und Türmchen hatten. Aus den Schornsteinen drang Rauch und zwischen den einzelnen Behausungen war eine nicht kleine Anzahl an Drow zu erkennen, die ziemlich geschäftig umhereilten.
Am gegenüberliegenden Ende des Tals war ein riesiger Platz auszumachen, der wahrscheinlich mehr als 100 Schritte Durchmesser hatte und ganz vom Schnee befreit und mit Kieselsteinen belegt war. In dessen Mitte hatte man einen großen Scheiterhaufen errichtet. Offensichtlich war da etwas vorbereitet und Joro ertappte sich dabei, stark zu hoffen, daß es nur ein Lagerfeuer werden sollte.
Die Priesterin hielt an, kurz bevor sie die Hütten erreicht hatten.
�Du�, sagte sie zu Ghaundar gewandt, �wirst mit Omareth mitgehen.� Dabei wies sie auf den Mann mit der Axt.
Dieser nickte und wies Ghaundar mit einer ruppigen Geste an, ihm zu folgen, was er tat. Im Fortgehen sah er Joro an und zuckte mit den Schultern.
�Ihr anderen geht jetzt, ich will mit dem Menschen alleine reden!�
Die anderen Begleiter zerstreuten sich wortlos und Joro stand mit der Priesterin alleine da. Obwohl sie im gerade einmal bis zur Brust reichte, strahlte sie eine unglaubliche Bestimmtheit aus. Sie musterte ihn einmal von oben bis unten.
�Was soll ich jetzt mit dir machen��
�Äh, ich weiß nicht��
�Das war keine Frage, das war laut gedacht�, sie sah ihn böse an und er schaute verschämt zu Boden.
�Du bist ein Mensch.� Diese Feststellung hörte sich in der Art wie sie das sagte fast wie eine Beleidigung an. �Ein Ogglin.�
Joro wußte nicht, wie er reagieren sollte, er fühlte sich ziemlich allein und ausgeliefert.
�Ich� ich weiß nicht, was ich sagen soll��
Das größte Problem war eigentlich nicht, daß ihm nichts eingefallen wäre, aber wenn er diese großen, violetten Augen ansah konnte er sich beim besten Willen nicht konzentrieren.
Sie seufzte.
�Dort. Diese Hütte da�, sie wies auf eine etwas abseits gelegene Behausung, �sie steht eigentlich leer, aber wir werden die ein paar Möbel herschaffen. Erwarte nicht zu viel, daß ist hier keine Luxusherberge. Der einzige Grund wieso ich dich überhaupt mitgenommen habe, ist, daß die Herrin es mir geboten hat. Wenn das nicht der Fall wäre, hätte ich dich zur Hölle gejagt.�
Sie wandte sich um und wollte gehen, aber Joro ergriff das Wort.
�Ich weiß auch nicht, was hier vor sich geht, und ich habe erst recht keinen Grund deine Feindseligkeit zu hinterfragen, weil die sicherlich ihre Ursachen haben wird. Aber ich hoffe ich werde dir beweisen können, daß alles was du meinst über mich zu wissen oder von mir denken zu müssen falsch ist.�
Die Priesterin hielt kurz an und sagte, ohne sich dabei umzudrehen: �Wir werden sehen, Ogglin.�

Die Hütte war klein und hatte nur einen Raum. In der Mitte war ein Ofen und am Rand stand ein Bett, ansonsten war sie leer. Nach beinahe einer Woche Fußmarsch und Übernachten unter Nadelbäumen, nur mit ein paar Zweigen als Unterlage und mit einem Lagerfeuer zum Wärmen erschien Joro dieser Wandel fast wie das Paradies, so karg es auch war.
An Schlaf war aber nicht zu denken, die ganze Situation war einfach zu seltsam und unwirklich. Er fühlte sich verloren, ja, beinahe isoliert, vor allem weil seine einzige Bezugsperson, nämlich Ghaundar, nicht mehr bei ihm befand.
Er hatte sich aufs Bett gesetzt und gegrübelt, wie das so seine Art war, aber jetzt stand er auf und sah sich um. Irgendetwas sollte doch zu tun sei, vielleicht draußen?
Tatsächlich fand er hinter der Hütte einen Hackklotz und einen Stapel Feuerholz. Das war genau das, was er jetzt brauchte.
Knapp eine halbe Stunde später knisterte ein Feuer im Ofen und Joro stand vor der Hütte und zimmerte sich aus Holzstücken und �keilen, die vom Hacken über waren, einen provisorischen Hocker zusammen, auf den er sich alsbald prüfend setzte. Er hielt.
Als er gerade wieder hineingehen wollte, kamen Ghaundar und fünf weitere Drowmänner um eine der anderen Hütten herumgelaufen. Sie zogen einen Lastschlitten hinter sich her, auf dem einige Möbelstücke lagen und standen.
�Sollen wir dich mal einrichten, Herr Totengräber?� Ghaundar grinste.
�Wenn du schon so nett fragst, dann gerne. Kommt herein!�
Sehr zu Joros Überraschung verhielt sich keiner der anderen Drow auch nur im Geringsten feindselig. Ganz im Gegenteil, sie schienen sehr fröhlich zu sein und rissen hin und wieder kleine Witze.
Sie hatten einen Schrank, einen Tisch und vier grobe Stühle aus Kiefernholz gebracht. Als sie alles eingeräumt hatten, verabschiedeten sie sich höflich und ließen Joro und Ghaundar allein.
Der setzte sich an den Tisch und legte ein Bündel darauf, was sehr zu Joros Freude einen Schinken, einen Laib Brot und etwas Käse enthielt. Außerdem stellte er noch eine Flasche auf den Tisch.
�Drowwein. Ich weiß nicht, ob der dir schmecken wird, aber einer der anderen hat gesagt, daß er dir bis morgen ein Faß Zwergenbier vor die Hütte stellt. Er hat auch gesagt, daß das Zeug so hart ist, daß es nicht einmal gefriert, also sei vorsichtig wenn du es ausprobierst.�
�Danke, danke, danke� Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.�
�Erst einmal Klappe halten und essen, Joro.�
Das Mahl dauerte eine ganze Weile und Joro fand dabei heraus, daß ihm der Wein zwar nicht gänzlich zuwider war, aber doch sehr seltsam schmeckte. Die grüne Flüssigkeit perlte wie ein Schaumbad und war irgendwo zwischen sauer und scharf. Aber es machte ein herrlich warmes Gefühl im Bauch, also beschwerte er sich nicht.
Er hatte aufgegessen, lehnte sich zurück und schaute Ghaundar fragend an.
�Sag� mal, warum kann mich diese Priesterin eigentlich nicht leiden?�
Der Drow blickte von seinem Weinglas auf und schien von der Frage überrascht zu sein.
�Alystin?�
�Das ist ihr Name?�
�Ja� Weißt du, sie kann Menschen im Großen und Ganzen überhaupt nicht leiden.�
�Woher kennst du eigentlich ihren Namen?�
Ghaundar zögerte.
�Ich�ich war nicht ganz ehrlich zu dir, weil ich mir nicht sicher war, ob ich dir trauen kann.�
�Wie bitte?�
�Nun ja, ich bin schon seit über 120 Jahren Mitglied dieser Enklave��
Joro war sprachlos.
�Warum hast du mir nichts gesagt?!�
�Du verstehst das vermutlich nicht, aber ich wollte mir sicher sein, daß du in Ordnung und keine Bedrohung bist, bevor ich dir das erzähle. Wir leben in schweren Zeiten und wenn ich es dir gesagt hätte, ohne sicher zu sein, daß du keine Sicherheitslücke darstellst, wäre ich Gefahr gelaufen, unsere geheime Basis preiszugeben.�
Joro zog zweifelnd eine Augenbraue hoch.
�Ach, und jetzt weißt du also, daß du mir vertrauen kannst, ja? War es nicht deine Göttin, die dir gesagt hast, daß du mich holen sollst?�
Ghaundars Gesicht nahm kurzzeitig einen sehr kalten Ausdruck an.
�Auch Götter machen einmal Fehler, Mensch. Ich bin ein sehr guter Beobachter und erkenne es meistens ziemlich genau, wenn einer etwas im Schilde führt. Hätte ich zu irgendeiner Zeit ein Gefühl bekommen, daß dich hätte verdächtig aussehen lassen, wärst du niemals lebend hier angekommen.�
Joro schluckte, aber die Miene des Dunkelelfen wurde wieder freundlicher.
�Aber so, wie es aussieht, bist du ja eher ein freundlicher Zeitgenosse. Ich hatte nie Bedenken deinetwegen, aber die Sicherheit der Gemeinschaft hier geht vor, denn du weißt selber, in welchem Verhältnis die Menschen und die Drow in diesen Landen zueinander stehen.�
Ghaundar stand auf und ging zur Tür.
�Schlaf gut, Joro Macun. Morgen wird ein langer, harter Tag.�
Er ging hinaus.
Der junge Priester war wieder alleine. Er wußte nicht, was er tun sollte, er war selbst zum schlafen zu müde. Sein Blick fiel unwillkürlich auf etwas im Raum, daß er vorher nicht bemerkt hatte.
An einer Seite der Hütte stand an der Wand eine Schaufel, die dort zusammen mit einem Spaten und einer Spitzhacke in einer kleinen Nische lehnte.
Unwillkürlich mußte er grinsen.

Als der Morgen graute, stand Alystin im Zimmer ihrer Hütte und rollte gerade ihre Haare auf dem Hinterkopf zusammen, da klopfte es aufgeregt an der Tür. Sie schob eine Klammer in den Dutt und ging zur Tür.
Draußen stand eine aufgeregte Novizin, die wild mit den Armen ruderte, während sie kein einziges vernünftiges Wort herausbrachte.
�Beruhig dich und sag mir genau was du willst!�
�Priesterin! Ihr müsst Euch das ansehen!�
�Was hast du?�
�Es ist etwas ganz Seltsames geschehen� Kommt schnell!�
Die junge Drow rannte los und Alystin blieb nichts Anderes über, als hinterherzulaufen. Die Novizin führte sie zu Joros Hütte, was Alystin sich schon fast gedacht hatte, um die sich eine nicht gerade kleine Gruppe der Drow drängte, die alle aufgeregt miteinander redeten.
Als Alystin näher kam, verstummten sie und machten ihr Platz.
Hinter der Hütte, am Berghang, an dem ein Pfad zu einer kleinen Quelle mit Basin hochführte waren zehn Gräber ausgehoben und ein provisorischer Kiefernholzzaun gezogen worden.
Ghaundar stand mit vor der Brust verschränkten Armen an die Hütte gelehnt da und schmunzelte.
�Was grinst du so dämlich, Ghaundar?!! Wie konnte er das wagen??�
�Reg� dich nicht auf, Alystin. Er ist ein Totengräber, wie du vielleicht bemerkt hast.�
�Das ist doch noch lange kein Grund, hier einfach ohne eine Erlaubnis ein Gräberfeld auszuheben! Er hat nicht einmal gefragt!�
Die beiden wurden unterbrochen, als ein großer, dicklicher Mensch, nur in Hose und Stiefeln bekleidet, den Hang von der Quelle heruntergestiegen kam, die oberhalb seiner Hütte lag, wobei er sich den Oberkörper abtrocknete.
Als die übrigen Drow die sprichwörtlichen dunklen Wolken über Alystins Kopf zusammenziehen sahen, zogen sie sich, billige Entschuldigungen murmelnd zurück. Nur Ghaundar blieb stehen.
Die Priesterin ging mit brennendem Zorn in den Augen auf Joro zu und baute sich vor dem
Menschen auf.
�Habe ich zu irgendeinem Zeitpunkt den Wunsch geäußert, hier einen Friedhof haben zu wollen?�
�Nein� ich habe nur gesehen, daß ihr keinen habt und da ich nicht wußte ob und wie Drow mit dem Tod umgehen oder sterben, habe ich eben gedacht, es könnte vielleicht nicht schaden��
Das schien Alystin in keiner Weise zu beruhigen. Stattdessen wurde sie nur noch wütender. Während sie vor ihm stand, ihm auf die Brust tippte und ansetzte, etwas zu brüllen, sah er kurz etwas in ihren wunderschönen violetten Augen, das ihn erstaunte. Konnte es sein, daß Alystin, nur für einen kleinen Moment, doch Gefallen an der Tatsache gefunden hatte, einen Friedhof zu haben?
Das konnte sie natürlich nicht zugeben, das war ihm auch klar.
Sie schnappte nach Luft, drehte sich dann aber wortlos um und stapfte davon.
Ghaundar wartete eine Weile, bis sie sich entfernt hatte, dann stellte er sich neben Joro und klopfte dem völlig verunsicherten Menschen auf die Schulter.
�Ich denke, du brauchst keine Angst zu haben. Sie findet das gar nicht so schlecht, aber du weißt ja wie Frauen sind.�
Joro verzog das Gesicht.
�Meinst du?�
�Jupp!�

Immerhin: der Friedhof blieb. Und Alystin kam auch nicht wieder zurück, um ihn zur Sau zu machen. Trotzdem behielt er einen seltsamen Beigeschmack im Mund, denn eigentlich wollte er nicht als Störfaktor gelten, sondern hatte es in der Absicht gemacht, seinen Beitrag zu dieser Gemeinschaft leisten zu wollen. Joro kannte die Priesterin noch nicht einmal seit einem Tag und hatte wollte nicht jetzt schon die Anführerin der Gemeinschaft als Feindin haben. Geschweige denn überhaupt!
Am Nachmittag hatte sich die Enklave wieder etwas beruhigt, es kamen hin und wieder Drow vorbei, schauten kurz und nickten ihm dann zustimmend zu. Es war es also doch kein kompletter Fehltritt gewesen.
Ghaundar war fortgegangen, kam aber am frühen Abend wieder und hatte ziemlich gute Laune.
�Ich habe mit Alystin geredet.�
�Und was sagt sie?� Joro schaute besorgt.
�Sie ist immernoch ein bißchen entrüstet, ich glaube, weil sie sich übergangen fühlt, aber ich denke sie kommt darüber hinweg.�
Der Totengräber verzog den Mundwinkel.
�Ich möchte nicht, daß sie böse auf mich ist��
Ghaundar sah ihn auf eine besondere Art und Weise an.
�Joro?�
�Was?�
�Sag mal, gibt es vielleicht einen Grund, wieso du so einen geschwollenen Kram redest?�
Das Gesicht des Menschen lief rot an.
�Äh��
Der Dunkelelf lachte laut.
�Oh, Mann! Das war ein Volltreffer, oder? Hat es etwas damit zu tun, daß du sie gestern die ganze Zeit angestarrt hast?�
Joro versuchte das Thema zu wechseln.
�Ähm, wie geht es denn nun weiter mit mir?�
Ghaundar ging darauf ein.
�Du wirst morgen früh mit den anderen in den Wald gehen und Brenn- und Bauholz sammeln. Glaub mir, du wirst hier immer genug zu tun haben.�
�Und� wozu ist der Scheiterhaufen da hinten gedacht?�
�In drei Tagen ist Frühlingssonnwende. Das wird ein großes, sehr schönes Fest.�
Der Drow wies auf einen Sack, der an der Hüttenwand lehnte, neben dem Bierfaß, das am Morgen schon da gestanden hatte, wie Joro freudig zur Kenntnis genommen hatte.
�Ich habe dir noch wärmere Kleidung mitgebracht und ein paar Essensvorräte. Magst du mitkommen, etwas jagen gehen?�
Joro schüttelte den Kopf.
�Ich baue erst den Zaun fertig, ich habe vorhin mit diesem Omareth geredet, der scheint ein Zimmermann zu sein, er hat gesagt, daß er am Abend kommt, mir zu helfen.�
Ghaundar schaute ihn freudig überrascht an.
�Omareth hilft dir? Das ist ja wunderbar!�
�Öh, wieso?�
Der Drow grinste über beide Ohren.
�Alystin mag Menschen nicht, aber du kannst mir glauben, daß Omareth euch haßt. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit und wenn er dir helfen will, dann hast du hier schon einen Fuß in der Tür.�
�Wieso nicht beide?�
�Weil es da noch jemanden gibt, deren Hintern du andauernd anstarrst. Und dieser Jemand muß auch noch auf deiner Seite stehen��
Mit diesen Worten ging Ghaundar kichernd davon, während er noch einen Abschiedsgruß winkte.

Omareth kam am Abend. Er zog ganz alleine einen großen Lastschlitten, auf dem zwei Klafter Latten und mehrere Pfähle lagen. Wie eine nur knapp vier Fuß hohe Person es schaffte eine Menge von etwa sechs Zentnern Holz zu ziehen, blieb Joro verborgen.
Die beiden machten sich schweigend an die Arbeit, schlugen Löcher in den gefrorenen Boden, setzten die Pfähle hinein, schlugen Latten daran. Es war schon lange Nacht geworden, als sie endlich fertig waren. Aus dem Abfallholz hatten sie ein kleines Feuer gemacht und Omareth hatte eine Flasche Wein dabei, die sie nun zusammen tranken.
Während der ganzen Arbeitszeit hatten sie nicht ein einziges Wort miteinander gesprochen und auch jetzt saßen sie lange schweigend da. Mit einem Mal jedoch sah Omareth Joro an und sagte:
�Sag mal, Ogglin, wie fühlt es sich die Aussicht an, mit uns hier leben zu müssen?�
Der Mensch sah verdutzt drein.
�Wie meinst du das?�
�Jetzt stell dich nicht dumm. Ghaundar hat mir erzählt, daß du von Drow angegriffen und fast getötet worden bist. Und daß deine ganze Familie von unserem Volk ermordet wurde�, er hielt inne. �Kannst du mit der Maske überhaupt trinken?�
�Offensichtlich. Außerdem bin ich nicht fast getötet worden, sondern ich war tot.�
�Hast du dich gerächt?�
�Nein. Erst wollte ich es, aber Celestus hat mir die Augen geöffnet.�
Omareth hob eine Augenbraue.
�Aha? Und inwiefern?�
�Nun� was hätte es gebracht? Ein Leben zu nehmen rechtfertigt es nicht, ein weiteres zu vernichten. Damit ändert man die Vergangenheit nicht und am Ende ist nur wieder einer tot.�
�Haßt du uns?�
�Nein, warum sollte ich. Diese Gemeinschaft hier bestätigt mich sogar eigentlich darin, daß die Herkunft oder Zugehörigkeit zu einem Volk keinerlei wirkliche Aussage auf den Charakter einer Person treffen läßt�, Joro machte eine ausholende Geste, �Wenn du ein schlechter Mensch� Verzeihung Drow wärst, hätten wir dann gemeinsam diesen Zaun hier gebaut?�
Omareth nickte langsam vor sich hin.
�Also habe ich mich nicht in dir getäuscht, und Ghaundar auch nicht. Wenn Eilistraee dich akzeptiert, mußt du eine Person sein, die so denkt. Ich hatte natürlich Vorbehalte, aber ich sehe langsam, daß du wirklich in Ordnung bist. Außerdem bist du wirklich nicht ungeschickt mit deinen Händen.�
�Mein Vater war ein Bauer, genauso wie sein Vater vor ihm. Ich habe schon als Kind beim Bau von Koppeln geholfen, er hat Rinder gezüchtet.�
�Es ist gute, ehrliche Arbeit. Die meisten Priester, die ich unter den Menschen getroffen habe, sitzen auf ihrem fetten Hintern und lassen sich von anderen bedienen. Du bist anders, das gefällt mir an dir, Joro Macun.�
Obwohl die Nennung der beiden Termini �Priester� und �Hintern� angenehm an etwas Anderes erinnerte, freute ihn die Aussage seines Gegenübers immens.
�Danke sehr.�
Omareth stand auf.
�Ich muß gehen, meine Frau wartet auf mich�, irgendwie verzog er dabei sein Gesicht, �wir haben morgen Einiges zu tun, weil wir eine Menge Holz brauchen. Zum Bauen und auch zum Heizen.�
�Wenn ich darf, komme ich morgen mit.�
Der Zimmermann lächelte ihn an.


Kapitel 4

Joro saß allein in seiner Hütte. Es war sehr spät geworden und er dachte schon eine geraume Weile nach.
�Celestus?�
Der dunkle Herr manifestierte sich auf einem Stuhl.
�Wie kann ich dir helfen, mein Sohn?�
�Sag mal, hast du mir nicht einmal gesagt, daß du der Ansicht bist, daß sich Götter nicht in die Belange der Menschen einmischen sollen?�
�Stimmt, wieso?�
�Warum hast du es bei mir dann die ganze Zeit getan? Seitdem ich in deinem Dienst stehe, ist alles um mich herum ohne mein Zutun geschehen.�
�Ist es das?�
�Ist es das etwa nicht?�
�Alles, was ich getan habe, war, dich zu bitten, mir einen Friedhof zu bauen. Und dann, als die Gefahr zu groß wurde, habe ich Eilistraee gebeten, dich aus Bargum zu bringen, weil ich nicht wollte, daß dir etwas geschieht. Den Rest haben Drow und Menschen getan, nicht ich.�
Joro wußte nicht, was er davon halten sollte.
�Was hast du mit mir vor?�
Celestus lachte.
�Du tust schon lange genau das, was ich von dir erwarten würde. Warum vertraust du nicht einfach auf dein Herz und tust, was du für richtig hältst? Du glaubst doch nicht etwa, daß ich dir alles erzählen werde, was du zu tun hast, oder doch?�
Das half Joro nun mal gar nicht.
�Heißt das, daß alles, was ich tun werde sowieso richtig sein wird?�
�Netter Versuch, Joro.�
�Was soll ich denn sonst davon halten?�
Der Gott seufzte.
�Joro, ich habe dich erwählt, weil du der Richtige bist. Mehr brauche ich dir nicht zu sagen. Im Übrigen: der Friedhof gefällt mir.�
�Danke��

Joro hatte schlecht geschlafen. In seinem Traum hatte er einen alten Mann gesehen, der ihm seltsam vertraut schien. Er wußte nicht warum, aber dieser Mann machte ihm irgendwie Angst.
Als Zuschauer hatte er gesehen, wie diese Person in ein Schlafzimmer schlich und zwei Personen, die dort schliefen mit einem Dolch tötete Dann hatte er sich zu Joro umgedreht und hämisch grinsend zu ihm gesehen und gesagt:
�Du bist der Nächste, Macun!�
Es war schweißgebadet aufgewacht und in völliger Verwirrung im Halbschlaf zur Quelle hochgetaumelt. Nach einer halben Minute Kopfeintauchen war er wieder heruntergelaufen und hatte sich vor den Ofen gehockt.
Da saß er nun brütend herum. Die Sonne war noch lange nicht aufgegangen, aber er wußte ziemlich genau, daß ein weiterer Versuch, sich hinzulegen niemals Erfolg gehabt hätte.
Joro nahm ein Stück Wildschinken und einen Bissen Brot und schenkte sich einen Humpen Bier ein. Vor sich hin kauend dachte er weiter nach.
Unvermittelt bemerkte er, daß Celestus ihm gegenüber am Tisch saß.
�Wie lange sitzt du schon da?�
�Nicht lange. Du hast schlecht geschlafen, oder?�
�Ja. Wer ist der Mann?�
Celestus seufzte.
�Das wirst du, fürchte ich, noch viel zu schnell persönlich erfahren.�
�Ach so?�
�Ja, aber ich kann dich beruhigen, zunächst einmal wirst du in Sicherheit sein.�
�Da freu ich mich aber��
Der Gott kratzte sich an seinem nicht existenten Bart.
�Ich wollte dir gestern noch etwas sagen, aber ich dachte das hat Zeit bis heute� Ich möchte, daß du den Drow hier immer freundlich gesonnen bleibst und dir bewußt bist, daß sie deine Freunde sind. Das darfst du niemals vergessen.�
�Das hatte ich sowieso vor��
�Ich wollte es dir aber noch einmal sagen. Jeder braucht Freunde, Verbündete. Alleine wirst du das, was in deinem Leben auf dich wartet nicht bewältigen können, das kann keiner. In der Einsamkeit verkümmert die Seele.�
Joro wußte nicht, ob er das philosophische Geschwafel verstand, aber im war klar, daß der Gott ihm auf freundliche Art und Weise ins Gewissen reden wollte.
Celestus fuhr fort.
�Eins noch. Ghaundar mag dich. Vielleicht wirst du niemals einen besseren Freund finden als ihn. Wenn du irgendjemandem blind vertrauen kannst, dann ist er es.�
Nach einem ernsten, langen Blick zwischen den beiden verschwand der dunkle Mann wieder.
Jetzt fühlte sich Joro noch seltsamer. Die Ansprache an sein Gewissen hatte sich für ihn fast wie ein präventiver Abgesang angehört. Sollte er sich so etwa sicher fühlen in seiner Haut?
Es klopfte an der Tür.
�Herein?!�
Ghaundar betrat den Raum, in dicke Winterkleidung gehüllt. .
�Es ist wirklich arschkalt da draußen. Wir haben seit gestern fast zwei Fuß Neuschnee� Zieh dich an, wir müssen los.�
�Dir steht der Schnee bis zum Hals was?�
Der Drow ignorierte ihn und sah ihn stattdessen auffordernd an.
Joro blickte aus dem Fenster. Es war immernoch völlig dunkel, nur durch den Schein des Feuers in seinem Ofen und der kleinen Kerze auf seinem Tisch konnte er erkennen, daß draußen ein schlimmes Schneegestöber herrschen mußte.
�Jetzt schon?�
�Ja, zieh dich an, alle anderen warten schon auf dich.�
Glücklicherweise hatte Ghaundar ihm am Tag zuvor die dickeren Anziehsachen mitgebracht. Er fragte nicht, woher sie stammten, denn was ihre Größe anging waren sie wohl kaum für Drow gedacht und er glaubte auch nicht, daß irgendwer in weniger als zwei Tagen ein komplettes Set Winterkleidung stricken konnte.
Der Dunkelelf warf ihm einen Piwafwi zu, einen der typischen Umhänge, die sein Volk zu tragen pflegte. Soweit Joro wußte wurde man unsichtbar wenn man die Kapuze überzog, aber das war ihm in diesem Moment nicht wirklich wichtig.
�Den wirst du brauchen�, meinte Ghaundar.
Joro nickte, setze seine Maske auf, hängte den Hammer in den Gürtel und beide verließen die Hütte.
Draußen warteten schon Omareth, der ihm knapp zunickte, fünf weitere Drowmänner, und � zu Joros großer Freude � Alystin.
�Guten Morgen!�
�Oloth pholor doss, Ogglin�, entgegnete die Priesterin knapp und wies der Gruppe, aufzubrechen. Omareth gab ihm ein paar Schneeschuhe, für die er sich bedankte und alle zogen zusammen los in Richtung Portal.
Die Acht stapften den Berghang hoch und teleportierten auf die andere Seite herüber.
Am anderen Ende stand ein weiterer Drow, der mit einem Lastschlitten vor der Plattform auf sie wartete. Er grüßte Alystin knapp und sie machten sich alle zusammen auf den Weg in den Wald, keiner sprach auch nur ein einziges Wort.
Als sie auf einer Lichtung ankamen, stellten sie den Schlitten ab, den immer zwei von ihnen abwechselnd gezogen hatten und begannen, Fallholz und Reisig zu sammeln. Omareth hatte sich zwei große Kiefern ausgesucht, deren Fällung er nun akribisch vorbereitete.
Joro half dabei, das gesammelte Holz zu zerkleinern und aufzuladen, Ghaundar war in den Wald gelaufen, um zu kundschaften und Alystin stand in der Mitte und schaute ihnen allen zu.
Sie schien auf etwas zu warten.
Plötzlich kam Ghaundar aus dem Wald geprescht, hinter ihm schlugen Pfeile in den Boden und die Bäume ein.
�Wir werden angegriffen! Schnell in Deckung!!�
Joro faßte unwillkürlich nach seinem Hammer (den am Gürtel).
Die Drow verteilten sich hinter den Bäumen, während Ghaundar sich nach einem Salto hinter dem Wurzelgeflecht eines umgestürzten Baumes in Sicherheit gebracht hatte.
Alystin stand hinter einem der Bäume und hatte angefangen leise zu singen, wobei ihre Hände begannen, in einem sanften, violetten Licht zu leuchten.
�Joro komm aus der Mitte weg!� Ghaundar schrie fast.
Verdutzt bemerkte der Priester, daß er sich nicht einen einzigen Schritt bewegt hatte und völlig schutzlos neben dem nicht einmal kniehohen Schlitten stand.
Zwischen den Bäumen vor ihm erschien eine Gestalt, die in ein goldenes Kettenhemd gekleidet war und einen ebenfalls goldenen Flügelhelm trug.
Zwei Armbrusten wurden abgefeuert und der fremde Krieger brach zusammen. Hinter ihm erschienen jedoch zwei weitere Angreifer in der selben Rüstung, mit gezogenen Schwertern und Turmschilden.
Sie kamen direkt auf ihn zugestürmt.
�JORO! Wenn du deinen bleichen ARSCH da nicht gleich wegbewegst komm ich herüber und trete ihn persönlich hier herüber!� Diesmal hatte Omareth gebrüllt und er klang wirklich besorgt.
Die Stimme in Joros Kopf war ruhig und klar.
�Du bleibst wo du bist. Streck deinen linken Arm aus.�
Das tat er.
Zu seiner Verwunderung bildete sich auf diesem eine Scheibe aus Dunkelheit, die sich zu einem schwarzen, gut einen Schritt durchmessenden Rundschild verfestigte, auf dem eine rote Sichel prangte.
�Du kämpfst.� Celestus duldete keinen Widerspruch, das war sicher.
Joro nickte, faßte den Hammer (immernoch den vom Gürtel) fester und ging langsam auf die heranstürmenden Gegner zu.
Zwei Pfeile sirrten ihm entgegen und prallte von einer unsichtbaren Barriere vor ihm ab. Als sie sie trafen, blitzte für kurze Zeit ein kleiner Kreis aus violettem Licht auf. Das mußte Alystin gewesen sein.
Aber die Angreifer hatten ihn erreicht und mit einem metallischen Krachen trafen Joro und einer von ihnen aufeinander.
Der Schmerz lähmte ihn fast, aber er wußte, daß er sich jetzt keinen Fehler erlauben durfte.
Es wurden ein paar Schläge ausgetauscht und sein Gegner ging zu Boden. Der andere wurde von einem weiteren Armbrustbolzen niedergestreckt.
Aber es war nicht vorbei, es stürmte noch mehr als ein Dutzend weitere Kämpfer auf die Lichtung und rannten alle auf Joro zu.
Schon hatte er ein paar Schläge einstecken müssen, da bemerkte er mit einem Mal Ghaundar und Omareth an seiner Seite, ersterer links, der andere rechts von ihm.
Außerdem erklang direkt hinter ihm eine weibliche Stimme.
�Wenn, das heißt falls wir das hier überleben, werden wir beide uns mal dringend unterhalten müssen�, zischte die Priesterin.
Aber Alystin schien ihn geheilt zu haben, denn die Schmerzen von den Treffern, die er bekommen hatte, verschwanden mit einem Male. Das brachte ihm neuen Mut, den er auch brauchte, denn der Strom der Gegner, die auf die Lichtung stürmten, riß nicht ab und Joro konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie einer der anderen Drow zu Boden ging und ein Schwert in den Hals gerammt bekam.
�Celestus?�
�Ja?�
�Hilfe!�
Der Gott schien zu überlegen.
�Worauf wartest du? Wir werden alle sterben!!��
�Ich will ja nicht zynisch klingen, aber das werdet ihr sowieso irgendwann alle.�
�Genau der richtige Zeitpunkt für dämliche Witze!!�
Joro bemerkte, daß er das laut gesagt haben mußte, denn Ghaundar grinste ihn kurz an.
Der dunkle Gott lachte leise.
Und dann war plötzlich alles anders.
Der junge Priester fühlte eine unglaubliche Kraft in sich aufsteigen. Zugleich wurden alle seine Gegner immer langsamer.
Ghaundar, Omareth und Alystin ging es offensichtlich genauso, denn sie bewegten sich immernoch so schnell wie vorher.
Wortlos und mit tödlicher Leichtigkeit begannen sie, durch ihre irgendwie verlangsamten Gegner zu pflügen und streckten einen nach dem anderen nieder, als stünden sie nur da und täten nichts. Joro sah einen Pfeil auf sich zu schweben und wischte ihn beinahe abfällig aus der Luft.
Omareth keuchte.
�Was geschieht hier?�
Ghaundar lachte böse.
�Egal was es ist, ich werde jeden Augenblick davon genießen��
Der restliche Kampf dauerte nicht mehr lange. Hieb um Hieb gingen die Angreifer zu Boden, Ghaundar machte kurzen Prozeß mit den gegnerischen Bogenschützen.
Beschmiert von ihrem eigenen und dem Blut der Gefallenen standen sie, nur noch zu viert, auf der Lichtung und bemerkten eine extreme Erschöpfung in sich aufsteigen.
Ghaundar lehnte an einem Baum und atmete schwer.
�Das müßten alle gewesen sein.�
�Und wer waren die bitte?!� Obwohl Joro immernoch keuchend auf einem Felsen hockte, schrie er fast.
�Die goldene Legion. Aber was um alles in der Welt tun die hier, so weit im Norden?�
Alystin war über einen der toten Drow gebeugt und schien zu überlegen.
�Vielleicht sind die Geschichten wahr, die man in letzter Zeit hört��
�Welche Geschichten?� Joro sah sie fragend an.
�Daß der Hochkönig der Hochelfen tot ist, ermordet, wenn man dem Gerede glauben darf. Und daß nun ein Prophet der Sonnengottes über sie herrscht.�
Joro sah sie verständnislos, immernoch recht atemlos an.
Sie fuhr fort.
�Dieser Mann hat den Ruf, alle Andersgläubigen zu hassen. Es wird davon gesprochen, daß er weit im Süden, wo die Hochelfen leben, einen Krieg angezettelt hat und mit seiner Legion jedes Land, daß sich ihm nicht unterwerfen will überrollt.�
Ghaundar mischte sich ein.
�Die Hochelfen leben mehr als viertausend Meilen entfernt von diesem Ort! Was können sie hier wollen? Und vor allem: hier hat es doch nirgends Schlachten gegeben.�
�Vielleicht haben sie ja nach etwas gesucht?�
�Dann stellt sich aber die Frage, was das wohl sein sollte��
Joro ging zu einem der gefallenen Feinde herüber und schaute ihn nachdenklich an.
Die Rüstung der goldenen Legion war ein schwerer Schuppenpanzer aus vergoldetem Mithril, deren Helm die Form eines Falkenkopfes nachahmte. Er meinte sich erinnern zu können, daß der Falke im Süden als ein Symboltier der Sonne galt.
Vorsichtig nahm er der Leiche den Helm ab. Darunter kam ein schmales Gesicht mit einer beinahe weißen Haut zum Vorschein, die Ohren waren lang und spitz. Ein Hochelf, ohne Zweifel. Auf der Stirn des toten Legionärs war ein Sonnensymbol eingebrannt.
Ghaundar kam hinzu und betrachtete den Toten. Er spuckte aus.
�Ich wüßte nur zu gern, was die hier wollen�Moment mal, was ist das denn?�
Er zog der Leiche einen gefalteten Zettel aus dem Halsausschnitt, entfaltete ihn und begann zu lesen.
�Und?� Alystin kam ebenfall herüber.
Ghaundar pfiff leise durch die Zähne.
�Die haben hier in der Tat etwas gesucht. Und ich glaube fast, daß das relativ wichtig sein muß, die Befehle hier sind, gelinde gesagt, mit etwas Nachdruck geschrieben worden.�
�Zeig her!� Alystin nahm ihm den Zettel aus der Hand und überflog ihn kurz.
�Hm. �Grab des Nuktu�� Damit kann ich ehrlich gesagt nichts anfangen.�

Nuktu. Joro war sich nicht sicher. Der Name sagte ihm etwas, aber woher kannte er ihn.
Da fiel es ihm ein. Sein Großvater hatte diesen Namen ein paar Male erwähnt, da war er noch ein Kind gewesen.
�Das ist eine Legende der Menschen. Eine sehr alte und sehr alberne Legende, wenn ihr mich fragt. Mein Großvater hat sie mir immer erzählt, wenn ich als Kind nicht artig war.�
Alystin schaute ihn an und hob zweifelnd eine Augenbraue, was Joro rot werden ließ.
�Naja� er hat immer gesagt, wenn Kinder frech sind und nicht tun, was man von ihnen verlangt, dann kommt nachts der schwarze Ritter Nuktu vorbei und nimmt sie mit in seine Höhle ganz weit im Norden, wo er sie dann zu Eiszapfen macht.�
�Das ist in der Tat eine sehr, SEHR alberne Legende.�
Ghaundar schien das ganze etwas kritischer zu sehen als Alystin.
�Ob albern oder nicht, Legenden haben doch in der Regel einen wahren Kern, auf dem sie aufgebaut sind. Außerdem frage ich mich, wieso eine Armee weit aus dem Süden nach etwas suchen sollte, das nur eine alberne Legende darstellt. Irgendetwas muß an der Sache dran sein.�
�Also haben die nach einer Höhle mit lauter vereisten Kindern darin gesucht, ja?� fragte Alystin spöttisch.
Ghaundar zuckte mit den Schultern.
�Vielleicht��
Die Priesterin schnaubte abschätzig. �Sammelt die Toten ein, wir gehen!�

Trotz der immernoch vorherrschenden, unglaublichen Erschöpfung schafften sie die vier toten Drow auf den Schlitten und zogen diesen dann unter übelsten Anstrengungen den Berg zum Portal hoch.
Oben warteten schon einige Drow auf sie, darunter auch ein paar andere Frauen, wie Joro überrascht auffiel. Bisher hatte er fast nur Männer in der Enklave gesehen.
Schweigend nahmen sie die Ladung in Empfang und wechselten in das Tal herüber. Drüben angekommen gingen alle schweigend zu ihren Hütten, der Schlitten mit den Leichen verschwand im Dunkel.
Joro hatte sich nicht getraut zu fragen, ob er die Toten beerdigen sollte, er hatte das Gefühl gehabt, daß er mit dem Errichten der Gräber zu sehr ihn die Privatsphäre der Drowgemeinschaft eingegriffen hatte.
Da saß er nun in seiner Hütte und fühlte sich gleichzeitig erschöpft und dennoch aufgeregt, weil er nicht wußte, was er von dieser Nuktu-Geschichte halten sollte.
Es klopfte.
Joro ging zur Tür und öffnete sie.
Er war überrascht.
Draußen standen Omareth, Ghaundar und zehn andere Drowmänner, alle mit Fackeln. Hinter ihnen stand der Schlitten mit den vier Toten, die man in Tücher gewickelt hatte.
Ghaundar sah ihn sehr ernst an und Omareth erhob die Stimme.
�Wir brauchen deine Dienste, Totengräber!�
Joro wußte, was zu tun war. Schweigend nahm er seinen Spaten von der Wand neben der Tür und ging vor ihnen her hinter seine Hütte.
Alle halfen mit, die gefrorene Erde über die Toten zu schütten, nachdem Joro sie gesegnet hatte. Als die Gräber geschlossen waren, nahm sich Joro Hammer und Meißel, fragte knapp nach den Namen der Toten und verewigte sie auf den Grabsteinen. Omareth ging dabei und meißelte sie in der Drowsprache darunter.
Dann standen die dreizehn Männer da und sahen Joro dabei zu, wie er noch einmal ein Gebet sprach und die vier Gräber segnete.
Als das vorbei war, gingen sie alle schweigend davon.

Joro stand allein da und war sehr nachdenklich, wie immer wenn er jemanden begraben hatte.
Der Tod war etwas Seltsames. Ein Schwertstreich konnte ausreichen und eine Person war fort, ohne jemals wiederzukehren. Ein ganzes Leben, Jahre von Erfahrungen waren in einem Augenblick ausgelöscht.
Die Trostlosigkeit des Moments brachte ihm unwillkürlich Tränen in die Augen.
Da bemerkte er plötzlich eine Gestalt im Augenwinkel.
Er fuhr herum.
An die Wand seiner Hütte gelehnt stand da Alystin, die Kapuze ihres typischen Drowumhanges, den ihr Volk Piwafwi nannte, tief ins Gesicht gezogen. Sie schien ihn zu mustern.
�Du bist kein gewöhnlicher Mensch, Joro Macun. Das war mir anfänglich nicht ganz klar, aber das wird es allmählich.�
�Wie meinst du das?�
�Du kamst hier als Fremder an, mußtest dir darüber im Klaren sein, daß wir dir nicht trauen werden und dennoch hast du ohne zu zögern einen Platz für dich gesucht und ihn eingenommen, ohne jemals zu fragen, ob wir das überhaupt haben wollen.�
Joro blickte verschämt zu Boden.
�Es tut mir leid, wenn du böse auf mich bist, ich wollte niemandem zu nahe treten.�
Sie schien zu lächeln.
�Ich bin nicht böse auf dich. Ganz im Gegenteil hast du hier und heute etwas sehr Ehrbares getan. Nicht nur, daß du Ghaundar, Omareth und mir das Leben gerettet, sondern auch daß du diese Toten gesegnet hast.�
Joro fühlte sich immernoch unsicher und verlegen.
�Das war doch ganz selbstverständlich��
Alystin schnaubte.
�Du weißt ganz genau, daß es das für uns nicht ist. Unser Volk wird überall auf dieser Welt gehaßt. Und hier in Daishan ganz besonders, seitdem König Welverin versucht hat, alle Oberflächenbewohner auszurotten. Damit hat er uns allen nicht gerade einen guten Dienst erwiesen. Ganz besonders für uns hier ist das ein Problem, wir sind alle nur Sänger, Dichter und Tänzer.�
Joro wußte davon, daß die Anhänger der Eilistraee dafür bekannt waren, nicht den mörderischen und düsteren Pfaden ihrer unterirdischen Volksgenossen zu folgen.
�Für einen Haufen Freigeister seid ihr aber ganz schön wehrhaft�.�
�Wenn du auf dieser Welt schwarze Haut, weiße Haare und spitze Ohren hast, gehört es zu deiner Existenz, zu lernen, dich zu verteidigen, ob du nun friedlich bist oder nicht.�
Damit hatte sie vermutlich recht.
Sie legte den Kopf schief und schien nach Worten zu suchen.
�Ich�ich wollte dir noch einmal danken, Joro. Vielleicht bist du ja doch gar nicht so übel��
Joro strömte eine Welle warmen Glücks durch die Brust. Diese Aussage durfte ihr nicht leicht gefallen sein.
�Dankeschön��
Sie wandte sich zum Gehen.
�Möchtest du vielleicht, äh��
Alystin drehte sich noch einmal zu ihm um und sah ihn ernst, aber definitiv mit einem Schmunzeln in den Augen an.
�Wir wollen doch nicht mit der Tür ins Haus fallen, was?�
Dann drehte sie sich um und ging.


Joro ging sofort ins Bett. Was auch immer Celestus mit ihnen auf dieser Lichtung gemacht hatte, fühlte sich im Nachhinein an, als hätte es ihn einen Teil seiner Lebenskraft gekostet. Oder als ob er mehrere Tage lang nicht geschlafen hatte.
Dementsprechend schlief er wie ein Stein und wachte erst auf, als es schon Mittag war. Müde und schwach schleppte er sich zu der Quelle hinter seiner Hütte hoch, um sich dort zu waschen. Obwohl immernoch Schnee lag, brannte die Sonne heiß vom Himmel, der Frühling kam in Daishan immer schnell und gewaltig. Da es im Tal fast immer windstill war, schaffte das eine seltsame Wärme, so daß er dort mit freiem Oberkörper, aber bis zu den Knöcheln im Schnee stehen konnte, ohne zu frieren.
Das eiskalte Wasser der Bergquelle tat allerdings das Gegenteil, weshalb er sich nach dem Waschen dann doch so schnell er konnte wieder seine Kutte überwarf.
Auf dem Weg nach untern kamen ihm Ghaundar und Omareth entgegen, die eifrig miteinander diskutierten. Als sie ihn sahen, hielten sie inne und blieben stehen.
Ghaundar schien kurz nachzudenken, dann sah er Joro an und fragte:
�Sag mal, du meintest doch gestern, daß Nuktu ein �schwarzer Ritter� war, oder?�
�Öh, ja?�
�Wir haben heute morgen ein paar Bücher gewälzt, aber eigentlich kaum etwas gefunden��
�Kaum etwas, außer, daß es hier im Norden tatsächlich einmal einen großen Kriegsherren gegeben haben soll, der für seine schwarze Rüstung bekannt war�, warf Omareth ein.
�Und sowohl er als auch seine ganze Armee sollen von einem Tag auf den anderen plötzlich verschwunden sein�, ergänzte Ghaundar.
Joro grübelte.
�Und das war schon alles?�
�Ja�, sagte Ghaundar, �ohne jede Spur sollen über fünfhundert Mann plötzlich fort gewesen sein.�
�Was ist mit dem Grab?�
�Nichts. Genausowenig hat man nach seinem Verschwinden jemals wieder von ihm gehört. Also stellt sich die Frage, wie die Legende entstanden ist. In den Aufzeichnungen ist kein Wort von Eiszapfen oder einer Höhle zu lesen.�
Joro winkte den beiden mitzukommen.
�Laßt uns erst einmal in meine Hütte gehen und was essen, dabei kann man besser nachdenken.�
Ghaundar und Omareth schauten sich kurz an, nickten sich dann beide zu und kamen mit.

In der Hütte angekommen griff Omareth unter seinen Piwafwi und holte ein Buch hervor, daß er neben die bereits bereitstehenden Bierkrüge auf dem Tisch legte.
Es war in der Drowsprache geschrieben.
�Na toll, das kann ich wirklich gut lesen, Jungs�� Joro hob eine Augenbraue.
Doch da war etwas, was ihn erschrecken ließ. Auf der Seite, die Omareth aufgeschlagen hatte, war auf der unteren, linken Ecke ein Wappen abgebildet. Es war eine rote Sichel auf schwarzem Grund.
�Was�was ist das?�
�Was denn?� Omareth kam um den Tisch herum, auf einem Stück Schinken kauend, daß er sich vom Runken an der Wand abgeschnitten hatte.
Seine Kinnlade klappte nach untern und der Schinken fiel beinahe auf den Tisch.
�Ich schwöre dir, daß das vorher noch nicht da war.�
�Was habt ihr denn?� Ghaundar schaute ebenfalls in das Buch.
�Verdammt!�
Beide schauten Joro an.
�Das ist doch��
Der Priester nickte.
�Das ist das Wappen des��
Ein lautes Seufzen war aus der Richtung von Joros Bett zu vernehmen und alle drei fuhren herum.
Auf dem Bett saß Celestus. Der Gott schien etwas verlegen zu sein.
�Ich fürchte, daß da ein kleines Geständnis fällig wird.�
Joro sah ihn an und hob eine Augenbraue. Der Gott fuhr fort.
�Nuktu war einer meiner ersten Diener, vor langer, langer Zeit. Und er war auch kein Kriegsherr im eigentlichen Sinne, sondern ein ganz einfacher Totengräber, so wie du, Joro.�
�Und weiter?�
�Es gab einen Anlaß, einen schlimmen. Seine Heimat wurde von einer Horde kriegerischer Nomaden bedroht, die alles niederbrannten, das ihnen in die Quere kam. Also beschloß ich, ihm und seinen Leuten zu helfen.�
�Wie?�
�Ich ließ einen Duergarkönig, der mir ergeben war, eine Rüstung, einen Schild und einen Hammer anfertigen. Ja�der Hammer...�, für einen Moment schienen seine Gedanken abzuschweifen, aber er fing sich wieder, �Dann gab ich Nuktu diese Dinge und ließ ihn das tun, was er für richtig hielt, um seine Heimat zu retten. Aber ich mußte einmal mehr die Erfahrung machen, daß Sterbliche nicht gut mit Macht umgehen können, wenn sie sie haben.�
Ghaundar sah ihn fragend an.
�Wie äußerte sich das?�
�Er wurde verrückt, größenwahnsinnig, um genau zu sein. Als er die Nomaden in die Knie gezwungen hatte, bekam er die fixe Idee, daß eine dauerhafte �Sicherheit� seiner Heimat nur machbar wäre, wenn er alle umliegenden Städte und Regionen erobern und unter seine eigene Herrschaft stellen würde. Das Resultat waren Tausende von Toten in wenigen Wochen. Seine Armee errichtete ein Reich von Sklaverei und Terror. Am Ende wurde mir klar, daß ich ihn loswerden mußte.�
�Und was ist mit seiner Armee passiert?�
�Ohne ihren übermächtigen Anführer waren sie völlig kopflos, ein Sklavenaufstand hat sie alle dahingerafft. Danach haben die Leute diese Zeit kollektiv totgeschwiegen, bis sie vergessen wurde.�
Joro mischte sich ein.
�Aber wir kam denn dann die Legende zustande?�
Der Gott zögerte wieder, dieses Mal etwas länger.
�Seine Seele verweigerte die Passage in die Nachwelt. Sie kehrte gegen meinen Befehl in ihre Hülle zurück. So wandelte er noch einige Zeit über die Welt und unternahm von seinem eigentlich als ewigem Gefängnis gedachten Grab aus mörderische Streifzüge, bis ihn am Ende ein junger hochelfischer Paladin endgültig besiegte.�
�Soso, ein Hochelf� Und der hat ihn wieder in sein Grab gebracht?�
�Ja. Ich zeigte dem Elfen, wo das Grab war. Nachdem dieser ihn dort hingebracht hatte, ließ ich den Eingang einstürzen, damit er niemals wieder heraus käme. Und bis heute ist er auch nicht wieder herausgekommen.�
�Aber er ist immernoch ein Untoter?� Joro runzelte die Stirn.
�Ich weiß es nicht, ich habe mich nicht mehr um ihn gekümmert, zumindest nicht bis heute.�
Ghaundar sah Celestus ernst an.
�Weißt du vielleicht, wieso die goldene Legion nach seinem Grab suchen sollte?�
�Nein, aber eine Vermutung liegt nahe. Die Rüstung und der Hammer sind beides sehr mächtige Artefakte. Zudem gibt es bei den Hochelfen auch eine �Legende von Nuktu�, die allerdings etwas anders ist. Sie glauben, daß Nuktu eines Tages kommen wird, um sich an den Nachfahren des Paladins zu rächen. Und der Prophet ist sein Enkel.�
Ghaundar, Omareth und Joro fiel es wie Schuppen aus den Haaren.
�Also wollten sie sicherstellen, daß er auch wirklich fort ist?�, fragte Joro.
�Das mit Sicherheit, mein Sohn, aber ich glaube da ist noch etwas. Wenn der Prophet die Waffe und die Rüstung seines Erbfeindes besäße, wäre das eine weitere Möglichkeit seine Überlegenheit und Macht mit diesen Insignien zu demonstrieren.�
Omareth schüttelte den Kopf.
�Dann müssen wir sie vor ihnen finden. Wenn es wahr ist, daß der Prophet einen großen Krieg begonnen hat, der droht den ganzen Kontinent zu erfassen, dann dürfen wir keine Chance verstreichen lassen, ihm entgegenzuwirken.�
Joro und Ghaundar nickten.
�Kannst du uns das Grab zeigen, dunkler Herr?�, fragte Ghaundar.
Celestus kicherte.
�Ihr habt gestern genau darauf gestanden��
Omareth schlug sich vor die Stirn.
�Natürlich! Die Lichtung!�
Ghaundar und Joro sahen ihn verwirrt an.
�Mann, Leute! Habt ihr nicht die beiden Steinsäulenreste gesehen? Die waren ein zwar überwuchert, und umgestürzt, aber sie lagen direkt neben dem Schlitten!�
Jetzt fiel es auch den beiden anderen wieder ein.
Wortlos ging Joro zur Tür und nahm seinen Umhang vom Haken.
�Laßt uns gehen.�

Celestus saß noch eine Weile alleine auf dem Bett in Joros Hütte. Hätte er ein Gesicht gehabt, hätte man seine gerunzelte Stirn sehen können. Was da alles auf Joro und seine Begleiter zukam, gefiel ihm nicht im Geringsten. Aber es war der Weg der Sterblichen, das zu tun, was sie tun mußten, das wußte er nur zu gut. Und irgendwie fühlte er sich in diesem Moment einmal wieder sehr gut mit der Tatsache, keiner von ihnen mehr zu sein.


Kapitel 5


�Hätten wir nicht Alystin fragen sollen, ob sie mitkommen möchte?�, frage Joro keuchend, während er hinter Ghaundar und Omareth den Pfad zum Portal hochstapfte.
�Joro?� Omareth drehte sich zu ihm um und grinste ihn an.
�Ja, was?�
�Sag mal, hast du dich eigentlich in sie verliebt?�
Joro wurde rot.
�Ich, äh��
Der Drow sah ihm sehr ernst blickend in die Augen.
�Glaub mir, ehe sich eine Drow mit einem Menschen einlässt, muß schon eine ganze Menge geschehen. Nach meiner eigenen Einschätzung halte ich es für völlig unmöglich.�
Joro drugste herum und Ghaundar klopfte ihm lachend auf die Schulter
�Ich kann dich ja verstehen. Sie ist ja nun nicht gerade hässlich, aber Omareth hat recht, ich würde mir an deiner Stelle nicht die größten Hoffnungen machen. Drow und Menschen passen, was diese Dinge angeht, einfach nicht zusammen.�
Sie stapften eine Weile schweigend weiter. Doch Joro gab sich nicht geschlagen.
�Wer weiß, ihr könnt es mir sowieso nicht ausreden��
Ghaundar und Omareth grinsten sich gegenseitig an, sagten aber beide nichts mehr.
Durch das Portal ging es in den Wald und sie hatten bald die Lichtung erreicht. Die Leichen der Hochelfen hatten die Drow fortgebracht ihrer Waffen und Rüstungen entledigt und sie in einiger Entfernung verbrannt. Über die Blutlachen war bereits wieder frischer Schnee gefallen, so daß außer ein paar abgebrochenen Pfeilen, die in den Bäumen steckten nichts mehr auf einen Kampf schließen ließ, der hier stattgefunden haben mochte.
Tatsächlich jedoch lagen auf der Mitte des kleinen Platzes zwei umgestürzte Steinsäulen, dank einer vom Wind umgeworfenen alten Fichte, unter der sie lagen, waren sie kaum mit Schnee bedeckt.
�Und wie kommen wir da jetzt rein?� Omareth schaute kritisch.
Joro lächelte. �Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Graben, oder?�
Der Drow seufzte.
�Na, dann mal los.�
Omareth zerhackte mit seiner Axt die Fichte, dann schleppten sie den abgetrennten Teil beiseite. Die kommenden zwei Stunden verbrachten sie damit, Erde und Geröll beiseite zu schaffen Dabei dankte Joro innerlich seinem Gott, daß er die Dummheit, seine Schaufel nicht mitzunehmen nicht bereuen mußte, denn es lag kaum Erde auf dem Geröllhaufen, der über dem Grab war.
Schließlich hatten sie eine große Steinplatte freigelegt. Auf ihr war auf sehr eindringliche Art und Weise eine Warnung gemeißelt, die stark davon abriet, sie zur Seite zu schaffen. Und das in drei verschiedenen Sprachen.
�Ich glaub da will jemand nicht, daß wir das Grab öffnen, laßt uns lieber nach Hause gehen�, witzelte Ghaundar, nur um von Omareth einen Schlag an den Kopf zu bekommen.
�Red keinen Unsinn, überleg dir lieber mal, wie wir diese Platte beiseite schaffen. Die wiegt bei ihrer Größe locker zehn Zentner.�
Joro packte wortlos seinen Kriegshammer und schlug ihn mitten auf das Steinquadrat.
Die Platte brach in zwei Hälften, die auf eine Treppe stürzten, die darunter zum Vorschein kam. Ein Schwall eisiger, faulig-alt riechender Luft kam ihnen entgegen.
�Auch eine Möglichkeit�, meinte Omareth trocken.
Joro sah zu seinen Begleiter herüber.
�Gehma?�
Omareth holte seine Axt wieder vom Rücken und Ghaundar zog seine beiden Dolche. Beide nickten und der Zimmermann sagte:
�Gehma!�

Am unteren Ende der Treppe begann ein schmaler, in den Stein gehauener Gang, der kaum mannshoch war. Joro mußte sich fast bücken, die beiden Drow mit ihren knapp unter anderthalb Schritten Körpergröße konnten aufrecht gehen.
Umständlich kletterten sie über die Reste der Steintafel und gingen hinein.
Die Wände waren mit fluoreszierenden Pilzflechten überzogen, die den Gang schwach erleuchteten, deshalb konnte Joro einigermaßen gut sehen. Nach etlichen Schritten erreichten sie eine riesige, halbkugelförmige Höhle. Sie mußte gut fünfzig Schritte Durchmesser haben, wie Joro schätzte.
In ihrer Mitte stand auf einem kruden Steinpodest ein Thron, auf dem jemand � oder etwas � saß. Gerüstet mit einer schwarzen Vollrüstung hockten dort die Überreste einer Person, deren Gesichtszüge nur noch vage �menschlich� zu nennen waren. Das ehemalige Gesicht war mumifiziert und wirkte haßverzerrt. Die Hände waren um die Armlehnen des Thrones gekrallt und es wirkte so, als versuchte die Gestalt zu verhindern, vom seinem Sitzplatz herunterzurutschen.
Ghaundar grunzte hämisch.
�Da konnte sich jemand nicht mit seinem Ende abfinden, was?�
Joro bemerkte einen Hauch des Bösen in der Kammer, der ihm einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
�Sei vorsichtig, Ghaundar, wir sind hier nicht alleine��
�Was meinst du, kommt gleich der böse Watz und ißt uns alle auf?�
Der Priester schaute ihn verärgert an.
�Nein, aber hier ist etwas, und dieses Etwas ist uns nicht gerade freundlich gesonnen.�
Ein Flackern erstrahlte in der Luft und eine bläulich schimmernde Gestalt manifestierte sich direkt neben dem Assassinen.
Ghaundar wich einem Schlag nur knapp aus und rollte sich über den Boden ab.
Die anderen beiden hoben ihre Waffen.
�Wer seid ihr, was wollt ihr von mir?� Die Stimme klang wie Fingernägel, die über eine Schiefertafel kratzten. Ohne eine Antwort abzuwarten, griff die Gestalt wieder an.
Aber sie schien nicht auf Gegenwehr gefaßt gewesen zu sein. Die magischen Klingen der Drow und Joros dunkler Hammer prasselten auf die Erscheinung nieder, während die eigentlich materielose Essenz des Geistes nicht dazu in der Lage war, ihre Deckung zu durchbrechen.
Mit einem Heulen aus Wut und Verzweiflung ging der Geist wieder auf Distanz.
�Ihr könnt mich nicht zerstören! Meine Seele ist auf ewig mit diesem Ort verbunden!�
�Zerstören vielleicht nicht, aber ich werde dich ein für alle Mal von dieser Welt verbannen!�
Joro hielt verblüfft inne. Hatte er das gerade gesagt? Mußte er wohl, also sollte er Worten Taten folgen lassen.
Er setzte seine Maske auf und hob seinen Hammer.
�Deine letzte Chance, diese Welt freiwillig zu verlassen ist jetzt Nuktu! Geh oder trage die Konsequenzen!�
Die Gestalt vor ihm wand sich in Schmerzen. �Niemals! Du kannst mich gar nicht verbannen!�
Celestus� Stimme klang ruhig und klar in Joros Kopf. �Doch, das kannst du. Sein Wille hat ihn schon seit langer Zeit verlassen, er ist in der Tat nur noch das, als was er erscheint: ein Schatten seiner früheren Existenz.�
Joro begann ein Gebet zu murmeln, und ging Schritt für Schritt auf den Geist zu, den Hammer vor sich haltend.
Mit jedem Schritt, den er tat, flackerte die Gestalt auf und wurde durchscheinender. Als sie die Wand der Kammer erreichten, war es nur noch ein schwacher Lichtschein mitten in der Luft.
Nuktu begann zu wimmern.
Doch Joro wußte, daß es ein Ende finden mußte. Er tat noch einen weiteren Schritt und legte den Hammer auf die Stirn des haßverzerrten Gesichtes. Dessen Ausdruck änderte sich daraufhin zu einem traurigen Ausdruck.
�Dann muß es wohl sein�� Auch wenn sein Gesichtsausdruck mit einem Male den Haß verlor, war das Gesicht des ehemals bösen Ritters dennoch von Verachtung beseelt.
�Was auch immer du mit mir tust, du wirst am Ende den gleichen Weg gehen wie ich, junger Priester. Das tut jeder, der sich mit Celestus einläßt.�
Ein letztes Aufflackern und dann war es vorbei.
Für einen Moment war Joro noch wie gelähmt, dann hörte er hinter sich jemanden anerkennend pfeifen.
Ghaundar und Omareth standen neben dem Thron und der Zimmermann betrachtete die Rüstung, die der Tote trug.
�Ich kann nicht behaupten, in meinem ganzen Leben jemals eine besser gearbeitete Rüstung gesehen zu haben, als die hier. Wer auch immer die gebaut hat, wird in seinem Leben vermutlich kaum ein besseres Stück hergestellt haben.�
Joro ließ endlich seinen Hammer sinken und kam zu den beiden herüber um sich die Mumie selber anzusehen.
Die Rüstung war aus einem schwarzen Metall gefertigt, über und über mit schwarzen Sicheln verziert, die im Schein der Pilze rötlich schimmerten.
Es war ein kompletter Plattenharnisch, der nur an den Gelenkteilen mit flexiblem Kettenzeug ausgestattet war. Statt einer Hose war der Beinteil wie ein Rock geschnitten, Kriegsrobe nannte man diese Rüstungsbauweise wohl.
Der Helm , ein Vollhelm aus dem selben schwarzen Metall und ebenfalls mit Sicheln verziert, hatte eine Kronenrand. Bei genauerem Hinsehen fiel ihm auf, daß sich im oberen Teil ein Visier befand, das scheinbar beim Hochklappen im Helm selbst verschwand. Er klappte es herunter und zu seiner Überraschung stellte er fest, daß das Visier exakt genauso aussah wie seine Maske.
�Sieht so aus, als wärst du grade Besitzer einer sehr guten und alten Rüstung geworden, Mensch�, sagte Omareth.
Irgendetwas in Joro fühlte sich nicht wohl damit, einer Leiche die Rüstung zu stehlen. Auf der anderen Seite hatte er das Gefühl, daß es dämlich wäre, sie nicht zu nutzen wenn sie schon da war. Also begann er, mit den beiden Drow als Hilfe, die Mumie von der Rüstung zu befreien.

Es überraschte ihn nicht im Geringsten, daß jeder einzelne Teil der Rüstung wie angegossen paßte. Als er fertig mit dem Anlegen war, zog er seine Robe über den Panzer. Ähnlich wie sein Hammer schien die Rüstung, die nicht gerade dünn war, überhaupt nichts zu wiegen. Sie lag auf seinem Körper wie eine zweite Haut und schränkte seine Bewegungen praktisch gar nicht ein.
Die beiden Drow standen vor ihm und musterten ihn von oben bis unten.
�Gar nicht mal wenig beeindruckend.� Ghaundar schien richtig begeistert zu sein. Auch Omareth, dessen Art ihm gegenüber ja normalerweise immer etwas spöttisch oder manchmal gar reserviert erschien konnte sich eines Blickes der Bewunderung nicht erwehren.
Hinter dem Thron lehnte ein Turmschild, der so groß war, daß sich Ghaundar, der von den beiden Dunkelelfen der kleinere war, locker dahinter verstecken konnte. Er war gut anderthalb Schritte hoch und fast einen breit, hatte eine rechteckige Grundform und war in sich gebogen, um sich um die Seite des Benutzenden zu legen. Auf ihm prangte die rote Sichel des Celestus.
Joro hob es an und hielt es in Position, und auch der Schild war scheinbar fast gewichtslos.
Wie er da so stand, mit einer dicken Schale von Metall umgeben, fühlte er sich seltsam ruhig und sicher.
Da fiel ihm etwas ein.
�Der Hammer!�
�Ja, genau, was ist mit dem Hammer?� stimmte Omareth zu, �der müßte doch eigentlich auch hier sein oder nicht?�
�Also, wenn der hier ist, dann muß er versteckt sein, außer dem Thron ist hier drin nichts�, meinte Ghaundar.
�Vielleicht ist der Thron ja der Schlüssel��
Die drei untersuchten den hölzernen Sessel eine Weile, bis Ghaundar am unteren Ende der linken Armlehne einen kleinen Hebel entdeckte. Als er diesen betätigte, setze sich der Thron mitsamt seinem Steinpodest in Bewegung und fuhr nach hinten.
Eine Flut von Kälte durchzog den Raum und bedeckte sowohl den Boden als auch den unteren Teil der Wände mit Reif. Joro bemerkte, daß sein Atem plötzlich Wölkchen bildete.
Unter dem Thron war eine Mulde in den Boden eingelassen, aus der es bläulich schimmerte. Joro trat heran und schaute hinein.
Auf einem Gestell aus gefrorenem Holz lag ein etwa armlanger Hammer, dessen quaderförmiger Kopf aus einem blauen Kristall gefertigt war und in einem schwachen, blauen Licht leuchtete. Er war gut eine Handbreit im Durchmesser und zwei Handbreit lang. Der Stiel war aus dem selben Metall gefertigt wie die Rüstung und hatte � selbstredend, wie Joro dachte - die selben Sicheln darauf. Der Kristall, der den Kopf des Hammers bildete mußte kälter als Eis sein, denn jegliche Form von Luftfeuchtigkeit wurde kontinuierlich in kleine Wölkchen verwandelt, die zu Boden sanken.
Joros alter Hammer war plötzlich verschwunden, wie er feststellte.
Die Stimme in seinem Kopf klang irgendwo zwischen erleichtert und feierlich.
�Den alten brauchst du jetzt nicht mehr, nimm deine neue Waffe.�
Joro griff nach dem Hammer, packte den Stiel in der Mitte und hob die recht schwere Waffe aus der Mulde, wobei sich leichter Rauhreif auf seinem Plattenhandschuh bildete.
Seine beiden Begleiter standen neben ihm und blickten sehr ernst.
�Das ist wirklich ein ziemlich gefährliches Gerät, Joro�, sagte Ghaundar mit leicht besorgt klingender Stimme, � Mit der Waffe ist nicht zu spaßen. Nur gut, daß wir ihn gefunden haben und nicht die Hochelfen.�
Omareth nickte zustimmend.
�Das sehe ich genauso. Celestus hat gesagt, daß ein Duergar diese Waffe geschmiedet hat. Man kann von Dunkelzwergen halten, was man will, aber von der Schmiedekunst verstehen sie etwas. Sogar eine Menge.�
Unschlüssig, was er darauf erwidern sollte, hing Joro den Hammer erst einmal in die Gürtelschlaufe. An der Stelle wo der Kopf die Robe berührte, gefror der Stoff mit einem Knirschen.
�Gehen wir?�, fragte Ghaundar.
�Nein, ich muß noch etwas mitnehmen�, erwiderte der Priester, �Nach all der Zeit hat dieser Mann ein ordentliches Begräbnis verdient.� Er begann die Gebeine des Nuktu zusammenzusammeln, nahm seinen Umhang ab und schnürte sie in ihm zu einem Bündel.
�Ich bin überrascht, daß du ihn mitnimmst, Mensch�, Omareth sah ihn fragend an.
�Natürlich nehme ich ihn mit. Heute hat eine verwirrte und leidende Seele endlich den Weg ins Nachleben gefunden. Sollen seine Gebeine den selben Frieden finden.�
Zunächst unschlüssig, was er mit dem Schild machen sollte, fiel ihm plötzlich eine Schiene auf dem Rücken seines Harnisches auf, die mit zwei Haken versehen war. Der obere Rand des Schildes ließ sich darin einhaken und so bequem auf dem Rücken transportieren.
Er hängte ihn ein und nahm das Bündel auf.
Dann verließen sie die Kammer und machten sich auf den Weg zurück in die Enklave.


Kapitel 6


Wieder in seiner Hütte angekommen, sank Joro erst einmal erschöpft auf sein Bett. Er hatte die Rüstung ausgezogen und neben den Kamin gelegt, der Hammer hing an der Wand , wo er eine kleine runde Eisfläche auf dem Putz bildete.
Omareth hatte ihm auf dem Rückweg versprochen, für Hammer, Rüstung und Schild Ständer zu bauen. Nach seinen Angaben würde das gut einen Tag dauern, bis dahin wollte sich Joro ein bißchen ausruhen.
Außerdem lag ihm noch ein Stein auf der Brust.
Am folgenden Tag stand das Sonnwendfest an und er wußte nicht, was er davon halten sollte. Die Rolle, die er hier spielte, war ihm immernoch nicht ganz klar und ihm war mulmig zumute, wenn er daran dachte, was ihn wohl erwartete. Ganz davon abgesehen waren seine Kenntnisse von dunkelelfischen Riten nicht gerade die besten, ihre Religion kannte er ebenfalls nicht ausreichend. Selbst ihre Sprache verstand er trotz seiner Herkunft als Daishani ausgesprochen schlecht, immerhin war Drow eine Hochsprache mit einer gehörigen Portion Komplexität. Dementsprechend dankbar war er für die Tatsache, daß zumindest Alystin, Omareth und Ghaundar die Allgemeinsprache so gut beherrschten, Ghaundar hatte sogar einen leichten Daishaniakzent.
An Schlafen war irgendwie nicht zu denken, also stand Joro wieder auf, nahm sich ein Stück Schinken und einen Krug Bier. Da klopfte es.
Paradoxerweise kamen immer alle zu ihm, wie ihm auffiel. Außer seiner eigenen Hütte, hatte er hier noch keine einzige andere Behausung von innen gesehen. Vielleicht auch so eine Drowangewohnheit, wer wußte das schon.
�Herein, es ist offen!�
Die Tür ging auf und herein kam � Alystin. Joro kippte vor Schreck fast vom Hocker.
Hektisch sprang er auf und wies ihr unbeholfen einen Stuhl.
�S�setz dich doch. Magst du etwas essen oder trinken?�
Die Priesterin lächelte und verbeugte sich.
�Oloth pholor doss, Joro Macun. Nein danke, ich habe bereits etwas gegessen, aber ich nehme gerne einen Becher Wasser.�
Unbeholfen, weil unsicher, holte Joro einen der tönernen Krüge und schöpfte etwas Wasser aus dem Schmelzwasserfaß vor der Tür. Dann stellte er ihn zusammen mit einem Trinkbecher auf den Tisch vor der Drow.
Er grinste gequält.
�Immerhin hast du mich dieses Mal nicht �Ogglin� genannt, so wie damals als wir uns zum ersten Mal sahen.�
Sie lachte.
�Das hast du dir gut gemerkt, was? Nein, ich würde niemals die Unhöflichkeit begehen, jemanden in seinem eigenen Haus zu beleidigen, während ich seine Gastfreundschaft in Anspruch nehme. Ich denke das macht ihr Menschen doch auch nicht, oder?�
�Nein, meistens nicht��
Alystin lachte wieder, sah ihn dann aber mit etwas ernsterem Gesichtsausdruck an.
�Du wirst dich sicher fragen, weshalb ich hier bin, oder?�
Joro nickte. Er fragte sich zwar auch, wie sie wohl ohne ihre Kleidung aussah, aber es erschien ihm irgendwie unpassend, daß zu sagen.
Sie schien zu überlegen, wie sie fortfahren sollte.
�Ich habe vorhin mit Ghaundar gesprochen und er hat mir erzählt, was heute geschehen ist. Ich bin sehr beruhigt, daß diese Gegenstände sich jetzt in unserer Obhut befinden und nicht bei möglichen Feinden gelandet sind.� Dabei sah sie zu Hammer und Rüstung herüber.
�Celestus schien es wichtig zu sein, also haben wir sie geholt.�
�Das ist gut��
Beide schwiegen einen Moment lang. Dann erhob Alystin wieder die Stimme.
�Was morgen angeht��
�Ja?�
�Wenn du möchtest, kannst du an unserem Fest teilnehmen.�
Die Art und Weise, wie das formuliert war, ließ darauf schließen, daß eine Teilnahme seinerseits mitnichten selbstverständlich gewesen war. Und wie er meinte Alystin zu kennen war er sich ziemlich sicher, daß sie sich mit den diesbezüglichen Gedanken sehr lange herumgeschlagen haben mußte. Es stellte sich ihm allerdings schon die Frage, was dazu geführt hatte, daß sie es sich anders überlegt hatte.
�Wenn ich das darf, dann würde ich das auch gerne tun. Ich habe allerdings zu meiner Schande keinerlei Ahnung, wie ich mich dort verhalten soll.
Alystin lachte laut.
�Schau es dir einfach an, da gibt es nicht viel zu verstehen. Wir werden musizieren, tanzen und den Beginn des Frühlings feiern.�
Der plötzliche Ausbruch von Fröhlichkeit verunsicherte Joro vollends. Aber jetzt mußte er sich ein Herz fassen, weil er endlich Klarheit wollte.
�Alystin?�
�Ja?�
�Ich muß dich etwas fragen, das mir sehr wichtig ist.�
Sie sah ihn, immernoch lächelnd an und hob eine Augenbraue.
�Und was?�
�Ich�ich möchte wissen, woran ich bei dir bin. Manchmal verhältst du dich mir gegenüber komplett abweisend, aber das ist nun schon das zweite Mal, daß wir beide allein sind und du erscheinst mir wieder einmal seltsam anders.�
Alystin sah ihn kritisch an und schien zu überlegen.
�Ich weiß nicht�, fuhr Joro fort, �ob du mich nun haßt oder nicht, ob du mich hier haben willst oder nicht�� Er rang nach weiteren Worten.
Sie schien immernoch zu überlegen, was sie darauf antworten sollte, dann sah sie ihm direkt in die Augen und ein verschmitztes Lächeln huschte durch ihren rechten Mundwinkel.
�Weißt du, Joro� du bist für mich eine ganz schön schwierige Angelegenheit.�
�Aber wieso? Nur weil ich ein Mensch bin?�
�Nein. Es ist vielmehr so, daß sich in deiner Person eine ganze Reihe von Dingen summieren, die jeweils für sich genommen eine andere Behandlung erfordern.�
�Und das soll heißen?�
�Nun ja,�, fuhr sie fort, �Erstens bist du ein Mensch, wie du schon richtig sagst. Das heißt, daß ich natürlich Vorbehalte habe, ob ein Zusammenleben mit dir an diesem Ort für dich und uns überhaupt funktionieren kann. Über den Punkt kann ich allerdings mittlerweile weitestgehend hinweg sehen, denn ich denke daß du dich unter anderem durch die Freundschaft mit Ghaundar � und durchaus auch zum Teil mit Omareth � relativ gut integriert hast.�
�Und Zweitens?�
�Zweitens bin ich die Hohepriesterin dieser Gemeinschaft und muß daher zu allen in gewisser Hinsicht eine förmliche Distanz wahren, um meine Autorität zu schützen, wie du dir sicherlich denken kannst.�
�Und Drittens?�
Alystin grinste ihn unverhohlen an.
�Drittens bist du ganz offensichtlich horrend in mich verliebt.�
Joro traf der Schlag. Er wurde so rot, daß er seinen Herzschlag unter der Schädeldecke spürte.
Verlegen sah er zu Boden.
�Ist das wirklich so offensichtlich?�
�Nun ja, du bist nicht einmal eine Woche hier und der ganze Ort tuschelt schon darüber.�
Joro schämte sich abartig.
�Es tut mir leid, Alystin� Ich��
Sie lächelte ihn an.
�Das muß dir doch nicht leid tun. Als Frau fühle ich mich ganz unglaublich geschmeichelt. Aber als Hohepriesterin kann ich mich dazu natürlich nicht äußern oder dadurch mein Verhalten beeinflussen lassen. Das mußt du verstehen.�
Der junge Mensch fühlte sich ganz matt und furchtbar.
�Das heißt also am Ende, daß du nur nett zu mir sein kannst, wenn keiner der anderen zuschaut?�
�Ja, ich fürchte das ist notwendig. Als Ghaundar mir vor einigen Jahrzehnten Avancen machte, habe ich das auch tun müssen.�
Joro war überrascht.
�Ghaundar?�
�Ja, vor etwa einhundert Jahren, vielleicht ein paar mehr, meinte Ghaundar für eine Weile, wir beide wären ein gutes Paar.�
�Und du auch?�
�Nein, nicht wirklich. Ghaundar ist ein netter Kerl, aber er hat etwas an sich, daß einem das Blut gefrieren läßt. Hast du ihm jemals in die Augen gesehen, wenn er jemanden tötet?�
Das hatte Joro. Damals als Ghaundar den Hals des Bischofs von Bargum durchgeschnitten hatte, hatten seine Augen für einen Moment einen leeren, matten Glanz bekommen, als ob seine Seele für einen Augenblick von ihm gewichen war. Er nickte.
�Dann weißt du auch, warum ich mich von ihm distanzierte. Damals fiel mir das auch nicht schwer��
�Joro hatte den seltsamen Aufbau ihrer letzten Aussage sehr wohl bemerkt, aber er hielt sich selbst davon ab, nachzufragen.
�Wenn ich dich mit meinem Verhalten in Bedrängnis bringe, dann werde ich versuchen mich etwas zurückzunehmen.�
Alystin schüttelte den Kopf.
�Wir Jünger der dunklen Maid glauben an die Macht der Gefühle, Joro. Damit geht einher, daß man sich von seinem Herzen leiten lassen soll.�
�Und wie soll das gehen?�, fragte Joro verzweifelt, � Wenn ich an dich denke, bekomme ich ein warmes Gefühl im Bauch. Wenn ich dich sehe, springt mir das Herz in der Brust und ich bekomme weiche Knie und zittrige Hände� Und dabei kenne ich dich erst seit drei Tagen��
Alystin gebot ihm mit einer Handbewegung zu schweigen, stand auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Sie beugte sich sanft zu ihm herunter und ihre Lippen legten sich für einen kurzen Augenblick auf die seinen. Ein leichter Geruch von Waldbeeren kroch in seine Nase.
Joro wurde fast ohnmächtig.
Sie richtete sich wieder auf und lächelte ihn an.
�Nimm dich nicht zurück, Joro Macun. Ich habe niemals gesagt, daß ich dich nicht leiden kann.�
Sie wandte sich um und verließ die Hütte.

Joro saß völlig benebelt auf seinem Stuhl und hatte eine gewaltige Erektion.
Er wußte nicht, wie lange er da gesessen hatte, aber als er wieder zu sich kam, rannte er wie ein Irrer aus seiner Hütte, zur Quelle hoch und hielt seinen Kopf für eine sehr lange Zeit in den steinernen Basin, in den das eisige Wasser lief.
Als er den Kopf wieder herausnahm, bemerkte er, daß Ghaundar neben ihm stand.
Dieser sah ihn spöttisch an.
�Was ist denn mit dir los?�
�Frag nicht! Einfach � nicht � fragen.�
�Brauchst du Hilfe?�
�Ich hab keine Ahnung, ich weiß eigentlich gar nichts mehr.�
�Oh Mann, dir muss ja eine Laus von der Größe eines Yaks über die Leber gelaufen sein, Komm, ich bring dich erstmal zu deiner Hütte, du erkältest dich noch.�
Wieder in der warmen Stube, saß Joro, immernoch völlig verwirrt, auf seinem Stuhl, Ghaundar ihm gegenüber.
�Willst du mir nicht erzählen, was geschehen ist?�
�Ich glaube ehrlich gesagt, es wäre besser, wenn ich das nicht tue.�
�Hm..:�
�Wenn ich dir das erzähle, wird alles nur noch schlimmer. Ich weiß selber noch nicht, was ich darüber denken soll��
Ghaundar erschien es als sinnvoll, den Priester auf andere Gedanken zu bringen, also versuchte er, daß Thema zu wechseln.
�Hat dich Alystin schon zum Fest eingeladen? Sie hat vorhin gesagt, sie wolle heute noch mit dir reden� Moment mal, das ist doch nicht etwa der Grund für deinen Zustand, oder?�
Joro schwieg, aber Ghaundar dämmerte es bereits.
�Schon gut, ich werde keiner Seele etwas erzählen, das schwöre ich dir.�
Joro sah ihn an.
�Ghaundar? Bist du immernoch in Alystin verliebt?�
Der Assassine sah ihn überrascht an.
�Hat sie dir davon erzählt?�
�Ja��
Ghaundar lachte.
�Von verliebt kann da gar keine Rede sein. Ich war aus pragmatischen Gründen eine Zeit lang der Ansicht, daß es eine gute Verbindung sei, wenn sie und ich zusammenkämen.�
�Warum?�
�Weil sie bildschön und sehr klug ist.�
�Ach, und das ist ein Grund, eine Beziehung einzugehen?�
Ghaundar zuckte mit den Achseln.
�Ich bin keine sonderlich tiefgründige oder emotionale Person, Joro. Meine Kindheit bestand daraus, das Töten zu erlernen und das stumpft vermutlich ein bißchen ab. Und von einem nüchternen und logischen Standpunkt aus betrachtet erschien sie eine perfekte Partnerin zu sein. Aber�Alystin ist anders.�
�Inwiefern?�
�Sie ist das absolute Gegenteil von mir. Ihre ganze Welt dreht sich nur um Gefühle. Sie kann zwar unglaublich nüchtern und kalt sein, wenn es die Situation erfordert, aber im Wesentlichen wird ihr ganzes Privatleben von ihrem Herzen und ihrer Intuition bestimmt. Im Unterreich ist sie deshalb fast getötet worden, du kennst die Bräuche unserer in der Tiefe lebender Geschwister.�
�Das heißt, du hattest keinerlei Gefühle für sie?�
�Nun�eine Weile habe ich mir einbildet, ich empfände so etwas wie Zuneigung für sie, aber wenn ich ehrlich bin, war es wohl eher Berechnung.�
Joro blickte auf seine Hände, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
�Und du schwörst, daß du wirklich niemandem etwas sagst?�
�Ja.�
�Und darauf kann ich mich verlassen?�
Ghaundar schien fast ein Bißchen gekränkt.
�Natürlich kannst du das!�
Joro drugste herum.
�Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, und ich weiß auch nicht, ob ich mir da etwas einbilde, aber� ich habe irgendwie den Eindruck, daß Alystin vielleicht nicht ganz uninteressiert an mir sein könnte.�
�Was?� Ghaundar schien ehrlich überrascht.
�Sie�sie hat mich geküßt�
Ghaundars starrte ihn völlig fassungslos an. Dann rappelte er sich wieder auf.
�Wen das wirklich wahr ist, dann solltest du dir jetzt wirklich sehr genau überlegen, wie du mit der Situation umgehst, Joro�, sagte er ernst.
�Warum?�
�Weil sie unsere Anführerin ist. Und sie wird sich selbst sehr gut darüber im Klaren sein, was ihre Gefühle für dich bedeuten. Für uns alle. Sie ist alt genug um deine Ur-urgroßmutter zu sein, also kannst du davon ausgehen, daß sie genug Lebenserfahrung mitbringt um die Folgen abzusehen. Nur mußt du das selber auch begreifen.�
�Ich verstehe nicht genau, was du meinst�, Joro verzog das Gesicht.
�Joro, die Leute hier mögen dich für die Tatsache, daß du kaum drei Tage hier bist und ein Mensch bist erstaunlich gern. Aber das ändert aber nicht daran, daß du eben ein Mensch bist. Wenn unsere Anführerin mit dir ein Verhältnis eingehen würde, oder wenn sich das auch nur annähernd andeuten würde, wäre das schlichtweg nicht genug. Ob sie dich nun mag, oder nicht, du bist und bleibst ein Mensch und als solcher müßtest du schon einen unglaublich hohen Respekt genießen, daß das hier gebilligt würde.�
�Aber da liegt der Hund doch schon begraben! Ich bin eben gerade einmal drei Tage hier, wie soll ich da solch einen Status bekommen?�
Ghaundar kratzte sich unentschlossen am Kopf.
�In den drei Tagen hast du dir hier schon mehr Respekt verschafft, als es ein Drow hätte schaffen können. Aber das würde am Ende einfach noch nicht reichen��
Joro war verzweifelt.
�Warum muß eigentlich immer alles im Leben so kompliziert sein? Ich meine, ich persönlich bin doch derjenige, der hier an diesem Ort in Haß zerschmelzen müßte! Immerhin bin ich von euren Leuten umgebracht worden! Aber ich betrachte euch alle nur als Personen und nicht bewerte euch nicht nach eurer Hautfarbe und Körpergröße!�
Ghaundar verkniff sich einen Witz bezüglich Körpergerüchen und nickte Joro stattdessen zu.
�Aber du weißt auch ganz genau, wie lang und grausam hier in Daishan der Krieg zwischen Drow und Menschen getobt hat, nämlich für Jahrhunderte. Erst seit Welverin endlich tot ist, hat es überhaupt mal so etwas wie einen Waffenstillstand gegeben und das ist auch erst zwei Jahre her.�
�Aber mit diesem andauernden Groll aufeinander geht das doch nie zuende!�
Der Drow lächelte gequält.
�Deinen Idealismus in Ehren, aber das ist nicht der Weg, den die Leute gehen. Eine Chance auf Frieden hebt nicht einfach den Haß von ganzen Menschengenerationen auf.�
�Und bei den Drow? Einige von euch müssen doch noch den Beginn des Krieges miterlebt haben.�
�Ich war 63 Jahre als, als Welverin an die Macht kam. Ich war jung, dumm und darauf abgerichtet, ohne Fragen zu stellen Leben zu beenden. Die ersten ein bis zweihundert Jahre meines Lebens habe ich niemals meine eigenen Handlungen hinterfragt, denn das war auch nicht das Gebot der Stunde. Ich habe nur Befehle befolgt und getan was man mir aufgetragen hat. Erst als der König getötet wurde und ich an die Oberfläche fliehen mußte, sah ich was die Menschen dort erlitten hatten.�
�Und hast du da endlich angefangen über die Richtigkeit deiner Taten nachzudenken?�
�Ja, aber da waren schon acht Menschengenerationen in Gewalt, Angst und Tod aufgewachsen. Ich habe mich verstecken müssen und wenn mich Alystin nicht gefunden hätte, wäre ich bestimmt bald umgekommen. Du hast ja gesehen, was geschah, als du mich fandest, wir waren nur zum Handeln nach Bargum unterwegs und die haben uns einfach gelyncht.�
Joro dachte nach. Wenn man sich vor Augen halten mußte, daß selbst eine einfach Handelstour für einen Drow nach dem belannten Tode Welverins immernoch ein Wagnis darstellte, sprach das mit Sicherheit für sich. Alleine in Anbetracht dieser Tatsache erschien es fast unglaublich, daß Alystin überhaupt erlaubt hatte, daß er hierbleiben durfte. Und die negative Haltung der Drow ihm gegenüber war auch mehr als verständlich.
�Ich verstehe eure Position in dieser Welt, Ghaundar.�
Der nickte anerkennend.
�Aber ich hoffe, daß ich dieser Gemeinschaft bisher nicht einen Anlaß zum Ärger geboten habe und das auch niemals tun werde. Nichts wünschte ich mir mehr.�
�Du bist auf dem besten Wege, hier viele Freunde zu finden�, Ghaundar lächelte und stand auf.
�Geh am Besten erst einmal schlafen, morgen Abend wirst du unter Umständen nicht viel Zeit dazu haben.�
Er ließ Joro allein.

Nachdem Ghaundar gegangen war, lag Joro noch eine Weile auf seinem Bett starrte beim abnehmenden Licht des erlöschenden Kaminfeuers an die Decke. Da kam vielleicht Einiges auf ihn zu�
Er schlief nicht lange und hatte einen sehr leichten Schlaf. Als die ersten Sonnenstrahlen über die Berge krochen, sprang er aus dem Bett, warf seine dicke Robe über und trat heraus in den Schnee, um hinter seine Hütte zum Friedhof zu gehen.
Auf dem Grab des Nuktu saß Celestus. Seine Körperhaltung sah so aus, als denke er über etwas nach, er blickte, den Kopf auf die Hände gestützt auf den Grabstein.
�Joro, mein Joro��
�Was ist mir dir los, Herr?�
�Wirst du seinen Weg gehen? Oder wirst du dein Herz immer über deinen Geist siegen lassen?�
Joro war sich nicht sicher, was der Gott eigentlich von ihm wollte, also fragte er lieber nach. �Wie meinst du das?�
Celestus wandte sich um.
�Ich weiß, daß du ein guter Kerl bist, das steht außer Frage. Aber kann ich mir auch sicher sein, daß du das, was du einmal tun müssen wirst, auch meistern kannst ohne dich selbst zu verlieren, so wie Nuktu das leider tat?�
�So komisch sich das für dich auch anhören mag, aber ich werde einfach alles auf mich zukommen lassen und sehen, was zu tun ist.�
�An den Dingen, die ich dir gestern gab, klebt das Blut einiger Tausend Unschuldiger. Ich wäre von mir aus niemals auf die Idee gekommen, sie in deine oder irgendeines anderen Obhut zu geben, aber für Götter kommen die Dinge auch manchmal anders, als sie es sich ausgerechnet haben.�
Joro dämmerte etwas.
�Du hast Angst, daß mich der Hammer und die Rüstung verderben könnten, richtig?�
�Ja. Nuktu hatte sie so lange bei sich und hat damit so Unsägliches getan. Ich hoffe inständig, daß nichts von seinem Haß auf dich abfärbt.�
�Das mußt du nicht. Seitdem ich tot war, fühle ich anders. Oder glaubst du, ich könnte auch nur einen Tag hier sein, wenn dem nicht so wäre?�
Der Gott legte den Kopf schief und schüttelte ihn dann.
�Nein, vermutlich nicht.�
�Außerdem wirst du mich doch hoffentlich warnen, wenn ich im Begriff bin, etwas sehr Dummes zu tun, nicht wahr?�
�Ja.�
�Na also. Und jetzt mal runter von der Ruhestätte, du Grabschänder!�
Der Gott sah ihn verdutzt an, dann brach er in schallendes Gelächter aus.
�In Ordnung, die Runde ging an dich, das muß der Neid dir lassen!�
Er verschwand.

Jetzt, da sein Herr nicht mehr im Weg war, begann Joro damit, die Gräber vom Eis zu befreien, das sich des Nachts darauf gebildet hatte.
Eis hatte die unangenehme Eigenschaft, die Grabsteine zu beschädigen und die Erde auf den Gruben rissig zu machen. Das störte ihn in gewaltig in seinem ästhetischen Empfinden.
Nachdem er das erledigt hatte, schaufelte der noch den Schnee von den Wegen zwischen den einzelnen Ruhestätten.
Omareth kam den Weg von der Quelle herunter und sah Joro arbeiten.
�Na, brauchst du Hilfe?�
�Danke, nein. Die Schufterei hilft ungemein beim Nachdenken.�
Omareth kicherte.
�Das geht mir genauso, Ich hab gestern Abend noch die Ständer fertig gemacht, ich bring sie dir gleich mal.�
Joro schaufelte noch eine Weile weiter und setzte sich vor seine Hütte, um zu verschnaufen, ein Bier zu trinken, Bergluft und Sonne zu genießen und auf Omareth zu warten.
Der kam auch bald um die Ecke gebogen, auf jeder Schulter ein Holzgerüst.
Joro war immer wieder überrascht, wie verflucht stark dieser kleine Mann war, der ihm nicht einmal wirklich bis zur Brust reichte.
Der Zimmermann wuchtete die beiden Konstrukte grinsend in Joros Hütte und machte sich daran, die Rüstung, den Schild und den Hammer darauf abzulegen.
�Äh, brauchst du vielleicht etwas Hilfe?�
�Nein, du weißt ja, wie das mit dem Nachdenken ist��
Als er fertig war, schaute der Drow prüfend auf sein Werk und nickte dann zufrieden.
�Ich weiß gar nicht, wie ich mich revanchieren soll.� Joro scharrte verlegen mit den Füßen.
�Das geht schon in Ordnung, Mensch. Du hast vorgestern meinen Neffen begraben, eher stehe ich in deiner Schuld als anders herum.�
�Oh� das wußte ich nicht.�
Omareth klopfte ihm auf die Schulter.
�Ist schon in Ordnung. Jeder von uns muß irgendwann einmal sterben. Und wenn ich Ghaundars Geschichten über dich glauben darf, dann weißt du das selbst am Besten.�
Joro blickte ihn an und nickte dann.
�Willst du `n Bier?�
�Jo.�
Also saßen sie zu zweit vor der Hütte, nachdem sie noch einmal das gute Werk betrachtet hatten und tranken ihren Frühschoppen.
Ghaundar kam vorbei, sah die beiden und lachte laut.
�Na, euch beiden geht�s aber heute wieder prima, was?�
�Wir beide haben heute schon etwas geleistet, wie sieht es mit dir aus?� warf Omareth grinsend zurück.
�Hm, wie wäre es hiermit?� Ghaundar holte einen Auerhahn hinter seinem Rücken hervor.

Kurze Zeit später brutzelte der Vogel auf einem kleinen Feuer vor Joros Hütte und die drei saßen davor auf einer Bank und tranken ihr Bier.
Alystin kam an der Hütte vorbei und als sie die drei sah, setzte sie eine ernste Miene auf und schüttelte im Vorbeigehen tadelnd den Kopf, aber Joro war sich sicher, sie im Fortgehen grinsen gesehen zu haben.
�Du starrst schon wieder!�
�Was?�
�Du starrst sie schon wieder an!� Ghaundar kicherte.
Joro wurde rot. Ja, vermutlich hatte er wieder ein paar Blicke auf ihren Hintern geworfen.
Er versuchte rasch, das Thema zu wechseln.
�Was genau wird denn heute Abend hier geschehen?�
�Naja�, antwortete Omareth, �wir zünden den großen Scheiterhaufen da drüben an, und werden ein bißchen singen und tanzen, uns hinterher besaufen wie die Blöden und wer hinterher noch kann sucht sich ein Mädel und nimmt sie mit nach Hause.�
�Falls er es noch nach Hause schafft�, fügte Ghaundar hinzu.
Joro packte die Angst.
�Glaubt ihr, ich sollte da wirklich hingehen?�
�Na klar, wieso denn nicht, immerhin hat dich Alystin doch eingeladen.� Ghaundar sah ihn verständnislos an.
�Naja, das hört sich irgendwie schon recht privat an��
Omareth musterte ihn, dabei nahm sein Gesicht einen harten Ausdruck an.
�Sag mal, willst du dich ausgrenzen oder bist du einfach nur furchtbar schüchtern, Mensch?�
�Letzteres, schau dir doch mal an, wie rot er immer wird, wenn er Alystin sieht.�, warf Ghaundar ein.
Joro zögerte.
�Naja, ich weiß ja, daß Drow und Menschen keine gute gemeinsame Vergangenheit haben, und ich will hier keinem zu nahe treten��
Omareth packte ihn am Kragen und zog ihn zu nah an sich heran. Mit zischender Stimme sagte er:
�Ich werde dir das jetzt einmal sagen, und ich hoffe du vergißt das niemals, Ogglin. Ich habe dir vorhin schon einmal gesagt, daß du meinen Neffen begraben hast. Damit bist du mir näher getreten, als ich das bei einem Menschen jemals zulassen würde, und wenn du heute Abend nicht genug Eier in der Hose hast, um zu diesem Fest zu kommen, dann werde ich dir dermaßen in den Arsch treten, daß du nicht mehr weißt, wer du bist, haben wir beide uns verstanden?�
Joro schluckte und nickte eingeschüchtert.
�I�in Ordnung.�
�Dann ist ja gut�, Omareth nahm noch einen Schluck Bier und grinste wieder. Dann stand er auf.
�Ich muß mich noch um die Bühne für die Musiker kümmern. Laßt es euch schmecken!�
Nachdem er gegangen war, wandte sich Joro an Ghaundar.
�Ist er jetzt sauer auf mich?�
Ghaundar lachte.
�Omareth hat dir gerade auf seine sehr eigene Art und Weise gesagt, daß er maßlos traurig wäre, falls du nicht kämest. Das hat er vielleicht nicht sehr nett gesagt, aber das meinte er.�
Der Auerhahn schmeckte vorzüglich. Ghaundar hielt zwischen zwei Bissen kurz inne.
�Wegen der Frauengeschichte��
�Ja?�
�Du brauchst dir da keine Sorgen zu machen, wir haben hier nur sehr wenige unverheiratete Frauen, aber sehr viele Junggesellen, also wirst du nicht als Letzter alleine dahocken. Freu dich einfach auf eine große, schöne Feier.�
Das beruhigte Joro immerhin ein kleines Wenig.

Den Rest des Tages verbrachten Ghaundar und Joro mit eifrigen Diskussionen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen und Drow. Dabei versuchte Joro gleich, seine eher mäßigen Kenntnisse der Drowsprache aufzubessern, denn er fühlte sich immer etwas unwohl, wenn er nicht verstand, was die Leute um ihn herum sagten. Davon abgesehen empfand er es als unhöflich, Gast bei jemandem zu sein und nicht einmal dessen Muttersprache zu sprechen.
Ghaundar war sehr wenig eingenommen von Menschen, aber er war auch sehr selbstbewußt als Dunkelelf und wußte genau, wo er Vorteile und Nachteile der beiden Völker sah.
Joro hingegen wußte aus erster Hand praktisch gar nichts über die Kultur der Drow und mußte sich Einiges erklären lassen.
Vor allem der gravierende Unterschied zwischen der Enklave und den Drow im Unterreich interessierte ihn ganz besonders. Die Anhänger der Eilistraee hatten mit den mordenden intriganten Geschwistern unter der Erde nicht viel gemein. Sie lebten und liebten Freiheit, Poesie und Hingabe. Alle waren gleichberechtigt und keiner wurde ausgegrenzt.
Den einzigen Preis, den sie dafür zu zahlen hatten, war bedingungslose Hingabe zu ihrer Göttin. Sie forderte nicht viel, aber wenn sie etwas wollte, war es immer sehr wichtig. Ihr Symbol war die schwarze Mondsichel, überhaupt spielten Mond- und Sonnenzyklus eine wichtige Rolle in ihrer Religion.
Im Gegenzug erzählte Joro von seiner Kindheit auf der Rinderzucht seines Vaters, und was er mit seinem Gott erlebt hatte, Ghaundar hatte die Hintergründe in allen Einzelheiten ja niemals erfahren.
Der Drow schien beeindruckt.
�Ein so persönliches Verhältnis hat nicht jeder zu seiner Gottheit, das weißt du hoffentlich.�
�Ja, ist mir bewußt�, Joro nahm noch einen Bissen.
�Meinst du, daß du die Erwartungen erfüllen kannst, die da an dich gestellt werden?�
Der Mensch hielt im Kauen inne und zuckte mit den Achseln.
�Mehr als es zu versuchen kann ich sowieso nicht tun. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.�
Ghaundar überlegte.
�Jo, stimmt. Etwas Anderes erscheint auch nicht sinnvoll.�
Joro warf den letzten Knochen ins Feuer und streckte sich. Dabei fiel ihm etwas ein.
�Habt ihr eigentlich schon etwas Neues von der Legion gehört?�
�Nein, nichts. Die Späher haben noch zweimal kleine Trupps gesehen, die die Gegend abgesucht haben, aber finden werden die wohl eher nichts mehr, oder?� Ghaundar lächelte,
�Ich hoffe allerdings inständig, daß wir vorgestern alle erwischt haben�, fuhr er fort, �Sollte einer entwischt sein, wären wir hier in großer Gefahr��
Der Drow stand auf.
�So, ich muß mich dann mal umziehen gehen, sobald die Sonne wieder untergeht, beginnt die Feier und ich muß mir noch etwas Feines überwerfen gehen.� Er machte eine vielsagende Geste.
�Dann sollte ich mir vielleicht auch etwas Schmuckeres anziehen�, überlegte Joro und stand ebenfalls auf. Die beiden verabschiedeten sich voneinander und Joro ging in seine Hütte.


Er suchte in seinen Habseligkeiten und fand eine besondere Robe, die er in seiner Zeit in Bargum als Bezahlung für ein Begräbnis bekommen hatte. Eine Schneiderin, von der sprichwörtlichen Armut ihres Berufsstandes geplagt, hatte kein Bargeld gehabt um für die letzte Ruhe ihres Mannes zu bezahlen, also hatte sie im aus schwarzem Samt ein wahrhaft wunderbares Gewand genäht. Auf die Robe waren überall rote Sicheln als Verzierungen genäht und die Säume waren mit Goldfäden versehen.
Eigentlich hatte Joro sie nicht annehmen wollen, es widerstrebte ihm sowieso, von armen Leuten Geld oder Bezahlungen anzunehmen, aber sie hatte darauf bestanden und er hatte sie nicht auch noch kränken wollen, der Tod ihres Mannes schien ihr schon nahe genug zu gehen.
Er nahm die schlichte, schwarze Maske in die Hand und betrachtete sie nachdenklich. Rein formell betrachtet stellte sie im Kontrast zu der Robe vermutlich ein stilistisches Understatement dar, aber irgendwie erschien sie ihm als das feierlichste Objekt in seiner gesamten Aufmachung. Er setzte sie auf und zog die Kapuze der Robe über den Kopf. Dann sah er zum Fenster herüber, in dessen Glas er sich aufgrund der draußen herrschenden Dunkelheit spiegelte und mußte grinsen. So konnte er gehen.
Als Joro sich zum Gehen wandte, klopfte es an der Tür. Er hob eine Augenbraue. War das eigentlich wirklich Zufall, daß die Drow immer dann kamen, wenn er gerade im Begriff war, sowieso zu aufzubrechen?
�Ghaundar, ich komme gleich!�
Es klopfte noch einmal, diesmal etwas zögerlicher.
Verwundert ging er zur Tür und öffnete sie. Draußen stand ein Drowkind.
Joro war total überrascht, denn zum ersten Mal in seinem Leben sah er einen Dunkelelfen, der noch nicht erwachsen war.
�Äh, ja bitte?�
Das Mädchen, kaum einen Schritt groß und sehr dünn, wirkte ausgesprochen schüchtern.
�Onkel Omareth hat gesagt, daß ich dich abholen und zum Festplatz bringen soll��
Mit einem Lächeln, das sie natürlich ob der Maske nicht sehen konnte, meinte Joro:
�Dann laß uns doch mal gehen, was?�
Er stapfte hinter dem Kind her, das ihm nicht einmal bis zur Hüfte reichte, in ziemlicher aufgeregter Erwartung, was nun geschehen würde.

Schon von Weitem sah er, daß der Scheiterhaufen angezündet war. Vom Festplatz her war fröhliche Musik zu hören, eine Frau sang in der Drowsprache dazu. Den Text konnte Joro zwar kaum verstehen, aber das was er an Stichworten hörte erinnerte ihn eher an ein zwergisches Saufgegröle als an etwas, was man von einem Elfen � ob Drow oder nicht � erwarten würde.
Die ganze Enklave schien versammelt und er war überrascht, daß es so viele waren. Obwohl das Tal sehr klein schien, waren mit Sicherheit ein paar hundert hier versammelt. Zudem gab es offensichtlich sogar noch eine ganze Menge mehr Kinder hier, denn er sah einige von ihnen durch die Reihen toben.
Sie saßen alle in konzentrischen Reihen um das riesige Lagerfeuer, unterhielten sich, tranken und aßen.
Etwas abseits sah er einen Ochsen und ein Schwein über einem offenen Feuer rösten, darum herum ein ganzes Dutzend Drow, die das Essen unter die Leute brachten.
Als sie näher kamen, zeigte das Kind wage auf eine der Reihen.
�Da hinten sitzt er!� Und verschwand in der Menge.
Zögerlich ging Joro auf die Richtung, die ihm gewiesen worden war. Mit großem Unwohlsein entging ihm nicht, daß wo immer er vorbeikam die Drow kurz aufhörten miteinander zu reden und ihn ansahen. Dabei schauten sie aber seltsamerweise sehr freundlich zu ihm hin, einige begrüßten ihn freundlich.
Nach einigen weiteren Schritten sah er endlich Omareth und Ghaundar zwischen all den anderen auf einer der Bänke hocken und fühlte sich gleich etwas wohler.
Ghaundar sah ihn auch und winkte ihn herüber.
�Na, da hat sich aber jemand mächtig in Schale geworfen.�
Dabei kam sich Joro fast schäbig vor wenn er sich ansah, was für prachtvolle Gewänder die Drow trugen. Überall sah man Goldbrokat und Edelsteine auf feinsten Stoffen funkeln, Ghaundar und Omareth machten da keine Ausnahme.
�Äh, danke��
�Setz� dich hin, zu Essen gibt�s auch gleich was. Und Omareth hat ein ganzes Faß Duergar-Ale dabei.�
Der Zimmermann saß mit einem verklärten Grinsen auf dem Gesicht da und deutete nur stumm auf ein gar nicht einmal ganz so kleines Holzfäßchen, das er fest mit seinem rechten Arm zu umarmen schien.
Joro setzte sich zwischen die beiden auf die Bank und schaute sich um.
Überall saß man in kleineren oder größeren Gruppen zusammen und alle schienen fröhlich zu sein. Manche sangen das Lied mit und schwangen dabei ihre Trinkgefäße.
Omareth tippte ihn an und hielt ihm einen Bierhumpen hin.
�Danke.�
�Bitte. Wenn du auch nur einen einzigen Tropfen verschüttest, wachst du morgen früh mit einem Holzpfeiler im Arsch auf.�
Ghaundar kicherte.
Nach ein paar Schlucken des schweren, geradezu mörderisch herben Bieres fühlte sich Joro gleich etwas besser. Er entspannte sich etwas und schaute sich wieder um.
�Ich trau mich ja gar nicht, zu fragen, weil es wieder spitze Kommentare geben wird, aber wo ist eigentlich Alystin?�
Links und rechts von ihm brach Gelächter aus, Ghaundar nahm einige Münzen aus der Tasche und reichte sie, am schmollenden Joro vorbei, an Omareth.
�Hast gewonnen, obwohl ich mich im Nachhinein frage, wieso ich mich auf diese alberne Wette eingelassen habe.�
�Wollt ihr mir nicht vielleicht trotzdem antworten?� Joro verzog das Gesicht.
�Wart es halt ab. Um Mitternacht wirst du sie schon zu sehen bekommen.�
Omareth grinste und fügte hinzu:
�Aber ob er das überlebt��
Wieder lachten die beiden Drow und der Zimmermann klopfte ihm gönnerhaft auf die Schulter.
�Trink noch einen Schluck, du wirst es brauchen.�
Man verbrachte den Abend mit Anekdoten, Essen und Trinken und nach einigen Durchläufen und sprachlicher Hilfe seitens Ghaundar und Omareth konnte der junge Mensch auch ein paar der Lieder mitgrölen.

Als der Mond die Mitte des Himmels erreichte, verstummten mit einem Mal nach und nach alle Gespräche und die Musiker hörten auf, zu spielen.
Alle sahen in die Mitte, hin zum Scheiterhaufen, und schienen auf etwas zu warten.
Da er sich nicht traute zu sprechen, sah Joro fragend in Richtung Ghaundar. Der deutete nur in die Mitte und sagte nichts.
Einer der Musiker stand auf und begann auf einem Tambourin einen Takt vorzugeben, woraufhin einige helle Frauenstimmen von irgendwoher einsetzten, ein trauriges, geradezu hymnenhaftes Lied anstimmend.
Die Stimmen bewegten sich durch die Reihen, ohne das Joro sehen konnte, was genau geschah. Er sah aber aus dem Augenwinkel, daß Omareth sich trotz der Tatsache, daß ihn der Moment bewegte, ein freudig erwartendes Feixen nicht verkneifen konnte.
Ein Musiker mit einer Laute setzte ein und die Stimmen kamen näher.
Und dann geschah es.
In der Mitte, direkt ans Feuer traten vier Drowpriesterinnen, die außer sehr durchsichtigen Schleiern völlig unbekleidet waren. Sie waren es offenbar, die da sangen.
Alleine dieser Anblick machte Joro bereits ein komisches Gefühl im Magen.
Die Vier begannen um das Feuer zu Tanzen und dabei in einem stetigen Crescendo das Lied zu singen. Die Menge wiegte sich im Takt und Joro sah, daß Ghaundar leise mit den Lippen den Text mitformte.
Dann verstummten die Priesterinnen und die Melodie des Liedes änderte sich in ein schnelles Dur.
Mit einem Mal erscholl eine einzige, klare Stimme, die dazu sang und als Joro sah, von wem sie kam, traf ihn der Schlag.
Ebenso wenig bekleidet fegte wie ein Wirbelwind Alystin auf die Mitte des Festplatzes, reihte sich in die anderen Priesterinnen und die vier anderen wirbelten mit ihr zusammen um das Feuer herum.
Hätte er das Bier nicht getrunken, wäre Joro jetzt mit ziemlicher Sicherheit ohnmächtig geworden.
Sie so zu sehen benebelte ihn derart, daß er unwillkürlich anfing zu schwanken.
Omareth packte ihn am Ellenbogen und klopfte ihm auf den Unterarm.
�Ist ja gut, Papa ist ja da�, wisperte er.
Nachdem die erste Strophe vorbei war, erhoben alle Anwesenden ihre Stimmen und ein schallender Gesang scholl durch das Tal. Nach und nach standen alle auf und sangen mit, so laut sie konnten.
Die Priesterinnen tanzten immer weiter, bis das Lied mit einem abrupten Paukenschlag endete.
Stille.
Alystin und die vier anderen hielten inne, formten einen Kreis um das Feuer und sprachen mit lauter Stimme ein kurzes Gebet. An dessen Ende reckten alle Drow ihre Trinkgefäße in den Himmel und riefen wie aus einem einzigen Munde: �Jorah!�
Der junge Mensch war komplett weggetreten. Ohne Zweifel hatte er noch niemals einen Moment erlebt, der ihn mehr bewegt hatte, vom Totsein einmal abgesehen, vielleicht.
Die Drow setzten sich wieder hin und allmählich begannen die Gespräche wieder.
Joro starrte weiterhin in die Mitte.
Die Priesterinnen gingen scheinbar jede in eine zufällige Richtung durch die Reihen, segneten vereinzelte Anwesende und Joro konnte sehen, daß sich jede einen Mann aussuchte, um dann mit diesem fortzugehen. Panisch schaute er wieder in die Mitte, um zu sehen, was Alystin tat, aber er konnte sie nicht mehr finden.
Mit einem Mal stand sie vor ihm.
Er bekam ein sehr flaues Gefühl im Magen und einen Kloß im Hals.
Sie lächelte die drei an, Ghaundar und Omareth verbeugten sich tief und ein Schlag in den Rücken � wo der wohl herkam � brachte Joro dazu, das auch zu tun.
�Ich hoffe es hat euch gefallen.�
Ghaundar ergriff das Wort.
�Wie jedes Jahr ein herrlicher Gottesdienst, Herrin.� Omareth nickte eifrig dazu.
Sie wandte sich an Joro.
�Hat dir unser Neujahrsfest ebenfalls gefallen?�
Joro konnte nicht sprechen. Die Geräusche, die aus seinem Mund kamen, hätte selbst ein Ork albern gefunden.
Ghaundar sprang für ihn in die Bresche.
�Ich glaube, daß es einen sehr mächtigen Eindruck bei ihm hinterlassen hat. Allerdings befürchte ich, daß er sich von der ganzen Erhabenheit immernoch nicht ganz erholt hat.�
Die Priesterin lachte.
�Dann bin ich ja zufrieden. Habt noch eine schöne Nacht, ihr drei.�
�Danke, das werden wir sicher.�
Alystin lächelte ihnen noch einmal zu, dann wandte sie sich um und ging, hin und wieder Anwesende segnend, durch die Reihen davon.
Joro sackte auf der Bank völlig in sich zusammen und nahm einen gewaltigen Schluck Ale.
�Mann, dich hat es aber wirklich erwischt, was?� Omareth schaute ihn beinahe mitleidig an.
�Ja, kann man wohl sagen��
�Bevor du fragst: Nein, sie wird sich keinen suchen, mit dem sie heute Nacht das Bett teilt. Sie ist die Hohepriesterin.�
Das ließ einen halben Steinbruch von Joros Herz fallen. Dennoch kam ihm ein Gedanke.
�Einen Mann hat sie aber nicht, oder?�
�Nein.�
�Puh, gut. Ich benehme mich wie ein verknallter Halbstarker, oder?�
Ghaundar brüllte vor Lachen.
�Und wie!�
Omareth blieb ernst.
�Sieh� bloß zu, daß du dich da nicht in etwas verrennst. Das kann am Ende ziemlich weh tun, wenn du Pech hast.�
�Ich weiß, ich weiß, hab ich alles schon gehört.�
�Gut, dann muß ich�s ja wohl hoffentlich nicht noch einmal sagen.�
Ghaundar ging dazwischen.
�Jetzt heißt die Parole erst einmal �Fresse halten und saufen� und ich will hier keine Ausreden hören, ihr Mädchen!�


Kapitel 7


Irgendwann war Joro wohl im Bett gelandet, so genau wußte er das allerdings nicht mehr. Er wachte am frühen Morgen auf und die Kopfschmerzen brachten ihn fast um. Die Stelle am Rücken, wo man ihm höflich empfohlen hatte, sich zu verbeugen, tat höllisch weh, weshalb er zunächst nicht aus den Federn kam.
Aber Liegenbleiben war auch keine Lösung, also kippte er sich selbst irgendwie aus dem Bett und schleppte sich nach draußen und zur Quelle hoch.
Zu seiner Belustigung mußte er anstehen, da noch fünf weitere Drow mit offensichtlich ähnlichen Problemen zugegen waren, die alle ihre Köpfe in das eiskalte Wasser halten wollten.
Als er an der Reihe war und das herrlich frische Wasser über seinen Kopf lief, sah er auch Omareth, der mehr schlecht als recht den Pfad hochschlurfte. Er mußte unwillkürlich lachen und als die anderen Männer sich umsahen und den total verkaterten Zimmermann sahen, konnten sie ebenfalls nicht anders als in fröhliches Gegröhle auszubrechen.
Der kleine, muskulöse Drow war ein Häufchen Elend, sein Gesicht war total zerfurcht und seine sonst immer so ordentlich nach hinten gekämmten Haare hingen ihm lose vom Kopf.
Er sah in Joros Richtung, machte eine ausgesprochen unfreundliche Geste und murmelte ein paar äußerst deftige, dunkelelfische Flüche. Dann ging er wortlos zum Basin und hielt seinen Kopf für eine sehr lange Zeit unter Wasser.
Nachdem er sich frisch gemacht hatte, und wie alle anderen einen großen Schluck getrunken hatte, verzog er das Gesicht zu einem gequälten Grinsen und sagte:
�So, und jetzt geh ich wieder Schlafen!�
Die anderen Drow lachten und nickten alle zustimmend.
So ging ein jeder wieder in seine Hütte.
Aber an Schlaf war nicht zu denken. Joro war aufgewühlt von den Geschehnissen der letzten Nacht. Und ja, Alystin praktisch nackt gesehen zu haben machte alles auch nicht gerade besser. Nachdem er sich eine Weile auf seinem Bett hin und her gewälzt hatte, stand er wieder auf, nahm sich Brot, Schinken und Bier und ging hinter die Hütte auf den Friedhof.
Er begann den Frostbruch von den durch die Sonne aufgeweichten Grabhügeln zu entfernen und sammelte von nahe gelegenen Berghang eine kleine Menge flacher Steine, mit denen er die Wege zwischen den Gräbern auslegte. Diese bestanden nämlich, durch das beginnende Tauwetter bedingt, kaum aus etwas anderem als Schlamm. Als er fertig war, setzte er sich auf die Bank, die er hinter die Hütte geschafft hatte und nahm erst einmal einen kräftigen Bissen.
Dabei kam er unweigerlich wieder ins Grübeln.
Die Zeremonie war einfach nur schön gewesen. Auch die Tatsache, daß er sich nicht ausgegrenzt gefühlt hatte, fand er äußerst erfreulich. Selbst wenn die Vorbehalte, die zwischen Drow und Menschen existierten existent waren, so stellten die Dunkelelfen ihre Gastfreundschaft an diesem Ort so oder so über diese.
Trotzdem war alles etwas seltsam.
Vor nicht einmal einem halben Jahr war er ein Tagelöhner, ein heimatloser Bauernjunge auf Wanderschaft gewesen und nun saß er inmitten der nördlichsten Berge Daishan, umgeben von einer Gemeinschaft von Leuten, gegen deren Volk sein Vater und sein Onkel noch Krieg geführt hatten.
Überhaupt, er selbst hatte das Ende des Krieges als Kind ja noch miterlebt und aus erster Hand erfahren, das diese Animositäten existent waren. Auf die harte Tour.
Er seufzte.
Irgendwie hing sein Leben in diesem Moment völlig in der Schwebe. Die Ungewißheit, was nun geschehen würde, war nahezu unerträglich. Das Einzige, was half, war die Arbeit auf dem Friedhof, also machte er sich weiter daran, die Gräber auf Vordermann zu bringen.
�Wie zur Hölle kannst du nur arbeiten, nach dieser Nacht?�
Unten am Pfad stand Ghaundar, in einer noch schlimmeren Verfassung als Omareth es vorher gewesen war.
�Der Anfang war ziemlich hart, aber nach einer Weile ging es mit einem Male entschieden besser!� Joro grinste.
�Ich glaube dir das einfach mal, aber ich werde einen Teufel tun, es selber auszuprobieren.�
Ghaundar streckte sich. �Hat es dir gestern gefallen?�
�Jupp, war wirklich ein wunderbares Fest, vor allem die Tanzeinlage gegen Mitternacht hat Spuren hinterlassen.�
�Ich habe jeden Moment damit gerechnet, daß du umfällst und nicht wieder aufstehst. Das muß ganz schön hart für dich gewesen sein.� Ghaundar kicherte kurz, hörte dann aber sofort damit auf, weil es seine Kopfschmerzen nicht zuließen.
Eine Stimme erscholl.
�Was war hart?�
Alystin war um die Ecke gekommen, wieder bekleidet, wobei Joro nicht wußte ob ihn das erleichterte oder enttäuschte.
Ghaundar und Joro sahen sich an und mußten beide lachen.
Die Priesterin setzte ein schmollendes Gesicht auf und schaute beide tadelnd an.
Ghaundar japste.
�Da war so einiges hart, was Joro?�
�Jau, bis heute morgen, haha!�
Alystin schüttelte nur den Kopf, setzte ein Lächeln auf und sah sich um.
�Trotz der verhärteten Situation bin ich ganz schön erstaunt, daß du heute arbeitest, Joro.�
Dieser stutzte, immernoch Tränen des Lachens in den Augen.
�Das ist doch erlaubt, oder? Ich meine, des Feiertages wegen?�
�Naja, der war gestern. Ich hätte eigentlich eher gedacht, daß du heute so verkatert bist, daß du kaum aufstehen würdest. Die meisten meiner Volksgenossen lassen sich heute erst einmal auskurieren.�
Joro entspannte sich.
�Gut, ich hatte schon Angst, wieder ein Fettnäpfchen erwischt zu haben� Es hat mir gestern wirklich sehr gut gefallen, Alystin.�
�Dankeschön, das freut mich. Habt ihr das Faß noch leer gemacht?�
�Äh��, Joro sah fragend zu Ghaundar.
Dieser machte eine abwägende Handbewegung.
�Nun ja� In Anbetracht der Tatsache, daß Omareth irgendwann in das Faß geschaut hat und dann den Grabgesang der Könige angestimmt hat, nur um kurz danach zu versuchen, hereinzuklettern um noch das letzte Bißchen vom Boden zu schlürfen, würde ich erst einmal �ja� sagen.�
Joro kamen ein paar Erinnerungen., wenn auch stark verschwommen.
�Sag mal, hat er mich nicht kurz darauf gebeten, seinen �ehemals besten Freund� zu begraben?�
Ghaundar lachte.
�Ja, ich glaube schon. Er hat dann behauptet, es gebe einen besonderen �zwergischen Biersegen�, den er persönlich über das Grab sprechen wolle.�
Die drei kicherten und Joro schüttelte den Kopf.
�Wieviel war ursprünglich in dem Faß drin? Fünfzehn Liter? Zwanzig?�
�Auf jeden Fall war es viel zu viel für zwei Drow und einen Menschen, das ist mal sicher�, Ghaundar hielt sich, fast wie zum Beweis, mit beiden Händen die Schläfen.
Da konnte der junge Priester nur zustimmen. Die Kopfschmerzen waren etwa vier Stunden nach dem Aufstehen immernoch nicht fort.
Alystin ergriff das Wort.
�Joro, darf ich dich um einen Gefallen bitten?�
�Natürlich!�
�Wir wollen morgen in die Stadt gehen um ein paar Dinge einzukaufen und ich hätte dich gerne dabei.�
�Nach Bargum? Das halte ich nicht wirklich für eine gute Idee��
�Nein, es ist ein kleinerer Handelsposten namens Noth.�
�Welch illustrer Name��
Alystin lächelte.
�Die Leute da kennen uns zwar schon, aber ich denke es würde helfen, wenn wir einen menschlichen Daishani dabei haben. Das Mißtrauen uns gegenüber ist immer wieder wenig hilfreich.�
Joro nickte.
�Ja, kein Problem, ich komme mit.�
�Außerdem denke ich, daß du vielleicht Lust hast, einmal wieder andere Gesichter zu sehen��
Der Priester hob eine Augenbraue, doch sie lachte.
�Das sage ich nicht, weil ich denke, daß du dich hier einsam fühlst. Aber vielleicht ist es ja eine Abwechslung.�
Joro konnte sich zwar kaum einen Grund vorstellen, warum er eine Abwechslung brauchte, immerhin war er ja erst ein paar Tage hier, aber vielleicht gab es ja einen, der ihm nicht auffiel. Also nickte er zustimmend.
Sie schien sich über seine Entscheidung zu freuen.
�Gut, dann treffen wir uns bei Sonnenaufgang morgen oben am Portal.�
Sie wandte sich um und ging davon.
Ghaundar sah Joro erstaunt an.
�Die ist dir gegenüber ja wirklich wie ausgewechselt. Hast du sie irgendwie verhext, mit deinen bösen, gemeinen, menschlichen Superkräften?�
Er wich dem Stein aus, der haarscharf an seinem Kopf vorbeiflog und rannte lachend Richtung Quelle den Berg hoch.
Joro arbeitete noch bis kurz vor Sonnenuntergang, dann entschloß er sich auch, ins Bett zu gehen, und zu seiner Überraschung war er auch so müde, daß er sofort einschlief.

Er schlief die ganze Nacht durch, und wurde von ziemlich lauten Klopfen an seiner Hüttentür geweckt.
Eine dumpfe Stimme hinter der Tür rief:
�Aufwachen, du Siebenschläfer, wir müssen los!�
Er stand auf, zog sich seine dicke Robe über und torkelte, noch schlaftrunken, zur Tür.
Draußen standen Alystin, Ghaundar und Omareth, alle in voller Kampfmontur.
�Äh��
�Leg� deine Rüstung an und nimm deine Waffe mit!� Alystin schien das sehr wichtig zu sein.
�Öh, ist das notwendig? Ich dachte wir gehen nur einkaufen.�
�Hast du schon die goldene Legion vergessen? Außerdem kannst du dir sicherlich vorstellen, daß wir Drow so oder so immer in Gefahr sind, wenn wir uns unter Menschen bewegen��
Joro konnte nicht verneinen, daß sie da durchaus Recht hatte.
Also ging er wieder hinein und nahm die Kriegsrobe vom Ständer. Ghaundar und Omareth kamen und halfen ihm, sie anzulegen.
Als sie fertig waren, nahm er den Schild, hängte ihn auf seinen Rücken und ergriff den Hammer.
�Wir können los!�

Auf dem Weg zum Portal hin hatten die drei Dunkelelfen schon kaum ein Wort von sich gegeben, aber als sie die andere Seite erreichten, spannte sich ihre Körperhaltung sehr stark an. Außer kurzen Kommandos, wie �hier links� und ähnlichem sagte keiner was.
Nachdem sie das Tal mit dem Engpaß durchquert hatten kamen sie auf eine Bergstraße, die nach Nordosten führte. Joro erinnerte sich, sie auf dem Hinweg zur Enklave kurz gesehen zu haben.
Ohne eine Pause zu machen marschierten sie ganze vier Stunden durch, bis am Ende eines der unzähligen Täler ein Dorf zu sehen war. Eine nicht allzu kleine Menge gedrungener Steinhäuser stand um einen schon aus der Ferne zu sehenden, sehr großen Platz.
Joro schätzte, daß dort etwa eintausend Menschen leben mußten.
Eigentlich traute er sich nicht, etwas zu fragen, immerhin sprachen die drei anderen fast gar nicht, aber seine Neugier siegte.
�Wieso heißt das überhaupt �Noth�?�
Ghaundar verzog das Gesicht.
�Es war ursprünglich ein kleines Dorf mit Fallenstellern, die hier oben in den Bergen Pelztiere fingen. Aber das Angebot war riesig, so ist das Dorf zu einer richtigen Stadt gewachsen. Tja� und dann war nicht mehr genug Wild da, um die Leute zu ernähren, und Getreide wächst hier oben eben nicht ganz so gut. Da sind viele verhungert.�
�Menschen sind so dämlich�� Omareth bleckte die Zähne.
Joro runzelte die Stirn. �Und darum heißt der Ort so?�
Der Zimmermann grunzte verächtlich. �Ja, kreativ sind sie auch.�
Er fragte nicht weiter.
Als sie fast angekommen waren, reckte sich Alystin, nahm eine bestimmende Körperhaltung an und sagte:
�Gut, ihr wißt, wie das läuft. Omareth hält die Klappe und Ghaundar schaut sich um, ob es Ärger geben wird. Joro?�
�Ja?�
�Wir gehen auf den Markt, sieh du bitte zu, daß du nicht selber in Schwierigkeiten gerätst. Die Leute hier sind manchmal ein bißchen ruppig.�
Ghaundar drückte ihm einen Beutel mit Münzen in die Hand.
�Amüsier dich gut.�

Der Markt von Noth war bei näherer Betrachtung noch wesentlich größer, als er von Weitem so oder so schon ausgesehen hatte. Und es gab weitaus mehr zu kaufen als nur Felle und Trapperzubehör. Alystin und Omareth waren losgezogen, um Werkzeuge zu besorgen und Ghaundar hatte sich recht schnell selber in der Menge verschwinden lassen.
Joro selbst interessierten anderen Dinge. Als Kind hatte er schon unglaublich viel gelesen, obwohl sein Vater in seiner eher drögen und praktischen Art als Zeitverschwendung angesehen hatte. Doch sein Großvater hatte ihn immer ermutigt, alles Wissen zu sammeln, was zu sammeln war. Sein Leitspruch war immer �Wer weiß, ob es nicht irgendwann einmal nützlich sein kann.�
Auf einigen Ständen gab es Bücher und Kultgegenstände, Talismane von Religionen, die ihm gänzlich unbekannt waren.
�Alles Ramsch!�, meinte die Stimme in seinem Kopf, �die meisten davon sind nicht einmal so heilig wie dein rechter Fuß.�
�Wenn du das sagst��, gab Joro zurück und sah sich weiter um.
Sein Blick fiel auf einen recht großen Stand mit landwirtschaftlichem Gerät, an dem Alystin gerade mit einem der Betreiber um zwei Handbeile verhandelte.
An einem Ende der Auslage fand er eine alte, sehr rostige Sichel, die zwar in keinem guten Zustand war, aber ihm so gut gefiel, daß er sich spontan entschloß, sie zu kaufen.
Als er bezahlte, sah er, wie Alystin ihn kurz ansah und lächelte. Da zupfte ihn jemand am linken Ärmel seiner Robe.
Eine alte, gebückte Frau stand neben ihm. Sie sah sehr ernst aus und rang nach Worten.
�Kann ich dir irgendwie helfen?�, fragte Joro freundlich.
�Ihr, Ihr seid ein Totengräber des Celestus, nicht wahr?�
�Ja, bin ich.�
�Mein Mann ist vorgestern gestorben, könntet Ihr ihn vielleicht� äh��
�Soll ich ihn begraben?�
Die Frau nickte heftig.
�Aber ich kann Euch dafür kaum etwas geben, ich habe nichts��
�Das macht überhaupt nichts. Laß´ uns zu deinem Haus gehen.�
Das �Haus� war eine wacklige, alte Holzhütte am Rand des Dorfes. Hinter ihr lag, auf einem Brennholzstapel unter einem Unterstand, eine eingewickelte Leiche.
�Hast du einen Spaten?�, fragte Joro.
Die Frau rang verzweifelt die Hände.
�Mein Mann hatte einen, aber der Idiot hat ihn irgendwo hingelegt und ich kann ihn nirgendwo finden��
Joro schmunzelte innerlich. Ein Mensch, der sich nach dem Tod seines Lebenspartners noch immer so echauffieren konnte, ohne dabei komplett haßerfüllt zu wirken, hatte mit ziemlicher Sicherheit eine sehr enge Bindung zu ihm gehabt, auch wenn das zunächst nicht so schien.
�Kein Problem, ich werde einfach einen vom Markt holen.�
Nachdem er das getan hatte, begann er, hinter der Hütte ein Grab auszuheben. Die Frau lamentiere anfänglich noch darüber, daß ihr Mann selbst nach seinem Ableben noch Ärger und Unbillen verursachte, wurde aber zusehends ruhiger. Als Joro den Leichnam in das Grab gelegt hatte und den Segen sprach, fing sie an, leise zu weinen. Er ging zu ihr herüber und nahm sie fest in den Arm, woraufhin sie völlig die Fassung verlor. Nach einer Weile schluchzte sie nur noch leise und sackte auf den nahestehenden Hackklotz nieder. Joro machte sich daran und schüttete das Grab zu.
�Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn tun soll�, sagte sie mit erstickter Stimme, �Ich habe kein Geld und auch keine Kinder.�
Joro hielt kurz inne und überlegte. Dann nahm er den Beutel mit den Münzen unter seinem Brustharnisch hervor und gab ihn ihr.
Sie starrte ihn fassungslos an.
�Für mich? Das kann ich unmöglich annehmen!�
�Doch, kannst du. Und das mußt du auch.�
�Aber��
�Nichts aber. Sieh� zu, daß du dir einen schönen Lebensabend damit machst. Bewahre das Andenken deines Mannes, aber vergesse nicht, zu leben.�
�Ich��
�Ich werde hin und wieder nach dir schauen, wie ist eigentlich dein Name?�
�Hanna.�
�Gut!� Joro schaufelte das letzte Bißchen Erde in das Loch und lächelte sie an. �Dann laß als erstes einmal dein Haus reparieren und nimm dir den Tod deines Mannes nicht so zu Herzen. Dort wo er jetzt ist, wird es ihm gut gehen und dir soll es doch nicht schlechter gehen, oder?�
Hannas Augen füllten sich erneut mit Tränen, dieses Mal allerdings vor Glück.
�Ich danke Euch so sehr, hoher Herr! Aber das ist doch viel zu viel für mich allein. Da wird noch einiges für die anderen Armen hier übrig sein.�
Joro mußte unwillkürlich grinsen. Er hatte sich nicht im Geringsten in ihr getäuscht, als er annahm, daß sie niemals alles für sich behalten würde.
Er sah in Richtung Dorfmitte.
�Ich denke ich sollte mich jetzt wieder auf den Weg machen, meine Begleiter warten sicher schon auf mich.�
�Du bist mit den Dunkelelfen gekommen, nicht wahr?�
�Genau.�
Hanna drugste herum.
�Wie�wie kommt es, daß du dich mit ihnen abgibst?�
Er schaute sie prüfend an.
�Warum �gibst du dich mit Menschen ab�? Sie sind sehr teure und gute Freunde. Nicht alle Drow sind zwangsläufig böse, weißt du?�
�Soll das heißen, daß sie wirklich deine Freunde sind?�
�Ist das so abwegig? Ich lebe sogar bei ihnen�� Joro lachte.
Hanna starrte ihn fassungslos an. In ihrem Kopf schien es zu rattern und zu knarren, als sich Vorurteile und Realität irgendwie versuchten, in Einklang zu bringen.
Ein Arm schob sich unter seinen.
�Joro ist ein besonderer Mensch, werte Hanna. Er hat wie alle deiner Landsleute seine persönlichen Probleme mit unserem Volk gehabt, dennoch ist er bei uns geblieben, als die Zeit kam, sich zu entscheiden, ob er hassen soll oder nicht.�
Alystin stand neben ihm, hatte sich untergehakt und lächelte ein so zuckersüßes Lächeln, das es weh tat.
Die alte Frau sah sie mißtrauisch an.
�Hast du ihn irgendwie verhext, damit er tut, was du willst?�
�Davon abgesehen, daß ich das nicht einmal könnte, wenn ich wollte, wäre das so oder so nicht notwendig. Joro ist von sich aus so, wie du ihn erlebt hast.�
Hanna sah sehr nachdenklich auf den Beutel mit Geld in ihrer Hand. Dann lächelte sie Joro und Alystin an.
�Was soll ich sagen� Mein Leben hat heute einen Sprung in eine Richtung gemacht, die ich niemals erwartet hatte. Also warum soll es nicht einen Menschen geben, der Drow als Freunde hat. Oder Drow, die nicht jeden töten wollen.�
Ihr Gesicht wurde wieder etwas ernster.
�Das hätte meinem alten Herren gefallen, ich wünschte er hätte das noch erlebt��
�Hat er dich geliebt?�, fragte Alystin.
�Er war zwar ein bißchen langsam, aber er hatte ein Herz aus Gold. Ja, ich weiß, daß er mich geliebt hat.�
�Ich glaube, dann hätte er sich über diesen Moment sehr gefreut. Vielleicht sieht er ja jetzt gerade auf dich herab und tut das.�
�Glaubst du wirklich�?�
�Ja, da bin ich mir sicher.�
Irgendwie schien Hanna die Vorstellung zu gefallen.
�Naja, ich muß mir langsam etwas kochen, mein Magen knurrt schon. Ihr seid beide herzlich eingeladen.�
Daraus wurde nichts, denn Ghaundar kam ziemlich hektisch um eine Häuserecke gerannt.
�Wo zum Teufel seid ihr beiden denn?! Ich suche euch schon die ganze Zeit, ihr müßt unbedingt mitkommen! Sofort!�
Joro lächelte Hanna noch einmal flüchtig an und sagte:
�Bis bald. Ich werde bald wiederkommen und schauen, wie es dir geht.� Da zog ihn Alystin schon mit sich fort.

Während sie die Straße entlanghasteten gesellte sich auch Omareth zu ihnen, der offensichtlich auch nach ihnen gesucht hatte. Er hatte einen eiskalten Glanz in den Augen.
�Hast du es ihnen schon gesagt, Ghaundar?�
�Nein, das müssen sie sich schon selber ansehen.�
�Was ist denn los?�, fragte Joro besorgt.
�Wir haben hier etwas gefunden, was alles andere als beruhigend ist.� Ghaundar machte ein sehr ernstes Gesicht.
Sie bogen um die Ecke und blickten auf den Marktplatz.
�Da!�
Etwa einhundert Schritt von ihnen entfernt standen eine Reihe von Legionären, Joro zählte sechs, hinter ihnen waren drei Lindwürmer am Boden festgemacht.
Ihr Anführer zeigte vorbeigehenden Einwohnern ein Pergament und stellte knappe Fragen.
�Und was machen wir jetzt?� Joro runzelte die Stirn.
Ghaundar überlegte kurz und schien dann eine Idee zu haben. Er ging recht zielstrebig auf einen Mann zu, der sich das Pergament angesehen hatte und wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann nickte er und ging direkt zu den Hochelfen.
�Was macht er denn da?!�, Omareth ballte seine Faust so stark, daß die Knöchel grau wurden.
Alystin schien abzuwägen, was sie tun sollte, dann meinte sie:
�Laßt uns abwarten, ich wette er würde kein Risiko eingehen. Trotzdem hätte ich gerne vorher gewußt, was er vorhat.�
Zu Joros Überraschung sprach der Assassine nur kurz mit den Legionären, sah sich das Pergament an und zeigte dann in eine Richtung. Der Hochelf sah ihn prüfend an, Ghaundar zuckte mit den Schultern und ging dann.
Mit großem Umweg durch die Marktreihen kam er schließlich wieder bei den anderen an.
Er machte ein sehr besorgtes Gesicht.
�Wir sollten zusehen, daß wir auf der Stelle von hier verschwinden!�
�Was genau hast du erfahren?�, fragte Alystin.
�Die suchen nicht mehr nur nach dem Grab, sondern sind auch außergewöhnlich interessiert an der Frage, wo ihr Suchtrupp hin ist.�
�Verdammt!�
Joro holte seinen Piwafwi aus seinem Bündel und warf ihn über.
�Wenn die auch nur einen Schimmer hätten, wie nahe sie ihrem Ziel sind. In beiden Punkten. Mit dem Umhang sehen sie zumindest die Rüstung nicht sofort.�
Omareth nickte.
�Wenn wir wieder zurück in der Enklave sind, müssen wir uns dringend Gedanken machen, was wir als Nächstes unternehmen.�
Plötzlich drang Geschrei von einer Seite des Marktes zu ihnen herüber.
Als sie sich umdrehten, konnten sie erkennen, daß zwei der Hochelfen, der Hauptmann und einer der anderen, sich mit einem Händler anlegten. Dieser hielt einen Gegenstand in der Hand, den Joro nicht erkennen konnte, aber der Hauptmann schien darauf zu bestehen, ihn ausgehändigt zu bekommen. Der Streit verschlimmerte sich, denn der Händler trat einen Schritt zurück und nahm eine abwehrende Haltung ein, während der Hochelf sein Schwert zog.
Noch bevor Joro den eigentlichen Impuls bekam, vorzustürzen, hatte er die breite Pranke des Zimmermannes auf der Brust.
�Nein!�
Der Hauptmann holte zum Schlag aus und Joro drückte mit einem plötzlichen Kraftimpuls den Drow beiseite.
�Doch!�
Wie genau er so schnell an den Ort des Streites kam, wußte er nicht so genau, selbst als er schon da stand.

Der Schlag des Elfen wurde plötzlich von einem Kriegshammer aufgefangen, just bevor er den Händler traf.
�Was ist hier los?� Joros Stimme und ihr geradezu herrischer Unterton erschien ihm selber fremd.
Der Legionär funkelte ihn an.
�Was mischst du dich da ein, Mensch?�
Joro schaute ihm mit einem ebenso harten Blick in die Augen.
�Was fällt dir ein, diesen Mann zu attackieren?�
�Das geht dich überhaupt nichts an. Und wenn du nicht auf der Stelle verschwindest, wird es dir nicht anders ergehen als ihm!�
�Du bist hier auf einem Marktplatz, Legionär! Dies ist weder ein Hafenbordell oder eine Arena, also steck� auf der Stelle dein Schwert weg!�
Mit einer ärgerlichen Bewegung wischte Joro das Schwert aus der Luft, das immernoch auf seinem Hammer lag. Es segelte dem Elfen aus der Hand und blieb einige Schritte entfernt im Boden stecken.
Das Gesicht des Hochelfen verzerrte sich zu einer wut- und haßerfüllten Fratze.
�Ich bin Ereniel, Hauptmann der goldenen Legion und Diener des Sonnengottes.�
Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel.
�Und du wirst jetzt sterben, ungläubiger Abschaum!�
Der Zorn, der in Joros Geist erbrannte war definitiv nicht nur sein eigener, da war er sich sicher.
�Ich bin Joro Macun, Totengräber des Celestus. Und wenn du nicht sofort deinen Dolch dahin zurücksteckst, wo er herkommt, wirst du dafür bezahlen, das ist die letzte Warnung!�
Es schien fast so, als sei der Hochelf überrascht, aber dann fiel sein Blick auf Joros Hammer. Seine Augen weiteten sich zunächst vor Furcht, dann wich diese und eine brennende Mordlust nahm ihren Platz ein.
�STIRB!�
Der Dolch schoß mit großer Geschwindigkeit vorwärts, prallte aber am Panzer unter Joros Umhang ab. In einer kreisenden Bewegung landete Joros Hammer direkt auf der Schulter des Hauptmannes. Als er ihn traf, schrie der Hochelf laut auf, denn auf seiner Rüstung bildete sich ein großer Kreis aus Reif. Der Dolch fiel ihm aus der Hand und der Arm schien gelähmt. Sein Begleiter hatte sein Schwert gezogen und drang nun auf Joro ein, der dessen Schläge knapp parierte während er mit der linken Hand seine Umhang entfernte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die vier anderen Hochelfen mit gezückten Waffen auf ihn zugestürmt kamen. Er machte eine ruckartige Bewegung und sein Schild glitt von seinem Rücken, direkt auf seinen linken Arm. Zwischen den beiden Haken befand sich eine Schiene, die das ermöglichte, er hatte eine Weile gebraucht, um das Prinzip zu verstehen und freute sich nun, daß es so gut klappte.
Ein heftiges Nicken und das Visier seines Helmes fuhr herunter.
Der Hauptmann hatte sich abgerollt und sein Schwert ergriffen.
�Wenn jetzt nicht bald die Kavallerie kommt, bin ich geliefert�, dachte Joro.
Sie kam.
Als der Anführer der Hochelfen gerade ausholte um ihn zu schlagen, bekam er einen gewaltigen Schlag in den Rücken, der ihn auf die Seite fallen ließ. Er blieb bewußtlos liegen.
Hinter ihm stand Omareth, der ihn mit der stumpfen Seite seiner Axt geschlagen haben mußte. Der Dunkelelf grinste böse, drehte seine Axt und hieb noch einmal zu.
Während Joro einen der angreifenden Legionäre mit seinem Schild zurückstieß, schmetterte er einen anderen mit seinem Hammer nieder. Der Aufprall der Waffe schien dieses Mal irgendwie stärker auszufallen, denn als er auftraf, gab es eine weiße Explosion, die den gesamten Torso des Hochelfen mit einer Eisschicht überzog. Als er auf dem Boden aufschlug brach sein Körper in tausend Teile auseinander.
Ghaundar und Alystin hatten sich um die anderen Angreifer gekümmert.
Joro stand keuchend und gebückt da und blickte sich um. Sie waren umringt von mehreren hundert Personen, die alle mit einer Mischung aus Staunen und Neugier zusahen, was geschah.
Zu seiner Überraschung lebte der Hauptmann noch, wenn er auch stark aus der klaffenden Wunde in seinem Rücken blutete.
Omareth sah das ebenfalls, kniete in seinen Nacken und zog ein Messer, um ihm die Kehle durchzuschneiden, doch Joro hob die Hand.
�Warte!�
Er ging vor dem Hochelfen in die Hocke und betrachtete ihn nachdenklich. Der Hochelf blickte ihn bitter an.
�Und? Schaut der Sieger auf sein erbärmliches Opfer?� Er hustete Blut.
�Das mag deine Art sein, zu denken, Legionär, nicht meine. Ich frage mich allerdings, wieso es hier zu einem Blutvergießen kommen mußte. Eigentlich habe ich sogar den Impuls, deine Wunden zu heilen, aber ich fürchte, daß dich das wieder zu einer Gefahr für mich werden ließe.�
Der Hauptmann lachte böse, unterbrochen von weiterem blutigen Husten.
�Wer sagt dir denn, daß ich nicht noch einen Dolch versteckt habe, den ich dir gleich in den Unterleib ramme?�
�Mach dich doch nicht lächerlich. Du liegst auf dem Bauch, dein rechter Arm ist immernoch gelähmt und du hast schon so viel Blut verloren, daß du fast tot bist. Außerdem bezweifle ich, daß du mit deiner momentanen Verfassung auch nur einen Kratzer in meinen Harnisch bekommen würdest.�
Der Hochelf lächelte gequält.
�Du hast Recht. Auch wenn ich das bedaure.�
�Warum hast du einen derartigen Haß auf die ganze Welt?�
�Weil ihr alle nichts wert seid. Ihr seid nur unzivilisierte, ungläubige Barbaren! Bald schon wird der Prophet über dich und deinesgleichen herrschen!�
Joro faßte sich resignierend an die Stirn. Fanatismus und die damit einhergehenden Ignoranz stießen ihm seit jeher auf, spätestens das Faktum, daß er in ein Land geboren war, in dem ein Drowkönig einen Genozid versucht hatte, wäre dafür Grund genug gewesen.
�Also werdet ihr einen Krieg gegen den Rest der Welt führen, ja?�
�Unzweifelhaft ist das der einzige Weg, diese Welt in das glorreiche Licht des Sonnengottes zu führen.�
Das Gesicht des Elfen veränderte sich mit einem Mal zu einem nachdenklichen Ausdruck.
�Ich frage mich nur, was für eine Rolle du in diesem Krieg spielen wirst, Mensch. Hoffentlich hast du auch nur den Hauch einer Idee, wessen Rüstung und wessen Waffe du da bei dir hast.�
�Das weiß ich ganz genau, Legionär.�
�Dann wünsche ich dir noch ein schönes Leben�, mit einem lachenden Husten bäumte sich der Hauptmann ein letztes Mal auf, dann brach er endgültig tot zusammen.
Joro sah zu Omareth auf, der spuckte aus.
�Verdammte Schweine. Also wollen sie auch in Daishan einfallen, ja?�
Der Priester sah ihn mit einem harten Blick an.
�Das muß verhindert werden. Wir müssen uns überlegen, was wir tun werden.�
Alystin kam zu ihnen herüber, während sie ihr Schwert mit dem Umhang eines der Toten abwischte. Sie ging auf den Händler zu und nahm ihm den Gegenstand aus der Hand, den er dem Hochelfen nicht hatte geben wollen. Dieser wehrte sich nicht.
Es war ein aus Leder genähte Rolle, vermutlich zum Aufbewahren von Schriftstücken.
�Woher hast du das?�, fragte sie ihn.
�V�von einem Abenteurer. Er hat sie mir verkauft, er sagte es sei ein Relikt von einem toten König aus der Gegend hier.�
Joro baute sich vor ihm auf. Mit geschlossenem Visier mußte das einen ziemlichen Eindruck machen, denn der dicke Mann sank total in sich zusammen.
�Glaubst du an Celestus?� fragte er böse.
Der Mann schien noch mehr zu schrumpfen.
�Ich weiß, daß man Grabräubern kein Geld gibt, Herr. Aber er hat mich dazu überredet, er sagte es sei sehr wertvoll. Irgendwas mit einer Prophezeiung oder so.�
�Hast du es gelesen?�
�Nein, es ist versiegelt und ich dachte es sei unbeschädigt mehr Geld wert��
�Also weißt du nicht genau, was drin ist?�
�Nein, er sagte nur, daß sich darin eine magische Rolle mit einem uralten Text befindet.�
Joro musterte abwechselnd die Lederröhre in Alystins Hand und den Händler.
�Soll ich ihn verhauen?�, fragte er die Stimme in seinem Kopf.
�Nein. Er hat seine Lektion mehr als gelernt. Das macht er nicht wieder.�
Zum Händler gewandt sagte er:
�Gut, betrachte das Rohr als beschlagnahmt. Geh, richte deinen Stand wieder auf und sieh� zu, daß du dich nie wieder an den Toten versündigst!�
Der Mann schien erleichtert, daß ihm nicht doch noch mehr blühte, also bewegte er sich, so schnell er konnte, demütigen Unsinn murmelnd nach hinten davon.
Omareth schmunzelte.
�Mann, Joro, du kannst dich ja wirklich wie eine boshafte Ehefrau anhören.�
Alystin blickte den Zimmermann spöttisch von der Seite an.
�Da kennst du dich gut aus, nicht wahr?�
Omareths Schmunzeln wich einem gequälten Lächeln.
�Danke, jetzt fühle ich mich gleich wieder besser.�
Die Priesterin wandte sich wieder Joro zu.
�Wir nehmen das Ding mit. Ich kann die Schriftzeichen auf der Röhre selbst zwar nicht entziffern, aber vielleicht kann da einer unserer Magier helfen.�
Das hörte sich nach einem Plan an.
�Haben wir alles, was wir brauchen?�, Joro blickte fragend in die Runde.
�Ja, laßt uns gehen.� Omareth schulterte einen Sack und setzte sich in Bewegung.
�Wo ist eigentlich Ghaundar?�
Sie schauten sich um und sahen Ghaundar, wie er aus der Richtung der immernoch am Boden festgepflockten Lindwürmer kam und aufgeregt ein Pergament las.
Als er zu ihnen kam, hielt der Alystin das Schriftstück hin.
�Lesen. Wichtig.�
Sie überflog das Blatt und schüttelte dann ungläubig den Kopf.
�Marschbefehle, und nicht nur das.�
Joro sah sie fragend an.
�Sondern?�
Sie las noch weiter und nickte dann.
�Aha! Also haben sie durchaus Verdacht geschöpft, weil ihre Patrouille nicht wiederkam. Diese Streife hier hatte den Befehl, mit allen nötigen Mitteln dafür zu sorgend, daß die Ursache für deren Verlust gefunden und ausgemerzt wird.�
Omareth kicherte.
�Na, das hat ja nun nicht ganz so geklappt wie es aufgetragen war, nicht wahr?�
�Nicht wirklich.�
�Aber was wollten die denn nun mit der seltsamen Röhre?�
Joro dämmerte etwas.
�Kann ich sie noch einmal sehen?�
Alystin nahm die Rolle unter ihrem Umhang hervor und reichte sie ihm.
Der Priester schloß die Augen, konzentrierte sich und wandte sich an die Stimme in seinem Kopf.
�Hilf� mir, zu erkennen, Celestus!�
Und er erkannte.
Er warf die Röhre zu Boden, holte mit beiden Händen zum Schlag aus und schmetterte seinen Hammer auf das Behältnis.
Eine gewaltige Explosion warf ihn nach hinten und ließ ihn in einen Marktstand krachen, während eine geballte Menge magischer Energie frei wurde.
Über den verkohlten Überresten des Rohrs manifestierte sich ein wage humanoider Schatten, der sich schnell umsah und dann verschwand.
Dini fegte wie ein schwarzer Blitz am immernoch verdutzt auf dem Hintern sitzenden Joro vorbei und seine Dolche beschrieben zwei violette Lichtkreise in der Luft. Es gab ein lautes Zischen, offensichtlich hatte er etwas getroffen. Der Schemen wurde wieder sichtbar, teilte sich in der Mitte und fiel zu einem Haufen glitzernden Staubes zusammen.
Ghaundar stand da und atmete sichtlich erleichtert aus.
�Verdammt, Joro! Das nächste Mal sag� uns doch bitte vorher, was du vor hast!�
Alystin sah den Priester, der sich wieder aufrappelte, entgeistert an.
�Woher wußtest du das?�
�Was, daß der Container eine Falle war?�
�Nein, daß Orks statt Gehirnen Klumpen aus Hasenkötteln haben. Natürlich!�
�Ich�ich hatte so ein Gefühl, daß damit was nicht in Ordnung sein kann. Hat sich ja auch bestätigt, oder nicht?�
Ghaundar keuchte, immernoch aufgeregt.
�Zu unserer aller Wohl und Gesundheit Joro: In Zukunft wirst du bitte, um Nerven und Kraft zu sparen deine Gefühle rechtzeitig und ausführlich mit uns teilen. Bitte!�
Omareth sah sich um.
�Wo ist dieser Abschaum von einem �Händler�?�
Die Frage erübrigte sich. Der Mann hatte sich aus dem Staub gemacht.
Alystin zuckte mit den Schultern.
�Das sollte nun nicht unser Problem sein, laßt uns unsere Einkäufe nehmen und von hier fort gehen. Das war genug Aufsehen und Streß für einen Tag, wenn ihr mich fragt.�
Die anderen drei stimmten ihr zu, also packten sie ihre Einkäufe und machten sich, durch die Reihen der immernoch staunenden Leute, auf den Rückweg zur Enklave.


Kapitel 8

Sie waren etwa die Hälfte des Weges gegangen, oder eher gehastet, da winkte Ghaundar, der ihnen voranlief um zu spähen, sie in ein kleines Wäldchen hinein.
Alystin, Omareth und Joro sprangen, so schnell sie konnten, in das Dickicht.
Stumm deutete Ghaundar an den Horizont, an dem bei genauerem Hinsehen eine große Formation an Lindwürmern flog.
�Verdammt�, zischte Alystin.
�Das sind ganz schön viele�, sagte Omareth, �Vierzehn, wenn ich richtig zähle.�
Joro schaute besorgt.
�Die sind nicht gerade weit von der Enklave entfernt. Was machen wir, wenn sie sie finden?�
Alystin schüttelte beruhigend den Kopf.
�Mach� dir keine Sorgen, Joro. Die Enklave ist mehrere hundert Meilen vom Eingangsportal entfernt. Und die Berge um sie herum sind so hoch, daß man sie auch nicht fliegend überqueren kann.�
�Ach�?�
�Und der Eingang selbst ist von einer mächtigen Illusion geschützt, die unsere Göttin selbst darüber gesprochen hat.�
Das erleichterte den Priester ein kleines Bißchen, aber ihr Gesicht nahm wieder einen ernsteren Ausdruck an.
�Das ganze gefällt mir trotzdem nicht. Das sieht mir langsam nicht mehr nach einer Art von Patrouille aus, ich glaube eher die bereiten eine Invasion vor.�
Das dachte nicht nur sie. Joro hatte genug gesehen.
�Laßt uns mal zusehen, daß wir zurück kommen. Falls da noch jemand draußen ist und jagt, dann haben die ein Problem.�
Alystin schien von seiner Weitsicht überrascht.
�Ja, du hast recht.�
�Außerdem dürfte es reichlich schwierig werden, überhaupt noch herauszukommen, wenn die hier einen Krieg anfangen. Handeln oder selbst Bauholz holen können wir dann komplett vergessen.�
Ghaundar stand wieder auf.
�Wir können weiter, sie sind fort.�

Den Rest des Weges rannten sie nur noch, was Joro mit seiner Kondition, seiner Körperfülle und der Rüstung die er trug ziemlich schnaufen ließ. Allerdings machte er sich in diesem Moment keine Angst darüber.
Am Portal angekommen, wechselten sie herüber. Alystin lief sofort zielstrebig zu ihrer Hütte und holte einen mächtigen Gong heraus, den sie mehrere Male heftig anschlug.
Aus allen Häusern kamen die Dunkelelfen gelaufen und versammelten sich auf dem Festplatz.
Joro war überrascht, das es so viele waren. Selbst am Sonnwendfest hatte er nicht so viele wahrgenommen, aber es war ja auch dunkel gewesen und er war, nun ja, abgelenkt gewesen.
Nachdem die Letzten angekommen waren, erklärte ihnen die Hohepriesterin knapp und hastig alles, was geschehen war, und was nun vermutlich auf sie zukam. Dann bat sie die Anwesenden, Vorschläge zu machen oder ihre Meinung dazu auszudrücken.
Joro wurde von etwas abgelenkt. Ein seltsames Ziehen entstand in seinem Nacken, zeitgleich machte sich ein leises, aber sehr unangenehmes Sirren in seinem Geist bemerkbar.
Er drehte sich um und versuchte auszumachen, was da vor sich ging. Als er zu seiner Hütte sah, wurde das Sirren allerdings lauter, also ging er, vorbei an dem ihn fragend anschauenden Ghaundar, auf seine Behausung zu.
An der Hütte angekommen, bemerkte er, daß das Sirren scheinbar vom Friedhof kam. Den Hammer vorsichtshalber gezogen, umrundete er das Gebäude und nahm dabei noch den Schild vom Rücken.
Als der Gnadenacker in sein Blickfeld kam hielt er erschrocken inne.
Auf den Gräbern der vier toten Drow standen schemenhafte Gestalten, ganz in grau, mit rotglühenden Augen und bis an die Zähne bewaffnet. Sie waren in Schwaden aus Nebel gehüllt und standen schweigend und unbewegt da.
Als sie ihn bemerkten, richteten sich acht glühende Punkte auf ihn und plötzlich formten sich Gefühle in seinem Kopf, die ganz klar nicht seine eigenen waren. Verzweiflung, Trauer und� Rachedurst. Eine schier unbändige, verzehrende Wut.
Joro fühlte sich total benebelt und begann zu wanken, aber die Stimme in seinem Kopf meldete sich.
�Laß dich nicht überwältigen, Joro. Sie können dich nicht beeinflussen, wenn du diese Emotionen nicht als die eigenen annimmst!�
Instinktiv schüttelte er den Kopf und dachte an Alystin. Die fremden Gefühle verschwanden sofort und eine wohlige Wärme erfüllte seinen Körper und seinen Geist.
Celestus kicherte.
�Auch eine Möglichkeit��
�Wer sind die, was wollen die von mir?�
�Ich bin erstaunt, daß du sie überhaupt bemerkt hast, du überraschst mich immer wieder, mein Sohn.�
�Aha?�
�Das sind Shuras. Rachegeister, Kriegergespenster.�
�Was sagt mir das? Wieso können die überhaupt hier sein, ich dachte, daß der Segen, den du mich sprechen läßt, dafür sorgt, daß die Seelen der Toten in die Vergessenheit geleitet werden.�
�Das tut er auch. Er verhindert, daß irgendein Einfluß von außen dafür sorgt, daß sie diese Reise nicht antritt. Aber wenn die Seele selbst wieder zurück will, kann ich auch nichts tun, das hast du schon bei Nuktu gesehen. Ich bin nicht der �Herr der Seelen�; sondern der Schutzpatron der Toten��
�Na toll, also habe ich jetzt ein Untotenproblem hier, ja?�
�Nein, das sind keine Untoten.�
�Wie, nicht?�
�Nein. Eher so etwas wie Geisterwesen, so wie Irrlichte oder Banshees.�
�Ich dachte immer, Banshees seien auch Untote?�
�Das ist diskutierbar, aber wir wollen doch nicht abschweifen, oder?�
�� Also was mache ich jetzt? Werden sie mich angreifen?�
Celestus lachte.
�Joro, du bist ein Totengräber. Du stellst für sie eine Möglichkeit dar, in diese Welt zu kommen. Ohne dich können sie niemals Rache üben und nichts anderes wollen sie.�
�Das heißt, ich kann sie herbeirufen wenn ich will?�
�Richtig, aber!�
�Ja?�
�Aber da gibt er noch ein kleines Problem. Es kommt nämlich darauf an, wie alt der Shura ist. Wenn sein Tod noch nicht lange her ist, wird sich sein Haß auf ein bestimmtes Ziel richten. Wenn er dieses vernichtet hat, verschwindet er auf ewig in die Vergessenheit. Ist er schon länger tot, macht das keinen Unterschied mehr. Das macht ihn aber auch gefährlicher.�
�Also wird er alles und jeden attackieren, wenn er zu alt ist?�
�Ja, alles und jeden außer dir.�
�Oh��
�Also� ich will jetzt nicht blöde klingen, aber diese vier dort drüben hassen doch wen, der schon tot ist, wir haben keinen der Hochelfen am Leben gelassen.�
�Die nehmen das nicht so genau, weißt du. Ich denke du kannst dich darauf verlassen, daß jeder Einzelne von ihnen jederzeit alles geben würde, um einem Legionär den Weg ins Jenseits zu zeigen, wenn du verstehst, was ich meine.�
�Das hört sich insgesamt wie ein reichliches Glückspiel an.�
�Ich denke, daß du mit der Zeit herausfinden wirst, wie das Ganze funktioniert. Wie gesagt, dir selbst werden sie so oder so nichts tun.�
Das genügte Joro als Informationen.
�Und was mache ich jetzt mit denen?�
�Sie werden hier sein, wenn du sie brauchst. Nun mußt du nur noch eine Gelegenheit finden, sie einzusetzen.�
�Wir werden sehen, vielleicht dauert das vielleicht nicht einmal sehr lange��

Er ging zurück zum Festplatz und sah die Menge der Drow dort immernoch stehen und eifrig miteinander diskutieren. Alystin stand immernoch am Gong, den Schlegel unter dem Arm geklemmt und redete mit zweien der Priesterinnen.
Omareth stand etwas abseits, betrachtete das Szenario und rauchte Pfeife.
Als Joro näher kam, winkte er ihn heran.
�Na, wieder da, von deinem Ausflug zurück?�
�Habe ich irgendetwas verpasst?�
�Nicht wirklich. Unsere Leutchen sind sich mal wieder alle uneins, was sie tun sollen.�
�Wie meinst du das?�
�Die einen wollen kämpfen, die anderen wollen sich hier verstecken.�
�Hm.�
�Egal wie sie sich entscheiden, am Ende wirst du reichlich zu tun haben, fürchte ich.�
Joro sah sich um und betrachtete die Drow. Komischerweise bemerkte er, daß er sich irgendwie für sie verantwortlich fühlte. Die Vorstellung, daß einer von ihnen sterben sollte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Ganz zu schweigen von Alystin, Omareth oder Ghaundar.
�Du machst dir wirklich Sorgen um uns, Mensch?� Omareth schaute ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Spott an.
Joro verschränkte die Arme vor der Brust und hob seine rechte Augenbraue.
�Manchmal werde ich nicht schlau aus dir, Omareth. In einem Moment bist du ein Kumpel, wie er im Buche steht und dann, von einer Sekunde auf die nächste verwandelst du dich in einen ignoranten Rassisten. Wie kommt es, daß du Tag für Tag normal mit mir reden kannst und dann in Momenten die nun gar nicht passen kommen deine Vorurteile zutage? Natürlich mache ich mir Sorgen um euch, warum sollte das auch nur im Geringsten anders sein?�
Omareth überging das.
�Ist dir klar, daß unsere Entscheidung, egal wie sie ausfallen wird, auch dich betreffen wird? In allen Konsequenzen?�
�Soll mich das stören?�
�Ich würde erwarten, daß jemand, dessen Schicksal seit jeher direkt oder indirekten durch mein Volk fremdgesteuert ist, ein Problem damit haben dürfte.�
�Und warum sollte es das? Ich sehe mich genauso als einen Teil dieser Gemeinschaft hier, wie du es vermutlich tust. Also ändert das nichts.�
Der Zimmermann zog ein paarmal an seiner Pfeife und nickte dann langsam.
�Das heißt du wirst folgen, egal was wir beschließen?�
�Natürlich. Allerdings glaube ich nicht, daß wir hier eine Wahl haben werden.�
Jetzt hob Omareth eine Augenbraue.
�Wie meinst du das?�
�Ich denke, daß die Würfel schon gefallen sind. Es wird Krieg geben, sowohl im Süden als auch hier, da bin ich mir völlig sicher.�
Der Drow seufzte.
�Na, wenigstens sehe ich das nicht als Einziger hier so.�
�Ach, da gibt es auch noch andere, die das nicht so sehen?�
Omareth machte ein resignierendes Geräusch.
�Wenn du wüsstest.�
�Aber es ist doch total überflüssig jetzt zu diskutieren, wir können es doch nicht mehr aufhalten.�
Der Zimmermann blickte ihn herausfordernd an.
�Was schlägst du denn als Alternative vor?�
Jetzt hatte Omareth Joro beim Schlawittchen.
�Äh, ich� Ich bin nur ein Bauernjunge. Von militärischen Taktiken habe ich etwa genauso viel Ahnung, wie du von der Rinderzucht.�
Omareth konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen und ließ nicht locker.
�Also?�
Der Priester fühlte sich ziemlich peinlich berührt.
�Nun� vermutlich sollten wir einen Notstandsplan ausarbeiten und Verteidigungsstrategien festlegen. Außerdem wäre es vielleicht ganz interessant, Wege zu finden, wie wir um das Kämpfen so viel wie möglich herumkommen.�
�Das war doch gar nicht so schwer�, antwortete Omareth lächelnd.
�Naja, aber wie�?�
�Ich mache das dann schon.� Der Drow klopfte ihm auf die Schulter. �Dumm bist du wirklich nicht, du Bauernjunge du. Und nebenbei hast du Recht, von der Rinderzucht verstehe ich absolut nichts, wahrscheinlich noch weniger als du dir vorstellen kannst.�
Ghaundar gesellte sich zu den beiden. Im Gegensatz zu sonst wirkte er erstaunlich ernst.
�Die Späher sind gerade zurückgekommen. Einer von ihnen ist schwer verletzt, einer der Lindwürmer hat ihn mit dem Stachel erwischt.�
�Die sind doch giftig oder? Soll ich mich um ihn kümmern?� fragte Joro, in der stillen Hoffnung, daß das auch in seinen Fähigkeitsbereich paßte.
�Nein, wir haben immer eine Priesterin bei den Spähern dabei. Aber es geht ihm trotzdem immernoch ziemlich schlecht.�
Omareth wandte sich an Ghaundar.
�Wie ist die Lage?�
�Schlimm. Sie haben angefangen, Truppen zu bringen. Neben Lindwurmgruppen sind auch Luftschiffe aufgetaucht. Die Späher haben zwei von ihnen auf dem Weg nach Noth gesehen. Ich fürchte fast, daß du deine Zimmermannsschürze bald für längere Zeit gegen deine Rüstung tauschen mußt��
Omareth knurrte.
�Den Satz habe ich heute schon ein paar Male zu oft gehört.�
�Du bist hier der Einzige, dem die Leute das zutrauen.�
�Kann Joro das nicht machen? Wenn er versagt ist wenigstens keiner enttäuscht.�
Die beiden Drow lachten und Joro rollte mit den Augen. Menschenwitze. Haha.
Der Zimmermann hielt inne.
�Oh verdammt, ich glaube es gibt Ärger.�
Joro und Ghaundar schauten in die selbe Richtung wie er und sahen zu ihrer Überraschung zwei dunkle Gestalten an der Hauswand hinter ihnen lehnen. Die eine war ganz klar Celestus, die andere war eine unglaublich schöne Drowfrau, die von einem silbrigen Glanz umgeben war.
Ghaundar und Omareth fielen sofort auf die Knie, wobei der Zimmermann eine hektische Geste machte, die Joro gebot, das Selbe zu tun.
Der blieb stehen Er starrte seinen Gott und seine Begleiterin an. Zu seiner Verwunderung schien niemand außer ihnen dreien die beiden zu sehen, denn keiner der anderen Drow nahm Notiz von den beiden Gestalten, auch nicht jene, die in ihre Richtung sahen.
Die Drowfrau ging auf ihn zu und berührte ihn sanft an der Wange.
Omareths �Joro, verdammt!� gebot sie Einhalt.
Sie musterte ihn lange und sagte dann, ohne ihren Mund zu öffnen:
�Das ist also der junge Mensch, von dem du gesprochen hast, Celestus.�
�Richtig, werte Freundin, das ist Joro Macun�, erwiderte der dunkle Herr.
Die Frau wandte sich Ghaundar und Omareth zu.
�Wie ich sehe, habt ihr ihn hier gut aufgenommen, dafür danke ich euch.�
Die beiden murmelten etwas Unterwürfiges, das Joro nicht verstand.
�Es kommen harte Zeiten auf Euch zu, mein werter Omareth. Nehmt Euch diese zwei hier als Verbündete und beschützt zusammen die Eurigen. Zu dritt werdet ihr vieles schaffen, von dem keiner von euch glauben würde, daß es zu erreichen wäre. Außerdem werde ich meine Dienerin Alystin bitten, euch zur Seite zu stehen. Sie hat mein Wohlwollen, das könnt ihr mir glauben.� Ein verschmitztes Lächeln huschte über ihr perfektes Gesicht.
Dann wandte sie sich wieder Joro zu.
�Du bist ein außergewöhnlicher Mensch, Macun. Dein Herr hat nicht gelogen, als er das sagte. Vertraue deinem Herzen, denn ich kann sehen, daß es ein gutes ist.�
Sie kam ganz nah an ihn heran und Joro stellte fest, daß sie genauso roch wie Alystin.
Ihre Hand wanderte an sein Ohr, als ob sie ihm etwas zuflüstern wollte und sie sagte ganz leise, diesmal den Mund benutzend: �Ich glaube fast, daß du da ein Feuer an einem Ort entzündet hast, an dem es normalerweise nicht brennen würde, falls du weißt, was ich meine. Aber verrate niemandem, daß ich dir das gesagt habe.�
Celestus ergriff das Wort
�Ghaundar und Omareth, ich möchte euch beide darum bitten, Joro alles beizubringen, was ihr ihm beibringen könnt. Das meine ich sowohl im Physischen als auch im Geistigen. Ich vertraue auf eure Fähigkeiten.�
Die beiden nickten demütig.
Joro setzte eine kritische Miene auf.
�Du bist Eilistraee, oder?�
Celestus und seine Begleiterin brachen beide in Gelächter aus und Joro wurde rot wie ein Puter. Aus Omareths Richtung hörte er ein leises �Hornochse�.
�Schon gut, schon gut, ich halte die Klappe.�
Die dunkle Maid kicherte.
�Du bist wirklich niedlich, Joro�, sie fuhr ihm erneut mit der Hand über die Wange, �wirklich niedlich��
Celestus fuhr herum, als schiene er etwas gehört zu haben.
�Wir müssen gehen, werte Freundin.�
�Ja, ich weiß. Macht es gut, ihr beiden.� Sie winkte Ghaundar und Omareth zu, die wieder irgendetwas Unterwürfiges murmelten. Dann wandte sie sich noch ein letztes mal zu Joro um und machte eine verschwörerische Geste. �Du auch, Joro!�
Die beiden Gottheiten verschwanden.
Omareth, Joro und Ghaundar standen wie benebelt da.
Ghaundar stand wieder auf.
�Es hat dir keiner gesagt, daß unsere Göttin eine derartige Sexbombe ist, was?�
Der junge Mensch starrte ihn verblüfft an.
�Naja, sie ist nicht schlecht, aber� Worüber reden wir hier eigentlich?�
Omareth kam auch wieder hoch.
�Du hast deinen Gott gehört, Joro. Wenn du bereit bist, werde ich dich trainieren.�
Joro sah Omareth prüfend an. Klar, er hatte ihn kämpfen sehen und der Zimmermann war auch alles andere als ein schlechter Krieger, aber warum sollte ihn ausgerechnet ein Handwerker trainieren, wenn doch Ghaundar offensichtlich ein ausgebildeter Meuchelmörder war.
Ghaundar machte jedoch eine winkende Geste mit der rechten Hand und sagte:
�Oh, verdammt� das gibt wieder Ärger.�
Omareth nahm jedoch so etwas wie eine gekränkte Haltung an.
�Du glaubst nicht, daß ich dafür der Richtige bin, nicht wahr?�
Joro schaute verlegen.
�Nein, weißt du, äh��
Der Zimmermann seufzte. Dann griff er wortlos an seine Brust und entfernte einen Lederlappen, der über seinem Herzen auf dem Wams gehangen hatte.
Der Priester erstarrte.
Auf Omareths linker Schulter prangte ein Wappen, das jeder Daishani nur viel zu gut kannte. Das allsehende Auge Vaerûns, darunter zwei gekreuzte Schwerter.
Das Wappen des Großkönigs Welverin.
�Du��
Der Drow schüttelte den Kopf.
�Nein, nicht das, was du denkst. Aber irgendwann mußtest du die Wahrheit so oder so erfahren. Mein voller Name lautete Omareth Veldrin�Ssreen. Ich bin Welverins Halbbruder.�
In Joros Kopf tobte ein Sturm aus Gefühlen. Sein erster Impuls war es, auf den Dunkelelfen zuzustürmen und ihm den Kopf mit bloßen Händen vom Rumpf zu reißen. Doch der verschwand recht schnell wieder. Gemischt mit dem, was er über Omareth wußte und mit ihm erlebt hatte, übermannte ihn schnell eine starke Traurigkeit. Der Zimmermann, der offenbar keiner war, tat ihm unglaublich leid, denn man konnte sich vorstellen, daß eine Person mit dem Charakter, den Omareth aufwies, in einer Drowgesellschaft unter der Erde unvorstellbares Leid hatte erleben müssen.
Mit Tränen in den Augen ging er auf den völlig überraschten Dunkelelfen zu und nahm ihn fest in den Arm.
Selbst Ghaundar, der sich normalerweise niemals für einen blödsinnigen Kommentar zu schade war, wirkte betroffen.
Omareth seinerseits, in Joros Umarmung, hatte seinen sonst so halsstarrigen, ablehnenden Geist komplett verloren und der Priester war sich auch später noch lange Zeit sicher, daß sich Omareth in seinem ganzen Leben vorher und vielleicht auch nachher niemals so nackt und verletzlich gefühlt haben musste. Sich einem Menschen, gar einem Daishani so zu offenbaren, mußte ihn die schlimmste Überwindung seines Lebens gekostet haben.
Joro löste die Umarmung und sah Omareth lange an, der wie ein Häufchen Elend vor ihm stand.
�Es wäre mir eine Ehre, von einem Drowkrieger zu lernen, Omareth Veldrin�Ssreen. Und ich könnte mir keinen vorstellen, von dem ich lieber lernte als dir.�
Der Dunkelelf antwortete nichts, sondern starrte ihn lange an. Dabei bemerkte Joro aus den Augenwinkeln, daß die anderen Drow alle verstummt waren und alle zu ihnen beiden herüberschauten.
Omareth richtete sich auf, strich seinen Bart glatt und versuchte wieder eine halbwegs würdevolle Haltung anzunehmen, was auch halbwegs gelang.
�Gut! Dann werde ich dich ab morgen früh richtig rannehmen. Und jetzt gehe ich mich für den Rest des Tages besaufen.�
Er drehte sich um und ging, leicht benommen torkelnd, davon.
Die anderen Dunkelelfen begannen wieder, miteinander zu tuscheln, aber diesmal sahen sie immer wieder verstohlen in Joros Richtung.
Ghaundar hatte sich auch wieder im Griff.
�Ich habe da noch eine gut abgehangene Wildschweinkeule, die wir braten könnten��
Joro nickte und wischte sich die Feuchtigkeit aus den Augen.
�Gut, kommst du zu mir, oder��
�Ja, ich gehe sie holen.�
Eine gute halbe Stunde später saßen sie hinter Joros Hütte an der Feuerstelle, die Joro mittlerweile neben den Friedhof verlagert hatte und die Keule brutzelte über der Glut.
�Das hat dich hart getroffen, oder?�, fragte Ghaundar.
Der Priester verzog das Gesicht.
�Daß er das überhaupt überlebt hat, ist ein Wunder.�
Der Assassine lachte.
�Was du bisher nicht weißt, und was auch sonst kaum jemand jemals erfahren hat, ist daß es Omareth war, der Welverins Ende herbeigeführt hat.�
�Aber� die Legende?�
�Die Legende ist kompletter Blödsinn, Joro. Alle Versionen, die ich bis heute gehört habe, angefangen von einem Mordanschlag bis hin zu einer Invasion einer llothtreuen Armee ist alles erstunken und erlogen. Welverin war nicht nur paranoid, er war auch ein ausgesprochen guter Planer und Heerführer. Er hätte sowohl von einem Attentat als auch einer Invasion lange vorher gewußt und die entsprechenden Maßnahmen getroffen.�
�Du kanntest ihn gut, nicht wahr?�
Ghaundar drugste.
�Jetzt kommt noch so ein Bekenntnis, oder?�, Joro schaute ihn erwartungsvoll an, �Bist du auch mit ihm verwandt?�
Der Drow ließ den Kopf hängen.
�Ertappt, und das mir� Bitte nicht in den Arm nehmen��
Joro ignorierte das.
�Also?�
�Welverins und mein Vater hatten die selbe Großmutter. Bis vor ein paar Jahren wußte ich nicht einmal, daß Omareth und ich Großcousins sind. Aber wir haben schon damals miteinander zu tun gehabt und viel Zeit miteinander verbracht.�
�Wie ich euch beiden kenne, habt ihr zusammen Welverins Ende geplant, stimmts?�
�So ähnlich. Geplant war es nicht, aber wir beiden haben seine Exzesse ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr ausgehalten. Die Entscheidung war ziemlich impulsiv und während ich die Wachen abgelenkt habe, hat sich Omareth in sein Schlafzimmer geschlichen und sein Ding getan.�
Ghaundar biß einen Happen von dem Fleischstück an seinem Dolch ab.
�Hat ganz schön lange gedauert und Omareth war am Ende ganz schön ramponiert, als er aus dem Zimmer kam.�
Joro erinnerte sich, an Omareths Hals und unter seinem Bart ein paar Narben gesehen zu haben.
�Und dann seid ihr beide geflohen?�
�Fast sofort. Als es offenkundig wurde, daß Welverin tot ist, haben seine Vasallen, oder besser gesagt, die, die sich so nannten, sofort begonnen, sich gegenseitig aufzuschlitzen, weil natürlich jeder der neue König sein wollte. In dem Chaos konnten wir dann entkommen, aber wir wurden getrennt.�
�Na, dann hat es das Schicksal doch gut mit euch gemeint, daß ihr euch beide wiedergefunden habt, nicht wahr?�
Ghaundar ignorierte den frechen Kommentar und fuhr fort.
�Ich wurde von Alystin gefunden. Damals hatte ich noch schwer mit der Tagblindheit zu kämpfen, und eine Gruppe von Dorfbewohnern hätte mich fast gelyncht. Omareth war schon früher zu den Anhängern der Eilistraee gekommen, seinen Glauben an Vaerûn hatte er schon lange verloren.�
�Und du?�
�Nun, ich habe solange ich lebe niemals akzeptiert, daß Sterbliche den Göttern dienen sollen. Bei Eilistraee ist das allerdings anders und das hat mir zugesagt.�
�Hm.�
Joro biß auch ein Stück Fleisch ab und kaute eine Weile darauf herum. Dann sah er Ghaundar an.
�Wenn mein Vater hier wäre, ginge er jetzt in den Keller, stach sein besten Bierfaß an und stellte dir einen Krug her. Das war seine Art, jemandem wirklich herzlich zu danken. Außerdem hätte er Omareth sein bestes Kalb geschlachtet, das kannst du glauben. Auch wenn ich dir vermutlicht nicht sagen muß, wie sehr er auf dein Volk geflucht hat, und das jeden Tag. Dennoch hätte er das jetzt getan.�
Ghaundar nickte ernst.
�Das verstehe ich. Mir ging es, bis ich hier gelandet bin, erstaunlicherweise nicht anders, wenn ich ehrlich bin. Und komm� mir jetzt nicht mit �Patriotismus�, es sei denn du willst was an den Kopf geworfen haben.�
Er überlegte kurz, dann grinste er.
�Du wolltest Omareth vorhin erst an die Wäsche, stimmts?�
���
�Ich war von deiner Reaktion mehr als überrascht und ich glaube da war ich nicht der Einzige.�
Joro zog den rechten Mundwinkel hoch.
�Weißt du, ich hatte immer von mir gedacht, daß meine Kindheit �schlimm� gewesen sein, wenn du verstehst was ich meine. Aber wenn ich mir anschaue, was ihr beide erlebt haben müßt, denke ich, daß sich die beiden Schicksale nicht viel nehmen, oder? Und was Welverins Ende angeht��
Er nahm noch einen Bissen und wedelte während des Kauens mit dem Dolch hin und her als wägte er etwas ab.
�Eigentlich macht euch das noch sympathischer, als ihr sowieso schon seid.�
�Du hast das schon geahnt, oder?�
Joro schüttelte den Kopf.
�Nicht wirklich, aber mir war schon am Anfang klar, daß Omareth keine böse Person ist. Also war es nur logisch, daß die Zeit, die er im Unterreich gelebt hat, für ihn nicht gerade rosig verlaufen sein kann.�
Ghaundar nickte sinnierend vor sich hin. Dann grinste er plötzlich.
�Eins muß man dir aber lassen. Du schaffst es immer wieder, daß die Leute hier über dich tuscheln.�
�Ach, tun sie das immernoch, ja?�
Der Drow lachte laut.
�Und wie! Als du vorhin Omareth fast geknutscht hast, hast du damit einer Menge Leute hier den Wind aus den Segeln genommen. Da werden es in der Zukunft ein paar von ihnen schwer haben, irgendwelche rassistischen Kommentare von sich zu geben, denen wird nämlich keiner mehr zuhören.�
�Ach, die gab es?� Joro fühlte sich irgendwie gekränkt.
�Hm, da fiele mir keiner außer Omareths Frau ein, wenn ich ehrlich bin��
�Häh?�
�Naja, die wird eifersüchtig sein, weil ihr Mann mit anderen Kerlen herumfummelt� Aua!�
Joro hob das Stück Fleisch auf, das er Ghaundar an den Kopf geworfen hatte, strich den Dreck herunter und aß seelenruhig weiter.
�Sie, mein Herr, sind ein Sack.�
Ghaundar kicherte, antwortete aber nichts. Doch Joro fiel noch etwas ein.
�Sag mal, warum habe ich Omareths Frau eigentlich noch nicht kennengelernt?�
Der Drow schluckte unvermittelt.
�Das muß er dir schon selber erzählen, das geht mich überhaupt nichts an und ich hätte auch kein Recht etwas darüber zu sagen.�
Joro verstand nicht, was er meinte, aber er akzeptierte es.
Es war Nacht geworden und der Sternenhimmel war klar. Joro seufzte.
�Was ist los?�, fragte Ghaundar.
�Ich weiß nicht. Es war ein reichlich harter Tag und ich bin mehr als erschöpft.�
Ghaundar konnte nur zustimmen.
�Und die Aussichten auf die Zukunft lassen einen sich auch nicht so richtig wohl fühlen��
�Ja, stimmt.�
Der Drow stand auf.
�Ich, für meinen Teil, werde jetzt in die Falle hüpfen und zusehen, daß ich ein bißchen Kraft tanke. Solltest du auch tun, wer weiß, was der morgige Tag bringen wird.�
Er stand auf und machte sich auf den Weg zu seiner Hütte.
Joro saß noch da und trank seinen Humpen aus.
Plötzlich schob sich etwas auf seinen Schoß. Zu seiner Überraschung war es Alystin. Sie blickte ihm tief in die Augen und gab ihm dann unvermittelt einen langen, intensiven Kuß.
Der junge Mensch saß komplett vernebelt da, konnte jedoch nicht umhin, es sehr zu genießen.
Als sich ihre Lippen von den seinen lösten, lächelte sie ihn an.
�Ich hatte schon befürchtet, Ghaundar würde niemals gehen.�
�Äh, naja, er ist ja jetzt fort, nicht wahr?�
Sie lächelte immernoch und strich ihm über das Gesicht. Dann seufzte sie.
�Joro, mein Joro, du hast ja keine Ahnung, wie stolz ich auf dich bin.�
�Warum?�
�Was heute mit Omareth geschehen ist, hat alles übertroffen, was ich jemals von dir erwartet hätte.�
�Warum beeindruckt das bitte alle so?�
�Sagen wir einfach, daß du heute deine vermutlich letzte Feuertaufe hier bestanden hast. Indem du der Wahrheit über ihn mit Mitleid begegnet bist, dürftest du alle Vorurteile unserer Leute dir gegenüber ausgelöscht haben.�
�Deine auch? Nebenbei� wie war das mit �ich bin die Hohepriesterin, ich muß Abstand wahren�?�
Sie lächelte wieder und setzte ihm mit einem frechen Gesichtsausdruck noch einen Kuß auf die Lippen.
�Das willst du doch gar nicht!�
Joro runzelte unvermittelt die Stirn.
�Kannst du bitte mal den Mund aufmachen?�
Sie sah ihn überrascht und ein bißchen besorgt an.
�Wieso, stimmt irgendetwas nicht?�
�Ich möchte nur einmal sehen, ob Drow auch eine schwarze Zunge haben��
Alystins Augen wurden groß, dann lachte sie.
�Du Mistkerl!�
Nachdem sie ein paar Male spielerisch auf ihn eingeschlagen hatte, stellte Joro fest, daß sich zumindest diese eine Drowzunge, unabhängig von seinem Wissen über deren Farbe, reichlich gut anfühlte, wenn sie mit seiner eigenen in Berührung kam. Also konnte die Investigation diesbezüglich vorübergehend auf Eis gelegt werden.
Er wußte nicht, wie lange sie da so saßen � davon abgesehen, daß er sich niemals im Leben gewünscht hätte, daß es vorbei ginge � da kam ihm plötzlich ein Gedanke.
�Sag mal, ist das nicht gefährlich, wenn man dich hier so sieht?�
Sie grinste.
�Ich kann ja immernoch behaupten, daß du mich überwältigt und dazu gezwungen hast��
�Da kommt die kleine Llothpriesterin in dir hoch, was?�
Alystin brach in schallendes Gelächter aus.
�Oh, was kannst du doch für ein mieser Lump sein!�
Sie kam mit ihrem Gesicht ganz nah an seins, blickte ihm tief in die Augen und hauchte, ohne die Stimme zu benutzen: �Ich liebe dich.�. Dann sprang sie auf und huschte davon.

Im Gegensatz zu sonst hatte Joro zwar trotzdem einen Steifen, aber dieses Mal war das taube Gefühl fort, daß er sonst immer hatte, wenn er mit ihr alleine gewesen war. Sie hatte es wirklich gesagt� wirklich!
Sein Herz sprang fast aus seiner Brust und er fühlte sich unglaublich lebendig. Lange saß er noch da und schwelgte in diesem Gefühl, bis er dann doch müde wurde und sich ins Bett legte.


Kapitel 9

Der Morgen begann sehr früh und abrupt, weil es an Joros Tür rumpelte. Als er nicht schnell genug aufstand, flog sie krachend von alleine auf. Im Türrahmen stand Omareth, in einem schwarzen, leicht violett schimmernden Plattenharnisch.
�Aufstehen, Rüstung anziehen, dein Training hat soeben begonnen.�
Joro hastete zum Gestell, nahm die Rüstung ab und beeilte sich, die anzulegen. Alleine war das gar nicht einmal so einfach, er wußte zwar, welche Teile zu welchem Zeitpunkt kamen, aber dennoch war es ziemlich umständlich.
�Was dauert das so lange?!� Omareth klang ziemlich ungeduldig.
�Ich komme ja schon!�, rief Joro zurück und rannte, den Schild noch am oberen Rand gefaßt aus der Tür. Er blieb vor dem Drow stehen und sah ihn erwartungsvoll an.
�Und was mache ich jetzt?�
�Du läufst fünf Runden um das Dorf. Ich werde hier warten und wenn du trödelst, dann läufst du noch eine Runde. Als allererstes müssen wir deine Wampe loswerden und vor allem ein bißchen Kondition in dich hineinbekommen.�
�Fünf ganze Runden?! Weißt du eigentlich, wie weit das ist?�
�Jetzt sind es schon sechs Runden. Magst du dich noch weiter beschweren?�
Joro hielt die Klappe und rannte grummelnd los. Schon nach kurzer Zeit bemerkte er wieder, daß die Rüstung zwar leichter war als sie aussah, aber wie auch schon auf dem Weg von und nach Noth machte sich ihr Gewicht nach kurzer Zeit des schnellen Laufens bemerkbar.
Er schnaufte und ächzte vor sich hin, in dem grimmen Willen, nicht aufgeben zu wollen. Jedes Mal wenn er an Omareth vorbeikam machte dieser eine Bemerkung, die ihn wohl anspornen sollte, indem sie ihn wütend machte. Einen Kommentar oder eine Antwort sparte er sich lieber, denn er war sich sicher, daß er zusätzliche Runden aufgebrummt bekommen hätte, falls er auch nur ein Wort gesagt hätte.
Schließlich war die sechste Runde um und er kam keuchend neben Omareth zum Stehen. Der deutete ihm, Schild und Hammer abzulegen und drückte ihm dann einen geschnitzten, geraden Knüppel in die Hand.
�Siehst du, nun bist du aufgewärmt.�
�Aufgewärmt?�
�Das machst du jetzt jeden Morgen und jeden Abend. Morgens fünf Runden mit und abends zehn ohne.�
�Ich bin nicht aufgewärmt, ich bin kurz vor einem Herzanfall!�
�Willst du schon wieder motzen?�
Nein wollte er nicht, er hielt wieder die Klappe.
Omareth musterte ihn tadelnd.
�Das erste was du lernen mußt, ist nicht zu jammern. Die Kraft, die du damit vergeudest, zu jammern kannst du wesentlich besser in deine Bemühungen stecken, ein besserer Kämpfer zu werden. Nach dem Training kannst du meinetwegen so viel rumheulen wie du willst.�
Der Priester hielt immernoch den Mund.
�Gut. Jetzt wollen wir einmal die Grundlagen des Fechtens lernen. Dein übliches Geknüppel ist nämlich kaum auszuhalten. Es ist wahrlich ein Wunder des Celestus, daß du überhaupt noch lebst.�
Joro vermeinte so etwas wie ein Lachen gehört zu haben, aber die Stimme in seinem Kopf meldete sich nicht weiter.
Es vergingen vier Stunden, an deren Ende er nur noch erschöpft an einer Hüttenwand lehnen konnte. Der Schweiß stand als Pfütze in seiner Hose und das Atmen fiel ihm so schwer, daß er glaubte, ersticken zu müssen. Omareth hatte ihn ohne eine einzige Pause vor seiner Behausung den Weg herauf- und heruntergeprügelt, bis Joro alle Grundschläge und Grundparaden im Schlaf beherrschte.
Er hatte schnell gelernt. Sein Wissensdurst kannte keine Grenzen und Omareth hatte schon schnell erkannt, daß Joro mehr als nur Talent besaß. Er hütete sich aber tunlichst, ihm das zu sagen, um ihn nicht leichtsinnig werden zu lassen.
Als sie fertig waren, nickte der Drow seinem Schüler anerkennend zu.
�Das war besser als ich erwartet hatte, aber du hast noch immer eine Menge zu lernen. Für heute ist Schluß, aber vergiß nicht, heute Abend deine zehn Runden zu laufen.�
Joro brach jetzt offiziell zusammen und rührte sich erst einmal nicht von der Stelle. Sein Lehrer ging zur Quelle hoch, um sich zu waschen.
Der junge Mensch saß da und überlegte kurz. Dann wandte er sich an die Stimme in seinem Kopf.
�Sag mal, ist das eigentlich in Ordnung, wenn ich nachts zum Knutschen die Maske abnehme?�
Celestus sagte nichts, also entschied Joro für sich, daß der Gott, wenn er schon nichts dazu sagte, auch nicht dagegen war.
Er ging in seine Hütte, legte mühsam und unter Schmerzen die Rüstung ab und nachdem er erst einmal einen guten Schluck Bier genommen hatte, entschied er sich auch dazu, zur Quelle zu gehen.
Auf dem Weg nach oben kamen ihm zwei Drowmädchen entgegen, die bei seinem Anblick begannen miteinander zu tuscheln und dabei zu kichern, um dann, als er ihnen zu nahe kam, Hand in Hand davonzuhüpfen.
Joro schüttelte den Kopf. Auch in dieser Hinsicht waren sich Drow und Mensch offensichtlich ähnlicher als beide Seiten je zugeben würden. Schon als kleiner Junge, so erinnerte er sich, war es ihm gravierend auf die Nerven gegangen, daß Mädchen andauernd kichern, tuscheln und herumhüpfen mußten. Und nicht alleine aufs Klo gehen konnten. Wobei letzteres eine Eigenart war, die er bei den Drow bisher nicht hundertprozentig bezeugen konnte.
An der Quelle angekommen, sah er, daß dort eine Drowfrau, die Kapuze ihres Piwafwi aufgesetzt. am in den Stein gehauenen Basin stand und Wäsche wusch. Als sie ihn kommen sah, wandte sie sich sofort zum Gehen.
�Nein! Bleib doch da! Ich wasche mich nur kurz, ich wollte dich nicht stören�, Joro fühlte sich unangenehm berührt.
�Ach ja?�, sagte sie mit einer sehr rauen, fast krächzenden Stimme, �Und dann habe ich deinen ganzen Schnodder in meiner Wäsche, ja? Nein danke, ich verzichte!�
Mißmutig nahm sie den Korb vom Rand des Basins und stapfte den Weg zum Dorf herunter. Im Vorbeigehen fügte sie hinzu: �Du tust wirklich gut daran, dich zu Waschen, du stinkst wie ein Rothèarsch!�
Geradezu schamhaft stand er allein an der Quelle und wusch sich hastig, immer wieder spähend, ob die Frau wohl zurückkäme, was aber nicht geschah.
Als er fertig war, warf er schnell seine Robe wieder über und bemerkte dabei, das diese auch nicht gerade nach Rosen duftete. Er beschloß, sich in der Hütte eine neue überzuziehen.
Auf dem Weg nach unten kam ihm Omareth entgegen, einen Wäschekorb unter dem Arm. Als er Joro bemerkte, lächelte er ihm gequält entgegen.
�Da hast du mir aber etwas wirklich Nettes eingebrockt, Mensch.�
�Das war deine Frau nicht wahr?�
�Ja�, Omareths Lächeln wirkte noch ein Stück gequälter.
�Ah, so. Naja, ich muß mich mal um meinem Friedhof kümmern.�
Sie gingen aneinander vorbei, aber der Drow hielt noch einmal an.
�Ich weiß es zu schätzen, daß du nicht weiter fragst, Joro.�
�Es geht mich auch nichts an.�
Omareth überlegte kurz.
�Damit hast du zwar recht, aber ich glaube eines Tages sollte ich dir die ganze Geschichte vielleicht trotzdem erzählen.� Er seufzte. �Aber jetzt muß ich erst einmal diese verdammten Klamotten sauber machen.�
Mißmutig stapfte er weiter.

Joro hatte sich auf dem Markt in Noth neben der alten Sichel, die er sich vornahm am Abend endlich vom Rost zu befreien auch noch einen kleinen Beutel mit Blumensamen besorgt, die er jetzt auf dem Friedhof ausbrachte. Er hatte sowohl am Zaun als auch auf den Gräbern selbst kleine Beete angelegt, von denen er hoffte, daß sie bei aufgehender Saat einigermaßen ansehnlich werden würden.
Gegen Mittag kam Ghaundar am Haus vorbei, ein Kaninchen über der Schulter.
�Lust auf Mittagessen?�
�Immer!�
Der Drow blickte über den Friedhof.
�Wenn ich dich so arbeiten sehe, denke ich mir manchmal, daß an dir eine tolle Hausfrau verloren gegangen ist.�
�Bist du auch so einer von denen, die meinen, daß Blumen �Mädchenkram� sind, ja?�
Ghaundar lachte.
�Naja, du gibst dir echt penibel Mühe, deinen kleinen Gnadenacker zu verschönern. Das mag jetzt morbide klingen, aber das erinnert mich irgendwie an eine Frau, die ihr Haus schmückt.�
�Wenn du tot wärst, würdest du auch nicht gerne in einer alten Sickergrube liegen wollen.�
�In erster Linie habe ich gar nicht erst vor, zu sterben.� Ghaundar streckte die Zunge raus. Diese war, soviel zu sehen war, übrigens nicht schwarz.
Er nahm das Kaninchen von der Schulter.
�Machst du uns Essen, Schatzi?�
Nachdem die beiden sich eine Weile ziemlich heftig geprügelt hatten, brutzelte das Kaninchen schließlich über der Feuerstelle.
Für Joro waren die Mittagessen mit Ghaundar immer wieder etwas Angenehmes. Nicht nur, daß sich die beiden gut verstanden, sondern es war auch immer sehr lehrreich, sowohl bezüglich der Drowsprache, die er immer besser lernte, als auch was den generellen kulturellen Austausch anging.
�Gibt es etwas Neues von den Hochelfen?�, fragte Joro zwischen zwei Bissen.
Ghaundar machte eine abwägende Geste.
�Wir haben Berichte von einer Handelskarawane gehört, daß sie in den südlichen Königreichen begonnen haben, Grenzen zu überschreiten und Gebiete zu annektieren.�
�Also hat der Krieg begonnen?�
�Ich würde das nicht wirklich �Krieg� nennen. Sie haben die betroffenen Reiche einfach besetzt und die einheimischen Herrscher abgeschlachtet. Es sieht zwar im Moment so aus, als bilde sich im Westen eine Allianz aus kleineren Königreichen um sie aufzuhalten, aber die haben da unten alle so viel alte Feindschaften zwischeneinander, daß ich kaum denke, daß es lange bestehen wird. Schon gar nicht gegen eine so gut ausgerüstete und trainierte Armee wie die goldene Legion.�
Joro hob eine Augenbraue.
�Glaubst du, daß sie den ganzen Kontinent unterwerfen werden?�
�Wenn sie keiner aufhält, sehe ich schwarz� Die Zahlen dafür haben sie und ich denke nicht, daß der Prophet irgendeine moralische Instanz im Kopf hat, die ihn davon abbringen wird.�
Das gefiel dem Priester überhaupt nicht.
Zwei Drowmänner kamen um die Ecke gerannt und redeten wild durcheinander auf Ghaundar ein. Sie sprachen so schnell, daß Joro nur ein paar Stichworte verstand, wie �brennen� und �viele�.
Ghaundar sprang auf und schaute ihn sehr ernst an.
�Geh rein, hol deine Rüstung und mach dich aufbruchbereit, wir müssen sofort los!�
�Was ist los?�, fragte Joro, während er bereit auf die Tür seiner Hütte losrannte.
�Sie greifen Noth an. Die Hälfte der Stadt brennt schon.�
Wortlos rammte Joro die Tür auf und holte seine Rüstung vom Ständer.
Noch während er dabei war, sie anzulegen ertönte vom Festplatz her der Gong. Zwei kurze und ein langer Schlag, Ghaundar hatte ihm erklärt, daß das ein Alarmsignal war.
Er war fertig, setzte den Helm auf, hing das Schild auf den Rücken und hing den Hammer schon im Laufen aus der Tür in den Gürtel.
Schon auf dem Weg zum Platz gesellten sich mehrere, schwer bewaffnete und gerüstete Drow zu ihm, die auch dort hingingen.
Alystin und Omareth, beide in schwere Rüstung gehüllt standen am Gong und warteten auf alle Nachzügler, bevor die Hohepriesterin das Wort ergriff.
�Noth wird angegriffen, Brüder und Schwestern. Ich habe mich mit den Ältesten beraten und wir sind alle der Ansicht, daß wir es den Menschen dort schuldig sind, ihnen zu helfen.�
Einige der Drow murrten zwar, aber diese Ansage schien doch die Zustimmung der meisten zu treffen.
Omareth ergriff das Wort.
�Diejenigen, die vorgesehen sind, werden mit uns kommen. Der Rest von euch wird hier warten und bei unserer Rückkehr dafür sorgen, daß wir unversehrt durch das Portal kommen, falls etwas fehlschlägt.�
Er wandte sich Joro zu.
�Kommst du mit, Totengräber?�
Dessen Miene wurde so böse, daß der Drow unvermittelt zusammenzuckte.
�In Ordnung, ich frage nicht wieder.�
Die Drow verteilten sich schweigend, Joro konnte sehen, daß etwa die Hälfte von ihnen Richtung Portal abmarschierte.
Omareth kam auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
�Ich finde es sehr erfreulich, daß wir uns auf dich verlassen können.�
Diese Aussage war mit ziemlicher Sicherheit darauf getrimmt, daß sie die anderen Drow hörten.
Er ging Richtung Portal.
Alystin kam ebenfalls zu ihm. Sie sah ihm mit ihren großen, violetten Augen tief in die seinen, sagte aber nichts.
Joro lächelte sie, ebenfalls schweigend, an.
�Jetzt kommt halt, ihr Turteltäubchen!� zischte Omareth irgendwo zwischen den Häusern.

Auf der anderen Seite des Portals angekommen setzte sich der Pulk der Drow sofort und, wie Joro fand, äußerst diszipliniert in Bewegung. Ihre Zahl konnte er kaum überblicken, aber er schätzte, daß es an die 150 sein mußten. Alle waren in Schwarz gekleidet und hatte unter ihren Umhängen zumindest ein Kettenhemd an, wenn nicht gar eine Halbplattenrüstung.
Trotz seiner vom Training sehr angeschlagenen Physis schaffte es Joro irgendwie, Schritt zu halten, die Sorge und die sonderbare Erregung, die ihn ergriffen hatte, halfen ihm dabei.
So kamen sie auf die Handelsstraße. Unterwegs warteten immer wieder Späher auf sie, die Auskunft über die Lage vor ihnen brachten.
Je näher sie Noth kamen, desto besorgter wurde Joro. Schon als sie nur zum Einkaufen gegangen waren, hatten sie fast zwei Stunden nach Noth gebraucht. Jetzt waren sie zwar im Dauerlauf unterwegs, aber die Späher waren ja auch nicht geflogen, um Alarm zu schlagen, also durfte die Stadt sich schon seit einer Weile attackiert werden. Und in so viel Zeit konnte sehr viel geschehen.
Alystin mußte seine gerunzelte Stirn gesehen haben.
�Die Leute in Noth sind wehrhafter, als du vielleicht denkst, Joro�, sagte sie, �Letzten Sommer haben sie ganz alleine einen recht großen Hobgoblinstamm vertrieben, der sie bedroht hat.�
�Hobgoblins sind aber keine gottverdammten Hochelfen mit Mithrilkettenhemden und Schwertern aus dem selben Zeug.�
Sie seufzte.
�Das stimmt, aber die Hoffnung sollte erst dann sterben, wenn wir den letzten toten Einwohner finden, wenn du verstehst, was ich meine.�
Er verstand das durchaus, aber es nahm ihm in keiner Weise die Sorge. Unbewußt legte er noch einen Gang zu.
Lange bevor Noth in Sichtweite kam, konnten sie schon über die Hügelketten die Rauchfahnen sehen, deren Ausmaße Joros Sorgen nur noch weiter hochtrieben.
Als sie die letzte Kuppe überquerten, bot sich ihnen ein schlimmes Bild. Neben der Stadt standen zwei hochelfische Luftschiffe, am Boden vertäut. Schon von Weitem sah und hörte man, daß in der Stadt gekämpft wurde
Die Drow zogen alle fast gleichzeitig ihre Waffen und teilten sich schweigend in kleine Kämpfergruppen von etwa je zehn Personen auf, wobei sich Joro die Frage stellte, ob die Angriffe von Welverins Horden wohl genauso abgelaufen waren. Das machte ihm ein eisiges Gefühl im Nacken, obwohl er sich bewußt war, daß er bei den Guten war. Er schüttelte den Gedanken ab, es gab jetzt Wichtigeres als das.
Sechs andere Drow gesellten sich zu Omareth, Ghaundar, Alystin und Joro und während die anderen Gruppen zielstrebig auf die Hochelfen losstürmten und in diese hineinkrachten, hatte die Hohepriesterin offenbar etwas Anderes vor.
Sie umgingen die Kämpfenden und bewegten sich auf das Zentrum der Stadt zu, in Richtung Marktplatz. Unterwegs trafen sie zweimal auf kleinere Hochelfengruppen, die die Drow schnell mit ihren Handarmbrusten ausschalteten.
Am Rande des Marktplatzes war eine Barrikade, die von der Legion massiv bedrängt wurde.
Omareth zog eine Streitaxt vom Rücken, deren Größe die andere, die er normalerweise mit sich führte, drastisch übertraf.
�Dann geht es jetzt also richtig los.�
Joro hob die Hand.
�Warte einen Moment.�
Der Drow sah ihn fragend an, aber der Priester schaute zu Boden und begann zu beten.
Die Stimme in seinem Kopf klang ernst.
�Alles in Ordnung, ich weiß Bescheid. Ich werde so gut ich kann zusehen, daß euch nichts passiert.�
�Danke.�
�Nun ja, das ist mein Beruf, weißt du��
Ein schwarzer Schleier senkte auf sie alle herunter. Die Drow staunten nicht gerade wenig, als ihre Waffen plötzlich von schwarzen Energieentladungen überzogen wurden. Der Schleier verdichtete sich und legte sich als schwarze Schicht über ihre Körper.
Joro blickte wieder auf, packte seine Hammer, holte den Schild vom Rücken und schaute dann grimmig.
�Für die Enklave!�
Omareth schaute ihn überrascht an, nickte dann aber mit einem ebenbürtigen Gesichtsausdruck und brüllte dann, die Axt über den Kopf gehoben:
�Für die Enklave!!�
Joro klappte mit der rechten Hand das Visier herunter und alle stürmten gleichzeitig los


Kapitel 10

Die Menschen auf der anderen Seite der Barrikade waren bereits reichlich angeschlagen, aber als sie plötzlich den schwarzen Keil in die Rücken der Hochelfen einschlagen sahen, faßten sie neuen Mut.
Die Drow krachten wie eine schwarze Metallawine in die Legionäre und es prasselten von allen Seiten Schläge auf die Hochelfen nieder.
Hierbei stellte Joro am Rande fest, daß Alystin, mit einem Langschwert und einer Kettenpeitsche bewaffnet, eine unglaublich fähige Kämpferin war.
Ihre Attacken wirkten um nichts schwächer als die von Omareth oder Ghaundar, was garantiert nicht nur daran lag, daß sie als Frau nicht unwesentlich größer war als ihre männlichen Volksgenossen.
Wirklich überrascht war er allerdings wieder einmal über die Wirkung von Celestus� Hilfswunder. Ihre Waffen durchschlugen die Rüstungen ihrer Gegner als seien diese aus Papier.
Alystin ihrerseits begann während des Kampfes zu singen und Joro fühlte sich durch das Lied mit Mut und Entschlossenheit erfüllt.
Der Einfall des unerwarteten Gegners hatte die Hochelfen in eine schwache Position gebracht, was nun ihren Untergang bedeutete.
Omareth trat auf eine Brust, holte mit einem Ruck seine Axt aus dem Kopf des toten Elfen, in dem sie steckte und sah sich kritisch um.
Einer der Menschen kam über die Barrikade, direkt auf Joro zu.
�Danke für Eure Hilfe, Totengräber. Von allem in der Welt hätte ich eher Hilfe von einem Haufen Dämonen als von einem Diener des Celestus in Begleitung einer Drowarmee erwartet.�
Joro lachte, durch das Besiegen der Legionäre euphorisch:
�Ja, aber ist es nicht schön, daß einen das Leben immer wieder überrascht?�
Er deutete zu Omareth.
�Das ist unser Anführer, Omareth mit Namen.�
Der Mensch verbeugte sich tief.
�Wir haben nicht viel Zeit für Höflichkeiten, es sind sehr viele, Herr Omareth.�
�Dann bring mit zu euren Anführer�, sagte dieser ernst.
Der Mann nickte und lief im Laufschritt los, in Richtung des Marktplatzes. Joro und die Drow folgten ihm.
Auf der Mitte des Marktplatzes, in einer zusätzlichen Reihe aus Barrikaden, die auf umgeworfenen Marktständen bestanden, hatte sich eine Gruppe von Bogenschützen und einigen anderen, älteren Bewohnern von Noth versammelt, die sich um Verwundete kümmerten. Zu Joros Erleichterung war Hanna unter ihnen.
In ihrer Mitte stand ein Mann mit weißen Haaren, in abgewetzter Lederrüstung und mit einem Langbogen über der Schulter. Als er die Gruppe näherkommen sah, nahm sein Gesicht einen überraschten Ausdruck an.
�Ausgerechnet Ihr, Omareth? Euch hätte ich in einhundert Jahren nicht erwartet.�
�Das wurde uns bereits in ähnlicher Form mitgeteilt. Als wir hörten, daß ihr attackiert werdet, mußten wir helfen.�
�Das wird Euch nicht leicht gefallen sein, ich kenne von unseren letzten Begegnungen mehr als zur Genüge, was ihr von den Menschen haltet.�
�Meine Einstellung hat sich in den letzten Tagen geringfügig verändert, werter Bragan��, sagte Omareth, zu Joro schielend, �Sagen wir einfach, daß es auch für uns Gründe gibt, die uns dazu gebracht haben, einzugreifen.�
Bragan schien kurz verwirrt, schüttelte das aber schnell wieder ab.
�Sie sind mit fast 200 Mann gekommen, an allen Seiten des Platzes wird gekämpft.�
�Wo ist es zur Zeit am heftigsten?�
Der Anführer der Menschen deutete nach Norden.
�Sie haben ursprünglich von Norden und Westen gleichzeitig angegriffen. Im Westen konnten wir sie aufhalten, aber dabei sind viele gestorben.�
�Also nach Norden, gehen wir.�
Die Drow setzten sich in Bewegung, eine Reihe der Bogenschützen folgten ihnen.
Aus den Augenwinkeln konnte Joro sehen, daß mittlerweile fast die gesamte Stadt in Flammen stehen mußte. Überall wehten Aschefetzen durch die Luft und es war stickig und sehr heiß.
Während sie auf die Nordbarrikade zuliefen, sah er, wie eine Reihe Drow über die westliche Befestigung herübersprangen, um zu ihnen aufschließen. Mit einem schlechten Gefühl im Magen stellte er fest, daß einige von ihnen fehlten. Als diese näherkamen griff der Schatteneffekt seiner Rüstung auch auf die Neuankömmlinge über. Als sie dann endlich am Nordrand ankamen, bot sich ihnen ein grausames Bild, denn mindestens fünfzig Legionäre metzelten eine nur kleine Schar verteidigender Menschen nieder.
Ohne zu Zögern stürmten die Drow in die Schlacht, Joro selbst rannte in der ersten Reihe mit.
Der Kampf war hart und schmerzhaft. Seine Rüstung schützte ihn zwar gut vor Schnitten, aber die Wucht der ihn treffenden Schläge wurde trotzdem nicht völlig abgefangen. So bekam er mehrere Male Schläge ab, die ihn fast zu Boden warfen. Ohne seinen Schild wäre es vermutlich noch schlimmer gewesen und er war sich sicher, daß die schwarze Schicht auf seiner Rüstung die Treffer noch zusätzlich abschwächte.
Trotzdem verschwand der Schmerz immer wieder. Obwohl er sie nicht sehen konnte, fühlte er sowohl Alystins Gegenwart, als auch die ihrer Göttin und er war sich sicher, daß sie ihn immer wieder heilte.
Langsam aber sicher drängten sie die Hochelfen zurück und verschafften den Bogenschützen unter den Verteidigern genügend Raum, um wieder ihre Bögen zu zücken und auf die hinteren Reihen der Hochelfen zu feuern.
Zwei weitere Drowtrupps , ebenfalls leicht dezimiert, kamen um die rechten und die linken Häuserecken zwischen denen die Barrikade stand herum und fielen der Legion in den Rücken.
Obwohl er das Zeitgefühl total verloren hatte, konnte der Kampf nicht mehr lange gedauert haben, denn bald krachte sein Hammer auf den Helm des letzten Hochelfen nieder und zerschmetterte sowohl die Metallschale als auch den darunterliegenden Schädel.
Erschöpft ließ er die Waffe sinken , da hörte er eine Stimme hinter sich.
�Es ist noch nicht vorbei!�
Bragan kam auf sie zugelaufen und deutete hektisch auf die Ostseite des Marktes. Joro fuhr herum und konnte dort an der Barrikadenlinie eine recht große Legionseinheit, vielleicht drei Dutzend Mann stark erkennen. Sie waren in eine Carrèeformation gegliedert, die Schilde vor den Leib gepresst und Speere zum Angriff angesetzt.
In ihrer Mitte bewegte sich ein ältlich wirkender Hochelf in einer Kriegsrobe, der offensichtlich dabei war, Zauber zu wirken.
�Verdammt, das ist ein Priester des Sonnengottes�, zischte Ghaundar, �und wenn ich mich nicht völlig irre ist das sogar ein Hohepriester, zumindest trägt er entsprechende Insignien.�
Der Himmel über dem Platz verdunkelte sich, dann bildeten sich Flecken in den Wolken, durch die Säulen aus Sonnenlicht gen Boden fuhren und alles in Feuer ausbrechen ließen, was sie trafen.
Omareth sah Bragan ernst an.
�So haben sie schon die Stadt in Brand gesetzt, stimmt das?�
�Nicht nur das, schau dir die verkohlten Leichen an, die überall liegen.�
Der Trupp mit dem Priester bewegte sich im Gleichschritt auf sie zu, der Mann in der Mitte hatte scheinbar einen aus ihrer Gruppe fixiert und murmelte mit zornerfülltem Gesicht ein Gebet.

Ein Zischen fuhr vom Himmel und einer ihrer Gefährten wurde von einem gleißenden Sonnenstrahl getroffen. Der Dunkelelf war überraschenderweise nicht tot, aber das Schlachtenwunder, daß Joro gewirkt hatte, war verschwunden. Der Priester begann erneut zu beten, immernoch in ihre Richtung schauend.
�Wir müssen ihn loswerden, danach sollten die Legionäre kein Problem mehr darstellen�, sagte Omareth mit zusammengebissenen Zähnen.
�Haben wir schon versucht�, entgegnete Bragan, während er mit wachsender Beunruhigung in die Richtung der Hochelfen sah, �Er hat einen Schild um sich herum, der ihn vor Pfeilen schützt.�
Joro packte einmal mehr dieser Teil seines Geistes, der ihn irgendwie fernzusteuern schien.
Omareth wollte ihn erst zurückhalten, aber Alystin hielt ihn ihrerseits zurück und schüttelte den Kopf.
Der junge Mensch trat alleine einige Schritte vor, den anrückenden Angreifern entgegen.
Der Sonnenstrahl, der ihn kurze Zeit darauf traf, wurde von Celestus kurz über ihm in einer schwarzen Scheibe aufgefangen.
Er wandte sich an seinen Gott.
�Also ich brauche sie nur zu rufen, ja?�
�Das hast du dir richtig gemerkt.�
Joro konzentrierte sich und dachte an die Emotionen, die ihm die Shuras eingegeben hatten, versuchte sich an sie zu erinnern.
In seinem Bewusstsein ertönte wieder das Sirren, dieses Mal mit einem haßerfüllten Kreischen vermischt.
Der Himmel wurde pechschwarz. Der Priester des Sonnengottes hielt inne und schaute verwirrt abwechselnd zu Joro und nach oben.
Rauhreif überzog den Boden rund um die Legionäre, die stoppten und sich mit beginnender Furcht umsahen. Kurz darauf begannen Nebelschwaden aus dem Nichts zu entstehen und die Gruppe zu umringen.
Aus diesem Nebel rasten mit einem Mal vier Gestalten auf die Hochelfen zu. In einem Sturm aus Klingen und Krallen hackten sie, Berserkern gleich, auf sie ein.
Noch während sich Joro wunderte, warum vier Geister wohl den Himmel schwarz werden ließen und derartige Veränderungen erzeugten, erstarrte er plötzlich. Der Nebel breitete sich aus und er konnte überall in der ganzen ihm sichtbaren Stadt von Leichen graue Schemen aufsteigen sehen, deren Augen rot aufflammten. Scheinbar hatte er die Pforte zur Hölle aufgestoßen. Zumindest zu dem, was man für die Legion �Hölle� nennen konnte.
Mehrere hundert dieser Schemen rasten mit Heulen und Kreischen auf den Priester und seine Soldaten zu und hüllten diese ein. Das Krachen von berstenden Knochen und die hysterischen Todesschreie der Elfen erfüllten den Platz.
Joro wandte sich ab. Er hatte sicherlich gewollt, die Hochelfen loszuwerden, aber die schiere Härte dessen, was dort geschah schockierte ihn. Aber da war noch ein anderes Gefühl�es war nicht sein eigenes, sondern kam von den Shuras. Erfüllung. Geradezu Glückseligkeit machte sich schleichend in seinem Kopf breit, eine unglaubliche Erleichterung.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann wurde der Himmel mit einem Male wieder klar und das Knäuel aus grauen Schemen wurde durchscheinend und verschwand.
Was sich darunter abzeichnete war ein Bild des Grauens.
Ein Haufen von zerstückelten, bis zur völligen Unkenntlichkeit zerfetzten Körpern lag noch auf dem Boden, vermischt mit Resten von Rüstungen.
Selbst Ghaundar mußte schlucken.
�Also ich frage jetzt einfach mal nicht, was du da grade gemacht hast, aber ich glaube essen kann ich für die nächsten Stunden erstmal vergessen��

Von allen Seiten des Platzes kamen die überlebenden Verteidiger gelaufen. Sie riefen alle wild durcheinander, aber es stellte sich schnell heraus, als hätten die Shuras im gesamten Stadtgebiet aufgeräumt, nicht nur punktuell.
Omareth kam zu Joro herangetreten, der immernoch unbewegt da stand und zu Boden schaute und legte ihm die Hand auf die Schulter.
�Gut gemacht. Wir leben und die sind tot, das ist alles was zählt.�
Joros Augen füllten sich spontan mit Tränen. Nein, das war es nicht. Oder doch? Er wußte nicht was er denken und fühlen sollte, er hatte gerade mehrere Dutzend Leben ausgelöscht und das brannte in seinem Kopf wie Feuer.
�Ich� ich weiß nicht ob das so ist��
Der Drow sah ihm direkt ins Gesicht, er schien durch das Visier seines Helmes zu blicken.
Schweigend griff er unter seinen Harnisch und holte ein kleines Fläschchen hervor, drückte es Joro in die Hand.
�Trink das.�
Fast automatisch, ohne darüber nachzudenken hob Joro die Flasche an seinen Mund und kippte den Inhalt durch den Mundschlitz durch die Maske.
Die Flüssigkeit war furchtbar herb und äußerst alkoholisch, es war fast, wie flüssiges Feuer zu trinken.
Er schüttelte sich und sein Kopf schien wieder etwas klarer zu werden.
�Besser?�
Joro nickte.
�Ein Bißchen.�
�Dann komm, die Leute wollen ihrem Helden bestimmt danken.�

Nach und nach stellten sich mehr Menschen auf dem Platz ein. Aus allen Ecken dessen, was einmal eine kleine Stadt gewesen war, kamen Verwundete oder Helfer, die verletzte Personen transportierten gelaufen und brachen sie zu Mitte des Platzes. Joro und Alystin gesellten sich zu den ortsansässigen Heilern und halfen so gut sie konnten dabei, diejenigen, bei denen es noch nicht zu spät war, wieder einigermaßen auf Vordermann zu bringen.
Dabei kamen immer wieder Leute zu ihnen, um sie mit Worten des Dankes zu überhäufen.
Diese Form von Aufmerksamkeit war Joro mehr als unangenehm, deshalb speiste er die meisten mit kurzen, freundlichen Sätzen ab und machte sich dann wieder an die Arbeit.
Omareth kam nach einer Weile bei den beiden vorbei.
�Wir haben vierzehn Mann verloren. Kein guter Tag��, er nahm einen Schluck von seinem Hausschnaps.
�Wenn man bedenkt, daß diese vierzehn mit ihrem Tod mehreren Hunderten das Leben gerettet haben erscheint das nicht viel�, überlegte Joro, �Aber ich habe generell eine Abneigung dagegen, wenn jemand sterben muss, egal ob Freund oder Feind.�
�Die Ansicht wirst du nicht lange behalten. Nicht in dieser Welt und nicht in dieser Zeit. Zumindest was die Feinde angeht.�
Der Priester zurrte eine Armbinde über der Schulter eines der Bogenschützen fest und stand von den Knien auf.
�Wir werden sehen. Was wird jetzt aus der Stadt?�
�Welche Stadt meinst du genau? Den Platz mit den verkohlten Holzbalken hier?�
�Wieviel der Bewohner haben es überlebt?�
�Ghaundar und Tebryn, das ist einer der Späher, sagen daß sie etwa 250 gezählt haben.�
�Immerhin��, Joro wischte sich den Schweiß aus der Stirn, � fragt sich nur noch, wo wir die unterbringen sollen, die Enklave ist reichlich klein��
Omareth hob beide Hände und machte eine abwehrende Geste.
�Moooment mal. Was heißt hier �wir� und �unterbringen�?�
Der Priester legte den Kopf schief.
�Sag� mal Herr Veldrin�Ssreen, wie stellst du dir das eigentlich vor? Wir kommen her, hauen alle bösen, bösen Hochelfen tot und verschwinden wieder? Und die Leute hier können derweil sehen, wo sie bleiben?�
Obwohl ihm erst eine schnelle Antwort auf den Lippen lag, hielt der Drow kurz inne und dachte nach.
Alystin kam herbei und wischte sich ihre blutigen Hände an einem Stück Stoff ab, wobei sie ein böses Gesicht machte.
�Mir sind gerade noch zwei gestorben, worüber redet ihr?�
�Der feine Herr Anführer will hier einfach verschwinden und diese Leute ihrem Schicksal überlassen�, sagte Joro.
�Das stimmt ja nun nicht ganz�, erwiderte Omareth hastig, �Wir sollten schon dafür sorgen, daß die Verwundeten versorgt werden, aber� ich meine� wir können sie doch nicht aufnehmen�� Er schaute hilfesuchend in Alystins Richtung, die prüfend zwischen beiden hin- und hersah.
�Joro hat recht, wir können sie jetzt nich allein lassen�, meinte sie, �Aber wir sollten uns gut überlegen, was wir machen.�
Das gefiel Omareth nicht, was ihm anzusehen war. Aber er wollte sich nicht vor der Verantwortung drücken.
�Vielleicht sollten wir dann mit Bragan reden�, gab er zurück.
�Gute Idee�, Alystin nickte.

Die drei gingen los, um den alten Mann zu suchen und fanden ihn bald, in einer Gruppe von Jägern und Trappern stehend, die sich alle ernst miteinander unterhielten.
Als er sie kommen sah, machte er die Umstehenden darauf aufmerksam.
�Seid willkommen! Ihr habt uns gerettet, auch wenn das in Anbetracht des Zustandes unserer Häuser einen faden Beigeschmack hat.�
Joro verzog das Gesicht.
�Ich denke da ganz genauso... Habt ihr euch schon alle Gedanken darüber gemacht, was ihr nun tun sollt?�
Bragan schaute grimmig drein.
�Wir haben eine Menge Leute, die sich entschieden haben zu gehen. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß diese arroganten Mistbolzen wiederkommen werden. Eine derartige Niederlage wird ihrerseits nicht ungesühnt bleiben.�
�Und wo wollt ihr hin? Im Süden haben sie schon ganze Königreiche überrannt. Oder wollt ihr auf den Ostkontinent übersetzen?�
Der alte Mann machte ein ächzendes Geräusch.
�Dafür wird hier kaum jemand die nötigen Mittel haben. Glaube ja nicht, daß diese Idee nicht schon besprochen wurde. Aber wo sollen wir auch hin?�
Joro sah fragend zu Alystin. Die schien nicht ganz sicher zu sein, was sie dazu sagen sollte.
Sie richtete sich auf.
�Unser Heimatdorf wird so viele Neuankömmlinge kaum fassen können. Aber vor dem Eingang unseres Dorfes gibt es ein sehr dichtes Waldstück, in dem ihr zumindest fürs Erste gut aufgebhoben sein solltet.� Sie hielt kurz inne und hob eine Augenbraue, fuhr dann aber fort: �Zumindest seid ihr da sicherer als hier und wahrscheinlich sicherer als in den meisten anderen Gegenden hier. Die Bäume stehen so dicht, daß man von Luftschiffen aus nicht durch sie hindurchblicken kann.�
Bragan kratzte seinen kurzen Bart.
�Nun��
Er drehte sich zu den anderen Menschen um und fragte:
�Was haltet ihr von der Idee? Wenn die noch einmal wieder kommen, können wir jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können. Alleine als Gruppe unterwegs nach wohin auch immer hätten die leichtes Spiel mit uns.�
Die angesprochenen Männer und Frauen murmelten untereinander und schienen sich schnell und heftig zu beraten.
Dann trat eine Frau um die Vierzig, mit drahtigem Körperbau aus ihrer Mitte und sagte:
�Gut. Bis auf Weiteres ist das mit Sicherheit die beste Lösung.�
Die Beistehenden machten zustimmende Gesten und Geräusche.
Bragan wandte sich wieder Joro, Alystin und Omareth zu.
�Es gilt. Ich danke Euch für diese Einladung, Priesterin.�
�Dann versammelt alle, holt das, was von euren Habseligkeiten nicht verbrannt ist und laßt uns so schnell es geht von hier verschwinden. Wir haben keine Zeit zu verlieren.�

Es dauert immerhin noch zwei Stunden, bis alles erledigt war. Glücklicherweise hatte Joro eine ganze Schar Helfer, die zusammen mit ihm Gräber aushoben und die toten Einwohner Noths unter die Erde brachten.
Als der letzte Grabhügel geschlossen und der letzte Segen gesprochen worden war, setzte sich ein großer Troß von Menschen und Dunkelelfen in Richtung Enklave in Bewegung.
Natürlich kamen sie nur sehr schlecht voran. Es hatte leider nicht ein einziges Pferd den Angriff der Legion überlebt, so mußten alle Verletzten und auch alles, was an Hausrat noch zu gebrauchen war, getragen werden. Jeder, der halbwegs aufrecht gehen konnte half dabei, zumindest einen Teil der Lasten mitzunehmen.
Knappe vier Stunden später waren sie endlich am Wald angekommen und die Menschen begannen, zwischen den Bäumen ein notdürftiges Lager zu errichten.
Joro hatte sich, völlig zerschlagen wie er war, auf einen umgefallenen Baum gesetzt und schnaufte selbst einige Zeit später noch ein Bißchen.
Omareth und Ghaundar, beide auch schwer gezeichnet von den Anstrengungen gesellten sich zu ihm. Der General holte unter Ächzen und Stöhnen seine Pfeife unter seiner Rüstung hervor und stopfte sie.
Joro sah ihn ungläubig an.
�Du hast wirklich deine Pfeife mitgenommen?�
Der Drow zuckte mit den Achseln.
�Wieso denn nicht? Wenn ich noch Platz im Wams habe ist da doch nichts gegen einzuwenden?�
�Er braucht halt immer mal wieder etwas, woran er nuckeln kann, das nimmt ihm Aggressionen�, kicherte Ghaundar, was ihm allerdings so starke Muskelschmerzen machte, daß das Grinsen schnell schmerzerfüllt aussah.
Omareth entgegnete nichts, sondern ging zu einem nahen Lagerfeuer, um sich mit einem Stückchen Holz den Tabak zu entzünden.
Er kam zurück und setzte sich wieder auf den Stamm.
�Wenigstens muß man ihnen nicht erzählen, wie sie sich unauffällig zu verhalten haben. Als Fallensteller und Jäger wissen sie, wie das geht.�
Joro nickte.
�Das ist ein großer Vorteil. Aber langfristig müssen wir uns eine andere Lösung einfallen lassen.�
�Stimmt. Aber nicht mehr heute. Ich freue mich auf ein Essen, ein Bier und meine Ruhe.�
Alystin kam an ihnen vorbeigelaufen, einige blutige Bandagen in der Hand, lächelte ihnen freundlich zu und lief dann weiter.
Die drei sahen ihr nach � einige von ihnen mit sehr unterschiedlichen Gefühlen � und starrten dann wieder alle sinnierend vor sich hin.
�Sollten wir ihr nicht helfen?�, fragte Joro.
Ghaundar lachte.
�Kannst du aufstehen ohne das Gefühl zu haben, daß du tot umfallen wirst?�
Der Priester schüttelte den Kopf.
�Ich schaffe es wahrscheinlich nicht einmal in meine Hütte, ohne getragen zu werden.�
�Das kannst du vergessen�, meinte Omareth, �Ich habe schon Wildschweine getragen, die so schwer waren wie du es bist. Das mache ich jetzt ganz bestimmt nicht.�
Joro übersah den kränkenden Vergleich.
�Ich frage mich, wie sie das macht.�
�Du mußt noch viel über Drowfrauen lernen, Joro�, erwiderte Omareth, �Unter anderem, daß sie niemals Schwäche zeigen, egal wie schlimm es um sie steht. Du kannst dir sicher sein, daß du sie morgen nicht zu Gesicht bekommen wirst, weil sie die ganze Zeit stöhnend und keuchend in ihrem Bett liegen wird.�
Die Vorstellung war nicht gerade positiv, vermutlich meldete sich da sein Beschützerinstinkt.
�Ich kann mir denken warum, aber ich glaube nicht, daß ich das verstehe.�
Ghaundar klopfte ihm auf die Schulter.
�Dunkelelfen sind schon komische Käuze, was?�
�Einer auf jeden Fall.�
�Pfft.�
Eine jüngere Frau kam zu ihnen herüber. Sie hatte offenbar geweint, denn ihr standen immernoch Tränen in den Augen.
�Herr Totengräber, ich fürchte wir brauchen noch einmal Eure Dienste.�
Auch wenn ihm sein Körper sagte, daß das keine gute Idee war, meldete ihm sein Sinn für Verantwortung, daß es keine Frage gab.
So quälte er sich von dem Baumstamm herunter und folgte der Frau.


Kapitel 11

Wie genau der Tag zuende gegangen war, wußte er nicht mehr. Am Ende hatten ihm vermutlich wirklich Ghaundar und Omareth in seine Hütte geholfen, wo er nach wenigen Momenten, die er auf seinem Bett gelegen hatte, schon vor Erschöpfung eingeschlafen war. Joro hätte keinen einzigen Meter mehr gehen können.
Er wachte mitten in der Nacht auf, wobei er feststellte, daß er noch immer seine Rüstung trug. Mit Ächzen und Stöhnen streifte er sie, so gut es eben ging, ab und schlief dann einfach weiter.
Als Joro erwachte war es schon Mittag, die Sonne stand hoch am Himmel und draußen war die Luft klar und der Himmel wolkenlos.
Schlimm nur, daß allein das Aufrichten im Bett schon so schlimme Schmerzen verursachte, daß er es nicht noch einmal versuchte.
Nach einer weiteren Phase des Schlafens, meldete sich seine Blase in einer sehr penetranten Art zu Wort, die es komplett verhinderte, daß er noch einmal einschlafen konnte, daher mußte es wohl sein.
Er rollte sich aus den Federn, schlug hart auf den Boden auf, was allerdings nicht unangenehmer war, als das Rollen selbst.
Wackelnd und unter horrenden Schmerzen taumelte er aus der Hütte in das kleine Häuschen, daß dahinter stand.
Als er fertig war, blieb er erst einmal vor dem Lokus stehen und schaute sich um. Entweder er würde jetzt wieder ins Bett gehen oder sich zwingen, zumindest die grundlegenden Dinge des Tages zu erledigen. Das Bett schien so derart verlockend�
Es half nichts. Wenn er auch in Zukunft Stärke beweisen wollte, dann durfte ihn auch eine solche Strapaze nicht daran hindern.
Schon wenig später bereute er seinen Entschluß, als er in voller Rüstung ums Dorf keuchte.
Ghaundar, an dem er dabei vorbeikam zeigte ihm ziemlich deutlich den Vogel, sagte aber nichts.
Seltsamerweise ging es ihm besser, als er wieder an der Hütte ankam und seine Runden alle geschafft hatte. Klar, der Körper lief immernoch Amok, aber er fühlte eine unglaubliche Zufriedenheit in sich.
Es war schon Abend, als er auch mit den täglichen Arbeiten am Friedhof fertig war, da kam Ghaundar um das Haus herum und hatte ein großes Stück Fleisch für das Abendessen dabei.
�Ich habe mich vorhin wirklich gefragt, wie du das machst. Ich hätte selbst nackt nicht einmal den Weg von meinem Haus herüber zu dir geschafft, als ich aufgestanden bin.�
Joro grinste.
�Die ersten zwei Runden waren die Hölle, aber danach war es eigentlich ganz einfach.�
�Manchmal denke ich, daß du einen größeren Schaden haben mußt, als ich mir vorstellen kann, Joro.�
Ein Feuer war schnell gemacht und sie saßen schweigend da und aßen. Irgendwann rümpfte Joro die Nase.
�Wir brauchen mehr Leute.�
Ghaundar sah überrascht auf.
�Wie meinst du das?�
�Genauso wie ich es sage. Wir brauchen mehr Leute. Es wird nicht lange dauern, bis auch Daishan von ihnen angegriffen wird. Vielleicht sogar nur ein paar Monate. Und dann werden wir nur noch die Wahl haben, uns auf ewig zu verstecken oder zu kämpfen.�
�Das stellst du dir so einfach vor, was?�
�Nein, einfach bestimmt nicht, aber selbst wenn wir uns verstecken wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie uns finden. Und von da an werden sie gezielt Jagd auf uns machen. Es bleibt also gar keine andere Wahl, als uns aktiv zu verteidigen.�
Ghaundar verzog den Mundwinkel.
�Das kannst du ja mal mit Omareth bereden. Ich kann mir seine Einstellung diesbezüglich allerdings ziemlich genau vorstellen und ich denke, daß du das auch kannst.�
Joro machte eine weit ausholende Geste.
�Was wäre die Alternative? Herumhocken und hoffen, daß es nicht schlimmer wird? Wir haben jetzt noch über zweihundert Leute mehr, für die wir verantwortlich sind.�
�Meinst du nicht, daß die auch auf sich selber aufpassen können?�
�Mach� dich doch nicht lächerlich Ghaundar. Wenn wir sie nicht beschützen, sind sie so gut wie tot. Und ohne sie stehen unsere eigenen Chancen noch schlechter als sie eh schon sind.�
Das konnte der Drow nicht bestreiten.
�Hm� Auch wenn mir das nicht gefällt, hast du recht.�
Er dachte eine Weile nach.
�Sprich morgen mal mit Omareth. Es scheint so, als sei das ruhige Leben hier für eine ganze Weile vorbei. Und du hast vor allem in dem Punkt recht, daß wir nicht mehr warten sollten, sondern die Sache so lange wir es noch können auf unsere eigene Weise anpacken.�
Sie fachsimpelten noch eine ganze Weile über ihre Möglichkeiten, bis sie beide so müde waren, daß sie schlafen gingen.

Am nächsten Morgen, als Omareth zu Joros Hütte ging, stand dieser bereits davor und wartete.
Der Drow sah sich betont übertrieben um und fragte dann:
�Bin ich hier richtig? Du bist doch Joro oder?�
�Hör mit den Witzen auf, laß uns anfangen.�
�Meinetwegen, dann lauf mal los.�
�Ich bin schon gelaufen. Laß uns trainieren.�
Omareth hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust.
�Soso, du bist also schon gelaufen, ja?�
Joro lächelte ihn an.
�Du weißt, was man über Daishanis sagt, oder?�
�Was, die alte Mär, daß ihr nicht lügen könnt?�
�Du hältst das für eine Legende?�
�Kannst du mir das Gegenteil beweisen?�
Der Priester zog das Kettengeflecht unter seiner Halsberge ein Stück herab und entblößte seine Brust direkt unter dem Kehlkopf. Darauf konnte Omareth eine Rune erkennen.
�War die schon immer da?�
�Ich verberge sie normalerweise. Aber ja, die war schon immer da. Ich habe sie eingebrannt bekommen, als ich zwei Jahre alt war. Das wird bei allen Daishanis gemacht, es ist eine jahrhundertealte Tradition.�
�Und die hindert dich also am Lügen?�
�Wenn ich jemals wissentlich eine Unwahrheit ausspreche, beginnt sie zu glühen. Den Schmerz kann man nicht unterdrücken, und glaub mir, ich weiß wovon ich rede.�
�Aha?�
�Den Fehler habe ich nur einmal begangen, als ich als Vierjähriger einen Apfel gestohlen hatte. Danach niemals wieder.�
Omareth nickte anerkennend.
�Eine interessante Weise, das anzugehen, ich bin beeindruckt. Wenn unsere Drowgeschwister unter der Erde das einführten, wäre da ständig nur Schreien und Heulen zu hören, denke ich.�
Joro mußte unfreiwillig Grinsen. Das war nicht von der Hand zu weisen.
�Also fangen wir jetzt an?�
�Ja. Ich bin erfreut, daß du so viel Einsatz zeigst.�
Sie prügelten sich fast den ganzen Vormittag. Es hatte fast den Anschein, als verfolgte Omareth bei diesem Training auch eigenen Ziele, was Ausdauer und Übung anging. Joros Muskeln hatten sich zwar immernoch nicht ganz erholt, aber sein Wille brachte ihn unerschütterlich vorwärts und er hielt nicht eine einzige Sekunde inne, wenn Omareth dies nicht auch tat, auch wenn ihn das wiederum an die Grenzen seiner Leiustungfähigkeit brachte.
Der Drow hatte sich nicht auf das Fechten versteift. Er zeigte ihm auch, wie man sich ohne Waffe durchaus passabel schlagen konnte, wobei er darauf achtete, Joro nicht zu viel auf einmal beizubringen, damit der junge Mann dazu in der Lage war, das Gelernte auch zu verinnerlichen. Doch der Priester lernte sehr schnell, wie er feststellte, vor allem was den richtigen Umgang der Kombination Hammer und Schild anging. Lediglich die nicht ganz unerhebliche Menge an reinem Fett an seinem Körper war ihm ein Hindernis, wobei sich Omareth sicher war, daß sich das mit der Zeit und reichlich Training geben würde.
Schließlich waren sie fertig und der Drow ließ sein Trainingsschwert, das genaugenommen nichts weiter als ein langer, grader Knüppel war, sinken.
�Das wars. Morgen machen wir weiter.� Er legte den Knüppel über die Schulter und wandte sich der Quelle zu.
�Warte mal kurz Omareth, ich muß mit dir über etwas reden.�
�Oh? Was denn?�
Joro scharrte mit dem Fuß.
�Also� ich habe gestern mit Ghaundar eine Weile darüber geredet, was jetzt ansteht.�
�Und das wäre?�
Der Priester streckte sich.
�Wir sollten mehr Leute auftreiben.�
Omareth hob eine Augenbraue.
�Wie meinst du das?�
�Nun� Der Krieg ist ja wohl offiziell eröffnet, oder sehe ich das falsch?�
�Nein, das ist richtig.�
�Gut. Also, wenn wir uns nicht verstecken wollen und hoffen wollen, daß uns nichts passiert, dann sollten wir doch zusehen, daß wir so schnell wie es geht mehr Leute auf unsere Seite bringen, mit denen zusammen wir uns verteidigen können, oder?�
�Das stellst du dir so einfach vor, was?�
Joro hatte das Gefühl, den Satz schon einmal gehört zu haben. Irgendwie fühlte er sich nicht wirklich ernst genommen.
�Nein, ich stelle es mir nicht einfach vor. In der Tat habe ich gar keine Ahnung, wie wir das anstellen sollten. Aber ich weiß einfach, daß es notwendig ist.�
Omareth stöhnte leise und ließ die Arme hängen, wobei der Knüppel auf den Boden aufschlug.
�Es ist schon in Ordnung, Joro. Ich schlage vor, daß wir beide uns erst einmal waschen und danach setzten wir uns auf ein Bier hin und unterhalten uns darüber, ist dir das Recht?�

Joro wusch sich, holte sich eine saubere Robe und wartete auf Omareth. Dieser kam auch schon sehr bald wieder zu seiner Hütte, hatte dabei Ghaundar und Alystin (welch Glück!) im Schlepptau.
Sie setzten sich im Schein der hellen Nachmittagssonne an den Lagerfeuerplatz hinter Joros Hütte und dann erzählten sie Alystin knapp, was seine Idee war.
Die heftige Reaktion auf Ungewohntes, die Joro eigentlich erwartet hätte, blieb aus. Sie schien sogar eher resigniert, als irgendwie aufgebracht.
�Ja, die Idee habe ich auch schon gehabt, ich war mir nur noch nicht sicher, ob ich damit alleine bin.�
Die drei Männer schüttelten gleichzeitig den Kopf.
Ghaundar, der für seine Verhältnisse ziemlich ernst wirkte meinte:
�Es ist vermutlich unumgänglich, und was Joro sagt stimmt. Wir sollten das besser jetzt als später ins Auge fassen.�
Die Priesterin schaute Omareth an.
�Welche Möglichkeiten haben wir?�
Der Drow war sich offenbar nicht ganz sicher.
�Es gibt hier in der Gegend keinerlei Siedlungen. Noth war die einzige Stadt in der direkten Umgebung und deren Einwohner, oder das, was von ihnen übrig ist, haben wir nun schon bei uns.�
�Hmm��
�Und Bargum ist eine ganze Strecke von hier entfernt, mehrere Tagesmärsche. Zudem gibt es da einige unter uns, die dort eine Schwierigkeiten mit ihrer Popularität haben�, er schielte zu Joro.
�Was sagen die Späher?�, fragte Alystin.
Ghaundar machte eine abwinkende Geste.
�Es gibt hier oben höchstens noch ein paar kleinere Orkstämme und ein paar verstreute Steinriesenfamilien. Und was die von Außenstehenden halten, wißt ihr alle genauso gut wie ich.�
Joro hob die Hand.
�Ich weiß es nicht.�
Omareth grinste.
�Steinriesen tendieren dazu, jedem, der ihnen zu nahe kommt, große, schwere Gegenstände auf den Kopf zu hauen.�
�Oh��
Der Drow hielt inne.
�Allerdings��
�Ja?�, fragte Alystin.
�Es gibt da noch eine Möglichkeit, die wir vielleicht in Betracht ziehen könnten��
�Du meinst doch nicht etwa..?�
�Doch. Balthasar.�
Die drei Dunkelelfen stöhnten exakt gleichzeitig.
�Irgendetwas, was ich wissen sollte?�, fragte Joro höflich.
Dieses Mal schüttelten alle drei Drow gleichzeitig den Kopf. Joro schmollte.
Omareth verzog sein Gesicht zu einem schmerzerfüllten Lächeln.
�Sagen wir einfach, daß Balthasar nicht wirklich das ist, was man eine umgängliche, freundliche Person nennen könnte��
�Beleibe nicht�, warf Ghaundar ein.
�Aber vielleicht�, fuhr Omareth fort, �ist er noch das Beste, was wir kriegen können.�
Joro grunzte ärgerlich.
�Ich will jetzt sofort wissen, wer er ist, und was euer aller Problem mit ihm ist.�
Alystin seufzte.
�Es gibt etwa vier Tagesreisen von diesem Ort hier eine kleine Duergarfestung.�
�Unterreichszwerge?�
�Ja.�
�Moment, meinst du nahe an diesem Ort oder nahe an dem Eingang der Enklave?�
�Nahe an diesem Ort, nicht dem Eingang.�
�Ich dachte man kann die Enklave nur durch das Portal verlassen?�
�Hat das irgendwann jemand behauptet?�
�Äh, ich weiß nicht��
�Man kann nicht über die Berge fliegen, aber von nicht verlassen oder hineinkommen war nie die Rede.�
�Und Balthasar ist ihr Anführer?�
�Ihr König, wenn man das so sagen kann.�
�Wieso, was ist mit ihm?�
Alystin machte ein paar unbeholfene Gesten.
�Politik, all dieser Kram. Er wurde aus dem Unterreich geworfen, wegen irgendeiner Lappalie. Deshalb ist er mit seiner ganzen Großfamilie an die Oberfläche gezogen und lebt dort in einem großen Tafelberg, etwa sechzig Meilen von hier. Wir hatten in der Vergangenheit einige Male Kontakt mit ihnen, allerdings war das niemals wirklich erfreulich.�
�Duergar sind auch eher böse Kreaturen, oder nicht?�
Ghaundar grinste.
�Jaaaa, genau wie wir bösen, gemeinen und schlimmen Dunkelelfen. Wir essen kleine Kinder und verhauen Hundewelpen!�
Omareth verpaßte ihm einen Schlag auf den Hinterkopf.
�Hör� auf rumzualbern Ghaundar.�
Alystin fuhr fort.
�Nein, Duergar sind nur ziemlich egoistische und rücksichtslose Eigenbrötler. Mit ihnen zu kommunizieren ist fast unmöglich, wenn sie sich nicht irgendeinen Gewinn davon versprechen.�
�Das stellt doch wohl die Frage, was wir ihnen für Hilfe ihrerseits bieten können, falls wir beabsichtigen, sie um Hilfe zu bitten, hab ich recht?� fragte Joro.
Omareth schüttelte den Kopf.
�Ich sehe keinen Grund, wieso uns Balthasar und seine Sippe helfen sollten. In der Festung wird sie die Legion niemals so bedrängen können, daß es zu einer Gefahr wird. Der Ort ist taktisch gesehen eine Meisterleistung und die Duergar verfügen über Kriegsmaschinerie, die man nur aus Träumen kennt.�
Joro grübelte.
�Dann wären sie ein wertvoller Verbündeter.�
�Das schon, aber mir fällt beim besten Willen kein einziger Weg ein, wie wir ihn dazu bringen könnten, uns zu helfen. Es ist ja nicht so, daß er wirklich in Bedrängnis ist.�
�Versuchen kostet nichts. Wir haben keine Wahl.�
Alystin schien der gleichen Ansicht zu sein.
�Joro hat recht. Wenn wir wirklich zusehen wollen, daß wir uns verteidigen können, müssen wir jede Chance ergreifen, die sich uns bietet.�
Omareth stand auf.
�Dann brechen wir morgen früh auf, je eher desto besser.�
Die anderen beiden standen ebenfalls auf und Ghaundar klopfte Joro auf die Schulter.
�Wenn du irgendetwas bestimmtes für den Marsch brauchst, dann sag Bescheid, ich gehe meine Sachen packen.�
Omareth und Ghaundar gingen davon, Alystin blieb noch stehen.
�Joro?�
�Ja?�
�Ich bin wirklich stolz auf dich. Bisher habe ich es nicht eine Sekunde bereut, daß wir dich hier aufgenommen haben.�
�Uuund?� Joro lächelte.
Ihre Lippen formten lautlos die drei Worte, die er so gerne hätte hören wollen. Dabei sah sie ihn mit einem Blick an, der ihm durch Mark und Bein ging.
Im Fortgehen meinte sie noch:
�Den Leuten draußen vor dem Portal geht es übrigens gut, unsere Leute und sie kommen besser miteinander aus, als ich gedacht hätte.�
Das freute Joro sehr, allerdings machte es ihm ein schlechtes Gewissen, daß er sich nicht selbst darum gekümmert hatte, nach ihnen zu sehen. Das würde jetzt so oder so warten müssen.

Er packte die wenigen Dinge, die er besaß zusammen und verbrachte den Rest des Tages damit, noch die keimenden Blumen auf dem Friedhof zu pflegen.
Als er schließlich am Abend ins Bett sank, ertönte nach längerer Zeit wieder die Stimme in seinem Kopf.
�Gut gemacht, mein Sohn. Allerdings steht dir selbst bald noch ein anderer Weg bevor.�
�Und welcher wäre das?�
�Du wirst für mich nach Bargum gehen.�

Der Morgen war noch sehr jung, als Joro aufwachte. Erstaunlicherweise war es nicht, weil wieder irgendein ungehaltener Drow an seine Tür hämmerte, sondern weil er kaum schlafen konnte. Sein Gemütszustand war irgendwo zwischen Neugier und unsicherer Erwartung, was wohl kommen mochte.
Dennoch fühlte er sich nicht müde, die Aufregung hielt ihn wach.
Schnell hatte er seine Rüstung angelegt, das Kleiderbündel über dem Schild auf seinem Rücken befestigt und trat aus der Tür heraus in die sehr kalte Morgenluft. Über Nacht hatte es noch einmal geschneit, obwohl die letzten Tage eher warm gewesen waren. Unwillkürlich mußte er noch einmal an die Menschen vor dem Portal denken, aber er unterdrückte den Impuls zu ihnen zu gehen, denn er war sich sicher, daß die meisten noch schlafen mußten.
So stand er eine Weile unschlüssig da, was aber nicht lange dauerte, da Omareth bereits, ebenfalls voll gerüstet, den Weg entlang kam.
Er schien kurz den Impuls zu haben, wieder zu spötteln, doch er konnte an sich halten und bergrüßte den Menschen stattdessen freundlich.
�Gut zu sehen, daß du immer mehr eigenen Antrieb entwickelst, aus den Federn zu kommen, wenn es um etwas Wichtiges geht.�
�Ich werte die Milde deiner Kritik in diesem Falle einfach einmal positiv.�
�Gut.� Omareth grinste unverhohlen.
�Ist Ghaundar schon fertig?�
�Alystin und er haben mich gebeten, dich zu holen.�
�Ihr habt Hölzchen gezogen, wer das machen muß, oder?�
Omareth lachte laut.
�So ähnlich. Nein, ich verschaukel dich bloß. Komm, die anderen beiden warten schon.�
Joro folgte ihm.
�Ich freue mich, daß Alystin mitkommt.�
�Sie hat ihr eigenes Zelt, nur daß wir uns klar verstehen.�
�Gnah, gnah, gnah.�

Es war ihm schon klar gewesen, daß es nicht zum Portal gehen würde, aber umso erstaunter war er, als ihn Omareth an ein Ende des Tales führte, an dem er zwar schon einige Male vorbeigelaufen war, dabei aber niemals das große eiserne Tor gesehen hatte, das sich dort befand. Er nahm an, daß auch dort wieder eine Illusion am Werke gewesen war.
�Wer hat das gebaut?�
Omareth sah ihn fragend an.
�Du meinst das Tor?�
�Nein, die alberne Blume da drüben.�
Der Drow überging das.
�In diesem Bergen haben vor Ewigkeiten einige große Zwergenkönigreiche existiert. Wir sind nicht die ersten, die dieses Tal ein Zuhause nennen. Der Tunnel hinter dem Tor ist eine Verbindung mit dem Rest dieser Bergwelt.�
�Da war auch eine Illusion vor, oder?�
�Ja, wir haben ihn eigentlich als Fluchttunnel für den schlimmsten Fall vorgesehen, aber in diesem Falle wird er eher eine Reisemöglichkeit darstellen.�
Ghaundar und Alystin, beide in Lederrüstungen gekleidet, warteten bereits vor dem Tunneleingang.
Zu viert schoben sie den rechten Flügel des Tores auf und schlüpften durch den Spalt in die unbeleuchtete Passage, die sich dahinter befand. Ghaundar und Omareth entzündeten Fackeln, die sie mitgebracht hatten und Omareth reichte Joro eine davon.
Der Weg durch den in den Stein gehauenen, fast 4 Schritte hohen Tunnel erschien weiter, als er vermutlich war, nach etwa einer halben Stunde des Fußmarsches, bei dem es konstant bergauf ging, erreichten sie sein Ende, das ebenfalls mit einem großen Eisentor verschlossen war.
Dieses ließ sich noch schlechter öffnen als das erste, was daran lag, daß die Scharniere stark eingerostet waren.
Dahinter erstreckte sich ein unglaublicher Blick auf eine verschneite Berglandschaft, auf der, fast wie bei einer Hautkrankheit überall Flecken von Frühling befanden. Selbst dort, wo sie standen, wechselte sich eine �noch- dichte Schneedecke mit kleinen braun-grünen Flecken von Vegetation und unglaublich bunten Blüten ab, die Joro noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Er entschloß sich, daß er, falls ihn jemals eine solche Krankheit befallen sollte, er genau diese wählen würde.
Omareth ging voran, die anderen drei dicht hinter ihm. Im Laufen zeigte er auf einen Tafelberg, der sich am Horizont abzeichnete.
�Da drüben müssen wir hin.�
�Hm, das sieht gar nicht so weit aus��
�Du täuscht dich gewaltig, Joro�, sagte Alystin lächelnd, �Die Luft hier ist klarer als im Flachland, da kommt man schnell auf die Idee, daß etwas näher ist, als es wirklich ist.�
�Oh.�
Sie marschierten mit einer kurzen Rast den ganzen Tag lang und ließen sich gegen Abend an einem kleinen Bach nieder. Joro war zwar erschöpft, aber irgendwie fühlte er sich zugleich seltsam befreit.
Die Berge um ihn herum waren riesig, die meisten, die er über den Tag hinweg gesehen hatte, waren so weit entfernt gewesen, daß selbst die Wälder, die Teile ihrer Hänge bewuchsen nur grüne Flecken gewesen waren. Er fühlte sich zwar unglaublich klein, aber er hatte zeitgleich das Gefühl, daß er unglaublich frei war. Es war ihm fast, als hätten seine Gedanken unendlich viel Raum, umherzuschweifen und die Luft war so klar, daß jeder Atemzug sich anfühlte, als erfüllte er ihn mit einer Unmenge an Lebenskraft.
Dennoch. Von diesem seltsamen Hochgefühl abgesehen, war der Marsch alles andere als einfach gewesen und er freute sich maßlos, als Ghaundar zum Lager kam und ein erlegtes Nagetier dabei hatte. Omareth seinerseits packte, nicht ohne Grinsen ein kleines Faß Ale aus seinem Bündel aus.
Alystin sah ihn schnippisch an.
�Das Faß macht etwa vier Fünftel deines Gepäcks aus, was?�
�So ziemlich�, gab der Drow grinsend zurück, �der Rest sind Tabak und eine Unterhose.�
�Eine ganze?�
�Adel verpflichtet, werte Priesterin.�
�Es ist bewundernswert, zu beobachten, wo deine Prioritäten liegen, Omareth.� Sie lachte.
Das Nagetier, etwa von der Größe eines Kaninchens, schmeckte etwas nach Huhn, aber war dennoch recht nahrhaft, Joro fühlte sich mit Bier und Fleisch im Magen gleich ein wenig besser. Zudem bemerkte er wieder einmal, daß ein guter Trunk und ein ebensogutes Essen am Ende eines anstrengenden Tages kaum zu überbieten waren.
Sie schlugen ihre Zelte auf, eins für die drei Männer, eins für Alystin. Es gab keine lange Konversation mehr, die vier waren so erschöpft, daß sie nur noch schlafen konnten.
Kurz bevor sie einschliefen, bemerkte Omareth zwar noch, daß er Joro schlagen würde, wenn er des Nachts das Zelt mit Körpergasen verunreinigte, aber nachdem Joro bedeutsam an einen großen Knüppel verwiesen hatte, der draußen lag, schliefen alle kichernd ein.

Der nächste Morgen war klamm und es fiel Joro sehr schwer, aufzustehen. Erst nachdem Ghaundar mehrere Male gegen die Zeltwand geschlagen hatte und ihn sehr unsanft dazu aufgefordert hatte, seine Rückseite aus dem Bett zu bewegen, stand er mißmutig auf.
Draußen war Omareth gerade dabei, seine Unterhose (die benutzte) zu waschen, was Alystin wieder Anlaß zu ein paar stichelnden Kommentaren gab.
Das Frühstück war mager und bestand nur aus etwas Brot und Schinken, sowie etwas von dem klaren Wasser des Baches, wobei seltsamerweise alle von einer Stelle abschöpften, die klar oberhalb derer lag, an der Omareth vorher gekniet hatte.
Er trug es mit Fassung.
Auch an diesem Tage war der Marsch alles andere als einfach. Der Weg über ständig wechselndes Terrain machte schon nach wenigen Meilen Schmerzen in den Knöcheln, was auch nicht besser wurde. Wenn sie konnten, bewegten sie sich entlang von kleineren Bächen, an deren Läufen das Wasser immerhin für einen halbwegs ebenen Untergrund gesorgt hatte. Die Passagen durch unwegsameres Gelände blieben allerdings nicht aus und da jeder von ihnen nicht gerade wenig zu tragen hatte, war das ziemlich strapaziös.
Sie sprachen wenig, hin und wieder begann Alystin zu singen (wobei Joro keine Ahnung hatte, wo sie ihren Atem hernahm, er selbst keuchte wie ein Lasttier), was Ghaundar und Omareth immer dazu brachte, selbst zu versuchen mitzusingen. Joro fühlte sich dabei immer ein bißchen peinlich berührt, denn er verstand die Texte der Lieder nur schlecht und kannte die Melodien nicht, aber er bemühte sich, so viel davon zu lernen wie er konnte.
Dabei fiel ihm trotz seiner schlechten Kenntnisse der Drowsprache auf, daß fast alle Lieder von der Mühsal und den Schrecken des Unterreiches handelten und wie die Oberfläche ihnen Erlösung von dem Treiben dort unten gebracht hatte. Es mußte sich wohl um ein kulturell tief verwurzeltes Problem handeln, aber es half ihm erneut, das tatsächliche Wesen dieser speziellen Drow zu verstehen. Das Leben in den Tiefen der Erde mußte wirklich eine traumatische Erfahrung gewesen sein, daran bestand kein Zweifel.
�Gibt es eigentlich auch Lieder der Celestuskirche?�, fragte er die Stimme in seinem Kopf.
�Ich halte nicht viel von der Singerei, Joro�, erwiderte Celestus.
�Warum nicht?�
�Nenn es persönlichen Geschmack, ich habe allerdings nichts dagegen, wenn du singst, falls du das fragen wolltest.�
�Nein, darum ging es mir eigentlich nicht��
�Dann ist es ja gut.�
�Sag mal, was meinstest du damit, daß ich bald für dich nach Bargum gehen muß?�
Der Gott schwieg eine Weile. Dann meinte er:
�Laß es auf dich zukommen, Joro. Du brauchst keine Angst davor zu haben.�
Eine Erleichterung wollte sich nicht so recht einstellen, aber er mußte es wohl als gegeben ansehen.

Am Abend hielten sie an einem Bergsee, Omareth bestand zu jeder Zeit darauf, am Wasser zu rasten.
Obwohl Joro keinen Fisch mochte, akzeptierte er, daß Ghaundar ihn mitnahm, um zu angeln.
Sie saßen am Ufer des Sees, der am Rand schon weitgehend eisfrei war und Ghaundar baute sich aus ein paar Materialien, die er dabei hatte und einem Ast, den er unterwegs aufgesammelt hatte eine behelfsmäßige Angel.
�Warum magst du keinen Fisch?�
�Ich bin als Kind fast in einem Weiher ertrunken, ich habe gegenüber Seen und dergleichen keine sonderlich guten Gefühle. Und was darin lebt möchte ich eigentlich auch nicht gerne essen, aber ich denke es ist besser als Hunger zu haben.�
�Ich habe vorhin ein paar Kräuter gefunden, die perfekt dazu passen, glaub mir, das wird ein Festschmaus.�
Während Ghaundar die Angel ein paar Male zum Test auswarf, sah sich Joro um.
�Da oben sind Höhlen im Berg.�
�Ja, da wohnen einige Steinriesen, hoffen wir mal, daß sie nicht ausgerechnet hier herkommen, um Wasser zu holen.�
�Wäre das ein großes Problem?�
�Du hast es auf das Wort genau erfaßt.�
�Wie groß sind die?�
Ghaundar machte eine abwägende Geste.
�Etwa dreimal so groß wie ein Mensch, würde ich sagen.�
�Oh.�
�Nicht schlecht was? Oh, ich glaube da beißt einer.�
Ghaundar zog die Leine ein, aber an deren Ende befanden sich nur einige Wasserpflanzen.
�Lecker.�
�Klappe.�
Eine weitere Weile verging, in der Joro eigentlich nur da saß und genau wie der Drow die Leine im Wasser betrachtete.
�Angeln ist noch wesentlich weniger aufregend, als man sagt. Ich habe schon als Kind niemals verstanden, warum die anderen Jungs im Dorf dauernd zum Fischen gingen.�
�Es gibt Zeit zum Nachdenken.�
�Die habe ich mehr, als ich mir wünschen würde. Außerdem gibt es viel zu viele schlechte Dinge, die dabei immer wieder in mein Bewußtsein kommen.�
�Denk halt einfach an etwas Schönes.�
�Hm. Selbst das geht kaum, weil es einen faden Beigeschmack hat.�
Ghaundar schmunzelte.
�Hat es dich wirklich so schlimm erwischt, Joro?�
Der Priester ließ die Schultern hängen.
�Naja, du weißt, was das Problem ist. Ich bin ein Mensch, sie eine Drow, Drow und Menschen passen nicht zusammen und so weiter und so weiter, das ganze dämliche Geschwätz.�
�Du findest das dämlich?�
�Du nicht?�
�Hm, ich weiß nicht recht. Von Nichts kommt nichts.�
Joro fühlte Trotz in sich aufsteigen.
�Weißt du eigentlich, wie sehr es mich frustriert, daß ein Umgang zwischen uns, und damit meine ich mich und euch Drow insgesamt, nur unter den Umständen irgendwelcher Vergangenheiten stattfinden kann?�
�Du kannst die Historie eines Zusammenlebens zwischen verschiedenen Völkern nicht einfach ignorieren.�
�Kann ich nicht?�
�Nicht, ohne damit schnell auf Grenzen zu stoßen.�
Das leuchtete Joro nicht ein.
�Wenn du und ich Menschen wären, glaubst du, daß unserer beider Verhältnis zueinander anders wäre? Oder meinetwegen wenn wir beide Drow wären?�
�Interessante Frage. Moment.�
Ghaundar holte wieder ein paar außergewöhnlich unappetitlich aussehende Pflanzen ein und fluchte ein paar Mal.
Nachdem er die Leine erneut ausgeworfen hatte, kratzte er sich am Kinn.
�Nein, wenn ich ehrlich bin, glaube ich das nicht.�
�Siehst du. Das denke ich auch schon die ganze Zeit. Und wenn ich mir Omareth ansehe denke ich, daß er zu jeder Zeit, wenn er mit mir Reden muß, eine innerliche Blockade überwinden muß, um mich nicht wie Abschaum zu behandeln. Warum das Ganze? Wenn man jemanden sympathisch findet sollte doch nichts im Wege stehen, ihn auch so zu behandeln, oder?�
�Bei Alystin wurmt dich das am meisten, stimmts?�
�Nein, bei ihr hat das eine wirklich perfide Komponente.�
�Inwiefern?�
�Wenn sie wirklich etwas für mich übrig hat, was ich stark annehmen muß, dann stehen ihr ihre Vorurteile gepaart mit ihrer Verantwortung gegenüber der Enklave so stark im Wege, daß es uns beiden nur wehtun kann.�
Ghaundar überlegte wieder eine Weile.
�Ehrlich gesagt siehst du das alles zu negativ.�
�Warum denn das?�
�Schau dir doch einmal an, wo du jetzt bist und wo du herkommst.�
�Ach, und weil ich �weiter gekommen bin als jeder andere Mensch� soll ich mich jetzt glücklich fühlen, oder was?�
�Nein, nur der Sache etwas Zeit geben. Vorurteile und alter Groll lassen sich nicht in ein paar Tagen klären, Joro.�
Das gab ihm Stoff zum Nachdenken. Eine Weile sagte er nichts.
Ghaundar seinerseits, immernoch damit beschäftigt, Pflanzen an Land zu ziehen, lachte irgendwann plötzlich.
�Auf der anderen Seite weiß ich durchaus, wieso du dermaßen interessiert daran bist, daß sich da eine Einigung einstellt, was das angeht möchte ich derzeit nicht in deiner Haut stecken. Schwarz steht mir sowieso besser.�
�Manchmal möchte ich selber nicht in meiner Haut stecken, aber ich habe die Befürchtung, daß das wieder eine dieser Gegebenheiten ist, die man sich nicht selbst aussuchen kann.�
�Huch!�
�Wasn?�
�Jetzt hab ich wirklich einen.�
Das Resultat war ein etwa einen Schritt langer Hecht, der schon kurze Zeit später in der Glut lag und vor sich hin brutzelte.
Entgegen seiner Empfindung gegenüber dem Wesen der Fische, schmeckte dieser hier nicht einmal schlecht, die Kräuter machten unter Umständen den entscheidenden Unterschied.
Während sie da so saßen meinte Omareth überraschend:
�Wir sollten Joro die Fingersprache beibringen.�
Ghaundar nickte.
�Das ist eine gute Idee, das sollte ziemlich hilfreich sein.�
�Was meint ihr damit?�, fragte Joro.
�Wußtest du nicht, daß wir Drow eine Gestensprache haben, mit der wir uns verständigen können?�
�Ich habe davon gehört, aber ich habe es noch nie gesehen.�
�Es ist schneller und effektiver, als gesprochene Worte und vor allem völlig lautlos. Das ist hin und wieder eine gute Sache.�
�Hm, das hört sich sehr gut an, wie funktioniert das?�
Es stellte sich schnell heraus, daß es alles andere als einfach war. Joro lernte zwar grundlegende Gesten ziemlich schnell, aber sobald es komplexer wurde, kam er schnell durcheinander. Die Gesten waren zwar in sich schlüssig, aber er war an eine derartige Kommunikation überhaupt nicht gewöhnt und daher machte es ihm Probleme, die schwierigeren Muster zu erlernen. Nach zwei Stunden beendeten sie die Lehrstunde, um sich schlafen zu legen.
�Hat mein Onkel Fisch?�, fragte Joro noch in unbeholfenen Gesten, als sie sich schlafen legten, aber Ghaundar und Omareth entgegneten nichts, obwohl letzterer aufgrund eines Lachanfalls Probleme hatte, den Schlaf zu finden.
Joro entschloß sich, als Bestrafung niemals zu erklären, was er eigentlich hatte fragen wollen.


Kapitel 12

Die nächsten beiden Tage des Marsches vergingen weiterhin mit eifrigem Lernen seinerseits und einer Reihe von sehr heiteren Momenten, wenn er kompletten Blödsinn gestikulierte. Dennoch hatte er in den beiden Tagen zumindest die kurzen und klaren Aussagen der Gestensprache gut erlernt und nahm sich vor, jeden Tag zu üben, um es nicht zu vergessen.
Die Menge an Dingen, die er in so kurzer Zeit von den Drow gelernt hatte, fühlte sich fast beschämend an, wenn er zurückdachte und überlegte, was er als Bauernjunge für ein Leben geführt hatte.
Sein Großvater war ein sehr gebildeter Mann gewesen und hatte ihm Lesen und Schreiben beigebracht. Er hatte unzählige Bücher gehabt, die allerlei Dinge der Welt erklärten, über Ungeheuer, andere Völker und dergleichen. Joros Vater hatte das immer als �sinnlosen Müll� bezeichnet, aber da Joro nicht sein ältester Sohn war, hatte er nicht so ein starkes Auge darauf, wie bei Joros großem Bruder Talrid, der einmal sein Nachfolger mit der Rinderzucht hatte werden sollen. So konnte Joro schon in jungen Jahren seiner Fantasie und den Erzählungen seines Großvaters nachgehen. Wissen in jeder Form hatte ihn immer interessiert und der alte Mann hatte sich dessen gerne angenommen. Der alte Mann war in seiner Jugend viel herumgekommen, und hatte sich irgendwann in Daishan niedergelassen, um seinen Lebensabend auf dem von ihm errichteten Bauernhof zu fristen. Aber seine eigentlichen Interessen hatten ihn trotzdem niemals losgelassen, so war er im Alter mehr als zufrieden, zumindest einen Nachfahren zu haben, der sich für sein Wissen und seine Erfahrungen begeistern konnte.
Trotz alledem war das, was die Drow im beibringen konnten so viel mehr, als jemals in all den Büchern gestanden hatte und er merkte auch an diesem Punkte schnell, daß andere Völker in der Tat stark andere Sitten hatten.
Gegen Ende des vierten Tages waren sie dem Tafelberg sehr nahe gekommen und Omareth schien irgendwie nach etwas zu suchen.
�Was ist los?� fragte Joro.
�Die haben normalerweise bestimmte Zeichen, an denen man seine Ankunft ausdrücken kann.�
�Häh?�
�Naja, die stellen irgendwelche Statuen und dergleichen auf, an denen man ein Feuer entfachen kann, um ein Zeichen zu geben, daß man da ist. Sie schätzen Fremde nicht sonderlich.�
�Das kenne ich irgendwoher.�
Omareth grunzte nur.
Es dauerte nicht sonderlich lange, da sahen sie einen ausgetrampelten kleinen Platz, auf dem das Abbild eines unglaublich dicken Zwerges stand. Davor war eine Mulde in den Boden eingelassen.
Ghaundar und Omareth sammelten ein paar feuchte Pflanzen und entfachten ein kleines Feuer, auf das sie sie legten, was eine mächtige Rauchfahne verursachte.
�Und nun?�
�Jetzt warten wir.�
Die Nacht brach herein und nichts tat sich. Etwas abseits hatten die vier ihr Lager aufgeschlagen und saßen nicht gerade entspannt um das Feuer, immernoch in Erwartung auf eine Reaktion.
Es war fast Mitternacht, als sie kurz davor waren, schlafen zu gehen, als Ghaundar plötzlich aufblickte.
�Wir sind nicht mehr allein.�
Plötzlich erschien vor ihnen aus dem Nichts ein Humanoide, der Joro nicht einmal bis zur Brust reichte, aber fast genau so breit wie hoch war und unglaublich muskulös. Seine Haut war im Schein des Feuers grau und seine Augen waren rot. Bis auf den Bart im Gesicht, der ihm bis zum Gürtel reichte, war der Mann völlig unbehaart und seine Arme waren so muskulös, daß selbst Omareth, der alles andere als schwächlich wirkte, im Vergleich erblaßte. Er trug ein schwarzes, rötlich schimmerndes Kettenhemd und hatte zwei fast unerhört große Streitäxte in den Händen.
Seine Stimme war nur ein rauhes Wispern.
�Was wollt ihr hier?�
Alystin stand auf und stellte sich vor ihn, scheinbar unbeeindruckt davon, daß er seine Äxte hob und in eine defensive Stellung ging.
�Wir sind hier, um mit Balthasar dem Tapferen zu reden.�
�Und warum sollte unser König mit euch reden wollen?� Joro fiel auf, daß der Zwerg das Wort �König� irgendwie seltsam aussprach.
�Weil wir ein wichtiges Anliegen haben, daß keinen Aufschub duldet.�
Der Zwerg spuckte aus und machte eine Handbewegung. Daraufhin erschienen plötzlich mehr als ein Dutzend ebenso aussehender Zwerge, die sie umzingelt hatten.
�Was ist für uns dabei drin, Drowabschaum?�
�Vielleicht die Rettung vor dem Untergang, Duergar. Die goldene Legion ist auf dem Vormarsch nach Norden, falls ihr es noch nicht wißt.�
�Na und? Was sollen sie uns schon tun, diese verdammten Kalkleisten?�
�Wenn sie erst einmal den ganzen Kontinent erobert haben, werdet ihr eure Festung niemals wieder verlassen können, ohne daß sie euch zu Tode hetzen, ist das Grund genug?�
�Was stört uns die Außenwelt, wir kommen auch ohne jeden anderen klar.�
�Es wird keinen anderen außer den Hochelfen mehr geben. Weder zum Handeln noch für irgendwelche anderen Geschäfte.�
Das verunsicherte den Zwerg.
Er fing sich schnell wieder.
�Ihr werdet hier warten, ich frage unseren Patriarchen, ob er gewillt ist, mit euch zu reden.�
Ghaundar stubste Joro an.
�Du starrst schon wieder�, wisperte er ihm zu.
�Laß mich doch�, gab Joro zurück.
Der Duergar ging zu der Statue herüber und machte den Anschein als wechselte er Worte mit ihr. Dann drehte er sich wieder um und ging zu Alystin zurück.
�Ich habe zwar keinen Schimmer warum, aber er hat eingewilligt. Ihr werdet uns folgen. Baut eure komischen Stoffhütten ab und folgt mir.�

Das Gepäck verstaut, gingen sie den Berg herauf, umringt von den irgendwie unheimlichen Dunkelzwergen, die offenbar großen Spaß an Körpergeräuschen jeglicher Art hatten, wie Joro schnell herausfand.
Je näher sie dem Massiv kamen, desto klarer konnte Joro eine stark befestigte Anlage erkennen, die sich am Fuße des Berges befand. Dort waren nicht nur Mauern gezogen, sondern auch allerhand Türme und kleinere Wälle angelegt, die mit Zwergen bemannt waren, die darauf auf und ab liefen. Das erschien ihm fast sinnlos, weil hier oben in den Bergen nun wirklich keine größere Gefahr lauern konnte, aber die Entschlossenheit der Duergar, sich aufs Äußerste zu verteidigen war mehr als offensichtlich.
Sie durchschritten ganze drei Schutzwälle, immer mehr als mißtrauisch beäugt von ganzen Heerscharen von Zwergen. Joro konnte kaum zählen, wie viele es wohl sein mochten. Wenn das alles Abkömmlinge oder Verwandte von Balthasar waren, mußte der alte Herr sehr fleißig gewesen sein.
Seinen dunkelelfischen Begleitern stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben, was ihm seinerseits ein sehr schlechtes Gefühl machte. Dabei war er sich nicht sicher, ob das von tatsächlicher Gefahr herrührte oder nur von der generellen Haltung der Drow gegenüber ihren ehemaligen Mitbewohnern des Unterreiches.
Sie kamen über eine gigantische Zugbrücke, die in den Berg führte. Dort war nicht nur ein riesiges Fallgitter, sondern auch allerhand Geschütze aufgestellt, die wohl gegen einen Ansturm von Feinden eingesetzt werden sollten.
Der Anführer der Zwerge hielt an, mit ihm der ganze Troß.
Ein weiterer, in eine Plattenrüstung gekleideter Duergar kam ihnen aus dem Torhaus entgegen und begrüßte ihn knapp. Die beiden flüsterten einander eine Weile zu, wobei der Zwerg in Platte mehrmals ungläubig auf die vier Besucher schaute.
Dann kam er auf sie zugelaufen und deutete ihnen ruppig, ihm zu folgen.

Der Tunnel hinter dem Eingang weitete sich schnell in eine Halle, deren Decke Joro aufgrund ihrer Höhe nicht erkennen konnte. In die Wände der Höhle waren überall kleine Behausungen gebaut, die untereinander mit Holzbrücken und �treppen verbunden waren.
In der Mitte des Hohlraumes ragte ein erstaunlich großer Palast in die Höhe, dessen Türme genauso wie die Decke der Halle im Dunkel verschwanden. Sein Eingang war ein stilisiertes Zwergengesicht, dessen offener Mund das Tor darstellte. Überall brannten Feuer in großen Kohleschalen, die das ganze in ein rötlich schimmerndes Licht tauchten. Der Rauch, den sie verbreiteten machten die Luft stickig und es war unangenehm warm.
Als die Vier und ihr Führer die Tür durchschritten, passierten sie Zwerge, die so vollgeladen mit Metall waren, daß sie aussahen wie kleine Männer aus Eisen, bewaffnet mit Äxten und Schilden, die größer waren, als sie selbst.
Joros Empfindungen waren irgendwo zwischen neugierigem Erstaunen und einem sehr unguten Gefühl der Ängstlichkeit, da er merkte, daß je weiter sie hier hereingingen, es weniger Chancen gab, im schlimmstmöglichen Falle auch wieder gesund herauszukommen.
Sie hielten vor einer reichverzierten Holztür und der Duergar, der sie anführte, wechselte ein paar Worte mit einer der Wachen, die davor standen.
Sie gingen zur Mitte der Tür und zogen die beiden Flügel auf, wobei zu sehen war, daß sie mehrere Handbreit dick war.
Der Raum dahinter verschlug Joro die Sprache.
Er hatte einen Thronsaal voller Gold, Edelsteinen und edlen Wandbehängen erwartet. Stattdessen war es ein Raum, der lediglich mit Holztäfelungen ausgekleidet war. An den Wänden waren mit kruden Farben ein paar Schlachtenfresken gemalt, aber das war alles, was er an Schmuck hergab.
Am gegenüberliegenden Ende räkelte sich ein ausgesprochen fetter, selbst für Zwergenverhältnisse nicht sonderlich gepflegter Mann auf einem Holzthron, der ziemlich gelangweilt dreinsah. Als die Vier mit ihrer Begleitung eintraten, richtete er sich schnell auf, um irgendwie majestätisch zu wirken. Dabei hatte er nicht einmal eine Krone auf.
Der Duergar, der ihnen voran ging, kniete vor ihm nieder und sprach ein paar Worte in einer Sprache, die Joro nicht verstand, er nahm an, daß es sich um Dunkelzwergisch handelte.
Der Mann auf dem Thron nickte und deutete Joro und seinen Gefährten, vorzutreten.
Er musterte die vier.
�Sieh� mal einer an, die Priesterin und ihre zwei Gehilfen. Und ein Mensch. Welch illustre Gesellschaft.�
Er schnaubte in seine Hand und betrachtete das Resultat eine Weile. Dann blickte er wieder auf, als hätte er für einen Moment vergessen, daß dort jemand vor ihm stand.
�Und was verschafft mir die hohe Ehre eures Besuches?�, er kicherte eine Weile über den Witz, den er vermeintlich gerade gemacht hatte.
Alystin trat vor.
�Wir sind hier, weil wir Eure Hilfe brauchen, Balthasar.�
Der Duergar brach in schallendes Gelächter aus, wobei im Tränen über die Wangen tropften.
Als er sich einigermaßen gefangen hatte, beugte er sich auf seinem Thron vor.
�Also hatte Torkum recht, ihr seid wirklich hier, weil ihr meint, meine Hilfe beanspruchen zu können?�
Alystin blieb stoisch.
�Die goldene Legion hat die Grenzen im Süden überschritten und marschiert gen Norden. Es ist eine Frage von nur einigen Monaten, bis sie auch hier ankommen.�
�Und was soll mich das kümmern? Sollen sie doch kommen mit all ihren Lindwürmern und Luftschiffen und was weiß ich was. Wir werden ihnen eine Niederlage bescheren, die sie niemals vergessen werden.�
�Habt Ihr eine grobe Idee, wie viele sie sind? Ihr habt höchstens ein paar Hundert Mann, auch wenn Ihr euch alle Mühe gebt, es so aussehen zu lassen, als seiet ihr eine gewaltige Armee. Ihr mögt ihnen eine Weile standhalten, doch am Ende werden sie euch niederwalzen.�
Der dicke König zögerte kurz, aber ließ nicht locker.
�Ich werde mich eher stellen und untergehen, als mich auf irgendwelche waghalsigen Bündnisse einzulassen.�
Omareth knurrte böse.
�Wir verschwenden hier nur unsere Zeit. Die ganze Reise umsonst, der Kerl wird an seine Halsstarrigkeit so oder so nicht aufgeben.�
Balthasar hatte seine Worte wohl gehört.
�Du kannst es bezeichnen, wie du willst, Drow, ich glaube nicht, daß ihr mir irgendetwas geben könnt, was mich umstimmen wird. Bringt sie heraus und macht ihnen klar, daß sie hier nie wieder herkommen sollen!�
Der Duergar in Plattenrüstung deutete ihnen harsch, zu gehen und sie wandten sich alle um.
Sie waren schon ein paar Schritte gegangen, da ertönte eine Stimme vom Thron.
�HALT!�
Ihr Führer hielt inne und sie alle drehten sich um.
Der grauhäutige König war noch bleicher geworden. Er deutete auf Joro.
�Du! Komm her zu mir!�
Unsicher ging Joro vorsichtig auf den Thron zu.
Der König war aufgestanden und sein Bauch hing ihm über den Gürtel. Fast wie benommen stolperte er auf den Menschen zu und blieb in etwa zwei Schritt Entfernung vor ihm stehen.
�Nimm deinen Umhang ab, Mensch. Sofort!�
�Ich��
�Sofort!�
Joro streifte den Piwafwi ab und ließ ihn zu Boden fallen.
Der Duergar vor ihm brach unvermittelt in Tränen aus, die seine speckigen, rußgeschwärzten Wangen herunterliefen. Er machte weitere Schritte auf Joro zu und strich mit seinen groben Händen über dessen Brustpanzer. Dann drehte er Joro herum und tat das selbe mit dem Schild auf seinem Rücken.
Der Priester fühlte sich unangenehm berührt, aber er wagte es nicht, sich zu bewegen.
Nachdem er auch den Knauf des Hammers berührt hatte, stellte er sich wieder vor Joro.
�Wo hast du diese Gegenstände her, Mensch. Und ich rate dir tunlichst, mich nicht zu belügen.�
Das hätte Joro auch gar nicht gekonnt.
�Aus dem Grab eines Mannes namens Nuktu.�
�Nuktu��
�Ja.�
Balthasar starrte immernoch auf den Brustpanzer.
�Hat er dir diese Rüstung freiwillig gegeben?�
�Nuktu ist tot, aber ich bin mir sicher, daß er sie mir niemals freiwillig überlassen hätte, ob mein Gott das nun gewollt hätte oder nicht.�
Der Zwerg sah ihm in die Augen.
�Du gestehst, daß du sein Grab geplündert hast?�
�Nein, das tue ich nicht. Ich habe im Auftrag meines Herrn diese Rüstung aus dem Grab geholt, um sie wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen.�
�Und wer ist dein Herr?�
�Celestus, der Gott der Toten.�
Der König sah ihn lange an und Joro war überrascht, daß er diesem Blick standhalten konnte.
�Du sprichst die Wahrheit, nicht wahr?�
Balthasar langte an seinen Hals und zog ihn zu sich herunter.
�Ein Daishani. In der Tat.�
Er wandte sich dem anderen Duergar zu.
�Geh Torkum, laß mich mit ihnen allein.�
�Seid Ihr sicher, Euer Majestät?�
�Ja, geh!�
Der schwer gerüstete Zwerg verbeugte sich und ging durch die Tür nach draußen.
Der König wandte sich wieder Joro zu.
�Hat dir dein Herr gesagt, wer diese Rüstung gemacht hat?�
Das wußte Joro spätestens nach dem Tränenausbruch des Mannes vor ihm selbst.
�Nein, aber ich bin mir sicher, daß Ihr es wart.�
Balthasar schneuzte sich auf den Boden, was er wieder damit quittierte, kurz nachzusehen, was dabei herausgekommen war.
�Da hast du Recht, Söhnchen, ich habe diese Rüstung, diesen Schild und diesen Hammer gefertigt. Und ich wünschte ich hätte dies niemals getan.�

Joro war überrascht.
�Was meint Ihr damit, Majestät.�
Der Zwerg zog eine Menge an Rotz die Nase hoch und winkte ärgerlich ab.
�Spar dir den �Majestät�-Kram. Ich bin etwa so viel ein König wie du, oder der griesgrämige Drow da drüben.�
Joro schielte zu Omareth herüber und war kurz gewillt, dessen tatsächlichen Adel zu erwähnen, sparte sich das jedoch. Stattdessen fragte er:
�Wie soll ich das verstehen, Eure, äh��
�Mein Name is Balthasar. Balthasar der Tapfere, wie ich anmerken möchte.�
�Also gut, Balthasar. Warum seid Ihr kein König?�
�Oh, ich war einmal ein König. Ein mächtiger sogar, aber das ist fast fünfhundert Jahre her.�
Das war beeindruckend. Joros Großvater war fast achtzig Jahre alt geworden und er hatte das für eine Ewigkeit gehalten.
�Was ist passiert?�
Der König ging zurück zu seinem Thron und ließ sich seufzend darauf niedersinken.
�Irgendwann kam Celestus zu mir und hat mich darum gebeten, für ihn diese Rüstung anzufertigen. Ich war mehr als geehrt, daß eine Gottheit von mir wollte, daß ich für sie arbeitete und vergaß all meine Verpflichtungen und meine Herkunft und stürzte mich in die Arbeit. Mein blinder Stolz wurde mir zum Verhängnis.�
�Warum? Was geschah?�
�Daß die Rüstung nicht gerade schlecht gelungen ist, wird dir jeder bestätigen können, der jemals mit so etwas zu tun hatte. Sie ist die beste Arbeit meines Lebens. Jeder gratulierte mir zu der Qualität, aber bald begannen die Fragen, warum ich eine Rüstung für einen Menschen baute. Als sie fertig war und Celestus sie abholte, hätte mir spätestens klar sein müssen, daß es mein Untergang sein würde, aber die Blendung hielt an.�
�Sie haben dich abgesetzt, nicht wahr?�
�Ja. Als herauskam, was ich getan hatte, hat mich der Ältestenrat meines Königreiches in Schimpf und Schande fortgejagt. Nur meine Familie, sowie Torkum und die mir ergebenen Soldaten sind mir gefolgt. Keiner hat mir je verziehen, ein derartiges Meisterstück an einen Menschen gegeben zu haben. Ich glaube nicht einmal die Duergar, die mir gefolgt sind, haben mir das wirklich verziehen. Die meisten werden wohl nur mitgekommen sein, weil jeder wußte, daß sie mir treu sind und sie daher so oder so niemals hätten bleiben können.�
Joro fühlte sich betroffen und irgendwie hatte er den dringenden Impuls, die Rüstung, die nicht nur in Nuktus Händen zu Bösem geführt hatte, sofort abzustreifen und nie wieder anzulegen.
Balthasar blickte auf.
�Sie paßt dir wie angegossen.�
�Das ist richtig.�
�Das ist seltsam, denn ich weiß, daß sie Nuktu zu groß war.�
Joro war überrascht.
�Woher?�
Eine Stimme erscholl hinter dem Thron.
�Von mir.�
Der dunkle Mann trat hinter dem Holzstuhl hervor.
�Ich habe mit einigem Unwohlsein miterleben müssen, wie Balthasar durch meinen Wunsch in Ungnade fiel. Daher habe ich ihn weiterhin begleitet und zugesehen, daß ihm nichts Schlechtes widerfährt.�
�Soviel dazu, daß sich die Götter nicht in die Belange der Sterblichen einmischen sollen.�
�Nur weil ich ein Gott bin, muß ich noch lange nicht perfekt sein, Joro.�
�Komisch, ich dachte immer, daß Göttern genau dieser Aspekt zugedichtet wird.�
�Zugedichtet ist genau das richtige Wort dafür, mein Sohn.�
Balthasar sah zwischen den beiden hin und her.
�Stör� ich irgendwie? Ich kann auch gehen, wenn ich irgendwie��
Omareth rümpfte am anderen Ende des Saales die Nase.
�Gewöhn� dich schon mal dran, die beiden machen das öfter so.�
Celestus wandte sich dem Drow zu.
�Blasphemische Worte von Euch, Veldrin�Ssreen?�
�Oh, äh, ich habe nichts gesagt.�
Der Gott richtete seine Worte wieder an den König:
�Ich habe ihm in der Tat diese Rüstung gegeben. Und er war es auch, für die sie schon immer bestimmt war.�
�Dann werde ich wohl damit leben müssen, daß es mein Schicksal ist, hier zu sitzen, was?�
Celestus hätte gegrinst, nur leider hatte er kein Gesicht.
�Schicksal, werter Balthasar, ist, was man aus seinem Leben macht. Nicht, was Götter für einen �vorgesehen� haben.�
Er verschwand.
Der fette Duergar sah die vier Besucher in seiner Halle an und schnaufte.
�Also ich brauche jetzt erst einmal ein Bier, ich weiß nicht, wie es mit euch ist.�
Omareths Mund zog sich fast um seinen ganzen Kopf herum.

Hinter dem Thronsaal war ein etwas kleinerer Raum, in dem eine Tafel mit mehr als zwanzig Stühlen stand. An der Stirn der Tafel, hinter dem Sessel, der dem König vorbehalten war, ragte ein Faß, mehrere Mannshöhen im Durchmesser, an die Decke.
Sie ließen sich auf die Stühle nieder und Balthasar klatschte in die Hände. Eine auch nicht gerade schlanke Duergarfrau betrat den Raum, zunächst mißmutig dreinblickend. Als sie die Leute im Raum sah, hellte sich ihr Blick jedoch merklich auf.
�Na, das ist aber eine bemerkenswerte Neuigkeit. Wer sind denn deine Besucher, Baltha?�
�Das ist nicht ganz so wichtig, aber schau dir mal an, was dieser Mensch da trägt.�
Die Frau hielt inne und schaute Joro ungläubig an. Dann kam sie zu ihm herüber und strich ihm, genau wie der König zuvor, über den Brustpanzer. Dann sah sie zu Balthasar herüber, sagte aber eine Weile nichts.
Schließlich wandte sie sich an die Runde.
�Ihr habt sicherlich Hunger, ich besorge euch erst einmal etwas zu essen. Hirza!�
Ein dickes Duergarmädchen - Joro nahm mittlerweile an, daß es keine schlanken Dunkelzwerge gab - trat ein und machte einen Knicks.
�Trag ihnen Bier auf und sag dem Koch, daß wir Essen für fünf brauchen.�
Sie rauschte aus dem Raum und das Mädchen holte aus einer Truhe, die neben dem Faß stand ein paar wirklich große Humpen, die fast doppelt so viel faßten, wie Joros Kopf.
Dieser saß neben Ghaundar und machte unbeholfen die Gesten für �Duergar, Blödmänner?�, da er die für �unfreundlich� nicht konnte.
Dieser schlug sich vor den Kopf und zeigte auf Balthasar.
Der lachte laut und bewegte ebenfalls seine Hände.
�Duergar verstehen das auch� formten sie.
Joro wurde rot und alle am Tisch lachten.
�Verzeiht mir, Balthasar, mir wurde gesagt, daß Euer Volk eher unfreundlich gegenüber Außenstehenden ist.�
�Ich hätte euch vier ohne zu zögern herausgeschickt und euch verprügeln lassen, wenn du nicht diese Rüstung getragen hättest, Mensch.�
Der Priester war von der blanken Offenheit des Zwerges überrascht.
�Da können wir uns ja glücklich schätzen.�
�Das könnt ihr� Nachdem du aber diese Rüstung an dir trägst bist du für mich fast zwangsläufig zu einem Teil der Familie geworden, auch wenn mir das nicht wirklich angenehm ist. Und deine Begleiter muß ich daher auch mit Respekt behandeln.�
�Gastrecht hat etwas für sich.�
Der Zwerg grunzte und nahm, als ihm das Mädchen den Humpen hinstellte, erst einmal einen tiefen Schluck.
Dann setzte er dem Humpen ab und musterte sie alle.
�Also ihr wollt meine Hilfe, um die Legion aufzuhalten?�
Omareth wiegte den Kopf hin und her.
�Von Aufhalten kann nicht wirklich die Rede sein, zunächst geht es erst einmal darum, nicht überrannt und getötet zu werden.�
�Und was schwebt euch da vor?�
Der Drow ließ die Schultern hängen.
�Ich muß zugeben, daß ich bisher noch keine Zeit hatte, mir etwas wie einen Plan oder eine Strategie zu erarbeiten. Wir haben uns ziemlich kurzfristig dazu entschlossen, zu sehen, wen wir auftreiben könnten, der an unserer Seite gegen sie kämpfen würde.�
�Das ist für einen Drow ist das eine unerwartet waghalsige Verhaltensweise�, Balthasar zeigte ehrliches Erstaunen.
Joro rümpfte die Nase.
�Gleich zeigt er wieder auf mich und sagt, daß es meine Idee war.�
Omareth hob kurz die Hand, konnte aber an sich halten.
Der König schmunzelte und strich sich durch seinen Vollbart.
�Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum ein Mensch mit euch unterwegs ist. Das letzte Mal, daß ich Gelegenheit hatte, mit euch dreien zu reden, ging es um eine Ladung Adamantit, für die ihr mir nicht genug geben wolltet. Da hat Omareth noch gemeint, daß ihr nicht so dumm seit wie die Hellhäute und euch nicht über den Tisch ziehen laßt.�
�Die Umstände sind ziemlich komplex, das ist nicht schnell erklärt.�
Balthasar lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
�Wir haben Zeit.�

Sie erzählten ihm die ganze Geschichte, unterdessen trug die Frau, die Balthasar als seine Gattin, ihr Name war Myellin, vorstellte, zusammen mit einem Koch der außer einer vor fett triefende Schürze scheinbar nur Stiefel und einen Lendenschurz trug, eine derartig große Ladung an Essen auf, das alle Müdigkeit und Erschöpfung spontan vergessen waren.
Des Königs Eßmanieren waren vorsichtig formuliert grauenhaft, aber das war wohl nach seiner klar zu erkennenden Rotzmanie nicht sonderlich überraschend. Gut die Hälfte seines Essens landete in seinen Barthaaren und Myellin kam hin und wieder an ihm vorbeigelaufen, fischte sich etwas davon heraus und steckte es sich in den Mund.
�Die Geschichte würde ich unter jeden anderen Umständen niemals glauben�, nuschelte Balthasar zwischen zwei Bissen.
�Das geht uns allen ähnlich, Joro wohl eingeschlossen�, entgegnete Ghaundar.
Der nickte nur knapp und stopfte sich das nächste Stück Rinderbraten in den Mund. Er schmeckte fast so gut wie der von seiner Mutter, auch wenn diese als Köchin wesentlich appetitlicher ausgehen hatte, als der Zwergenkoch. Aber einem geschenkten Gaul�
�Ich mache euch vieren einen Vorschlag. Morgen früh werde ich unsere Anführer zusammenrufen und wir alle zusammen überlegen uns, was wir tun können. Ihr könnt heute nacht in den Gastgemächern schlafen, die werden sowieso nie benutzt, aber meine Frau bestand darauf, welche zu bauen. Wahrscheinlich, damit ihr nicht langweilig wird und sie immer etwas zu Putzen hat.�
Eine Schweinshaxe traf ihn mitten auf der Stirn und Mann und Frau tauschten für kurze Zeit ziemlich derbe Worte aus, wonach Myellin trotzdem lächelnd den Raum verließ.
Der Zwerg rülpste lange und inbrünstig.
�So, und nun gehe ich erst einmal gehörig aufs Lokus und danach schlafen. Gute Nacht.�
Er schälte sich aus dem Sessel und wankte aus einer der Türen.
�Ach ja!� Er drehte sich nicht einmal um, furzte aber laut.
�Sieh� zu, daß du morgen die Rüstung trägst, Macun.�
Sie waren für einen Moment allein und Joro wandte sich an Omareth.
�Ich bin über die Entwicklung ziemlich überrascht.�
Omareth seufzte.
�Mach dir nicht zu viel Hoffnung. Er hat seine Rüstung und seinen Hammer wieder.�
�Was meinst du damit?�
�Daß er seinen Machtanspruch wieder behaupten kann. Ich habe dir doch gesagt, daß Duergar Egoisten sind. Das Einzige, was ihn davon abhält, sie dir von deinem toten Körper zu schälen, ist, daß ihm Celestus im Nacken sitzt. Dunkelzwerge sind vielleicht brutal, aber alles andere als dumm.�

Myellin führte sie in einen hinteren Teil im dritten Obergeschoß des Palastes. Es war ein schmaler Flur mit einigen Zimmertüren, komplett aus Holz gezimmert. An den Wänden hingen Schalen mit fluoreszierenden Pilzen, die ihn in ein bläuliches Licht tauchten.
Die dicke Duergarfrau lächelte sie alle freundlich an.
�Die Zimmer sind vielleicht nicht luxuriös, aber ich habe darauf geachtet, daß die Betten groß genug sind, damit auch größere Besucher darin schlafen können. Man weiß ja nie, was geschehen wird, nicht wahr?�
�Danke, Myellin, es ist uns eine Ehre.� Omareth verbeugte sich.
�Hach, ihr Drow könnt so charmant sein, wenn ihr wollt�, sie kniff ihm in die Backe und kiekste, �Schlaft alle gut, bis morgen.�
Sie ging davon und sie standen kurz da, nur gefolgt von Joro, Ghaundar und Alystin, die sich vor Lachen fast naß machten, als sie Omareths Gesicht sahen.
Der hob die Hände.
�In Ordnung, gut, es steht zumindest unentschieden zwischen mir und Joro heute.�
�Knapp, Meister Omareth, knapp�, kicherte die Priesterin.
�Ich gehe mich jetzt aufs Ohr haun. Lacht noch schön.� Grummelnd betrat er eines der Zimmer.
Joro öffnete eine der Türen.
�Ich auch. Schlaft gut, alle zusammen.�

Das Zimmer war spartanisch eingerichtet, es gab nur eine Truhe und ein Bett. Ein kleines Fenster aus leicht mit Ruß bedecktem Glas ließ einen Blick auf den Rest der Höhle zu, wobei allerdings nichts Bemerkenswertes zu sehen war.
Das Bett war tatsächlich groß genug für ihn, es war sogar erstaunlich breit, sodaß er sich gut ausbreiten konnte. Die Matratze war mit Stroh gefüllt, aber der dicke Stoff verhinderte ein Pieksen, was er mit Freude zur Kenntnis nahm.
Er hatte noch nicht ganz so lange dagelegen, als er die Tür leise quietschen hörte. Die Decke hob sich an und er hörte ein leises �Mach� mal Platz�. Es war kein Licht notwendig, der Geruch, der in seine Nase strömte war klar und eindeutig, es sei denn Ghaundar hatte sich einen Spaß mit Alystins Parfum erlaubt.
Hatte er nicht. Der Körper, der sich an seinen kuschelte war definitiv weiblich und eine Zwergin war es auch nicht.
Sie sagte nichts weiter, aber das mußte sie auch nicht. Stattdessen lag sie nur da, er legte seinen Arm um sie und fühlte sich völlig berauscht.
Schließlich sah sie kurz auf.
�Du nimmst den Streithammer doch nicht mit ins Bett oder?�
�Ist dein Hintern kalt?�
�Oh. Nein.�


Kapitel 13

Als er wieder erwachte, es mußte wohl Morgen sein, war sein Bett bis auf ihn selbst leer. Das machte ihm ein Gefühl des Verlustes, aber die Tatsache, daß Alystin mit ihm zusammen eingeschlafen war, war schon Grund genug, sich insgesamt wohl zu fühlen.
Er begann sich anzuziehen und trat schließlich vor die Tür. Der Gang war leer, also ging er zu Omareths Zimmer herüber und klopfte leise.
Die Tür ging einen Spalt auf und der Drow schaute hindurch.
�Ach du bists, schon auf?�
�Wonach sieht es denn aus?�
�Ghaundar ist auch schon wach, bei Alystin weiß ich es nicht.�
�Kann ich hereinkommen? Hier auf dem Gang fühle ich mich nicht so recht wohl.�
Omareth machte die Tür wortlos weiter auf und ließ ihn hinein.
Joro hockte sich auf die Truhe, so gut es die Rüstung zuließ.
�Hast du eine Ahnung, wie das heute ablaufen wird?�
�Nun, ich nehme an, er wird sich vor die versammelte Mannschaft stellen und dich ihnen präsentieren. Dann hält er irgendeine Ansprache, um sich ins beste Licht zu rücken und dann macht er uns irgendein blödsinniges Angebot, das wir nicht ablehnen können werden.�
�Hm.�
�Was?�
�Warte mal einen Moment.�
Joro ging in sich und fragte die Stimme in seinem Kopf:
�Sag mal, was war das gestern eigentlich für ein kurzer Auftritt?�
�Höre ich da Kritik von dir, Joro?�
�Sei ehrlich: Du hast alles, was bisher geschehen ist bis ins kleinste Bißchen geplant, schon lange bevor ich geboren wurde, oder?�
�Das ist richtig. Eine der schönen Dinge am Gottsein ist, daß man schlecht überrascht werden kann. Ich wußte, daß diese Tage einmal kommen würden, aber Nuktu war damals Realität. Also habe ich beides miteinander verknüpft.�
�Ich glaube dir immer weniger, daß du wirklich der Ansicht bist, daß Götter das Leben der Menschen nicht bestimmen sollen.�
�Das ist jedoch in der Tat der Fall, mein Sohn. Ich habe allerdings niemals behauptet, daß ich nicht dafür Sorge trage, daß diejenigen, die mir etwas bedeuten, keinen Schaden nehmen.�
Joros Zweifel daran blieb, aber er wollte sich nicht streiten.
Omareth sah ihn aufmerksam an.
�Du redest wieder mit Celestus, stimmts?�
�Ja. Ich habe ihn gefragt, was sein Erscheinen gestern bedeutet hat.�
�Und was sagt er?�
�Daß das alles seine Richtigkeit hat.�
Der Dunkelelf sah ihn prüfend an.
�Du selbst denkst da anders drüber?�
�Eine alte Diskussion zwischen mir und ihm.�
�Aha.�
Joro sah sich um und überlegte.
�Sollen wir uns versammeln und gemeinsam herunter gehen oder ist das unhöflich.�
�Im Hause eines Königs wartet man darauf, bis man aufgefordert wird, zu erscheinen.�
�In Ordnung. Dann bring mir in der Zwischenzeit noch ein paar Gesten bei.�
Sie übten eine Weile, wobei im Omareth zunächst vornehmlich militärische Gesten beibrachte, was er damit begründete, daß sie ihm am sinnvollsten erschienen.
Nach ein oder zwei Stunden klopfte es leise an der Tür.
Omareth ging und machte sie auf, herein trat Alystin, wieder in ihre Rüstung gekleidet. Sie hatte Ghaundar dabei.
�Guten Morgen. Oder Mittag? In diesem Dunkel weiß man das ja nicht so recht.�
Joro hätte schwören können, daß sie ihm kurz zugelächelt hatte.
Ghaundar rümpfte die Nase.
�Er läßt uns warten. Schwer zu sagen, ob das taktische Gründe hat, oder er so besoffen war, daß er noch nicht wach ist.�
Alystin zuckte mit den Achseln.
�Beides, vermute ich. Er wird mit Sicherheit klar machen wollen, wer hier das Sagen hat, uns gegenüber und seinen Leuten später.�
Joro schnaubte.
�Mich beeindruckt das nicht sonderlich��
�Balthasar kann sehr gefährlich sein, vergiß nicht, wo wir sind und was er ist.�
Ghaundar schaute Omareth und Joro belustigt an.
�Was habt ihr hier gemacht? Getratscht?`�
�Omareth hat mir ein paar neue Gesten beigebracht.�
�Oh prima, dann kannst du uns hoffentlich endlich sagen, daß dein Großvater Rüben auf dem Kopf hat.�
Unmerklich machte Omareth ein paar Gesten mit den Händen und ein besonderer Blick deutete ihm, es ihm nachzutun.
Joro tat das und Ghaundar schaute mit einem Mal auf seine Hose.
Verwirrt schaute der Priester zu Omareth, der in Lachen ausbrach.
�Sehr witzig, ihr beiden.� Ghaundar machte ein schmollendes Gesicht, grinste dann aber.
Alystin sah tadelnd in die Runde.
�Ich hoffe, daß du ihm auch Sinnvolles beigebracht hast, Omareth.�
�Keine Sorge, werte Hohepriesterin, ich trage schon Sorge, daß unser Mensch hier das lernt, was er braucht�, sagte er und fügte mit einem Grinsen hinzu, �und was Ghaundar angeht braucht man das immer einmal wieder, damit er auch hin und wieder die Klappe hält.�

Es polterte von der anderen Seite an die Tür und eine Männerstimme sagte:
�Kommt mit, es geht los.�
Vor der Tür stand Torkum, in ein Gewand gekleidet, das zeremoniell aussah. Ohne die Rüstung wirkte er kein Bißchen weniger imposant, der Duergar bestand nur aus Muskeln, vom Scheitel bis zu Sohle. Er hatte genau wie die anderen Dunkelzwerge knallrote Augen, sein Bart reichte ihm fast bis zu den Knien und war in zwei Zöpfe geflochten.
Er musterte Joro von oben bis unten und schnaubte dann verächtlich.
�Seltsam, daß mir das gestern nicht aufgefallen ist. Ich hätte niemals gedacht, daß wir das Ding irgendwann einmal auf diese Weise wiedersehen werden.�
Zu Alystin gewandt fuhr er fort: �Folgt mir mit Euren Begleitern, Priesterin.�
Die Treppe herab ging es dieses Mal direkt in den Thronsaal. Joro konnte nicht behaupten, die Architektur dieses Palastes zu durchschauen, denn alle Gänge sahen gleich aus. So oder so mußte es eine Weile dauern, bis man wußte, wohin man eigentlich ging, auch wenn man hier jeden Tag lebte.
Im Saal versammelt war eine betrachtliche Anzahl von Duergar, alle in ähnliche Roben gehüllt, wie sie Torkum trug.
Balthasar saß mit erwartungsvollem Blick auf seinem Thron, in einer goldenen Plattenrüstung und dieses Mal sogar mit einer Krone auf dem Kopf.
Als die vier zusammen mit Torkum eintraten, erhob er sich.
�Sehet diesen dort!�
Alle Zwerge im Raum drehten sich Joro zu, der rot wurde.
Ein Raunen durchzog ihre Reihen und einzelne konnten sich hektisches Tuscheln oder Gesten untereinander nicht verkneifen.
Balthasar gebot ihnen Einhalt.
�Ruhe! Seht, was dieser Mensch an sich trägt! Endlich, nach so viele Jahren sind die Insignien meiner Herrschaft wieder unter meinem Dache angekommen!�
Torkum trat vor den König, das Gesicht zu den Anwesenden.
�Hiermit erkläre ich Balthasar den Tapferen wieder zum König über unser Volk. Die Zeit des Exils ist aufgehoben!�
Einer der Zwerge in der Mitte des Saales hob die Hand.
�Wer sagt uns denn, daß das hier kein armseliger Trick ist?�
�Wenn du es nicht glaubst, geh und überzeuge dich selbst!�
Der Mann kam zu Joro herüber und betastete dessen Brustharnisch, genauso wie es am Tage zuvor der König getan hatte. Zunächst stand so etwas wie Häme in seinem Gesicht, doch die wich schnell wieder.
Er drehte sich zu den anderen.
�Bei den Göttern, sie sprechen die Wahrheit, sie ist es wirklich!�
Wieder kam Unruhe in die Versammelten, dieses Mal war es aber offenes Reden und jeder schien den anderen übertönen zu wollen, manche ruderten dabei mit den Armen als seien sie kurz davor, von einer Klippe zu stürzen.
�RUHE!!!�, brüllte Balthasar.
Die Menge der Zwerge verstummte.
�Wie ihr also seht�, fuhr er fort, �Ist heute der Grund für unsere Verbannung aufgehoben worden. Im Namen meines Vaters und meines Großvaters nehme ich hiermit wieder meinen Thron in Besitz und verlange, daß ihr mir aufs Neue eure Loyalität bekundet. Alle ihr, die hier versammelt sind!�
Die Zwerge in der Saalmitte zögerten. Torkum hingegen kniete vor seinem dicken König nieder und zog Axt, die in seinem Gürtel hing, um sie Balthasar hinzureichen.
�Bei der Blutlinie, derer du angehörst, sollst du mein König sein und ich werde dir treu bis in den Tod dienen.�
Balthasars Gesicht entwich eine gewisse Anspannung und er machte einen Schritt auf ihn zu, legte ihm dabei die Hand auf die Schulter.
�Ich nehme deinen Schwur an, mein werter General und du sollst von nun an für alle Zeit bis zu deinem Tode meine Armee führen.�
Es kam Bewegung in die anderen Duergar. Einer nach dem anderen trat vor und gab einen ähnlichen Schwur ab, wobei der König jedes Mal ein kleines Stück zu wachsen schien, obwohl Joro eher annahm, daß er nur seine krumme Haltung immer weiter aufgab, als fiele eine Last in kleinen Brocken von seinen Schultern.
Schließlich war auch der letzte Duergar mit seinem Schwur fertig und Balthasar sah mit einem stolzen Blick in die Runde.
�Gut. Nachdem ihr also alle wieder unter meiner Herrschaft zu dienen bereit seid, sollten wir zusehen, daß wir diesen Herrschaftsanspruch auch bekräftigen, nicht wahr?�
Ein im Vergleich zu den anderen Anwesenden eher dünner Zwerg trat vor und fragte:
�Also gehen wir zurück und übernehmen unser altes Königreich wieder?�
Das Lächeln auf des Königs Gesicht wurde ein kleines Bißchen säuerlich.
�Du weißt genausogut wie ich, daß das nicht möglich ist. Oder glaubst du, daß wir mit den Männern, die wir haben, eine ganze Stadt einnehmen können?�
Die Gesichter der Duergar im Saal verfinsterten sich alle. Offensichtlich war es ihnen allen bewußt, aber die Hoffnung war niemals darauf war trotzdem niemals gestorben.
�Was schlägst du also vor, mein König?�, fragte Torkum.
Balthasar wandte sich an Alystin.
�Hört, was diese Frau zu sagen hat.�
Alystin, recht überrascht von dieser Ansprache, fing sich schnell und sprach:
�Die goldene Legion kommt aus dem Süden und überrennt alle Königreiche. Sie wollen jedes Volk und jedes Land unter ihre Kontrolle bringen, um sie alle zu Sklaven zu machen. Wir haben uns dazu entschieden, lieber zu kämpfen, als unterzugehen. Mit eurer Hilfe würde unsere Kräfte gewaltig ansteigen.�
Der dünne Zwerg rümpfte die Nase.
�Und warum sollen wir einer Drow trauen? Jeder weiß, daß sie lügen und betrügen, wann immer sie können. Außerdem: Was haben wir davon?�
Die anderen murmelten zustimmend.
Balthasars Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an.
�Reichtum und Macht, was denkst du denn? Wenn wir die Hochelfen erst einmal vertrieben haben, können wir uns ein eigenes Reich aussuchen, über das wir dann herrschen werden.�
Joro wollte etwas einwenden, aber Alystins Hand faßte seinen linken Unterarm und sie schüttelte unmerklich den Kopf.
�Wir haben viel zu wenig Männer, um einen Krieg zu führen, mein König. Zunächst müssen wir zusehen, daß wir uns verteidigen�, warf Torkum ein.
�Darüber habe ich schon nachgedacht, General. Sendet Boten in alle noch so kleinen Duergarsiedlungen in der Umgebung und verbreitet, daß Balthasar der Tapfere erneut ein König ist. Sie sollen herkommen und sich unserem Kampf anschließen!�
Torkum nickte und gab ein Zeichen an eine der Wachen, die am Eingang des Thronsaales standen. Diese verschwand schnell durch die Tür.
�Gut, ich erwarte, daß heute Abend ein Festmahl abgehalten wird. Wer nicht erscheint, findet seinen Kopf morgen früh auf eine Ahlpike vor dem Tor unserer Stadt wieder! Ihr könnt jetzt gehen!�
Der letzte Satz wurde von den Anwesenden Zwergen offenbar genauso verstanden, wie er formuliert worden war. In aller Eile sahen sie zu, daß sie aus dem Raum kamen.
Nun waren nur noch Torkum, Balthasar und die vier Gefährten darin und Balthasar nahm grunzend die Krone vom Kopf.
�Muß das Ding so verdammt schwer sein?�, fragte er.
Torkum machte eine beruhigende Geste.
�Ihr werdet Euch schon wieder daran gewöhnen, Majestät.�
Der König wandte sich Joro zu.
�Das wäre geschafft. Nun muß ich nur noch herausfinden, wie ich die Rüstung hier behalten kann, ohne dich töten zu müssen.�
Joro schluckte.
�Aber leider hat mir dein Gott gestern sehr eindringlich klar gemacht, daß Letzteres nicht in Frage kommt. Also müssen wir eine Lösung finden, die uns beiden gerecht wird. Deshalb habe ich euch vier noch hier behalten.�
Der Priester ging ein paar Schritte auf Balthasar zu, wobei er bemerkte, daß Torkum seine Hand auf das Heft seiner Axt legte. Er ließ sich nicht beirren.
�Ich bin mir der Problematik durchaus bewußt, Balthasar, aber ich muß zuerst an die Meinen denken, genau wie du. Und mein oberstes Anliegen ist es, daß diesen Dunkelelfen und allen, die mit ihnen sind, kein Schaden geschieht. Wir sind gekommen, um von dir Hilfe zu bekommen. Verwehrst du sie uns, werden wir wieder gehen und dich auch nicht wieder fragen.�
�Soso.�
Unbeirrt fuhr Joro fort:
�Mir ist bekannt, daß dein Volk in seinem Wesen darauf beharrt, für erbrachte Leistungen immer einen Gegenlohn zu bekommen, egal ob es ihnen so oder so etwas nützt. Wenn dir das im Wege steht und du dich deshalb nicht dazu durchringen kannst, einfach nur deine eigene Haut zu retten, und die wirst du verlieren, ob du es einsiehst oder nicht, dann werden wir eben ohne dich gehen.�
In seinem Nacken konnte er spüren, wie sich Ghaundar, Omareth und Alystin massiv anspannten, aber er war sich der Offenheit seiner Ansprache durchaus bewußt.
Balthasar hingegen schien eher beeindruckt als verärgert.
�Wie alt bist du, Joro Macun?�
�Neunzehn.�
Der dicke Zwerg stand auf und kam zu ihm herüber. Angekommen baute er sich vor ihm auf und schaute ihm lange in die Augen, ohne etwas zu sagen.
Dann rümpfte er die Nase und meinte:
�Und mit deinen neunzehn Jahren wagst du es schon, einem alten Mann, der Zeit seines Lebens eine Sippe von 119 Zwergen geführt hat zu erzählen, was er zu tun hat oder nicht?�
�Ich erzähle dir nicht, was du zu tun hast, sondern was ich zu tun gedenke, Balthasar�, erwiderte Joro kalt zurück.
�Du hast gar keine Angst vor mir, oder?�
�Warum sollte ich?�
�Ich könnte dich und diese drei Drow dort drüben mit nur einer Armbewegung töten lassen.�
�Dann fang mit mir an, versuch es.�
Diese Antwort hatte der König mit Sicherheit nicht erwartet.
�Woher nimmst du diesen Mut, Jungspund. Oder ist das nur Dummheit?�
�Es ist Gleichgültigkeit gegenüber deinem Zorn, Großväterchen.�
�Großväterchen?!�
�Ich hätte auch �Tattergreis� sagen können, gefällt dir das besser, Duergar?�
Der König schnappte nach Luft und Torkum seinerseits hatte seine Axt schon halb gezogen.
Balthasars Augen funkelten vor Zorn.
�Du wagst es, mich hier in meinem eigenen Thronsaal zu beleidigen?�
�Gehen dir die Flüche aus, oder warum mußt du jetzt greinen wie ein Weib?�
�Du�duuuu�MISTKRÖTE!�
�Flohzirkus!�
�Haarloser Molch!�
�Speckiger, alter Sauhund!�
Der Duergar rang nach Worten. Dann, immernoch sprachlos, mehrere Male in Joros Richtung zeigend, ging er langsam zu seinem Thron zurück, Torkum entspannte sich ein Wenig.
�Das schreit nach Rache, Mensch. Ich weiß nicht, woher du dieses Wissen genommen hast, aber du weißt hoffentlich, was jetzt auf dich wartet!�
Joro grinste unverhohlen.
�Ja, weiß ich, und da ich die Herausforderung ausgesprochen habe, wähle ich Ale als Waffe.�
Balthasar kniff das linke Auge zu und ließ das rechte funkeln.
�Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich da eingelassen hast. Ich bin ein Duergar, falls du das vergessen hast.�
�Und ich bin der Sohn eines Rinderzüchters, der seinen eigenen Braukessel im Keller hatte. Was meinst du, wer von uns beiden anteilig an seiner Lebenszeit schon länger Bier trinkt. Mach dich auf einiges gefaßt, mal sehen, ob dein Beiname �der Tapfere� auch heute Abend noch bestätigt wird.�
�Ich werde vorbereitet sein, ich hoffe, daß du es auch bist. In vier Stunden beginnt das Bankett und wir werden sehen, wer der Stärkere ist, Jungchen.�
�Ist recht, Opa.�
�Geht jetzt!�

Wieder in Omareths Zimmer angekommen, bekam Joro von jedem der drei Drow einmal auf den Hinterkopf geschlagen.
Omareth war der erste, der wieder Worte fand.
�Was in aller Höllen Namen hast du dir dabei gedacht, Joro??�
�Ganz einfach, ich habe einmal ein Buch über die Völker des Unterreiches gelesen. Darin wurde unter anderem aufgeführt, daß Duergar in Zeiten, in denen sie keinen Krieg führen, zum Schonen ihrer Leute Trinkduelle austragen, um die Rechtmäßigkeit ihrer Standpunkte zu beweisen. Dem voran geht normalerweise eine Absichtserklärung, die in möglichst schweren Beleidigungen ausgedrückt wird.�
�Was hat dich so sicher gemacht, daß das nicht nur für Duergar gilt?�
�Mein Großvater hat mir daraufhin erzählt, daß er selbst einmal ein solches Duell austragen mußte, allerdings damals mit Kartoffelschnaps, den er auch im hohen Alter noch in Unmengen vertilgt hat. Es ist eine Frage der Ehre, die ein Duergar, ohne das Gesicht zu verlieren nicht ablehnen kann, so sind die Regeln.�
Ghaundar schmunzelte.
�Also hat unser Herr Völkerverständigung gerade ganz vorsätzlich einen kulturellen Brauch mißbraucht, um möglicherweise seine Haut zu retten?�
Joro grinste gequält.
�Es ist für uns eine Situation, in der es nichts zu verlieren gibt, für Balthasar schon. Daher wird er mit Sicherheit irgendwelche Tricks benutzen, um zu gewinnen, wenn ich ihn recht einschätze.�
Omareth schüttelte den Kopf.
�Niemals. Er wird in seiner Arroganz niemals glauben, daß du gewinnen kannst. Aber ich glaube, wir können dir in der Tat ein bißchen helfen�, er kicherte böse.
Aus seinem Bündel holte er ein kleines Fläschchen.
�Was ist das?�, fragte Joro.
�Öl. Pflanzenöl, um genau zu sein. Ich benutze es normalerweise für meine Füße, wenn ich sie mir wundgelaufen habe. Wenn du das trinkst, wird es eine ganze Weile länger dauern, bis du betrunken bist. Das sollte dir ein wenig Zeit erkaufen.�
�Ihr drei spinnt alle vollkommen. Joro, bist du dir eigentlich bewußt, in welche Gefahr du uns gebracht hast?� Alystins Augen hatten einen tiefroten Glanz angenommen.
Joro sah sie bestürzt an.
�Er hätte uns so oder so versucht, zu betrügen, Alystin. Was hätte ich wohl sonst tun sollen? Warten bis er uns irgendein dämliches Angebot macht, mit dem wir niemals zufrieden sein können?�
Sie schaute ihn sehr böse an.
�Ich rate dir gut, dein Bestes zu geben, weil du es sonst bereuen wirst, wenn ich dich hinterher in die Finger bekomme!�
Mit diesen Worten wandte sie sich um und rauschte aus dem Zimmer.
Omareth gab Joro eine Ohrfeige.
�Aua, was soll das?�
�Fang jetzt nicht mit �ich will nicht, daß sie böse ist� an, oder du bekommst noch eine. Steh deinen Mann und tu das, für das du dich entschieden hast. Keine Ausreden, oder du bekommst morgen zwei Tritte!�
�Ich halte ja schon meinen Mund.�
�Gut. Und jetzt nimm die Flasche, geh in dein Zimmer und sieh zu, daß du dich noch eine Weile ausruhst. Es geht bald los.�

Die nächsten drei Stunden verbrachte Joro in Einsamkeit in seinem Zimmer, gequält von dem furchtbaren Gefühl, das Omareth ihm hatte austreiben wollen. Aber der Dunkelelf hatte vermutlich recht. Die einzige Möglichkeit, das Ganze noch zu retten, war nun nur noch, diesen Wettstreit zu gewinnen.
Als schließlich endlich, nach einer Ewigkeit, ein Klopfen an der Tür erscholl und er aufgefordert wurde, sich anzuziehen, nahm er die kleine Flasche und betrachtete sie. Ob Omareth das Öl wohl wiederverwendete?
Die Frage ließ es leider nicht zu, sie weiter zu verfolgen, denn es war an der Zeit, die eingebrockte Suppe auszulöffeln.
Er schluckte das Öl, was leicht ranzig schmeckte und mußte eine Weile gegen Brechreiz ankämpfen. Dann warf er sich seine Robe über und trat auf den Flur. Die Drow warteten schon auf ihn und sahen ihn alle drei erwartungsvoll an.
�Ja, ich habs getan. Ich will allerdings nicht wissen, was du damit vorher gemacht hast, Omareth.�
�Nichts, nur Füße gepflegt.�
Es kam ihm wieder hoch, doch Joro unterdrückte den Brechimpuls.
Ghaundar und Omareth grinsten, während Alystin immernoch eine distanzierte Haltung aufwies.
�Gehen wir, Torkum hat mir vorhin gesagt, daß wir kommen sollen, wenn wir fertig sind. Unten ist wohl schon die Hölle los�, meinte Omareth.
Sie gingen die Treppen herab zu der Halle hinter dem Thronsaal, aus deren Richtung bereits lautes Gelächter, Gegröhle und Einiges an den so heißgeliebten Körpergeräuschen zu hören war.
Als sie den Raum betraten, verstummten alle Anwesenden und schauten grimmig in Joros Richtung.
Die Zwerge, die sich um die riesige Tafel versammelt hatten, waren größtenteils halbnackt, viele von ihnen mit Essensresten beschmiert und lümmelten sich auf den großen Armstühlen herum. Am Kopfende der Tafel saß Balthasar, neben sich ein Faß, genauso groß wie er, auf das er vielsagend klopfte. Er wies auf Omareth und sagte:
�Dein Adjutant. Er wird sichergehen, daß ich nicht betrüge.�
Dann deutete er auf das andere Ende der Tafel, an der neben einem leeren Sessel ein ebenso großes Faß stand. Torkum, der direkt neben diesem Platz saß, stand auf und deutete Joro, sich dort hinzusetzen.
Die anderen beiden Drow ließen sich auf den anderen leeren Sesseln nieder, die dort standen, Alystin unter anzüglichen Pfiffen aus Reihen der Zwerge, die sie ignorierte.
Torkum sah ihn ernst an.
�Jeder einen Humpen. Wenn einer seinen leert, muß der andere dies auch sofort tun, sonst hat er verloren. Verstanden?�
Joro nickte.
�Gut, hier ist der erste!�
Der Zwerg knallte einen Humpen von der Größe, die Balthasar am Tage zuvor gehabt hatte vor ihm auf den Tisch. Jetzt erst fielen Joro die schieren Unmengen an Speisen auf, die auf der Tafel standen. Zwei ganze Schweine, Schalen voller Suppe, ganze Truthähne und scheinbar als Einzelhappen gedachte gebratene Nagetiere, wie sie Ghaundar ein paar Tage zuvor erlegt hatte.
Balthasar hob sein Trinkgefäß an und rief: �Es gilt!�
Er setzte an und trank.
Joro zögerte nicht, er wollte sich keine Blöße geben. Er hob seinen Humpen und nahm ein paar Züge des schweren, dunklen und sehr herben Ales. Dabei ließ er den König nicht eine Sekunde aus den Augen, was dieser ebensowenig tat. Sie leerten ihre Biere fast gleichzeitig und schlugen die Humpen auf den Tisch, was die �Tischgesellschaft� mit einem begeisterten Gröhlen quittierte.
Schon Momente später stand ein neues Trinkgefäß, ebenfalls bis an den Rand gefüllt vor ihm.
Balthasar auf der anderen Seite des Raumes grinste und nahm sich erst einmal eine Schweinshaxe vor.
Joro hingegen ergriff den neuen Humpen, setzte an und soff, als hinge sein Leben davon ab. Ihm entging nicht, daß jeder Schluck, den er tat bei seinem Gegenüber das Unwohlsein wachsen ließ.
Als er fertig war, nahm er seinerseits ein großes Fleischstück und biß mit Genuß herein, fröhlich grinsend.
Unter den Zwergen wurde ein Murmeln laut und immer mehr von ihnen sahen in Balthasars Richtung. Dieser griff hastig nach seinem Bier und begann es zu trinken. Joro griff auf der Stelle nach dem frisch gefüllten Humpen vor ihm und trank ebenfalls. Nach der Häfte setzte er ihn ab und aß seelenruhig sein Essen weiter.
So ging das eine Weile weiter, er bemühte sich dabei immer, unbeschwert auszusehen und Balthasar ein Stück im Hintertreffen zu halten, während er gegen den immer voller werdenden Magen ankämpfte und auch langsam, trotz des Öles eine gewisse Bewußtseinstrübung einsetzte.
Alystin würdigte ihn dabei keines Blickes, was ihn dazu brachte, sich voranzukämpfen, erfüllt von grimmigem Stolz.
Je mehr Bier insgesamt am Tisch geleert wurde, desto weniger angespannt wurde die Athmosphäre und bald bemerkte er, daß auch ein paar Zwerge hin und wieder anerkennend in seine Richtung schauten und ihm zunickten. Torkum hingegen saß neben ihm und schaute mit jeden leeren Krug, den Joro ihm reichte mit einem wachsenden Gefühl von Erstaunen und offener Zustimmung an.

Ab einem gewissen Punkt erinnerte sich Joro nur noch an verschwommene Bilder und Geräusche, das nächste war, daß er sich fast eine halbe Stunde lang übergab.
Als er schließlich aufwachte, lag er in seinem Bett und die Kopfschmerzen, die in seinem Kopf tobten waren so höllisch, daß selbst das Knarzen der Holzwände, das hin und wieder auftrat, sich anhörten, als stünde er in einem Gewitter.
Neben ihm, auf die Bettkante gehockt, saß Alystin.
Er wollte sich aufrichten, aber der Kater verhinderte das.
�Bleib liegen. Trink das hier.�
Sie reichte ihm eine kleine Tasse, in der ein übelriechendes Gebräu war, aber er trank es.
�Es riecht nicht gut, aber es wird dir die Kopfschmerzen nehmen und deinen Magen beruhigen.�
�Bist du noch böse?�
�Ja. Das war nicht nur dumm, sondern auch außergewöhnlich kindisch.�
�Hab ich wenigstens gewonnen?�
Alystin schnaubte.
�Männer��
�Ja oder nein?�
Sie stand auf und stellte die Tasse auf den Rand des Bettes.
�Man hat am Ende auf ein Unentschieden plädiert, ihr seid beide irgendwann einfach umgefallen und weil alle zu besoffen waren, kann sich keiner mehr daran erinnern, wer der Erste war.�
�Das heißt, wir haben beide unsere Ehre bewart und müssen uns als ebenbürtig ansehen��
�Hast du ganz toll gemacht, Joro.�
Er streckte die Hand aus und sah sie flehentlich an.
Zunächst schien sie einfach gehen zu wollen, dann nahm sie aber seine Hand und setzte sich wieder neben ihn aufs Bett.
�Joro?�
�Ja��
�Versprich mir, daß du niemals wieder so etwas Dummes tust.�
�Das kann ich nicht. Ich bin eben manchmal dumm.�
�Dann versuch wenigstens, an dir zu halten, wenn du einen derartigen Impuls bekommst, hörst du?�
Er fühlte sich etwas erleichtert und nickte, so gut das sein Kopf zuließ.
�Versprochen.�
Sie seufzte. Dann mußte sie unwillkürlich grinsen.
�Obwohl ich zugeben muß, daß du ihm ganz schön eingeheizt hast. Nach dem vierten Humpen kam er ganz schön ins Schwitzen.�

Joro fühlte, wie er wieder sehr müde wurde, er nahm an, daß das eine Nebenwirkung des Gebräus war, das ihm Alystin eingeflößt hatte. Langsam entschwand sein Geist wieder in die Welt der Träume.


Kapitel 14

Als er das nächste Mal erwachte, sprang sein Bewußtsein förmlich zurück in die Realität. Irgendetwas ließ sich ihm die Nackenhaare sträuben. Instinktiv sah er sich um, war aber allein in diesem Raum. Die Kopfschmerzen waren fort und schlecht war ihm auch nicht mehr. Aber dieses Ziehen im Nacken machte ihn fast wahnsinnig. Es war wie das Gefühl, das ein sensibler Menschen kurz vor einem Gewitter hat, wenn die Feuchtigkeit in der Luft langsam einen gewissen Grad erreicht und mit einem Male alle Vögel still werden. Er beeilte sich so schnell es ging in seine Rüstung zu schlüpfen, was ohne Hilfe nicht leicht war, wie er wieder einmal Mal feststellen mußte.
Draußen war es still. Es schien fast, als würden selbst die Wände nicht mehr wagen knarzen. Den Hammer fest in der rechten Hand, den Schild auf dem linken Arm hielt er noch kurz inne und sandte ein Stoßgebet an Celestus, bevor er mit einem heftigen Nicken das Visier seines Helmes herunterschnellen ließ und dann durch die Tür trat.
Die Türen zu den Zimmern der Dunkelelfen standen halb oder ganz offen. Da ein Großteil ihrer Utensilien noch darin lagen, aber die Betten reichlich zerwühlt waren, folgerte Joro, daß auch sie spontan aufgewacht sein mußten, nur um schnell aus dem Bett zu springen und, naja, wohin waren sie gelaufen?
Er sprintete in wachsender Sorge die Treppen herunter, wahllos in Türen spähend, an denen er vorbei kam. Überall das selbe Bild, als sei eine Art Großalarm gegeben worden.
Am Ende eines Ganges des Stockwerks, das er für das Erdgeschoß hielt, stand eine Doppelflügeltür offen.
Sie führte in das Speisezimmer, das erstaunlich sauber war, wenn er das jetzige Bild mit den letzten paar Erinnerungen seiner selbst verglich. Er durchschritt es und kam in den Thronsaal.
Zu seiner Überraschung war dieser aber nicht leer.
Auf den Thron, umringt von einer Menge anderer Duergarfrauen, alle in schwere Leder- oder sogar Kettenrüstungen gekleidet, saß Myellin auf dem Thron und bohrte gelangweilt in der Nase. Als sie Joro eintreten sah, wies sie nur mit der anderen Hand auf den gegenüberliegenden Eingang des Saales.
�Die hauen sich da draußen, keine Ahnung warum jetzt schon wieder��
Joro fragte nicht noch einmal nach, sondern hastete nur in die angewiesene Richtung.
Der Weg aus dem Palast und aus der Höhle war leicht zu finden. Der Lärm in der Ferne nahm mit jeden Schritt zu und er konnte zunehmend den Geruch von brennendem Holz wahrnehmen. Zwei Duergar, in massige Stahlpanzer gehüllt stellten sich ihm in den Weg.
�Der König hat eindeutige Order gegeben, Mensch. Bis hierhin und nicht weiter!�
Joros Bewußtsein füllte sich mit einem gewaltigen Zorn. Alystin war mit Sicherheit da draußen. Ghaundar und Omareth auch. Er würde sie nicht allein lassen.
�Hinfort!� Zu seiner Überraschung klang seine Stimme ungewöhnlich laut und hallte gewaltig nach. Die beiden Zwerge wurden wie von einer unsichtbaren Macht aus dem Weg gedrückt und Joro schritt durch die beiden verdutzt gegen die Kräfte, die sie zurückhielten, ankämpfenden Krieger und griff seinen Hammer so fest, daß seine Knöchel unter den Panzerhandschuhen weiß wurden.

Am Fuß der Rampe, die in die Höhle heraufführte, erwartete ihn ein furchtbarer Anblick
Im Lichte der aufgehenden Morgensonne hatten drei Luftschiffe der Legion offenbar versucht, auf den Befestigungen der Duergar zu landen, was die Zwerge wohl zu verhindern gewußt hatten, die Mauern waren gespickt mit Ballisten und noch einigen, viel abwegiger erscheinenden, dennoch offensichtlich ziemlich funktionablen Konstrukten jeglicher Art.
Über den Wracks der drei Schiffe kreisten mindestens ein Dutzend Lindwürmer, deren Reiter allerhand Gegenstände auf die unten Kämpfenden herabwarfen. In den Gräben und auf den Wehrgängen schlugen sich Zwerge und Hochelfen.
Ohne zu Zögern stürmte Joro auf das nächstgelegene Geplänkel zu und krachte wie ein schwarzer Metallblock in den ersten Legionär in seiner Reichtweite. Dabei versuchte er, sich schon einmal einen Überblick zu verschaffen, wie groß die Bedrohung war. Vor allem aber fragte er sich, wie sie um alles in der Welt überhaupt geschafft hatten, hier herzukommen.

Es war nicht die Zeit zum Nachdenken, es war die Zeit zum Kämpfen. Joro hatte schon in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, daß sich bei wirklich ernsten Kämpfen sein Geist abschaltete und sein Körper nur das tat, was nötig war, um am Leben zu bleiben. Omareth hatte in einer ihrer Trainingsstunden den �Geist des Kriegers� genannt. Er hatte gemeint, daß das der beste Zustand sei, wenn alle Gefühle und alles Überlegen fort war und nur noch das Handeln das Bewußtsein erfüllte.
Es fiel im allerdings auch nicht gerade schwer, in der massiven, schwarzen Metallschale, das Gesicht hinter der Maske des Celestus verborgen, ein Gefühl der Sicherheit und irgendwie auch Distanz zu der Welt um ihn herum zu haben. Dabei verlor er aber nicht seinen Sinn für die Gefahr, die ihm dabei drohte.
Omareths Lektionen zahlten sich aus. Es war zwar offensichtlich, daß er noch viel lernen mußte, da ihn immer wieder Schläge der gut trainierten Legionäre trafen, aber die Rüstung glich das glücklicherweise aus. Joro war sich trotzdem bewußt, daß jeder dieser Schläge theoretisch sein Ende hätte sein können. Außerdem machte ihn die Rüstung ja nicht unverwundbar, daher mußte er sich so oder so vorsehen.

Er brauchte nicht lange, um trotz des Getümmels im immer stärker werdenden Sonnenlicht auszumachen, wo seine Begleiter waren.
Ghaundar hatte nahe der Bergwand Stellung bezogen und beharkte mit einer Armbrust, die er sich von den Zwergen besorgt haben mußte, die fliegenden Feinde.
Omareth und Alystin standen zusammen mit einer Reihe außergewöhnlich stark gepanzerter Duergar an vorderster Front und hielten die Hauptmacht der Hochelfen ab. Deren Masse war, trotz der abschossenen Luftschiffe beträchtlich und sie versuchten mit aller Macht, in den zweiten der insgesamt drei Belagerungsringe einzudringen.
Joro entging nicht, daß die Duergar sich bemühten, im den Weg freizumachen, als er zielstrebig auf die zentrale Gruppe zuging. Es entging ihm auch nicht, daß sie dabei geradezu peinlich darauf achteten, ihn nicht zu berühren.
Er kam an. Von Weitem hatte es nur wie ein kleines Hin- und Her ausgesehen, aber aus der Nähe zeigte sich schnell, daß sich in dem kleinen Tordurchgang die Leichen stapelten. Zu seiner völligen Überraschung stand Balthasar ganz vorne, auf einem beachtlich großen Haufen toter Hochelfen und schrie in einem Fort Schmähungen in ihre Richtung. Dabei schlug er sich immer wieder mit der breiten Seite seiner Streitaxt gegen die Brust.
Anfliegende Pfeile wurden von einem unsichtbaren Schild abgelenkt, Joro konnte sehen, daß zwei Kleriker , beide knapp hinter den Torpfosten versteckt, kontinuierlich Zauber auf ihn wirkten.
Wann immer ein Hochelf ihm zu nahe kam, holte der Zwergenkönig mit einer unglaublichen Geschwindigkeit aus und hieb zu. Der Effekt war, daß der Angreifer entweder zurückgeschleudert wurde, oder einfach tot zusammenbrach. Das erklärte wohl auch, wie der Haufen entstanden war. Er konnte allerdings auch sehen, daß die nette Vorstellung, die Balthasar da gab, nicht mehr sehr lange weitergehen konnte, die beiden Kleriker hatte knallrote Köpfe und schwitzten beträchtlich.
Joro wartete nicht, bis er bemerkt wurde, sondern lief stattdessen herüber zu einer der schmalen Treppen, die nach oben führten und erklomm sie.
Hinter ihm erscholl Alystins Stimme.
�Was machst du hier draußen?�
Joro ignorierte sie, stieg die Treppe ganz herauf und drehte sich dann zu ihr um.
�Es ist mir egal, welche Gründe ihr hattet, mich nicht zu wecken, aber glaub ja nicht, daß ihr mich davon abhalten könnt, euch zu helfen.�
Er blickte über den Platz hinter den Zinnen und hob in letzter Sekunde seinen Schild, der einen anfliegenden Pfeil ablenkte.
Alystin war die Treppe ebenfalls hochgestiegen und hockte sich hinter einer Zinne auf den Boden. Sie nahm ein Stück Stoff aus einer der Taschen an ihrem Gürtel und band es sich um den linken Knöchel.
�Bist du verletzt?� Joros Stimme wurde sehr besorgt und er beugte sich zu ihr herunter.
�Es geht schon, ich habe mich an dem Schwert einer herumliegenden Leiche ein bißchen angeritzt.� Sie zog den Knoten fest und schaute dann zu ihm hoch. �Kannst du dir vorstellen, daß wir nur nicht wollten, daß dir etwas geschieht? Du bist noch lange nicht soweit, in einem solchen Kampf mitzuwirken.�
�Wäre es nicht besser gewesen, mir genau das zu sagen?�
�Hättest du zugehört?�
�Das schon, aber ich hätte natürlich trotzdem darauf bestanden, mitzukommen.�
�Siehst du� Genau deshalb haben wir dich lieber noch schlafen lassen, damit wir einen Vorsprung haben. Nach der bösen Sauferei war ich mir auch nicht sicher, ob du überhaupt aufstehen kannst��
Sie hatte nicht ganz unrecht.
Joro hatte sich wieder aufgerichtet und lugte zwischen Schild und Zinne hindurch.
Von unten hatten die Hochelfen wesentlich zahlreicher gewirkt als von hier oben.
�Warum ziehen die sich nicht zurück?�
Alystin stand wieder auf, hielt sich allerdings peinlich genau hinter der Zinne versteckt.
�Das habe ich mich auch schon gefragt. Omareth meinte vorhin, daß die noch etwas vorhaben. Vielleicht spielen sie auf Zeit, bis eine Nachhut eintrifft oder etwas in der Art.�
Joro rückte seinen Schild so hin, daß sie auch etwas sehen konnte, was sie zu einem kurzen Lächeln und einem gehauchten �Dankeschön�, gefolgt von einem kleinen Augenklimpern begleitet wurde.
Der junge Mann mußte sich zwingen, nicht zu lachen, aber es fühlte sich trotz des Kitsches gut an.
�Jetzt sagt mir nicht, daß ihr hier oben zusammenhockt und ein Schäferstündchen haltet�, Omareth, mit einer stark blutenden Schramme auf der Stirn, kam die Treppe hoch, die Axt auf der Schulter.
�Gib mir mal was zum Abwischen, mir läuft schon wieder die Suppe in die Augen!�
Alystin reichte ihm wortlos ein Stück Stoff aus der selben Tasche.
�Warum machen wir keinen Ausfall, die sind doch höchstens noch Hundert..?� fragte Joro.
�Frag nicht mich, frag Herrn �Wie-hoch-kann-man-Hochelfen-stapeln� da unten�, Omareth spuckte aus, �und sag mir mal, in welchen Größenordnungen denkst du eigentlich?�
�Was meinst du?�
�Nur hundert?�
Joro wurde rot.
�Naja, wir sind ihnen überlegen oder?�
Omareth entgegnete nichts, sondern spähte nur über den Rand der Zinnen, duckte sich aber schnell wieder, ein Pfeil verfehlte ihn nur knapp.
�Hm, Alystin, hast du eine Ahnung, was die sechs da drüben machen?�
Alystin reckte sich und spähte in die Richtung, die er angedeutet hatte, Joro ebenfalls.
Die Priesterin schaute sehr besorgt und meinte:
�Die bereiten etwas Großes vor. Ich tippe auf ein Portal oder eine Mondbrücke oder vielleicht eine Beschwörung?�
Omareth verzog das Gesicht.
�Wollen wir das wirklich herausfinden?�
Joro und Alystin schüttelten gleichzeitig den Kopf.
Der Drow tupfte sich noch einmal das Blut von der Stirn und sprang dann von der Mauer.
�Er redet mit Balthasar, nicht war?�
Sie nickte und Joro schaute sich um, um zu sehen, was Ghaundar wohl gerade tat.
Der Assassine war immernoch damit beschäftigt, auf die Lindwürmer zu schießen, hatte allerdings in der Zwischenzeit Hilfe bekommen. Drei Duergar standen ganz in seiner Nähe an einer Balliste und arbeiteten mit ihm zusammen. Ghaundar gab ein Kommando, die Zwerge schossen und er kurz darauf auch.
Dieses Mal wich der Reiter dem Bolzen der Ballista aus, wurde aber von Ghaundars Bolzen in den Kopf getroffen und der Lindwurm trudelte führerlos erst ein kleines Stück durch die Luft, nur um kurze Zeit später davonzuschwingen, als sei er befreit worden.
Diese Taktik mußte recht erfolgreich gewesen sein, denn es waren nur noch drei Lindwürmer über.
Joro wurde an der Hüfte gepackt und herumgerissen, wobei er fast zu Boden fiel. Vor ihm stand nun Balthasar, in Begleitung von Omareth.
�Was machst du hier draußen, Junge?�
�Das selbe wie du, nur daß ihr mich alle nicht laßt.�
�Soso�, der König grunzte und schaute über die Zinne, �Ihr meint die sechs da hinten, Herr Omareth?�
�Richtig, es ist denkbar, daß uns das, was sie dort drüben tun, nicht gefallen wird, wenn sie fertig sind.�
�Dann sollten wir zusehen, daß sie damit aufhören. Wir machen einen Ausfall�, er wandte sich Joro zu, �Und du bleibst hier und siehst zu, daß die Rüstung keine Kratzer bekommt.�
Joro sah ihm mit einem kalten Blick in die Augen.
�Ich bin keiner deiner Untertanen, König Balthasar. Ich werde tun, was ich für richtig halte, und nicht das, was du mir befiehlst.�
Der Duergar kniff seine roten Augen zusammen, starrte ihn kurz an, drehte sich dann aber um und stapfte die Treppe von der Mauer herunter.
Omareth rümpfte die Nase.
�Du hast vielleicht im Saufen gegen ihn mithalten können, aber es ist eine reichlich schlechte Idee, einen König auf seinem eigenen Grund und Boden und in so einer Situation herauszufordern.�
�Wenn du glaubst, daß ich euch einfach so da herausstürmen lasse, dann hast du dich geschnitten.�
�Manchmal muß man diplomatisch sein, Joro.�
�Nicht, wenn es um Leben und Tod geht und der Kampf bereits tobt.�
�Das sollten wir ein anderes Mal weiterdiskutieren, ich glaube es geht gleich los.�
Joro blickte wieder zwischen Schild und Zinne hindurch.
Die Hochelfen hatten bemerkt, daß sich innerhalb des Walles etwas tat. Sie zogen sich zurück und formierten sich um die Sechs herum, die im Kreis standen und dort damit beschäftigt waren, Zeichen auf den Boden zu malen und dabei mit gesenkten Köpfen vor sich hinzumurmeln oder zu singen.
�Was machen die da?� fragte Joro seinen Gott.
�Die bereiten eine Beschwörung vor.� Celestus hörte sich irgendwie besorgt an.
�Etwas gefährliches?�
�Darauf kannst du dich verlassen.�
�Dann müssen wir sie davon abhalten.�
�Beeil� dich. Sie werden nicht mehr sehr lange brauchen.�
Joro klappte sein Visier herunter, das er vorher zum Reden hochgeklappt hatte und nahm den Schild wieder auf den Arm.
Alystin und Omareth sahen ihn fragend an.
�Celestus sagt wir sollen uns beeilen, oder hier passiert ein Unglück.�
Die beiden griffen wortlos nach ihren Waffen und gingen vor Joro von der Mauer herunter.
�Das war nicht ganz das, was ich gesagt habe, Joro�, meinte der Gott.
�War es anders gemeint?�
�Öh, nein.�
Er ging ebenfalls die Treppe herunter.

Unten vor dem Tor hatten sich die Duergar versammelt und bildeten eine Formation. Von einem Ring von zwei Reihen umgeben hatten die Kleriker ihren Platz in der Mitte eingenommen. Zwei der insgesamt drei waren die beiden, die kurz zuvor ihren dicken König im Tor geheilt hatten. Die beiden Männer waren total verschwitzt und hatten beide eingefallene Augen. Balthasar stand in der ersten Reihe und hatte sich einen klobigen Adamantithelm aufgesetzt, der im Schein der aufgehenden Morgensonne rötlich glänzte. Als er Joro die Treppe herunterkommen sah, schaute er wiederum grimmig drein.
�Du bestehst also darauf, was?�
�In der Tat.�
Der König deutete den beiden erschöpften Klerikern, ihre Plätze zu räumen.
�Dann werden du und deine Drowfreundin dort helfen, daß wir nicht alle sofort ins Gras beißen.�
Wortlos trat Joro durch den schmalen Spalt in der Schlachtreihe der Duergar und stellte sich in die Mitte. Dabei kam er sich mit seinen durch den Helm annähernd zwei Schritten Körpergröße reichlich albern vor, weil die gesammelten Zwerge um ihn herum alle nicht einmal ganz zur Brust reichten. Naja, immerhin war der Schild groß genug, um ihn vor Pfeilen zu schützen.
Alystin stellte sich neben ihn und machte ein paar Gesten. Für einen kleinen Moment konnte eine dünne, violette Wand in der Luft aufwabern sehen, dann war diese wieder verschwunden.
Omareth bezog direkt neben Balthasar Position und griff seine Axt mit beiden Händen.
Der Zwerg musterte ihn kurz, grinste dann aber bösartig in seine Richtung und hob seine eigenen Äxte.
�AAAAAAANGRIIIIIIFF!!!!�

Der Ring der Duergar preßte sich durch das Tor, wobei Joro einige Male ziemlich hart angestoßen wurde. Kurz dahinter nahmen sie, einem Uhrwerk gleich, wieder ihre Positionen ein und marschierten im Laufschritt - Joro mußte nur schnell gehen - auf die Hochelfen zu. Diese hatten nur gewartet.
Eine Welle von magischen Entladungen und natürlich von Pfeilen und Wurflanzen prasselte auf sie nieder. Als Joro wieder hinter seinem Schild hervorlugte, sah er, daß einige der Zwerge gefallen waren Balthasar zog sich gerade einen Pfeil aus der linken Schulter, grunzte laut und warf diesen zu Boden. Joro wollte die Hand in seine Richtung ausstrecken, aber Alystin hatte bereits begonnen ein Lied zu singen, daß bei den sie umgebenden Zwergen die Wunden verschloß.
Omareth seinerseits hob seine Axt , fixierte die vordersten Hochelfen und senkte dann abrupt den Arm.
Eine riesige Halbkugel aus purer Finsternis senkte sich über einen Großteil der Legionäre.
�Das wird nicht lange halten, Balthasar!�
Der Duergar machte ein grimmiges Gesicht.
�Wenn du so kurze Beine hättest wie ich, wüßtest du, daß ich bereits so schnell laufe, wie ich kann.�
Die Formation schloß sich an den Stellen wo sie Verluste hatte hinnehmen müssen wieder, ohne daß die Duergar dabei ihr Tempo verringerten.
Noch aus den Augenwinkeln sah Joro, wie sich aus den Körpern der frisch gefallenen Duergar graue Schemen erhoben. Er wußte, was das zu bedeuten hatte und er würde nicht zögern, im Falle der Notwendigkeit davon Gebrauch zu machen.

Just in dem Moment, in dem die vordersten Duergar die Legion erreichten, fuhr ein Sonnenstrahl vom Himmel und zerschlug die dunkle Kugel.
So nah am Feind bekam es Joro doch ein wenig mit der Angst zu tun. Die Duergar mochten zwar mit etwa vierzig Mann nicht gerade wenig sein, aber die Hochelfen hatten mehr als doppelt so viele. Und in ihren Augen konnte man ein Feuer brennen sehen, das zeigte, daß sie unter allen Umständen bis zum Tode kämpfen würden.
Aber es fiel ihm etwas ein, das ihm sein Großvater gesagt hatte. Eines Tages hatte er ihn auf den Schoß genommen, nachdem Joro einen schlimmen Alptraum gehabt hatte, und meinte:
�Die Angst ist ein wertvoller Verbündeter. Sie macht dich vorsichtig. Aber du mußt immer die Herrschaft über sie behalten, sonst wird sie dich lähmen und dir schaden.�
Also faßte er sich ein Herz. Immerhin stand er in einem Ring aus kleinen, quadratischen Stahlklötzen mit ziemlich scharfen Äxten.
Und vor allem: Alystin war da und stand direkt neben ihm.
Vorne, nicht einmal fünf Schritte von ihm entfernt schlug sich die erste Reihe der Duergar langsam aber sicher durch die Legionäre. Joro hatte alle Mühe damit, anfliegende Objekte abzuwehren, aber er bewegte sich gezielt vorwärts und verteilte auf Legionäre, die durch die Linie brachen vernichtende Schläge. Dabei kam es immer wieder vor, daß sein Hammer beim Aufprall eine Art eisige Explosion erzeugte, die daraufhin die Leiche des Getroffenen beim Aufschlagen auf den Boden zerspringen ließ.
Während er immer wieder zuhieb, kam ihm der Gedanke, daß es doch viel mehr Duergar waren als nur die paar, die hier den Ring bildeten. Wo waren die anderen?
Die Frage wurde kurze Zeit später beantwortet, als um die linke und rechte Seite des Walles jeweils eine weitere solche Ringformation gestapft kamen.

Balthasar, der sich mit drei Elfen gleichzeitig angelegt hatte brüllte, ohne hinzusehen:
�Na endlich Torkum, habt ihr noch gesoffen oder wo bleibt ihr??�
�Wieso, seid Ihr einsam, mein König?�
�Mach keine bekloppten Witze, sondern hilf uns hier!�
Einer der Legionäre, mit denen der kleine dicke Duergar kämpfte lachte laut.
�Euch wird schon in Kürze niemand mehr helfen können.�
Omareths schwere Streitaxt schlug in sein Gesicht ein.
�Keine Witze über kleine Leute�, meinte der Drow nüchtern.
Die beiden anderen Ringe kamen auch näher und flankierten die Hochelfen.
Langsam aber sicher wurde die Legion zusammengedrückt und sie näherten sich dem Kreis.
Mit den sich ausdünnenden Reihen der Feinde konnte Joro auch die Sechs, die dort zeichneten und Formeln vor sich hinsagten auch wieder besser erkennen. Sie schienen in der Tat fast fertig zu sein. Auf dem Boden war ein komplexes Muster aus Runen und Kreisen gemalt und die Magier standen nun im Kreis und begannen damit, Energie in die Mitte zu fokussieren, die Linien auf der Erde fingen nach und nach an zu leuchten.
Hinter Joro sprang Ghaundar kurzerhand über die Duergarreihen.
�Du hier? Was verschafft uns denn die Ehre?�
�Schön, daß du dich freust mich zu sehen. Hat noch etwas gedauert mit den Lindwürmern, aber die sind wir auch los. Deshalb kam die Verstärkung auch ein bißchen später.�
�Siehst du die da drüben?�
Der Drow schielte über Joros Schulter hinweg zum Beschwörungskreis und runzelte die Stirn.
�Das gibt Ärger��
�Ja ach, was meinst du denn was wir hier gerade machen?�
Ghaundar machte noch kurz ein paar nachäffende Fratzen, mußte dann aber einem Pfeil ausweichen.
Balthasar und Omareth hatten eine Bresche in die Legionäre geschlagen und Ghaundar seinerseits nahm Anlauf, um, einen Duergar als Trittbrett benutzend, durch die Lücke in den Kreis zu springen, in dem die sechs Magier damit beschäftigt waren, ihr Ritual auszuführen. Schon im Landen bemühte er sich, die auf den Boden gezeichneten Symbole mit schleifenden Schritten zu verwischen, dann nahm er sich den ersten Magier vor.
Die beiden anderen Duergarformationen bedrängten die Hochelfen ihrerseits und so entstand in den Reihen der Legionäre zunehmend Panik. Als der erste Magier durch Ghaundars Dolche sein Leben aushauchte und die Energie in der Mitte des Kreises zunächst flackerte und dann erlosch, brach ihre Moral endgültig zusammen.
Was folgte war ein furchtbares Gemetzel, das nur noch wenige Augenblicke dauerte.

Das Feld war von Blut und Leichen getränkt, alle Kämpfer waren so erschöpft, daß die meisten sich nur noch hinter die Mauer schleppten und dort erst einmal keuchend zusammenbrachen. Aus den Augenwinkeln hatte Joro gesehen, wie die Duergar, kurz bevor sie sich zum Ausruhen zurückgezogen hatten ein jeder die Leichen der sie umgebenden Gegner schnell durchsucht und alle Wertgegenstände, die sie finden konnten an sich gebracht hatten. Irgendwie fand er das anrüchig, aber er hatte weder die Kraft noch den Willen dazu, dies zu kommentieren.
Die drei Drow und er saßen auf dem Rand der Mauer und ließen die Füße herunterbaumeln. Die Plattenstiefel, die Nuktus Rüstung hatte, waren zwar relativ bequem, aber wenn man eine ganze Weile mit einem dicken Metallpanzer über den Knöcheln lief, rieb es eben doch irgendwann an den Knochen. Das Problem hatte Joro auch jeden Morgen während seiner Trainingsrunden immer gehabt. Aber nach mehreren Tagen des Marsches durch die Berge und einem Kampf obendrein� Es hinterließ Spuren.

Balthasar kam unten an der Mauer entlang, hielt an und stützte sich mit dem Kinn auf den Schaft seiner Streitaxt, die er auf den Boden vor sich gestellt hatte.
�Eine beeindruckende Leistung, junger Priester. Von deinen Dunkelelfenbegleitern hätte ich so oder so nichts anderes erwartet, aber allein die Tatsache, daß du nicht draufgegangen bist zeigt mir, daß du doch fähiger bist, als ich gedacht hatte. Oder daß dein Gott mit dir eine Lebensaufgabe angenommen hat.�
Joro reckte das Kinn vor.
�Oder beides?�
Der König verzog seinen linken Mundwinkel zu einem wohlwollenden Grinsen und nickte.
�Oder beides.�
Er drehte sich um und schaute einmal in die Runde. Dann seufzte er ziemlich demonstrativ und stütze sich wieder auf seine Axt. Er sah die vier sehr lange an.
�Wißt ihr, bis gestern hätte ich nicht erwartet, daß ich das jemals sagen würde, aber ich glaube ihr habt recht.�
�Ach��, meinte Omareth spöttisch.
�Kein Grund zynisch zu werden, Herr Omareth. Und unabhängig von der Frage warum sie ausgerechnet hierher, mitten in die Einöde gekommen sind, muß ich mir als König meines Clans jetzt die Frage stellen, ob wir hier überhaupt sicher sind.�
Omareth zog seine Pfeife aus seinem Wams und stopfte sie. Dabei machte er eine überlegende Miene.
�Die Sorge um eure Sicherheit in Ehren, aber das Erstere habe ich mich auch schon gefragt. Es schien fast so, als seien die uns gefolgt.�
Joro spürte einen eisigen Schauer über seinen Rücken laufen. Wenn die Legion auch nur einen einzigen Grund hätte, ihnen zu folgen, außer natürlich Rache für ihre toten Soldaten, dann mußte es irgendwie mit ihm zusammenhängen. Mit ihm als Person vielleicht sogar weniger, aber mit der Rüstung und der Waffe die er beide trug schon fast mir Sicherheit.
Er wandte sich an Balthasar.
�König Balthasar?�
�Hm?�
�Ist es möglich, daß es einen Weg gibt, diese Rüstung irgendwie aufzuspüren?�
Der dicke Zwerg sah ihn mißtrauisch an.
�Was meinst du damit?�
�Nun, in Anbetracht der Tatsache, was diese Rüstung für den Propheten bedeutet, wäre damit ein Grund vorhanden, sie unter allen Umständen in seinen Besitz bekommen zu wollen. Außerdem kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß sie durch Zufall hier her kamen.�
Balthasar fuhr sich mehrere Male durch den Bart.
�Von Magie verstehe ich nur soviel, wie ein Runenschmied wissen muß.� Er sah hilfesuchend zu Alystin herüber.
Diese verband sich schon seit längerem den linken Arm, an dem sie ein Pfeil gestreift hatte. Als Omareth sie anstubste hielt sie inne.
�Oh, Verzeihung�Also wenn ihr mich fragt müßten sie, um die Rüstung oder den Hammer aufspüren zu können einen Zauber oder eine Markierung auf sie gelegt haben. Anders könnte ich mir das kaum vorstellen�, sie sah zu Joro, �oder auf Joro selbst.�
Dieser zuckte zusammen, als ihn alle vier anderen zeitgleich ansahen.
�I�ich��
Ghaundar sah ihn prüfend an.
�Wenn das so wäre, wann hätten sie dazu Zeit gehabt?�
�Als er diese Lederrolle auf dem Markt zertrümmert hat vielleicht?�, fragte Omareth.
�Das glaube ich nicht�, erwiderte Alystin, �das Magische in der Rolle war ein Pirscher, der uns mit Sicherheit ausspionieren und dann töten sollte. Aber hatte uns Celestus nicht gesagt, daß der Vorfahre des Propheten Nuktu endgültig besiegt und dann in sein Grab verbannt hat? Vielleicht hat er ja etwas hinterlassen, das es ihnen ermöglicht die Rüstung zu finden, egal wo sie ist.�
�Das wäre nicht sehr erfreulich. Damit hätten wir quasi den Standort der Enklave kompromittiert.� Omareths Gesicht verfinsterte sich.
Balthasar reckte sich und schulterte seine Axt.
�Da hilft nur eins. Joro, du kommst mit, wir gehen in meine Schmiede.�
Der Priester wandte sich noch einmal an die Stimme in seinem Kopf.
�Hast du uns eigentlich jetzt geholfen bei dem Beschörungskreis oder hatten wir nur Glück?�
�Wer weiß das schon��, kicherte der Gott.


Kapitel 15

Nachdem Joro darauf bestanden hatte, zunächst die Hochelfen alle zu begraben, sich Balthasar aber geweigert hatte, sie unter den Boden seiner Festung zu bringen � Joro nahm an, daß es mit Aberglauben zu tun hatte � einigte man sich darauf, sie alle zu verbrennen. Also hatte der Priester noch gewartet, bis ein riesiger Scheiterhaufen fertig gemacht und die Leichen darauf gelegt worden waren. Erst als er den Segen gesprochen hatte, folgte er dem König in die Hallen.

Eigentlich hätte sich der Totengräber ja lieber ausgeruht, aber die Sorge, vielleicht ein verräterisches Etwas an seinem Leib zu tragen, gab ihm die Kraft, dem dicken Duergar zu folgen. Omareth, Ghaundar und Alystin gingen ihrerseits in ihre Zimmer, Balthasar bestand darauf, nur Joro mitzunehmen. Omareth hatte hinter dem Rücken des Königs noch mit Gesten darauf hingewiesen, daß dies eine große Ehre sei, da Duergarrunenschmiede nicht einmal ihre eigenen Verwandten in ihren Arbeitsräumen duldeten. Joro selbst nahm allerdings an, daß es sich vielmehr um eine Notwendigkeit in aller Augen handelte und nicht um eine tatsächliche Ehrenerweisung und Balthasar einfach nur so wenig Leute in seinen heiligen Hallen haben wollte, wie irgend möglich.

Sie umrundeten dieses Mal den Palast und bewegten sich durch mehrere kleinere Tunnel am anderen Ende der Höhle, bis sie vor einem großen Tor aus Bronze standen, auf dem neben vielen Darstellungen des Gottes Moradin, der als Schöpfer der Zwerge galt, auch eine Unmenge an Runen eingemeißelt waren. Der König erklärte knapp, daß die meisten Schutzzeichen waren und Joro sich umzudrehen habe, während er das Tor öffnete. Noch im Umdrehen sah er, wie sich Balthasar unsichtbar machte.
Dann erscholl ein lautes Knirschen und Mahlen und hinter ihm sagte der Duergar �Umdrehen, reinkommen!�
Der Raum war wesentlich kleiner, als Joro es sich vorgestellt hätte. Die Höhle war nur grob aus dem Stein gehauen, rechteckig vom Grundriß und die Decke nur etwa eine Armeslänge über ihm. Neben einer Schmelze, einer Esse und mehreren Ambossen in der Mitte, standen an den Seitenwänden diverse Werkbänke. An den Wänden selbst hingen Unmengen an Zangen, Feilen und Hämmern an grob gehämmerten Eisenhaken. Genaugenommen wirkte dieser Raum übehaupt nicht mythisch oder von Magie durchzogen, eher erinnerte er ihn an die Werkstatt des Hufschmiedes in seinem Heimatdorf.
Der König musterte ihn.
�Also als Erstes solltest du schon einmal die Rüstung ausziehen, ich schaue mir derweil einmal den Hammer und den Schild an.�
Joro kämpfte sich mühsam aus den verschiedenen Lagen der Kriegsrobe, wobei er trotzdem zusah, wie der Duergar an dem Hammer herumhantierte. Erstaunlicherweise befaßte dieser sogar den Hammerkopf, ohne dabei Handschuhe anzuziehen, die Kälte schien ihm nichts auszumachen.
�Tut das nicht weh?�
�Ich habe diesen Hammer selbst geschmiedet, Jungchen. Glaubst du nicht, daß ich ihn auch unter Kontrolle habe, wenn ich ihn anfasse?�
�Oh, das konnte ich nicht wissen��
Balthasar schnaubte spöttisch und machte sich wieder ans Werk. Nach einer Weile widmete er sich dem Schild, taste ihn ab, wobei er konstant vor sich hin murmelte. Dann legte er auch diesen fort und seufzte.
�Nichts. Gib mir die Brustplatte.�
Es dauerte eine ganze Weile, bis der König die ganze Rüstung bis auf das kleinste Scharnier durchsucht hatte. Er grunzte und ließ sich auf einen Schemel fallen.
�Gar nichts. Absolut gar nichts. Die Idee war ja nicht schlecht, aber ich fürchte, daß wir auf dem Holzweg sind.�
Er pulte sich nachdenklich in der Nase.
�Es sei denn��
Balthasar sprang von dem Schemel und griff sich den Helm. Dann ging er zur Esse herüber und zog an einer der Ketten, die am oberen Ende des Rauchabzuges lagen. Joro fiel auf, daß von der Esse ein Rohr in die Decke der Höhle ging und fragte sich instinktiv neugierig, wo wohl der Rauch hinging.
Eine zweite Kette wurde gezogen und plötzlich flackerte in der Esse ein mattblaues Feuer auf. Der Dunkelzwerg legte den Helm in die zuckenden Flammen und wartete. Nach einiger Zeit begann das Metall ebenfalls in leicht bläulichem Licht zu glänzen.
Balthasar schlufte herüber zu einer der Wände und nahm eine große Zange von einem der Haken, dann ging er wieder zum Helm und holte ihn aus der Esse.
Vorsichtig legte er ihn auf einem der Ambosse ab und nahm einen recht kleinen Hammer, womit er nun vorsichtig auf vereinzelte Stellen auf der Oberseite der Kopfbedeckung sanft einklopfte.
Joro schaute ihm atemlos zu und wagte nicht, irgendetwas zu sagen. Der sonst irgendwie schlampig wirkende König schien außergewöhnlich konzentriert und wahnsinnig präzise zu arbeiten. Dieser Kontrast faszinierte ihn und zeigte ihm eine Seite an Balthasar, die er nicht erwartet hatte.
Zunächst schien es keinen nennenswerten Effekt zu haben, doch plötzlich hielt der Duergar inne und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf eine der Sichelverzierungen des Kronenrandes am Helm. Vorsichtig schlug er ein paar Male darauf ein. Dann reckte er sich.
�Aha!�
Zwei wuchtige Schläge und mit einem metallischen Knall sprang die etwa daumenlange Verzierung vom Rand des Helmes. Balthasar nahm auf und drehte sie einige Male in den Händen.
�Da haben wir den Übeltäter. Das hätte mir auch schon viel früher auffallen können.�
�Woran hast du es erkannt?�
�Die Sichel war verformt. Aber da man Adamantit nur verbiegen kann, wenn man� Naja, ich will dich nicht mit metallurgischen Fakten langweilen. Also die Sichel ist verbogen worden. Aber nicht durch einen Schlag, sonst wäre sie schief oder irgendwie umgeknickt gewesen. Diese hier ist allerdings plattgedrückt. Und das schafft man nur indem man entweder starke Magie darauf einwirken läßt oder einen halben Berg daraufstellt. Das mit dem Berg halte ich generell für schwieriger.�
�Und was machen wir jetzt damit?�
Der König warf das kleine Metallstück wortlos in die Esse, wo es bereits nach Augenblicken begann, Funken zu sprühen und ein lautes Zischen und Kreischen von sich zu geben.
�Kann ich die Rüstung wieder anziehen?�
Balthasar zögerte erst, nickte dann aber.
�Laß mich noch schnell den Helm wieder abkühlen.�
Die Kopfbedeckung verschwand im Wasserbad und erzeugte einigen Wasserdampf. Joro zog unterdessen wieder die ersten Kettenteile über die wattierte Unterkleidung.
Als er fertig war nahm er von Balthasar den Helm entgegen und schaute ihn sich nachdenklich an.
�Die fehlende Sichel wird mich in der Zukunft daran erinnern, vorsichtiger zu sein.�
Der Duergar nickte.
�Eine gute Idee.�
Joro setzte den Helm wieder auf, der allerdings immernoch reichlich warm war, wie er feststellte.
�Balthasar?�
�Ja?�
�Wirst du uns helfen?�
Der König rotzte auf den Boden und sein Gesicht verzog sich zu einer stark genervten Fratze.
�Jetzt, wo sie wissen, daß ihr hier wart, haben wir sowieso keine Ruhe mehr hier. Auch eine Methode, Allierte zu finden��
�Du weißt genau, daß das nicht unsere Absicht war.�
�Absicht oder nicht, es ist, wie es ist.�
�Und wie lautet deine Antwort?�
�Wir beide gehen jetzt erstmal in den Speisesaal und trinken ein Bier zusammen, dann reden wir weiter darüber.�

Wieder im Palast angekommen, zog sich Joro erst einmal seine Rüstung aus und warf seine Robe über. Er hatte mit Balthasar verabredet, sich danach unten im Saal zu treffen. Er wusch sich noch schnell ein bißchen das Gesicht und wollte gerade gehen, als die Tür kurz aufging und Alystin hereinhuschte. Sie schien geschlafen zu haben, ihre Haare hingen ziemlich wirr aus dem sonst so ordentlichen Dutt herunter und ihre Augen wirkten ziemlich müde.
�Wohin gehst du?�
�Zu Balthasar, ich muß noch einmal mit ihm reden.�
�Oh� Habt ihr etwas gefunden?�
�Ja, schau dir den Helm an�, er hob ihn auf reichte ihn ihr, �die Sichel die hier oben am Rand saß hatte wohl eine Verzauberung auf sich, die es ihnen ermöglichte, mich aufzuspüren. Oder genaugenommen die Rüstung.�
Sie schaute kurz auf die Stelle wo die Sichel gewesen war und sah ihn dann wieder an.
�Und worüber willst du mit Balthasar reden?�
�Ich glaube, daß ich ihn fast soweit habe, sich uns anzuschließen. Vielleicht gelingt es mir, ihn dazu zu bringen.�
Für einen Moment wollte sie ihm anbieten mitzukommen, dann entschloß sie sich aber dagegen. Stattdessen gab sie ihm einen Kuß auf die Wange und sagte:
�Ich werde hier auf dich warten. Du wirst es mit Sicherheit gut machen.�
Joro nahm sie in den Arm, was sie überraschte, da er sonst immer sehr zurückhaltend ihr gegenüber war, und sagte leise: �Danke, ich hoffe du hast recht.�
Dann ging er aus dem Raum.

Im Speisesaal saß Balthasar, wieder in die speckige Alltagskleidung vom Tag ihrer Ankunft gekleidet, seine Krone vor sich auf der Tafel liegend, in seinem Sessel und hatte bereits einen Bierhumpen in der Hand.
Am Platz neben ihm war ebenfalls eingedeckt und er wies Joro an, sich hinzusetzen.
�Hast du Hunger, Junge?�
Die Frage stellte sich nicht. Nach der ganzen Anstrengung fühlte sich sein Magen an, als würde er in Kürze aus seinem Mund springen und ihn aus Zorn erwürgen.
Der König hatte das wohl schon an seinem Gesichtsausdruck erkannt.
�Na, dann lasse ich mal etwas Kleines auftragen. Myellin?!�
Die Tür ging auf und Myellin, der Koch und etwa zehn andere Duergar trugen riesige Platten mit Essen herein.
Joro kicherte.
�Was Kleines?�
Balthasar zuckte mit den Achseln.
�Man braucht eine Auswahl, oder nicht? Irgendeinen echten Vorteil muß das Königsein doch haben�, er kicherte.
Sie fraßen wie die Scheunendrescher. Erst als sie beide so satt waren, daß wirklich gar nichts mehr in sie hereingepaßt hätte, lehnten sie sich beide mit zufriedenem Gesichtsausdruck ihn ihren Sesseln zurück und Joro rülpste laut.
Balthasar kommentierte das mit einem bewußt noch lauteren und längeren Rülpser.
Der junge Mensch verzog das Gesicht.
�Das wird jetzt aber nicht schon wieder ein Duell, oder?�
Der König lachte.
�Nein, mir war nur danach. Freut mich zu sehen, daß du noch Manieren im Leibe hast, junger Mann. Und essen kannst du fast so viel, wie du saufen kannst. Man trifft heute kaum noch Leute mit solchen Qualitäten, schon gar nicht Menschen.�
�Das kann ich nicht beurteilen, als ich geboren wurde, warst du immerhin schon alt wie ein Stein.�
�Ein schmeichelhafter Vergleich, obgleich ich da eine gewisse Boshaftigkeit in deinen Worten wittere�, er grinste selbstgefällig, dann setzte er eine ernste Miene auf.
�Also du hast mich vorhin gefragt, ob wir euch helfen werden.�
�Richtig.�
�Dann sag mir doch einfach einmal, was du denkst, was wir zusammen tun könnten.�
�Zumindest erst einmal dafür sorgen, daß wir nicht alle von der Legion massakriert werden.�
Balthasar stieß Luft aus.
�Das könnte jetzt jeder sagen. Ich frage aber dich, was du für Vorstellungen hast.�
Joro überlegte. In den Tagen, in denen sie durch die Berge marschiert waren, hatte er sich durchaus einige Gedanken gemacht, was nun zu tun sei. Dabei war ihm eine Idee gekommen, die er nach und nach immer interessanter fand.
�Hast du etwas zu Zeichnen da?�
Der König sah ihn verwirrt an.
�Äh, wozu das?�
�Ich habe da eine Idee, aber ich müßte sie dir aufzeichnen und ich weiß außerdem nicht, ob sie realisierbar ist. Jetzt wo eure Festung hier nicht mehr viel wert ist, wäre das vielleicht sogar eine Alternative.�
�Wache!�
Einer der Metallwürfel am Halleneingang trat einen Schritt vor.
�Ja, mein König?�
�Besorg etwas Pergament und , äh, einen Kohlestift oder so etwas!�
�Jawohl, mein König!�
Der Wachsoldat stapfte klirrend aus dem Raum.
�Also, was ist das für eine Idee?�

Joro begann zu erzählen, wie Noth angegriffen worden war und wie sie die Reste der dort lebenden Menschen mit zu sich an den Eingang der Enklave gebracht hatten. Auch, daß diese nun in dem Bergwald vor dem Eingangsportal lagerten. Dabei wußte er nicht einmal, ob er damit gerade ein großes Geheimnis verraten hatte, aber da Balthasar nicht überrascht schien oder es sich zumindest nicht anmerken ließ, nahm er an, daß es in Ordnung war.
Bei näherem Überlegen war ihm jedoch etwas an der Beschaffenheit der Landschaft um diesen Wald aufgefallen.
Die Wache brachte einen großen Bogen Pergament und einige Kohlestifte und nahm dann hastig wieder ihren Platz ein.
Joro fertigte eine Skizze des Waldes und des Eingangs an. Ihm war auch aufgefallen, daß am Wald und darum herum der Berg eine Krümmung hatte. Daher war eigentlich nur der Weg nach unten offen, darum herum waren fast zwei Drittel eines Kreises von Berghängen umgeben.
Vor dem Wald selbst war der Durchgang zwischen den Bergwänden sogar reichlich schmal, vielleicht nur zweihundert oder maximal zweihundertundfünfzig Schritte.
Die Zeichnung weckte Balthasars Aufmerksamkeit.
�Du sagst also, das hier überall Bergwände sind?�, er deutete auf die Stellen, die als Halbkreis gezeichnet hatte.
�Ganz genau.�
�Aus welchem Stein?�
�Äh��
Der König stand auf und schlug mit einem der Hämmer, die zum Einschlagen der Spundlöcher an den Bierfässern war ein paar Male heftig auf den Boden. Dann kam er mit einem kleinen Stück des Steines, aus dem der Fußboden der Halle bestand, zum Tisch zurück.
�Sehen die Steine dort so aus wie dieser hier?�
Joro betrachtete das kleine Stück und rieb es zwischen den Fingern. Von Gesteinskunde wußte er etwa genauso wenig wie von Kriegskunst, und nun mußte er ausgerechnet über beides reden.
Er versuchte, sich zu erinnern, wie die Findlinge im Wald vor der Enklave aussahen.
Dieser Stein hier war leicht gräulig und hatte sehr feine Körner. Die Steine draußen vor der Enklave hatten viele verschiedene Farben, zudem die Körner darin auch wesentlich größer waren.
Das sagte er Balthasar.
�Also Granit�, der Duergar pfiff durch die Zähne und trommelte sinnierend mit den Fingern auf den Tisch, �Das ist schwer zu bearbeiten, aber es ist unglaublich hart. Granitwände bieten einen guten Schutz.�
Seine Hände flogen über die Skizze und er malte eine ganze Reihe von Zeichen und Strichen darauf, die Joro kaum etwas sagten.
Schließlich legte er das Kohlestück fort und nickte zufrieden.
�Das könnte ein wirklich guter Platz für eine Befestigungsanlage sein. Außerdem könnten wir eine nahezu unbegrenzte Anzahl in Höhlen in den Berg schlagen, die zusätzlichen Schutz bieten. Der Stein wäre hart genug dafür.�
�Das klingt fast so, als hättest du deine Festung hier schon innerlich aufgegeben.�
Das Gesicht des Duergar wurde unvermittelt ziemlich hart und ernst.
�Dies ist kein Zuhause für mich. Das sollte dir klar sein, Mensch. Ich bin auch mit dieser albernen Krone hier nichts als ein König ohne Reich, ein Mann ohne Ehre. Ob ich diesen Ort aufgebe oder nicht, ich verliere damit nichts außer einem Dach, das mich vor dem Regen schützt. Und jetzt, wo die Legion weiß, daß wir hier sind, werden sie garantiert wiederkommen��
Joro nickte. Das leuchtete nicht nur ein, sondern war Grund genug, den Ort wechseln zu wollen.
�Also wirst du mit uns kämpfen?�
�Unter meinen Bedingungen, ja. Aber das wirst du kaum zu entscheiden haben, das wird die Hohepriesterin tun müssen.�
Balthasar räkelte sich auf seinem Sessel.
�Es wird spät, ich gehe jetzt schlafen. Morgen werde ich mit Alystin reden und sehen, ob man mit ihr verhandeln kann.�

Joro kam wenige Zeit später in sein Zimmer zurück. Die meisten der Pilzschalen waren abgedeckt, sodaß es recht dunkel im Raum war, aber er konnte sehen, daß sich auf seinem Bett, unter der Decke, klar ein Körper abzeichnete.
Vorsichtig und so leise wie er konnte ging er zum Bett herüber und betrachtete Alystin von Nahem. Sie lag friedlich und ruhig auf der Seite, hatte die Augen geschlossen und atmete leise.
Dieser Anblick hatte etwas Hypnotisierendes an sich. Vorsichtig streckte er seine Hand aus und berührte sie an der Wange.
Ihre rechte Hand schnellte vor und ergriff seine, um sie schmerzhaft fortzudrehen, während ihre Linke an seine Kehle schoß und diese mit eiserner Härte umschloß.
Für einen Moment war er vor Angst wie gelähmt, dann stammelte er mit erstickter Stimme:
�Halt! Ich bins nur!�
Der Griff an seiner Kehle lockerte sich ein bißchen und Alystin, die langsam wach wurde rappelte sich auf.
�Was zum� Meine Güte, weißt du, daß ich dich hätte töten können?�
�Ich� ich wollte dir doch gar nichts Böses!�
Sie ließ ihn los und setzte sich im Bett auf, wischte sich verschlafen die Augen.
�Vielleicht hättest du dir denken können, daß man sich nicht an eine Drow anschleichen sollte?�
Joro war so verwirrt und erschreckt, daß ihm unvermittelt Tränen in den Augen standen.
�Es, es tut mir leid, ich wollte nicht�� Ein Schluchzen war kaum zu unterdrücken.
Alystin nahm ihn sanft zu sich her und legte seinen Kopf an ihre Schulter.
�Ist schon gut, ich habe es ja noch schnell genug bemerkt�Obwohl du froh sein kannst, daß ich keinen Dolch dabei hatte.�
Der junge Mensch konnte irgendwie seine Fassung bewahren, obwohl er durchaus doch einige Male schluchzen mußte. Aber so, wie sie ihn im Arm hielt war, beruhigte er sich relativ schnell.
Schließlich setzte er sich wieder aufrecht neben sie.
Sie gab ihm einen leichten Schmatz auf die Wange und lächelte ihn an.
�Und? Was hast du nun mit Balthasar ausgemacht?�
�Er will morgen mit dir reden. Ich glaube, daß er einsieht, daß er und seine Leute hier nicht mehr bleiben können, aber ich weiß nicht, was er nun wirklich plant.�
Joro erzählte ihr von seiner Idee mit dem Wald und dem Bereich vor dem Eingangsportal der Enklave und was man dort alles machen könnte. Er erwähnte auch, daß Balthasar seinerseits diese Idee nicht schlecht gefunden hatte.
Alystin runzelte die Stirn.
�Also besteht die Idee, den Berghang vor dem Portal in eine Befestigung zu verwandeln?�
�Ganz genau. Laut dem dicken König sollte das recht einfach zu machen sein. Und die Legion hat uns zwar in Noth angetroffen, aber den Eingang zu Enklave kennt sie nicht. Sie weiß höchstens davon, daß wir in dieser Gegend unterwegs waren��
�Hmmm��
�Außerdem hat er etwas von einer versteckten Befestigung geredet, was ich allerdings nicht verstanden habe. Wenn es bei Balthasar um solche Angelegenheiten geht, beginnt er sehr schnell damit, mit sehr vielen Fachbegriffen um sich zu werfen, die ich alle nicht verstehe.�
�Dann werde ich mir morgen früh mal Omareth schnappen und mit ihm und dem König darüber reden müssen.�
Sie gähnte und stand auf.
�Aber vielleicht sollten wir jetzt erst einmal schlafen, du bist ja noch viel länger wach als ich.�
�Willst du nicht� ich meine��
�Ja?�
�Magst du nicht noch eine Weile hier bleiben?�
Alystin lächelte verschmitzt.
�Selbst auf die Gefahr hin, daß ich in der Nacht aufwache und dir ans Leder will?�
Joro schaute sie sehr gekränkt und traurig an.
�Das ist nicht witzig��
Sie senkte sich, ihn mit sich ziehend wieder aufs Bett und nahm ihn ganz fest in den Arm, wobei sie ihm einen langen Kuß gab. Dann sah sie ihm ganz tief in die Augen und meinte:
�Ich hab es auch nicht böse gemeint, Joro, aber nächstes Mal solltest du vielleicht irgendwie auf dich aufmerksam machen��

Sie blieb. Zumindest noch für eine Weile, denn als Joro am nächsten Morgen aufwachte, war sie schon wieder in ihr eigenes Zimmer gehuscht.

Nachdem er sich nach dem Aufstehen frisch gemacht hatte und eine Weile ratlos herumgesessen hatte, wandte er sich in Gedanken an Celestus.
�Herr, bist du da?�
�Was für eine unnötige Frage, wieso sollte ich nicht da sein?�
�Ich habe ja keine Ahnung, was Götter den ganzen Tag lang so treiben��
�Oh, meinst du, daß ich zwischendurch irgendwelchen Freizeitaktivitäten nachgehe oder mir Hirsche bei der Paarung anschaue oder so etwas?�
�Warum ausgerechnet Hirsche?�
�Joro, du solltest eines Tages einmal ein Wörterbuch nach dem Wort �Sarkasmus� erkunden und dessen Bedeutung verinnerlichen.�
Der Priester verzog das Gesicht beleidigt.
�Ich weiß, was Sarkasmus heißt, aber ich kann ja nicht wissen, was euch Götter so umtreibt. Schließlich bin ich selbst keiner.�
�Also, du kannst dir sicher sein, daß ich für dich da bin, wenn du etwas von mir willst.�
�Hm, gut. Also� ich glaube ich hätte ein paar Fragen.�
�Na, dann mal los�, Celestus manifestierte sich vor ihm, auf der Kleiderkiste des Zimmers sitzend.
Joro nickte ihm ehrerbietig zu und fragte:
�Zunächst einmal� wenn deine Religion so alt ist, wieso wußte ich eigentlich vor meiner �Berufung� nichts darüber?�
�Das liegt daran, daß deine Eltern keine Gläubigen waren, wie so viele. Und Bargum ist so weit von deinem Heimatdorf entfernt, daß du niemals mit meinen Priestern in Kontakt gekommen bist. Zudem hatte ich dir ja schon erklärt, das heute kaum noch jemand an mich glaubt. Der Erzbischof von Bargum am allerwenigsten.�
�Sagtest du nicht, du seiest �ein Gott der Bauern geworden�?�
�Das ist richtig. Aber bis auf ein paar kleine Dörfer, die über ganz Daishan verteilt sind, gibt es kaum noch Menschen, die überhaupt von meiner Existenz wissen. Bargum selbst einmal ausgeschlossen und die Stadt ist nicht nur recht isoliert gelegen, sondern auch was den Ältestenrat des Landes angeht eine der unbedeutensten.�
�Also ist der Stadtfürst von Bargum nicht einmal im Rat?�
�Doch, aber nur als Beisitzer und nicht als einer der Ältesten. Dafür ist die Stadt zwar nicht zu klein, aber sie hat keinen sonderlich großen Einfluß. Und vor allem kaum eigene Truppen, weil sich die Stadtväter seit jeher auf die Gardisten des Klosters verlassen.�
�Oh, ich verstehe.�
Celestus nickte sinnierend und Joro überlegte noch weiter.
�Außerdem��
�Ja, was?�
�Gibt es eigentlich so etwas wie Schriften oder Bücher, in denen ich Genaueres über den Celestusglauben lesen kann?�
Der Gott zögerte.
�Gibt es keine?�
�Nun�� Eine Weile sagte der dunkle Mann nichts. Dann entschied er sich jedoch, zu antworten.
�Nun, doch, die gibt es schon, aber��
�Mir scheint es gibt da ein Problem?�
�Wenn du so willst, ja.�
�Und worin besteht das?�
�Der erste Erzbischof von Bargum, ein damals etwa vierzig Jahre alter Daishani namens Albrecht, hat eine Art Schriftensammlung mit allerlei Verhaltensregeln und vorher ungeschriebenen, dennoch aber von allen befolgten Gesetzen verfaßt.�
�Das hört sich doch eigentlich ganz gut an��
�Die Idee war ja auch gut, aber die Kirche hat in den nachfolgenden Jahrhunderten nicht gerade unwesentlich viele Stellen �neu interpretiert�, wie sie es selbst nennen. Also ist von diesen Schriften in ihrer eigentlichen Grundidee nicht mehr viel geblieben. Bekämest du ein neueres Exemplar in die Hände, wäre das keine große Hilfe, falls du nach Wissen suchst.�
�Also sind die Exemplare von heute auch genauso heruntergekommen wie die Kirche selbst?�
�Das ist eine gute Art, das Problem auf den Punkt zu bringen, ja.�
Joro kratzte sich am Kopf.
�Und was wäre, wenn ich begänne, eine eigene Version zu schreiben?�
Celestus schüttelte den Kopf.
�Nein. Zu diesem Zeitpunkt halte ich es für weitaus wichtiger, daß du zuerst einmal lernst, was zu tun ist, bevor du beginnst, es für andere schriftlich niederzulegen. Immerhin bist du noch nicht lange im Priestergeschäft, falls ich dich daran erinnern darf.�
Der Priester schaute berschämt zu Boden.
�Verzeih� mir, ich wollte mir nichts anmaßen.�
�Keine Sorge, die Idee finde ich nicht einmal schlecht. Wenn du schon etwas schreiben willst, dann fang doch an, in einer Art Tagebuch deine Gedanken und Erfahrungen niederzulegen.�
Das gefiehl Joro.
�Gute Idee, Herr.�
�Natürlich ist die Idee gut, sie ist ja auch von mir!�
Auch wenn er sich sicher war, diese beiden Sätze schon einmal gehört zu haben, nahm er sich vor, wenn er einmal Zeit dazu hatte, zu beginnen, ein Tagebuch zu führen.
�Gut. Dann werde ich jetzt einmal schauen gehen, was die anderen gerade machen.�
Celestus verschwand und Joro trat heraus auf den Flur.

Dort stand, an die Wand gelehnt und gelangweilt mit einem Dolch zwischen den Zähnen pulend, Ghaundar.
�Na, schon wach?�
�Ja bin ich. Wo sind Omareth und Alystin? Sind sie schon zu Balthasar gegangen?�
Der Drow schaute ihn unglaublich müde an.
�Ja. Vor etwa vier Stunden. Alystin hat mir erzählt, daß du gestern noch mit ihm geredet und dabei irgendwelche Pläne ausgearbeitet hast, stimmt das?�
�Pläne kann man es eigentlich nicht nennen, eher Ideen ausgetauscht.�
�Und?�
�Er wollte noch mit ihr reden und sie meinte, daß sie Omareth dabeihaben will. Vermutlich weil er ja unser Heerführer sein soll.�
Ghaundar grunzte.
�Dann schlagen die sich da unten bestimmt gerade die Köpfe ein�, er steckte den Dolch in die Scheide und rülpste, �Wenigstens gab es schon was zu Essen.�
�Hm, ich hatte nichts in meinem Zimmer stehen, hast du noch etwas über? Einen ordentlichen Bissen könnte ich vertragen.�
Der Drow nickte und nahm ihn mit in seine Unterkunft.
Sie saßen da und während sich Joro eine ordentliche Portion kalten Bratens und diverser Beilagen einverleibte, erzählte er Ghaundar, worüber er und Balthasar so geredet hatten.
Ghaundar schien Gefallen an der Idee mit der Befestigung zu finden, er nickte oft heftig und machte sogar eigene Vorschläge.
�Wenn das machbar ist, könnten wir damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Auf der einen Seite hätten wir die Duergar bei uns und auf der anderen wären auch die Leute aus Noth in Sicherheit.�
�Das sehe ich genauso. Ich hoffe nur, daß Balthasar nicht zu unverschämt gegenüber Omareth und Alystin ist.�
�Wieso? Er hat kaum noch etwas zu verlieren, außer der Möglichkeit, seine Ehre wiederherzustellen. Und da tut er gut daran, sich seine bestmögliche Chance zu sichern, also in diesem Falle uns.�
Joro gefiel das nicht.
�Ich hätte ihn lieber als Freund auf unserer Seite als durch Notwendigkeit.�
Ghaundar schüttelte den Kopf.
�Das kannst du erst einmal vergessen. Duergar schließen keine Freundschaften mit anderen Völkern. Höchstens Geschäftsbeziehungen.�
Sie sahen beide sinnierend vor sich hin, als sie Schritte vor der Tür hörten. Es klopfte leise.
�Herein!�
Omareth und Alystin kamen herein. Sie sahen beide ziemlich erschöpft aus, aber auch nicht völlig niedergeschlagen, daher hatte Joro immerhin noch Hoffnung, was sie sagen würden.
Omareth ließ sich ächzend auf das Bett sinken und band sich seine Haare, die ein bißchen unordentlich waren, zu einem neuen Pferdeschwanz zusammen.
Alystin lehnte sich an die Wand und begann zu überlegen, wo und vor allem wie sie anfangen sollte. Schließlich sagte sie:
�In Ordnung, dies ist der Plan�, Ghaundar und Joro sahen sie erwartungsvoll an, �Balthasar bricht seine Zelte hier ab. Und er wird mit uns kommen und sich eine neue Heimat vor dem Enklavenportal einrichten.�
Ghaundar und Joro sahen sich an und der Drow machte ein Zeichen, daß Joro fragen sollte. Das tat er.
�Und wo ist der Haken?�
�Balthasar verlangt, daß er die Befehlsgewalt über die Befestigungen haben wird und daß die Höhlen, die er gedenkt, in den Berg zu hauen, als sein Hoheitsgebiet anzusehen sind.�
�Also wird er die Kontrolle über den Ausgang haben?�
�Nein, aber was militärische Entscheidungen und die Leitung derselben angeht, will er draußen das Sagen haben.�
�Wird das Ärger geben?�
Omareth schüttelte den Kopf und ergriff das Wort.
�Auch nicht. Was unsere Leute angeht haben wir das Kommando und wir können uns natürlich frei bewegen und tun was wir wollen. Ich glaube er will in erster Linie sicherstellen, daß er den Überblick über das Geschehen in den Bereichen hat, die er gedenkt aufzubauen. Eigentlich ist das eine recht faire Grundhaltung für einen Duergar.�
Joro hatte dennoch Bedenken.
�Das bietet ziemlich viel Raum für Reibereien. Vor allem mit den Leuten aus Noth dazwischen.�
Alystin machte eine abwägende Geste.
�Die Leute aus Noth werden so dazu in der Lage sein, hinter den Verteidigungswällen eine kleine, neue Siedlung zu errichten. Wir haben Balthasar gesagt, daß sie dort sind und unter unserem Schutz stehen. Wenn ich mich nicht völlig irre, gefällt ihm die Idee, noch mehr Leute zur Verteidigung zu haben, durchaus.�
�Das waren harte Verhandlungen, was?� Joro lächelte.
Omareth und Alystin nickten beide müde. Ersterer zog die Nase hoch
�Wüßtest du, was er ursprünglich wollte, wärest du erstaunt, wie weit wir ihn heruntergehandelt haben. Ich glaube, daß der Ausspruch, daß er nichts mehr zu verlieren hat, den Kern der Sache ziemlich genau trifft.�
�Und was machen wir jetzt?�
�Wir packen und machen uns auf den Weg, zurück zur Enklave. Balthasar hat darauf bestanden, daß wir nicht anwesend sind, wenn sie hier abrücken, er sprach von �Kriegsgeheimnissen� und dergleichen.�
Mit anderen Worten: Sie packten sofort und machten sich auf den Rückweg.
Beim Marsch durch die Halle trafen sie auf keinen einzigen Duergar, die Höhle schien völlig leer zu sein, sogar einige der Kohlenbecken waren gelöscht.
Draußen vor dem Tor standen nur Balthasar und Myellin, die sie gewohnt herzlich empfing.
�Ich habe euch ein kleines Paket an Reiseproviant gemacht, damit ihr unterwegs keinen Hunger leiden müßt.�
Das �Paket� war ein Sack, der sich bei dem ersten Versuch, ihn aufzunehmen strikt dagegen wehrte, den Boden zu verlassen.
Der König salutierte jedem von den Vieren zu und sagte dann:
�Meine Männer haben schon begonnen, alles abzubrechen. Wir werden in ein oder zwei Tagen nachkommen. Ich hoffe, daß der Tunnel groß genug ist, um uns durch die Enklave zu bringen, wir werden Einiges an Material mitbringen.�
Omareth salutierte zurück und meinte:
�Wir werden zusehen, daß wir euch so gut helfen, wie wir können. Wir sind nicht gerade wenige und viele von uns sind hervorragende Handwerker��
�Nach Drowmaßstäben��
Der Drow ignorierte das und lächelte Myellin zu.
�Gehabt Euch wohl, werte Königin, wir sehen uns bald wieder. Und ich bedanke mich im Namen uns aller für den reichlichen Reiseproviant.�
Die Zwergenfrau kiekste und machte verschämt einen Knicks.
�Nun ja, es ist nicht viel, nur das Nötigste��

Nur das Nötigste. Selbst Omareth keuchte unter der Last, als er den Sack schulterte. Die vier Gefährten nahmen noch einmal höflich Abschied und wandten sich dann zum Gehen. Auf dem Weg herunter durch die Festungsmauern salutierten die wenigen Wachen, die darauf standen ihnen noch zu, dann ließen sie den Tafelberg hinter sich.

Der Rückweg verlief einigermaßen ereignislos und sie sprachen auch nicht viel, da ihnen die Anstrengungen der Schlacht nach wie vor in den Knochen steckten. Dennoch ließ es sich Joro nicht nehmen, sich von den drei Drow weitere Gesten der Zeichensprache zeigen zu lassen. Irgendwie gefiel es ihm, vor allem während Beschäftigungen, die ihn zum Keuchen brachten, wie zum Beispiel Bergwandern, trotz alledem mit anderen reden zu können, ohne dabei komplett zusammenzubrechen. Als sie zwei Tage gewandert waren, hörten sie gegen Mittag eine unglaublich laute Explosion hinter ihnen und als sie sich umdrehten konnten sie sehen, wie ein Teil des Tafelberges zusammengestürzt war und eine Rauchsäule davon aufstieg.
Omareth war beeindruckt.
�Es gehört schon einige Entschlossenheit dazu, seine eigene Heimat zu vernichten, damit sie dem Gegner nicht in die Hände fällt. Vom Aufwand einmal ganz zu schweigen.�
�Er hat mir gesagt, daß dieser Ort niemals eine echte Heimat für ihn war�, entgegnete Joro, �daher wird es ihm auch nicht schwer gefallen sein, das zu tun.�
�Wenn das stimmt, hoffe ich, daß wir niemals in die Situation geraten, daß er das auch gegenüber seiner neuen �Heimat� empfindet.�
Sie stapften weiter und nach zwei weiteren Tagen konnten sie am frühen Nachmittag endlich am Berghang vor ihnen den Ort ausmachen, in dem das alte, rostige Tor eingelassen war. Natürlich war auch dieses von einer Illusion geschützt, aber Joro hatte sich ein paar Steinformationen gemerkt, die er wiedererkannte.
Es war schon seltsam, aber trotz der Tatsache, daß er eigentlich nur wenige Tage in der Enklave gewohnt hatte, war es nach dem Ende des Hofes seiner Eltern und den Monaten auf der Straße wirklich ein Ort geworden, an dem er sich zuhause fühlte. Zu wissen, daß ein Bett, ein Faß Ale und paradoxerweise auch ein Friedhof auf ihn warteten, gab ihm ein gutes Gefühl.
Omareth, Alystin und Ghaundar machten den selben Eindruck, jeder auf seine eigene Art, auch wenn Joro sich trotzdem die Frage stellte, ob es Omareth mit dem Problem, das seine Frau darstellte, überhaupt wirklich so ging.
Auf der anderen Seite des Tunnels verabschiedeten sie sich von einander und Ghaundar sagte Joro noch, daß er gegen Abend mit etwas Eßbarem vorbeischauen würde.

An seiner Hütte angekommen führte ihn sein Weg zunächst nicht hinein, sondern dahinter, denn er fragte sich, was in den Tagen, die sie fortgewesen waren, wohl damit geschehen sei. Immerhin war es mehr als eine Woche gewesen und er hatte einige Sorge, wie die Gräber wohl aussähen, vor allem, weil er nicht wußte, ob es noch einmal Frost gegeben hatte.
Als er um die Hüttenrundung ging, war er von dem Anblick, der sich ihm darbot zutiefst erstaunt.

Die Blumensaat war aufgegangen, es streckten sich schon einige Spröße in den Himmel. Die Wege zwischen den Gräbern sahen aus, als seien sie regelmäßig gesäubert worden und die Grabhügel hatte irgendjemand ebenfalls mit Pflanzen besät. Er war erstaunt. Hatte sich tatsächlich einer der Drow in seiner Abwesenheit um den Gnadenacker gekümmert? Es freute ihn maßlos, daß er nicht die Arbeit von über einer Woche aufholen mußte, sondern eigentlich nur hier und dort ein paar Kleinigkeiten zu korrigieren hatte.
Eigentlich hätte er das nicht machen müssen, aber irgendwie fühlte er sich, als wäre das der Wichtigkeit halber notwendig.
Danach ging er erst einmal zur Quelle hoch, um sich ausgiebig zu waschen. Die Gelegenheit hatte er zwar auch auf der Rückreise an den diversen Bächen gehabt, aber da war er die meiste Zeit zu erschöpft gewesen. Er nahm auch gleich zwei seiner Roben mit, um diese zu waschen, denn das war überfällig. Eine der beiden Alltagsroben hatte immer noch eingetrocknete Essensreste von einem der Gelage in der Duergarfestung an sich, was zusehends für einen muffigen Geruch sorgte.
Auf dem Weg nach oben kam ihm ein Drow entgegen, dessen Name ihm nicht einfiel, der ihn herzlich begrüßte und ihn kurz fragte, was denn alles geschehen sei. Er antwortete ihm knapp und dann ging er weiter zum Basin.
Kleider waschen war in etwa eine so angenehme Beschäftigung wie sich selbst mehrere Stunden lang ins Gesicht zu hauen, aber was sein mußte, mußte sein.
Schließlich wrang er die zweite Robe ein letztes Mal aus und machte sich, die beiden nassen Lappen unter dem Arm auf den Weg zur Hütte zurück, wo er im Innenraum eine Leine zwischen den Wänden spannte, um sie beide nahe am Ofen aufzuhängen.
Draußen war es immernoch recht warm, der Schnee in der Enklave war fast völlig geschmolzen und der Boden wurde auch immer trockener. Also warf er sich nur ein wollenes Hemd über, wie er sie sonst zum zusätzlichen Schutz vor Kälte unter seiner Robe trug, und setzte sich in Hemd und langer Unterhose hinter die Hütte, wo er sich in aller Ruhe ein Bier genehmigte.
Als die Sonne langsam begann, hinter den Bergrücken zu versinken, kam dann auch Ghaundar bei ihm vorbei, wobei er zunächst in lautes Lachen ausbrach, als er den Menschen da so sitzen sah.
�Ist das die neue Frühjahrsmode?�
�Was findest du besser, nicht zu frieren, aber grauenhaft angezogen sein, oder in einer halbnassen Robe rumsitzen und sich eine Erkältung holen?�
Der Drow lachte immernoch.
�Unabhängig von den Ursachen: du siehst wirklich zum Schreien aus.�
�Klappe halten und hinsetzen.�
Ghaundar hatte, wie so oft, etwas zum Braten mitgebracht, was sie sich herrichteten.
�Warst du etwa noch Jagen?�
�Nein, das Flügeltier hat mir einer der anderen ans Haus gehängt, es ist drei Tage abgehangen, sollte also recht gut munden.�
�Was ist das eigentlich für Geflügel?�
�Ein Berghuhn.�
�Wenn ich mir den Zustand anschaue, frage ich mich, wie das normalerweise aussieht.�
�Der Jäger ist noch ein ziemlicher Anfänger. Dementsprechend war der Jagdversuch etwas ungeschickt. Aber er lernt das sicher auch noch��
�Wenn du das sagst��
Auch wenn er nicht mehr so richtig gut in Schuß war, schmeckte der Vogel durchaus genießbar.
�Sag mal, Ghaundar, hast du eine Ahnung, wer in unserer Abwesenheit auf den Friedhof aufgepaßt hat?�
�Mir würde jetzt keiner im Speziellen einfallen, aber ich denke, daß alle mitgeholfen haben werden. Omareth und ich haben anteilig die meisten Verwandten von uns allen hier, die werden da ihren Beitrag zu geleistet haben, denke ich.�
�Wie kommt es, daß außer Omareth und dir noch mehrere aus eurer Familie hier herkamen?�
�Kannst du dir vorstellen, was man mit denen gemacht hätte, nachdem herausgekommen wäre, daß wir beide uns Welverin vorgenommen haben?�
�Oh��
�Ganz genau: �Oh!�. Also sind viele von ihnen auf die Oberfläche geflüchtet. Einige mußten wir allerdings aus dem Weg schaffen, weil sie eher nach der Art der Unterreichsdrow kamen, wenn du verstehst, was ich meine.�
�Ja, verstehe ich��
�Die anderen, die mehr nach unseren Vorstellungen dachten, haben wir hier aufgenommen. Dabei will ich nicht einmal sagen, daß man sie alle umgangssprachlich als �gute� Drow bezeichnen könnte, aber sie verstehen den Wert dieser Gemeinschaft und viele von ihnen haben sich schon nach wenigen Jahren ziemlich geändert und sind sogar dem Eilistraeekult beigetreten.�
�War das nicht hart, die eigenen Verwandten töten zu müssen, ich meine die, die nicht eure Wege gehen wollten?�
�Die Frage meinst du doch nicht ernst, oder?� Ghaundar grinste.
Joro wußte natürlich, daß im Unterreich Brudermord so ziemlich die einzige Möglichkeit war, den sozialen Status zu heben, aber Ghaundar, Omareth und die anderen hatten ja genau mit diesen Verhaltensweisen nicht leben können und daher das Ende ihres Tyrannen herbeigeführt.
Ghaundar hatte seine Gedanken gelesen.
�Mir ist schon klar, daß du der Ansicht bist, daß wir hier eine andere Moral an den Tag legen, als unsere Volksgenossen im Unterreich. Aber du darfst dabei nicht vergessen, daß es das Wesen der Drow ist, sich immer und ohne Skrupel bis aufs Letzte zu verteidigen.�
Unwillkürlich griff sich Joro an den Hals, da ihn das an etwas Unangenehmes erinnerte.
�Außerdem hätten sie uns ebenso bei der ersten Gelegenheit ausgelöscht. Viele von ihnen machten uns für ihre eigene Situation verantwortlich.�
�Das macht Sinn��
�Eben.� Ghaundar biß von einem der Schenkel ab und kaute genüßlich darauf herum.
�Hmmm, und nun��
�Tja�, Ghaundar schluckte, � Erst einmal steht uns die Ankunft von ein paar Hundert Duergar bevor, die wir hier durchlotsen müssen. Ich habe schon mit einigen von unseren Leuten gesprochen und so richtig wohl fühlen sich damit längst nicht alle.�
�Hast du ihnen denn erzählt, was geschehen ist?�
�Das will Alystin morgen bei einer Versammlung machen. Das habe ich schon allen, denen ich begegnet bin erklärt.�
�Wird das Ärger geben?�
�Nein, aber das Unwohlsein wird garantiert auch nicht verschwinden. Unser Verhältnis zu den Duergar ist auch nicht viel besser, als das zu den Menschen.�
�Hm, Ghaundar?�
�Was?�
�Celestus sagte mir, daß ich für ihn nach Bargum gehen muß.�
�Wie bitte? Hat er auch gesagt wann und warum?�
�Nein, leider nicht.�
Der Drow machte ein sehr besorgtes Gesicht.
�Das wird ziemlich gefährlich. Immerhin haben wir den Bischof auf dem Gewissen.�
�Naja, eigentlich hast du ihn ja auf dem Gewissen, aber ich sehe keinen Grund, warum sie das nicht auch mir anhängen sollten.�
�Dazu fällt mir vor allem gleich das Wort �aufhängen� ein��
�Ganz genau. Mir auch��
�Ich schlage vor, ihn möglichst bald zu fragen.�
�Das wird wahrscheinlich nicht viel bringen. Ich denke er hat mir seine Absichten bewußt nicht verraten.�
�Dann wirst du es wohl oder über auf dich zukommen lassen müssen.�
Joro war sich sicher, daß Ghaundar wußte, wie sehr ihm dieser Satz auf den Geist ging.


Kapitel 16


Nachdem die Sonne völlig untergegangen war, hatten sie sich voneinander verabschiedet und waren beide ins Bett gegangen. Eigentlich hätte sich Joro gewünscht, Alystin käme vorbei, aber es war ihm auch klar, daß sie es hier schwerer hatte, das heimlich zu tun. Im Palast des Königs waren nur zwei Drow gewesen, hier waren es hunderte und sie hatte ihm ja erklärt, wie es mit dem Konflikt zwischen ihren Gefühlen und ihrer Verantwortung der Enklave gegenüber aussah.
Das mußte ihm natürlich nicht gefallen, und das tat es auch nicht. Er lag da und schwelgte beim Einschlafen in Erinnerungen, wie sie bei ihm gelegen hatte.
Doch ein Gedanke weckte ihn wieder auf. Warum hatte er sich eigentlich noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie es, nun ja, mit diesen Dingen aussah, die Männer und Frauen miteinander taten. Es war ja nicht so, daß er keine Ahnung hatte, wie das funktionierte. In einer dörflichen Gemeinschaft, zudem auf einem Hof, auf dem Kühe gezüchtet wurden, bekam man das schon recht frühzeitig mit, wobei er die Ähnlichkeit zwischen dem, was Rinder so taten und dem, wie es bei Menschen ablief irgendwie absurd fand.
Konnte eigentlich ein Mensch überhaupt mit einer Drow� Also�Er ertappte sich dabei, wie er sich beim Nachdenken nervös beinahe den Kopf blutig kratzte.
Immerhin hatten Omareth und Ghaundar ja mehrfach erwähnt, daß �es mit Menschen und Drow so nicht funktionierte�. Hatten sie damit vielleicht genau das gemeint?
Auf der anderen Seite heirateten Drow ja auch und bekamen Kinder, also mußte das auch irgendwie so vonstatten gehen. Drowfrauen hatten ja immerhin auch Brüste. In einem speziellen, ihm bekannten Falle sogar ausgesprochen wohlgeformte solche.
Und dann war da noch eine ganz andere Frage, die zwar schon vorher aufgeworfen worden war, die aber erst nach und nach den Weg in seinen Kopf fand:
Der Altersunterschied und seine Konsequenzen.
Wenn er Ghaundars Ausführungen Glauben schenken konnte, war Alystin wohl schon um die 300 Jahre alt. Er selbst war gerade einmal neunzehn. Nun konnte man nicht sagen, daß er noch eine männliche Jungfrau war, drei Jahre zuvor hatte ihn eine recht dralle Magd auf dem Hof sozusagen �zum Mann� gemacht, aber im direkten Vergleich wirkten neunzehn Jahre gegenüber dreihundert nicht gerade viel�
Es sagte ihm nicht so recht zu, sich so viele Sorgen darum zu machen, wie und ob überhaupt sich alles entwickeln würde, aber er kam nicht umhin, ein mieses Gefühl im Hinterkopf zu haben. Wenn sich eine Frau ihres Alters und nicht zu vergessen ihrer Erfahrung mit ihm einließe, erzeugte das sicherlich noch einiges an Problemen.
Über diese Gedanken schlief er schließlich ein.

Der Morgen war frisch und ziemlich klamm, obwohl der Himmel völlig frei von Wolken war und die Sonne bereits klares Licht über die Berge sandte.
Er zog seine Rüstung an und machte sich auf den Weg, fünfmal die Enklave zu umrunden. Die meisten Drow schliefen wohl noch, erst nach der dritten Runde sah er die ersten auf ihrem Weg zur Morgenwäsche an der Quelle. Er winkte ihnen im Vorbeikommen zu und rannte die fünf Runden so schnell er konnte zuende.
Als er schließlich an seiner Hütte angekommen war, konnte er noch nichts von Omareth sehen, also nahm er sich den Knüppel von der Hüttenwand und begann erst einmal die einstudierten Bewegungsabläufe nachzuahmen, die er zuvor immer wieder mit Omareth trainiert hatte.
Dieser kam einige Zeit später um die Häuser gelaufen und hatte eine furchtbare Laune.
Das wirkte sich auch auf die Übungen aus, die sie, ohne das der Drow ein Wort sprach, sofort begannen.
Omareth hatte offenbar Grund genug, sich abzureagieren, denn er prügelte mit ziemlicher Wucht auf Joro ein, bis dieser schließlich mehrere Schritte zurücktrat und ihn böse ansah.
�Wenn du mich umbringen willst, wäre es durchaus freundlich, wenn du mir vorher sagtest, warum du das willst.�
Der Drow sah ihn erst kurz überrascht an, dann seufzte er und warf den Knüppel fort. Ein paar wüste Flüche vor sich hinspeiend trat er mehrere Steine fort und meinte dann:
�Komm mit, wir beide müssen uns über etwas unterhalten.�
Sie hockten sich auf die Bank hinter der Hütte und Omareth lehnte sogar ein angebotenes Bier ab. Stattdessen sah er Joro ziemlich lange und nachdenklich an. Dann begann er zu reden.
�Ich habe dir vor einiger Zeit gesagt, daß du mir näher gekommen bist, als ich es bei jedem anderen Menschen je zugelassen hätte, erinnerst du dich daran?�
Joro nickte.
�Gut. Und wir haben durchaus auch schon Momente erlebt, in denen wir beide Seite an Seite gestanden haben, um uns gegenseitig den Arsch zu retten.�
Der Priester nickte abermals.
�Nun��, Omareth suchte nach Worten, �Wie du sicherlich weißt, halte ich von deinem Volk nicht sonderlich viel. Und daran werde ich jeden Tag aufs Neue erinnert.�
�Warum?�
�Erinnerst du dich an die Begegnung mit meiner Frau, Ilivarra?�
Natürlich erinnerte er sich. Die Drow mit der krächzenden Stimme, die irgendwie unheimlich und in erster Linie unfreundlich gewesen war.
�Ich kannte ihren Namen bisher nicht, aber warum macht dir das jetzt schlechte Laune?�
�Weil sie mir die Hölle heiß macht deinetwegen.�
�Meinetwegen?� Joro war verwirrt.
�Sie ist der Ansicht, daß ich mich mit dir verbrüdere und das macht sie noch haßerfüllter, als sie ohnehin schon ist.�
Der Priester war fassungslos.
�Aber ich habe ihr doch gar nichts getan.�
�Du nicht��
�Aber?�
Omareth seufzte.
�Es ist wohl an der Zeit, daß ich dir erzähle, was mit ihr geschehen ist. Früher oder später wirst du es ja ohnehin erfahren��
Wiederum überlegte der Drow eine ganze Weile, dann fuhr er fort:
�Ilivarra ist noch sehr jung. Sie hat die Hundert noch nicht überschritten, daher könnte man sie wahrscheinlich fast als eine Jugendliche bezeichnen, gemessen an menschlichen Maßstäben. Natürlich ist sie in ihrer persönlichen Entwicklung weiter, als ein jugendlicher Mensch, aber was ich damit sagen will, ist daß sie noch eine ganze Weile Leben vor sich hat.
Die Umstände aber, wie sie zu uns kam, oder besser gesagt, wie wir sie fanden, waren alles andere als glücklich.�
�Was ist geschehen?�
�Wir, das heißt Ghaundar, ich und ein paar andere, waren auf einer längeren Reise in die südlichen Bergregionen, bei der wir nach Drow suchten, die an die Oberfläche kamen, um den Schrecken des Unterreiches zu entkommen. Das taten wir damals sehr oft, um noch mehr Leute für die Enklave, zur Stärkung unserer Gemeinschaft zu finden. Als wir nahe an einem Bergbauerndorf vorbeikamen, hörten wir einen wütenden Mob, der gerade dabei war, jemanden zu lynchen. Und beim Näherkommen sahen wir dann auch, wer oder was das war.�
�Drow, nicht war?�
Omareth ließ die Schultern hängen.
�Wir kamen zu spät. Auf dem Boden vor dem Dorf lagen bereits sechs Leichen. Der letzte Drow, eine Frau wurde gerade niedergeschlagen und sie setzten ihre Kleidung mit einer Fackel in Flammen. Lange Zeit konnten wir nur zusehen, aber als sie sich schließlich wieder ins Dorf zurückzogen, konnten wir endlich näher heran, um zu sehen, ob wir einige von ihnen kannten.�
Joro verstand instinktiv einiges.
�Laß mich raten, die Frau lebte noch?�
Omareth nickte und kramte unter seinem Wams sein kleines Fläschchen hervor, aus dem er einen großen Schluck nahm.
�Ganz genau�, sagte er, während er die Flasche wieder verschloß, �Sie lebte noch, obwohl man das kaum so nennen konnte. Die anderen sechs waren tot, Ilivarra hingegen war fürchterlich verbrannt, ihr linker Arm und ihr linkes Bein waren so stark verletzt, daß wir nicht umhin konnten, sie zu amputieren. Ihr Gesicht war eine einzige Brandwunde.�
Er schüttelte sich, um die Erinnerung an dieses Bild zu vertreiben.
�Bist du sicher, daß du kein Bier willst, Omareth?�
Der Drow schaute kurz zu ihm auf, blickte dann aber wieder nach unten und nickte heftig.
�Doch, du hast recht, ich könnte eins vertragen.�
Joro kam kurze Zeit später mit zwei frisch gefüllten Humpen wieder und Omareth trank ihn mit einem Zug fast halb aus.
�Also habt ihr sie mitgenommen?�
Omareth rülpste laut.
�Alystin hat dafür gesorgt, daß sie überlebt, auch wenn Ilivarra sie dafür haßt. Sie hat mir mehr als einmal gesagt, daß sie lieber mit ihren Leuten dort gestorben wäre, als weiter am Leben zu bleiben. Und woher ihr Haß auf die Menschen kommt, kannst du dir jetzt sicher auch denken. Die sechs anderen Drow waren ihre noch jüngeren Geschwister, die sie unter großen Gefahren aus dem Unterreich gerettet hatte. Dabei��
�Ja?�
�Sie mag eine haßerfüllte Person sein, aber ihr Geist� Eigentlich ist er der eines unglaublich fürsorglichen und schönen Mädchens.� Seine Gedanken schweiften ab.
Joro hielt inne und zog eine Augenbraue hoch.
�Sagtest du nicht, daß ihr den Arm und den Bein abnehmen mußtet?�
�Ja, mußten wir.�
�Aber sie kann doch laufen und wenn ich mich erinnere hatte sie auch zwei Arme��
Der Zimmermann lächelte verschmitzt.
�Die Drow verfügen über einige Techniken, die selbst die Duergar so nicht hinbekommen. Wir sind dazu in der Lage, verletzte oder zerstörte Gliedmaßen durch mechanische zu ersetzen. Die sind fast so gut wie echte, nur daß sie eben keinen Tastsinn in sich haben, deshalb dauert es natürlich eine Weile, bis man sie richtig einsetzen kann.�
Der Priester dachte darüber nach. Eine derartige Technologie entzog sich völlig seines Begreifens, aber beeindruckend fand er es schon. Aber er wollte beim Thema bleiben, anstatt über Technik zu diskutieren und es gab da eine Frage, die ihm auf der Seele brannte.
�Falls diese Frage zu persönlich ist, bitte ich dich, mir zu verzeihen, aber wie kam es, daß du sie geheiratet hast?�
Der Drow verzog keine Miene, sondern antwortete ihm prompt.
�Ich habe sie gesund gepflegt. Für Wochen und Monate. Am Anfang habe ich ihren Schmerz geteilt und ihre unglaubliche Trostlosigkeit mitgelebt. Doch dann habe ich begonnen, sie von einer ganz anderen Seite kennen und lieben zu lernen. Sie mag sehr jung sein, viel jünger als ich es bin, aber sie hatte selbst damals schon einen sehr weisen und erwachsenen Geist. Das Äußere war mir dabei nicht ein einziges Mal wichtig.�
Das konnte Joro verstehen. Sein Großvater hatte ihm immer gesagt, daß der Körper eines Menschen wertlos ist, egal wie schön er auch sein mochte, wenn der Geist, der darin wohnte dumm, boshaft und träge war.
Omareth fuhr fort:
�Nachdem ihre äußeren Wunden geheilt waren, verbrachten wir viel Zeit damit, sie mit ihrem neuen Arm und Bein üben zu lassen, was sie in Kürze perfekt beherrschte. Die gemeinsamen Monate hatten jedoch, ohne daß ich es bemerkte auch dafür gesorgt, daß sie sich in mich verliebt hatte. Und so entschlossen wir uns am Ende, zu heiraten.�
Joro war zutiefst beeindruckt.
�Eine schöne Geschichte, wenn du mich fragst.�
�Das ist nicht unwahr, aber was bleibt ist die sehr umständliche Art, mit ihr umzugehen. Sie ist ausgesprochen launisch und oft genug halte ich es nicht mit ihr unter einem Dach aus, so wie heute, zum Beispiel.�
�Kann man es eine Haßliebe nennen?�
Omareth schüttelte heftig den Kopf.
�Nein, ich liebe sie wirklich. Aber es ist eben der Weg, wie ich mich ihr gegenüber verhalten muß, der es oft genug sehr schwer macht, es zu genießen.�
Es wurde dem jungen Priester ziemlich bewußt, daß der Dunkelelf einmal mehr sehr offen mit ihm redete und er wollte nicht, daß Omareth sich hinterher irgendwie ausgenutzt fühlte, daher wollte er nicht weiter bohren und lieber das Thema wechseln.
�Geht es dir wieder gut genug, um anständig weiter zu trainieren?�
Der Drow schaute ihn kurz verdutzt an und dann lächelte er schief.
�Aber sag hinterher nicht, daß du es nicht wolltest.�

In der Folge prügelte ihn Omareth zwar nicht wirklich weniger hart durch die Gegend, aber immerhin hatte er zugunsten eines Lerneffektes die atemberaubende Geschwindigkeit ein bißchen gedrosselt.
Zwischen zwei Schlagserien hielt Joro kurz inne.
�Hast du ihr eigentlich erzählt, was wir schon zusammen erlebt haben?�
Omareth machte ein Finte und traf ihn danach zweimal recht derbe am Kopf, was ihn zurücktaumeln ließ.
�Ja das habe ich�, knurrte er mit zusammengekniffenen Zähne, �Aber sie glaubt, daß du dich hier nur einschleimst, um uns bei der ersten Gelegenheit an die Menschen auszuliefern.�
Joro wich zwei Schlägen aus und traf Omareth aus der Drehung am Oberschenkel, woraufhin dieser kurz einknickte und sich nach hinten abrollte.
�An welche Menschen denn? Die Obrigkeit von Bargum, die mich mit Sicherheit sofort aufknüpfen würde?�
Omareth sprang vorwärts und hieb mehrere Male zu, was Joro mit dem Schild abwehrte, um den Drow am Ende damit ein gehöriges Stück zurückzuschubsen.
�Das mußt du schon sie selbst fragen, woher soll ich das denn wissen�, er ließ den Knüppel sinken, �In ihrem Kopf gibt es eine eigene, sehr verzerrte Welt und was Menschen angeht, ist sie für Argumente völlig taub.�
Joro senkte seine Waffe ebenfalls.
�Ich hoffe, ich werde es irgendwann schaffen, daß sie aufhört mich zu hassen. Das würde auch dein Leben wesentlich einfacher machen.�
Omareth legte den Knüppel weg und machte eine Geste, die bedeutete, daß sie fertig waren.
�Dann hätten wir immernoch die Leute aus Noth draußen vor dem Portal. Ich glaube, solange es Menschen gibt, wird sie niemals irgendwelchen Frieden finden.�
�Das ist sehr traurig��
Der Drow nickte und wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.
�Traurig ja, aber ich könnte dir keinen Weg nennen, wie das Problem zu lösen wäre. Außerdem solltest du nicht vergessen, daß du in meiner Sicht deines Volkes eine große Ausnahme darstellst.�
Joro seufzte und schaute Omareth mitleidig an.
�Vielleicht wirst du eines Tages die Erfahrung machen, daß es noch mehr Menschen wie mich gibt. Außerdem wirst du immernoch leben, wenn ich schon lange tot bin, daher denke ich, daß du vielleicht sogar noch eine Zeit erleben wirst, in der Menschen und Drow ihre alten Feindschaften vergessen und friedlich miteinander leben können. Zumindest diese Drow hier.�
�Deinen Idealismus schätze ich durchaus, Joro Macun, aber zunächst gibt es da noch diese Sache mit den Hochelfen, falls du die schon vergessen hast. Daher solltest du nicht vorschnell urteilen, wer von uns beiden der erste ist, der stirbt.� Und mit einem Grinsen fügte er hinzu: �Auf der anderen Seite wäre ich zutiefst beleidigt, wenn ich vor dir sterbe.�
Joro mußte lachen.
�Wenn man es genau nimmt, bin ich dir da sowieso schon einen Punkt voraus.�
Gemeinsam kichernd gingen sie zur Quelle hoch, um sich zu waschen.

Sie waren noch nicht einmal fertig, als sie unten den Gong läuten hörten.
�Verdammt!�, Omareth streifte sich, so schnell wie es eben ging, seinen Wams über, �Die Versammlung! Die hatte ich ganz vergessen!�
Joro bemühte sich seinerseits, sich wieder anzuziehen, während Omareth schon im Rennen nach unten irgendwie schaffte, seine Stiefel an die Füße zu bekommen. Als er endlich fertig war, rannte er den schmalen Pfad nach unten, an seiner Hütte vorbei, zum Festplatz, direkt vor Alystins Haus.
Dort standen schon die Priesterin und ihr General, letzterer sehr zur Unterhaltung der Anwesenden immernoch halb naß und mit sehr wirren Haaren, am Gong. Alystin eröffnete den Mitgliedern der Enklave, daß sie am folgenden Tag die Anreise ihrer neuen Verbündeten erwarteten.
Der junge Mensch stellte sich hinter die Reihen und hörte zu, wobei er nur einen Bruchteil verstand, da Alystin in der Drowsprache redete und das gehörig schnell.
Wie Ghaundar am Vortag schon erklärt hatte, war die Zustimmung für die Ereignisse, die auf sie warteten ziemlich durchwachsen. Einige der Drow rauften sich sogar die Haare, aber der Konsenz war wohl doch gewahrt, denn keiner erhob offen Einspruch. Schließlich fragte die Hohepriesterin noch, ob jemand Einwände hätte, aber keiner sagte etwas, sodaß sie die Versammlung mit dem obligatorischen �Jorah� beendete und alle zerstreuten sich, teilweise heftig diskutierend wieder über zwischen die Häuser.
Joro trat vor, zu den beiden Drowanführern hin, die miteinander sprachen.
�Guten Tag, Alystin. Ich habe zwar kaum etwas verstanden, aber ich nehme an, daß du ihnen erklärt hast, was du mit Balthasar beredet hast?�
Sie lächelte zuckersüß in seine Richtung.
�Richtig. Obwohl es mir natürlich klar war, daß sie das nicht alle gut finden würden, aber es ist nun einmal so, wie es ist.�
Omareth hatte es irgendwie geschafft, seine Haare zu bändigen und befestigte sie mit einer Spange im Nacken.
�Damit werden sie leben müssen�, knurrte er, �Es hat uns ja auch keiner gefragt, ob wir Ärger mit der Legion haben wollen oder nicht.�
Die Priesterin zuckte mit den Achseln.
�Einschränkungen, gleich welcher Art werden wir alle erfahren, und mit Sicherheit können wir nicht krampfhaft an alten Gewohnheiten festhalten. Ich denke Joros Anwesenheit sollte das mittlerweile allen hier klar gemacht haben.�
Sie sah sich um.
�Ich für meinen Teil werde jetzt einmal durch den Tunnel gehen und ein paar Kräuter sammeln. Davon kann man niemals genug haben.�
Joro hielt sich davon ab, sie zu fragen, ob er mitkommen solle, vor allem nicht, weil Omareth dabei war und noch einige andere Drow in Hörweite standen.
Alystin war seine Gefühlsregung jedoch nicht entgangen und ihre Hände formten aus einer sicheren Position �Ein anderes Mal�. Dann lächelte sie und ging ins Haus.
Omareth rückte seine Kleidung endgültig zurecht und meinte:
�Ich gehe jetzt und treffe mich mit den Spähern zur täglichen Lagebesprechung, magst du mitkommen?�
Der Priester schüttelte den Kopf.
�Nein, ich habe mir vorgenommen, vor das Portal zu gehen und mich umzusehen, wie es den Leuten aus Noth geht. Das wollte ich eigentlich schon vor unserer Abreise.�
�In Ordnung. Du kannst mir ja hinterher berichten, was dort los was, ich habe immer gerne einen Überblick über die Lage.�
Joro nickte und machte sich auf den Weg, während Omareth in eine andere Richtung fortging.

Am Portal angekommen fiel ihm auf, daß er überhaupt keine Ahnung hatte, wie man es bediente. Bisher waren immer andere Drow mit ihm unterwegs gewesen, die das getan hatten.
Er überlegte eine Weile, dann versuchte er es einfach, indem er sich auf die Mitte stellte.
Nichts geschah.
Hatten die Drow vielleicht bestimmte Schlüsselgegenstände, die es aktivierten?
Er sah sich hilflos um, wobei sein Blick auf ein Drowmädchen fiel, das in der Nähe damit beschäftigt war, Blumen zu sammeln. Sie mußte ihm gerade einmal bis zum Knie reichen. Naja, vielleicht noch bis an den Oberschenkel.
�Hey, du?�
Das Mädchen erstarrte und setzte erst an fortzurennen. Doch die Neugier überwog wohl. Es stellte sich mit einem schüchternen Blick im Gesicht hin, die Arme hinter dem Rücken und fragte: �Jaaa?�
�Äh, weißt du, wie man das Portal hier bedient?�
Es schaute ihn mit auf die Seite gelegtem Kopf an.
�Bist du der Menschenmann, der hier lebt?�
Joro wurde rot.
�Ja, der bin ich wohl��
�Und du bist in die Hohepriesterin verliebt?�
Hätte er gerade gemußt, hätte er aufgrund der peinlichen Berührung vermutlich in die Hose gemacht.
�Naja� weißt du��
Sie kicherte.
�Ich bin auch verliebt, in einen Jungen von der anderen Seite des Dorfes, weißt du� Für den sind die Blumen.�
Der Themenwechsel ließ ihn sich ein wenig entspannen.
�Da wird er sich bestimmt freuen.�
�Najaa��, sie spielte sich in den Haaren herum, �Eigentlich sind Jungs ziemlich doof und interessieren sich überhaupt nicht für Blumen, nur für Schwerter und son Zeugs��, die Enttäuschung darüber war ihr klar anzusehen, �aaaber��
�Was denn?�
�Aber vielleicht mag er sie ja trotzdem. Und wenn nicht, dann schenke ich sie eben meiner Mama.�
Joro kratzte sich am Kopf. Wenn es um das Liebesleben der Drow ging, war er ohne Zweifel nicht der richtige Gesprächspartner, aber er versuchte es einfach mal mit seinem hoffentlich gesunden Menschenverstand.
�Hm, mag er dich denn auch?�
Das Mädchen schien unschlüssig.
�Weißt du, er kann am Weitesten spucken.�
�Aha��
�Und er hat ganz alleine eine Wühlmaus gefangen.� So wie sie das sagte, mußte sie das tief beeindruckt haben.
�Das ist beachtlich.�
Sie nickte heftig.
�Das finde ich auch. Außerdem hat er mir gesagt, daß er mich hübsch findet.�
�Also wenn bei uns Menschen ein Junge zu einem Mädchen sagt, daß er sie hübsch findet, dann meint er damit meistens, das er sie mag.�
�Wirklich?� Das schien ihr zu gefallen.
Joro lächelte.
�Japp.�
�Dann bringe ich ihm die Blumen und hoffe, daß er sie auch haben will.�
Sie drehte sich um und begann, davonzuhüpfen. Hüpfen� schon wieder�
�Hey, warte doch mal, was ist mit dem Portal?�
Das Mädchen hüpfte einfach weiter und rief dabei:
�Da ist irgendwo ein kleiner Hebel an der Seite, der aktiviert es, wenn man kein Amulett dabei hat�� Dann war sie schon um eine Hütte herum.

Er suchte eine ganze Weile, bis er herausfand, daß eine der kleineren Säulen, die er für eine Verzierung des Portalrandes gehalten hatte, drehbar war. Nach einer Vierteldrehung leuchteten die Runen auf dem Portalboden blau auf und die Umgebung verschwand.
Dann stand er im Wald.

Der Anblick war verblüffend.
In weniger als zwei Wochen hatten die Jäger und Fallensteller aus Noth eine richtige kleine Siedlung von Baumhäusern und Hütten auf dem Waldboden errichtet. Alles davon stand auf hölzernen Stelzen, was, wie Joro annahm, darauf zurückzuführen war, daß der Boden mit seiner dem Frühjahr entsprechenden Mischung aus Steinen und Schlamm die Häuser am Abhang, der hier zwar nicht stark, aber immerhin vorhanden war, nicht gehalten hätte. Vor allem hier unter den dichten Bäumen kam die Sonne, egal wie stark sie schien, nicht bis zur Erde, es lag sogar noch eine ganze Menge mehr Schnee hier als in der Enklave selbst, obwohl diese wesentlich weiter im Norden war.
Zwischen den Hütten eilten die Menschen geschäftig hin und her und gingen ihren Alltagsgeschäften nach. Das Einzige, was an den Krieg erinnerte, waren die Aussichtsposten am unteren Rand des Waldes, die er von der etwas höhergelegeneren Position des Portalkreises erkennen konnte.
Auch die Rauchabzüge der Häuser waren so präpariert, daß keine Rauchfahnen aufstiegen, sondern der Rauch schon beim Austritt aus dem Haus so zerstreut wurde, daß man ihn kaum erkennen konnte. Er verstand, was die Drow gemeint hatten, als sie sagten, daß die Nothler auf sich aufpassen konnten.

Als er den kleinen Pfad vom Portal herunterschritt, bemerkten ihn die ersten Menschen und viele kamen auf ihn zugelaufen.
Er wurde sehr herzlich begrüßt und es hagelte Einladungen, jeder wollte sich persönlich bei ihm bedanken. Auch wenn er sich peinlich berührt fühlte, stimmte er dann doch zu, mit auf den kleinen Dorfplatz zu kommen, eine umfunktionierte Lichtung im Wald, um dort mit ihnen anzustoßen.
Nach einer kurzen Zeit kam auch Bragan dazu, der ihn ebenfalls herzlich begrüßte und ihn mit brennendem Wissensdurst ausfragte, was denn in den letzten Tagen geschehen sei.
Alle Anwesenden lauschten sie seiner Geschichte über die Duergar und was dort alles geschehen war.
Auch hier war vielen anzumerken, daß sie nicht sonderlich über die Neuigkeiten erfreut waren.
Bragan war der erste, der Worte dazu fand.
�Also werden wir uns ab morgen in der Gewalt eines Renegaten von einem Duergarkönig befinden?�
Joro schüttelte den Kopf.
�Nein. Erstens ist Balthasar ein echter König und zweitens wird er keinerlei Herrschaftsgewalt über euch haben. Ich glaube sogar eher, daß er euch sehr zu schätzen wissen wird. Ihr habt viele Talente und Fähigkeiten, die Zwergen nicht unbedingt angeboren sind, wenn du verstehst, was ich meine.�
�Er wird nur die Befestigungsanlage kommandieren?�
�Die Befestigungen und die Höhlen, die er in den Berg zu treiben gedenkt.�
�Warum sollte er sich auf so wenig einlassen? Wir wissen doch alle, daß Duergar gierige kleine Bastarde sind.� Einige der Umsitzenden murmelten zustimmend.
Der Priester lächelte spöttisch.
�Genauso, wie Drow alle böse und heimtückisch sind?�
Bragan hatte die Anspielung sehr wohl verstanden und blickte schamhaft zu Boden.
�Du hast recht, vielleicht sollte ich nicht vorschnell urteilen.�
Joro schüttelte den Kopf.
�Ich habe selber einige Vorbehalte, aber Balthasar hat sich bereiterklärt, uns zu helfen und wenn wir nicht alle an einem Strang ziehen, werden wir über kurz oder lang von einer goldenen Lawine überrollt. Damit will ich nicht sagen, daß ihr nicht mißtrauisch sein dürft, aber vielleicht sollte er eine gerechte Chance bekommen, bevor ihr ihn zu einem Problem erklärt� Den Drow in der Enklave ist es übrigens auch nicht ganz recht.�
Der alte Mann wirkte überrascht.
�Nicht?�
�Nein. Viele von ihnen haben wahrscheinlich die selben Vorurteile, wie ihr oder ich. Aber was hier zählen muß, ist nicht eine Vorverurteilung, sondern eine gerechte Betrachtungsweise dessen, was hier geschieht und geschehen wird. Außerdem braucht er uns mindestens genauso, wie wir ihn brauchen. Man sagt ja nicht umsonst, daß eine Kette nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied.�
Das leuchtete dem Großteil der Anwesenden ein.
Joro stand auf, es war mittlerweile Abend geworden und das Sonnenlicht wurde schwächer. Er nahm seine Maske vom Gürtel und setzte sie auf.
�Ich muß langsam zurück. Morgen wird ein langer und harter Tag, für alle von uns.�
Bragan legte ihm die Hand auf die Schulter.
�Gehabt Euch wohl, Totengräber. Ich spreche für uns alle hier, wenn ich Euch sage, daß ihr, wann immer ihr eine helfende Hand braucht, nur herkommen und fragen müßt�
Alle um sie herum machten zustimmende Geräusche.
�Ich danke dir, Bragan. Sollte das der Fall sein, komme ich zu euch�, und zu den anderen gewandt fügte er hinzu, �Für mich gilt das genauso. Wenn irgendjemand unter euch meinen Beistand braucht, bin ich jederzeit bereit, diesen zu geben.�
Viele sagten �Danke�.

Auf dem Weg nach oben zum Portal kam er an einer Hütte vorbei, durch deren Fensterverschläge er eine gebückte Gestalt sehen konnte. Es war zweifelsohne Hanna.
Er klopfte leise an die Tür und von drinnen erscholl ein überraschtes �Herein!�.
Als sie ihn sah, erhellte sich ihr Gesicht.
�Herr Totengräber! Wie schön Euch zu sehen!�
�Ich sagte doch, daß ich nach dir sehen werde. Wie ich sehe, hast du ein neues Heim und es geht dir gut.�
�Naja, gut�, sie lächelte gequält, �so gut, wie es einer alten Frau mit Gicht in den Bergen schon gehen kann.� Sie setzte sich ächzend auf einen Schaukelstuhl in einer der Ecken der Hütte. �Außerdem vermisse ich meinen Gatten.� Unvermittelt wurden ihre Augen feucht.
Joro nahm einen Schemel, der am Tisch in der Mitte stand und setzte sich neben sie.
�Das verstehe ich gut. Und ehrlich gesagt kann ich nicht viel dazu sagen, ich habe den Tod meiner Eltern selbst noch nicht überwunden.�
�Eure Eltern sind auch tot?�
�Die Drow� ein Horde von Marodeuren hat sie vor gut einem halben Jahr getötet, zusammen mit meinen Geschwistern.�
Sie wirkte bestürzt und nahm seine Hand.
�Armer Junge. Dann ergeht es Euch noch schlimmer als mir��
�Ich glaube kaum, daß man das vergleichen kann, aber du hast recht, schön war es nicht.�
Hanna lächelte, mit Tränen in den Augen.
�Wißt Ihr noch, was Ihr mir damals sagtet, als ihr meinen Mann begraben hattet?�
Er mußte ebenfall lächeln.
�Ja. Ich hoffe, daß es ihnen gut geht, dort wo sie jetzt sind.�
Sie ließ den Blick durch die Hütte schweifen.
�Jetzt habe ich Euch nicht einmal etwas zu Essen angeboten. Ich bin eine lausige Daishani.�
Joro mußte lachen.
�Das macht überhaupt nichts, ich habe heute schon sehr viel gegessen. Die Leute hier haben den ganzen Nachmittag versucht, mich zu mästen.�
Hanna mußte ebenfalls lachen.
�Dann fühle ich mich nicht mehr ganz so schäbig� Wie ergeht es Euch mit den Drow?�
�Sie sind sehr freundlich zu mir und einige von ihnen würde ich als echte Freunde bezeichnen.�
�Diese Frau, damals in Noth��
�Was ist mit ihr?�
�Sie ist ihre Anführerin, nicht wahr?�
�Ja, Alystin ist die Hohepriesterin der Eilistraee und die sprituelle Anführerin der Enklave.�
�Schpiri�was?�, sie wirkte etwas beschämt, und fügte mit einem traurigen Gesicht hinzu: �Ich bin nicht so gebildet, Herr Totengräber.�
�Sie ist höchste geistliche Person unter ihnen.�
�Ahhh��, sie überlegte kurz, �sie� sie ist Euch nicht ganz egal, oder?�
Wieder einmal fragte sich Joro nicht ganz ohne Zorn, ob es dermaßen offensichtlich war, daß er sich in sie verliebt hatte.
�Wie kommst du darauf?�, fragte er unschuldig.
Hanna lächelte wissend. �Die Art und Weise, wie Ihr auf sie herabgeschaut habt, als sie Euren Arm nahm, hat mir viel verraten. Wenn man so alt ist, wie ich, weiß man solche Dinge gut zu deuten.�
Er seufzte. �Nein, egal ist sie mir ganz und gar nicht. Aber wenn du mir jetzt sagst, daß Menschen und Drow einfach nicht zusammen passen, werde ich mich übergeben müssen.�
�Also haben die Euch das auch gesagt, nicht wahr?�
�Ja��
Die alte Frau machte eine zustimmende Miene.
�Mit der Liebe ist das so eine Sache. Irgendwie nimmt sie manchmal seltsame Wege und geht zielstrebig an Orte, an denen man sie nicht haben möchte. Oder an Orte, an denen andere sie nicht haben wollen.�
�Das umschreibt meine Situation mit sehr klaren Worten, Hanna.�
�Sie mag dich auch.� Sie hatte keine Frage gestellt, es war eine klare Feststellung.
�Das hast du auch erkannt?�
�Ihre Art, mit Euch umzugehen hat es gezeigt, da gibt es kein Vertun�, sie blickte zu ihm herüber, �Hat sie es Euch noch nicht gesagt?�
Er fühlte irgendwie, daß er ihr vertrauen konnte.
�Ja, das hat sie, sogar ziemlich eindeutig. Aber sie hat einen Gewissenskonflikt, weil sie die Führerin der Drow ist und viele der Dunkelelfen bestimmt etwas dagegen hätten.�
Hannas Blick wurde ein bißchen glasig und sie meinte: �Die Liebe ist wie ein Fluß. Egal, auf welche Hindernisse er trifft, er wird sich immer den Weg zum Meer suchen. So wird auch die Liebe am Ende ihren Weg finden, zwei Herzen miteinander zu vereinen.�
Joro war verblüfft.
�Das ist ein wunderbarer Vergleich��
Sie wirkte etwas verschämt.
�Das war ein Satz aus einem Liebesroman, den meine Tante mir einmal vorgelesen hat, als ich noch ein Kind war. Ich fand immer, das er wunderschön ist, deshalb habe ich ihn mir gemerkt.�
Der Priester stand auf und spähte aus den Fensterläden. Draußen wurde es zusehens dunkel, also war es langsam aber sicher Zeit, zu gehen. Vor dem morgigen Tag mußte er unbedingt noch etwas schlafen.
Zu Hanna gewandt meinte er: �Ich danke dir zutiefst. Du hast mir neuen Mut gemacht.�
�Das war nicht der Rede wert, mein Herr. Ich stehe nach wie vor in Eurer Schuld.�
Er schüttelte den Kopf.
�Nein, das tust du nicht. Aber nanntest du mich einen Freund, wäre ich sehr glücklich damit. Außerdem kannst du ruhig �du� sagen, die förmliche Anrede finde ich irgendwie unpassend. Mein Name ist Joro.�
Hannas Gesicht strahlte. �In Ordnung, dann geh� mit Celestus� Segen, Joro.�

Er ließ die Hütte hinter sich und ging den mit Fackeln beleuchteten Pfad nach oben zum Portal. Auch auf dieser Seite gab es eine drehbare Säule, die er benutzte, um wieder in die Enklave zu kommen.
Der Himmel über dem kleinen Tal war wolkenlos und von tausenden von Sternen übersät, was die Berge geradezu zwergenhaft im Angesicht dieses riesigen Himmelsgewölbes erscheinen ließ. Er hielt einen Moment inne und zog den Gürtel seiner Robe ein Stück enger, da ihm der Frost von unten in die Kleidung kroch. Drüben auf der anderen Seite war es doch deutlich wärmer gewesen.
Der Anblick war wunderbar und wenn er es sich hätte wünschen können, hätte er jetzt am liebsten Alystin dort gehabt und sie in den Arm genommen, um sie niemals wieder loszulassen. Aber das mußte wohl ein Traum bleiben, wobei er trotzdem wieder an den Satz mit dem Fluß denken mußte, den Hanna gesagt hatte. Er war voller Hoffnung, daß sein Fluß eines Tages das Meer erreichen würde.

Obwohl er müde war, nahm er noch die zehn Runden um das Dorf auf sich, um danach völlig geschafft in sein Bett zu fallen.


Kapitel 17


Joro wachte am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang auf und zog sich noch im Halbschlaf seine Rüstung an, um Laufen zu gehen.
Als er jedoch vor die Hütte trat, saß dort bereits Omareth, seine Pfeife paffend auf einem Schemel und schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen.
�Spar dir den Lauf heute, Joro. Du wirst heute mehr laufen, als dir lieb ist.�
�Und das Training?�
�Keine Zeit. Die Späher haben mir gestern gesagt, daß sie die Duergar spätestens bei Sonnenaufgang erwarten. Was meinst du wohl, warum hier schon so viel los ist?�
Tatsächlich. Er hatte es kaum bemerkt, aber überall aus den Häusern der Drow drangen bereits Geräusche und vereinzelt konnte er ein Flackern sehen, wo Öfen angeheizt wurden. Dabei fiel ihm auf, daß er es seltsam fand, daß sie niemals Licht brennen ließen, aber immerhin konnten sie in völliger Dunkelheit sehen, im Gegensatz zu ihm, weshalb er wohl oder übel immer eine Öllaterne mit sich herumtragen mußte, wenn er nachts aufstand.
�Tut dir das Licht eigentlich in den Augen weh?� Er bemühte sich, vorsorglich nicht in Omareths Richtung zu leuchten.
�Vor ein paar Hundert Jahren wäre ich jetzt erst einmal blind gewesen, aber heute macht es mir nicht mehr so viel aus.�
�Dann ist es ja gut. Das ist so eine der vielen Kleinigkeiten, die mir oft entfallen und ich will da keinem zu nahe treten��
�Kannst du dir leicht merken� Das Drowwort �Ssussun�, das �Licht� bedeutet ist ein ausgesprochen böser Fluch.�
�Ja, das hat mit Ghaundar schon einmal erklärt. Aber ihr Oberflächendrow könnt doch alle damit umgehen, oder?�
�Umgehen ja, aber das heißt nicht, daß es angenehm ist, im Dunkel plötzlich in ein Licht zu sehen. Geht es euch Menschen nicht genau so?�
Doch, das war in der Tat so. Er erinnerte sich, einmal lange Zeit im Dunkeln gesessen zu haben und als dann jemand mit einer Fackel vorbeikam, konnte er für kurze Zeit kaum etwas sehen, weil sich in seinem Blickfeld ein schwarzer Punkt abzeichnete.
�Du hast recht.�
Er lehnte er sich neben Omareth an die Wand.
�Und wie wird das heute ablaufen?�
�Die Duergar werden hier durchmarschieren und mit dem Portal übersetzen. So wie Balthasar es Alystin und mir erklärt hat, bringen sie Maschinen mit, um auf der Stelle mit dem Bau zu beginnen. Zwerge, egal ob Duergar oder nicht, fühlen sich einfach wohler, wenn sie Steine über ihren Köpfen haben. Und ich kann dir sagen, da wirst du etwas zu sehen bekommen, was du noch nie gesehen hast.�
�Beeindruckend?�
Der Drow machte ein bedeutsames Gesicht.
�Die meisten Duergarpriester sind Steinseher. Sie können Elementare von beträchtlicher Macht beschwören und diese helfen ihnen bei ihren Bauvorhaben. Außerdem haben die Duergar Maschinen, die sich durch den Stein graben können. Es würde mich nicht wundern, wenn sie schon heute Abend ihre erste Wohnhöhle fertiggestellt hätten.�
�Erstaunlich.�
�Ja, tatsächlich. Dennoch sollten wir aufpassen, daß es zu keinen Reibereien kommt, weder mit unseren Leuten noch mit den Menschen aus Noth.�
�Ich war gestern auf der anderen Seite und habe mit Bragan geredet.�
Omareth nickte. �Ja, du hattest gesagt, daß du das vorhattest.�
�Die Leute da drüben haben in etwa die selben Bedenken wie wir, aber ich habe sie beruhigt und ihnen gesagt, daß sie sich keine Sorgen machen sollen.�
�Das hast du gut gemacht. Auch wenn ich die Befürchtung habe, daß wir uns unter Umständen trotzdem Sorgen machen müssen.�
�Wir werden sehen.�
Der Drow stand auf und stellte den Schemel unter den Hüttenrand.
�Komm, wir gehen zum Tunnel und warten auf der anderen Seite. Ghaundar sollte da auch bald eintrudeln, er ist noch mit den Spähern draußen.�

Der Weg durch den Tunnel war dieses Mal irgendwie länger als zuvor. Das lag wohl daran, daß Joro es kaum erwarten konnte, die andere Seite, und das was sich dort bald abspielen würde zu sehen. Als sie schließlich das zweite Tor passierten, blickte er erwartungsvoll auf das Tal unter ihnen und sah�.nichts.
Die Sonne leckte zwar bereits an den Kanten der Berge, aber es war immernoch stockduster und er konnte das Tal nur als einen einzigen, schwarzen Fleck erkennen.
�Siehst du etwas, Omareth?�
�Unsere Nachtsicht ist recht begrenzt, Joro. Wir können damit nur auf etwa zwölf Schritte Dinge klar erkennen, danach ist es ein einziger violetter Schleier.�
Erst wollte der Priester fragen, warum die Duergar ohne Fackeln oder dergleichen marschierten, falls sie schon nah genug heran waren, aber dann fiel ihm ein, daß auch Dunkelzwerge mit großer Sicherheit kein Licht brauchten, um sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Seine eigenen Augen kamen ihm bei diesen Gedanken irgendwie fehlerhaft vor.
Omareth schüttelte sich.
�Es ist immernoch verdammt kalt dafür, daß hier kaum noch Schnee liegt. Der Boden ist ja auch noch gefroren.� Wie zum Beweis stampfte er ein paar Male auf die steinharte Erdfläche, auf der er stand.
�Wollen wir ein Feuer machen?�
�Das würde nur unsere Position verraten, wer weiß, ob ihnen die Legion nicht gefolgt ist. Und ein verstecktes Feuer können wir nicht machen, weil wir keine Grube ausheben können in dieser Eisfläche, die sich Erde nennt.�
�Mist.�
�Ssussun, eh?� Omareth lächelte schief.
�Was ist mit der Laterne, soll ich die auch abdecken?�
�Nein. Eine solche Funzel kann man kaum ein paar Hundert Schritte sehen.�
�Gut, ich will uns nur nicht in Gefahr bringen.�
�Keine Angst, ich bin ja dabei, damit so etwas nicht geschieht.�
�Du mein Retter��
�Nicht frech werden!�

Sie warteten eine gute Stunde, wobei Joro die Erfahrung machte, daß Omareth, entgegen Ghaundars Wesen, eine Person mit ausgesprochen wenig Geduld war. Er machte andauernd Striche an der Stelle, wo das Sonnenschein über die Berge hinweg auf den Boden schien und diese waren ziemlich dicht beieinander.
Joro kommentierte das nicht, er war selbst nicht der geduldigste Mensch vor den Göttern.

Er wußte nicht genau, wie lange sie gewartet hatten, aber nach einer Weile huschte Ghaundar zu ihnen vor das Tor. Joro hatte ihn nicht gehört, er bemerkte ihn erst, als er zu sprechen begann.
�Sie kommen�, sagte der Assassine leise, �Ihre Vorhut war dicht hinter uns.�
Obwohl es schon heller war, konnte Joro immernoch nichts erkennen.
Omareth tauschte mit Ghaundar eine ganze Reihe komplexer Gesten aus, die für den Menschen viel zu schnell waren. Dann sagte er an ihn gewandt:
�Sie versuchen, noch bevor es völlig hell wird hier zu sein.�
�Torkum befehligt ihre Vorhut, ich habe vorhin mit ihm gesprochen�, fügte Ghaundar hinzu, �es sieht fast so aus, als hätten sie große Sorgen, daß die Legion ihnen folgt, obwohl sie dafür keinen Beweis haben.�
�Das ist verständlich�, sagte Joro, �Nachdem sie wissen, wo Balthasars Festung war, kommen sie bestimmt noch einmal wieder.�
Ghaundar nickte. �Torkum hat mir auch gesagt, daß sie sich bemüht haben, es aussehen zu lassen, als seien die Legionäre in eine Falle der Duergar geraten und wären beim Einsturz des Berges unter den Felsen begraben worden.�
�Wie denn das? Wir haben doch alle Leichen verbrannt.�
�Du kennst die Duergar nicht. Die haben auch keine Probleme damit, verbrannte Leichen aus der Asche zu zerren, ihnen wieder Rüstungen anzuziehen und unter irgendwelche scheinbar heruntergefallenen Steine zu legen.�
Das gefiel Joro ganz und gar nicht, aber er wußte, daß es notwendig gewesen sein mußte.
�Hoffen wir also, daß sie die Täuschung schlucken�, meinte er mit säuerlichem Unterton in der Stimme.
Sie warteten noch eine kleine Weile, dann erschienen plötzlich etwa zwanzig Duergar direkt vor ihnen. Torkum, der an der Spitze stand, salutierte kurz vor Omareth und schaute dann einmal in die Runde.
�Seid ihr alle schon bereit?�
�Da die Sonne bereits fast aufgegangen ist, sollten unsere Leute schon lange damit begonnen haben, einen befestigten Weg mit Planken zu legen, damit eure Maschinen darüber fahren können, ohne steckenzubleiben.�
�Gut. Die sollten bald hier sein, wir haben einen Weg gefunden, sie schneller zu bewegen, auch wenn das zur Folge hatte, daß wir viel Hausrat zurücklassen mußten. Aber der Zweck heiligt die Mittel.�
�Mit anderen Worten: Weniger tragen und mehr ziehen?�
Der Duergar blekte seine gelben Zähne.
�Ganz genau.�
�Dann heißt es jetzt also warten. Ich hoffe sie treffen noch rechtzeitig ein.�

Die Sonne war halb über den Hang gezogen, als Joro endlich unten im Schatten einen ziemlich langen Troß von Dunkelzwergen erblickte, die sich die Steile Bergwand hochkämpften. Sie zogen große Konstrukte hinter sich her, wobei sich der Priester fragte, wie sie diese durch den Tunnel bekommen wollten. Immerhin gingen die Tore kaum richtig auf und der Gang selbst war auch nicht der größte. Darauf angesprochen antwortete Torkum:
�Omareth und Alystin haben unserem König genaue Angaben darüber gemacht, wie groß der Durchlaß ist. Und es gibt kein Tor der Welt, daß zweihundert Duergarkrieger nicht aufstemmen können.�

Eine halbe Stunde später kam der Haupttroß oben an, allen voran Balthasar. Dieser begrüßte Omareth, Ghaundar und Joro knapp und brüllte dann sofort Anweisungen, das Tor zu öffnen.
Torkum hatte nicht übertrieben. Jeweils etwa fünfzig Duergar packten je einen Torflügel und bogen die schweren Metallplatten, die die drei Drow und Joro zusammen kaum soweit hatten bewegen können, um durchzuschlüpfen, wie Schilfhalme in beide Richtungen auseinander, wobei Steine und Geröll, die davor lagen, geradezu durch die Luft flogen.
Der König betrachtete die Arbeit seiner Männer ausgesprochen wohlwollend und flüsterte, ohne dabei die Miene zu verziehen, Omareth zu:
�Endlich haben sie wieder etwas zu tun. Das vertreibt die ganzen Flausen, die sie über die Jahre in ihre Köpfe bekommen haben.�
Was folgte, war, daß die Duergar begannen, die Wagen mit den Habseligkeiten und die Maschinen durch die Öffnung in den Tunnel hereinzuziehen, wobei sie mehr als hart von den Offizieren des Königs angetrieben wurden.
Die Duergarfrauen, die eine erstaunliche Anzahl aufwiesen, trugen allerlei Säcke und zu Joros Erstaunen auch Kinder mit sich und bemühten sich dabei, den Soldaten so gut es ging nicht in die Quere zu kommen.
Joro half mit, so gut er konnte. Leider mußte er schnell herausfinden, daß Duergar ihre eigene Form hatten, mit Hilfe umzugehen. Im Nu war er so überladen, daß er kaum noch laufen konnte. Ghaundar lief feixend neben ihm her, bis er dem Drow einen der Säcke in die Hand drückte, was von einigen Duergar sofort damit quittiert wurde, ihm ebenfalls einige Gepäckstücke zu geben.
Ghaundar sah ihn bitterböse an, aber Joro grinste nur frech zurück.
�Du warst doch eben noch so fröhlich?�
�Klappe halten�, knurrte der Drow.

In der Enklave selbst hatten Omareths Zimmermannskollegen bereits eine Bahn aus dicken Brettern gebaut, um die Stellen in der Enklave, wo der Boden vom Tauwetter noch durchweicht war, für die Maschinen befahrbar zu machen.
Dennoch dauerte es einige Stunden, bis die Zwerge die schweren Konstruktionen aus Holz und Metall auch nur halb durch das Tal gewuchtet hatten. Die Balken hielten zwar, aber sie mußten nach jedem Mal, an dem sie befahren worden waren erst einmal aus dem Schlamm gegraben werden, um erneut auf dem Boden ausgelegt werden zu können. Die Gerätschaften der Duergar waren doch wesentlich schwerer, als man es angenommen hatte.
Der Mittag war schon lange vorbei, als sie die ersten von ihnen endlich an den Portalkreis geschafft hatten.
Selbst Balthasar, der zunächst nur danebengestanden hatte, um zu kommentieren, hatte sich am Ende von seinem tragbaren Thron herabgelassen und war den anderen zur Hand gegangen. Die Drow hatten ebenfalls so gut sie konnten gezogen, gebremst und gestützt, wo es nötig war. Anfänglich hatten die Duergar das nicht sonderlich begrüßt, aber als sie sahen, daß sich die Dunkelelfen ehrlich bemühten, hatten sie schweigend Platz gemacht, um sie mit anpacken zu lassen.

Sie bemühten sich, so gut sie konnten, die schweren Maschinen auf das Portal zu schieben, was dank der harten Steinplatte recht einfach war, sobald die vorderen Räder der teilweise bis zu vier Achsen aufweisenden Geräte erst einmal darauf waren.
Joro stellte sich, während er immer wieder Säcke und Kisten annahm, um sie in einer Kette weiterzureichen, immer wieder die Frage, wozu die Apparate mit ihren Massen an Streben, Ketten und dergleichen eigentlich überhaupt dienten. Das mußte allerdings warten, denn es gab noch irrsinnig viel zu tun.
Sie schufteten bis zum Sonnenuntergang, dann war die letzte Maschine auf der anderen Seite. Joro brach fast zusammen, als er endlich den letzten Sack ablegte und sich müde auf einen Findling hockte.
Die Menschen aus dem Wald halfen nun ihrerseits, die Habseligkeiten der Duergar zu einem bestimmten Ort unten am Waldrand, nahe der Bergwand zu bringen.
Dort hatten die Seher des König bereits lange bevor die ersten Maschinen angekommen waren damit begonnen einige sehr große Kreise mit allerlei magischen Zeichen auf den Boden zu malen und hatten sich daraufhin in Dreiergruppen um diese Kreise gestellt und Gesänge angestimmt.
Joro hatte das einige Male, wenn er hin- und herwechselte, um Gepäck auf die andere Seite zu bringen, beobachtet und sich daran erinnert, was man ihm über die Elementare gesagt hatte.
Er hatte derartige Kreaturen noch niemals gesehen und ertappte sich trotz seiner körperlichen Verfassung dabei, es unbedingt sehen zu wollen, anstatt sich alsbald ins Bett zu legen.
Sowieso war er erstaunt, daß er die unglaublichen Anstrengungen der letzten Zeit so gut überstanden hatte. In den letzten Tagen war es ihm fast so, als sei sein Bauch geschrumpft und seine Arme muskulöser geworden. Auch seine Beine hatten einiges an Fett verloren.
Dabei sah er trotzdem nicht gerade dünn oder gar durchtrainiert aus, aber er machte sich auch keine Illusionen, da er seinen Vater noch gut in Erinnerung hatte. Dieser war trotz seiner nicht unerheblichen Kraft immer ein untersetzter, eher stämmiger Mensch geblieben.
Die Ereignisse unten am Waldrand brachten ihn aus seinen Gedanken.
Die Zwerge hatten überall Feuerschalen aufgestellt, deren Kohlenglut den Waldrand schwach erleuchtete. Joro nahm an, daß das eher dem Ambiente galt, als tatsächlich, um Licht zu haben. Es war ja nicht von der Hand zu weisen, daß Duergar, wie die meisten Zwergenrassen � so nahm er an � mit den Elementen des Feuers und der Erde seht verbunden waren.
Die Seher hatten ihre Gesänge beendet und knieten nun an den Rändern der Kreise. Dabei pulsierten die Zeichen auf dem Boden in grünem Licht. Dieses Pulsieren wurde zunehmend stärker und dann erlosch es mit einem Male.
Was dann geschah erfüllte Joro mit großer Erfurcht.
Der Boden in den Kreisen wölbte sich nach oben und langsam aber sicher schälten sich wage humanoide Schemen aus der Erde, ganz aus Stein bestehend. Dabei ertönte ein unglaublich lautes Brechen, Schleifen und Knirschen, als sie durch den Felsen barsten.
Joro zählte vier von ihnen und sie mußten jedes größer als sechs oder sogar sieben Schritte sein!
Die Müdigkeit war wie verflogen und er starrte nur gebannt auf das Geschehen.
Eine Hand riß ihn unversehends aus seiner Faszination, als ihm eine schwere Pranke auf die rechte Schulter klopfte. Er fuhr herum und neben ihm stand der Duergarkönig, der irgendwie eine dicke Oberlippe hatte.
Balthasar hatte bemerkt, daß ihm der Mensch auf den Mund starrte und reichte ihm eine Dose entgegen.
�Magst du probieren?�
�Was ist das?�
�Kautabak, der beste der Welt.�
�Laß mich raten, ein einzigartiges Duergarrezept?�
Der dicke Zwerg grinste.
�Wie hast du das erraten?�
Joro betrachtete den Inhalt der Dose. Es war ein loses, schwarzes Etwas, das irgendwie streng roch.
�Und was macht man damit?�
�Meine Güte, du bist ein Mann und hast noch nicht einmal Kautabak probiert?� Balthasar war fassungslos. Dann schaute er ihn prüfend an. �Du bist doch schon ein Mann, wenn du verstehst, was ich meine?�, fragte er.
Der junge Mensch nickte schüchtern.
�Na dann ist es an der Zeit, daß du nach dem Unterleib einer Frau auch einen guten Kautabak probierst.� Der Duergar spuckte einen scharzen Klumpen auf einen der Steine in der Nähe und sagte dann:
�So geht das, du nimmst mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Klumpen und rollst ihn dann zu einer kleinen Rolle�, Balthasar machte es ihm vor, �Und dann schiebst du dir die Rolle unter die Oberlippe, ganz einfach.�
Joro dachte erst darüber nach, es abzulehnen, aber er war sich mehr als sicher, daß das nicht in Frage kam. Also griff er in die Dose, nur um zu bemerken, daß die schwarze, suspekte Masse sogar leicht feucht war und sich irgendwie wie Torf anfühlte. Dann nahm er einen kleinen Klumpen davon, ließ sich von Balthasars gekichertem �Mädchenportion� nicht abschrecken und formte mit ungeschickten Fingern eine kleine Rolle davon, die er sich dann unter die Oberlippe steckte, mit dem innerlichen Gebet, daß das Zeug nicht so schmecken würde, wie es roch.
Der König quittierte das mit einem Grunzen und wandte sich wieder dem Geschehen am Waldrand zu. Joro tat das auch und wartete dabei innerlich darauf, was wohl mit dem eigentlich nur etwas salzig schmeckenden Klumpen unter seiner Lippe geschehen würde. Einige Momente später bereute er das gravierend.
Ihm wurde erst ein bißchen komisch, dann kippte plötzlich irgendwie der Horizont weg und das Nächste, was er bemerkte, war, daß er sich furchtbar übergeben mußte, was aufgrund seines vergleichsweise leeren Magens ziemlich weh tat.
Balthasar neben ihm lachte sich fast tot und als Joro sich wieder einigermaßen zusammengenommen hatte und sich wieder auf den Stein setzte, klopfte er ihm gönnerhaft auf die Schulter.
�Die ersten Male sind immer ein bißchen heftig, aber man gewöhnt sich daran, glaub mir das.�
Joro kommentierte das nicht, sondern wischte sich mit etwas Gras den Sabber vom Mund.
Erst einmal wollte er sehen, was dort unten los war, um damit seine Gedanken von seinem Magen abzulenken.
Die Elementare waren mittlerweile vollständig aus dem Boden gewachsen und wurden von den Sehern umrundet, die scheinbar beschwichtigend auf sie einsangen.
Dann traten sie alle von den Kreisen zurück und überließen den Elementaren den Weg auf die Felswand frei.
Was dann geschah brachte ihn außer Atem. Die vier riesigen Gestalten setzten sich unglaublich langsam in Bewegung und näherten sich den steil emporragenden Mauern aus Stein. Als sie diese mit schier unmenschlich niedriger Geschwindigkeit erreichten, teilte sich vor ihnen das Massiv, als sei jemand mit einem heißen Eisensporn in eine Kerze gefahren. Das Gestein brach nicht, es splitterte auch nicht fort, sondern es schmolz. Nicht so wie bei Vulkanausbrüchen, von denen Joros Großvater einmal erzählt hatte, sondern es wurde einfach zu einer grauen Masse, die zu Boden lief und sich darüber verteilte.
Die vier, wage wie Menschen aussehenden Figuren aus Stein gingen, oder besser schlurften, sehr dicht beieinander, sodaß sie in Kürze einen Tunnel von beachtlicher Größe in den Stein trieben.
Die Duergar waren ihrerseits dabei, mit ihren Maschinen das geschmolzene Gestein nicht nur weitflächig zu verteilen, sondern auch zu sammeln, um es schnell an andere Orte zu bringen, um es dort ebenfalls auf den Boden auszubreiten.
Bald waren die Elementare im Berg verschwunden und die Maschinen der Duergar folgten ihnen nach. Balthasar machte ein paar Schritte vorwärts, er hatte die ganze Zeit neben ihm gestanden. Doch er hielt kurz inne und stellte die kleine Dose vor Joro auf einen Stein.
�Zum Üben, junger Mann.�
Dann ging er gemächlich, mit wackelndem Bauch den Hang herab, auf seine Leute zu.

Joro war müde und entschloß sich, jetzt ins Bett zu gehen. Zunächst schaute er jedoch lange auf die Dose, um sich am Ende doch dazu zu entschließen, sie mitzunehmen.

Auf dem Weg in seine Hütte hatte er keinen anderen der Drow noch gesehen, sie waren garantiert alle totmüde ins Bett gefallen. Das Letzte, was er von Omareth und Ghaundar gesehen hatte, war, daß die beiden irgendwann ihre letzten Handgriffe gemacht hatten und in stillem Einvernehmen einfach fortgegangen waren.
Er selbst hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich zu waschen sondern wollte einfach nur noch schlafen, ein Impuls, dem er dann auch sofort nachging.

Er wachte auf, als die Tür zu seiner Hütte aufflog. Herein trat Omareth in voller Rüstung und den Knüppel in der Hand.
�Du schläfst doch nicht etwa wirklich, oder?�
Joro richtete sich, noch im Halbschlaf, im Bett auf und sah mit halbgeschlossenen Augen in seine Richtung.
�Hast du eigentlich eine Ahnung, was das gestern für eine Schufterei war?�
�Ich habe dir schon beim ersten Mal gesagt, daß du deine Zeit nicht mit Lamentieren verschwenden sollst, sondern zusehen solltest, deine Kraft in harte Arbeit an dir selbst zu investieren! Zieh dich an und mach dich zum Laufen fertig!�
Es war klar, daß Omareth keinerlei Widerspruch duldete.
Mit einem Zorn und einem Unwillen, die ihresgleichen suchten, schälte sich Joro, derbste Flüche vor sich hinmurmelnd aus den Laken und stand auf, um seine Rüstung anzulegen.
Als er schließlich mit einem Gesicht wie ein Mensch, der kurz davor war, jemanden zu ermorden, vor die Hütte trat, sah er, daß ihn Omareth mindestens genauso böse ansah.
�Spar dir irgendwelche Verwünschungen und beweg deinen Arsch um das Tal. Und wenn du trödelst, lasse ich dich so lange Extrarunden laufen, bis du zusammenbrichst.�
Anfänglich verwünschte er den Drow auf das Derbste, aber als seine furchtbar schmerzenden Muskeln langsam begannen durch die Anstrengungen warm zu werden, begann er darüber nachzudenken, daß es der Dunkelelf eigentlich nur gut mit ihm meinte. Er hatte immerhin einen Schwur vor Celestus abgelegt, ihn nach bestem Wissen auszubilden.
Am Ende der fünften Runde kam er endlich schnaufend wieder vor seiner Hütte an.
�Hast du dich wieder abgeregt?�, fragte der Drow.
Joro wollte kurz noch entgegnen, daß er es nicht schätzte, auf diese Art und Weise geweckt zu werden, aber er entschied sich, die Lage nicht noch weiter anzuspannen.
Stattdessen hob er grimmig den bereits bereitliegenden Knüppel auf und stellte sich in Kampfposition.
Heute war er es, der mit einigem Zorn auf seinen Gegenüber einprügelte, aber im Gegensatz zum Vortag war er nicht der Überlegene. Ganz im Gegenteil. Schon nach kurzer Zeit wurde ihm klar, daß Zorn ein schlechter Ratgeber war, denn er gab sich viel öfter als sonst Blößen, die in einem ernsten Kampf ohne Zweifel sein Tod gewesen waren.
Omareth sagte während der ganzen Trainingslektion nichts, aber als sie schließlich fertig waren, stellte er sich, leicht schnaufend vor Joro hin und fragte:
�Und, was hast du heute gelernt?�
�Du willst unbedingt, daß ich dir das sage, oder?�
�Hier geht es nicht darum, wer von uns beiden Recht hat oder der Stärkere ist, du dummer Jungspund. Dein Gott hat mich gebeten, aus dir einen Soldaten zu machen und nicht ein weinerliches Heulekind, das seinen täglichen Launen ergeben ist.�
Joro spürte wieder Wut in sich aufsteigen, aber er merkte schnell, daß der Zorn sich gegen ihn selbst richtete und nicht gegen Omareth.
�Du hast recht. Was ich heute gelernt habe, ist, das Wut einen leichtsinnig werden läßt und den Tod bedeuten kann.�
�Ganz genau. Aber wenn du weißt, wie du deine Wut nutzen kannst, indem sie deinem Willen dienlich ist, dann ist sie ein mächtiger Verbündeter. Erinnerst du dich an den Kampf gegen den Hauptmann in Noth?�
�Natürlich.�
�Glaubst du, daß du es geschafft hättest, einem ausgebildeten Offizier der goldenen Legion sein Schwert einfach so aus der Hand zu wischen, wenn du nicht eine gehörige Portion Wut im Bauch gehabt hättest?�
Joro war verblüfft. Omareth hatte völlig recht.
�Ja, stimmt, das ist eher unwahrscheinlich, oder?�
�Und genau davon rede ich. Du mußt tief in deinem Inneren auf deine Seele hören und wenn du dort Wut, Zorn, Haß findest, solltest du ihn gezielt und richtig dosiert einsetzen. Genau wie Angst sind diese Gefühle, wenn man ihnen freien Lauf läßt, ein großer Feind, und nicht ein Freund, wie sie es kontrolliert sein können.�
Omareth spuckte zu Boden und machte ein krächzendes Geräusch.
�Ich brauche jetzt erst einmal frische Gewänder und irgendetwas, um meinen Hals zu befeuchten.� Er wollte zwar gehen, aber dann meinte er noch: �Vergiß heute abend deine Runden nicht!�

Joro brach zusammen. Eben hatte er sich noch halten können, vielleicht auch teilweise aus grimmigem Stolz, aber jetzt brachen die unglaublichen Anstrengungen der letzten Tage irgendwie völlig über ihn herein, er war am Ende seiner Kräfte. Er wußte nicht, wie lange er dort an der Wand seiner Hütte gesessen hatte, als Alystin um eins der Häuser herum kam und ihn da so liegen sah.
Sie lächelte spöttisch.
�Na, ruhst du dich aus?�
Er antwortete nicht, er war sogar zu erschöpft, um zu sprechen.
Ihr Gesicht veränderte sich von einem süffisanten Lächeln zu leichter Besorgtheit.
�Joro? Ist mit dir alles in Ordnung?�
Der Priester schüttelte, so gut er konnte, den Kopf, wobei das Knirschen des Helmes am Nackenkamm des Brustpanzers anhörte wie das Kreischen von tausend bösartigen Schwiegermüttern.
Jetzt war sie wirklich besorgt und kam zu ihm herübergelaufen.
�Was ist passiert, hast du dich verletzt?�
�Kann�nicht�mehr��
Wie die kleine, zierliche Frau es schaffte, ihn nicht nur von Boden hoch zu bekommen, sondern ihn auch, auf sie gestützt in die Hütte zu wuchten, war ihm unerklärlich, aber er nahm seine Umgebung so oder so nur sehr dürftig wahr. Sie pellte ihn aus seiner Rüstung und hievte ihn auf sein Bett.
�Wenn das Omareth war, werde ich mir den guten Herren nachher einmal richtig vornehmen.�
Sie klang einigermaßen böse.
Befreit von der Rüstung konnte er endlich wieder besser atmen, so fand er auch Luft für ein paar Worte.
�War nicht Omareth. War einfach zu viel die letzten Tage.� Die Luft war schon wieder fort.
Sie hatte ein Stück Stoff geholt und in das kalte Wasser der Tonne draußen vor der Tür getaucht, das sie ihm auf die Stirn legte. Außerdem holte sie ihm etwas davon zu trinken, was er gierig in sich einsog.
�Nicht zu viel, wenn du dich verschluckst, wird das sehr wehtun�, sie nahm den Becher von seinem Mund.
�Danke. Das hat sehr gut getan.�
Alystin machte sich daran, seinen rechten Arm zu massieren. Das tat am Anfang höllisch weh, aber nach einer Weile fühlte es sich ausgesprochen gut an.
Joro fühlte ein kleines Bißchen Angst in sich aufsteigen.
�Alystin?�
�Hmm?�
�Bringst du dich nicht in Gefahr, wenn du hier� ich meine��
�Wieso? Ich bin eine Heilerin und versorge einen Patienten, meinst du, daß mir das irgendjemand übel nehmen wird?�, wortlos ergriff sie seinen linken Arm.
�Dann ist es ja gut. Ich glaube ich habe heute schon Omareth ziemlich böse gemacht, ich will nicht, daß du auch noch meinetwegen��
�Joro?�
�Ja?�
�Halt die Klappe und ruh� dich aus.�
Sie massierte ihm nach und nach auch noch die Beine und den Nacken, was ihn zusehends fast dazu brachte, schnurren können zu wollen, wie es Katzen taten.
Irgendwann, während sie ihm noch die Schultern walkte, ertönte eine Stimme in der Tür.
�Stör ich irgendwie? Wenn ja, kann ich wieder gehen.�
Alystin drehte sich nicht einmal um.
�Komm rein und mach die Tür zu, Ghaundar.�
Die Tür fiel ins Schloß und Joro konnte leise Schritte auf dem Holzboden hören, die sich näherten.
�Ist irgend etwas mit ihm nicht in Ordnung?� Tatsächlich klang auch der Assassine nicht ganz unbesorgt.
�Er hat sich in den letzten Tagen vielleicht ein bißchen zu viel zugemutet�, sagte sie mit einem bösen Unterton, � Der lange Marsch durch die Berge, unregelmäßiges Essen und die harte Arbeit gestern� Und Omareth hat ihn heute morgen auch noch geschunden, obwohl er hätte sehen müssen, daß er kaum noch gerade stehen kann.�
Joro versuchte, etwas einzuwenden, aber Alystins erhobener Zeigefinger machte ihm klar, daß er weiterhin den Mund zu halten hatte. Außerdem wollte er ihre Hände lieber an seinen Schultern, als den, wenn auch ausgesprochen formschönen, schwarzen Finger vor dem Gesicht haben.
�Naja, ich kann nicht behaupten, daß mir die letzten zwei Wochen nicht auch in den Knochen stecken, aber unser Menschenfreund hier hat auch nicht die Reserven und die Kondition, die wir haben.�
�Ganz genau�, sie klang immernoch leicht böse, �und wir sollten zusehen, daß wir diese Tatsache in das mit einbeziehen, was wir mit ihm machen. Wir sind immerhin noch nicht an irgendeiner Front oder inmitten einer Belagerung, sondern nach wie vor einigermaßen frei, uns auch einmal eine Pause zu gönnen. Und Joro hat die mehr als sichtbar nötig.�
�Soll ich mit Omareth reden?�
�Nein, das mache ich nachher selbst.�
Ghaundar lachte leise. �Aber nimm ihn dir nicht zu hart zu Brust, er hat es bestimmt nur gut gemeint.�
�Aber Joro ist kein Drow und hat kein entsprechendes Leben hinter sich. Ich werde ihm klar machen, daß er es ein bißchen leichter angehen lassen sollte.�
Der junge Mensch keuchte leise, als Alystin einen Muskelstrang bearbeitete, der sich bei Berührung so anfühlte, als stäche sie ihm einen Dolch in die Schulter.
�Aber ich habe schon etwas abgenommen��
�Ja, an Energie, an Kraft�, sagte sie trocken, und zu Ghaundar gewandt fragte sie: �Hast du noch etwas Berghuhn auf Vorrat?�
Dieser nickte. �Ja, mindestens noch zwei.�
�Dann hol mir bitte eins und bring auch ein bißchen Hafermehl mit, ich werde Joro etwas Kochen, was sein Magen auch leicht verdauen kann.�
Ghaundar schlüpfte aus der Tür, um kurze Zeit darauf wieder zu kommen und einige Dinge auf den Tisch zu laden.
�Brauchst du noch irgendwelche Hilfe, Alystin?�
Sie überlegte kurz.
�Nein, aber sag bitte einer meiner Assistentinnen, daß ich heute nicht den Abendritus abhalten werde, sondern mich um Joro kümmere.�
Er schwieg eine Weile, weshalb sie sich abrupt zu ihm umdrehte.
�Was?�
�Soll ich ihnen das wirklich so sagen?�
�Warum? Weil sie dann wieder tuscheln werden?!� Ihre Augen sprühten Funken.
Ghaundar verließ wortlos die Hütte.
Joro war ausgesprochen peinlich berührt.
�Alystin��
�Wenn du auch nur noch ein Wort sagst, werde ich diese Hütte verlassen und niemals wieder ein einziges Wort zu dir sprechen!�
Auch wenn er sich davon abhalten mußte, in Tränen auszubrechen, schwieg er und ließ sie, während der ein oder andere Tropfen doch seine Wangen herablief, ihre Massage beenden.
Schließlich ließ sie seine Schultern los und setzte sich neben ihnen an den Bettrand, wobei sie ihn lange schweigend ansah. Er wagte immernoch nicht, etwas zu sagen.
In ihren Augen spiegelte sich ein brodelndes Inferno an Gefühlen, aber er konnte klar sehen, daß ihre negativen Empfindungen nicht gegen ihn gerichtet waren.
Sie senkte sich dicht über sein Gesicht und sagte leise:
�Ich bin nicht deinetwegen wütend, mein Joro.� Sanft berührten ihre Lippen kurz die seinen, dann setzte sie sich wieder auf.
�Und jetzt koche ich dir etwas zu essen.�

Sie setzte einen Topf auf den Ofen, feuerte diesen neu an und schnitt das Huhn in kleine Stücke, wobei sie Joro, der sich in seinem Bett unter Ächzen und Stöhnen so gedreht hatte, daß er sie sah, betrachtete. Ein Gedankenimpuls brachte ihn unwillkürlich zum Kichern.
Alystin sah amüsiert in seine Richtung.
�Worüber kannst du denn noch lachen?�
�Naja, ich hatte mir immer überlegt, wie es wohl sein würde, wenn wir uns einmal zum Essen verabreden. So hätte ich mir das sicherlich nicht vorgestellt.�
Sie lachte.
�Nein, romantisch ist das sicherlich nicht.�
�Naja��
�Was, �naja�?�
�Deine Hüften bewegen sich auf sehr interessante Weise, wenn du etwas zerschneidest.�
Sie schmunzelte.
�Ob die Legionäre das wohl auch gedacht haben, als��
Joro setzte ein gespielt böses Gesicht auf.
�Die sollen sich hüten, die lüsternen Schweine��
Jetzt lachten sie beide, Joro jedoch nicht ganz so lange, da ihm immernoch alles im Körper wehtat. Er lehnte sich mit dem Rücken an die krude Holzwand des Raumes.
�Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir bedanken soll��
�Das brauchst du nicht, Joro. Du hast schon so viel für uns getan, da war es nur selbstverständlich, daß ich mich um dich kümmere.�
Er verzog das Gesicht.
�Ich bin kein Mensch, der so etwas gegeneinander aufrechnen würde, das weißt du.�
�Das weiß ich wohl, aber du hast sicherlich schon mindestens einmal zuviel gehört, wie das mit Menschen und Drow so ist, nicht wahr?�
Joro atmete bewußt hörbar aus.
�Vor allem habe ich es schon wesentlich öfter in Bezug auf eine gewisse Drow gehört, als ich es noch ertragen könnte.�
�Ist das so?�
�Es gibt vermutlich keinen hier, mit dem ich geredet habe, der es nicht wenigstens beiläufig erwähnt hätte��
�Dann weißt du vielleicht jetzt, daß es Gründe dafür gibt, warum alle das sagen.�
�Ja, die Gründe habe ich auch gehört und ich akzeptiere keinen einzigen davon.�
Alystin hatte das Huhn fertig zerlegt und begann nun aus Hafermehl und dem Fleisch einen dicken Brei zu kochen.
�Das wird nicht das wohlschmeckendste Essen auf der Welt werden, aber es wird dir gut bekommen und deinen Magen angenehm füllen.�
�Die ganz große Drowküche was?�
�Jemand, der hilflos auf einem Bett liegt, sollte nicht frech zu einer bösen, kleinen Llothpriesterin sein.�
Er kicherte.
�Das vergißt du mir niemals, oder?�
�Nein�, gab sie mit einem zuckersüßen Lächeln zurück.
Nach etwa einer halben Stunde war das Essen fertig und sie brachte ihm eine kleine Schale mit einem Löffel, mit dem sie ihm den Brei, der eigentlich nicht sonderlich nach irgendetwas, außer vielleicht einem Bißchen Steinsalz schmeckte, einflößte.
Der Geschmack war ihm egal. Die Tatsache, daß sie bei ihm war und ihn umsorgte machte ihn einfach glücklich, er hätte vermutlich alles gegessen, was sie ihm angeboten hätte.
Als er genug hatte, sackte er wieder in sich zusammen.
�Sag mal��
�Ja, was ist?�
�Warst du eigentlich wirklich einmal eine Llothpriesterin?�
Alystin sah eine Weile schweigend zu Boden.
�Ich bin als Tochter einer Matriarchin im Unterreich geboren, was glaubst du wohl, wie es war�, sagte sie leise.
Joro war bestürzt. �Ich wollte dich damit nicht beleidigen, als ich das gesagt habe. Es war als Scherz gedacht.�
�Mach dir keine Sorgen Joro�, sagte sie, während sie ihm sanft über die Wange strich, �das ist lange vorbei und ich habe es alles hinter mir gelassen. Das Zeichen auf meiner Stirn ist das Zeichen meines Weges und ich diene der dunklen Maid schon seit über einhundert Jahren. Unsere Göttin sucht sich selbst aus, wer eine Hohepriesterin werden soll, also kannst du gewiß sein, daß das meine weit zurückliegenden Vergangenheit ist.�
Er spürte, daß sein voller Magen ihm versuchte klarzumachen, daß er sich jetzt ausruhen sollte und er wurde sehr schläfrig.
Alystin lächelte ihn an und gab ihn einen Kuß auf die Stirn.
�Schlaf gut, mein Totengräber, ruh dich aus.�
�Aber nicht Omareth verhauen�, nuschelte er, während er schon einschlief.
Sie kicherte noch leise, sagte aber nichts mehr.
Recht schnell sank er in einen tiefen Schlaf.

Unterbrochen wurde dieser eine von ihm nicht bestimmbare Zeit später, als er das Rücken eines Stuhles im Raum hörte.
�V..Alystin?�, stammelte er im Aufwachen.
�Fast�, kam es nüchtern zurück und eine andere Stimme fügte hinzu: �Und seinen Arsch findest du garantiert nicht halb so schön.�
Es hätte Joro erfreut, wären diese beiden Aussagen durch zwei Ohrfeigen gekrönt worden, aber diese blieben aus.
Er setzte sich auf und schaute in den Raum.
�Ghaundar, Omareth, ist etwas passiert?�
Der Zimmermann, der keiner war, seufzte.
�Du bist passiert, reicht das nicht?�
�Habt ihr mich jetzt extra geweckt, um mir das zu sagen?�
�Nein�, antwortete Omareth, mit immernoch trockener Stimme, �sondern weil wir drei über ein paar Dinge reden müssen, die in den letzten Stunden geschehen sind, während du hier geschlafen hast.�

Kapitel 18

Joro war nun völlig wach und richtete seine immernoch schmerzenden Knochen so auf, daß er im Bett saß.
Ghaundar lehnte neben der Tür und Omareth saß verkehrt herum, breitbeinig, auf einem der Stühle und hatte die Arme auf die Lehne gelegt.
Der junge Priester war einigermaßen verwirrt, das sah fast wie eine Gerichtsverhandlung aus.
Ghaundar sah zu Omareth herüber und meinte: �Du fängst an, alter Mann.�
Der Krieger seufzte, fing dann aber an, zu sprechen.
�Nachdem sie hier fertig war, ist Alystin schnurstracks in mein Haus gestürmt, wo ich gerade dabei war, mir eine Haßpredigt von Ilivarra anzuhören. Sie hat ein paar kurze Worte mit meiner Frau gewechselt und mich dann kurzerhand aus dem Wohnzimmer und aus dem Haus gezerrt. Dann hat sie etwa eine halbe Stunde lang mit einer Kälte in der Stimme auf mich eingeredet, daß ich dachte, das Abyss würde zufrieren.�
�Ich�es tut��
�Halt den Mund und hör zu!�, Omareths Augen, die sonst mattbläulich waren, nahmen eine tiefrote Farbe an, �Als erstes wirst du lernen, aufzuhören, dich andauernd bei jedem für irgendetwas zu entschuldigen. Das geht mir auf die Nerven wie kaum etwas anderes an dir!�
Joro schluckte und nickte. Der Drow fuhr fort:
�Sie hat mir klar gemacht, daß sie zwar keine Sonderbehandlung für dich wünscht, weil das allen anderen gegenüber unfair sei, aber daß ich mich verdammt nochmal anstrengen soll, auf deinen körperlichen Zustand zu achten.�
Erst lag dem jungen Menschen wieder eine Entschuldigung auf den Lippen, aber dann riß er sich zusammen und sagte:
�Ich habe ihr gesagt, daß ich das nicht will!�
�Stimmt, hat er�, warf Ghaundar ein.
Omareth drehte sich zu ihm um.
�Joro ist ein Daishani, wenn er etwas sagt, dann stimmt es auch, schon vergessen?�
�Ich wollte nur helfen�, Ghaundar zuckte mit den Achseln.
�Misch dich nicht ein, du hast nachher noch genug zu erzählen.�
Wieder zu Joro gewandt sprach Omareth weiter.
�Ich habe sehr lange zugehört und dann vielleicht ein paar Dinge gesagt, die ich besser nicht gesagt hätte. Die Art und Weise, wie ich mich von ihr behandelt gefühlt habe, gab mir ein Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Das hat die Lage leider etwas weiter angeheizt.�
Ghaundar hatte einen Kommentar auf den Lippen, wollte seinen General und Freund aber nicht weiter reizen.
Joro sah Omareth verwirrt an.
�Was hast du denn gesagt?�
�Nun�Sachen halt. Ist jetzt auch nicht wirklich von Belang. Auf jeden Fall hat sie mir am Ende an den Kopf geworfen, daß ich mit meiner hohlen und arroganten Art jeden Sinn für Menschlichkeit, ja, sie hat wirklich Menschlichkeit gesagt, vergessen hätte und das sie mir etwas Übles antun würde, wenn so etwas wie heute jemals wieder geschieht.�
Der Priester wollte noch etwas entgegnen, aber Omareth hob den Finger, um ihn zum Schweigen zu bringen und zeigte dann auf Ghaundar.
�Und jetzt bist du dran.�
Ghaundar machte einen hilflosen Gesichtsausdruck.
�Naja, danach kam eins zum anderen. Sie kam zu spät zum Abendritus, den eine der anderen Priesterinnen gerade abhielt, stellte sich schweigend dazu und hat mitgebetet. Als die Riten durchgeführt waren, baute sich irgendwie eine ziemliche Anspannung auf, weil natürlich, wenn auch auf Drowart mit Gesten, aber immerhin einige miteinander tuschelten.�
Joro schwante nichts Gutes.
�Ich weiß nicht, ob ich wissen will, wie es weitergeht.�
�Das wirst du aber jetzt und hier erfahren, mein junger Freund, weil es keinen mehr angeht als dich�, sagte Omareth bestimmt, die Augen immernoch dunkelrot.
Ghaundar suchte krampfhaft nach Worten und Omareth sprang für ihn in die Bresche.
�Sie ist ausgerastet.�
�Wie schlimm?�
�So, wie es nur eine wütende Drow kann.�
Das konnte sich Joro zwar nur ausmalen, aber es durfte einigermaßen heftig gewesen sein.
Ghaundar hatte wieder zu Worten gefunden.
�Sie hat die versammelten Umstehenden so dermaßen übel zur Sau gemacht, daß die meisten wirklich ein paar Fingerbreit geschrumpft sind, wenn ich das so sagen darf.�
�Oh.�
�Ja, genau, oh.�
�Meinetwegen?�
Omareth blieb die Luft weg.
�WAS DENKST DU DENN, WER WOHL DER ANLAß WAR?�
Der Schock saß tief. Die Angst, die Joro ergriffen hatte, lähmte ihn fast, aber er wußte, daß er noch etwas fragen mußte, des möglichen Seelenfriedens wegen.
�Was�was wird das für Konsequenzen haben?�
�Du hast dich mit deinem pubertären Trieben völlig allein in diese Situation gebracht und die Konsequenzen, die dir jetzt daraus erwachsen, wirst du alle selbst und völlig ohne zu Murren auf dich nehmen, weil ich dir sonst Dinge antun werde, die du dir in deinem schlimmsten Alpträumen nicht ausmalen könntest. Und das ist keine leere Drohung, ich hoffe, daß wir beide uns da ganz klar und ganz eindeutig verstehen.�
Ghaundar trat einige Schritte vor und legte Omareth die Hand auf die Schulter, der erst ansetzte, sie fortzuwischen, dann aber selbst die Arme hängen ließ.
�Ich weiß, ich rege mich zu sehr auf. Aber der Tag war für mich auch nicht gerade rosig.�
Der Assassine ergriff das Wort.
�Sie hat gesagt, daß sie jedem, der noch ein einziges Mal deinetwegen hinter ihrem Rücken tuschelt, eigenhändig die Beine brechen wird.�
�Und noch ein paar andere, sehr bildhafte Dinge in diese Richtung�, fügte Omareth hinzu, �die du im Detail sicherlich nicht hören möchtest.�
Joro saß da, die Kinnlade fast auf dem Boden.
Ghaundar setzte sich auf den Stuhl, der neben Omareth stand und ächzte dabei.
�So langsam wird die ganze Sache reichlich ernst, Joro, ich hoffe, daß du das bemerkst.�
Der Priester war immernoch gebeutelt von ziemlich unterschiedlichen Gefühlen und fühlte sich nicht in der Lage, irgendetwas zu entgegnen. Also nickte er nur artig in die Richtung der beiden Drowmänner. Dennoch war er sich nicht ganz darüber im Klaren, was das bedeuten würde.
Er brauchte irgendetwas, um sich abzulenken und seine Gedanken zu sammeln.
�Kannst du mir einmal die Dose da drüben geben, Ghaundar?�
Der Drow schaute ihn nur fragend an, gab ihm dann aber wortlos das kleine Gefäß herüber.
Joro holte sich einen Klumpen heraus und rollte ihn auf, um ihn dann unter die Lippe zu schieben.
Die beiden Dunkelelfen sahen ihm beinahe fassungslos zu.
Omareth fand als erster Worte.
�Was zum Henker machst du da?�
�Das ist Duergarkautabak. Den hat mir Balthasar geschenkt.�
�Wie kannst du ausgerechnet jetzt an so etwas denken?�
�Hast du deine Pfeife dabei, mein großer Lehrer?�
Der Angesprochene sagte nichts, aber er verstand und kramte alsbald den kurzen Stutzen unter dem Wams hervor und nahm den Tabakbeutel vom Gürtel.
Dieses Mal wurde Joro nicht ganz so schlecht, er hatte bewußt noch etwas weniger genommen als beim ersten Versuch. Aber es lenkte ihn soweit ab, daß er dazu in der Lage war, wieder einigermaßen klar zu denken.
Er seufzte.
�Also wenn ich ehrlich bin, wüßte ich alles gerne so genau wie möglich, damit ich weiß, was ich jetzt zu erwarten habe. Immerhin hört es sich so an, als hätte sie sich gegen ihre eigenen Leute auf meine Seite gestellt.�
Ghaundar zuckte mit den Achseln.
�Das werden sicherlich einige so sehen, ja.�
�Und da wären wir wieder an einem Punkt, von dem ich gehofft hatte, das er bereits hinter uns läge.�
�Wie du siehst, ist das nicht so einfach, aber das haben Omareth und ich dir schon zur Genüge erklärt.�
�Ich bin aber nicht auf meiner Seite, sondern auf eurer. Ist das so schwer zu verstehen? Und komm� mir jetzt nicht mit dem alten, müßigen Gelalle von �Drow und Menschen�, weil es sonst einmal an mir ist, mich freizukotzen, auch wenn dabei meine Augen nicht rot werden.�
�Oh, du siehst das völlig falsch, zumindest dieses Mal�, nuschelte Omareth, der die Pfeife fertig gestopft und sie mit einem Kienspan, den er kurz in die Glut des Ofens gehalten hatte entzündet hatte, �Die Frage, die gestellt wird, ist jetzt nicht mehr �passen Drow und Menschen überhaupt zusammen?�, sondern �wird die Kalkleiste die ungeheure Ehre und Verantwortung, die ihm entgegengebracht wurde auch nicht enttäuschen?�, kapierst du das?�
�Was meinst du damit?� Joro war unsicher.
�Muß ich dir das wirklich erklären?�
�Ich kenne mich mit euren Bräuchen lange nicht so gut aus, wie ich das vielleicht in diesem Falle sollte.�
�Oh, was solche Dinge angeht sind wir gar nicht so anders, wie die Menschen, vor allem nicht wie die Daishani, die für ihren ausgesprochenen Familiensinn und ihre Gastfreundschaft bekannt sind. Also denk einfach einmal darüber nach, wenn du selbst darauf kommst, wirst du es viel eher verinnerlichen, als wenn ich dir irgendetwas dazu sage.�
Der Drow stand auf und ging zur Tür.
�Und solltest du versagen, werde ich einer der ersten sein, der dich in die neun Höllen jagt, das verspreche ich dir feierlich.�
Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloß.
Ghaundar blieb sitzen.
�Nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen, das Ganze hat ihn ziemlich angegriffen, auch wenn er das natürlich kaum zugeben wird. Ich glaube sogar, daß er sich mitschuldig fühlt, weil er nicht unerheblich dazu beigetragen hat, daß die Lage eskaliert ist.�
�Ich hätte erwartet, daß du irgendwas in der Richtung sagen würdest, daß er Kuppler gespielt hat.�
Der Assassine mußte lachen.
�Das hätte ich vorhin auch wirklich beinahe gesagt, aber Omareth wäre mir an den Hals gegangen, wenn ich es gewagt hätte.�
�Stellt sich nur noch die Frage, ob er sich schuldig fühlt, weil er überreagiert hat oder weil er etwas herbeigeführt hat, was ihm eigentlich nicht recht ist.�
�Im ungünstigsten Falle vielleicht sogar beides davon, zumindest ein Bißchen.�
�Also hat sich Alystin auf eine gewisse Art dazu bekannt, daß sie etwas von mir hält?�
�Man kann es leider in sehr viele verschiedene Richtungen deuten. Der Eine wird sagen, daß sie einfach nur ihre Loyalität zu dir proklamiert hat, der Andere wird ihr unterstellen, daß die kurz davor ist, dich zu heiraten.�
�Verdammt.�
�Aber egal, wie man es dreht oder wendet, ist eins klar: Sie hat ein sehr deutliches Zeichen gegeben, daß sie es nicht dulden wird, wenn irgendjemand dich schlecht behandelt und das ist in unserer Gemeinschaft schon fast eine Verkündung eines Besitzanspruches seitens einer Frau.�
�Besitzanspruch?� Joro schaute ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Unverständnis an.
�Naja�, der Drow grinste unverhohlen, �Du weißt ja sicherlich, welche Stellung Männer und Frauen untereinander in der Drowgesellschaft annehmen.�
�Also, die Frauen entscheiden über Gedeih und Verderb von Beziehungen?�
�Von dem, was ich bei euch Menschen gesehen habe, ist es bei euch auch nicht anders, auch wenn die Männer immer so tun, als seien sie diejenigen, die darüber entscheiden.�
Dafür fehlten Joro die Vergleichsinformationen, daher konnte er darauf nicht antworten.
Ghaundar schaute nachdenklich auf die Dose, die vor Joro auf dem Bett stand.
�Schmeckt das Zeug eigentlich?�
�Der Geschmack ist nicht das Entscheidende, wobei ich nicht weiß, wie fein die Geschmacksnerven von Drow so sind.�
�Wir sind doch immerhin für unsere feinen Sinne berühmt�, entgegnete der Assassine mit gespielt herausgestreckter Brust.
�Du kannst es versuchen, aber ich warne dich vor, es ist nicht zu verachten.�
Joro erklärte Ghaundar kurz, wie es funktionierte und der Drow nahm einen Klumpen heraus.
�Etwas kleiner würde ich ihn machen, du bereust es sonst.�
�Ach, was, das geht schon� Sag mal schmeckt das so, wie es riecht?� Der Dunkelelf mußte ein Würgen unterdrücken.
�Nein, einfach nur rein in die Klappe und fertig.�
�Hm�, Ghaundar betastete seine vorgewölbte Lippe, �schmeckt irgendwie nur salzig.�
Zum ersten Mal in seinem Leben konnte Joro sehen, wie ein Drow wirklich blaß wurde. Die ebenholzfarbene Gesichtshaut Ghaundars wandelte sich innerhalb von Augenblicken in ein helles Anthrazitgrau. Der Drow stürmte aus der Hütte und er konnte ihn draußen würgen hören, wobei er einen lauten Lachanfall hatte.
Schließlich kam Ghaundar, mit immernoch grauen Gesicht und lose auf die Schultern hängenden Haaren wieder herein.
�Verdammte Scheiße.�
�Ich habe dich vorgewarnt��
�Na und? Ich bin jung und leichtsinnig�, der Dunkelelf grinste gequält, �Mann war das heftig.�
�Ja, das erste Mal sah bei mir genauso aus und Balthasar hat die dreckigste Lache von sich gegeben, die ich jemals gehört habe. Aber er meinte, wenn ich schon einmal, wie sagte er gleich��
Ghaundar sah ihn fragend an.
�Achja, wenn ich schon einmal den Unterleib einer Frau gekostet habe, dann ist Duergartabak als Nächstes dran.�
�Ein sonderbarer Vergleich��
�Er meinte wohl, das gehöre dazu, wenn man ein Mann sein will.�
�Ach, so ist das�?� Ghaundar sah prüfend auf die Dose.
�Ja, genau so hat er es ausgedrückt.�
�Dann muß ich wohl da durch, immerhin wollen wir doch alle echte Männer sein, oder?�
Er griff wieder in die Dose, um sich dieses Mal ein wesentlich kleineres Stück zu nehmen.
Nachdem er es sich in den Mund gewurschtelt hatte, machte er eine böses Gesicht, als er Joros erwartungsvolles Feixen bemerkte.
�Ich habe schon mit Trollen gekämpft, glaubst du etwa, daß mich so ein Kraut von den Beinen haut?�
�Da hat es jemanden buchstäblich ehrenhalber bei den Eiern gepackt, was?�
Ghaundar machte ein abschätziges Geräusch und kämpfte einen Moment, relativ schlecht cachiert, gegen Schwindel an.
�Sag mal, wie hältst du das aus? Der Brocken, den du da im Mund hast ist mindestens doppelt so groß wie meiner.�
Joro war sich nicht sicher, aber er meinte:
�Ich glaube, daß es besser ist, wenn man keinen leeren Magen hat.�
�Den hatte ich vor dem ersten Versuch auch nicht.�
�Ja, aber da hattest du auch einen Brocken, der fast so groß war wie dein Daumen.�

Sie saßen eine Weile da, während Ghaundar langsam die Oberhand über seinen Schwindel gewann und seine Gesichtsfarbe langsam wieder das alte Schwarz annahm.
Der Priester fühlte sich stark genug, zum Ofen zu gehen und sich eine Schale des immernoch lauwarmen Breies zu holen. Dann hockte er sich an den Tisch und Ghaundar drehte sich zu ihm um.
�Kann ich auch etwas haben?�, fragte der Drow.
�Nein, das steht hier nur zum Ansehen herum. Natürlich, Mann.�
�Naja, immerhin hat das dein Schatzi für dich gekocht��
�Du riskierst, von einem Krüppel verhauen zu werden. Was meinst du, wie das deinen Triumph über die Trolle mindern wird?�
Ghaundar lachte und holte sich ebenfalls eine Portion.

Als sie fertig waren, blickte Joro plötzlich auf.
�Apropos Unterleib��
Ghaundar prustete und brach in Lachen aus. Als er sich einigermaßen gefangen hatte, wischte er sich die Tränen aus den Augenwinkeln, Teile des Breis vom Tisch und sah den Menschen erwartungsvoll an.
�Na, da bin ich aber mal gespannt, was jetzt kommt.�
�Mußt du eigentlich immer lachen, wo ich doch nur ein junger, naiver Mensch bin?�
�Genau deshalb muß ich ja immer lachen, Joro. Ich fange allmählich an, zu verstehen, warum dich eine Frau niedlich finden könnte.�
�Jetzt fang du nicht auch noch damit an, nachher mußt du dich auch noch hinstellen und allen sagen, daß du ihnen in den Arsch trittst, wenn sie wegen mir und dir tuscheln.�
�Deine bösartige Zunge hat manchmal echte Drowqualitäten.�
�Ich akzeptiere das jetzt einmal als Kompliment aus deinem Munde.�
�Wenn du das so willst��
Joro schaute grimmig. �Also die Frage��
�Ja, wir waren bei �Unterleib�.� Ghaundar unterdrückte ein erneutes Kichern und bemühte sich mehr schlecht als recht, ein ernstes Gesicht zu machen.
Der Mensch drugste herum, um die Worte zu finden und Ghaundar versuchte, auf die ihm eigene Art und Weise, zu helfen.
�Planst du unter Umständen irgendetwas in diese Richtung?�
Die Antwort auf diese Frage war ein puterrotes Gesicht und verlegenes Gestammel.
�Also geht es um generelle Informationen oder eine konkrete Anleitung?�
�Ich weiß wie das geht�, meinte Joro grimmig, �aber, naja, gibt es da irgendwelche Unterschiede zwischen Menschen und Drow?�
Ghaundar schien ehrlich überrascht.
�Was meinst du mit �Unterschiede�?� Er band sich mit einem kleinen Lederriemen wieder die Haare auf den Hinterkopf.
�Ich weiß auch nicht. Immerhin seid ihr es, die immer die ganzen Unterschiede betonen, die zwischen unseren beiden Völkern angeblich an allen Ecken und Enden herrschen.�
Der Dunkelelf machte ein paar abschätzende Gesten. �Willst du jetzt konkrete Einzelheiten wissen oder soll ich möglichst allgemein bleiben?�
�Versuch es bitte erst einmal etwas allgemeiner.�
�Also ich glaube man kann sagen, daß es da keine echten Unterschiede gibt.�
�Es funktioniert genauso?�
�Wenn du keine Einzelheiten hören willst, dann ist das die Antwort, ja.�
�Und können Menschen und Drow miteinander Kinder bekommen?�
Ghaundar verschluckte sich so heftig, daß er eine ganze Weile brauchte, um mit dem Husten aufzuhören.
�Meine Güte, Joro, ich hätte fast den Tabak verschluckt.�
�War das jetzt so eine schlimme Frage?�
Der Drow versuchte ein paar Male, tief durchzuatmen, dann sah er ihn ziemlich seltsam an.
�Das ist eine dieser Fragen, für die du alleine den Gedanken gehabt zu haben im Unterreich auf der Stelle dein Leben verlieren würdest.�
�Wie bitte?�
�Das ist ohne zu fragen eine der schlimmsten Sünden, die ein Drow aus dem Unterreich seinem Volk gegenüber begehen könnte. Und alleine ein Kind mit einem Hochelfen zu zeugen, die geschichtlich gesehen unsere Vorfahren sind, so widerwertig das auch erscheinen mag, hat schon dazu geführt, das beide Partner exekutiert wurden.�
�Aber wir sind hier nicht im Unterreich.�
�Wenn ich du wäre, würde ich mich hüten, darüber auch nur mit irgendeinem anderen Drow zu reden, die könnten dir nämlich ziemlich schnell an die Wäsche gehen.�
�Selbst die Jünger der Eilistraee?�
�Wir haben jetzt schon so viele Male über Vorurteile gesprochen, Joro. Diese Frage ist eine der empfindlichsten Stellen, die es hier zu treffen gibt, also sieh� dich bloß vor, daß du sie niemandem anderes gegenüber stellst, oder du bringst dich in noch größere Schwierigkeiten, als jene, in denen du so oder so schon bist.�
Joro verzog das Gesicht.
�Eigentlich habe ich auch nur gefragt weil ich wissen wollte��
�Ob Mensch und Drow im Bett rein mechanisch funktioniert, nicht wahr?�
�Stimmt.�
�Da kann ich dir als Antwort ein klares Ja drauf geben.�
�Danke.�
Ghaundar war eine Weile von einer ganzen Masse an Gedanken überwältigt, was Joro nutzte, um noch eine Frage zu stellen.
�Hast du niemals eine Menschenfrau gesehen, die du interessant fandest?�
Das überraschte den Drow und holte ihn aus seinem Grübeln.
�Äh, nicht, daß ich wüßte.�
�Wirklich niemals?�
�Ich habe eigentlich in meinem ganzen Leben keinen großen Kontakt zu Menschen gehabt.�
�Dann laß mich die Frage anders stellen: Findest du Menschenfrauen eher interessant oder uninteressant? Also ich meine, so wie ein Mann manchmal eine Frau interessant findet, nicht unbedingt Liebe.�
�Hat die Art der Fragestellung mit der momentanen Situation zu tun?�, gab der Drow mit einer hochgezogenen Augenbraue zurück.
�Nein, es ist nur der erste Teil der Frage.�
�Dann ist es ja gut. Also� nein, ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich Menschenfrauen finde. Ich glaube sie können durchaus hübsch sein.�
�Also könntest du dich unter Umständen vielleicht auch in eine von ihnen verlieben?�
�Ich hatte schon befürchtet, daß das als nächstes kommt. Aber da fragst du den Falschen.�
�Du warst noch niemals in eine Frau verliebt?� Joro sah Ghaundar mitleidig an.
�Nicht, daß ich wüßte.�
�Das macht die Frage reichlich sinnlos��
�Ich verstehe aber, worauf du hinaus willst. Aber das verstehe ich schon, seit du Alystin das erste Mal gesehen hast. Du brauchst dich vor mir nicht zu rechtfertigen.�
Der Priester nickte.
�Das ist mir bewußt, aber ich will, daß mich hier wenigstens einer richtig versteht.�
Ghaundar lächelte verschmitzt.
�Da gibt es doch schon seit einiger Zeit jemanden, der das tut��
�Ich hoffe doch sehr, daß du auch das jetzt bereits verstanden hast.�
Der Drow schaute sich kurz um. �Wo kann ich das Zeug lassen, wenn es durchgesabbert ist und beginnt, ganz abscheulich zu schmecken?�
Joro zuckte mit den Schultern.
�Rotz es doch einfach in den Ofen. Ich muß meinen auch loswerden.�
Sie feuerten beide die Klumpen in den die Glut, wo sie kurz zischten und dann verglühten.
�Elegant ist das nicht gerade, aber man bekommt irgendwie nicht genug davon, wenn man die ersten Augenblicke erst einmal überlebt�, Ghaundar grinste und stand auf, �Ich will dich nicht vom Schlafen abhalten, du hast bestimmt noch genug aufzuholen, was Ausruhen angeht.�

Joro saß erst noch am Tisch, nachdem der Drow gegangen war und überlegte sich, ob er einfach wieder ins Bett gehen sollte, draußen war es dunkel, also sicherlich schon Nacht, aber dann griff er nach seinen Stiefeln und ging nach draußen.
Keine Extrabehandlung, das war sein eigener Wille. Also setzte er sich in Bewegung und lief, wenn auch langsam und muskelschonend, seine Runden um die Enklave.
Er hätte schwören können, einen Drow gesehen zu haben, der ihn schweigend beobachtete.

Joro schlief noch mehrere Stunden und als er wieder wach wurde, ging die Sonne schon auf.
Die Massage vom Vortag hatte wahre Wunder gewirkt und er fühlte sich ausgeruht genug, in seine Rüstung zu schlüpfen und vorsichtig damit zu laufen.
Als er fertig war, wartete Omareth bereits vor seiner Hütte.
�Bist du wieder einigermaßen auf der Höhe?�
Der Priester nickte.
�Die Muskeln sind immernoch ein bißchen strapaziert, aber ich denke wir können trainieren.�
�Bist du sicher?�
�Ich übernehme die volle Verantwortung.�
Omareth schnaubte. �Das wird im Zweifelsfall von einer höheren Instanz nicht akzeptiert.�
�Es geht mir wirklich gut, Omareth, vielleicht noch ein wenig angeschlagen, aber gut genug.�
Es war dem Drow anzumerken, daß er sich bemühte, das Tempo nicht zu schnell zu gestalten, was Joro versuchte, mit ausreichendem Lerneifer zu belohnen.
Früher als sonst gab ihm sein Lehrmeister das Zeichen, aufzuhören. Fast empfand er Bedauern, da er im Geiste durchaus noch den Willen gehabt hätte, fortzufahren, aber seine Muskeln und Knochen meldeten ihm, das es genug war.
Nach einem Waschen an der Quelle machte er sich nach einiger Zeit endlich einmal wieder daran, nach dem Friedhof zu sehen. Viel zu tun war nicht, da es in den letzten Tagen zwar hin und wieder Bodenfrost gegeben hatte, aber die Pflanzen auf den Gräbern sorgten zusehends dazu, daß die Erddecke auf ihnen ihren Zusammenhalt warte.
Er fegte die Wege frei und freute sich dabei, daß es mittlerweile zumindest auf dem Gnadenacker so trocken war, daß die Steine nicht dauernd mit Schlamm bedeckt wurden.
Als er sich zwischendurch umdrehte, sah er den dunklen Herrn auf der Bank an der Feuerstelle sitzen und zu ihm herüberschauen.
�Du hättest doch sagen können, das du da bist.�
�Ich sehe dir aber gerne zu, wie du das tust, was mir gefällt.�
�Hast du vergessen, das viele Menschen es als unhöflich empfinden, sich einfach so anzuschleichen?�
�Nein, aber da ich selbst kein Mensch mehr bin, gelten für mich gewisse Regeln nicht mehr.�
�Na, solange du Freude daran hast��Joro fegte weiter.
�Die habe ich tatsächlich. Da drüben liegen noch Kiesel auf den Steinen.�
���
�Ganz recht, Spaß am Klugscheißen habe ich auch.� Der Gott lachte.
�Was verschafft mir die große Ehre deines Erscheinens, Herr?�
Celestus dachte kurz darüber nach, ob das wohl gehässig gemeint war, aber Joro meinte die Frage wohl ernst.
�Ich will, daß du dich reisefertig machst.�
Der Priester hielt inne und schaute seinen Gott ungläubig an.
�Was?�
�Pack deine Sachen und mach dich auf nach Bargum.�
�Jetzt?�
�Ganz genau. Jetzt.�
Wortlos stellte Joro den Besen an die Hüttenwand und ging nach innen, der Gott folgte ihm.
Drinnen angekommen holte sich er sich ein paar Dinge zusammen und schaute dann prüfend auf die Rüstung.
�Soll ich die mitnehmen?�
�Das liegt allein bei dir. Ob du sie brauchen wirst oder nicht, kann ich dir zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.�
Joro entschied sich für die Rüstung und hängte auch noch den Schild auf den Rücken und den Hammer an den Gürtel.
�Wie ich sehe, ist es dir wichtig, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.�
�Ich habe hier in den letzten Wochen mehr gelernt, als ich selbst überhaupt bisher begriffen habe, Herr.�
Es klopfte an die Tür.
�Joro, bist du da?�
�Komm herein, Ghaundar.�
Der Drow betrat die Hütte und war von dem Anblick, der sich ihm bot, reichlich überrascht. Nach einer kurzen Ehrbekundung an Celestus blickte er wieder Joro an.
�Habt ihr beide irgendetwas vor?�
�Ausgesprochen höflich, daß du ihn fragst und nicht mich, Ghaundar.� Die Stimme des Gottes klang amüsiert.
�Verzeiht, Celestus, es ist eine Angewohnheit.�
�Ich bin nicht beleidigt.�
�Gut, denn es war auch nicht meine Absicht, Euch zu beleidigen� Also?�
Joro sah kurz zu seinem Gott, dieser nickte ihm aber aufmunternd zu.
�Er will, daß ich für ihn nach Bargum gehe.�
�Ah, das hattest du ja schon erwähnt. Wann denn?�
�Jetzt.�
�Äh�� Ghaundar blickte Celestus hilfesuchend an.
�Du hast ihn gehört, er soll sofort aufbrechen.�
�Ganz allein?�
�Ich fürchte, daß die Hilfe, die du ihm angedeihen lassen könntest, nicht viel ausmachen könnte.�
Ghaundar fühlte sich davon nicht überzeugt.
�Es ist mir nicht wohl dabei, wenn er ganz allein nach Bargum geht. Und wenn Alystin das herausfindet, wird sie ihn garantiert auch begleiten wollen.�
�Versteh� mich nicht falsch, Ghaundar, aber das möchte ich vermeiden. Außerdem hat es doch, wenn ich mich nicht irre, gestern sowieso ein paar Problemchen gegeben, oder liege ich da falsch?�
Der Drow und der Priester scharrten beide mit den Füßen und der Gott schnalzte tadelnd mit der Zunge, die er nicht hatte. �Ihr beiden wißt ganz genau, wovon ich rede.�
�Jaa� du hast recht�, meinte Joro.
�Und Ghaundar, stimmt es nicht, daß du vermieden hast, Joro zu sagen, daß es besser wäre, wenn er für eine kurze Weile ein bißchen Abstand von Alystin hält, damit sich die Wogen ein bißchen glätten und die beiden wieder in Ruhe miteinander umgehen können?�
�Ist das so?�, der Priester schaute den Drow an.
Dieser murmelte ein paar Worte und schaute zu Boden.
�Ist das so oder nicht?�, diesmal sprach Joro mit Nachdruck.
�Ja, das stimmt. Sie meinte, daß es erst einmal ein bißchen Ruhe geben müsste, damit sich die Gemüter abkühlen. Aber Celestus hat recht, wenn sie wüßte, daß du von hier fortgehen mußt, wäre sie nicht einmal eine halbe Stunde später abreisefertig.�
�Verdammte Scheiße!� Joro schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann sah er zu Ghaundar.
�Also gehen wir beide alleine�, er wandte sich Celestus zu, �Erlaubst du das?�
�Wenn du deinen Freund mitnimmst, wirst du nicht nur für dich selbst, sondern auch für ihn Verantwortung tragen müssen.�
�Das Risiko gehe ich ein. Ich habe Vertrauen in Ghaundar und weiß, daß ich mit ihm in meiner Begleitung wesentlich besser fühlen werde.�
�Dann sei es.�
Ghaundar nickte Celestus kurz zu und sagte dann:
�Wir treffen uns so schnell es geht auf der anderen Seite des Portals, ich komme hin, sobald ich alles zusammen habe. Nimm die Dose mit.�
Joro mußte grinsen, als der Drow aus der Tür sprang und wandte sich dann wieder seinem Gott zu.
�Das ist wirklich in Ordnung?�
�Ja. Aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe.�
Der dunkle Mann verschwand und Joro stand kurz unschlüssig am Tisch. Dann ging er zum Schrank und holte ein Stück Pergament und das Schreibzeug heraus, um Alystin eine Nachricht zu hinterlassen. Er hätte es sich niemals verziehen, wenn er nicht wenigstens etwas für sie geschrieben hätte. Trotzdem fühlte er sich wie ein mieser Schuft, sich einfach so davonzustehlen.


Auf der anderen Seite des Portals konnte er, während er auf Ghaundar wartete, den Fortschritt der Duergar bewundern. Mittlerweile hatten sie weiter unten im Tal zwei Wälle errichtet und jeweils mit einer Palisade versehen. Alles das an nur einem einzigen Tag, das beeindruckte ihn sehr.
Der Portalkreis schimmerte und Ghaundar stand darauf, in seine schwarze Lederrüstung gehüllt und einen Rucksack auf dem Rücken.
�Gehen wir, wir sollten uns beeilen und an der Bergwand entlang gehen, damit uns keiner sieht.�
Joro nickte und folgte dem Drow, der ziemlich leichtfüßig die Schräge entlang lief, während er mit seiner Plattenrüstung nicht ganz so elegant hinterhertapste.

Sie waren schon einige Stunden gelaufen, am falschen Bergdorf vorbei, als sich Joro endlich traute zu fragen.
�Wird sie wütend auf mich sein, wenn sie herausfindet, was wir hier machen?�
�Freuen wird sie sich mit Sicherheit nicht, aber wenn du ihr hinterher erklärst, warum du das getan hast, dann wird sie dir vielleicht zumindest den Kopf nicht vom Hals reißen.�
�Wieder ausgesprochen hilfreich heute, Herr Veldrin�Ssreen.�
�Du hast mich gefragt und bekommst eine ehrliche Antwort. Dein Daishaniwesen färbt langsam auf mich ab��
Joro grunzte nur und stapfte schweigend hinter ihm her. Kurze Zeit später kam ihm aber noch eine weitere Frage in den Sinn.
�Was glaubst du, wie lange wir dieses Mal brauchen werden? Wie lange waren wir damals unterwegs?�
�Fünf Tage, aber da warst du noch ein ganzes Stück dicker und schlechter in Form. Wenn wir uns beeilen und am Tag etwa 25 Meilen laufen, können wir es in drei Tagen schaffen.�
�Dann laß es uns schnell hinter uns bringen. Ich möchte so schnell es geht wieder in die Enklave.�
�Glaubst du, daß eine Rückkehr dorthin im Sinne deines Gottes ist?�
�Kein Gott auf dieser Welt wird es jemals schaffen, mein Herz wieder von diesem Ort zu lösen.�
Ghaundar wußte, daß es nicht nur der Ort war, aber da er auch wußte, daß Joro schon einige Gewissensbisse wegen Alystin plagten, vermied er, noch in dieser Wunde zu bohren. Stattdessen lächelte er nur fröhlich und stapfte schweigend weiter.

Jetzt, wo kaum noch Schnee lag und die Tage länger waren, kam Joro der Weg nach Bargum völlig anders vor, als beim letzten Mal. Vielleicht war auch das Gefühl, das die Reise begleitete ein Grund dafür. Auf dem Weg zur Enklave waren sie auf der Flucht gewesen, immer in der Angst die Garde von Bargum im Nacken zu haben.
Mit der Ungewißheit, die jetzt den Weg nach Bargum begleitete, war es zwar auch nicht gerade ein fröhlicher Ausflug, aber immerhin gab es hier ein Ziel, auf das sie hinarbeiteten, anstatt vor einer möglichen Gefahr im Nacken zu fliehen.
�Findest du es nicht auch seltsam, daß uns damals keiner verfolgt hat?�, fragte Joro seinen Begleiter
�Warum?�
�Wenn die mit Pferden hinter uns hergekommen wären, hätten die uns innerhalb kürzester Zeit einholen können.�
�Vielleicht hat Celestus da etwas dran gedreht. Oder sie waren so schockiert, daß sie gar nicht darüber nachgedacht hat, das zu tun�, grübelte Ghaundar.
�Es ist nicht einmal vier Wochen her� Ich hoffe, daß wir nicht gleich auf den ersten Blick getötet werden.�
�Da schließe ich mich an��

Am Abend suchten sie sich eine geschützte Stelle in einem Waldstück und machten ein Lagerfeuer. Ghaundar verschwand kurz und kam dann mit einem Hasen in der Hand wieder.
�Ich weiß, Hasen sollte man vor dem Essen eigentlich beizen, aber frisch gebraten ist es besser als gar nichts.�
Sie aßen eifrig, der Marsch hatte hungrig gemacht und das Bißchen Brot und Schinken, das sie dabei hatten, machte einfach weniger satt, als ein gutes, warmes Essen. Schließlich sanken sie jeder gegen einen Baum und begannen langsam einzudösen.
Ghaundar schrak hoch und seine Dolche flogen in seine Hände. Eine Gestalt stand im Schein des ausbrennenden Feuers, in eine lange, dunkle Robe gehüllt.

�Guten Abend, meine Herren.�

Ghaundar war unschlüssig, was zu tun sei und Joro hatte zwar seinen Hammer am Knauf gepackt, machte aber keine Anstalten, aufzuspringen. Das war auch gar nicht möglich, mit der Rüstung am Leib konnte er sich höchstens langsam aufrichten.
Die Gestalt lachte leise und sagte dann mit ruhiger, leicht röchelnd klingender Stimme:
�Es ist nicht nötig, daß Ihr Eure Dolche zieht, Herr Dunkelelf, ich bin euch beiden nicht feindlich gesonnen.�
�Wer seid Ihr?� Ghaundars Stimme klang bedrohlich.
�Ein Pilger des Celestusordens. Wie ich sehe ist Euer Begleiter ein Totengräber.�
Joro sah den Gast überrascht an.
�Ein Pilger? Wohin pilgert Ihr?�
�Wohin wohl. Nach Bargum selbstverständlich.�
�Seid Ihr ein Mitglied der Kirche?�
�Das war ich vor langer Zeit, heutzutage bin ich nur noch ein einfacher Wandermönch, der hin und wieder in die Stadt des Herren wandert, um dort zu sehen, wie die Dinge stehen.�
�Wann wart Ihr das letzte Mal dort?�
�Oh��, die Gestalt kratzte sich am Kinn und dachte nach, �vor etwa zehn Jahren, denke ich. Es könnten auch leicht fünfzehn sein.�
Ghaundar ließ seine Dolche sinken. Mit ein paar Gesten in Joros Richtung fragte er, ob dieser dachte, daß alles in Ordnung sei. Der Priester antwortete mit einem knappen �Ja�.
Joro stand etwas umständlich auf und machte einen Schritt auf ihren Gast zu und streckte seine Hand aus.
�Ich bin Joro Macun, ein Totengräber.�
Der Mann vor ihm machte keine Anstalten, die Hand zu ergreifen, sondern verbeugte sich nur knapp.
�Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Herr Macun, mein Name ist einfach nur Jan.�
Irgendwie schien es, als leuchteten die Augen des Pilgers unter der Maske des Celestus, die er trug, leicht rötlich. Für einen Drow war er aber mindestens zwei Köpfe zu groß.
�Erlaubt Ihr mir, mich an euer Feuer zu setzen? Ich bin heute eine gehörige Strecke gelaufen und hätte nichts dagegen einzuwenden, mich eine Weile hinzusetzen.�
�Natürlich, setzt Euch, Jan.�
Der Mann bedankte sich anständig und ließ sich mit knackenden und krachenden Gelenken zu Boden sinken. Dabei schwappte ein eisiger Wind in Joros Richtung, was ihm zusätzlich das Gefühl gab, daß der Pilger, wenn er denn einer war, ein ziemlich seltsamer Zeitgenosse sein mußte.
�Ein Totengräber also, was?�
�Ja, ganz genau.�
�Hmmm� zu meiner Zeit gab es sehr viele davon, wir hatten bestimmt über zweihundert, die von Bargum aus durch ganz Daishan streiften, um unserem Herrn zu dienen.�
�Ach?�
�Aber das ist sehr lange her, heute findet man höchstens ein paar von ihnen seßhaft auf dem Land, über ganz Daishan verstreut��
�Ja, das sagte mir der Herr eines Tages.�
�Oh, er spricht zu Euch?�
�Das ist richtig.�
Sein Gegenüber machte ein anerkennendes Geräusch.
�Das habe ich schon lange nicht mehr gehört. Zumindest nicht aus dem Munde eines einfachen Totengräbers.�
�Hat er auch zu Euch gesprochen, damals als ihr noch in der Kirche wart?�
�Ja. Ja, das hat er in der Tat�, der Mann nickte sinnierend vor sich hin, �Aber das ist wie ich bereits erwähnte schon sehr lange her und seitdem habe ich auch nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht ist das auch gut so.�
Joro verstand diesen Ausspruch nicht, aber er traute sich auch nicht, nachzufragen.
Der Pilger hob wieder an, zu sprechen.
�Und was sagt Euch der dunkle Herr?�
�Nun ja, er hat mich berufen und bringt mir bei, ein Totengräber zu sein. Ich glaube ich wurde auf meine Reise nach Bargum gesandt, um dort zu lernen.�
Jan pfiff durch die Zähne. �Interessant. Ausgerechnet dorthin schickt er Euch.�
�Was ist daran falsch?�
�Nichts. Nein, daran ist nichts falsch. In Bargum gibt es für Euresgleichen mehr zu lernen, als man in Kürze überhaupt begreifen konnte. Ich hoffe, daß er Euch genug Zeit gibt, alles dort zu sehen und zu verstehen, was dort zu sehen und verstehen gibt�Ist es das erste Mal, daß Ihr dort hingeht?�
Die Frage klang irgendwie bedrohlich, aber Joro entschied sich, darauf zu antworten.
�Nein, ich habe schon einmal ein paar Monate dort gelebt, aber ich bin an einen anderen Ort berufen worden.�
�Mission bei den Drow?�, der Mann lachte röchelnd.
Ghaundar lächelte süffisant.
�Mitnichten, werter Herr. Wir Drow sind mit unserer Religion durchaus zufrieden.�
�Verzeiht, Herr Dunkelelf, ich wollte Euch nicht zu nahe treten, es sollte ein Witz sein.�
�Das, was ich sagte ebenfalls, vielleicht ist Euch der sarkastische Inhalt meiner Aussage aufgefallen.�
Jan lachte wieder, immernoch röchelnd.
�Ein Drow mit Humor. Das trifft man nicht häufig.�
Er kämpfte sich, wieder mit unglaublichem Knirschen und Krachen der Gelenken auf die Beine und nickte den beiden zu.
�Ich habe mich zur Genüge ausgeruht. Wenn man so alt ist, wie ich, hat man keine Zeit zu verlieren, an die Orte zu kommen, an die man gehen will. Ich wünsche euch beiden eine gute Weiterreise, vielleicht treffen wir uns dort.�
Der Pilger drehte sich zwar kurz zum Gehen, wandte sich dann aber dennoch wieder den beiden zu.
�Ach, bevor ich es vergesse, ich habe gehört, daß der Erzbischof von Bargum vor ein paar Wochen ermordet worden sein soll, da kursieren wirklich seltsame Geschichten.�
Da er wußte, daß Joros Rune sie beide in große Gefahr bringen konnte, ergriff Ghaundar das Wort:
�Wirklich?�
�Ja, ihr solltet Euch vor seltsamen Gestalten wie mir in Acht nehmen, wer weiß, ob der Mörder nicht noch hier herumspukt. Ein paar Leute behaupten sogar, es sei ein Untoter gewesen.�
�Wer sagt uns denn, daß Ihr nicht der seid, von dem Ihr redet?�
Jan gab den Blick auf seinen Hals frei, der unglaublich faltig und eingefallen war. Darauf war im Schein des Feuers zwar schlecht, aber einwandsfrei die Rune eines Daishani zu erkennen.
�Weil ich gesagt habe, daß ich Euch nichts Böses will.�
Dann ging er davon.


Kapitel 19

Am Morgen des vierten Tages konnten sie in der Ferne den Felsen erkennen, auf dem das Kloster von Bargum stand. Am Vortag waren sie an eine Stelle gekommen, an der Joro darauf bestanden hatte, kurz innezuhalten, deshalb hatten sie sich am Ende des dritten Tages dazu entschlossen, doch noch eine Nacht im Wald zu kampieren.
Ghaundar wußte genau, was diese Stelle bedeutete, aber er hatte nicht ein einziges Wort gesprochen, als Joro auf einer Lichtung an einem flachen Stein, der dort auf dem Boden lag Halt machte und eine Weile schweigend darauf gestarrt hatte.
Auch am Abend hatte er nicht einmal danach gefragt und war sich sicher, daß Joro ihm dafür dankbar war. Er war zwar selbst in seinem Leben mehr als einmal am Rande des Todes gewesen, das letzte Mal nicht einmal weit von diesem Ort entfernt, aber wirklich tot zu sein hatte garantiert eine andere Wirkung auf eine Person, als nur schwer verwundet im Wald zu liegen.
Er für seinen Teil verzichtete darauf, die Stelle aufzusuchen, an der er von der Stadtpatrouille aus Bargum angefallen worden war. Dabei verfluchte er innerlich die anderen Drow, die kurz vorher dort entlang gezogen waren, um zu plündern. Wahrscheinlich hatte die Stadtgarde sie damals mit eben denen verwechselt und sie deshalb attackiert.
Joro sprach an diesem Abend nur das Nötigste und eine grauenhafte Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Ghaundar wußte nicht, wie er darauf reagieren sollte, aber den Menschen in Ruhe zu lassen und ihm Zeit zu geben, sich zu sammeln, erschien ihm am wichtigsten.
So war es wieder Morgen geworden und sie kamen Bargum jetzt gefährlich nahe.
Der Drow konnte nicht mehr an sich halten und fragte:
�Hast du einen Plan?�
�Nein, ich werde einfach in die Stadt gehen und sehen, was geschieht.�
�Mit der Rüstung und dem Schild wirst du dich umsonst um Unauffälligkeit bemühen.�
�Hm, das stimmt. Warte mal kurz.�
Der Priester zog seine Robe aus dem Bündel und legte sie über die Rüstung. Seinen Umhang zog er ebenfalls über und den Helm verstaute er in seinem Gepäck.
�Da fällt er trotzdem auf, willst du ihn mir nicht einfach geben, ich werde auf ihn aufpassen?�
Das klang logisch, also gab Joro den Helm an Ghaundar weiter. Dabei betrachtete er den Drow.
�Du wirst hier draußen bleiben?�
�Ich sehe zu, daß ich ungesehen in die Stadt komme und auf dem Laufenden bleibe, was mit dir geschieht. Wenn ich mich da offen zeige, bin ich schneller tot, als du �Ball� sagen kannst.�
�Gut. Ghaundar? Ich möchte dir danken, daß du mitgekommen bist. Das gibt mir ein großes Gefühl von Sicherheit.�
Der Drow machte eine finstere Miene.
�Das ist im Zweifelsfall weniger hilfreich, als du dir das denkst. Celestus hat das nicht umsonst gesagt. Man muß kein Gott sein, um zu wissen, daß hierzulande ein Drow in einer Menschenstadt einen ziemlich kleinen Aktionsradius hat.�
�Trotzdem danke.�
�Ist schon recht. Machs gut und paß auf, daß du nicht in Schwierigkeiten gerätst.�
�Du auch.�

Sie trennten sich und seit langer Zeit war Joro einmal wieder ganz alleine unterwegs. Das fühlte sich irgendwie komisch an, aber die Wichtigkeit seiner Mission in Bargum mußte hoch sein, wenn ihn sein Gott persönlich darum gekümmert hatte, daß er dort hinging.
Bargum hatte nichts von seinem Äußeren verloren, schon auf dem Weg hin zum Haupttor sah er viele Menschen in beiden Richtungen hindurchströmen. Er setzte seine Maske auf und zog die Kapuze des Piwafwi über den Kopf.
Als er sich dem Tor näherte, konnte er sich einen Blick in Richtung seines alten Friedhofes nicht verkneifen. Es machte ihn sehr betroffen, als er aus der Ferne erkennen konnte, daß die Hütte und der Zaun niedergerissen waren. Mehr wollte er gar nicht sehen, es hätte ihn nur traurig und ziemlich wütend gemacht.

Als er ans Tor kam, verbeugten sich beide Wachen tief vor ihm, was er mit einem Nicken quittierte. Er trat hindurch und in die Stadt hinein.
Eigentlich hatte Joro das Innenleben von Bargum niemals zu Gesicht bekommen, sondern war nur Tag für Tag auf dem Gnadenacker von den Bürgern besucht worden, die ihn als Bezahlung für die Begräbnisse mit allem versorgten, was er brauchte. Den Rest hatte er sich von reisenden Händlern, die kurz bei ihm anhielten und fragten, ob er etwas kaufen wolle besorgt.
Also betrat er hier sozusagen Neuland und war von der Enge der Stadt erstaunt.
Natürlich hatte er auch auf seiner halbjährigen Wanderschaft durch Daishan ein paar kleinere Städte gesehen, aber diese hier war größer als alles, was er in seinem Leben gesehen hatte. Dabei war er sich darüber im Klaren, daß Daishan nach Aussagen diverser Quellen für eine Stadt sogar eher klein sein mußte. Wieviele Menschen hier wohl lebten? Zweitausend, vielleicht viertausend? Mit derartigen Zahlen konnte er nichts anfangen, für ihn war der Zug von fast 350 Duergar schon wie eine Völkerwanderung gewesen.
Das hier überstieg den Zug der Dunkelzwerge bei Weitem. Überall war Leben, in den Gassen tummelten sich geschäftigte Bürger, Hunde, Pferde, Kutschen, Kinder spielten zwischen den Häusern. Ob man in Bargum wohl schon von der Bedrohung durch die Legion wußte?
Er sah sich um und war sich nicht sicher, wohin er gehen sollte. Vielleicht auf den Marktplatz, oder gar gleich in das Kloster?
Die Stimme in seinem Kopf begann zu sprechen.
�Gut zu sehen, daß du in einem Stück angekommen bist, mein Sohn. Du wirst schon bald verstehen, warum du hier bist. Gehe in die Mitte der Stadt, zum Stadtfürstenschloß.�
Joro folgte der Hauptstraße weiter hinein in das Gedränge, wobei er aber niemals mit einem Menschen zusammenstieß, da jeder sich bemühte, ihm Platz zu machen. Vor sich konnte er bald einen Prachtbau ausmachen, den er für das Schloß hielt.
Ein Passant, den er ansprach nickte eifrig, also war er auf dem richtigen Wege.
Auf dem Platz vor dem Schloß wurde gerade ein Markt abgehalten, überall standen Stände, an denen Händler alle möglichen Waren feilboten. Aber das interessierte Joro nur wenig, da er vielmehr an seiner Bestimmung hier interessiert war.
Die Händler hielten sich mit gehörigem Respekt davon ab, ihn zu bedrängen, so wie sie es mit anderen potentiellen Käufern taten, obwohl er merkte, daß viele von ihnen geradezu wild darauf waren, ihm etwas zu verkaufen. Vermutlich hatte das mit Prestige zu tun, wenn ein Celestuspriester bei ihnen etwas kaufte, aber das war ihm schlichtweg zu albern, als es auszuprobieren.
Als er sich dem Schloß näherte, konnte er ein interessantes Plakat erkennen, das am Tor angenagelt war.

Darauf stand in großen kunstvollen Lettern:

Bürger von Bargum!
Nach dem gewaltsamen Ableben unseres geliebten und verehrten Erzbischofes ist es an der Zeit, daß wir uns einen neuen erwählen. Die Zeiten sind hart und mit dem Krieg, der im Süden aufzieht muß die vereinte Kirche des Celestus stärker den je zusammenhalten.
So findet euch in drei Tagen, hier auf dem Platz vor dem Schlosse unseres werten Fürsten Olgerich ein, auf daß wir ein neues Oberhaupt unserer geliebten Kirche erwählen werden, um dem Herren der Toten zu dienen und seine Botschaft des Friedens in die Welt zu tragen.

Darunter stand noch in recht kleinen Buchstaben:

Die Beteiligung an der Wahl setzt eine Gebühr von zehn Goldtalern als Spende an die Kirche voraus.

Joro ignorierte das Grunzen und Toben in den Tiefen seines Kopfes, da er bereits wußte, was sein Gott von derlei Gebahren hielt, stattdessen sprach er eine der Wachen vor dem Tor an, die die ganze Zeit über bereits ihren Blick ihm gegenüber senkten.
�Sagt, werter Herr, wann wurde dieser Aufruf an das Tor geheftet, ich komme gerade von einer langen Reise in die Stadt.�
�Es wurde vorgestern angehängt, Euer Eminenz.�
�Ich bin nur ein einfacher Totengräber.�
�Eine wahrlich imposante Erscheinung, Herr Totengräber, äh, Eminenz.�
Der Titel verwirrte ihn, das hatte er schon damals, als er vor Bargum auf Pentos getroffen war.
�Also vorgestern, sagt Ihr?�
�Ganz genau, Eminenz.�
�Ich danke Euch, ich werde mich auf den Weg ins Kloster machen.�
�Der Dank ist auf meiner Seite, Eminenz.�

Er nahm allen Mut, den er hatte, zusammen und machte sich auf den Weg, die steile Straße hinauf auf den Felsen, wo der große Steinbau irgendwie grimmig auf ihn zu warten schien.

Die Tore des Klosters waren aus schwarzem Eisen, auf sie war die große, rote Sichel des Celestus gemalt. Davor standen etwa zehn Soldaten, alle in Plattenpanzer gerüstet und hielten eine Menge von Bettlern und ähnlich abgerissenen Gestalten davon ab, sich ihnen weiter zu nähern.
Der Offizier, den Joro an seinem größeren Helmbusch erkannte, brüllte dabei herum wie ein Stier, daß sie sich vom Acker machen sollten, weil es sonst etwas setzen würde.
Als er den Priester den Weg hochkommen sah, veränderte sich seine Miene sofort zur sklavischen Unterwürfigkeit und er deutete den Soldaten, eine Gasse in die Menge zu treiben.
Mit ziemlicher Brutalität schoben diese die verlumpten Armen aus dem Weg und der Offizier verbeugte sich tief vor Joro.
Dieser hatte einige Wut im Bauch, als er sah, wie mit den Menschen dort umgegangen wurde.
�Was wollen diese Menschen, Offizier?�
�Sie kommen jeden Tag her und betteln um Essen und Kleidung.�
�Und bekommen sie die auch?�
Der Mann, dessen Gesicht ziemlich fett war und von der Brüllerei leicht rötlich angelaufen war, sah ihn verständnislos an.
�Nein, natürlich nicht. Wir sind eine Kirche und nicht die Armenversorgung.�
Joro reichte es.
�Du und du!� er zeigte auf zwei der Soldaten.
Diese salutierten sofort. Er ging auf einen von ihnen zu und drückte ihm eine nicht unerhebliche Zahl an Münzen in die Hand.
�Ihr beiden geht jetzt sofort herunter zum Markt und kauft für das Geld Essen, das ihr gerecht und in gleichen Teilen an diese armen Menschen verteilt, habt ihr das verstanden?�
Der Soldat vor ihm war verwirrt, aber der Offizier brüllte ihn an.
�Hörst du nicht, was der Priester gesagt hat?! Seht zu, daß ihr Land gewinnt, ihr beiden!!�
�Und ich werde mich erkundigen, ob ihr auch wirklich das ganze Geld für Essen ausgegeben habt und dieses den Armen gabt. Und Celestus stehe euch beiden bei, sollte das nicht der Fall sein!!�, blökte Joro den beiden hinterher, die sich beeilten, so schnell es in Plattenrüstung ging, die steile Straße nach unten zu laufen.
Wieder an den Offizier gewandt sagte er:
�Ihr werdet ebenfalls Sorge tragen, das sie diese Aufgabe gewissenhaft ausführen, habt Ihr gehört?�
�Ja, Eminenz, gewiß, Eminenz.� Dabei verbeugte er sich mehrere Male so heftig, daß ihm fast der Helm vom Kopfe fiel. Joro streckte sich, um möglichst majestätisch zu wirken und ging dann auf den kleinen Einlaß in den Toren zu, den andere Soldaten bereits für ihn geöffnet hatten.

Hinter den Toren führte eine kleine Halle in einen gewaltigen Innenhof, in dem alle möglichen Männer in schwarzen Roben damit beschäftigt waren, sinnlos hin und her zu laufen. Zumindest wirkte das so. Joro sah sich einigermaßen hilflos um, da er nicht genau wußte, was er als nächstes tun sollte.
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als ein hagerer Mann mit kahlem Schädel, vermutlich so um die Fünfzig auf ihn zukam und sich freundlich lächelnd vor ihm verbeugte.
�Seid mir gegrüßt, Bruder. Seid ihr ein Pilger?�
�Nein, ich bin ein Totengräber, ich bin extra zur Wahl des neuen Bischofs angereist.� Es war ein Schuß ins Blaue gewesen, es hätte gut sein können, daß er sich im nächsten Moment in Schmerzen gewunden hätte, aber die Rune verzieh ihm diesen Ausspruch und wertete ihm als die reine Wahrheit. Genaugenommen war er das ja auch, obgleich er beim Aufbruch noch nichts davon gewußt hatte.
�Ah, dann werde ich Euch in die Gastquartiere führen. Wie kommt es, daß ihr die Maske auch des Tages tragt?�
�Das kann ich leider nicht sagen, wenn Ihr verzeiht.�
�Ich verstehe� ein Gelübde, wie mir scheint. Da seid Ihr nicht der Einzige hier.� Der hagere Mönch deutete ihm, zu folgen.
Es ging durch einen Durchgang in einen kleineren Innenhof, um den ringsum in zwei Etagen
Türen eingelassen waren.
�Hmmm�, der Mann kratzte sich am Hals, �ich glaube die 12 ist noch frei.�
Er bewegte sich zielstrebig auf eine der Türen im Erdgeschoß zu und öffnete sie.
Dahinter war ein äußerst kleiner und kärglich eingerichteter Raum, in den er ihn freundlich wies. Das Zimmer hatte kaum Platz für die Pritsche und den Schreibpult, den es beherbergte.
�Ruht Euch aus, Bruder, zur sechsten Stunde wird in der Halle dort am Nordende das Pilgermahl ausgegeben�, er wies auf eine Seite des Hofes, �und natürlich muß ich euch nicht sagen, daß wir um Mitternacht einen Gottesdienst zur bevorstehenden Wahl abhalten werden.�
�Selbstredend�, erwiderte Joro trocken.
�Jajaja��, der Mönch verließ den Raum und der junge Mann blieb allein zurück.

�Und nun?�, fragte er die Stimme in seinem Kopf.
�Jetzt heißt es warten, bis der rechte Zeitpunkt kommt.�
�Ich fühle mich wie jemand, der mit einer Schweinehälfte vor einem hungrigen Wolf herumtanzt.�
�Du kannst dich beruhigen, du bist hier in größerer Sicherheit, als du denkst.�
�Es ist ja schon erstaunlich, daß er weder nach einem Beweis für meine tatsächliche Priesterschaft, noch meinem Namen gefragt hat.�
�Ich habe dir schon, soweit ich mich erinnere, mehrfach gesagt, daß es in dieser Kirche an allen Ecken und Enden fault, wie auf einem Misthaufen. Sie sind so arrogant, daß sie sicher sind, daß es keiner wagen würde, sich als Priester auszugeben, der keiner ist. Auf so ein Vergehen steht hier die sofortigen Todesstrafe, aber kontrolliert wird das niemals.�
�Das heißt mit anderen Worten, daß es hier eine ganze Menge Priester gibt, die keine sind?�
Celestus� Lachen war jenseits von Bitterkeit.
�Anders herum wird ein Schuh daraus, Joro.�
Dem Priester dämmerte es allmählich.
�So wenige?�
�Wenn ich mich hier so umsehe, sind es vielleicht drei oder vier, dich eingeschlossen.�
�Au weia.�
�So kann man es auch sagen.�
�Aber hier müssen doch ohne zu übertreiben mindestens fünfhundert Menschen im Kloster sein.�
�Ich habe niemals etwas anderes behauptet.�
Joro war ehrlich verblüfft.
�Und ich soll mich jetzt zur Wahl stellen? Ist das dein Ernst?�
�Habe ich dergleichen von dir verlangt?�
�Nein, stimmt, das hast du nicht.�
�Aber du findest die Idee verlockend, nicht wahr?�
�Ich weiß ja noch nicht einmal, was ein Bischof tun muß. Wahrscheinlich den ganzen Tag in irgendeinem Saal hocken und Audienzen geben.�
�Bist du der Ansicht, daß das die Aufgabe eines Bischofs sein sollte?�
�Was weiß ich denn? Ich habe doch schon gesagt, daß ich keine Ahnung davon habe, was ein Bischof so tut.�
Celestus seufzte resignierend. Dann versuchte er es anders.
�Also. Wenn du dir eine Kirche vorstellst wie eine große Familie. Die Priester wie die Eltern, die Gläubigen wie die Kinder und den Bischof wie einen Hausvorstand, sozusagen den Großvater der Familie�Kannst du mir soweit folgen?�
�Ja.�
�Dann stelle ich dir die Frage: Was glaubst du, was der Großvater in dieser Familie tun sollte.�
Joro überlegte, welche Rolle sein eigener Großvater auf dem Bauernhof seiner Eltern gehabt hatte. Eigentlich hatte dieser, obwohl sein Vater die Zucht leitete ein gewichtiges Wort im Haus gehabt und wenn jemand einen Rat brauchte, das schloß auch den Vater mit ein, dann gingen sie immer als Erstes zu dem alten Mann und fragten ihn. Mehr noch. Wenn sein Vater zum Beispiel einen größeren Kauf tätigen wollte, zum Beispiel einen neuen Zuchbullen zu kaufen oder einen alten zu verkaufen, war der Großvater derjenige , der das letzte Wort hatte.
Aber das war in diesem Falle darauf zu begründen, daß Joros Großvater einfach eine Menge an Erfahrung und Weisheit mit sich brachte und daher eine unangetastete Autorität genoß.
�Ich bin gerade einmal neunzehn Jahre alt, Celestus. Das befähigt mich wohl kaum, eine Kirche zu leiten, oder?�
�Die Frage lautet weniger, ob du �fähig� bist, sondern ob du dich dessen gewachsen fühlst.�
�Ich bin seit einem Vierteljahr ein Priester und ich bin garantiert nicht alt genug.�
�Was für einen Stellenwert hat denn das Alter für dich?�
�Man sagt doch immer, daß mit dem Alter die Weisheit kommt��
�Das ist ein reichlich dämliches Sprichwort. Weisheit entspringt dem guten Herzen und dem gerechten Geist und nicht irgendwelcher Ziffern in der Zahl deines Alters.� Celestus klang ein bißchen ärgerlich.
�Gebildet bin ich auch nicht gerade. Ich kann froh sein, daß ich lesen und schreiben kann. Und daß ich dazu in der Lage bin, meinen grauenhaften Akzent zu vermeiden, wenn ich mit Leuten von außerhalb spreche.�
�Sehe ich das falsch, oder hast du keine sonderlich hohe Meinung von dir?�
�Ich versuche nur, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben.�
�Nein, du wirfst dich flach hin, da ist ein großer Unterschied. Ich denke heute noch oft genug darüber nach, daß der Sohn eines Rinderzüchters mir gegenüber das Wort �aszendiert� in den Mund, Verzeihung, in den Geist nahm. Ungebildet würde ich dich nicht gerade nennen.�
Joro gab ihm innerlich durchaus ein bißchen Recht. Aber das, was er wußte, hatte er allein den Geschichten seines Großvaters zu verdanken und keiner echten schulischen Ausbildung. In seinem Heimatdorf hatte es ja nicht einmal eine Schule gegeben� Der Zweifel blieb.
�Ich weiß nicht recht, Celestus��
�Wie ich bereits sagte: ich verlange hier überhaupt gar nichts von dir. Es ist deine Entscheidung, wie du mit den Vorgängen hier umgehst.�

Die Stimme verstummte und gab Joro Zeit, nachzudenken, was auf ihn zukam und auch ein Bißchen auszuruhen. Als sich der Tag langsam dem Ende neigte, hörte er draußen jemanden rufen.
�Verzeiht, ihr heiligen Männer, ich suche den, der uns vorhin an den Toren die Ehre seiner Präsenz erwies.�
Zunächst zögerte er, ob er hinausgehen sollte, aber der Trieb, herauszufinden, was geschehen war brachte ihn dazu, doch durch die hölzerne Tür zu treten. Joro öffnete sie und trat heraus. Draußen stand der dickliche Offizier und lehnte sich, erschöpft vom vielen Brüllen keuchend an einer Säule, hatte seinen buschigen Helm abgenommen und wischte sich mit einem Sacktuch den Schweiß aus dem Gesicht. Als er ihn erblickte stopfte er sich den Helm, ziemlich schief, schnell wieder auf den dicken Schädel und salutierte.
�Ich melde, daß ich Euren Befehl ausgeführt habe, Eminenz. Die Armen wurden gespeist und haben einen Lobgesang auf Eure Person angestimmt.�
Joro wollte erst erwidern, daß er es besser gefunden hätte, wenn sie Celestus gepriesen hätten, aber er wollte mit dem Büttel keine Diskussionen anfangen. Stattdessen machte er das, was er für eine gönnerhafte Geste hielt und gebot dem Offizier, wieder zu gehen.
Dieser hastete aus dem Hof zurück an seinen Platz vor dem Tor und Joro war wieder allein in diesem Bienenstock, der sich Kloster nannte.
Hinter ihm klatschte jemand betont langsam Beifall.
Er drehte sich um und sah Jan dort stehen. Die seltsame Silhouette mit dem breiten Torso und den dürren Gliedmaßen erkannte er sofort wieder.
�Ich gratuliere, Herr Totengräber, damit habt Ihr wahrlich einen Volltreffer gelandet. Euer Name ist aller Munde, wobei� Leider nur unter den Armen und die haben hier in der Stadt keine Stimme, wie Euch unzweifelhaft schon aufgefallen sein dürfte. Aber vielleicht macht es Euch ja ein warmes Herz, ein paar armen Teufeln einen weiteren Tag in ihrer Trübsal geschenkt zu haben.�
�Ihr seid ein großer Spötter, Jan. Woher diese Bitterkeit?�
Jan antwortete sehr leise.
�Weil diese Kirche nur noch ein Schatten dessen ist, was sie damals war, als ich noch als Priester durch die Lande zog.�
�Wer ist er wirklich?� fragte Joro in seinem Kopf.
Celestus schwieg.
�Du willst mir nicht antworten, nicht wahr? Du bist es aber nicht, oder?�
Der Gott sagte kein Wort und der Pilger schnaubte verächtlich.
�Du redest mit Ihm, nicht wahr?�
�Wie bitte?�
�Du weißt, wen ich meine�, Jan hielt kurz inne dann schüttelte er den Kopf, als Joro nichts sagte. �Du brauchst nicht zu antworten. Ich sehe mehr und verstehe mehr, als die meisten denken. Nur traut es mir keiner zu.�
�Euer Verhalten und Eure Worte verwundern mich, Jan�Ehrlich gesagt weiß ich immernoch nicht, wen ich vor mir habe, denn Ihr scheint mir mehr zu sein, als ein einfacher Pilger.�
Jan verschränkte die Arme vor seiner Brust und die rötlichen Punkte unter seiner Maske, die er ebenfalls, genau wie Joro, nicht abgelegt hatte, schimmerten verschmitzt.
�Von �einfach� war doch niemals die Rede, oder erinnert Ihr Euch daran, daß ich das je gesagt hätte.�
�Nein. Ein Schlitzohr seid Ihr auf alle Fälle.�
�Ich halte nur nichts davon, jedem jederzeit alle Informationen zu geben, die sie über mich gewinnen können. Das ist besser als Daishani, denn Lügen können wir ja bekanntlich nicht.�
Joro nickte. In diesen Worten schwang durchaus eine intelligente Idee mit, obwohl er das auch irgendwie unehrlich und halb gelogen fand. Aber er hatte sich auch selbst schon oft genug dabei ertappt, daß er in gewissen Situationen lieber den Mund hielt, als vielleicht zu viel zu sagen.
�Ihr denkt viel nach, das gefällt mir an Euch, Totengräber.�
�Danke.�
�Wen werdet ihr morgen wählen?� Jan ließ einmal mehr sein röchelndes Lachen hören, offenbar hatte er gerade einen Witz gemacht.
�Was war an der Frage so lustig?�
�Oh, ihr wißt nicht einmal Genaueres von der Wahl? Ich dachte Ihr seiet extra dafür angereist.�
�Der Zweck meiner Reise war mir zu deren Beginn noch nicht ganz klar.�
�Ein äußerst fragwürdiger Grund, auf eine Reise zu gehen, findet Ihr nicht auch?�
Joro schüttelte den Kopf.
�Nein, die Frage war nicht, warum ich die Reise mache, sondern daß ich sie mache.�
�Interessant. Eine Eingebung von ganz oben was?� Jan erwartete gar keine Antwort, das machte der Ton seiner Frage deutlich.
�Also was war nun der Grund für Euer Lachen?�
�Es gibt nur einen Kandidaten.�
Das verblüffte den jungen Priester.
�Wie, nur einen? Was für einen Sinn hat denn die Wahl dann überhaupt?�
�Prestigegewinn für diejenigen, die das Geld bezahlen, um für den einen Kandidaten ihre Stimme abzugeben. Keiner der reichen Bürger wird auch nur einen Augenblick daran denken, sich das entgehen zu lassen.�
�Warum gibt es denn keine anderen Kandidaten?�
Jan sprach wieder sehr leise, als er antwortete:
�Weil hier eine einzige Vetternwirtschaft herrscht und jetzt, nach dem gewaltsamen Tod des alten Bischofs, rückt sein ehemaliger Ordinarius auf seinen Platz nach.�
�Justin?!�
Der Pilger schaute sich gehetzt um und legte seinen Zeigefinger über das Mundloch seiner Maske.
�Ihr solltet zusehen, daß Ihr kein Aufsehen erregt. Man schätzt hier keine Leute, die Fragen stellen, versteht ihr?�
Doch dann legte er den Kopf schief.
�Ihr kennt Justin?�
�Ich�bin ihm begegnet, ja.�
�An Eurer Reaktion auf seinen Namen lese ich Eure Einstellung bezüglich seiner Person ab. Wir teilen diese.�
Joro dachte nach und versuchte sich so gut er konnte an den hageren, arroganten Mann zu erinnern, der ihn vor einigen Wochen versucht hatte, herumzukommandieren.
�Außer ihm hat sich keiner zur Wahl gestellt?�
�Nein. Er ist der Einzige, der in Frage kam. Zumindest nach der Meinung der Kleriker hier im Kloster.�
�Durfte sich also kein anderer wählen lassen?�
�Oh doch, jeder Priester der Kirche könnte sich aufstellen lassen. Aber es wagt eben niemand, sich gegen Justin zu stellen. Der Gesichtsverlust wäre immens.�
�Aber wenn doch der Bischof von den Bürgern Bargums gewählt wird, dann sollten die auch entscheiden, wen sie haben wollen, oder klingt das völlig unlogisch?�
Jan lachte leise.
�Ihr habt einen scharfen Verstand, Totengräber, und nein, ich gebe Euch völlig recht, das wäre durchaus sinnvoll.�
�Dann sollten sie auch zusehen, daß derjenige gewählt wird, der von den Menschen gewollt wird und nicht der, den sich irgendwelche alten Männer in einem Kloster für sich aussuchen.�
�Hier geht es um Geld, Totengräber. Um nichts anderes.�
Joro grunzte nur und ließ den Kopf hängen. Das Ganze war ihm zu verworren, als daß er es hätte in seinem Kopf speichern können.
�Das wurmt Euch, nicht wahr?�
�Ja, das tut es. Ich wünschte es gäbe jemanden, der etwas unternimmt.�
�Das wünschen hier viele�, Jan sah sich um.
�Meint Ihr das ernst?�
�Würde ich Euch anlügen?�, der Pilger machte ein Geräusch, das Joro für den Versuch eines Kichern hielt, �natürlich gibt es unglaublich viele hier, die sich die alte Kirche zurückwünschen. Aber die sind nicht in diesem Kloster, die laufen da unten in der Stadt herum.�
Hinter ihnen erscholl eine Glocke und beide drehten sich herum. Ein dicker Mönch mit Vollbart stand auf einem Podest und läutete zum Essen.
�Laßt es Euch schmecken, Totengräber, ich werde jetzt ein bißchen in der Stadt umherstreifen und mich dort umsehen.�
�Ihr eßt nichts?�
�Ich weigere mich, etwas zu essen, was mit dem Herzblut der Armen erkauft wurde. Nehmt es Euch aber nicht allzusehr zu Herzen, wenn Ihr es nicht eßt, bekommen es nachher die Mastschweine des Klosters.�
Der Pilger ging durch den Durchgang zum großen Innenhof davon.

Kapitel 20

Joro ging nicht zur Speisung, sondern setzte sich in seinen Raum und aß die Reste seines Reiseproviants auf. Der letzte Satz aus Jans Mund hatte es ihm vergällt und außerdem mußte er weiter nachdenken. Die Idee, daß Justin, ausgerechnet dieser ausgesprochene Unsympath, das neue Oberhaupt der Celestuskirche werden sollte, machte ihn fast wahnsinnig. Im Vergleich zu diesem hätte er sich jederzeit zugetraut, dessen angestrebte Position einzunehmen, weil er ihn für noch unfähiger als sich selbst hielt. Nur machte ihn das nicht zwangsläufig fähig, es auch wirklich zu tun. Besser ja, aber gut genug? Wohl kaum.
Er kaute auf einem Stück Schinken herum und fühlte sich hin- und hergerissen.

Die Stunden bis Mitternacht kämpfte er in der winzigen Kammer immer mehr mit sich und als schließlich draußen eine laute Glocke dazu aufforderte, sich in der großen Halle des Klosters zu versammeln, streifte er die Rüstung ab, um nicht aufzufallen, setzte die Maske wieder auf, die Kapuze der Robe über den Kopf und trat aus dem Zimmer. Die Tür verschloß er gut und steckte sich den Schlüssel vorne in die Unterhose, um ihn auf gar keinen Fall zu verlieren.
In der großen Halle hatten sich wohl alle versammelt, die sich derzeit im Kloster aufhielten, denn der riesige Raum platzte aus allen Nähten. Während noch eine Weile im Flüsterton gesprochen wurde, verstummten dann alle und eine Gruppe von drei Priestern stellte sich vorne am Altar auf. Sie nahmen alle ihre Masken ab, und Joro erkannte den Mittleren als Justin. Eine Welle von Zorn und Haß brandete in ihm auf, aber er riß sich zusammen.
Der Ordinarius, der auf dem Pfad zum Erzbischof war, erhob die Stimme.
�Gelobt sei unser Herr Celestus!�
Die Anwesenden murmelten alle etwas Zustimmendes, jeder wohl etwas anderes.
�Ich begrüße euch hier und heute, zur Stunde unseres dunklen Herren, in unser aller Mitte, meine Brüder. Wir wollen hier und heute unseren Dank an unseren weisen Gott ausbringen, der uns stets auf unseren Pfaden leitet aussprechen, der mich auserkoren hat, am morgigen Tag, wenn die Sonne aufgeht, euer neuer Bischof und helfender Vater zu werden.�
Ein unterwürfiges Getuschel ging durch die Reihen der Menge, dann machte Justin eine Geste, um sie zum Schweigen zu bringen.
�Diese Nacht, bis zum Sonnenaufgang werde ich damit verbringen, in stillem Gebet zu unserem Herren zu gedenken, welche unglaublichen Segen er mir hat angedeihen lassen. Meine ewige Dankbarkeit und mein Gehorsam werden immer bei Ihm sein, dem Herren ohne Gesicht. Ich bitte euch, bleibet hier versammelt und betet im Geiste mit mir, auf daß Celestus mich gnädig annimmt, wenn ich am Morgen vor das Volk seiner Herde trete.�
Justin setzte seine Maske wieder auf, verbeugte sich und trat durch eine Seitentür aus der Halle.
Die Schar der Priester im Raum ging teilweise auf die Knie und begann jeder eine andere leise Litanei vor sich hinzusagen.
Joro hatte genug gesehen. Diese verlogene Bande würde er zu Fall bringen, oder bei dem Versuch draufgehen, aber er konnte sich niemals vorstellen, am nächsten Tag einfach dazustehen und zuzusehen, wie diese Schlange zum Bischof gewählt wurde. Er ging zielstrebig zu seiner Kammer zurück, durch den bis auf ein paar Gardisten menschenleeren Hof.

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Der Speisesaal des Erzbischofs im Hauptflügel des Klosters von Bargum war eine gigantische Konstruktion. Der Boden und die Decke, selbst die zwei Säulenreihen, die die gewaltige Halle trugen, waren vollständig aus pechschwarzem, poliertem Obsidian gefertigt. Jede Oberfläche war so glatt, daß man sich darin spiegeln konnte. An den Wänden, die ebenfalls mit dem schwarzen Gestein getäfelt waren hingen allerlei teure Teppiche mit diversen Motiven, von Schlachtenszenen über Fabelwesen bis hin zu Landschaftsbildern. In der Mitte, zwischen den Säulen, stand eine Tafel mit über fünfzig Sitzplätzen, deren Tisch und Stühle alle aus uraltem Eichenholz bestanden und mit reichen Verzierungen versehen waren.
Justin, sein Sekretär, zwei weitere hohe Vertreter der Kirche, die er als persönliche Freunde (ein Anderer hätte sie eher als Speichellecker oder noch härter benannt) bezeichnete und der Stadtfürst Olgerich, ein kleiner, untersetzter Mann fortgeschrittenen Alters und wenig Haaren auf dem Kopf, saßen an der Tafel und füllten ihre Bäuche mit schwerem Essen und teurem Wein.
Der Ordinarius räkelte sich auf dem Sessel, der für den Bischof vorgesehen war und sonnte sich in den Ehrerbietungen seiner �Brüder�.
�Ich danke Euch für diese wunderbare Spende, werter Fürst. Ihr könnt Euch des Dankes und des Segens der Celestuskirche sicher sein.�
Olgerich erwiderte nichts, sondern kaute nur mißmutig auf seiner Schweinshaxe herum.

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Unten vor dem Eingang des Hauptflügels erschien plötzlich ein Mann in einer schweren Plattenrüstung und mit einem imposanten Turmschild in der Hand vor den Wachen, die die Türe ins Innere bewachten.
�Halt, wer da?�
�Ein Totengräber des Herrn, der eine wichtige Botschaft für den Ordinarius Justin hat.�
Der Anblick der wuchtigen Rüstung und der großen Schildes mit der riesigen Sichel darauf machte Eindruck auf die Soldaten.
�Wen darf ich melden?�
�Niemanden, ich werde alsbald persönlich vor ihn treten.�
�Verzeiht mir, wenn ich Euch damit beleidige, aber ich kann doch nicht einfach jeden, ohne seinen Namen zu wissen��
Der Gerüstete fixierte den Soldaten mit seinem Blick und gleichzeitig ertönte oben im Himmel ein Donnergrollen.
Wortlos und hastig machte die Wache Platz und der Mann trat durch das Tor in das Hauptgebäude ein.


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�Wo wir gerade dabei sind�, fuhr Justin fort, �Habt ihr bereits darüber nachgedacht, wie die traditionelle Schenkung Eures Hauses zu Wahl eines neuen Bischofs zu diesem Anlaß aussehen wird?�
Olgerich machte einen gequälten Gesichtsausdruck.
�Ach, Herr Bischof, ich meine Ordinarius, es ist schwer, einem Mann ein passendes Geschenk zu machen, der mit so vielen Dingen gesegnet ist, wie Ihr.�
Justin sah ihn spöttisch an.
�Das klingt ja fast so, als hättet Ihr euch nicht einmal Gedanken gemacht, was Ihr wohl schenken wollt.�
Olgerich machte hastig eine beschwichtigende Geste.
�Nein, nein, so ist das nicht, ich habe sogar schon lange eine gute Idee, aber sie braucht wahrscheinlich noch ein wenig länger, bis ich sie euch präsentieren kann.�
�Na, das muß ja wirklich etwas Bedeutendes sein, wenn Ihr damit sogar in Verzug geratet� Es wird doch nicht etwa eine Statue meiner Person sein, das wäre doch nicht nötig gewesen��

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Der Mann in der Rüstung ging langsam aber bestimmt durch einen langen Saal, in dem in Glasvitrinen Schaustücke lagen, die er im Vorbeigehen als Reliquien alter Bischöfe identifizierte. An den Wänden hingen zudem Gemälde, die den Anspruch erhoben, alle Leiter der Kirche darzustellen.
An einer Stelle blieb er kurz stehen.
Auf dem Portrait war ein alter Mann mit einem ernsten, fast bösen Gesicht zu sehen, der vor sich in der Hand ein dickes Buch hielt. Darunter stand �Erzbischof Albrecht. Gründer der vereinten Kirche des Celestus.�
Kurz betrachtete er das Gemälde, dann wandte er sich ab und stapfte weiter.

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Justin suhlte sich im Unbehagen des Stadtfürsten, der stammelnd ein paar Erklärungen ausstieß, daß eine Steinlieferung nicht angekommen sei und daher auch die Steinmetze sich geweigert hätten, irgendetwas zu arbeiten. Zudem versprach er, so schnell wie möglich mit den Arbeiten zu beginnen, um diese Peinlichkeit so schnell hinter sich zu bringen, wie er konnte.
Ein Krachen erscholl am anderen Ende der Halle, gepaart mit einem weiteren Donnerschlag im Himmel.
Der Ordinarius grinste selbstgefällig.
�Meine Wahl wird von großen Zeichen angekündigt.�
Vom Eingang des Speisesaales aus rief eine Stimme:
�Euer Eminenz, Justin? Hier ist ein Mann für euch, der��, er wurde unterbrochen.
�Ich kann für mich selbst sprechen, Soldat. Kehre zu deinem Wachposten zurück!�
�Aber ich, äh��
�Auf deinen Posten, Soldat!� Ein hastiges Zusammenschlagen von Hacken erklang, dann konnten Justin und die anderen am Tisch die Schritte von zwei Personen hören, gefolgt vom Zufallen der Eingangstür.

Nun kamen einzelne Schritte den Saal herunter und der Ordinarius und seine Laffen reckten die Hälse, wer da wohl käme, während Olgerich nur mißmutig am Tisch hockte und auf sein Essen starrte.

Die Schritte wurden lauter und ein Mann in einer imposanten Plattenrüstung, auf der im Schein der Öllampen im Raum überall kleine, rote Sicheln schimmerten kam die Tafel entlang gelaufen. Er trug einen riesigen Turmschild auf dem linken Arm, auf dem in fast Beinlänge ebenfalls das Zeichen des Totengottes prangte. An seiner rechten Seite hing ein Hammer vom Gürtel seines rockähnlichen Beinkleides, dessen Kopf bläulich schimmerte. Er trug zwar keinen Helm, aber auf seinem Gesicht prangte die Maske des Celestus.

Justin reckte sich etwas in seinem Sessel, um majestätisch zu wirken und blickte dem Mann erwartungsvoll entgegen.
Der Mann in der Kriegsrobe hielt einige Schritte vor ihnen an und blieb schweigend stehen, von einem zum anderen schauend. Dann ergriff er das Wort, bevor der Ordinarius etwas sagen konnte.
�Das ist also deine Version des stillen Gebets, Justin?�
�Ihr sprecht mich an, als kanntet Ihr mich, werter Ritter unseres Herren, mit wem habe ich denn die Ehre?�
�Mit dem Mann, der morgen früh gegen dich in dieser Wahl antreten wird. Und ich verspreche dir, daß es eine völlige Niederlage sein wird.�
Justin brach in Lachen aus und wandte sich an seine verwirrt und fast panisch dreinblickenden Speichellecker.
�Da habt ihr drei euch aber einen wirklich lustigen Scherz überlegt. Wer steckt in der Rüstung? Kolbar? Irinel?�
Der Sekretär schaffte es als erster, zu sprechen:
�N�nein, Herr Bischof, es handelt sich mitnichten um eine Belustigung, uns ist dieser Mann gänzlich unbekannt.�
Der Ordinarius kicherte weiter: �Oooh, natürlich nicht, ich wette ihr habt ihn in eurem ganzen Leben noch niemals gesehen.�
Olgerich hatte von seinem Teller aufgeblickt und betrachtete den Neuankömmling aufmerksam. Wer mochte das wohl sein?
Der Mann in der Rüstung fuhr fort.
�Ich stehe hier im Namen des Celestus und im Namen der Gläubigen der Kirche unserers Herren. Einer Institution und einer Schar, deren Rechte und das, was ihnen von Rechts wegen zusteht du solange du dich �Priester� nennst, mit Füßen trittst.�
Der übertriebene Frohsinn wich aus Justins Gesicht und machte Platz für Zorn.
�Wer seid Ihr, daß Ihr so etwas in diesen heiligen Hallen zu behaupten wagt? Wer hat Euch dazu angestiftet, eine derartige Lüge über mich zu sagen?�
�Lüge? Hast du nicht vor weniger als einem Monat versucht, einen Prediger des Celestus, der unentgeltlich vor den Toren der Stadt Menschen begrub, einfach zu töten?�
�Dieser Bauer?! Er hat meinen Vorgänger ermordet!�
�Das ist nicht wahr, und das weißt du genau!�
�Woher maßt Ihr Euch an, mein Wort anzuzweifeln?�
�Weil ich dabei war, als du und der Bischof versuchten, ihn einfach zu töten. Er hat sich nur gegen eurer beide feigen Angriff gewehrt.�
�Das ist eine LÜGE!� Justin sprang auf und hämmerte mit beiden Händen so stark auf den Tisch, das sein Weinkelch umkippte und von der Tafel rollte.
Olgerich stand ebenfalls auf und sagte:
�Wie lautet Euer Name, Herr Ritter, damit ich weiß ob man Euch trauen kann.�
Der Ordinarius schaute rasend vor Zorn zwischen dem Mann in Rüstung und dem Fürsten her.
�Was soll das heißen? Glaubt Ihr etwa diesem dahergelaufenen Scharlatan, Fürst?!�
Der Mann in der Rüstung sah zu Olgerich und nahm die Maske ab, was Justin erstarren ließ.
�Mein Name ist Joro Macun, ich bin geborener Daishani und trage die Rune meines Volkes stolz auf meiner Kehle. Ich war der Priester, den der Bischof und dieser Mann dort umzubringen suchten.�


Alle Anwesenden bis auf den Fürsten waren vor Schreck wie gelähmt, dieser aber ging um den Tisch herum und stellte sich vor Joro. Dann blickte er unter die Halsberge, um daraufhin zu nicken.
�In der Tat, er spricht die Wahrheit.�
Joro starrte mit eisernem Blick auf den Ordinarius, dem es nur langsam gelang, sich aus der Starre zu lösen.
�D�DU!�, stammelte er, �ich werde jetzt sofort die Wachen rufen, um dich auf der Stelle aus dieser Welt zu beseitigen!�
�Das wirst du nicht tun, denn jede Wache, die sich mir entgegenstellt wird vom Herrn niedergeworfen werden. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du es gerne versuchen.�
Justin war offenbar gewillt, es zu versuchen, aber Olgerich hob die Hand.
�Es ist nicht notwendig, hier Blut zu vergiessen. Er trägt das Mal der Wahrheit auf seinem Hals.�
�Das kann man auch fälschen!�, kreischte der Ordinarius.
�Ich war mir darüber im Klaren, daß deines nicht echt ist�, entgegnete Joro trocken, �Wobei es mich mit Scham erfüllt, einen lügenden, betrügenden und falschen Daishani zu sehen. Meins hingegen wurde mir vom Druiden meines Dorfes zu meinem zweiten Geburtstag unter den Kehlkopf gebrannt und ich trage es mein Leben lang mit Stolz.�
Olgerich sah ihn gleichzeitig bewundernd und traurig an.
�Mir wurde diese Ehre leider nicht zuteil, denn obwohl ich ein Daishani bin, wuchs ich im Ausland auf und der Ritus wurde daher nicht an mir durchgeführt.�
Joro lächelte ihn an.
�Das läßt sich jederzeit nachholen, Euer Durchlaucht.�
�Olgerich, ich verlange, daß Ihr diesen Mörder auf der Stelle festnehmen laßt. Er ist sicherlich nur gekommen, um mich zu töten!�
Der Fürst wandte sich an Joro.
�Ist das die Wahrheit?�
�Nein, ich bin hier, um mich gegen Justin zur Wahl zu stellen und das Volk entscheiden zu lassen, wer der neue Bischof werden soll.�
Dem Ordinarius kehrte etwas Sicherheit in den Blick zurück und statt Panik stand wieder Zorn in seinem Gesicht.
�Dann wirst du vernichtend geschlagen werden, du dummer Bauernjunge und das weißt du.�
�Ich werde es darauf ankommen lassen. Sollte ich die Wahl verlieren, wirst du mich niemals wiedersehen. Aber sollte ich gewinnen, wirst du für alle Verbrechen, die du den Menschen angetan hast, bezahlen müssen.�
Olgerich hob beide Hände.
�Dann soll es so sein. Als Wächter über die Wahl akzeptiere ich diesen Mann als Kandidat für die Wahl zum Bischof.�
Justin wollte erst noch etwas einwenden, dann winkte er ab. Er wandte sich zum Gehen und verließ mit den Worten �Der Appetit ist mir vergangen, ich ziehe mich zurück� den Saal, dicht gefolgt von seinem Troß.
Der Fürst sah den jungen Mann schmunzelnd an.
�Wie alt bist du, Junge?�
Joro war überrascht.
�Was, kein �Eminenz� oder �Eure Heiligkeit�?�
�Du machst auf mich nicht den Eindruck, als läge dir daran sonderlich viel, verzeihe mir, wenn ich mich da irre. Also: Wie alt bist du?�
�Neunzehn.�
�Und du traust dir wirklich zu, gegen den etablierten Kandidaten der Kirche anzutreten?�
�Natürlich, sonst wäre ich kaum hier, oder seht Ihr das anders?�
�Man könnte auch denken, daß ein Jungspund sich aus einem spontanen Entschluß heraus zu einer Dummheit hinreißen läßt.�
�Ich bin vielleicht jung und manchmal nicht sonderlich weltgewandt, aber ich bin nicht dumm.�
�Gut, dann hoffe ich, daß dein Plan nachher aufgeht. Wir treffen uns zur fünften Stunde des Vormittages in der Eingangshalle meines Schlosses�, er sah sich um, �Wenigstens kann ich dir schon einmal danken, daß du dieses unselige Mahl beendet hast.�
Er ging den Weg herunter, auf dem Joro den Saal betreten hatte und meinte im Fortgehen noch �imposante Rüstung!�.

Joro stand erst noch einen Moment dort und überlegte kurz, ob er sich etwas von dem Essen nehmen sollte, aber er dachte an Jans Worte und ging stattdessen ebenfalls zurück. Als er bei den Wachen vorbeikam meinte er noch knapp:
�Der Ordinarius fühlt sich nicht wohl, ich würde seinen Anweisungen bis zum Morgengrauen nicht unbedingt Beachtung schenken, wenn ihr wißt was ich meine��, dabei zwinkerte er ihnen zu und die beiden nickten wissend.
Als er zurück in die Reliquienhalle kam, blieb er noch einmal vor den Gemälden stehen.
Das war also Albrecht, derjenige, mit dem dieser ganze Mist angefangen hatte. Er überraschte sich dabei, wie er sich fragte, ob die ursprüngliche Kirche nach den selben Prinzipien funktioniert hatte, wie sie das heute tat.
Hinter ihm hörte er Schritte und fuhr herum. Hinter ihm stand Jan.
�Eine imposante Erscheinung, dieser Albrecht, was?�
�Seid Ihr mir gefolgt?�
�Ich muß zugeben, daß das eine schlechte Angewohnheit von mir ist. Es war jedoch sehr lohnenswert, denn Ihr habt genau das getan, was ich von Euch erwartet hätte, Joro Macun.�
�Kanntet Ihr meinen Namen schon vorher?�
�Ja, er war mir bewußt.�
�Auch schon, als Ihr uns im Wald traft?�
�Zu diesem Zeitpunkt war er mir auch schon bekannt.�
�Wer seid Ihr. Und ich verlange eine Antwort.�
�Warum interessiert Ihr Euch so sehr dafür?�, Jan lachte leise, �Ihn habt Ihr auch schon gefragt, aber er hat Euch nicht geantwortet, nicht wahr?�
�Ihr wißt weit mehr, als Ihr nur mehr oder minder erfolgreich zu verschweigen sucht, Pilger. Und ich wittere eine ganze Reihe von Halbwahrheiten in dem, was Ihr mir alles sagtet.�
Joro blickte auf das Gemälde.
�Es hat etwas mit ihm zu tun.� Die Feststellung war eigentlich als Frage gedacht.
�Das ist richtig. Wie ich bereits vorher mehrfach erwähnte, hast du einen scharfen Verstand mein Junge.�
�Seid Ihr� aber das kann unmöglich sein, die Kirche wurde vor Jahrhunderten gegründet, noch vor dem Beginn der Regentschaft Welverins.�
�Genaugenommen wurde die Kirche vor genau 681 Jahren gegründet, im zehnten Monat des Jahres. Es war der vierte Tag der Woche, als die Erklärung zur Vereinigung der Totengräber unterzeichnet wurde.�
�Also behauptet Ihr, Erzbischof Albrecht zu sein? Wie kann das sein, mit dem Mal auf Eurer Kehle und eurer Behauptung, �Jan� zu heißen?�
Der Pilger richtete sich auf sagte:
�Mein voller Name ist Jan Albrecht Bakrah, ich war der erste Bischof dieses Klosters, ich habe es sogar eigenhändig bauen lassen. Und frag nicht noch einmal nach dem Namen, welcher von beiden Vornamen ist wohl der imposantere.�
Joro hatte immernoch Zweifel.
�Wollt Ihr mir wirklich weismachen, daß Ihr 721 Jahre alt seid?�
Der Mann vor ihm nahm seine Maske ab und darunter kam ein eingefallener, mumifizierter Schädel mit geblekten Zähnen zum Vorschein, in dessen Augenhöhlen zwei kleine rote Kugeln leuchteten.
Joro nahm unwillkürlich seinen Hammer in die Hand und hob seinen Schild ein wenig.
�Laß die Waffe los, Jungchen, noch ehe du deinen Arm gehoben hast, wirst du als Häuflein Asche auf dem Boden liegen.�
�Das glaube ich nicht, weil Celestus auf meiner Seite steht.�
�Dein Glaube ist wirklich stark, nicht wahr? Oder ist es vielmehr die Überzeugung, ein höheres Wesen in der Hinterhand zu haben, das dir den Rücken stärkt, wenn du dich in Gefahr begibst.�
�Das Stichwort lautet Vertrauen, du Spötter. Eine Tugend, die dir in deinen letzten Jahrhunderten scheinbar abhanden gekommen ist�, sagte eine ärgerliche Stimme aus der Ecke des Raumes. Der untote Bischof und Joro drehten sich zu der Stimme hin und konnten nur einen wagen Schatten erkennen, der in der Ecke waberte.
Albrecht lachte wieder sein Lachen, daß ohne die Maske noch widerlicher klang.
�Ich fühle mich geehrt, daß du wieder zu mir sprichst, Celestus. Es war reichlich still die letzten 600 Jahre.�
�Hast du die Rüstung erkannt, die er trägt, Albrecht?�
Der Bischof ging wortlos zu einer Stelle an der Wand, an der eine Lücke zwischen den Gemälden war und riß beinahe spielerisch mit der rechten Hand eine Wandtäfelung aus den Fugen. Dahinter war das Portrait eines haßerfüllt dreinblickenden Mannes in der Rüstung, die Joro am Leib trug. Der junge Priester schaute fassungslos auf das Bild.
�Ist�das��
Celestus und Albrecht sagten beide gleichzeitig und ziemlich genervt: �Ja!�
Der Untote sah wieder zu seinem�Gott?
�Ich habe das Bild selbst gemalt, glaubst du, daß ich diese Rüstung nicht in genau dem Moment endgültig erkannte, als ich sie an diesem Knaben sah?�
Celestus� Stimme klang ebenso hart.
�Dann weißt du, was seine Bestimmung für dieses Haus und diese Stadt ist.�
�Ja, ein weiterer Versuch deinerseits, eine Zeit wiedergutzumachen, in der du dich um die Geschicke der Sterblichen keinen Pfifferling gekümmert hast. Und fang mir jetzt ja nicht die Diskussion an, daß die Götter die Sterblichen ihr Leben leben lassen sollen. Den Bockmist nehme ich dir schon seit Jahrhunderten nichtmehr ab.�
Joro war geradezu paralysiert, jemanden, der sich vorher noch als Priester ausgegeben hatte auf diese Weise mit seinem Gott reden zu hören und das in dieser kalten, spöttischen Art. Oder ehemaligen Gott, aber wie kam es dann zustande, daß sich Celestus überhaupt auf diesen Streit mit ihm einließ, anstatt ihn einfach zu, naja, zerschmettern, oder was Götter im Allgemeinen so taten, wenn sie auf jemanden wirklich wütend waren.
Der dunkle Herr schwieg kurz, dann entgegnete er kalt:
�Ich glaube kaum, daß eine Person mit deinem Horizont ein Recht darauf hat, die Entscheidungen eines Gottes zu kritisieren. Die dafür erforderliche Weitsicht fehlt dir nämlich ganz wesentlich, Albrecht.�
Der Bischof klang bitter.
�Mein Dasein war lang genug, um die Grundzüge dieser Welt zu verstehen. Und ich bin beleibe nicht der Einzige, den du im Stich ließest. Mit ihm�, dabei zeigte er auf das Gemälde des Nuktu, �hat es nämlich angefangen! Ganz zu schweigen von der Kirche, für deren Errichtung ich selbst mein ganzes Leben aufwandte, um sie gut zu machen. Die hast du ebenfalls der Boshaftigkeit und der Gier anheim fallen lassen.�
Celestus� Stimme wurde nun sehr böse.
�Nein, das haben ganz allein die Menschen getan, weil ihr Wesen und ihre Absichten schlecht waren. Weder du noch ich haben uns da irgendetwas vorzuwerfen.�
�Damit machst du es dir sehr einfach. Nuktu war also auch selbst schuld, daß er mit dem machtvollen Spielzeug, daß du ihm in die Hand drücktest nicht umgehen konnte, nicht wahr?�, Albrecht schnaubte verächtlich aus.
�Ich bin nicht die persönliche Amme eines jeden Sterblichen, du Dickschädel! Wenn sie nicht einmal selbst dafür sorgen können, ihre einfachsten Grundbedürfnisse zu erfüllen, sollen wir Götter uns dann auf immer und ewig um all ihre Wehwehchen kümmern? Für so verbohrt und
verbittert halte ich nicht einmal dich, Albrecht!�
Der Untote nahm wortlos die Maske wieder vom Boden, die ihm beim Gestikulieren heruntergefallen war.
Dann zeigte er mit seiner linken Hand auf Joro, während er weiter den dunklen Herrn anstarrte.
�Dieser da. Hast du ihn gewarnt, hast du ihm alle Risiken erklärt? Wie lange wußte er schon, daß der Bischof gewählt wird?�
�Die Antwort auf deine letzte Frage kennst du schon, Albrecht. Und was das Erste angeht: Ja, ich habe ihn immer und immer wieder ermahnt, seinem Herzen zu folgen.�
�Es ist eine Sache, einem jungen, naiven Menschen zu sagen, er solle sich an seinen Gefühlen orientieren, aber es ist eine völlig andere, ihn, ohne daß er weiß, was auf ihn wartet, in eine Stadt zu schicken, wo der Galgen auf ihn wartet und mit einem Amt zu konfrontieren, für das er viel zu jung und unerfahren ist!�, trotz seiner harten Worte war Albrechts Stimme immer auf seltsame Weise völlig emotionslos
Celestus Körperhaltung entspannte sich zusehends und er verschränkte seine Arme vor der Brust. Er schwieg.
�Oooooh, nein. Nein.� Albrechts Stimme erhielt einen bösen Unterton, aber Joro glaubte, daß der gespielt war, genau wie sein röchelndes Lachen.
�Das hast du gewußt, du verdammter��
�Vorsicht, Albrecht. Auch meine Geduld hat ihre Grenzen�, Celestus sprach wieder völlig ruhig und sachlich.
Der Bischof musterte Joro von oben bis unten, dann sah er wieder in die Ecke, wo der Gott stand.
�Du erwartest doch nicht etwa wirklich von mir, daß ich die Arbeit annehme, die du eben noch als die Nemesis eines jeden Gottes bezeichnet hast. Wenn ein Gott sie schon nicht leisten kann, wie soll dann ein armseliger Knochenhaufen wie ich dafür sorgen, daß dieser Junge sich nicht auf Abwege begibt?�
�Du hast Erfahrung, Albrecht und die Arbeit, die ihm bevorsteht ist dir gut bekannt.�
�Ich lasse mich nicht wieder zu deinem Diener machen, unser beider Handel ist abgeschlossen und eingelöst.�
Celestus verschwand einfach und seine Stimme hallte noch durch den Saal.
�Du hast dich selbst eingemischt, ich habe dich nicht darum gebeten, denn wie du weißt habe ich seit 600 Jahren nicht mehr mit dir geredet. Und um ehrlich zu sein, werde ich die nächsten 600 Jahre lang die Ruhe genießen.�

Joro und der Bischof standen alleine in der Halle. Der junge Mann starrte ihn die ganze Zeit an.
�Wann fragst du mich endlich?�
Er war von Albrechts Frage verunsichert.
�Was soll ich fragen?�
�Nun, da fallen mir gleich ein paar Dinge ein: Wieso redest du so mit ihm, was bist du überhaupt, was hat dich so zynisch gemacht��
�Das wären drei sehr gute Fragen.�
Der Bischof setzte die Maske wieder auf und strich seine Robe glatt, die beim Streiten mit Celestus durch seine starke Körpersprache derbe Falten geworfen hatte.
�Erstens, weil er es verdient, zweitens ich bin ein Leichnam und drittens das Leben, oder meinetwegen das �Un�leben.�
�Wie kann ein Mann, der sein Leben lang einem Gott gefolgt ist eine derartige Abneigung gegen ihn entwickeln?�
�Indem er nach seinem Ableben sehen muß, wie sein Lebenswerk, das er diesem Gott gewidmet hat, Jahr für Jahr von gierigen Menschen zerstört wird, weil es eben jenen Gott nicht im Geringsten interessiert.�
�Warum bist du überhaupt ein Untoter? Wenn ich Celestus richtig verstanden habe, sind Untote eine Existenzform, die es zu vernichten gilt, weil ihre Seelen künstlich von der Passage in das Totenreich abgehalten werden.�
Albrecht röchelte mal wieder.
�Celestus selbst hab mir diese Form.�
�Was?!�
�Das war der Preis für ein Leben in unterwürfigem Gehorsam.�
�Der Preis? Also eine Art Belohnung?�
�Ganz genau. Er wollte mir sozusagen ein Leben nach dem Leben geben. Die Vorstellung, keine Gefühle mehr zu haben und stattdessen fast unsterblich durch die Lande ziehen zu können, erschien mir verlockend, denn damit konnte ich auch all die menschlichen Schwächen wie Gier, Eitelkeit und Egoismus hinter mir lassen.�
�Aber mußtest auch Liebe, Glück und Zufriedenheit aufgeben.�
�Das erscheint dir mit deinen jungen Jahren ein harter Tausch, was?�
�Warst du niemals verliebt?�
�Ich war der Sohn eines Fürsten aus den nördlichen Provinzen. Der Erbprinz, um genau zu sein. Bei einem Jagdausritt, als ich fünfzehn war, schoß mir mein kleinerer Bruder, der den Thron wollte, einen Pfeil in den Kopf. Ich war sofort tot und wurde von Celestus wiederbelebt. Naja, das hast du in einer ähnlichen Form sicherlich selbst hinter dir��
Joro nickte und Albrecht fuhr fort:
�Ich hatte niemals Zeit für die Liebe, ich habe mich sofort in meine Arbeit gestürzt und die war die einzige Erfüllung meines Lebens. Ich war dabei, als der letzte Stein in das Deckengewölbe der großen Halle dieses Klosters eingesetzt wurde, das war der schönste Tag in meinem Leben. Am Ende habe ich mit nur 55 Jahren begonnen, ein schwaches Herz zu bekommen, bis dann eines Tages Celestus fragte, ob ich sein Geschenk haben will. Ich griff sofort zu, und nachdem ich meinen Tod vorgetäuscht hatte, nahm ich mein neues Unleben an.�
Der Priester war erstaunt, aber er konnte es nicht nachvollziehen. Er dachte aber spontan an etwas anderes.
�Die Wahl muß doch bald beginnen, wir sollten aufbrechen.�
�Wir?�, Albrecht schüttelte den Kopf, �Nein, du mußt gehen, es war deine Entscheidung.�
�Und was machst du derweil? Hier herumstehen und mit dir selbst darüber lamentieren, wie grausam dein Schicksal ist?�
�Brauchst du meinen Beistand so dringend, daß du ausfallend wirst, junger Mann?�
�Nein, aber mir gehen deine Spöttereien auf den Geist.�
�Jetzt wo sich unsere Wege gekreuzt haben, wirst du damit leben müssen, Joro Macun.�
Joro seinerseits schnaubte verächtlich aus und ging einfach davon.
Albrecht blieb zurück und sah sich um.
�Du bringst mich immer wieder dazu, für dich zu arbeiten, ob ich es will oder nicht, egal, ob es am Ende zerstört wird oder gut geht.�, er schwieg kurz und sah nach oben, �Und ich kann nicht einmal mehr über meine eigenen Witze lachen.�

Joro trat auf den Hof und sah eine Unmenge an Mönchen, Priestern und Totengräbern durch die Tore des Klosters nach draußen in die Stadt strömen, jeder zweite von ihnen eine Fackel in der Hand, denn die Sonne ging noch nicht auf.
Er ließ sich in den Strom nach unten zwischen die Häuser treiben und als er auf dem Vorplatz des Schlosses angekommen war, trat er an die Türen und wies die Wachen an, sie zu öffnen.
In dem relativ schmucklosen Eingangsbereich standen Olgerich, Justin und dessen Dreieranhang. Der Ordinarius machte ein Gesicht, als stellte er sich vor, wie er ihm die Eingeweide aus dem Leib riß, aber natürlich traute er sich das nicht. Stattdessen versuchte er, ein überhebliches Grinsen im Gesicht zu behalten, was er nicht sonderlich gut hinbekam.
Olgerich empfind den jungen Priester höflich und schaute auf die Sanduhr, die auf einem Tisch in der Halle stand.
�Meine Herren, es wird Zeit.�
Er ging die ersten Stufen, die in der Halle auf eine Galerie führten zu erklimmen, machte aber noch einmal Halt, als sich Justin und seine drei Anhängsel in Bewegung setzten.
�Nur die Kandidaten, Justin, das wißt ihr, so ist es Brauch.�
�Jaja, schon gut�, erwiderte der Ordinarius und wedelte heftig mit den Armen, um seinen Begleitern zu gebieten, unten zu bleiben. Joro ging mit etwas Abstand zu ihm die Treppe hoch.
Oben angekommen hielten sie vor einer Tür, die auf einen Balkon führte, der zum Platz hinausging. Olgerich lächelte Joro an und sagte: �Ihr könnt die Maske abnehmen, Totengräber, es ist der Brauch der Kirche, daß sich diejenigen, die sich wählen lassen wollen, auch dem Gott ohne die Maske präsentieren.�
Er fragte lieber nach, aber Celestus sagte knapp: �Es ist in Ordnung.�, weshalb er die Gesichtsbedeckung abnahm und an seinen Gürtel hängte.
�Seid ihr beide bereit, meine Herren?�, Olgerich machte ein feierliches Gesicht.
Beide nickten, Joro mit nervösem, Justin mit siegessicherem Gesicht.
Der Fürst öffnete die Tür und gebot ihnen, stehenzubleiben.
Draußen brandete Jubel auf, als der kleine Mann auf den Balkon heraustrat. Er machte beschwichtigende Gesten und wartete bis sie sich beruhigt hatten.
�Ehrenwerte Bürger von Bargum�, hob er an, �Wir haben uns hier, bei Sonnenaufgang versammelt, um nach dem tragischen Dahinscheiden unseres alten Bischofs ein neues Oberhaupt unserer Kirche zu erwählen, das unsere Geschicke mit Güte und Weisheit überwachen soll, für lange Jahre und mit einem erfüllten Leben voller Gnade vor dem Herrn Celestus.�
Es gab wieder Beifall, der diesmal etwas kürzer war.
�Aber ich habe eine Überraschung für euch alle, meine braven Bürger. Denn geradezu im letzten Augenblick hat sich ein zweiter Priester um diese Position beworben.�
Ein Raunen ging durch die Menge, was der Fürst wieder mit einigen Gesten zum Erliegen brachte.
�Ich präsentiere Euch zunächst den alten Kandidaten, den Ordinarius unseres alten, ehrwürdigen Bischofs, Justin!�
Dieser trat ungefragt vor und stellte sich, ein paar seiner Ansicht nach wohl majestätisch wirkende Armbewegungen machend, rechts neben den Fürsten.
Von unten ertönte zunächst etwas verhaltener Jubel, der dann mit einem Mal von einem zusätzlich Chor verstärkt wurde. Joro mußte schmunzeln, da hatte wohl jemand seinen Einsatz verpaßt.
Der Fürst nickte einmal in die Runde, dann ergriff er wieder das Wort.
�Und nun seht den anderen, der sich zur Wahl stellt, es ist der Totengräber unseres Herren, Joro Macun.�
Der junge Priester trat heraus auf den Balkon geriet ob der Masse beinahe ins Schwindeln. Unter dem Balkon standen wirklich Tausende von Menschen und schauten zu ihm herauf. Olgerich griff ihn am Ellenbogen und lächelte ihn an, dadurch beruhigte er sich wieder.
Die Menge unter dem Balkon hatte keine Hand geregt, stattdessen hatten alle angefangen zu tuscheln und miteinander zu diskutieren. Die Versuche des Fürsten, sie davon abzubringen, waren erfolglos.
Justin witterte sein Chance.
�Seht euch den Mann an! Er war es, der den alten Bischof getötet hat!�
Joro sah ihn überrascht von der Seite an, dann merkte er, wie er wieder wütend wurde.
�Bürger von Bargum! An diesem Morgen waren Hunderte von euch zugegen! Viele von euch werden gesehen haben, was wirklich geschah! Sagt es diesem Lügner ins Gesicht!�
Doch der Ordinarius ließ nicht locker.
�Ich habe meinen Herren dem Bischof für über fünfzehn Jahre gedient�, rief er laut und fügte noch hastig hinzu, �und unserem Gott genauso! Glaubt ihr mir, oder einem dahergelaufenen Bauernjungen, der behauptet hat, in dessen Namen zu handeln?�
Ein paar Stimmen unten brüllten: �Hängt den Mörder!�, aber sie wurden ziemlich schnell von einigen Dutzend anderen niedergebrüllt, unter anderem rief einer: �Er ist kein Mörder, der Bischof wollte ihn umbringen lassen!�
Die Volksseele begann hochzukochen, daher entschloß sich der Fürst dazu, ziemlich laut �RUHEEE!� zu brüllen.
Nachdem die Menge sich beruhigt hatte, ergriff wieder der Fürst das Wort.
�Ich überlasse die Entscheidung den mündigen und weisen Bürgern unserer Stadt.� Er wollte gerade die Urnen herumgehen lassen, als Joro ihn am Arm zupfte und fragte:
�Werden eigentlich die Bürgerschaftsurkunden kontrolliert oder kann jeder, der die zehn Münzen mitbringt eine Stimme abgeben?�
Olgerich sah ihn kurz befremdet an, aber dann verstand er sofort, was Joro meinte. Er schaute schief zu Justin herüber, der sich immernoch mit arrogantem Grinsen da stand und Huldigungen von ihm ergebenen Priestern entgegennahm.
Der Fürst sah einmal über die ganze Menge.
�Ihr hier versammelten, ich möchte zudem eine neue Tradition einführen, und erbitte eure Stimmen und Gegenstimmen dafür. Statt die Gebühr zu entrichten, wollen wir es euch überlassen, ob ihr eine Spende an die Kirche gebt, stattdessen dürfen alle, die hier anwesend sind, per Handzeichen abstimmen, welchen der Kandidaten ihr haben wollt.�
Justin hatte mitbekommen, was da vor sich ging.
�Wie? Wartet! HALT!�
Olgerich musterte ihn.
�Was ist los, Justin, habt Ihr Einwände?�
�Ihr könnt doch nicht einfach das Prozedere ändern, das seit Beginn unserer Kirche besteht!�
�Doch das kann ich, denn in den Texten steht einzig und allein, daß es dem Fürsten von Bargum obliegt, das Volk der Stadt zu befragen, wen sie sich als Bischof wünschen. Darin steht nichts von �nur Bürger� und die Gebühr ist auch nirgendwo festgeschrieben�, er lächelte, �Außerdem könnt ihr euch doch der großen Sympathie der Bürger von Bargum sicher sein, oder etwa nicht?�
Joro mußte schmunzeln. Das war wohl eine jener Verfälschungen, von denen Celestus gesprochen hatte, als es um die Änderungen in Albrechts Schriften ging.
Der Fürst, wieder zur Menge gewandt rief: �Wer dafür ist, den neuen Bischof per Handzeichen zu wählen, hebe jetzt seinen Arm.
Eine Masse von Händen schoß in die Höhe und nach und nach entschieden sich auch eine ganze Reihe von Unentschlossenen dafür.
�Und jetzt jene, die strikt dagegen sind!�
Die Anzahl an Händen war deutlich weniger.
Justin tobte.
�Ich warne Euch, Olgerich. Beendet dieses Schauspiel oder ihr werdet die Konsequenzen tragen müssen.�
Der sah ihn nur voller Verachtung an.
�Das tue ich gerade, du miese Filzlaus�, sagte er leise, was Justin dazu brachte, nach Luft zu schnappen.
�Nun hebe ein jeder die Hand, der den Ordinarius Justin zum nächsten Bischof von Bargum wählen möchte.�
Eine gute Anzahl der schwarz gekleideten Priesterschaft hob die Hände. Dabei sah Joro, daß es durchaus einige gab, die ihre unten ließen. Justin sah zu jedem Einzelnen von ihnen herunter und schien sie mit seinen Blicken töten zu wollen.
�Und nun hebe ein jeder die Hand, der den Totengräber Joro Macun auf dem Sessel unseres Bischofsamtes sehen will!�
Zunächst gingen nur einige wenige Hände nach oben, was Justin mit einem beinahe hysterisch kreischenden Jubelgeschrei beantwortet wurde. Joro ließ die Schultern hängen und wollte sich gerade zum gehen wenden, da sah er nach und nach mehr Hände hochgehen. Über den ganzen Platz hinweg kam ein Arm nach dem anderen nach oben.
Der Ordinarius schaute immer hektischer zwischen Olgerich und der Menge hin und her und begann lautstark zu schreien, daß der Fürst Joro viel mehr Zeit einräumte, als ihm.
Plötzlich gab es einen dumpfen Schlag, der ihn nach vorne stolpern und dann über die Balustrade in die Menge fallen ließ.
Da jubelte die Menge auf und mehr als drei Viertel von ihnen reckten ihre Hände in die Höhe.
Olgerich und Joro schauten verwirrt beide nach rechts und sahen dort, etwas im Hintergrund zwischen den Balkontüren eine Gestalt stehen, es war Ghaundar.
Der zuckte mit den Achseln und ließ den Knüppel sinken.
�Also mir ging er auf die Nerven.�
Der Fürst sah fragend und kurz davor, seine Fassung zu verlieren, zu Joro. Der grinste.
�Euer Durchlaucht, darf ich Euch meinen besten Freund und Lebensretter vorstellen? Dies ist Ghaundar Veldrin�Ssreen, ein Oberflächendrow.�
�O�Oberflächendrow?�
Joro seuftze.
�Einer von den guten.�
�Oh�, das Gesicht des Fürsten erhellte sich, �Aber den zeigen wir denen da unten besser nicht, sonst war die Wahl umsonst.�
Olgerich drehte sich dem Volk zu.
�Damit ist es entschieden! Ich erkläre Joro Macun zum neuen Erzbischof von Bargum!�
Die Menge jubelte und überall flogen Hüte in die Luft, und sogar ein paar Masken, denn die Sonne hatte sich den Weg über den Horizont gebahnt .�Gehen wir wieder hinein�, meinte der Fürst, �wir haben noch etwas Ruhe, bis man euch auf den großen Sessel setzt.�
Auf dem Weg die Galerie entlang schaute sich Olgerich zu Ghaundar um, der mit einigem Abstand folgte.
�Warum so scheu, Herr, verzeiht, wie war Euer Name noch gleich?�
�Ghaundar reicht völlig. Ich bin in Gegenwart von Menschen lieber etwas vorsichtig.�
�Ihr beleidigt mich Ghaundar. Erst habt ihr den Mut, euch einer Masse von einigen tausend Menschen auszusetzen und nun habt Ihr Angst for einem alten Mann?�
�Eher vor dessen Schloßwachen.�
�Das können wir ändern. Hauuuuptmann!�
Ein bulliger, großer Mann kam in die Eingangshalle gesprintet. Als er Ghaundar neben seinem Fürsten sah, griffen er und der Drow sofort beide gleichzeitig nach ihren Waffen.
Olgerich hob beide Hände.
�Halt! Dieser Dunkelelf ist mein Gast. Er steht unter meinem persönlichen Schutz! Wer ihm etwas antut, wird sich vor meinem Gericht verantworten müssen!�
Der Soldat schaute ihn verblüfft an und lockerte den Griff um sein Schwertheft nur ein Bißchen.
�S�seid Ihr sicher, Durchlaucht?�
�Das war kein Vorschlag, sondern ein Befehl, Soldat. Hast du das verstanden?�
Der Hauptmann salutierte hastig und brüllte:
�Jawohl, mein Fürst!�
�Gut, dann geh und sage es jeder Wache im Haus und laß einen Befehl an die Stadtwache herausgeben. Wenn diesem Mann ein Leid geschieht, werde ich dich persönlich dafür verantwortlich machen, hast du mich verstanden?�
Der Mann hatte seine Unsicherheit abgestreift und tat nun das, was er offenbar am Besten konnte, nämlich Befehle zu befolgen.
�Ihr habt den Fürsten gehört, bewegt eure Ärsche und macht Meldung an alle Posten, los, los, LOOOS!�

Olgerich drehte sich wieder zu dem Drow um.
�Beruhigt Euch das ein wenig, Herr Ghaundar?�
Der Assassine mußte grinsen.
�Das nenne ich einen konkreten Fall von �Gesagt-Getan�.�
�Ich habe vielleicht nicht Joros Rune auf der Kehle, aber ich stehe zu dem Wort, das ich gebe. Und ich werde mir Euer Angebot noch einmal überlegen, Bischof.�
Es fühlte sich in Joros Magen komisch an, daß er ihn so nannte.
Ghaundar wollte aber noch etwas wissen.
�Wie kommt es, daß ihr das alles so gedreht und gebogen habt, Fürst Olgerich?�
�Oh, Ihr kennt meinen Namen?�
�Sagt man Elfen nicht nach, daß sie gebildet sind?�, meinte der Drow mit einem Augenzwinkern.
�Ich fühle mich geehrt. Nun, um auf eure Frage zu antworten: Ich war, wie ihr anhand der Abstimmung gesehen habt, nicht der Einzige in Bargum, der Justin und die, die so waren wie er leid waren� Ihr habt ihn doch nicht getötet, oder?�, fügte er mit einem besorgten Gesicht hinzu.
�Nein, tot ist er nicht, aber ich denke, er wird eine ganze Weile bewußtlos bleiben und sich hinterher an wenig erinnern.�
�Gut, das hätte ich nämlich nicht gut geheißen. Wenn hier in Bargum irgendjemand einen anderen umbringt, dann bin ich das.�
Joro und Ghaundar sahen ihn betroffen an, aber der Fürst lachte.
�Das war ein Witz, meine Herren.�
Der Priester, Verzeihung, Bischof grinste gequält und Ghaundar wischte sich spontan entstandenen Schweiß von der Stirn.
Zwei der Wachen trugen Justin herein, seine drei Begleiter waren wohl geflüchtet.
�Er lebt, Durchlaucht, auch wenn er eine riesige Beule am Hinterkopf hat. Irgendetwas muß ihn von hinten getroffen hat� Ist das, eh, der ?�
�Ja, dieser Drow ist der besagte. Bischof Macun, was sollten wir Eurer Ansicht nach mit diesem Mann machen?�
�Werft ihn in den Kerker und macht ihm den Prozeß, so wie es sich für einen Verbrecher gehört.�
Der Fürst stimmte dem zu.
�In den Kerker mit ihm! Und er wird nur von der Stadtwache bewacht, ist das klar?�, er überlegte, �Nein, wartet. Ich will, daß ihr ihn hier im Schloß in den Keller einsperrt. Keine Besucher, er wird nicht von hier fortgebracht, außer ich oder der Bischof persönlich kommen, um ihn zu holen!�
Joro sah sich den Fürsten an. Von der hoffnungslosen Körperhaltung, die er noch wenige Stunden zuvor im Speisesaal des Klosters aufgewiesen hatte, war nichts mehr übrig. Justin loszuwerden hatte ihm offenbar eine gehörige Portion neuen Lebensmut gegeben.
Olgerich hatte Joros Blick bemerkt und fragte fröhlich:
�Was ist, Bischof, ist irgendetwas mit meinem Äußeren?�
�Nein, vielmehr frage ich mich gerade, wie es kommt, daß Ihr auf einmal so lebendig wirkt, wo Ihr doch noch vor wenigen Stunden so trostlos im Speisesaal des Klosters saßet.�
�Heute nachmittag werdet ihr mich am selben Ort in bester Laune erleben.�
�Was geschieht jetzt?�
Der Fürst schmunzelte und meinte: �Ihr habt eine gloriose Zukunft vor Euch, Macun, ein Mann, der so gut wie nichts über die Bräuche dieser Kirche weiß, ist der beste, um diese neu zu formen.�
�Ich hoffe, daß das alle dort so positiv sehen werden.�
�Das wage ich allerdings zu bezweifeln��
Olgerich klatschte in die Hände und ein paar Diener betraten die Halle.
�Bringt mir meinen schönsten Umhang und meine Insignien, ich gehe mit Bischof Macun zum Kloster.�
Die Lakaien nickten alle eifrig und verschwanden wieder. Einige Augenblicke später brachten sie einen purpurnen Samtumhang, eine Krone und ein Szepter in die Halle.
�Herr Ghaundar?�
�Ja, Durchlaucht?�
�Machte es Euch viel aus, wenn Ihr hier solange wartetet?�
�Keine Angst, ich werde einen unauffälligen Weg finden, in Joros Nähe zu bleiben.�
�Gut, dann sind wir uns ja einig.�
Der Fürst ging zu Tür und deutete Joro, ihm zu folgen. Als sie vor der Tür standen, sah der kleine Mann zu ihm hoch und lächelte.

�Dann wollen dir doch mal sehen, was die Leute da draußen denken.�

Kapitel 21

Das Volk von Bargum hatte nur darauf gewartet, daß sie endlich aus dem Schloß kamen. Ein tosender Jubel entbrannte und die Menschen mußten von der Stadtwache zurückgedrängt werden, damit Olgerich und Joro durch eine Gasse den Weg nach oben zum Kloster beschreiten konnten.
Dabei konnte der Bischof in spe sehr zu seiner Freude ein paar Gesichter erkennen, an die er sich von seiner Arbeit auf dem Friedhof vor der Stadt erinnerte.
Immer wieder hörte Joro Menschen in seiner Nähe Glückwünsche oder Heilsrufe in seine Richtung brüllen, aber er verstand kaum etwas, da der Krach, den die Menge machte, so ohrenbetäubend war, das er nicht einmal seine eigenen Gedanken richtig verstehen konnte.
Sie kamen aber gut voran, die Stadtwache, und auf halben Wege dann die Gardisten des Klosters, hielten mit ihren langen Hellebarden, die sie quer vor sich nahmen, einen etwa zwei Schritte durchmessenden Durchgang frei, durch den der Fürst, Joro und der Hauptmann, den Olgerich wohl als Leibwache mitgenommen hatte, langsam, aber stetig durchschritten.
Eigentlich war ihm das alles zu viel, also hätte er es begrüßt, so schnell wie möglich in das Kloster zu laufen, aber ihm war auch die Gewichtigkeit dieses Momentes bewußt, daher blieb ihm nichts Anderes übrig, als es über sich ergehen zu lassen.
Schließlich kamen sie endlich am Kloster an.
Im Innenhof hatten sich hunderte der Priester versammelt. Joro entging nicht, daß eine ganze Reihe Gesichter ihn unverhohlen abschätzig musterten.
Sie durchschritten auch den Hof und betraten das Hauptgebäude, nur gefolgt von einer kleinen Schar Priestern.
Dieses Mal ging es in die andere Richtung, direkt von der Eingangshalle durch eine große zweiflügelige Tür in einen Saal, an dessen Ende ein Thron auf einem Podest aus Basalt stand.
Der Saal war, was Decke und Fußboden anging genauso eingerichtet wie der Speisesaal, nur war die Decke eine Kuppel, die keiner Säulen bedurfte. An den Wänden hingen auch keine Gemälde oder Teppiche, sie waren einfach nur schwarz und glattpoliert. Es waren allerdings Seitentüren darin eingelassen.
Die Prozession hielt an und der Fürst deutete auf den Thron.
�Setzt Euch, Bischof, er ist Euer.�
�Bekomme ich nun noch eine Krone aufgesetzt oder so etwas?�, fragte der junge Mann ihn leise.
Olgerich lachte.
�Nein, Ihr laßt Euch darauf nieder und dann werden die Türen geöffnet, damit die Priester hereinkommen und Euch ihre Aufwartung machen können.�
Joro machte ein paar unsichere Schritte auf den großen, breiten Sessel mit den Sichelverziehrungen zu.
Die Stimme in seinem Kopf hatte einen beinahe öligen Klang.
�Nur Mut, mein Sohn. Du hast deine Entscheidung getroffen und es ist jetzt auch zu spät, einen Rückzieher zu machen.�
Er kam am Podest an und stieg die beiden Stufen herauf. Dann drehte er sich um und ließ sich auf dem Thron nieder. Dieser war erstaunlich weich und komfortabel. Zumindest in soweit, wie die Rüstung es zuließ�

Die linke Seitentür des Saales ging auf und eine einzelne Gestalt kam hereingeschlurft, eine kleine Truhe in der Hand. Olgerich wollte etwas sagen, aber Joro erkannte Albrecht und machte ein Zeichen, daß es in Ordnung war.
Der Leichnam näherte sich ihm und hielt ihm die Truhe hin.
�Ein gemeinsamer Freund meinte, Moment, wie drückte er sich aus: �Du könntest vermeiden wollen, eine kalte Birne zu bekommen�.�
�Ihr beide versteht euch prima, was�, Joro verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln.
�Wir haben Gemeinsamkeiten.�
In der Truhe befand sich der Helm, den er Ghaundar gegeben hatte, bevor er in die Stadt gegangen war. Er nahm ihn heraus und setzte ihn sich auf, woraufhin Albrecht die Truhe zuklappte und ein paar Schritte zurückging.
Olgerich schmunzelte.
�Na, da habt Ihr eure Krone, Bischof.�

Der Fürst wandte sich herum und gab den beiden Gardisten, die an der Tür standen ein Zeichen, sie zu öffnen, dann stellte er sich an Joros rechte Seite.

Durch die Tür kamen nur zehn Priester herein, schritten langsam auf den Thron zu und hielten dann etwa fünfzehn Schritte davor an.
Einer von ihnen, ein alter Mann mit Vollbart und wirren, langen Haaren, die in alle Richtungen standen, trat vor und verbeugte sich tief.
�Ich grüße Euch, Erzbischof Joro Macun.�
Joro nickte ihm zu und fragte:
�Wie lautet Euer Name?�
�Ich heiße Toldor Eivrin, ich bin der dienstälteste Priester im Kloster. Man hat mich ausgewählt, um Euch die Aufwartung zu machen und euch zu begrüßen. Diese neun und ich bilden den Ältestenrat hier im Kloster und der ist seit jeher als Beratergruppe für den Bischof gedacht.�
Der neue Bischof kratzte sich am Kopf, beziehungsweise Helm und schaute zu Olgerich.
�Warum heißt das eigentlich abwechselnd das eine Mal Erzbischof und dann nur wieder Bischof?�
Toldor sprang für den Fürsten ein:
�Weil wir zehn Priester formell ebenfalls Bischöfe sind und Ihr uns vorgesetzt seid. Diese förmliche Bezeichnung steht aber nur auf dem Papier, wir sind Brüder im Geiste, wie alle anderen Priester hier,�, er legte den Kopf schief, �Wie kommt es, daß Ihr das nicht wißt?�
�Ich bin erst seit etwa einem Vierteljahr ein Diener unseres Herren und lerne immernoch eine Menge. Es freut mich zu sehen, daß hier Priester sind, die mir helfen können��
Der alte Mann betrachtete verwirrt den neuen Bischof. Ein rechter Jungspund, keine zwanzig und ohne Erfahrung? Sollte das wirklich die Wahrheit sein?
Joro sah sich unschlüssig um, dann betrachtete er Toldor. Dieser sah erwartungsvoll zurück und fühlte sich genötigt, den neuen Bischof vielleicht auf die Sprünge zu helfen.
�Es wäre gut, wenn wir Euch einen Überblick über die Vorgänge in der Kirche geben könnten. Ihr müßt selbst nicht viel tun, außer hin und wieder ein paar Dokumente zu unterzeichnen und bei Zeremonien anwesend sein.�
Das konnte unmöglich im Sinne Celestus� sein, das war Joro klar. Deshalb fragte er ihn einfach.
�Du willst, daß ich das hier alles richtig mache, nicht wahr?�
�Richtig�, kam es trocken zurück.
�Und ich soll einfach meinem Herzen folgen?�
�Du hast es erfaßt.�
Joro dachte angestrengt nach, während die Priester vor ihm sich zusehends fragten, was wohl in ihrem neuen Bischof vorging.
�Wer von ihnen ist wirklich ein Gläubiger?�
�Außer Toldor keiner.�
�Keiner?�
�Das waren, wenn ich mich recht erinnere, meine Worte.�
Der Bischof stand auf und sah sich alle vor ihm stehenden Männer genau an. Dann zeigte er auf Toldor.
�Du bleibst, alle anderen verlassen den Raum�, er wandte sich an Olgerich, �Würdet Ihr mich bitte mit diesem Mann alleine lassen?�
Der Fürst nickte und ging auf eine der Seitentüren zu.
Unter den neun anderen Priestern war ein Raunen ausgebrochen, daß von Joro mit einem �Schweigt und geht!� unterbrochen wurde. Widerwillig drehten sie sich um und verließen die Halle.
�Wachen? Ihr wartet auch draußen, ich will mit ihm allein reden. Und Jan?�
Albrecht sah zu ihm auf.
�Ja?�
�Du gehst auch.�
�Zu Diensten, Euer Eminenz.�
Schließlich waren nur noch Toldor und er im Saal. Der alte Mann sah ihn völlig verwundert und mit noch größerer Verwirrung als vorher an.
�Was ist Euer Begehr, Erzbischof?�
Joro verließ das Podest, ging an die Wand dahinter und holte einen Stuhl, der dort stand. Dann trug er ihn herüber und stellte ihn vor dem Thron auf.
�Setzt Euch, Toldor. Mir ist nicht entgangen, daß Ihr nicht mehr der Jüngste seid.�
Trotz seiner angeschlagenen Contenance setzte sich der alte Priester auf den Stuhl und Joro stieg wieder die Stufen zu seinem Sitz herauf, um sich ebenfalls hinzusetzen.
�Nun�Ich weiß, daß Ihr ein gläubiger Mann seid, Toldor.�
�Ich bin seit über fünfzig Jahren im Dienste des Herren, wenn Ihr das meint, Bischof Macun.�
�Nein das meine ich nicht.�
Toldor wußte immer weniger, was sein Gegenüber eigentlich von ihm wollte.
�W�was meint Ihr dann?�
�Das, was ich sagte. Ihr seid ein Gläubiger und nicht nur ein Priester. Mir, und vor allem dem, dem wir beide folgen, ist bereits lange klargeworden, daß es da einen großen Unterschied gibt in diesem Hause.�
Der alte Mann wirkte überrascht, aber er lächelte mit einem Male freudig.
�Es ist lange her, daß ich solche Worte hörte, mein Bischof. Und wahrscheinlich ist es das erste Mal seit Jahrhunderten, daß sie sogar aus dem Munde eines Erzbischofs kommen.�
�Ich bin hier, weil mich Celestus beauftragt hat, diese Kirche wieder auf ihren Weg zu führen��
Toldors Augenbraue hob sich, aber Joro fuhr fort:
�Aber es ist offensichtlich, daß ich praktisch gar nichts über sie weiß, außer jenen Dingen, die ich bereits gesehen habe und die sowohl mir, als auch unserem Herren mißfallen.�
�Ein solches Vorhaben ist nicht gerade einfach, mein Bischof, vor allem frage ich mich, wie Ihr das anstellen wollt.�
Joro seufzte.
�Wenn ich das wüßte, wäre ich wesentlich glücklicher. Aber��, er kratzte sich am Hals, �Celestus sagte mir, daß Ihr einer der wenigen hier seid, die noch zu ihm beten und seine Wege gehen. Außerdem macht Ihr auf mich den Eindruck, als seiet Ihr sehr bewandert in den Dingen, die hier so vor sich gehen. Immerhin seit Ihr einer der zehn Berater, oder?�
Toldor blickte traurig zu Boden.
�Wenn Ihr nur wüsstet, Herr��, er breitete seine Arme aus und suchte nach Worten, �Hier ist nichts am rechten Fleck. Vor allem nicht die Herzen der Menschen, die sich als Priester ausgeben.�
Es war nicht leicht, daß auszusprechen, da Joro fürchtete, damit Toldors Widerspruch zu erregen, aber das, was ihm auf der Seele brannte mußte einfach heraus.
�Dann werden wir jeden, der nicht im Sinne unseres Gottes handelt und sich nicht zu unserem Glauben bekennt aus dem Kloster werfen.�
Der Mund des alten Mannes auf dem Stuhl vor ihm klappte auf und er schaute ihn fassungslos an.
�Wie�wie stellt Ihr Euch das vor?�
�So, wie ich es sage, Toldor.�
�Aber Ihr könnt nicht einfach� ich meine, Ihr seid doch gerade erst heute gewählt worden��
Joro streckte das Kinn vor und sah den Mann vor ihm herausfordernd an.
�Celestus hat mich persönlich ausgewählt und mir gesagt, daß ich nach meinem Herzen handeln soll. Mein Herz sagt mir, daß diese ganze Kirche in ihrem jetzigen Zustand eine einzige Lüge ist. Und wenn sie nun auch noch so bestehen bleibt, dann wird sie nichts, aber auch gar nichts tun, was in seinem Sinne ist.�
Toldor dachte lange nach, bevor er antwortete. Doch schließlich nickte er.
�Ja, Ihr habt recht, so ist das wohl�, er blickte ihm direkt in die Augen, �Es erstaunt mich, von einem jungen Mann ohne Erfahrung derart klare Worte zu hören.�
�Ich weiß, daß ich kaum etwas über diesen Ort weiß. Das ist allerdings vermutlich besser so.�
�Da habt Ihr nicht ganz Unrecht��
Sie drugsten beide eine Weile herum, dann brach Toldor das Schweigen.
�Also wollt Ihr alle, die nicht an Celestus glauben aus dem Kloster verbannen?�
�Von verbannen ist keine Rede. Nur herauswerfen und ihnen eine Chance geben, vielleicht geläutert zurückzukehren.�
�Das wird eine Menge Ärger und Haß verursachen.�
Joro kniff die Augen zusammen und sah ihn forschend an.
�Celestus ist auf meiner Seite, Toldor. Er hat mich nicht nur schon mehrfach gerettet, sondern immer dafür gesorgt, daß es mir an nichts fehlte. Ich sehe keinen Grund, mein Vertrauen darauf zu verlieren, daß er das auch weiterhin tun wird.�
�Ich hoffe, daß dieses Vertrauen niemals enttäuscht wird�, in der Stimme des alten Mannes schwang ein gewisser Zweifel mit, aber Joro wußte selbst, daß es nicht so einfach war. Er war sich auch sicher, daß Toldor das nicht entgangen war, deshalb antwortete er nicht.
Dieser war allerdings noch aufgrund einer anderen Sache im Zweifel.
�Was glaubt Ihr denn, wieviele Menschen noch in diesen Mauern sein werden, wenn Ihr alle zum Fortgehen auffordert, die nicht an den Herren glauben?�
�Drei oder vier, Euch eingeschlossen.�
Toldor sah ihn verblüfft an.
�Wie bitte?�
�Celestus sagte, daß hier, mir inklusive, drei oder vier Gläubige sind.�
�Ihr sprecht wirklich mit ihm, oder?�
�Wäre es für Euch einfacher, wenn er käme, um es Euch zu bestätigen?�
�Nein, Ihr seid ein Daishani, wie ich. Ich vertraue Eurem Wort.�
�Justin hat ein gefälschtes Mal auf der Kehle.�
�Ihr seid aber nicht Justin, oder?�
Joro lächelte.
�Nein.�
�Dann glaube ich Euch auch.�
�Drei oder vier ist doch nicht schlecht, oder? Vielleicht finden wir ja in der Stadt und den umliegenden Dörfern noch andere junge Novizen, die vielleicht eines Tages einmal Priester werden könnten.�
Toldor stöhnte leise.
�Euer Idealismus ist stark, Eminenz, aber ich hoffe auch, daß Ihr wißt, was das für eine Aufgabe sein wird.�
�Nun�Vielleicht haben wir ja einen Helfer wider Willen, der, wenn ich nicht hier sein kann, seinen Teil dazu beitragen wird�, er wandte sich in Richtung einer der Seitentüren, �Jan! Ich weiß, daß du lauschst, komm herein!�
Die Tür öffnete sich und herein trat Albrecht und schlenderte, die Arme hinter dem Rücken, auf den Thron zu.�
�Ja bitte, Euer Eminenz?�
�Toldor, darf ich Euch Erzbischof Jan Albrecht Makrah vorstellen?�
Der alte Mann sah verwirrt zwischen Joro und dem vermeintlichen Pilger hin und her.
�Wie, äh, was..?�
Albrecht sah Joro an und die Lichter unter seiner Maske schienen ein Bißchen böse zu glitzerten.
�Gibt es einen bestimmten Grund, warum du ihm meine Identität verrätst?�
�Du hast doch bestimmt gelauscht, also weißt du was ich damit bezwecke.�
Der Leichnam grunzte.
�Mein lieber Joro, ich beginne langsam zu glauben, daß du wesentlich mehr mit deinem Gott gemein hast, als es mir lieb ist.�
�Weich nicht vom Thema ab. Du bist derjenige, der das alles hier einst aufgebaut hat und der alle Regeln aufgestellt hat, die in den letzten Jahrhunderten vergiftet, verdreht und zerstört wurden.�
�Wollt Ihr wirklich behaupten, daß das Erzbischof Albrecht ist, mein Bischof?�, stammelte Toldor.
Albrecht kam Joro zuvor und nahm einfach seine Maske ab. Der alte Mann sprang aus seinem Stuhl und fiel auf die Knie, um ein Stoßgebet zu sprechen.
�Sorgt Euch nicht, Toldor, er ist auf unserer Seite, nicht wahr?�, Joro wandte sich mit nachdrücklicher Körperhaltung dem Untoten zu.
�Es ist eigentlich nichts, was diesen Mann etwas anginge, Jungchen, aber hast du vergessen, daß ich Celestus nicht mehr diene?�
Joro lächelte schnippisch.
�Dann sorg du für das Weltliche und ich werde in der neuen Kirche für das Geistliche sorgen. Kannst du damit leben?�
Für einen Moment schien es, als wollte Albrecht sich umdrehen und einfach gehen. Aber irgendetwas in ihm brachte ihn dazu, es sich anders zu überlegen.
Indes stieg Joro vom Thron herunter und half dem völlig außer sich geratenen alten Mann auf und ließ ihn sich wieder auf den Stuhl setzen. Dann drehte er sich erneut zu Albrecht um und sagte:
�Du weißt genau, daß sich eine böse, goldene Welle vom Süden her über die Länder ergießt. Ich habe auch noch außerhalb dieser Mauern ein paar Verpflichtungen und denen muß ich ebenfalls nachkommen. Meine Loyalität ist zwar in erster Linie an Celestus gebunden, aber meine Freunde, die ersten wahren die ich jemals hatte, werde ich niemals im Stich lassen.�
�Und ich halte hier deinen Sessel kalt, während du mit den Dunkelelfen durch die Gegend ziehst?�
�Nein. Du sollst helfen, daß diese Kirche aus sich selbst heraus existieren kann. Das Buch, daß du damals geschrieben hast, existiert das noch in seiner Originalfassung?�
Es war Toldor, der antwortete.
�Ich habe eine authentische Fassung davon�, er war wieder einigermaßen Herr seiner Empfindungen.
Albrecht und Joro sahen ihn beide verdutzt an. Naja, Albrecht wohl einfach nur mit Interesse, aber Joro war tatsächlich überrascht.
Dennoch klang in den Worten des Leichnams irgendwie Fassungslosigkeit.
�Meint Ihr das ernst, Toldor?�
�Ja. Als mich Celestus vor dreiundfünzig Jahren berief führte er mich zu einem verlassenen Ort, einem alten Turm, in dem es eine Kiste mit einer Menge alter Bücher gab. Eins davon war ein Original der Regeln, die bei der Kirchengründung aufgestellt worden waren. Persönlich geschrieben von Erzbischof Jan Albrecht Bakrah.�
Albrecht schnaubte.
�Da ist das Buch also geblieben, ich suche es schon die ganze Zeit��
�Verzeiht?�
�Nicht weiter wichtig, Toldor. Diese Kiste war eins meiner Bücherlager�Fahrt fort.�
�Nun�, der alte Mann war von Albrechts Kommentar etwas verunsichert, �Ich habe es immer wie einen Schatz gehütet, vor allem, weil ich den starken Unterschied zwischen dem, was heute in den Büchern steht und was in diesem einen stand, erkennen konnte.�
�Dann haben wir eine gute Grundlage�, meinte Joro, �Wenn Albrecht sich entschließt zu helfen und Ihr das Eurige dazu beisteuern könnt, dann haben wir einen soliden Boden, um darauf zu pflanzen.�
Toldor sah Albrecht an.
�Wie� wie seid Ihr zu dem geworden, was Ihr seid?�
�Das werde ich Euch schon noch erzählen, Toldor, mein Wort darauf.�
Dieser Ausspruch des Leichnams war für Joro die Bestätigung, daß sich der alte Erzbischof entschlossen hatte, zu helfen. Nur über die wahren Gründe war er sich nicht ganz klar, aber er beschloß, ihn irgendwann näher danach zu fragen. Jetzt wandte er sich erst einmal wieder an Celestus.
�Kannst du mir die Namen derer nennen, die wir behalten sollen?�
�Laß dir von Toldor helfen�, antwortete der Gott nur knapp.
Joro wandte sich an Toldor.
�Sagt, wüsstet Ihr noch einen oder zwei hier im Kloster, der wirklich gläubig ist?�
Der alte Mann grübelte eine Weile, dann sagte er:
�Nur noch Franz, der Koch. Er ist kein Daishani, aber einer der gläubigsten Anhänger unseres Herren, den ich kenne. Er hat in seinem Heimatland als Totengräber gearbeitet, obwohl er eigentlich Koch war. Da gab es eine große Seuche, die er als einer der wenigen überlebt hat� Ist auch schon ein paar Jahre her��, sein Blick schweifte ab.
�Sonst keiner?�
�Nein�, antwortete Toldor niedergeschlagen.
Joro streckte sich und dabei knackten seine Schultern, die vom Gewicht der Rüstung stark belastet waren. Dabei kam ihm kurz der Wunsch auf, ein gewisses Paar schwarzer Hände zu spüren, wie sie�nein, für solche Gedanken waren jetzt kein Platz.
�Dann werde ich nun das tun, was notwendig ist.�
Er ging zur Eingangstür und öffnete einen der beiden Flügel.
Die Wache auf der rechten Seite sah ihn verwundert an.
�Soldat?�
�Ja, Euer Eminenz?�
�Holt mir den Koch, Franz.�
Obwohl der Gardist einigermaßen erstaunt war, schlug er die Hacken zusammen und trabte los. Die Menge vor Joro sah ihn schweigend und erwartend an. Er sah einmal in die Runde und fühlte ein Gefühl der Verachtung in sich aufsteigen.
�Hört mich an, alle, die hier sind! Ich will, daß ihr alle eure Habseligkeiten zusammenpackt und euch auf eine Reise vorbereitet. Sobald ihr fertig seid, versammelt ihr euch im Hof, ich werde euch dann sagen, wo es hingeht.�
Eine Stimme erscholl aus den Reihen der Priester.
�Um was für eine Reise handelt es sich dabei, Bischof Macun?�
Joro lächelte eisig.
�Nennt es eine Pilgerfahrt. Zur Läuterung.�

Joro ging wieder in den Saal hinein und schloß die Tür. Albrecht und Toldor sahen beide in seine Richtung. Der Leichnam gewohnt ausdruckslos und Toldor zweifelnd.
�Ihr wißt aber, daß die meisten wittern werden, was auf sie zukommt und Dinge mit sich nehmen werden, die ihnen nicht gehören, oder?�, sagte der alte Mann.
�Das ist mir bewußt, aber das, was die Kirche hier ihr �eigen� nennt, ist nicht wirklich ihr Eigentum. Es ist mir einerlei, ob sie davon etwas stehlen oder nicht. Ehrlich gesagt interessiert mich gerade etwas Anderes.�
�Was denn?�
�Steht die Klostergarde hinter mir, wenn ich befehle, alle aus dem vor die Tore zu treiben?�
Toldor zuckte mit den Schultern.
�Die werden bezahlt, die machen alles, wenn sie ihr Geld bekommen.�
�Das gedenke ich auch zu ändern. Aber für den Moment kann ich damit leben.�

Die Tür hinter ihnen ging auf und die Wache brüllte im Meldeton:
�Der Koch, Franz, Euer Eminenz.�
Albrecht, Toldor und Joro drehten sich um und sahen einen sehr großen und nicht gerade schlanken Mönch eintreten, der vor seiner Robe auf der Brust eine ziemlich speckige Schürze trug.
�Ihr habt nach mir geschickt, Bischof?�
�Richtig, äh, Franz war der Name?�
�Ja.�
�Ich möchte dir mitteilen, daß du auch in Zukunft ein Zuhause haben wirst in diesen Hallen.�
�Äh��, Franz sah hilfesuchend zu Toldor, der aber schwieg und ihm aufmunternd zunickte.
�Gut, das freut mich�, sagte der Koch, �und� äh��
�Ganz recht, wir, das heißt in erster Linie ich, führen hier gerade ein paar Änderungen durch. Ich wollte dir einfach nur sagen, daß ich deine Anwesenheit, auch nach diesem Tage schätzen werde�, fügte Joro noch hinzu, dann sagte er zu Albrecht: �Würdest du bitte den Fürsten einweihen? Ich gehe derweil zum Hauptmann der Klostergarde und werde ihm Anweisungen geben�Ehm��
Toldor sah ihn fragend an.
�Ja, was?�
�Wo finde ich den?�, Joro wurde rot.
Die Anwesenden lachten, Albrecht ausgenommen und Franz meinte:
�Den habe ich vorhin vor der Tür auf- und ablaufen sehen.�

Joro trat heraus auf den Gang. Die Eingangshalle war leer und außer den zwei Wachen an der Tür und einem Mann in einer edel aussehenden Rüstung war keiner zugegen.
�Seid Ihr der Hauptmann?�
Der Mann salutierte und sagte zackig: �Jawohl, Herr Bischof!�
�Dann macht mal eure ganzen Leute mobil und bringt sie rund um den Hof zur Aufstellung. Und bitte zügig, wenns recht ist!�
�Jawohl! Darf ich fragen warum, Herr Bischof?�
�Weil Ihr, sobald die Garde angetreten ist, dafür sorgen werdet, daß alle außer denen, die mit mir im Thronsaal sind, sofort das Kloster verlassen.�
Erstaunlicherweise schien das den Hauptmann überhaupt nicht zu berühren. Stattdessen salutierte er noch einmal und ging dann schnellen Schrittes davon.
�Halt, wartet, wie lange werdet Ihr brauchen?�
Der Offizier drehte sich noch einmal schnell um, knallte noch einmal die Hacken zusammen und rief:
�Es wird alsbald geschehen, Euer Eminenz!�, salutierte noch einmal und ging dann.

�Dann ist die große Stunde jetzt wohl gekommen� Und das, obwohl es eigentlich schon zu viel auf einmal war heute�, dachte Joro.
�Du machst deine Sache gut�, erwiderte Celestus.
�Ich bin froh, wenn ich schlafen kann. Ich bin ja schon fast zwei Tage lang wach.�
�Keine Sorge, ich glaube, daß du bald fertig bist für heute.�

Joro wartete noch ein Bißchen, dann trat er vor das Tor, in den Innenhof.
Die riesige Menge war angetreten und er konnte sehr zu seiner Erleichterung rund um den Hof ein Spalier aus Soldaten stehen sehen.
Nachdem er kurz überlegt hatte, was genau er sagen wollte, entschied er sich, es kurz zu machen. Die Müdigkeit nagte an ihm und er wollte es einfach hinter sich bringen.
�Hört mir gut zu!�, rief er.
Die Augen der Masse vor ihm richteten sich auf ihn.
�Ich entlasse euch alle hiermit aus dem Dienst am Herren. Ihr seid frei, zu gehen, wohin ihr wollt.�
Stille. Keiner der Anwesenden bewegte sich.
Leicht verunsichert fügte er hinzu:
�Das ist völlig ernst gemeint, geht!�
Ein Mann in der ersten Reihe ergriff das Wort.
�Darf man fragen, warum?�
�Weil ihr alle keine echten Gläubigen des Herren seid. Daher sehe ich keine Veranlassung, euch weiter hier zu behalten.�
Die Menschen vor ihm begannen, teilweise recht laut, miteinander zu reden. Er konnte Wortfetzen wie, �Was für eine Unverschämtheit� und �Was bildet der sich ein� hören.
Der Mann in vorderster Reihe ergriff erneut das Wort.
�Ihr steht allein gegen über Tausend von uns. Meint ihr wirklich, daß wir uns einfach so verjagen lassen?�
Joro entschied sich, nicht weiterzudiskutieren, sondern gab dem Hauptmann ein Zeichen.
Dieser blies in ein Horn und die Gardisten begannen, die Menge zurückzudrängen.
Der Protest der Menge wurde immer lauter, aber die schwer gerüsteten und mit großen Schilden bestückten Soldaten schoben sie unaufhaltsam auf das Tor zu und dann hindurch.
Eigentlich beeindruckte es Joro, wie schnell das vonstatten ging, allerdings kamen ihm dabei seltsamerweise Gedanken, daß er die Leute irgendwie von dort vertreiben ließ, wo sie sich vielleicht zuhause fühlten.
Auf der anderen Seite war dies nicht ihr Heim. Es war ein Bau zu Ehren eines Gottes, an den sie nicht einmal glaubten. Er war erstaunt über die Diskrepanz seiner Gefühle, denn sich auf der einen Seite schuldig zu fühlen und auf der anderen Seite den gerechten Zorn zu spüren, diesen Ort von dem Ungeziefer zu befreien, hatte etwas seltsames an sich..
Er mußte jedoch innerlich zugeben, daß er das Gefühl von Macht ziemlich genoß, wobei ihm nicht ganz klar war, ob das nun etwas Gutes oder Schlechtes war.

Die Wachen hatten die letzten Menschen vor das Tor gedrängt und schlossen dieses, währenddessen kam der Hauptmann der Garde zu Joro, salutierte und sagte:
�Befehl ausgeführt, Herr Bischof!�
�Gut. Laßt bitte eine kleine Truppe an Wachen vor dem Tor und stellt sicher, daß draußen nicht randaliert wird oder nicht vielleicht einige von ihnen auf komische Ideen kommen. Wer weiß, was geschehen könnte, wenn ihnen die Wut überkocht.�
�Dafür ist bereits Sorge getragen, Herr Bischof. Ich habe draußen zwanzig Männer abgestellt, die sie auf Distanz zum Kloster halten.�
�In Ordnung. Gut. Sehr gut sogar. Dann werde ich einmal hineingehen und mit denen, die noch da sind etwas essen.�

Auf dem Rückweg zum Thronsaal merkte Joro zusehends, wie die Müdigkeit seinen Körper immer schwerer machte und er ertappte sich dabei, wie er eigentlich nur noch die Rüstung ablegen und in ein Bett fallen wollte. Aber der Tag, oder zumindest die Aufgaben des Tages waren noch nicht erledigt, da war noch die Sache mit dem Essen, außerdem war er sich sicher, daß sowohl Toldor als auch Albrecht garantiert noch ein paar weitere Fragen an ihn hatten, was er sich wohl vorstellte, was zu tun sei.
Dabei hatte er ja noch nicht einmal die geringste Ahnung von gar nichts. Irgendwie fragte er sich auch, wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, sich zum Bischof wählen zu lassen. War es nicht in erster Linie eine Reaktion auf Justins Person gewesen? Kaum einen Tag zuvor hätte er sich nicht einmal fähig gefühlt, eine Rede vor den versammelten �Priestern� zu halten und nun hatte er gerade über eintausend Menschen vertreiben lassen und war mit einem alten Mann, einem dicken Riesen von einem Koch, einem glatzköpfigen Fürsten und einem zynischen Knochenhaufen allein in diesem Gebäudekomplex. Wenigstens spukte auch Ghaundar hier noch irgendwo herum.
�Nur nicht nachlassen�, meinte die Stimme in seinem Kopf.
�Das sagst du so einfach. Du bist ja nicht in meiner Situation�, gab Joro zurück.
�Was macht dich denken, daß dem nicht so ist? Wem ist dieser Bau gewidmet? Wer hatte den Schaden von all dem, was hier vor sich ging?�
�Aber du machst wenigstens den Eindruck, als wüsstest du, was man von dir erwartet, ich hingegen habe Schwierigkeiten damit, auch nur den Anschein von Kompetenz zu vermitteln.�
�Sehr schmeichelhafte Worte von dir, Joro.�
�Du weißt genau, was ich meine, Celestus.�
�Ich glaube, daß du dir überlegen solltest, warum ich gerade dich ausgewählt habe. Gestern sagte ich dir noch, daß du dich auf den Boden wirfst und was hast du danach getan?�
�Mich noch tiefer in den Dreck geritten, als ich vorher schon darin war.�
�Nein. Du hast auf deine Instinkte gehört und intuitiv eine Position von Stärke eingenommen. Das hast du vorher auch schon oft getan, erinnerst du dich an den Markt in Noth?�
�Ja� Das stimmt schon��
�Na also�, Celestus lachte leise, �Dein Problem ist, daß du zu viel nachdenkst. Vor allem über Dinge, die eigentlich gar nicht wichtig sind. Stattdessen solltest du einfach nur die Situationen, in denen du dich befindest, ansehen und darauf hören, was dein Bauch dir dazu sagt. Das macht dich nämlich stärker, als den Großteil der Menschen, denen ich in den letzten Jahrhunderten begegnet bin. Und jetzt geh da rein und mach so weiter, wie du angefangen hast.�

Im Thronsaal stand Albrecht vor dem Stuhl, auf dem Toldor saß. Daneben stand der Koch, Franz und lehnte sich mit dem linken Arm auf die Rückenlehne. Fürst Olgerich hatte sich auch einen Stuhl geholt und saß darauf, direkt gegenüber von Toldor. Ghaundar stand an einer der Säulen und pulte sich mit einem Dolch unter den Fingernägeln.
Toldor, Albrecht und Olgerich diskutierten leise miteinander und es schien fast, als beteilige sich der Leichnam, der seine Maske wieder aufgesetzt hatte, sehr angeregt an der Unterhaltung . Seine Körperhaltung, die normalerweise eher darin bestand, daß er mit leicht auf der Seite liegendem Kopf und vor der Brust verschränkten Armen dastand und zynische Kommentare von sich gab, hatte sich in eine aufrechte Position verlagert und er gestikulierte ausgiebig.
Als er sah, wie Joro wieder den Raum betrat, hielt er inne und winkte den jungen Mann heran.
Joro schaute in die Runde und fragte:
�Und, worüber redet ihr?�
�Wir vier haben eben diskutiert, wie unsere Zukunft hier aussehen könnte.�
�Und was habt ihr für Ergebnisse?�
Franz nahm den Arm von der Lehne und rieb sich die Hände.
�Ich gehe jetzt erst einmal in meine Küche und sehe zu, ob noch etwas von dem Bankett zu retten ist, daß ich vorhin vorbereitet habe. Glücklicherweise hatte ich keine Hilfsköche, sonst wäre ich jetzt aufgeschmissen�, fügte er noch mit einem schiefen Blick auf Joro hinzu.
Olgerich stand auf und half Toldor ebenfalls beim Aufstehen.
�Laßt uns in den Speisesaal gehen, dort können wir alles bereden, bis das Essen kommt.�
Joro schüttelte den Kopf.
�Nein, ich werde erst einmal in die Küche gehen und Franz helfen. Wir können ihn doch nicht ganz alleine alles herüberschleppen lassen.�
Toldor lachte fröhlich.
�Es gibt in diesem Kloster eine Grundregel, die auch Ihr nicht abschaffen könnt, Euer Eminenz: Kommt niemals, und ich wiederhole: niemals Franz in die Quere.�
�Wie meint Ihr das?�,fragte Joro überrascht.
�So, wie ich es sage�, meinte der alte Priester, immernoch lächelnd, �Franz haßt es, wenn man in seine Küche kommt und ihm im Weg steht und Ihr könnt mir glauben, daß er schon die bloße Anwesenheit anderer als �im Weg stehen� ansieht. Warum glaubt Ihr wohl, daß er keine Hilfsköche hatte, obwohl es hier an Festtagen über 1500 Menschen zu versorgen gab��

Sie gingen durch die Reliquienhalle zum Speisesaal, wobei Joro auffiel, daß die Vertäfelung wieder vor dem Bild des Nuktu angebracht war. Er hielt an und sah zu Albrecht herüber, der den Blick gewohnt stoisch zurückgab.
Joro dachte nach. Er sollte seinem Bauch folgen? Welche Gründe auch immer Albrecht hatte, das Bild wieder zu verbergen, oder ob er gar derjenige gewesen war, der ursprünglich dafür gesorgt hatte, sein eigenes Werk zu verstecken, oder zumindest abzudecken, es fühlte sich nicht richtig an, es so zu lassen.
Er trat vor und griff unter den Rand der Holzplatte.
�Das würde ich nicht tun�, meinte Albrecht trocken.
�Und warum nicht?�
�Weil die Platte mindestens zweihundert Pfund schwer ist, wenn nicht noch schwerer. Sie ist aus massivem Eichenholz.�
Der Leichnam mußte über eine unglaubliche Körperkraft verfügen, er hatte die Platte mit einer Hand abgenommen, als sei sie aus Papier und sie auch mit dieser einen Hand einfach abgestellt.
�Wenn sie dir aus der Hand fällt, wird sie auf eine der Vitrinen fallen�, fügte Albrecht hinzu.
�Das ist deine einzige Sorge?�
�Du willst darauf hinaus, daß ich etwas dagegen haben könnte, daß du sie abnimmst?�
�Das hast du gut erraten, Albrecht.�
Der Leichnam zuckte mit den Schultern.
�Ich wüsste keinen Grund, warum das einen Sinn machte.�
�Weil er ein Teil der Geschichte des Celestus ist. Es ist mir egal, warum diese Platte davor hängt. Wir müssen uns an ihn erinnern, ob diese Erinnerung nun gut oder böse ist.�
Joro konnte aus seinen Augenwinkeln sehen, daß Toldor, und überraschenderweise auch Olgerich, beide zustimmend nickten. Er drehte sich wieder der Tafel zu und griff an seinen Gürtel.
�Wenn ich die Platte nicht heben kann und wenn sie bei einem Sturz den Raum beschädigen würde, muß ich das Problem wohl anders lösen.�
Er hob den Hammer und schmetterte ihn gegen die Platte.
Nichts geschah.
Er hieb erneut darauf, aber wieder tat sich nichts. Albrecht hinter ihm tappte spöttisch mit dem Fuß auf den Boden. Warum explodierte der Hammer beim Aufprall nicht, so wie es bereits einige Male geschehen war?
Joro faßte die Waffe mit beiden Händen, konzentrierte sich und hob ihn dann langsam über den Kopf. Dann hieb er mit aller Kraft, die er hatte, auf das Holz.
Der Schlag federte ein bißchen zurück und Joro taumelte einige Schritte in Richtung Raummitte, während er sah, wie sich die Tafel mit Rauhreif überzog. War er auf dem richtigen Weg?
Wieder stellte er sich davor, plazierte den linken Fuß ein Stück vor dem rechten, so wie Omareth ihm beigebracht hatte, wie ein �stabiler Stand� aussah und beugte beide Knie ein Stück weit. Dann hob er den Hammer erneut und führte einen weiteren Schlag mit voller Wucht gegen das schwere Holz
Die einen Schritt mal zwei Schritte messende Holzplatte zerbarst in tausende, kleine, gefrorene Splitter, als sich die eisige Macht der Waffe auf sie entlud. Toldor und Olgerich hielten bei der Explosion schützend ihre Arme vor die Augen, während Albrecht nur stoisch dastand und die kleinen Holzgeschosse auf ihn einhämmerten. Joro wurde von einem der Splitter an der Wange gestreift und fühlte nach einem stechenden Schmerz, wie das warme Blut sein Gesicht herunterlief.
Er hängte den Hammer wortlos wieder an den Gürtel und benutzte den Saum seines Piwafwi, um sich das Blut abzuwischen.
�Nicht formschön, aber effektiv�, meinte Albrecht.
Irgendwie war Joro stolz auf sich und streckte die Brust raus. �So. Und nun können wir uns in den Speisesaal setzen.�

Auf der Tafel in der großen Obsidianhalle war für zwölf Personen eingedeckt, aber die Aufstellung der Klostermannschaft hatte sich ja nun ein Wenig verändert. Also setzten sie sich alle an rund um das Ende der Tafel, wo der Sessel für den Bischof stand. Joro ließ sich mit einem Ächzen darauf nieder und stellte fest, daß er reichlich durchgesessen war. Bei der Leibesfülle des ehemaligen Bischofs war das nicht sehr verwunderlich.
Er sah in die Runde und konnte nicht umhin festzustellen, daß die Gruppe der anwesenden Personen ein reichlich seltsam anmutender Haufen war. Irgendetwas sagte Joro, daß der Rest seines Lebens nicht gerade sonderlich normaler sein würde.

Es dauerte auch nicht lange, da hörten sie ein Poltern und Klappern, als Franz einen großen Servierwagen vor sich her den Saal entlangschob.
Essen hatte etwas sehr revitalisierendes an sich, denn wie schon einige Male zuvor wich allein durch den Anblick dessen, was dort auf den Tabletts lag jedwede Müdigkeit von ihm.
Dementsprechend war, als sein Teller nun gefüllt vor ihm stand, auch erst einmal regelrechtes Fressen angesagt.
Franz hatte wohl tatsächlich eher für eine größere Menge an Menschen gekocht, daher war die Menge auch alles andere als vertilgbar. Zudem aßen ja auch nur vier der fünf Personen am Tisch, Albrecht benötigte naturgebunden keinerlei Speisen.
Joro aß eine ganze Schweinshaxe und lehnte sich dann mit zufriedenem Gesicht in seinem Sessel zurück.
Der Fürst, Toldor, Albrecht und Ghaundar sahen ihn erwartungsvoll an.
�Äh, soll ich jetzt irgendetwas Interessantes sagen?�
�Es wäre ein guter Zeitpunkt�, meinte Albrecht trocken.
Joro überlegte kurz, dann reckte er sich.
�Ich gehe gleich erst einmal schlafen. Nach all der Anstrengung kann ich kaum noch geradeausgucken. Ich schlage vor, daß wir uns morgen alle hier oder wo auch immer treffen und einen Plan ausarbeiten, wie wir weiterhin vorgehen werden. Es wäre gut, wenn sich jeder ein paar Gedanken machen würde, wie wir das Problem anpacken können.�
Ghaundar grinste breit. �Ich auch?�
�Wenn du willst, klar�, Joro zuckte mit den Achseln.
Die Anwesenden hatten sich mit Sicherheit mehr erhofft als eine derartige Ankündigung, aber der neue Bischof wollte einfach nur noch schlafen. Das mußte sein Gesichtsausdruck mehr als deutlich widergespiegelt haben, denn keiner verlor noch ein Wort darüber. Stattdessen versuchte Toldor aufzustehen, was Joro mit einer Geste unterband.
�Ich weiß, ich weiß. Dem Bischof stehen wohl besondere Gemächer zur Verfügung, aber ich ziehe es vor, in der Zelle zu schlafen, in die man mich gestern einquartiert hat. Sie ist irgendwie gemütlich und ich habe ehrlich gesagt auch keine hohen Ansprüche mehr nach diesen Anstrengungen.�
�Wie Ihr wünscht, Eminenz. Seid Ihr sicher, daß ihr keine Begleitung wünscht?�
Joro lächelte.
�Nein, ich gehe schon einige Jahre lang selbstständig ins Bett. Und auch wenn Ghaundar mit Sicherheit gerade überlegt, wie er die Frage nach einem Gutenachtkuß in einen Kommentar einbinden kann, ziehe ich es vor, alleine zu gehen.�
Der Drow machte eine Geste mit dem Arm, die offenbar seine Frustration ausdrücken sollte, daß ihm Joro zuvorgekommen war, aber schwieg lächelnd.
�Gehabt euch wohl, wir sehen uns heute nachmittag.�
Die Anwesenden wünschten ihm alle eine gute Nacht und er ging den Gang entlang Richtung Eingangshalle des Gebäudes.

In der Reliquienhalle blieb er noch ein weiteres Mal stehen und schaute auf das Gemälde des Nuktu.
Der Kriegsherr hatte noch einige Jahrhunderte früher gelebt als Albrecht, aber sein Gesicht wirkte auf dem Bild sehr lebendig und lebensecht. Es war eine gute Entscheidung gewesen, die Tafel von der Wand zu nehmen. Auf diese Art konnte diese Portrait auf Ewig als eine Ermahnung dienen.

Mit einem Gefühl der Zufriedenheit und einem halben Schweinebein im Bauch kam er schlußendlich an der kargen Holztür im Nebenhof des Klosters an, holte den Schlüssel wieder aus seiner Hose und schloß die Tür auf.
Nachdem er sich aus der Rüstung gequält hatte, legte er sich auf die harte Pritsche und während er noch sehnsüchtig an Alystin dachte, schlief er fast sofort ein.

Kapitel 22

Als Joro erwachte, schien die Sonne schon stark durch das kleine Butzenfenster am Kopfende seines Bettes.
Mit immernoch müden und schmerzenden Knochen rutschte er von der Pritsche auf die Füße und band sich die Haare mit einem Lederband, das er für diese Zwecke bei sich trug zusammen.
Dann hielt er inne und schaute aus dem Fenster.
Erzbischof von Bargum. Ausgerechnet er. Und dann auch noch alle Leute aus dem Kloster geworfen. Mit dem nüchternen Geist eines Menschen kurz nach dem Aufstehen wirkte das Ganze wie ein schlechter Witz. Nun ja, der Tag würde zeigen, wie es weiterging.
Der Hof war völlig leer, was ja anhand der Tatsache, daß keiner mehr hier war, der dort hätte herumlaufen konnte, irgendwie klar war.
Ganz leer stimmte allerdings nicht. Auf einer Bank, die in der Mitte stand, saß Ghaundar und schnitzte mit einem seiner Dolche an einem Stück Holz herum. Als er Joro aus der Tür treten sah, hob er den Kopf und lächelte ihn an.
�Na, ausgeschlafen?�
�Geht so, mir tut immernoch alles weh von gestern.�
�Es hat ja auch eine ganze Weile gedauert, bis du endlich ins Bett gekommen bist. Ich bin schon erleichtert, daß du nicht wieder zusammengebrochen bist, wie letzte Woche.�
�Ja, das war ein denkwürdiger Tag��
Der Drow stand auf und legte das Holzstück hinter sich auf die Bank.
�Das kann man wohl sagen.�
Er steckte den Dolch in die Scheide und streckte sich.
�Albrecht und Toldor haben sich noch bis zum Mittag unterhalten, bis der alte Mann zu müde wurde. Ich glaube, daß die beiden sehr gut miteinander auskommen.�
�Versteh mich nicht falsch, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß irgendjemand mit Albrecht �gut auskommt�. Oder anders herum.�
Ghaundar lachte.
�Doch, die beiden haben, wie es mir scheint, in vielen Hinsichten sehr ähnliche Meinungen. Ich habe nicht einmal die Hälfte von dem, was sie geredet haben verstanden, deshalb haben Olgerich und ich irgendwann angefangen über Frauen und Bier zu reden. Da konnte ich wenigstens etwas beisteuern.�
�Stellt sich die Frage, über was von beidem du mehr weißt��
Irgendwie schaute Ghaundar kurz gekränkt, aber er rappelte sich wieder auf.
�Das ignoriere ich jetzt einfach mal. Albrecht hat mir gesagt, daß ich dich, sobald du wach bist, in die Schreibstube des Bischofs bringen soll, er wird dann dort warten.�
�Wie spät ist es denn? Anhand der Sonne sollte es fast Abend sein.�
�Ja, sie geht bald unter.�
�Na, dann gehen wir mal, oder?�
�Jupp.�

Die Schreibstube war einen Gang entlang hinter der linken Tür des Thronsaales im Hauptgebäude. Durch eine offene Tür im Hintergrund sah er ein großes Zimmer, in dem hinter einem gewaltigen Schreibtisch ein großer Sessel stand. Das mußte der Raum des Bischofs sein.
In der Stube selbst stand Albrecht hinter einem Lesepult und musterte die Seiten eines alten Buches, das in Schweinsleder gebunden war.
Als Ghaundar und Joro eintraten, blickte er auf und winkte sie beide wortlos zu sich.
�Ich habe heute den ganzen Tag mein eigenes Werk mit dem verglichen, was die Kirche heutzutage so lehrt. Es erübrigt sich wohl, zu sagen, daß es kaum noch irgendeinen Satz gibt, der dem Original entspricht.�
Joro war erstaunt.
�Das kann ich mir fast gar nicht vorstellen. In den knapp 650 Jahren haben sie alles umgestoßen, was du dir einmal ausgedacht hast?�
�So könnte man sagen, ja. Interessant dabei ist, daß die meisten Änderungen allerdings erst in den letzten dreihundert Jahren geschahen. Bis dahin war noch alles mehr oder minder im Urzustand. Da muß es einen bestimmten Bischof gegeben haben, der alles durcheinandergebracht hat. Leider kann ich seinen Namen nirgendwo finden, sonst suchte ich sein Grab, holte seine Leiche heraus und zerbröselte seinen Schädel.�
�Für jemanden ohne Gefühle hört sich das ganz schön nach Rache an. Und Celestus würde das auch nicht gefallen.�
Albrecht zuckte mit den Achseln.
�Laß mich doch wenigstens ab und an so tun, als sei ich noch ein Mensch.�
Joro war das zu albern, zumal er wußte, daß es noch nicht einmal lustig gemeint, sondern mit Sicherheit nur eine schlechte Angewohnheit Albrechts war. Deshalb wandte er sich lieber dem Buch zu und studierte ein paar Zeilen.
Die Schrift war schwer zu lesen, sie war so verschnörkelt, daß er kaum ein Wort beim ersten Lesen erkennen konnte und die Sätze waren so verschachtelt und kompliziert, daß ihm der Sinn des Ganzen verborgen blieb. Er rümpfte die Nase.
�Wie soll ein normaler Mensch denn so etwas verstehen. Daran muß auch gearbeitet werden.�
Albrecht deutete stumm auf ein anderes Buch, daß auf dem Ständer daneben lag.
Es war unglaublich alt und an den Rändern bröckelte das Leder des Einbands auseinander.
In einer klaren Handschrift standen dort einfache Lehrsätze, wie zum Beispiel �VIII: Du sollst den Untoten jagen, wenn es sein muß bis zu seinem Ruheort, und seine Existenz beenden, denn sie ist dem Herren zuwider.�
Joro nickte.
�Ja, so stelle ich mir das vor.�
�Und das ist genau das, was ich damals geschrieben habe. Verstehst du jetzt, was ich meinte, als ich sagte, daß in den neueren Schriften kaum noch etwas wiederzuerkennen ist?�
�Wie, Moment� Das ist dein Original?�
Albrecht sah ihn an.
�Ach was.�
Der neue Bischof wurde rot und versuchte schnell das Thema zu wechseln.
�Gut, äh, dann werde ich mir das jetzt einmal nehmen und mich da drüben an den Schreibtisch setzen, um es zu studieren.�
�Paß auf, daß du mit deinen grobschlächtigen Pfoten nicht noch den Einband zerstörst.�

Joro setzte sich hinter den gewaltigen Schreibtisch aus Ebenholz, der genauso pechschwarz war, wie der Rest des Raumes und legte das große Buch vorsichtig vor sich auf den Tisch. Hinter diesem Möbelstück fühlte er sich irgendwie wichtig, was ihn zu spontanem Grinsen brachte. Er klappte das Buch auf uns begann zu lesen.

Ghaundar und Albrecht standen immernoch in der Schreibstube und redeten leise miteinander, aber Joro bekam davon schon gar nichts mehr mit. Nach einer kleinen Einleitung, in der sich Albrecht als Bischof und Autor vorstellte, begann ziemlich schnell das eigentliche Buch.
Es war in Kapitel gegliedert, die sich mit Dingen befaßten wie �Rechte und Pflichten�, �Grabpflege� oder �Umgang mit Reich und Arm�.
Geradezu hungrig nach Wissen verschlang er Satz um Satz und schon nach dem ersten Kapitel bemerkte er, daß ihm etwas fehlte.
�Ghaundar? Kannst du mal kommen?�
�Ja, was ist denn?�
�Kannst du mir eine Feder, ein Tintenfaß und ein paar Bögen Papier besorgen? Ich kann hier nirgends welche finden und ich möchte mir ein paar Notizen machen.�
�Ist recht, Moment, hier drüben in der Stube steht alles voll damit.�
�Danke.�
Joro studierte den Anfang des nächsten Kapitels und bemerkte immer mehr, wie gut es tat, endlich einmal wirklich schwarz auf weiß zu sehen, worum es bei seinem Beruf eigentlich ging. Derweil kam Ghaundar wieder und legte ihm die gewünschten Gegenstände auf einem dafür gedachten Holzbrett mit Aussparungen auf den Tisch, neben das Buch.
�Sag mal, Joro?�
�Hm, was?�
�Ich will dich ja nicht stören, aber�hast du die Dose von Balthasar dabei?�
Joro grinste und deutete auf seine dicke Oberlippe.
�Was denkst du denn, hier.�
Ghaundar nahm sich eine kleine Prise und trottete dann zufrieden lächelnd wieder zu Albrecht herüber.

Als er das nächste Mal aufsah, merkte er, daß er wohl die Zeit vergessen haben mußte, denn die Sonne war schon untergegangen. Im Raum brannten ein paar Öllampen, die mit Spiegeln dafür sorgten, daß der Raum in angenehmes Licht getaucht wurde. Albrecht stand allein vor der Podest und studierte immernoch das Buch, daß er schon zuvor betrachtet hatte, nur daß er eine große Zahl an Seiten weiter war. Als er bemerkte, daß Joro zu ihm hersah schaute er ihn an.
�Und? Bist du mit dem, was du liest zufrieden, Bischof Macun?�
Joro zögerte.
�Mit dem meisten, ja.�
Albrecht legte den Kopf auf die Seite.
�Ach, mit dem meisten davon? Aber nicht mit Allem?�
�Naja, was war da� Warte mal�� Joro wühlte in den Zetteln, die er beschrieben hatte.
�Achja, hier! �Wenn du gen Orridin gehst, siehe zu, daß du den Norden, den Süden, den Westen und den Osten meidest.� Warum hast du nicht einfach geschrieben, daß man nicht nach Orridin gehen soll? Und vor allem, warum soll man nicht nach Orridin gehen?�
�Warst du schon einmal in Orridin?�
�Nein.�
�Dann hast du auch keine Ahnung, warum ich das geschrieben habe. In Orridin ist keiner willkommen, der nicht der dortigen Religion angehört. Und einen Totengräber werden sie im besten Falle verjagen, im schlimmsten aber jedoch sofort töten. Daher habe ich als Warnung einen möglich eindringlichen Satz dort hingeschrieben. Hast du vielleicht auch inhaltliche Kritik?�
�Hmmm, so weit, wie ich bisher gelesen habe, eigentlich nicht. Das, was ich bisher gelesen habe, gefällt mir sehr gut.�
�Na, da fühle ich mich aber geehrt.�
Joro senkte den Blick wieder in den Wälzer. Dabei fiel ihm auf, daß er das Buch schon halb durch hatte, obwohl es bestimmt zweihundert Seiten haben mußte.
Es dauerte wieder einige gelesene Seiten, da ging die Tür der Schreibstube auf und der Geruch von Essen wehte herein.
Franz schob einen kleinen Wagen mit einigen Tellern und Schüsseln herein.
�Ich habe Euch etwas zu Essen gebracht, Eminenz. Euer Dunkelelfenfreund hat mir gesagt, daß Ihr wohl noch eine Weile in eurem Arbeitszimmer verbringen werdet, daher habe ich es nicht in den Speisesaal gebracht.�
Joro war freudig überrascht.
�Das ist wunderbar, Franz, stell den Wagen doch einfach hier neben meinen Schreibtisch.�
�Gerne.�
Der dicke Riese schob den Wagen mit einer Grazilität, die man ihm nicht zugetraut hatte durch die Pulte und stellte ihn dann neben den großen Tisch aus Ebenholz.
�Wenn Ihr noch etwas benötigt, sagt der Wache bescheid. Sie wird mich dann davon unterrichten.�
Der Wagen war so vollgestopft mit Essen, daß er sich kaum vorstellen konnte, für den Rest der Woche noch etwas zu brauchen, aber er nickte trotzdem.
�Danke, Franz.�
Mit einer höflichen Geste verließ der Koch wieder den Raum.
�Albrecht?�
Der Leichnam sah zu ihm herüber.
�Was?�
�Du ißt niemals, nicht wahr?�
�Nein.�
�Und schlafen mußt du auch nicht?�
�So wie ich das sehe hast du die Kapitel über Untote schon gelesen, es sei denn, du hast sie übersprungen.�
�Nein, ich habe sie gelesen, aber es ist so komisch, sich das vorzustellen.�
�Es ist so, wie es in dem Buch dort steht.�
Joro kratzte sich am Kopf.
�Sag mal��
�Ja?�
�Du mußt doch eine unglaubliche Langeweile haben��
Albrecht schüttelte nur betont müde den Kopf.
�Spätestens, seit sich unsere Wege gekreuzt haben, nicht mehr.�
�War das der Grund, warum du dich entschlossen hast, mir zu helfen?�
�Ich könnte jetzt �ja� sagen, aber das stimmt nicht ganz. Eher ist es die Tatsache, daß ich sehe, daß ich helfen kann, etwas zu dem zurückzuführen, was es sein soll.�
Der Bischof mußte wieder nachdenken. An Pflichtgefühl konnte es nicht liegen, woran aber dann? Albrecht hatte seine Gedanken durchschaut.
�Es ist nicht die Frage, ob ich mich verbunden fühle oder nicht. Es ist schlicht und ergreifend nicht richtig, so wie es jetzt ist. Und ich habe einen nüchternen Drang, mein geistiges Eigentum zu verteidigen.�
�Also so eine Art Gefühls-Ersatz.�
�Wenn du es so nennen willst��
Das reichte Joro erst einmal an Informationen und er widmete sich wieder dem Buch, während er sich gedankenverloren einen Hühnerschenkel vom Speisewagen nahm und begann daran zu nagen.
Albrechts Stimme kam aus dem Nebenraum.
�Wenn du mit deinen Fettfingern das Buch anfaßt, komme ich herüber und reiße dir in Stücken die Kehle auseinander.�
Der Bischof mußte schlucken und nahm sich eine der Servietten vom Wagen, um damit seine Hände abputzen zu können, wenn er das Buch anfassen mußte und sagte artig:
�Verstanden.�

Es waren wohl wiederum ein paar Stunden vergangen, als Joro das Buch schließlich zuklappte, im Nebenzimmer stand Albrecht immernoch regungslos am Pult und studierte weiterhin die Schriften vor ihm. Ein Blick auf den Speisewagen, dessen Ladung natürlich mittlerweile kalt geworden war, zeigte dem Bischof, daß sein Hunger groß gewesen war. Er hatte eine ganz gehörige Menge davon während des Lesens gegessen, was allerdings nichts daran änderte, daß immernoch eine geradezu obszöne Masse an Lebensmitteln darauf lag.
Die Tür ging auf und Toldor kam herein. Joro sah freundlich in seine Richtung und bot ihm einen der Sessel vor dem Schreibtisch an.
�Danke, Euer Eminenz�, der alte Mann ließ sich mühsam auf den Stuhl nieder. Dann sah er Joro interessiert an.
�Wie ich sehe habt Ihr das Buch vor Euch. Wie weit seid Ihr denn mit seinem Inhalt?�
�Ich habe es durchgelesen. Und ich kann nur sagen, daß es sehr aufschlußreich war, immerhin wußte ich vorher praktisch gar nichts von alledem�Wollt Ihr etwas essen, Toldor?�
�Nein, danke. Franz und ich habe vorhin in der Messe gegessen, Euer Freund Ghaundar hat uns Gesellschaft geleistet. Er ist für einen Dunkelelfen eine ausgesprochen sympathische und lustige Person.�
�Hattet Ihr früher schon einmal Kontakt mit Dunkelelfen?�
�Nun, wir sind hier in Daishan, Euer Eminenz��
�Nein, das ist mir schon klar, aber das meinte ich auch nicht. Eigentlich dachte ich eher in puncto kennenlernen und nicht von ihnen überfallen zu werden.�
�Die Ehre hatte ich vorher nicht, nein. Daher bin ich sehr positiv überrascht, daß Ghaundar ein derart umgänglicher Mensch, äh, Drow ist.�
Joro grinste.
�Ihr habt ihn noch nicht erlebt, wenn er betrunken ist.�
Toldor gab ein Lächeln zurück.
�Es deucht mich wie ein Wunder, daß Ihr tatsächlich mit ihm befreundet seid. Für einen Daishani ist das nicht gerade selbstverständlich.�
Der Bischof machte ein sehr ernstes Gesicht.
�Ich würde ihm jederzeit mein Leben anvertrauen. Auf Ghaundar ist uneingeschränkt Verlaß. Das Selbe gilt auch für Omareth, seinen Großcousin oder die Hohepriesterin der Enklave.�
�Ghaundar hat ein bißchen davon erzählt. Er schien sich zunächst nicht sicher, ob er nicht zu viel sagt, aber ich denke, daß er weiß, daß er hier unter Freunden ist.�
�Von den Drow, die ich dort kennengelernt habe, hat er Menschen gegenüber wohl die offenste Einstellung. Die anderen sind eher distanziert.�
�Ach?�
�Ihr werdet es kaum glauben, Toldor, aber die Drow in diesem Land, die nicht unter der Erde leben, haben unter den Jahrhunderten des Hasses zwischen den beiden Völkern noch mehr zu leiden, als wir Daishani. Sie sind mitnichten böse gesonnen, aber sie sehen halt genauso aus, wie ihre Vettern unter der Erde, und der durchschnittliche Mensch in diesem Land macht deshalb keinen Unterschied, wenn er auf einen von ihnen trifft.�
Der alte Priester nickte langsam.
�Das leuchtet ein. Allerdings ist es dann umso erstaunlicher, daß sie Euch ins Vertrauen gezogen haben.�
�Daran hatte Celestus nicht gerade wenig Anteil. Ohne ihn wäre das mit Sicherheit nicht geschehen.�
Toldor griff seine Frage von vorher wieder auf.
�Und, was habt Ihr in diesem Buch alles gelesen, was Euch zusagt?�
�Ich bin im Großen und Ganzen sehr mit dem Inhalt zufrieden.�
�Oh Freude! Jetzt kann ich endlich in Seligkeit sterben�, kam es trocken aus dem Nebenraum.
Joro ignorierte den Leichnam und fuhr fort:
�Es gibt ein paar kleinere Passagen, an denen ich die Sprache noch ein wenig vereinfachen würde, aber die Lehren darin würde ich jederzeit unterschreiben.�
Der alte Priester schien erfreut zu sein, das zu hören.
�Also hättet Ihr nichts dagegen, auf dieser Basis eine neue Kirche aufzubauen? Albrecht und ich haben das schon näher besprochen und wir sind auch beide der Ansicht, daß sich damit etwas machen ließe.�
Im Nebenzimmer erscholl ein zustimmendes Grunzen.
�Ja, allerdings��
�Allerdings?�
�Toldor, könntet Ihr mir versprechen, daß Ihr auf eurem Stuhl sitzen bleibt, egal, was gleich geschehen mag?�
Der alte Mann sah ihn fragend an, nickte dann aber.
Joro stand auf, ging zur Tür des Zimmers und schloß sie. Dann wandte er sich an Celestus.
�Kannst du vielleicht mal kurz kommen? Ich halte es für wichtig, daß zumindest Toldor dabei ist, wenn wir das bereden, was ich vorhabe. Und mit Albrecht willst du ja nicht reden.�
Celestus manifestierte sich im Zimmer und zeigte auf Toldor.
�Sitzenbleiben.�
Toldor seinerseits war vor Schreck wie gelähmt.
�Es ist schon gut, mein Sohn, du brauchst dich nicht zu fürchten, ich weiß ob deiner Loyalität zu mir.�
�D�danke Herr�, der Alte blickte demütig zu Boden.
Zu Joro gewandt fragte der Gott: �Und, was willst du mit mir bereden?�
�Die Kirche hat reichlich viel Geld angesammelt, oder?�
�Abzüglich dessen, was die Priester gestern gestohlen haben, als du sie vor die Tür gesetzt hast, müßte noch eine nicht unerhebliche Summe vorhanden sein, ja.�
�Nun��, Joro drugste herum, �Immerhin kommt von Süden eine gewaltige Armee. Ich glaube, daß wir selbst Truppen aufstellen sollten. Und mit dem Geld, das wir haben könnten wir diese nicht nur Ausrüsten, sondern auch für eine gute Ausbildung sorgen�Wäre das in deinem Sinne?�
Der Gott war erstaunt.
�Was erwartest du von mir, das ich darauf entgegnen sollte? Ich bin ein Gott der Toten und kein Kriegsgott.�
�Heißt das, daß du dagegen bist?�
�Nun��, Celestus ging zu dem Stuhl, der neben dem stand, auf dem Toldor saß und ließ sich darauf nieder, was den alten Mann noch ein bißchen stärker zittern ließ, �Ich bin mir nicht sicher, was ich darauf entgegnen soll. Immerhin sind die Zeiten andere, als sie in der Historie dieser Kirche, selbst in den Tagen ihrer Gründung waren.�
Joro versuchte, sich zu erklären.
�Es geht mir auch weniger darum, aus einer möglichen, neuen Kirche einen Kriegskult zu machen. Aber wir müssen uns verteidigen und Bargum ist als eine der größeren Städte der Nordostprovinzen Daishans ein bevorzugtes Angriffsziel.�
Celestus verstand.
�Du hast recht, es wäre sträflich, nicht zuzusehen, daß die Leute hier den bestmöglichsten Schutz haben�, er wandte sich Toldor zu, �Sage mir, mein Sohn, wieviel Geld dürfte etwa in diesen Mauern lagern?�
Der alte Priester hatte immernoch Mühe, seine Fassung zu wahren.
�I..ich denke es sollten mindestens einige Tausend Goldtaler sein, Herr.�
�Das hört sich nach einer soliden Grundlage an�, der Gott sah wieder Joro an, �Dann solltest du einen Plan erarbeiten, was du damit machen willst, mein Bischof.� Irgendwie sagte er das mit einem leicht spöttelnden, aber nicht verletzend gemeinten Unterton.
Joro beschloß, das zu tun. Nur eins brannte ihm noch auf der Seele.
�Ich habe das Buch gelesen, Celestus. Ich finde das, was Albrecht darin gesammelt hat, sehr gut, aber ich hätte gerne von dir eine Antwort, ob du damit auch zufrieden bist.�
�Hast du mich in irgendeiner Weise protestieren hören?�
Der Bischof blickte beschämt zu Boden.
�Ich fürchte, daß ich vielleicht zu sehr mit Lesen beschäftigt war, als daß ich darauf geachtet hätte��
Celestus lachte.
�Das, was der alte Trotzkopf da geschrieben hat, ist durchaus alles in Ordnung. Auch wenn ich das ungern zugebe, vor allem, weil er nicht aufhören kann zu lauschen.�
Joro war erleichtert.
�Gut, dann werden wir das genau so wieder umsetzen. Und ich werde Sorge tragen, daß diese Schriften niemals wieder verfälscht werden. Eine derartige Schande, wie sie hier existiert hat, soll auf keinen Fall je wieder geschehen.�
Der Gott hätte vermutlich gönnerhaft gelächelt, nur hatte er ja leider kein Gesicht. Stattdessen machte er eine zustimmende Geste, klopfte Toldor noch beruhigend auf den Arm und verschwand dann.
Dieser sah Joro sehr lange an. Dann rappelte er sich wieder ein wenig auf.
�Hätte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch einen einzigen Punkt des Zweifels gehabt, wäre er nun auf der Stelle verschwunden. Ich muß zugeben, daß mich Eure Person und alles, das sie umgibt auf eine seltsame Weise fasziniert, vor allem aber beeindruckt, Euer Eminenz.�
Der wurde rot.
�Zuviel der Ehre, Toldor. Es ist ja nicht so, daß ich mir das erarbeitet hätte, es kam einfach alles so über mich, ob ich wollte, oder nicht.�
�Das schmälert nicht den Effekt, den es auf mich, und sicherlich auch auf andere hat, mein Bischof.�
�Mir ist es lieber, wenn man mich aufgrund meines Wesens beurteilt und nicht der Dinge, die mich umgeben, Toldor�, Joro verzog das Gesicht.
�Beides hat seinen Wert, Eminenz. Man muß nur zu unterscheiden wissen, was der Kern und was die Hülle ist.�
Joro stand auf und blickte aus dem Fenster über den Wald, der sich unter dem Kloster erstreckte. Ihn packte eine gewaltige Sehnsucht, die hinter diesen Bäumen, in den Bergen und innerhalb eines Tales bei einer gewissen Person endete. Aber noch war hier nicht alles so, wie es sein mußte, damit er zurück dorthin gehen konnte. Er mußte einen klaren Kopf bewahren, um das, was vor ihm lag, zu bewältigen. Dennoch brachte es ihm fast Tränen in die Augen, nicht dort zu sein, wo sein Herz eigentlich ruhte. Doch genug dieser Gedanken, er hatte noch viel zu tun.
�Wißt Ihr, wie spät es wohl sein mag, Toldor?�
�Wir haben hier leider keine zwergischen Uhren, daher kann ich es nur schätzen, Eminenz. Es dürfte etwa um die siebte Abendstunde sein.�
�Ich werde wohl beizeiten einen Bekannten von mir bitten müssen, eine Uhr für diese Stadt zu fertigen. Wenn ich einen guten Tag erwische, hat er vielleicht die nötige Laune, um eine zu bauen�, er reckte sich und schaute unschlüssig im Raum umher, �ist es wohl zu spät, zum Fürsten zu gehen?�
Toldor schüttelte den Kopf.
�Im Alter schläft man nicht mehr viel, Eminenz. Olgerich wirkt jünger, als er ist.�
�Dann sollte ich mal mit ihm reden, wenn ich schon Pläne mache, hilft es vielleicht, sich Hilfe bei jemandem zu suchen, der sich damit auskennen könnte.�
�Tut das, ich werde noch eine Weile mit Albrecht reden, bevor ich mich selbst zurückziehe.�

Joro öffnete die Tür wieder und sah den Leichnam immernoch (oder wieder?) an dem Pult stehen und die Zeilen des Wälzers studieren, mit dem er sich schon am Nachmittag befaßt hatte.
Albrecht sah nicht einmal auf, als er durch das Zimmer in den Gang heraus trat. Hinter seinem Rücken konnte er aber hören, wie Toldor begann, mit ihm zu sprechen.
Draußen auf dem Hof saß Ghaundar gelangweilt auf den Treppenstufen, die zum Hauptgebäude heraufführten und schnitzte immernoch an dem selben Stück Holz herum. Was es auch immer werden sollte, Joro konnte es nicht erkennen.
�Na, fertig mit dem Buch?�
�Ja, es war so langsam an der Zeit, daß ich etwas darüber erfahre, was ich eigentlich tun soll. Und dabei hat es mir auch sehr geholfen, ich fühle mich sehr viel sicherer.�
�Das ist erfreulich. Und was hast du jetzt vor?�
�Zum Fürsten muß ich. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die ich mit ihm besprechen muß.�
Ghaundar stand auf und blickte sich um.
�Hast du dir schon überlegt, was du mit Justin machen solltest?�
Joro sah zu Boden.
�Ja. Aber es gefällt mir nicht.�
Der Drow sah ihn fragend an.
�Warum?�
�Weil es nur eine wirkliche Lösung gibt. Naja, zwei, aber die eine davon ist nicht viel wert.�
�Nämlich?�
�Ich scheue mich fast, es auszusprechen, aber am besten wäre es, wenn er einfach tot wäre.�
Ghaundar entgegnete nichts, also fuhr Joro fort: �Wenn wir ihn am Leben lassen und bis zum Rest seines Lebens eingekerkert, wird er vielleicht irgendwann einen Weg finden, aus der Gefangenschaft zu kommen. Und dann haben wir einen haßerfüllten Feind gegen uns�oder zumindest ich.�
Wiederum sagte der Drow lange Zeit nichts, dann sah er Joro sehr ernst an.
�Wenn du willst kann ich dafür sorgen, daß er dir keine Probleme mehr macht.�
Ehrlich gesagt war er nicht überrascht, daß Ghaundar so etwas sagte, aber dennoch liefen seine Gefühle fast Amok gegen die Tatsache, daß ihm sein Freund gerade angeboten hatte, jemanden für ihn zu töten. Es war zu diesem Zeitpunkt einfach zu viel, um eine Entscheidung zu treffen.
�Erst einmal nicht, ich will keine Entscheidung treffen, die ich vielleicht bereue.�
�Ich sehe zwar keinen Grund, warum du das bereuen solltest, aber es ist nicht meine Sache, sondern deine. Vergiß aber nicht, daß die Zeit gegen dich arbeitet, Joro.�
�Ja, das ist mir klar�Aber jetzt gehe ich zunächst einmal zum Fürsten. Es gibt ein paar Dinge, die ich mit ihm besprechen muß��, Joro setzte sich in Bewegung Richtung Tor, aber hielt gleich wieder inne.
�Ghaundar?�
�Ja?�
�Wie schlimm wird es, wenn wir zurückkehren?�
�Du meinst in die Enklave?�
�Ja.�
�Wenn du Glück hast, wird sie dich noch ein paar Stunden am Leben lassen.�
�Danke. Das baut mich wieder auf.�

Die Soldaten am Tor salutierten, als Joro hindurchtrat. Eigentlich hatte er kurz überlegt, ob er nicht die Rüstung anziehen sollte, da er nicht wußte, ob er vielleicht Racheaktionen der vertriebenen Priester befürchten mußte. Aber auf der anderen Seite war alles ruhig und auch unten in der Stadt war weder ein Massenauflauf, noch sonst irgendein Anzeichen für Unruhe. Also ging er die Straße herab zum Marktplatz und zum Schloß herüber.
Auch hier begrüßten ihn die Wachen knapp und militärisch und er betrat die Eingangshalle. Innerlich freute er sich, nicht zu viel Aufsehen erregt zu haben, außer ein paar Bürgern, die ihn höflich gegrüßt hatten, war er ohne viel Aufhebens zum Schloß gekommen.
In der Halle kam ihm sofort ein Lakai entgegengelaufen, der sich tief verbeugte und mit einem Händeklatschen ein Zeichen gab, auf das hin der Major Domo den Raum betrat.
�Es freut mich sehr, Euch hier begrüßen zu dürfen, Eminenz. Gehe ich recht in der Annahme, daß Ihr mit dem Fürsten zu sprechen wünscht?�
�Das ist richtig.�
�Dann folgt mir bitte.�

Es gibt durch einige Gänge und zwei Stockwerke nach oben, bis sie vor einer mit schlichten Blumenfresken verzierten Tür stehenblieben.
�Wartet bitte einen Moment, Eminenz, ich werde Euch ankündigen.�
Der Mann verschwand kurz durch die Tür und kam dann schnell wieder heraus.
�Fürst Olgerich erwartet Euch, tretet bitte ein.�
Joro trat durch die Tür und kam in einen Raum, der erstaunlich klein und dessen Wände komplett mit Bücherregalen zugestellt waren. Der Fürst saß auf einem Sessel, um den herum drei große Öllampen standen, offenbar um möglichst viel Licht zu erzeugen. Auf dem Schoß hatte er einige Schriftrollen, eine davon hielt er aufgerollt in der linken Hand. Olgerich schaute freundlich in seine Richtung.
�Eminenz! Es erfreut mich, Euch hier begrüßen zu dürfen, auch wenn ich ein bißchen überrascht bin, daß Ihr um diese Zeit hier herkommt..�
�Es ist hoffentlich nicht zu spät für Euren Geschmack, Durchlaucht?�
�Nein, nein, ganz und gar nicht, ich bleibe für gewöhnlich sehr lange wach und lese. Verzeiht, wenn ich nicht aufstehe, aber ich fürchte, daß mir alles herunterfällt, wenn ich das tue.�
�Kein Problem.�
�Setzt Euch doch�, der Fürst wies ihm den Sessel, der seinem gegenüberstand.
�Danke�, Joro ließ sich darauf nieder.
�Und?�, der alte Mann sah ihn erwartungsvoll an, �Was ist der Grund Eures Erscheinens?�
�Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne mit Euch besprechen würde, Olgerich.�
�Dann legt mal los, ich bin ganz Ohr.�
Der Bischof sammelte sich erst einmal. Dann traf er eine Entscheidung, womit er anfangen wollte.
�Wie Ihr sicherlich wißt, hat die goldene Legion begonnen, die Südreiche zu erobern.�
�Das ist mir bekannt, ja. Aber sie sind noch sehr weit von hier entfernt und wir werden reichlich Zeit haben, uns zu wappnen.�
�Ich muß Euch leider widersprechen, Olgerich. Sie waren bereits näher an Bargum, als ihr denkt��
Die Reaktion des Fürsten war Überraschung.
�In der Tat?�
�Ja, kennt ihr einen Handelsposten namens �Noth�? Er war etwa vier Tagesreisen von hier in den Bergen gelegen.�
�Der Name ist mir durchaus ein Begriff. In der Vergangenheit haben ortsansässige Händler eine Menge Pelze und andere Fallenstellerprodukte von dort erworben.�
�Nun, das werden sie jetzt nicht mehr können. Noth ist ein einziger Haufen verbrannter Holzbalken. Die goldene Legion hat den Ort vollständig niedergebrannt.�
Olgerich schwieg, er hatte an dieser Nachricht zu kauen, was Joro Zeit gab, fortzufahren.
�Zudem haben sie auch noch eine Dunkelzwergenstadt sehr weit im Norden angegriffen. Sie sind mit ihren Luftschiffen und Lindwürmern weitaus mobiler und haben auch größere Reichweiten, als vielleicht einige annehmen würden.�
�Das besorgt mich ein wenig.�
�Oh, mich besorgt das sogar sehr stark, Durchlaucht. Wir werden weitaus schneller in großer Gefahr sein, als wir das beide wollen. Oder irgendjemand, der unten in der Stadt lebt.�
�Da gebe ich Euch uneingeschränkt recht, Eminenz. Ich nehme an, daß der Grund Eures Erscheinens damit zusammenhängt, nicht wahr?�
�Ganz genau. Ich habe vorhin mit Toldor geredet und er hat mir bestätigt, daß wir eine ganze Menge Geld im Kloster haben, das meiner Ansicht nach nicht uns, sondern eher denen gehört, die es gespendet haben. Ihr mögt mich korrigieren, wenn ich da falsch liege, aber das sollten die Bürger dieser Stadt sein.�
�Das ist richtig.�
�Dann habe ich gleich zwei Fragen an euch.�
�Nämlich?�
�Erstens: gibt es in dieser Stadt Waffen- und Rüstungsschmiede, wenn ja: wieviele, und zweitens: Habt Ihr einen Ausbilder an der Hand, der dazu in der Lage wäre, in kürzerer Zeit eine ganze Reihe von Soldaten auszubilden?�
�Ihr wollt eine Armee aufstellen, Eminenz?�
�Zumindest so viele Truppen, wie wir für ein paar Tausend Goldtaler ausheben können.�
Olgerich sah ihn verblüfft an.
�Das ganze Geld, nur um Soldaten auszubilden? Damit könntet Ihr Euch einen ganzen Landstrich kaufen.�
Joro machte ein ernstes, fast böses Gesicht.
�Warum sollte ich das wollen. Das Geld gehört mir nicht einmal. Außerdem habe ich gesehen, was die Legion imstande ist, zu tun. Wir werden jeden Mann, ob jung oder alt, brauchen, um uns zu verteidigen, wenn es soweit ist. Deshalb sehe ich Grund genug, sie so gut auszubilden und auszurüsten, wie es irgend möglich ist.�
�Da werdet Ihr eher an die Grenzen der verfügbaren Materialien als an die Eures Geldes kommen. Es gibt hier in der Nähe keine nennenswert großen Eisenvorkommen.�
�Dann müssen wir welches ankaufen, Olgerich.�
�Auch das wird schwierig. Die umliegenden Provinzen wissen genausogut wie wir, daß sich die Legion nähert. Diejenigen, die Waffen und Rüstungen herstellen können, oder die Materialien dafür liefern, werden zweifelsohne zusehen, ihre Produkte so teuer wie möglich zu verkaufen.�
Joro überlegte sich, Balthasar zu fragen, ob er nicht Eisen oder dergleichen besorgen könnte. Immerhin konnten seine Priester auch riesige Elementare beschwören, dann konnte es auch nicht so schwer sein, eine Metallader zu finden.
�Gibt es denn wenigstens die nötigen Handwerker vor Ort?�
Der Fürst dachte nach. Zunächst wirkte er nicht ganz überzeugt, doch dann kam ihm eine Eingebung.
�Natürlich, ja. Wir haben einen Hufschmied am Rande der Stadt, der früher als Rüstmeister in Hanlar gearbeitet hat, genauer gesagt in Tont, der Hauptstadt.�
�Das wäre zumindest schon einmal ein Anfang. Gibt es sonst noch jemanden?�
�Da bin ich zunächst einmal überfragt. Die Ausstattung der Stadtwache, und wenn ich mich recht erinnere auch der Klostergarde wurde bisher immer angekauft und nicht hier in Bargum hergestellt.�
�Vielleicht kann ich den Duergarkönig, der mit uns bei der Enklave lebt davon überzeugen, uns dabei ein wenig unter die Arme zu greifen.�
�Das ist eine weitere Information, die Euch in meinen Augen mehr als seltsam erscheinen läßt, Eminenz�, der Fürst kniff die Augen zusammen als hätte er eine unangenehme Nachricht überbracht bekommen.
Joro lächelte.
�Es hat sich um mich herum Einiges abgespielt, das man so bezeichnen könnte, Durchlaucht�, er sah sich um und dachte weiter nach, �Einen oder vielleicht auch noch ein paar mehr Ausbilder könnten wir gebrauchen.�
Olgerichs Gesicht erhellte sich ein wenig.
�Da kann ich sofort helfen. Mein Hauptmann ist ein ehemaliger Söldner, der bereits in vielen Kriegen gedient hat. Er ist nicht gerade ein Gelehrter, aber ein überaus fähiger Soldat.�
�Das ist erfreulich. Sobald ich mit Toldor und Albrecht alles geklärt habe, was hier zu tun ist, werde ich zurück zu den Dunkelelfen gehen und sehen, was dort zu machen ist.�
�Ihr habt vor uns schon wieder zu verlassen?�, Überraschung spiegelte sich im Blick des alten Mannes wider.
�Es ist nichts, was ich ändern könnte, Olgerich. Ich weiß, welche Verantwortung ich auf meine Schultern geladen habe, als ich mich zum Bischof wählen ließ. Aber ich habe auch noch andere Verpflichtungen, und zu denen gehört neben dem Versuch eine Armee aufzustellen, die die Legion aufhalten kann auch noch meine Freundschaft zu den Dunkelelfen der Enklave.�
�Das ist zwar verständlich, aber meint Ihr nicht, daß Ihr hier genauso gebraucht werdet? Nach der beinahen kompletten Auflösung der Kirche umso mehr?�
Joro schaute ihn traurig an.
�Wenn Ihr nur wüßtet, welche Gedanken in meinem Kopf herumtoben, Olgerich. Es fällt mir nicht leicht, es zu sagen aber��
�Ja?�
�Es ist mir alles zu viel�, er hob die Hände und machte eine abwehrende Geste, �Ich weiß, ich weiß, das sollte ich nicht sagen oder zumindest nicht offen bekennen.�
Der Fürst schmunzelte aber nur.
�Eure Ehrlichkeit ist etwas, was ich von den Jüngern des Celestus noch niemals erlebt habe. Mit Euch als Grundstein wird diese Kirche wachsen und blühen, wie sie es vermutlich das letzte Mal lange vor unserer Zeit getan hat. Außerdem habe ich mich entschlossen, einen Druiden zu bitten, mir das Mal aufzutragen.�
�Wirklich?�, Joro war freudig überrascht.
�Ja. Wenn wir hier schon eine neue Ära schaffen, dann sollte diese auch davon gekennzeichnet sein, daß nicht nur das geistliche , sondern auch das weltliche Oberhaupt dieser Stadt ein verläßliches Wort zu geben haben.�
Es wunderte Olgerich überhaupt nicht, daß der Mund seines vielleicht jungen, aber manchmal sehr spitzfindigen Gegenübers zu einem Grinsen verzog. Dementsprechend wußte er auch schon, wie Joros nächster Satz lauten würde.
�Es hat nicht zufällig damit zu tun, daß Ihr vielleicht auch einen Sitz im Ältestenrat Daishans haben wollt, oder, mein Fürst?�
Sie lachten beide und als der alte Mann sich wieder beruhigt hatte, nickte er fröhlich.
�Das ist mit Sicherheit auch ein Grund, ja. Verdammt, Ihr verleitet mich dazu, die Wahrheit zu sagen, obwohl ich nicht einmal müßte.�
Joro lächelte nur fröhlich, wurde aber bald wieder ernst.
�Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr Euch mit Albrecht und Toldor über einen Ausbildungsplan verständigen würdet. Euer Hauptmann, so er denn so ein guter Soldat ist, wird zweifelsohne viel dazu beisteuern können. Ich für meinen Teil werde mich bei König Balthasar währenddessen um die notwendigen Materialien bemühen.�
Olgerich sah ihn kurz an und sagte dann mit einer sehr eindringlichen Stimme:
�Es ist mir bewußt, daß Ihr überfordert seid. Aber das Letzte, was Ihr jetzt tun solltet, wäre aufgeben. Man kann auch passiv aufgeben, indem man versucht, alles zu verdrängen, was ansteht, aber damit werdet Ihr weder den Leuten hier, noch in der Enklave, aber vor allem auch nicht Euch selbst einen Gefallen tun.�
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�Wenn Ihr Euch anstrengt und versucht, Euer Bestes zu geben, wird keiner, Euch eingeschlossen, Euch jemals einen gerechtfertigten Vorwurf machen können. Vergeßt das niemals�, er schaute kurz aus dem Fenster und fügte dann noch hinzu: �Zumal Ihr nicht alleine seid.�
Joro verzog das Gesicht.
�Es ist trotz alledem viel einfacher gesagt, als getan, Fürst Olgerich.�
�Das Gegenteil würde ich niemals wagen zu behaupten�, entgegnete dieser fröhlich, �Aber man muß sich nichtsdestotrotz dessen bewußt sein.�

Sie verabschiedeten sich voneinander und Joro machte sich im Schein der Öllaternen, die die Straße in schwaches Licht tauchten, auf, um ins Kloster zurückzugehen.
Dabei grübelte er abwechselnd darüber nach, was als Nächstes zu tun sei und wie es wohl derzeit in der Enklave aussähe.
Eine dunkle Gestalt trat vor ihm auf die Straße.
�Guten Abend, Herr �Bischof�.�
Die Art, wie das letzte Wort gesagt wurde, ließ darauf schließen, daß Joros Gegenüber das nicht ganz ernst meinte.
�Wie kann ich Euch helfen?�, Joro griff sich unbewußt an den Gürtel, nur um zu bemerken, daß er keine Waffe bei sich trug.
�Nun, ich möchte diesen Moment nutzen, um Euch mitzuteilen, daß wir mehr als unzufrieden sind mit dem, was hier vor sich geht. Ihr habt Euch eine Menge Feinde gemacht.�
Joro streckte das Kinn vor und sah dem Vermummten dorthin, wo sein Gesicht sein mußte. Dabei kniff er die Augen zusammen.
�Wer auch immer du bist, willst du mir drohen? Hast du auch nur den Ansatz einer Ahnung, was genau ich hier mache?�
Der Mann der vor ihm stand schien kurz unentschlossen, aber er faßte sich schnell wieder.
�Wir werden sehen, wer am Ende den längeren Arm hat, Bischof.�
�Ich werde nicht zögern, das Richtige zu tun, Fremder. Und wenn das einschließt, einer gehörige Anzahl von Menschen, deren einziges Interesse weltlichem Reichtum gilt, den Garaus zu machen, dann soll es so geschehen. Wer auch immer dich geschickt hat, sollte wissen, daß ich sein Feind bin und jeden Weg gehen werde, ihn zu vernichten.�
�Ihr überschätzt Euch, Bischof.�
�Nein. Du unterschätzt mich!�
Wortlos drehte sich der Vermummte um und lief die Straße herab, Richtung Marktplatz.
Joro war verunsichert. Sicherlich hatte er nicht erwartet, daß man seine Aktion im Kloster hinnehmen würde, aber das man schon knapp einen Tag später anfangen würde, ihn zu bedrohen? Albrecht und Celestus selbst mußten mit all ihrer Schwarzmalerei Recht gehabt haben.
Er nahm sich vor, auch was das anging so bald wie möglich Maßnahmen in die Wege zu leiten.
�Du solltest nicht überreagieren, Joro�, Celestus� Stimme klang besorgt.
�Wie meinst du das? Der Kerl eben hat mir doch ganz offen gedroht?�
�Das mag sein, aber du solltest versuchen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben, anstatt Anstalten zu machen, wild um dich zu schlagen.�
�Ich frage dich gar nicht erst, was du meinst, das angemessen wäre.�
Ein leises Kichern war zu hören, aber der Gott wurde schnell wieder ernst.
�Nimm einfach meine Ermahnung an und wähle jeden Schritt, den du tust, mit Bedacht, mein Sohn.�
Joro stapfte weiter die Straße herauf und hob im Vorbeigehen der salutierenden Wache als Gruß die Hand.

Drinnen angekommen war er sich zunächst nicht sicher, ob er einfach ins Bett fallen sollte oder noch einmal zu Albrecht gehen, um mit ihm zu reden. Es widerstrebte ihm sehr, sich mit dem Leichnam zu unterhalten, weil dessen Art so dermaßen respektlos gegenüber allem und jedem erschien. Auf der anderen Seite konnte er nicht umhin, zu akzeptieren, daß Albrecht zwar vielleicht nicht unvoreingenommen war, was seine Ansichten anging, aber er hatte dennoch einen sehr nüchternen Standpunkt, der hin und wieder von Nutzen sein konnte. Das nahm er jedenfalls an.
Es konnte wohl nicht schaden, also ging er noch einmal zur Lesestube hoch und war auch nicht im Geringsten überrascht, daß der Leichnam, seine Maske allerdings abgesetzt immernoch an genau dem selben Platz, an dem er schon den ganzen Nachmittag gestanden hatte, in das Buch vertieft war. Joro wäre nicht überrascht gewesen, falls er dabei nicht ein einziges Mal seine Füße bewegt hatte.
Als der Bischof den Raum betrat, schaute Albrecht in seine Richtung. Die geblekten Zähne im mumifizierten Gesicht des ehemaligen Kirchengründers wirkten fast wie ein höhnisches Grinsen in seine Richtung. Dabei wußte Joro aber, daß sie nicht diesen Eindruck vermitteln sollten.
�Na, was führt Euch hier her, mein Bischof?� Jeder Satz, den Albrecht sprach, wirkte wie ein Anfeindung, das ging Joro mächtig auf die Nerven.
�Wie weit bist du mit dem Lesen?�
Albrecht betrachtete die Seiten, die vor ihm lagen, einmal herauf und herunter und sah dann wieder zu Joro.
�Leider wohl immernoch nicht weit genug. Du kannst dir beim besten Willen nicht vorstellen, was die hier für einen Dreck zusammengeschrieben haben.�
�Also ist das Buch gut für ein Lagerfeuer?�
�Nein�Nein, das würde ich nicht sagen�, der Leichnam starrte wieder kurz auf die Buchstaben vor ihm, �Eher könnte man sagen, daß sie ein wunderbares Zeugnis dessen sind, wozu Menschen in der Lage sind.�
�Du meinst, was sie Schlechtes zu tun in der Lage sind?�
�Oh, nein. Ich meine das ganz nüchtern. Von den Änderungen, die ich gelesen habe, waren durchaus einige scheinbar tatsächlich in der Absicht geschrieben, etwas genauer oder hilfreicher auszudrücken. Es ändert aber natürlich am Ende leider nichts daran, daß das Resultat des Ganzen negativ ausfällt.�
Joro war verwundert.
�Du gibst zu, daß einige Stellen besser waren als dein Original?�
�Was wundert dich daran, wenn ich fragen darf?�
�Du machst nicht den Eindruck, als wärst du sonderlich kritikfähig.�
Albrecht sah ihm in die Augen und schüttelte dann den Kopf.
�Joro, du verwechselst da etwas ganz Entscheidendes. Nur weil ich gerne etwas abseits stehe und anderen ihre Fehler vor Augen führe, heißt das noch lange nicht, daß ich dadurch selbst für Kritik unempfänglich bin.�
�Du wirkst mitunter sehr arrogant, Albrecht.�
�Das wird vielen sicherlich so erscheinen, da stimme ich dir zu. Aber glaubst du, daß mir das etwas ausmacht?�
�Nein, naturgegeben wohl nicht.�
Der Leichnam röchelte mal wieder. Es mußte wohl ein Reflex sein.
�Es gibt dieses alte Sprichwort, das sagt, daß man ein Buch nicht nach dem Einband beurteilen sollte. Hast du das schon einmal gehört?�
�Natürlich�, Joro machte eine verletzte Miene.
�Manche Bücher, so wie ich eins bin, funktionieren nach anderen Regeln und man muß es schaffen, herauszufinden, wie sie zu lesen sind. Celestus sagt dir doch immer, daß du deinem Herzen folgen sollst, oder?�
�Ja��
�Nun, er hat leider nicht völlig Recht damit. Manchmal muß man auch seinen Verstand gebrauchen. Es gibt schlichtweg Dinge, die der Instinkt einer Person nicht richtig wahrnimmt. Also mußt du vorher deinen Geist einschalten, bevor du dein Herz richten läßt.�
Joro wollte um diese Uhrzeit keine Diskussionen mehr führen, eher war ihm daran gelegen, was der alte Erzbischof wohl an Ergebnissen zu präsentieren hätte.
�Was ist denn nun deine Beurteilung der Änderungen und wie können wir weiter vorgehen?�
Es war offensichtlich, daß Albrecht zunächst etwas im Geiste von �du bist der neue Bischof, das ist dein Bier� entgegnen wollte, aber er verwarf den Gedanken wohl und kam auf den Punkt.
�Ich werde vermutlich noch heute Nacht anfangen und die alten und die guten neuen Teile der Schriften zu einem komplett neuen Buch zusammenfügen. Hast du das, was in meiner Urfassung stand, alles verstanden?�
Hatte er. Die Idee der Celestusreligion war, den Weg des Toten in das Jenseits sicherzustellen und den Hinterbliebenen Trost und Unterstützung zu spenden. Außerdem bestand Celestus darauf, Untote jeglicher Couleur zu jagen und zu zerstören. Letzteres allerdings�
�Ja, in der Tat, aber sag mal��
�Was?�
�Ich habe immernoch nicht ganz verstanden, ob ich dich jetzt eigentlich umhauen sollte oder ob deine Existenz vor Celestus gerechtfertigt ist.�
Albrecht schien lachen zu wollen, aber selbst das Röcheln klang nicht einmal richtig.
�Schon als ich dir offenbarte, daß ich das bin, was ich bin, habe ich dir gesagt, daß du schon ein Aschehaufen sein würdest, bevor du den Arm heben kannst. Ich lebe vielleicht nicht mehr, aber meine Kräfte sind immernoch die des alten Priesters, der ich einmal war. Außerdem hat mich unser beider Gott zu dem gemacht, was ich bin. Ein Totengott kann auch Unleben schenken, Joro.�
�Das heißt, daß du immernoch die Macht hast, Wunder des Celestus zu wirken?�
�Sozusagen, ja.�
�Warum �sozusagen�?�
�Weil ich ja eigentlich nicht mehr in seinem Dienst stehe. Deshalb �sozusagen�.�
�Wortklaubereien� Aber egal, wie lange denkst du, daß du für das Buch brauchen wirst?�
Albrecht machte eine abwägende Geste.
�Der Vorteil ist, daß ich nicht zu schlafen brauche und mich ohne dabei zu ermüden unablässig konzentrieren kann. Der Nachteil ist, daß Schreiben nicht gerade schnell geht. Jemand müßte einmal einen Apparat erfinden, der das schneller kann. Der sollte dann auch gleich die Rechtschreibung korrigieren��
�Ich habe volles Vertrauen in dich, Albrecht.� Eigentlich hatte Joro den Impuls, im bewußt provokant auf die Schulter zu klopfen, aber angesichts der extremen Kälte, die der Leichnam ausstrahlte konnte er sich nicht sicher sein, ob ihm das nicht eine Frostbeule bescheren würde, daher beließ er es bei einer huldigenden Geste. �Ab in die Heia, heißt es für mich.�
�Viel Spaß dabei, ich wünsche wohlige Ruhe.�

Joro ging aus der Lesestube und war sich zunächst unsicher, ob er nicht einmal die persönlichen Gemächer des Bischofs aufsuchen sollte, um zu schauen, wie es dort wohl aussah. Aber er hatte wenig Lust dazu, sich in ein Bett zu legen, in dem der fette und widerliche Exbischof oder gar Justin geschlafen, oder wer weiß was getan hatten. Er nahm sich vor, dafür zu sorgen, daß ein neues Bett darin aufgestellt wurde. Die kleine Zelle, in der er seit seiner Ankunft untergebracht war, fühlte sich auf eine seltsame Art und Weise sowieso gemütlicher an, auch wenn die Pritsche darin alles andere als komfortabel war.


Kapitel 23


Die Nacht war unruhig und der starke Wind, der gegen Mitternacht aufkam, rüttelte stark am kleinen Fenster seines Schlafplatzes. Mehr als einmal schrak Joro aus dem Schlaf hoch, nur um zu bemerken, das nur eine Böe gegen das Glas gedrückt und den ausgeleierten Verschlußmechanismus zum Klappern gebracht hatte. Dieser Ort hatte trotz der Ereignisse der vergangenen Tage auch eine ziemlich geisterhaften Athmosphäre, vor allem in Anbetracht der Tatsache, wie viele hier vorher noch gewesen waren und wie wenige nun hier wohnten. Mehrere Gebäude für hunderte von Menschen waren völlig leer und die Winde, die durch die Gänge strichen, machten hin und wieder geradezu beängstigende, zumindest aber seltsame Geräusche.
Seine Gedanken fanden wieder ihren Weg zu Alystin. Er ertappte sich dabei, irgendwie etwas wie Schuld zu fühlen, daß er so wenig an sie dachte, wo doch alleine die Vorstellung eines Bildes von ihr in seinem Geiste sein Herz dazu brachte, schneller zu schlagen und damit in seinem Körper eine gewisse Aufregung erzeugte.
Die Diskrepanz zwischen dem, was er tun mußte und dem, woran seine Gefühle hingen, wurde ihm auf ziemlich eindringliche Weise klar. Er brauchte Rat.
�Celestus?�
Der Gott erschien auf dem kleinen Hocker, der am Schreibtisch der Zelle stand.
�Ich weiß, was du mich fragen willst.�
�Darf ich die Frage trotzdem stellen?�
�Nur zu.�
�Wirst du wütend auf mich sein, wenn ich dem, was mir wichtig ist, einen Platz in meinem Leben einrichte, der dem, was dir wichtig ist einen zumindest ebenbürtigen einnimmt?�
Celestus sah ihn lange schweigend an. Fast fürchtete Joro, einen schlimmen Fehltritt begangen zu haben, aber der Gott ließ unvermittelt den Kopf hängen.
�Was erwartest du, das ich darauf antworten soll, Joro?�
�Das mußt wohl diesmal wirklich du mir sagen.�
Es war nicht zu übersehen, daß der dunkle Herr mit der Situation mehr als unzufrieden war, aber sein Zögern, eine Antwort zu finden, verunsicherte Joro umso mehr. Daher wurde sein Wunsch nach einer baldige Aussage seitens seines Gottes beinahe unerträglich für ihn.
Schließlich richtete sich Celestus wieder auf und sah ihn an. Der Blick des Gottes wirkte sehr unerbittlich und forschend, und der junge Mann war sich sicher, daß dieser Effekt mehr als gewollt war.
�Zum Ersten: Bist du dir sicher, daß dein Hingezogensein zu ihr nicht nur eine Schwärmerei ist?�
�Wie kommst du darauf, daß ich es nicht ernst meinen könnte?�
�Das war nicht die Frage, Joro.�
�Ich war in meinem Leben noch niemals verliebt. So wie es sich anfühlt, ist es mir sehr, sehr ernst, ja.�
Celestus nickte und fuhr fort: �Zum Zweiten: Wirst du mir versprechen, niemals dein persönliches Wohl über das irgendeiner anderen Person zu stellen?�
Joro hatte auch über dieses Thema, neben vielen anderen, bereits am Vortag einiges Gelesen. Selbstlosigkeit war eine der Grundfesten in Albrechts Lehren, eine, die umzusetzen ihm nicht schwer fiel.
�Natürlich werde ich das niemals tun.�
�Weil du gelesen hast, daß es gefordert ist, oder weil du das selbst so empfindest?�
�Du kennst meine Gedanken, diese Frage erübrigt sich.�
�Vielleicht wirst du verstehen, daß es mir gerade darum geht, daß du es aussprichst.�
�Wenn du darauf bestehst� Nein, ich werde das niemals tun, weil ich es nicht gerecht finde.�
�Gut�, die Haltung des Gottes entspannte sich ein wenig, aber er war noch nicht fertig, �Dann habe ich auch nichts dagegen, wenn du dir dein persönliches Glück sicherst. Deine Haltung gegenüber dem Leben darf nämlich nicht egoistisch sein, spätestens seit du dir den Thron in diesem Kloster angeeignet hast, ist das unmöglich geworden.�

Celestus verschwand, wohl auch um einen Punkt zu machen und ließ den jungen Mann irgendwo zwischen immernoch unsicher und halbwegs erleichtert zurück.
Er ließ sich erschöpft auf die Pritsche zurücksacken und starrte an die Decke, während der Wind draußen immernoch mit dem Fenster spielte.
Joro konnte sich an keine Zeit seines Lebens erinnern, in der er jemals den Anspruch gehabt hatte, etwas Großes werden zu wollen. Er war sozusagen gelernter Bauer, auch wenn die Extraausbildung seines Großvaters ihm sicherlich mehr beigebracht hatte, als ein bloßer Rinderzüchter wissen mußte. Aber er hatte sich eigentlich keine Gedanken darüber gemacht, was wohl später aus ihm würde. Stattdessen war er schlicht davon ausgegangen, daß er, bis er vielleicht einmal eine junge Frau kennenlernen würde, auf dem Hof seines Vaters bliebe und dort mithülfe, so wie es seine Geschwister, die auch alle noch nicht verheiratet waren, auch taten.
Was danach käme� Nun, in Daishan war es üblich, daß wenn ein Mann die älteste Tochter einer Familie heiratete, dieser den Hof ihres Vaters nach dessen Tod übernahm. Also hätte Joro zweifelsohne wohl irgendwann eine eigene Zucht oder vielleicht einige Getreidefelder besessen und bewirtschaftet.
Er richtete sich halb auf und machte ein kritisches Gesicht.
Aber das wäre doch eigentlich eine Verschwendung all des Wissens seines Großvaters gewesen, das dieser ihm vermittelt hatte. Das hier war nun nicht gerade ein Bauernhof, aber es war auch nicht so klein und überschaubar wie eine kleine Herde oder ein paar Felder.
Die Herde, die hier eigentlich im �Stall� stehen sollte, hatte in ihrem Umfang einen gravierenden Unterschied zu vier Dutzend Rindern.
Ein Mittelweg wäre zweifelsohne etwas angenehmer gewesen, aber am Ende einfach nur herumzuhocken und gar nichts zu tun zu haben, daß irgendwie seinen Geist forderte, war auch nicht ganz das Wahre.
Joro sank zurück auf das Kopfkissen und rückte es zurecht, weil ihm einer der Strohhalme, die es füllten, in den Hinterkopf stach.

Eigentlich hatte er noch weiter nachdenken wollen, aber er mußte wohl invermittelt eingenickt sein, denn als er plötzlich hochschrak, war draußen schon Morgendämmern zu sehen. Es war klamm und nicht sehr warm im Raum und er freute sich darüber, in seiner Robe geschlafen zu haben. Sich jetzt noch in halbfeuchte Klamotten zu zwängen, mußte nicht sein.
Draußen erschütterte ihn ein Anblick der Verwüstung.

Der Wind, der des nachts angefangen hatte, an seinem Fenster zu rütteln mußte zwischenzeitig zu einem regelrechten Frühjahrssturm angeschwollen sein, denn auf dem ganzen Hof lagen zerbrochene, streckenweise fast pulverisierte Ziegel herum. Vorsichtig trat Joro aus seiner Zelle und schaute hoch, aufs Dach. Dort fehlte auf einer vielleicht zwei mal zwei Schritt großen Fläche nicht nur der Ziegelbelag, auch die normalerweise als Dämmung verwendete Schafswolle war komplett durch den Wind herausgerissen worden.
Die Himmel mußten ganz schön gewütet haben, denn die Ziegel waren teilweise eine nicht unerhebliche Strecke vom Dachrand aufgeschlagen.
Es war noch früh und Joro hatte irgendwie den Drang, aufzuräumen, wohl, weil er etwas brauchte, bei dem er in Ruhe nachdenken konnte.
In einer Ecke des Hofes, an der Seite der ehemaligen Kantine, entdeckte er einen kleinen Verschlag, in dem er sowohl eine Schaufel, als auch einige Reisigbesen fand.
Es war mühsam, keine Frage, aber die geistige Leere, die er so dringend brauchte, um Platz für Gedanken zu haben, stellte sich schnell ein.
Also hatte Celestus nichts dagegen, wenn er sich seinen eigenen Interessen widmete, aber nur an zweiter Stelle. Irgendwie gefiel ihm das nicht. Natürlich war es ja so, daß er es nur dem Gott zu verdanken hatte, überhaupt noch zu atmen und hier gerade diese Tonbröckel zusammenzufegen.
Der Haufen der zerbrochenen Ziegel wuchs an und Joro rückte sich allmählich eine andere Erkenntnis in den Kopf. Es ging gar nicht darum, daß der Gott Vorrang vor allem haben wollte, was er fühlte. Celestus wollte nur nicht, daß er vergaß, was der Gott ihm versprochen hatte. Aber warum waren denn alle so besorgt darum, daß er das nicht tun würde? Immerhin stand er doch jetzt hier in diesem Kloster und hatte den Sessel übernommen, auf dem vorher der alte fette Mann gesessen hatte.
�Also ich weiß ja, daß du das haßt, wann immer ich es sage, aber an dir ist wirklich eine Hausfrau verlorengegangen.�
�Ghaundar? Halt die Klappe�, knurrte Joro.
�Ich hab nichts gesagt�, der Drow ließ sich auf einer der Bänke nieder und schaute ihn an, �da hat der Wind aber mächtig reingehaun.�
�Ja� wir werden wohl einen Dachdecker brauchen. Ich hoffe hier lagern wenigstens irgendwo Ersatzziegel.�
�Dreihundertvierzehn.�
�Was?�
�Es sind dreihundertundvierzehn Ziegel im Lager.�
Joro sah Ghaundar mit einer Mischung aus Überraschung und Unglauben an.
�Und woher weißt du das bitte?�
Dieser reckte sich und spielte beleidigt.
�Glaubst du denn, daß ich die letzten Tage nur dumm herumgesessen habe und meine Eier, äh, also nichts getan habe?�
�Aha. Also hast du aus Langeweile Ziegel gezählt�?�
�Nein, du Dumpfkopp. Ich habe mit Toldor zusammen die Listen der Lager überprüft, um herauszufinden, was alles gestohlen wurde.�
Joro hob eine weitere Schaufel mit Scherben auf den kleinen Haufen und setzte sie dann seufzend ab.
�Will ich das Ergebnis hören?�
�Nun ja��, Ghaundar rutsche ein wenig auf der Bank hin und her, �Also zunächst einmal meinte Toldor, daß die Listen mit Sicherheit sowieso gefälscht sind. Daher haben wir sie eigentlich nur benutzt, um zu finden, wo die einzelnen Lagerposten sind. Aber auch das hat sich am Ende als komplett nutzlos herausgestellt.�
�Ihr habt, mit anderen Worten, alles neu gemacht, willst du mir das sagen?�
�Ja.�
�Na herzlichen Glückwunsch, seid ihr schon durch?�
�Fast. Wir haben allerdings noch das Problem, daß wir keine Ahnung haben, wer den Schlüssel für die Schatzkammer hat, vermutlich hat jemand ihn mitgenommen, als er das Kloster verlassen hat.�
�Wo hätte er denn sein sollen?�
�Naja, in der Amtsstube des Bischofs. Aber da ist er nicht. Toldor meinte schon, daß recht wahrscheinlich einer der anderen aus dem Rat den Schlüssel an sich genommen haben muß�, Ghaundar verzog dabei fast mitleidig sein Gesicht, �wobei ich keinen Schimmer habe, warum er das getan hat, weil wir die Tür doch so oder so aufbekommen werden.�
�Vielleicht ein Akt des Trotzes oder dergleichen. Das sollte uns jetzt nicht weiter kümmern.�
�Hm, eins sollte ich dir aber vielleicht noch sagen, Joro��
�Was denn?�
�Vorhin kam der wachhabende Offizier von Tor zu mir und hat mir ein Schreiben Olgerichs gegeben, daß ich an dich weitergeben soll.�
�Ich nehme an, daß du schon hereingeschaut hast?�
Ghaundar machte ein unschuldiges Gesicht und gab ihm, ohne sich dabei vollständig ein Grinsen unterdrücken zu können, eine Schriftrolle.
Joro studierte das Papier kurz und dann sah er den Dunkelelfen böse an.
�Warst du das?�
�Nein. Heute Nacht ist ein Attentäter in den Schloßkeller eingedrungen und hat ihn beseitigt. Ich kann nicht sagen, daß er mir Leid tut, aber auf der anderen Seite empfinde ich auch durchaus etwas wie Enttäuschung.�
�Wie soll denn da jemand hereingekommen sein, das wird doch bewacht oder nicht?�
�Nur weil etwas bewacht wird, heißt das noch lange nicht, daß man da nicht auch hereinkommt�, der Mund des Dunkelelfen formte ein Grinsen, daß wohl nur von seinen Ohren aufgehalten wurde, �Ich bin auch in den Palast gekommen, obwohl draußen eine ziemlich große Menge an Menschen stand.�
Der Bischof kratzte sich das Kinn.
�Wer könnte ihn wohl tot sehen wollen?�
Sie überlegten beide und sahen vor sich hin, als Albrecht um eine Ecke bog.
Ghaundar und Joro sahen sich beide an und fragten dann gleichzeitig, zum Leichnam gewandt:
�Hast du Justin umgebracht?�
Albrecht blieb stehen und musterte beide.
�Und wenn?�
Joros Gesichtsausdruck wurde böse.
�Hast du?�
�Ja.�
Die Fassungslosigkeit, die ihn spontan ergriff war aus irgendeinem Grund von einem Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit über Justins Ableben überlagert. Es war ihm schon bewußt, daß es eigentlich falsch gewesen war, den Mann zu ermorden, aber auf der anderen Seite sagte irgendwas in ihm, daß es richtig war.
Das bereitete ihm Entsetzten vor sich selbst.
Ghaundar hingegen schien ziemlich ruhig. Er kratzte sich mit einem Dolch unter dem linken Daumennagel.
�Dann ist das Problem ja gelöst. Wenn ich ehrlich bin habe ich mir mehr und mehr Gedanken gemacht, wie das wohl zu klären sei. Alles außer seinem Tod hätte uns nur einen weiteren Feind beschert, der solange er lebte auch eine Gefahr gewesen wäre.�
Joro schwieg, er hatte die Fassung immernoch nicht wieder. Albrecht hingegen zuckte mit den Achseln.
�Wenn sich unser neuer Bischof nicht entscheiden kann, muß man halt nachhelfen. Justin hatte schon wieder versucht mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. Gestern Nacht war ich in der Stadt und mir wurde das Eine und Andere geflüstert.�
Der junge Mann sah in seine Richtung, aber seine Augen waren immernoch recht glasig.
�Es gab keinen Ausweg, willst du mir das damit sagen?�
�Richtig�, kam es trocken zurück.
Joro wandte sich wieder seiner Arbeit zu und fegte weiterhin Scherben der Ziegel zusammen.
Während er so weitermachte, sah er, wie Ghaundar mit den Schultern zuckte und sich aufmachte, ins Hauptgebäude zu gehen. Albrecht hingegen blieb stehen und schaute ganz unverhohlen in seine Richtung.
�Was willst du Albrecht?�
�Gehe ich recht in der Annahme, daß dir die Art und Weise, wie das geregelt wurde, ganz und gar nicht gefällt?.�
Bischof Macun machte noch ein paar Besenstriche und stellte das Werkzeug dann energisch vor sich auf den Boden.
�Nein. Warum sollte ich auch. Ich habe die Leute hier herausgeworfen, weil ich aus einer Räuberhöhle wieder ein Kloster, einen geistlichen Ort machen wollte.�
�Das spricht dir ja auch keiner ab, mein Junge, aber dennoch wirst du nicht umhin können, der Realität ins Auge zu blicken.�
�Und wie sieht diese Realität deiner hochgeschätzten Meinung nach aus?�
�Wie bereits gesagt wurde. Ohne seinen Tod hättest du weiterhin mit der Gefahr leben müssen, daß er versucht, dich aus dem Weg zu räumen.�
�Und die Gefahr ist jetzt gebannt, ja? Weil mit Justin alle meine Feinde auf dieser Welt verschwunden sind��
�Nein, das hat doch niemand behauptet. Zumindest jedoch ist der eine große Feind den du hier vor Ort hattest und der dich direkt in deiner neuen Position hätte angreifen können, nun aus der Welt.�
Joro schaute zu Boden und dachte wieder eine Weile nach. Dann sah er wieder auf und meinte trocken zu Albrecht.
�Gut. In Zukunft läßt du solche Entscheidungen aber mich treffen, hast du verstanden?�
Albrecht zögerte. Eigentlich hätte er etwas zynisches entgegnen wollen, aber er sah einen starken unterschwelligen Zorn in Joros Augen und wollte die Situation nicht eskalieren lassen. Stattdessen nickte er stumm und wandte sich zum Gehen.
�Halt mal.�
�Was?�, der Leichnam drehte sich wieder zum Bischof.
�Sag Ghaundar, daß er die Ziegel besorgen soll, ich will, daß das Dach bis heute Nachmittag wieder dicht ist.�

Der folgenden Stunden verliefen, wie erwartet, mit viel Schwitzen und einigen blauen Flecken, weil es eben nicht gerade angenehm war, mit ein paar wenigen, zu Bündeln zusammengebundenen Dachziegeln auf dem Rücken eine wacklige Leiter hochzuklettern. Ghaundar hatte ja vorgeschlagen, das ganze von innen zu erledigen, aber der Plan funktionierte nicht, weil die einzige Leiter des Klosters zu lang war, um sie durch die Treppenhäuser in den Dachstuhl zu bekommen. Irgendwann war es Joro zu blöde geworden und er hatte fluchend einfach draußen die Leiter angelehnt und begonnen, die Ziegel hochzutragen.
Er war sich sicher gewesen, daß Dachdecken eine recht idiotensichere Aufgabe sei, aber das stellte sich schnell als Irrtum heraus.
Ghaundar seinerseits konnte zwar prima Jagen und Fallenstellen, aber auch er war offensichtlich nicht für eine derartige Arbeit geschaffen.
Dementsprechend sah das Resultat aus.
�Sollte Omareth das jemals zu sehen bekommen, wird er sicherlich kotzen�, Ghaundar stopfte sich Kautabak in den Mund.
�Hm, dann solltest du ihm erzählen, daß das schon so ausgesehen hat, als wir hier angekommen sind.�
�Ach��, der Dunkelelf rückte das kleine Päckchen unter seiner Lippe zurecht und sah Joro verschmitzt an, �ich bin ja verwundert, wie diese Rune nicht davor schützt, andere zum Lügen zu verleiten.�
�Welchen Spaß hätte man denn sonst noch im Leben�, gab Joro mit einem Grinsen zurück.
Ghaundar sah das Dach prüfend an.
�Meinst du, daß das so regendicht ist?�
�Das sollte es besser, ich hab die Schnauze nämlich gestrichen voll. Nochmal steig ich jetzt bestimmt nicht herunter und hole Ziegel.�
Mit einem seinen Gleichmut ausdrückenden Achselzucken stand der Drow auf begann die Leiter herabzusteigen, aber er hielt noch einmal inne.
�Hast du eigentlich keinen Hunger?�
�Nein. Ich bleibe hier noch eine Weile sitzen und lasse den Schweiß ein wenig von Wind und Sonne trocknen.�
�Du hast aber nicht irgendwelche Drogen genommen oder?�
�Mann! Ich will noch etwas nachdenken��
�Das hättest du doch auch einfach sagen können�, feixte Ghaundar und stapfte dann weiter die Leiter herunter.

Joro streckte sich und hielt sein Gesicht in die Sonne, die prall vom Himmel schien und eigentlich eher dafür sorgte, daß er noch mehr schwitzte, als daß er ein wenig trocknete. Die schwarze Robe half auch nicht wirklich dabei, sich kühler zu fühlen, aber er mußte einmal eine Bestandsaufnahme machen.
Innerlich hakte er eine Liste von Dingen ab, die er in den letzten paar Tagen alle geschafft hatte.
Bischof werden. Naja, das war nicht gerade geplant gewesen, aber es hatte dennoch geklappt.
Er hatte auch Albrechts Buch gelesen, das er ziemlich lehr- und hilfreich gefunden hatte. Wenn er sich den Leichnam und seine Sicht der Dinge zur heutigen Zeit so anschaute, konnte er zwar überhaupt nicht verstehen, wie ein solches Individuum einmal ein solches Werk zustande gebracht hatte, aber dennoch ertappte er sich dabei, wie er einen gewissen Respekt für den alten Knochensack empfand.
Das Gold des Klosters, hatte er ebenfalls schon eingeplant, für die Aufstellung einer Armee, die zumindest diesen Teil Daishans verteigen helfen konnte.
Joro setzte sich unvermittelt auf.
Was war eigentlich mit den anderen Städten des Landes. Olgerich hatte kein Wort darüber verloren und obwohl er keine Ahnung hatte, welche Gründe der Fürst dafür haben konnte, nichts darüber zu erwähnen, stellte sich Joro doch stark die Frage, ob diese eigentlich Bescheid wußten � was er annahm � und ob sie schon Gegenmaßnahmen in die Wege geleitet hatte, was er stark hoffte.

�Euer Eminenz? Seid Ihr da oben?�, Toldors Stimme erscholl unten im Hof.
�Ja, einen Moment, ich komme herunter!� Auch wenn seine Knochen schmerzten und er sich am liebsten auf dem Dach schlafen gelegt hätte, mühte sich Joro auf die Leiter und stieg sie herab.
Der alte Mann im Hof wartete geduldig und nicht ohne ein Schmunzeln ob des ächzenden, jungen Mannes, der zu ihm herabkam, ächzend und stöhnend, als habe er die Gicht, bis Joro vor ihm Stand. Dann sagte er mit einem Lächeln:
�Ich habe gestern die Schlüssel zur Schatzkammer des Klosters wiedergefunden und kann Euch sagen, daß nichts fehlt.�
�Na, das ist die erste gute Nachricht des Tages. Also kann ich annehmen, daß das, was in den Büchern steht auch tatsächlich den Umfang dessen beschreibt, was sich darin befindet?�
�Sozusagen, ja.�
�Warum nur �sozusagen�?�
�Weil ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen kann, daß nicht vielleicht einzelne, wertvolle Teile fehlen, aber sehr viel kann es nicht sein, Gold hat ja die Eigenschaft, ein sehr schweres Material zu sein. Die Schlüssel habe ich eher durch Zufall auf einem der Aborte gefunden. Es scheint mir fast so, als hätte da jemand gehadert, ob er sie nicht einfach hineinwerfen sollte.�
�Ich glaube, daß wir alle froh sein können, daß er das nicht getan hat.�
�Ähm�ja. Wollt Ihr die Schatzkammer besichtigen, Euer Eminenz?�
�Hm, gut, können wir machen, aber ich muß erst einmal eine frische Robe anziehen und mich waschen�, Joro sah sich etwas unbeholfen um.
�Kann ich Euch irgendwie helfen?�
�Also� ich habe mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie und wo ich mich richtig waschen könnte, die letzten Tage hat es nur zu einer Katzenwäsche mit der Pumpe in der Messe gereicht� und ich hätte da auch noch Kleidung, die ich waschen muß��
Toldor sah ihn verständnislos an.
�Wie kommt Ihr auf solche Ideen? Oben in Euren Gemächern hängen ganze vier Schränke mit sauberen Roben und allerlei anderen Annehmlichkeiten. Dort ist auch ein großes Badezimmer, in dem Ihr Euch waschen könnt.�
�Versteht mich nicht falsch, Toldor�, Joro verzog das Gesicht, �Aber ich empfand sowohl den alten Bischof, als auch Justin als ausgesprochen widerliche und unangenehme Menschen. Ich möchte mich ungern in ihre Gewänder hüllen, geschweige denn in einem Bett schlafen, das einer von den beiden benutzt hat.�
Der alte Mönch brach in lautes Lachen aus.
�Oh, was denkt Ihr denn�, japste er, �glaubt Ihr etwa, daß die Gemächer nicht gesäubert wurden? Justin hat sogar niemals in den Räumen des Bischofs geschlafen oder gewohnt. Vor der Wahl waren die Türen für ihn genauso verschlossen, wie für jeden anderen auch. Und eine neue Matratze für das Bett im Bischofsgemach wird sich auch ohne Probleme finden lassen.�
�Hatte Justin nicht gesagt, daß er sich in diese Räume zurückziehen wollte?�
�Ihr kanntet doch seinen Hang zur Übertreibung. Seine eigenen Wohnräume befanden sich direkt angrenzend und er hat sie gerne genauso bezeichnet.�
Sanft aber bestimmt stubste Toldor Joro an, daß er gehen sollte.
�Macht Euch frisch und kleidet Euch neu ein, ich werde dann unten in der Eingangshalle warten.�

Zum ersten Mal betrat Joro die bischöflichen Gemächer. Gehört hatte er ja schon einige Male davon, aber er hatte sie aus den Gründen, die er Toldor genannt hatte eigentlich vermieden, näher zu betrachten.
Der Hauptraum war ein Schlafzimmer mit einem gigantischen Himmelbett, gut drei mal drei Schritte groß. Außer einem kleinen Frühstückstisch und einem recht großen Kamin standen hier nur noch die besagten Schränke.
Am anderen Ende des Raumes führte eine Tür in ein komplett mit blauen Keramikfliesen gekacheltes Badezimmer, mit einem Basin, und einigen Becken an der Wand. Eine weitere kleine Tür führte zu einem Abort, dessen Benutzung für Joro für den Rest seines Lebens nicht in Frage kam, wenn er sich an den alten Bischof erinnerte. Daran hätten auch drei Jahrhunderte des Putzens niemals etwas geändert.
Er war erstaunt, daß das Wasser im Basin und auch das in den Becken frisch zu sein schienen. Außer Toldor und dem Koch mit dem seltsamen Vornamen kam niemand in Frage, der dafür Sorge getragen haben könnte und er konnte sich kaum vorstellen, daß der Koch außerhalb seiner Küche irgendwelche Interessen hatte. Man sah ihn ja praktisch niemals.
So seine Annahme also richtig war und der alte Mann das ganze Naß nach hier oben gebracht hatte, wäre er sich schäbig vorgekommen, hätte er nicht davon Gebrauch gemacht.
Joro nahm seufzend die Seife, die penetrant nach Lavendel roch und hockte sich, nachdem er sich seiner Robe entledigt hatte, in das eiskalte Wasser des Basins, denn leider hatte man sich nicht die Mühe gemacht, es vorher in dem Kessel zu erwärmen, der danebenstand.

Naturgegeben fiel das Bad denkbar kurz aus. Eine Blasenentzündung wollte er sich nicht unbedingt holen, aber nach der Hitze auf dem Dach wirkte das Wasser geradezu himmlisch, wie er zugeben mußte.
Der Lendenschurz roch wie eine Bärenhöhle, sodaß er davon Abstand nahm, diesen wieder anzulegen, nachdem er sich abgetrocknet hatte. Die Handtücher waren aus Seide und rochen ebenfalls penetrant nach Lavendel. Allein für den Kauf der Tücher, der Seife und des Parfums mußten halbe Vermögen aus dem Fenster geworfen worden sein. Die Pflanze wuchs hier oben nicht und Händler wollten für dergleichen �exotische� Genüsse in der Regel astronomische Summen haben.
Auch das würde sich ändern.
Die vier Schränke des Schlafzimmers waren vollgestopft mit Roben und Festgewändern, die alle groß genug waren, um für zwei Menschen ein brauchbares, geräumiges Zelt abzugeben. Zudem waren sie überladen mit Verbrämungen, Säumen mit Goldfäden und dergleichen nutzlosem Tand. Natürlich wußte Joro solcherlei Kostbarkeiten bis zu einem gewissen Maße zu schätzen, zum Beispiel wenn er an die Robe dachte, die er auf dem Neujahrsfest der Enklave getragen hatte. Aber diese hatte eine besondere Geschichte hinter sich und war eine Ausnahmebekleidung.
Sein Vorgänger hingegen hatte sich offensichtlich ständig in derartige Kleidung gehüllt und das kam für den neuen Bischof nicht in Frage. Irgendwo in diesem Sammelsurium der Eitelkeiten mußte es doch�
Im letzten Schrank wartete eine Überraschung auf ihn.
Dort hingen fein säuberlich aufgereiht und offenbar nagelneu, vier pechschwarze Roben aus gefärbtem Leinen, jede nur mit einem roten, mit Sicheln bestickten, breiten Gürtel versehen. Alle in seiner Größe.
Toldor der alte Fuchs. Joro mußte grinsen. Der alte Mönch hatte sogar an frische Tücher für Lendenschurze und sogar Strümpfe, ebenfalls aus schwarzem Leinen, gedacht.
Joro zog sich komplett an und schaute dann in den großen Silberspiegel, der mitten zwischen den Schränken hing. Da ihn Spiegel normalerweise dazu trieben, Faxen zu machen, riß er sich zusammen, nickte sich selbst ob des Ergebnisses zu und ging dann herunter in die Eingangshalle.
Dort wartete, an eine Säule gelehnt, der alte Mann auf ihn. Als er den Bischof kommen sah, lächelte er wissend.
�Wie ich sehe, habt Ihr gefunden, was für Euch bereitstand.�
Der Bischof entgegnete nichts, sondern lächelte nur zurück. Toldor seinerseits machte sich auf und deutete Joro, ihm zu folgen.
Sie gingen durch ein paar Korridore, was Joro wieder einmal dazu brachte, keine Ahnung zu haben, wo im Kloster sie sich gerade befanden und stiegen dann eine große, halbkreisförmige Treppe herab in das Kellergeschoß der Anlage.
�Wir befinden uns unter der Kathedrale, Euer Eminenz. Die Krypta ist direkt nebenan, daher der etwas modrige Geruch��
Toldors Aussage hatte Joros Frage erübrigt. Hier unten roch es gelinde gesagt etwas streng nach alten Knochen.
Vor einer großen Eichentür kamen sie zum Stehen. Während der Mönch einen großen Schlüsselbund unter seiner Robe hervorkramte, sah sich Joro um.
Im Gegensatz zum oberen Teil des Klosters, war der Keller eine grobe Untertreibung. Die Wände waren nicht mit Obsidian verkleidet, sondern nur nackter Sandstein. Es gab auch keine Verzierungen, sondern nur Mauerwerk.
Das Türschloß knirschte und quiekte und die große Tür öffnete sich einen Spalt breit.
�Wenn Ihr mir bitte helfen würdet..? Vorhin hat mir Franz kurz geholfen, aber so ganz allein schaffe ich es nicht��
Gemeinsam stemmten sie die Tür weit genug auf, daß ein Durchgehen möglich war und schlüpften dann in die Kammer dahinter.
Kammer? Es war eine Halle�
Vor Joros Augen erstreckte sich das Testament dessen, was Jahrzehnte des Betruges an den Gläubigen als Ergebnis eingebracht hatten. Mannslange Kisten, gefüllt mit Gold- und Platinmünzen, Kerzenständer aus vergoldetem Silber, etliche Gobelins, mit Goldfäden bestickt, weitere Kisten, gefüllt mit Schmuck und Edelsteinen.
Auch an reich verzierten Kultgegenständen fehlte es nicht, wobei da offenbar kein Unterschied zwischen Dingen, die der Celestusreligion angehörig waren und fremden gemacht worden war. Es schien fast so, als sei hauptsächlich wichtig gewesen, daß diese aus Edelmetallen bestanden und/oder mit Edelsteinen besetzt waren.
Völlig fassungslos starrte er auf die Haufen an Wertgegenständen vor ihm.
�Geht es Euch gut, Eminenz?�
�Ja�ja. Ich hab mich gleich wieder im Griff.�
Eigentlich hätte ihn ja jetzt so etwas wie Gier oder zumindest Besitzdenken ergreifen müssen, aber Joro fühlte nur unbändigen Zorn. Er hatte nicht vergessen, wie die Wachen mit den Armen am Tor umgegangen waren, auf Befehl des Ordinarius hin. Wie konnten diese Menschen auch nur einen einzigen Augenblick ihres Lebens, ohne vor Scham im Boden versinken zu müssen, wenn sie all das an sich nahmen und draußen in der Stadt lebten Menschen ohne Dach über dem Kopf.
Das brachte ihn doch glatt auf eine Idee�Aber das mußte erst einmal warten.
�Sehe ich das richtig, daß meine vorherige Annahme von ein paar Tausenden Talern hier um ein Vielfaches übertroffen wurde?�
�Das könnte man ohne zu übertreiben annehmen, Euer Eminenz� Ihr seid jetzt vielleicht der reichste Mann Daishans��, Toldor zuckte zusammen, als ihn Joros vernichtender Blick traf, �Nein, wartet, laßt mich das anders ausdrücken��
�Wir wissen beide, was ich davon halte, oder Toldor?�, sagte Joro, ohne dabei die Zähne auseinanderzunehmen.
�Ja, verzeiht mir bitte��
�Schon gut. Ich habe bereits Einiges damit vor, lange wird das hier nicht bleiben, dessen könnt Ihr Euch sicher sein�, der Bischof drehte sich einmal um die eigene Achse, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, dann sah er zu einem Pult, das zwischen den Truhen stand, �Ist das die Bestandsliste?�
�Das ist sie, Euer Eminenz. Und bitte seid doch so frei und sagt �du� zu mir.�
Obwohl Joro das aufgrund Toldors� Alter widerstrebte, nickte er.
Das Buch, daß auf dem Pult lag, war aufgeschlagen und hatte beim Durchblättern eine gehörige Anzahl von Zugängen, aber auch Ausgaben zu verzeichnen. Wenn er die Summen, die dort standen, ansah, wurde Joro fast schwindlig.
Dabei stellte sich ihm eine Frage. Bargum war nicht gerade eine Großstadt und auch das, was man �Stadtadel� hätte nennen können, also die Patrizier, die reichen Kaufleute, waren nicht das, was man wirklich stinkreich nennen würde. Daishan war hauptsächlich ein Land des Ackerbaus und der Naturprodukte, wie Fellen, Wildfleisch und dergleichen. Bergbau gab es außer ein paar Eisen- Kupfer und Silberminen praktisch gar nicht.
Wo zum Henker kamen also diese Kostbarkeiten her? Außerhalb Daishans gab es, wenn er richtig annahm, keine Gläubigen, denn diese Religion, und damit auch ihre Kirche, waren ein lokales Phänomen.
Die Runzeln auf seiner Stirn hatten Toldor wohl dazu gebracht, zu raten, was der Bischof gerade dachte. Seine erste Frage brachte es sofort auf den Punkt:
�Ihr wollt wissen, woher all dies kommt?�
�Genau��
�Nun, es ist einige Zeit vergangen, seit die Kirche gegründet wurde. Währenddessen haben sich mehrere Bischöfe nebenberuflich als Händler und Geldverleiher betätigt.�
�Nebenberuflich, eh��, Joro sah ihn schief an, �da hatten sie bestimmt noch besonders viel Zeit, ihren eigentlichen Aufgaben nachzugehen��
Toldor zuckte mit den Achseln.
�Wir werden wohl kaum diskutieren müssen, was hier alles nicht so geschehen ist, wie sich Erzbischof Albrecht das ausgedacht hat. Aber Ihr könnt Euch doch darüber freuen, daß am Ende so viel Reichtum dabei herausgekommen ist, daß Ihr jetzt alles damit tun könnt, was Ihr für eine Neuformierung unserer Kirche für richtig erachtet?�
Es beruhigte Joro ungemein, wieder einmal darin bestätigt zu werden, daß er nicht allein war auf der Welt. Der alte Mann war ihm innerlich näher, als ihm vielleicht bewußt gewesen war. Die Jahre in der Gegenwart der widerlichen Halunken und Idioten, die sich Diener des Celestus nannten, hatten nichts an seiner Einstellung geändert, das war sicher.
Wortlos nickte er und wandte sich, um zu gehen, da stürmte Ghaundar in die Schatzkammer. Kurz hielt er inne und schaute kurz, aber durchaus nicht uninteressiert auf die Reichtümer im Raum, dann sah er wieder zu Joro und Toldor.
�Ihr müßt nach oben kommen. Da ist etwas geschehen, daß ihr beide nicht glauben werdet!�
Sie rannten, so schnell sie konnten hinter dem Dunkelelfen her, der immer drei Stufen der Treppe gleichzeitig nahm. Natürlich war Toldor mit seinen alten Knochen nicht ganz so schnell, aber Joro half dem Mönch, schneller voranzukommen.
Sie eilten Ghaundar nach, der sie zur Eingangshalle führte. Dort erwartete sie ein erstaunlicher Anblick.
Im Foyer des Klosters standen mindestens 50 Männer, alle in schlichte, schwarze Roben gehüllt, die schweigend in seine Richtung sahen.
Vor ihnen stand der Hauptmann der Wache und wirkte unschlüssig, ob er das richtige getan hatte, sie einzulassen, aber irgendetwas in ihm hatte ihn daran gehindert.
Zunächst dachte Joro daran, daß nun die Zeit der Abrechnung über ihn gekommen sein mußte. Sozusagen ein Lynchkommando der vertriebenen ehemaligen Mönche. Aber dann wäre Ghaundar wohl anders zu ihnen in den Keller gekommen, also konnte es das nicht sein.
Er machte dem Hauptmann ein Zeichen, daß es in Ordnung sei und dieser verließ erleichtert die Halle.
Die Antwort auf Joros nicht gestellte Frage über die Gründe ihrer Anwesenheit wurde ihm abgenommen, als einer der Männer, um die Fünzig, mit einem kurz gestutzten grauen Kinnbart, vortrat, niederkniete und dann mit einer sehr tiefen, sonoren Stimmer fragte:
�Seid Ihr Joro Macun, der neue Bischof?�
Dabei sah er allerdings Toldor an und nicht Joro. Dieser hob eine Augenbraue, aber der alte Mönch schüttelte den Kopf.
�Nein, dieser junge Herr hier ist unser Bischof.�
Zum Erstaunen Joros zuckte der Mann vor ihnen mit keiner Wimper, sondern wandte sich sofort an ihn.
�Wir sind reisende Totengräber, denen gesagt wurde, daß hier in Bargum eine Wende stattgefunden hat. Mit großer Freude konnten wir dabei vernehmen, daß eine Reformation zurück zu den alten Werten stattzufinden scheint. Wir haben uns auf dem Weg hierher zusammengefunden und sind alle mit dem Ziel gekommen, Euch dabei zu helfen, was Ihr Euch hier vorgenommen habt.�
Joro war verblüfft. Er hatte ja schon damals von Albrecht gehört, daß es nicht mehr viele der reisenden Totengräber gab, daher mußten diese hier so in etwa alle von ihnen sein.
�Äh, ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, zunächst einmal heiße ich euch alle hier willkommen�, dabei stellte er gleichzeitig in seinem Kopf die Frage an Celestus, ob vielleicht faule Eier unter den Neuankömmlingen waren, was dieser aber nicht beantwortete, �wie ihr seht, bin ich außerordentlich überrascht, euch hier begrüßen zu dürfen, aber ich war auch gerade mit recht wichtigen Dingen beschäftigt, daher war ich auf eine derartige Ankunft nicht vorbereitet�, er unterbrach sich kurz, dann fuhr er fort, �Wenn ich recht überlege, wäre ich innerlich wohl so oder so nicht darauf vorbereitet gewesen.�
Der Mann, der mit ihm gesprochen hatte lächelte nur.
�Macht Euch keine Sorgen, Euer Eminenz, wir werden zunächst einmal zusehen, daß wir uns Unterkünfte besorgen und dann wollen wir versuchen herauszufinden, was zu tun ist.�
�Die Zelle 24 ist belegt, nur damit ihr nicht plötzlich vor einem Problem steht.�
Mit einem Blick auf Toldor nickte der Totengräber, aber Joro schüttelte nur lächelnd den Kopf.
�Nein, es ist meine Zelle, nicht seine.�
Für einen Moment war er sich sicher, in den Augen des Mannes so etwas wie Bewunderung gesehen zu haben.


Kapitel 24


Mit einem Male war wieder Leben in das Kloster eingekehrt. Mit einer Mischung aus Erstaunen und Faszination sah Joro dabei zu, wie der Troß an Männern, die genau wie er nur die schlichte, schwarze Robe des Totengräbers trugen, wortlos und als sei es das Natürlichste auf der Welt, begannen, sich im Kloster zu verteilen, ein jeder eine Zelle nahm und dann losgingen und ordentlich in die Hände spuckten.
Einige gingen Holz hacken, andere schnappten sich Besen und Schaufeln und machten die Höfe sauber, wiederum andere begannen Fensterscheiben zu reinigen oder das Innere der Klostergebäude zu fegen.
Der Anführer der Gruppe kam, nachdem er sein Gepäck in eine der Zellen gebracht hatte, sofort wieder zu Joro.
�Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, Euer Eminenz. Mein Name is Marinus, ich stamme aus den Südprovinzen und befinde mich seit 32 Jahren im Dienste unseres Herren.�
�Äußerst angenehm, ich heiße Joro und äh, naja� Ich habe was das angeht noch nicht einmal ein halbes Jahr auf dem Buckel.�
Wiederum war Marinus offenbar überrascht, aber er kommentierte Joros Aussage nicht, stattdessen fragte er freundlich:
�Gibt es irgendwelche wichtigen Dinge, bei denen wir euch zur Zeit helfen könnten?�
�Nun, ich würde Euch gerne ein paar Fragen stellen, wenn es nicht allzuviel ausmacht. Ehrlich gesagt fühle ich mich ein wenig überrumpelt, was Eure Ankunft und dergleichen angeht.�
�Wie Ihr wünscht, aber ich bitte Euch, die förmliche Anrede auf ein �du� zu reduzieren. Ich bin nur ein einfacher Totengräber.�
�Das bin ich auch, aber mich reden alle mit �Ihr� und �Euer Eminenz� an.�
�Könnte es daran liegen, daß Ihr der Erzbischof seid?�
Joro war es leid, darüber zu diskutieren und fügte sich. Zunächst einmal.wollte er die Hintergründe klären und er war auch immernoch ein bißchen vorsichtig, weil mißtrauisch.
Toldor, Joro und Marinus gingen zum Speisesaal hoch und setzten sich an die Tafel. Toldor hatte beim Hereinkommen die Leine gezogen, die Franz unten in der Küche das Signal gab, daß jemand zum Essen da war.
Marinus sprang sofort auf, um in die Küche zu rennen, aber Toldor und Joro machten ihn schnell und effizient auf eine gewisse Regel aufmerksam, die er zunächst mit Unglauben hörte, dann aber als gegeben hinnahm und sich an den Tisch setzte.
Sie saßen eine Weile schweigend da, dann ergriff Joro das Wort.
�Seid Ihr, Verzeihung, bist du ein gebürtiger Daishani, Marinus?�
Wortlos senkte der Totengräber den Halssaum seiner Kutte, was die Rune zum Vorschein brachte.
�Gut. Ich werde dir ein paar Fragen stellen müssen, die vielleicht ein wenig harsch klingen mögen, aber sie sind nach den Vorgängen in diesem Kloster, was die letzte Woche betrifft dringend notwendig.�
�Ich fürchte mich nicht davor, Euch Rede und Antwort zu stehen, Eminenz.�
�In Ordnung, also��, Joro reckte sich ein wenig in seinem Sessel, �Wie habt ihr alle so schnell von meiner Wahl erfahren?�
Marinus lächelte verschmitzt.
�Es wurde uns von höherer Stelle mitgeteilt. Genauer gesagt schon ein paar Tage vor Eurer Wahl.�
�Soso�, dachte Joro. Zudem erübrigten sich mit dieser Information und dem Wissen um die Rune auf Marinus� Hals einige seiner weiteren Fragen, darunter ein paar, die ihm wirklich wichtig waren.
�Und wie habt ihr euch alle gefunden?�
�Es wurde uns ein Treffpunkt mitgeteilt, an dem wir uns alle vorgestern eingefunden haben. Von dort aus sind wir dann gemeinsam nach Bargum gegangen.�
�Und ihr seid alle Wanderpriester? Ich meine gehört zu haben, daß das kaum noch Usus ist.�
�Ja, das ist richtig. Viele von uns kamen aus sehr entlegenen Gegenden, bei einigen war deren Akzent so stark, daß wir sie selbst nicht so recht verstanden. Außerdem ist das nur ein Mythos, den die Kirche gestreut hat. Viele von uns gehen genau wie unsere Vorfahren noch den Weg des ewigen Pilgers.�
Joro war beeindruckt.
�Dann ist schon alles gesagt, was mich interessiert hat. Nun sollte es an dir sein, Fragen zu stellen.�
Der Totengräber sah ihn nachdenklich an und überlegte. Dann erhellte sich sein Miene und er fragte:
�Was sind Eure konkreten Pläne für die Zukunft unserer Kirche?
�Ich werde dafür sorgen, daß all das Geld, was unten um Keller Schimmel ansetzt, einem praktischen Nutzen zugeführt wird.�
�Das heißt?�
�Das heißt zunächst einmal eine Unterbringung der Armen in dieser Stadt, die ihrer gerecht wird. Und ich werde eine Armee ausheben, um der Gefahr aus dem Süden die Stirn zu bieten.�
Marinus nickte.
�Also sind die Berichte über die goldene Legion schon bis hierher durchgedrungen?�
�Sozusagen� Ich bin in den letzten Wochen mehr als nur einmal das Ziel ihrer Attacken gewesen.�
�Ich�verstehe nicht?�
�Es ist eine lange Geschichte, die ich dir eines Tages einmal erzählen werde.�
�Hat die Anwesenheit des Drow in diesem Kloster damit zu tun?�
�Ja. Er ist mein Freund und ich hoffe, daß ihr ihm alle freundlich begegnen werdet.�
�Seid ohne Sorge, Eminenz. Jeder, der die Gastfreundschaft dieses Ortes in Anspruch nimmt wird mit dem gleichen Respekt behandelt werden. Keiner aus meiner Gruppe wird da eine Ausnahme machen.�
�Das freut mich.�
Die Tür zur Halle ging auf und Franz rollte einen großen Wagen, der bis zum Rand mit Essen gefüllt war hinein. Joro überlegte kurz und nahm dann das Messer, das vor ihm lag und den Messingteller.
�Wenn ihr beide mich wohl kurz entschuldigen würdet?�
Marinus und Toldor sahen ihn fragend an, aber keiner von beiden sagte etwas.
Der Bischof verließ den Speisesaal und ging hinunter zur Eingangshalle.
Wann immer er auf dem Weg an einem der arbeitenden Totengräber vorbeikam sagte er knapp: �Weitersagen, oben im Speisesaal des Bischofs gibt es zu Essen für alle.�
An der Pforte angekommen stellte er sich auf die Treppe zum Hof und schlug mehrere Male hart mit dem Messer auf den Teller ein.
�Hört mich an!�, rief er, �Oben im Speisesaal des Bischofs gibt es etwas zu essen! Ihr seid alle herzlich eingeladen!�
Kurze Zeit später kam er wieder zur Tafel, einen verbeulten Teller in der Hand und grinste, als er sich hinsetzte und sah, daß bereits einige der Neuankömmlinge begonnen hatten, sich etwas vom Wagen zu nehmen.
�Es tut mir leid, daß hier nicht genug Sitzplätze vorhanden sind, aber ihr könnt ja einige der Stühle aus den angrenzenden Zimmern nehmen, die braucht sowieso keiner.�
�Danke, wir können auch stehen�, rief einer der Totengräber aus der größer werdenden Menge fröhlich.
Toldor saß am Tisch und schmunzelte.
�Wenn mir vor zwei Wochen noch jemand gesagt hätte, das dies alles hier einmal geschehen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt.�
Joro grinste fröhlich.
�Ich hoffe, daß du von mir nicht diesen Eindruck hast.�
�Nein, ganz und gar nicht�, lachte Toldor, �Eher habe ich das Gefühl, daß endlich Leben in diese sonst so toten Hallen einkehrt.�
�Laß dich bloß nicht dazu hinreißen, ein böses Wortspiel zu machen�, kicherte Joro.
Die ganze Halle lachte.
Mit einem Male verstummte das Lachen allerdings. Der Grund dafür war Ghaundar, der hinter Joro in den Saal getreten war. Doch der Bischof wollte den Anfängen wehren, daher stand er auf und wies mit dem rechtem Arm auf den Dunkelelfen.
�Werte Herren, darf ich euch allen meinen besten Freund Ghaundar vorstellen. Er ist ein Anhänger der Eilistraee und seit einigen Wochen an meiner Seite.�
Alle anwesenden Totengräber verbeugten sich vor Ghaundar, dem das offensichtlich peinlich war.
Der schaute gespielt gekränkt.
�Na toll, erst bin ich eine Spaßbremse und dann werde ich auch noch behandelt wie eine Berühmtheit��
�Meine Herren, keine Zeit für Förmlichkeiten. Wie ich den Koch kenne, wird er in Kürze mit dem nächsten Wagen da sein und dann verhaut er jeden, der nicht aufgegessen hat�, und als Joro sah, daß einige von ihnen Anstalten machte, loszulaufen und zu helfen, fügte er hinzu: �Und ich rate jedem, nicht in die Küche zu gehen, weil er euch sonst noch viel schlimmer zurichten wird. Franz ist eigen, was sein Revier angeht.�
Trotz der Irritation, die diese Information bei vielen von ihnen zu erzeugen schien, hielt dieser Ausspruch alle davon ab, ihrer zunächst getroffenen Entscheidung nachzugehen. Stattdessen nickten sie eifrig und aßen weiter.
Eine Weile lang waren alle mit Essen und dem Erzählen von Anekdoten beschäftigt, bis Joro noch etwas Wichtiges einfiel.
�Ach, meine Herren, ich habe euch noch etwas zu verkünden, was von großer Wichtigkeit ist.�
Alle sahen interessiert in seine Richtung, während Franz sozusagen halb hinter den Kulissen den alten Wagen holte und einen neuen plazierte.
�Solltet ihr hier im Kloster auf einen, sagen wir, eher seltsamen Mönch treffen, dann laßt euch von ihm nicht beirren. Er ist eine der wichtigsten Personen, die hier zugegen sind.�
Über den Köpfen der Anwesenden standen sprichwörtliche Fragezeichen.
Joro fragte sich erst, ob er ihnen alle reinen Wein einschenken sollte, aber er entschied sich dagegen. Ghaundars Existenz mußte für viele von ihnen schon ein harter Brocken sein, das Faktum, daß der Kirchengründer ebenfalls durch diese Halle schlurfte wäre vermutlich zu viel gewesen.
�Laßt es erst einmal dabei bewenden. Ihr werdet beizeiten alle erfahren, was es damit auf sich hat.�
Die meisten zuckten mit den Achseln und die Gespräche gingen von Neuem los.
Irgendwie fühlte sich das Kloster wiederum anders an. Mit einem Male war wieder Leben hier. Aber im Gegensatz zu vorher fühlte es sich nicht feindselig oder schlecht an, sondern ausgesprochen positiv, fast�heimisch?
Der Gedanke erschreckte Joro zutiefst. Hatte er die Enklave schon so sehr vergessen? Es war an der Zeit dorthin zurückzukehren, das war klar.
Ghaundar sah ihn an und formte mit den Händen �ich weiß, was du gerade denkst und empfinde das Gleiche�.
Unbeholfen machte er die Gesten für �ich arbeite daran�, was Ghaundar zum Grinsen brachte, aber er nickte.
Im weiteren Verlauf des Abends lernte er einige der Neuankömmlinge näher kennen. Und tatsächlich waren nicht nur alle echte Daishani, er fand auch keinen unter ihnen, der annähernd den Eindruck machte, etwas Übles im Schilde zu führen. Er ertappte sich dabei, daß das seine Skepsis nur noch verstärkte. Das war einfach zu gut, um wahr zu sein. Dennoch. Keiner von ihnen konnte lügen, er wußte irgendwie, daß keine der Runen auf ihren Kehlen gefälscht war.
Diese Gruppe von Mönchen war ein Geschenk seines Gottes, das war ihm klar und er dankte Celestus in Gedanken mehr als einmal dafür, diese Männer gesandt zu haben. Es würde so unendlich Vieles einfacher machen.
Die Sonne ging bald unter und im Zuge des Mahles, das vor allem durch gehörigen Hunger seitens der Totengräber geprägt war, wohl als Resultat ihres langen Marsches, brillierte Franz der Koch damit, immer wieder wie aus dem Nichts einen Wagen voller Speisen nach dem anderen hereinzubringen. Joro begann sich zu fragen, woher der Mann eigentlich das ganze Essen nahm, respektive, wie er es alleine schaffte, solche unglaublichen Mengen herzustellen.
Nach und nach holten sich die Männer dann doch Stühle oder ließen sich einfach auf dem Boden nieder. Es war offensichtlich, daß sie bereits während ihrer Reise untereinander Freundschaften geschlossen hatten, dennoch wirkte es zu keinem Zeitpunkt so, als bildeten sie kleine Gruppen. Vielmehr herrschte die ganze Zeit über ein echtes Miteinander, was Joro stark beeindruckte. So hatte er sich das Ganze vorgestellt und so sollte es verdammt noch einmal auch bleiben.
Vor allem fand er Geschichten aus der Arbeitswelt interessant. Viele der Männer, von denen kaum einer weniger als zehn Jahre älter war als er, konnten eine ganze Fülle von Anekdoten oder auch ernstere Ereignisse berichten, die bei Joro einen nachhaltigen Eindruck erzeugten.
Auf der einen Seite brachte ihn das zwar dazu, sich noch mehr wie ein Grünschnabel zu fühlen, auf der anderen Seite jedoch sog er all diese Geschichten wie ein Schwamm in sich auf, um daraus im Zweifelsfalle eine Lehre ziehen zu können.
Dabei bemerkte er eigentlich erst viel zu spät, daß er sehr müde geworden war.
Er stand auf und verbeugte sich.
�Es tut mir leid, wenn das jetzt etwas plötzlich kommt, aber ich denke, daß ich nun zu Bett gehen werde. Der Tag war lang und ereignisreich und ich fühle, wie mir meine Knochen den Rat geben, mich hinzulegen und lange, lange zu schlafen. Ich wünsche euch allen eine geruhsame Nacht.�
Alle Männer im Raum verbeugten sich vor ihm und einige von ihnen machten sich ebenfalls auf, um ihre Zellen aufzusuchen.
Die anderen redeten noch bis spät in die Nacht, während nach und nach immer mehr von ihnen zu Bett gingen.
Am Ende waren nur noch Marinus und Toldor übrig.
�Dieser Bischof��, begann Marinus, �ich weiß immernoch nicht, was ich von ihm halten soll.�
Toldor lächelte.
�Du wirst schon bald merken, daß das, was er tut, nicht gespielt ist. Er ist so, wie er sich gibt, ein echter Daishani��, er blickte nachdenklich ins Leere, �Es ist nur eine Schande, daß er jetzt erst hier hergekommen ist.�


Zum ersten Mal seit seiner Ankunft im Kloster war Joro zufrieden ins Bett gegangen und hatte sich, bis auf seine Sehnsucht nach Alystin, sogar einigermaßen glücklich gefühlt.
Er erwachte noch vor Sonnenaufgang und zog sich sofort an, denn er hatte Dinge zu tun.
Auch wenn er die Rüstung hier ließ, nahm er doch den Hammer mit, die Begegnung mit dem Vermummten einige Tage zuvor hatte ihn doch etwas vorsichtiger gemacht.
Toldor hatte Joro während des Essens am Vorabend unter dem Tisch die Schlüssel zur Schatzkammer zugeschoben, mit dem leisen Kommentar, daß es seine seien und er darüber zu entscheiden habe, was mit dem Geld geschah.
Davon wollte er jetzt Gebrauch machen.
Ohne die Rüstung war das Gefühl, daß der Hammerkopf am Bein machte, noch unangenehmer, daher entschloß sich der Bischof dazu, eines seiner benutzten Lendenschurztücher zu opfern, um den Kopf darin einzuwickeln. Die Robe war neu und er wollte nicht schon am zweiten Tag des Tragens dafür sorgen, daß der Stoff am rechten Bein zerstört wurde.
Der Lendenschurz gefror sofort, aber er isolierte die Kälte des eisigen Kristalles insoweit, daß im nicht das Knie taub wurde, also tat es seinen Dienst.
Joro ging zur Schatzkammer, nahm dort einen kleinen Stoffbeutel mit Goldmünzen, legte noch ein paar dazu und steuerte dann auf das Tor des Klosters zu.
Innerlich fragte er sich, wie es kam, daß Ghaundar, der ihn ja sonst immer zu beschatten schien, nicht da war, um ihn zu fragen was er vorhatte, aber auf der anderen Seite hatte der Drow am Vortag mit einer kleineren Gruppe von Totengräbern aus dem fernen Norden Daishans eine ganze Weile geredet und dabei zusammen mit diesen eine gehörige Menge Wein und Bier getrunken. Er lag also mit Sicherheit irgendwo und schlief seinen Rausch aus.
Naja, Joro brauchte ja nun auch wirklich nicht dauernd eine Amme. Immerhin sagten alle und jeder um ihn herum immer wieder, daß er seine eigenen Entscheidungen treffen sollte, sein Gott eingeschlossen. Und die Idee vom Vortag duldete keinen Aufschub, denn es war zwar Frühling, aber nachts gab es immernoch oft genug Frost.
Am Tor angekommen salutierten die Wachen und er grüßte zurück. Der fette Büttel, mit dem er am ersten Tag zu tun gehabt hatte, hielt offenbar die Aufsicht über die Wache. Als er den Bischof sah, verbeugte er sich hastig und fragte:
�Guten Morgen, Eminenz, darf ich fragen, wohin Ihr zu gehen gedenkt?�
�In die Stadt. Ist es schon spät genug, daß die Handwerker arbeiten?�
�Ja, Eminenz�, gab der Dicke eifrig nickend zurück, �es ist um die siebte Stunde.�
�Gut�, sagte Joro lächelnd, �Dann werde ich mir einen Zimmermann suchen.�
�Am Südtor hat einer von ihnen seine Werkstatt.�
�Südtor? Welches ist das?�
�Das, vor dem dieser Ketzer seinen Friedhof hatte.�
Joro sah dem Mann mit zusammengekniffenen Augen direkt ins Gesicht.
�Dieser �Ketzer� war ich. Du solltest vorsichtig sein mit dem, was du sagst.�
Der dicke Mann wurde kreidebleich und fiel auf die Knie.
�V�verzeiht, Eminenz! Ich wollte Euch nicht beleidigen, bitte bestraft mich nicht!�
�Schon gut. Nächstes Mal reiß dich ein wenig zusammen.�
�D..danke�, der Büttel rutschte noch ein wenig auf seinen Knien herum, aber Joro beschloß, sich das nicht weiter anzutun, weil es ihn nur noch wütender gemacht hatte. Um die Wache des Klosters mußte er sich definitiv auch noch kümmern, das durfte er nicht vergessen.

Auf der Straße nach unten dachte er nach. Er war ja praktisch nie in die Stadt gekommen, als er auf dem Friedhof gearbeitet hatte, aber er meinte, sich erinnern zu können, daß einige Bürger von dieser Zimmermannswerkstatt geredet hatten.
Es sollte auch nicht schwer zu finden sein, denn die Werkzeuge, die Zimmerleute so benutzten, waren nicht gerade für ihren leisen und angenehmen Klang bekannt. Von Hobeln einmal abgesehen, aber machte er sich wirklich gerade Gedanken darüber, wie wohlklingend Hobel waren?
Die Straßen der Stadt waren immernoch recht leer, auf dem Marktplatz bauten jedoch bereits einige Händler ihre Stände auf, also sollte das nicht mehr lange so bleiben. Joro erregte auch keine große Aufmerksamkeit, wohl auch, weil ein Mann in einer schwarzen Kutte und mit einer schwarzen Maske auf dem Gesicht in der Dunkelheit keine weit sichtbare Erscheinung war.
Mit einem Grinsen unter der Maske stellte er schnell fest, daß seine Einschätzung bezüglich des Findens der Werkstatt nicht falsch gewesen war. Schon beim Betreten der richtigen Straße hörte er Hammerschläge und Sägegeräusche und als er bei dem Haus ankam, waren diese sogar so laut, daß Joro sich fragte, ob irgendjemand in der Nachbarschaft nicht schon einmal darüber nachgedacht hatte, ob er die Werkzeuge nicht auch mal auf deren Besitzer anwenden solle.
Er schlug an das Tor der Manufaktur und die Geräusche im Innern verstummten. Dann öffnete es sich einen Spalt breit und ein Junge mit Sägespänen im Haar blickte durch die Öffnung.
�Ja?�
�Kann ich bitte mit deinem Meister sprechen?�
�Papaaa?!! Einer von den komischen Mönchen ist hier und will was von dir!�
�Sag ihm, daß es noch nicht fertig ist und daß es auch nicht schneller geht, wenn er mich nervt!�
�Ihr habt ihn ja gehört�, sagte der Junge, während er sich in der Nase bohrte, �es ist noch nicht fertig.�
�Ich bin nicht gekommen um nach etwas zu sehen, sondern habe Arbeit für ihn.�
�Oh�. Papaaaa?!! Der hat Arbeit, sagt er!�
�Noch mehr Arbeit? Hört sich das hier so an, als hätte ich nicht schon genug davon?�
�Ihr habt ihn ja gehört��, setzte das Kind an, aber Joro hob die Hand und bedeutete ihm, zu schweigen.
�Werter Herr Zimmermann, wollt Ihr mich wenigstens anhören, bevor Ihr mich einfach fortschicken laßt?�, rief er.
�Dann laß ihn halt rein, Maro, er wird ja sehen, wie es ist.�
Der Junge öffnete das Tor ein wenig weiter und trat zur Seite.
Joro trat ein und fand sich in einem halb überdachten Hof wieder. Dort standen allerlei Böcke mit Brettern und Balken darauf, unter dem Dach standen zwei schwitzende Burschen, die wohl bis eben mit der Herstellung von eben diesen Dingen beschäftigt gewesen waren, an einer großen Säge.
Der Meister, ein großer Mann mit Armen wie Baumstämmen, Wortspiel beabsichtigt, stand mit einem großen Hobel in der Hand an einem der Balken und glättete die Oberfläche. Er schaute kurz auf, als Joro eintrat, dann machte er sich mit einem verächtlichen Schnauben wieder an die Arbeit.
Joro mußte die Freude darüber, die Geräusche eines Hobels auf ihren Wohlklang zu überprüfen zu können, unterdrücken, denn der Zimmermann grunzte alsbals mit einem bösen Unterton in den Worten:
�Ihr seht ja, daß es noch nicht fertig ist, also könnt ihr Justin sagen, daß er noch warten muß.�
�Könnte es sein, daß Ihr nicht viel in die Stadt geht, Meister?�
Der Mann sah mit einem mißtrauischen Blick wieder auf.
�Was wollt Ihr mir damit sagen?�
�Justin ist nicht zum Bischof gewählt worden, genaugenommen ist er tot.�
�Was?�
�Wie kommt es, daß Ihr das nicht wißt?�
Zu den Burschen an der Säge gewandt rief der Zimmermann:
�Heißt das, daß ihr mich nicht veräppeln wolltet?�
Beide schüttelten den Kopf.
�Und das heißt wir haben jetzt tagelang umsonst an diesem Dreck hier gearbeitet?�
Die beiden Männer schrumpften ein gehöriges Stück und einer zuckte mit den Achseln.
�Naja, der Auftrag wurde doch nicht widerrufen, oder?�
�Das stimmt allerdings�, der Meister sah wieder Joro an, �Also glaubt ja nicht, daß damit meine Schulden nicht verfallen.�
�Worum handelt es sich denn�, fragte der Bischof mit großem Interesse, die seltsame Antwort zunächst ignorierend.
�Justin hat uns den Auftrag gegeben, ein Spendenhaus zu bauen, die draußen vor dem Tor errichtet werden sollte, damit auch Reisende, die den Weg in die Stadt sparen wollten, ihre Abgaben an die Celestuskirche entrichten können.�
Spendenhaus. Joro war sprachlos. Aber wenn es sowieso ein Haus werden sollte�
�Nun, das freut mich aber, wenn seinem ursprünglichen Zweck wird es zwar nicht dienen, aber ein oder sogar mehrere Häuser wollte ich so oder so von Euch erbitten, werter Meister.�
�Häh?�
�Nun, hat Euch Justin schon bezahlt?�
�Bezahlt?�, der Mann schnaubte, �das hier sollte die Abgleichung meiner Schulden bei der Kirche sein.�
�Ihr habt Schulden bei der Kirche?�
�Wer seid Ihr eigentlich?�, fragte der Zimmermann, der sich aufgerichtet hatte und die Hände in die Hüfte stemmte.
�Ich bin Joro Macun, der neue Bischof. Gewährt Ihr mir die Ehre, Euren Namen zu erfahren?�
�Parek. Ihr seid nicht von hier, oder?�
�Nein, ich komme von außerhalb.�
�Soso, der neue Bischof also. Kann ich wenigstens sicher sein, daß Ihr mir jetzt nicht damit kommt, daß die ganze Arbeit nicht Euer Auftrag war und ich trotzdem bezahlen muß?�
Joro lächelte milde.
�Zunächst einmal: Egal aufgrund welcher Ursachen ihr Schulden bei der Kirche hattet, sie sind hiermit verfallen. Und ich werde Euch für Eure Arbeit ordentlich und angemessen bezahlen.�
�Oh. Gut!�, das Gesicht Pareks erhellte sich ein wenig.
�Zum Zweiten: Ich brauche nicht ein Haus, sondern besser eine ganze Reihe von Hütten. Ich beabsichtige, den Armen der Stadt, vor allem denen ohne Obdach, Orte zu schaffen, an denen sie leben können.�
�Seid Ihr sicher, daß Ihr der Bischof von Bargum seid?�
�Gestern war ich es noch.�
In Pareks Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Unglauben und Unsicherheit, was Joro dazu bewegte, weiterzusprechen.
�Wieviel Arme, würdet ihr sagen, gibt es in dieser Stadt?�
�Hm�, der Zimmermann kratzte sich am Kinn, �dürften wohl ein paar Dutzend sein. Vielleicht Hundert.�
�Gut, dann möchte ich Euch hiermit den Auftrag geben, Blockhütten zu bauen, in denen sie leben können. Ich werde mit Fürst Olgerich besprechen, wo wir sie errichten werden�, er griff in an seinen Gürtel und nahm den Beutel, �Seht dieses Gold als Anzahlung. Solltet Ihr mehr benötigen, laßt es mich wissen.� Er reichte Parek das Geld. �Außerdem erwarte ich von Euch natürlich, daß Ihr mich nicht über den Tisch zieht. Ich habe Vertrauen in Eure Ehrbarkeit.�
Beim Blick in den Beutel wurde der Zimmermann bleich im Gesicht.
�D..das ist doch viel zu viel, Euer Eminenz��
�Dann nehmt das, was über den Wert der Häuser hinausgeht als ein Zeichen meines guten Willens und des neuen Gesichts der Kirche. Außerdem denke ich, daß Ihr wohl ein paar Handlanger anstellen werden müßt, denn bei einhundert Obdachlosen werdet Ihr ohne Zweifel auch eine etwas größere Menge an Hütten bauen müssen�, meinte Joro fröhlich, �vielleicht könnt Ihr ja sogar einigen von ihnen Arbeit geben.�
Der Gesichtsausdruck Pareks wurde wieder ein wenig mißtrauischer.
�Und Ihr versprecht mir, daß damit all meine Schulden verfallen? Also�wirklich erlassen sind?�
�Bin ich ein Daishani, Parek?�
�Auf Justins Wort war auch niemals Verlaß.�
�Deshalb ist Justin tot. Und ich beabsichtige nicht, seine Wege zu gehen.�
Daß dem Mann ein Stein vom Herzen fiel, war förmlich sichtbar. Joro hätte sich nicht gewundert, ein entsprechendes Geräusch zu hören.
�Gut, in Ordnung. Dann werde ich das, was ich schon hier habe darauf vorbereiten, für Hütten verwendet zu werden. Glücklicherweise gibt es rund um Bargum genug Wälder.�
�Tut mir nur den Gefallen und laßt den Wald zehn Meilen südlich von hier in Ruhe. Und fragt mich nicht nach dem Grund dafür.�
Parek nickte und Joro ging auf das Tor zu. Eigentlich forderte seine Neugier, zu fragen, warum der Zimmermann eigentlich Schulden gehabt hatte, aber er verwarf den Gedanken, weil ihm die Frage zu intim war. Stattdessen verabschiedete er sich förmlich und ging wieder auf die Straße.

Er erstarrte.

Nur wenige Schritte vor ihm gingen vier Legionäre, einen Priester des Sonnengottes in der Mitte eskortierend, in Richtung Marktplatz. Jeder Nerv in seinem Körper begann zu pochen und seine Sinne schlugen größtmöglichsten Alarm.
Wenn das ein Alptraum war, wollte er so schnell wie möglich erwachen, aber ein fester Schlag an seine linke Schulter führte leider nicht zum gewünschten Ergebnis.
Einer der Legionäre hatte den Schlag gehört, blickte in seine Richtung und ging dann auf ihn zu.
Joro überlegte erst, nach seiner Waffe zu greifen, aber dann entschied er sich, zu versuchen, ruhig zu bleiben.
�Du da, Heide! Wo ist hier das Kloster?�
�Offensichtlich dort oben auf dem Berg�, antwortete Joro trocken.
�Du wirst uns da hinführen. Los!�
�Höflichkeit, sowie der Respekt gegenüber der Tatsache, Gast in einem Land zu sein ist euch Hochelfen wohl abhanden gekommen, was?�
Die Hand des Legionärs fuhr geradezu instinktiv an sein Schwert, aber eine gerade in der Nähe stehende Stadtwachenpatrouille hielt ihn wohl davon ab, es zu ziehen.
�Du solltest mir gegenüber deine Zunge hüten, Mensch�, zischte er.
�Wenn du auch nur einen Hauch einer Ahnung hättest wo du hier bist, wäre es eher an dir, das zu tun. Was wollt ihr überhaupt im Kloster?�
�Die Frage kann ich vielleicht beantworten�, ertönte eine Stimme hinter dem Soldaten, der zurücktrat, seinen Kopf senkte und auf einen Wink des sprechenden Priesters auch die Hand vom Schwertheft nahm.
�Verzeiht die Rüpelhaftigkeit meines Leibwächters�, fuhr der Hochelf fort, �Mein Name ist Fenriel, ich bin der Botschafter des Reiches der goldenen Sonne. Ich bin hier, um mit dem Bischof von Bargum zu reden.�
�Ich nehme an, daß Ihr nur mit ihm persönlich darüber reden wollt, nicht wahr, Fenriel?�
�Das ist richtig, es handelt sich um wichtige, politische Themen.�
�Nun gut, ich werde Euch zum Kloster führen, mal sehen, ob der Bischof Lust haben wird, Euch zu empfangen. Er ist ein sehr vielbeschäftigter Mann, wißt Ihr?�
�Das bezweifle ich nicht. Wir werden Euch folgen, Priester.�
Joro ging an dem Legionär vorbei, der abschätzig �Priester� schnaubte und wies Fenriel, ihm hinterherzugehen.
Während er so schweigend vor den fünf Hochelfen herschritt, tobten in seinem Kopf die Gedanken, was nun geschehen würde. Eine echte Gefahr würde nicht von ihnen ausgehen, dafür befanden sie sich zu sehr sprichwörtlich in der Höhle des Löwen, aber sie hatten einen Plan, der sicherlich Folgen haben würde, das mußte er sich nicht erst ausdenken. Warum allerdings�er mußte einfach fragen.
�Gibt es einen bestimmten Grund, warum Ihr mit dem Bischof und nicht mit dem Fürsten reden wollt?�
Der Hochelfenpriester lachte höhnisch.
�Da ihr selbst ein Priester dieser Kirche seid, wißt Ihr besser als ich, daß die wahre Kraft in dieser Stadt nicht der Adel sondern der Klerus ist.�
�Ihr seid wirklich gut informiert, Fenriel.�
�Natürlich. Der Sonnengott sieht und weiß alles.�
�Wenn du mich fragst ist Ihr Gott ein Vollidiot�, dachte Joro.
�Das laut zu sagen ist nicht nur exklusiv in der Gegenwart von Legionären eine ausgesprochen gefährliche Tat, Joro�, antwortete Celestus überraschend.
�Ist er wirklich so mächtig?�
�Unser Sonnengott ist der Erschaffer der Elfen. Was glaubst du, über welche Kräfte er verfügt?�
Das reichte, um sich noch ein bißchen unsicherer zu fühlen, also versuchte Joro auf andere Gedanken zu kommen. Zum Beispiel die Frage, was er tun würde, sobald er im Kloster war. Und wie er vermeiden konnte, daß ihn die Hochelfen vielleicht versuchen würden umzubringen.
Auf dem Weg nach oben machten die Hochelfen regelmäßig Kommentare in ihrer eigenen Sprache, die Joro noch schlechter verstand als Drow, von dem er auch nur die Grundlagen beherrschte. Der Tonfall war allerdings eindeutig, begeistert waren die Fünf von der Aussicht offensichtlich nicht.
Am Tor angekommen, gebot er dem Büttel sofort, zu schweigen und stapfte durch das Tor, wobei der den Hochelfen mit einer Geste bedeutete, ebenfalls einzutreten.
Entgegen seiner Erwartung änderte sich die Art und Weise Fenriels, seine Umgebung zu betrachten, als er den Hof betrat. Das spöttische Grinsen, das er die ganze Zeit auf dem Gesicht getragen hatte, wich einem unsicheren Staunen. Der Priester fing sich zwar schnell wieder, aber das neuerliche Grinsen wirkte, vor allem im Kontrast zu dem, was vorher geschehen war, aufgesetzt.
Joro führte die Hochelfen zum Hauptgebäude und wies sie an, vor der Tür des Thronsaales zu warten. Er selbst trat ein und sah einen der Totengräber, der dabei war, eine der Wände zu polieren.
�Verzeihung, kannst du mir bitte einen Gefallen tun?�
Der Mann sah ihn freundlich an und nickte.
�Dann geh bitte und gib Ghaundar und Albrecht Bescheid, daß wir Gäste haben. Und sag ihnen das bitte in genau diesem Tonfall.�
�Albrecht?�
�Der seltsame Mönch, du weißt schon��
�Oh, der. Der ist wirklich seltsam.�
�Geh bitte und beeil dich. Wenn du herausgehst, kannst du den Gästen sagen, daß sie eintreten können.�
Joro ging zum Thron und setzte sich darauf. Er nahm die Maske ab und zog seine Haare am Hinterkopf zusammen. Naja, besonders imposant sah er wohl nicht aus, aber er beabsichtigte, daß mit Sprache irgendwie wettzumachen.

Die Hochelfen traten ein und Fenriel stellte sich vor dem Thron hin. Er sah sich betont um und fragte dann:
�Und wo ist der Bischof?�
�Ich bin der Bischof.�
�Verzeihe mir, wenn ich darüber beinahe lachen muß, aber willst du mir nicht sagen, was der Mummenschanz soll, Junge?�
�Ich bin ein Daishani, wie das Mal auf meinem Hals beweist und ich bin Joro Macun, der Erzbischof der Celestuskirche.�
Fenriel legte den Kopf schief.
�Und warum hast du uns das dann nicht schon unten in der Stadt gesagt?�
�Erstens schätze ich es nicht sonderlich von Fremden geduzt zu werden und zweitens habt Ihr mich nicht danach gefragt, wenn ich mich recht erinnere. Irre ich mich da?�
�Nein. Du, Verzeihung, Ihr irrt Euch da nicht, Bischof�, der Elf zog seine Robe glatt und stellte seinen Stab neu, etwas gerader auf den Boden, �Also� Ich bin gekommen, um mit Euch über die Zeit nach der Eroberung zu reden.�
�Ihr versteht es, ein Gespräch so zu beginnen, daß Euer Gegenüber sofort einen Zorn auf Euch spürt, Fenriel. Aber das war sicherlich beabsichtigt.�
�Von Zorn ist hier nicht die Rede. Ich vermeide es nur, die Zeit von euch kurzlebigen Menschen zu verschwenden, indem ich über Möglichkeiten diskutiere, die nicht in Frage kommen.�
�Und Ihr macht damit einen ausgesprochen arroganten Eindruck, den Ihr, so wie ich Euch einschätze, keineswegs selbst wahrnehmt.�
�Die sprichwörtliche Offen- und Direktheit Daishans. Unsere Informanten haben also die volle Wahrheit gesprochen.�
�Gewöhnt Euch besser daran.�
�Nun, dann werde ich auch offen zu Euch sein. Wir werden dieses Land bereits in wenigen Monaten unterwerfen. In den anderen Städten dieses Landes hat man uns mit Hohn bedacht, aber da ich einiges über die Kirche des Celestus erfahren habe, daß mich denken läßt, daß meine Worte hier auf fruchtbaren Boden fallen werden, wende ich mich auch an Euch, in der Hoffnung, daß ihr die Dummheit und Ignoranz Eurer Landesgenossen nicht teilen werdet.�
�Ist das so��
Der Hochelf zuckte mit den Achseln.
�Korrigiert mich, so ich falsch liege.�
�Was habt Ihr mir denn �anzubieten�?�
�Ich biete Euch ein Protektorat an. Wir können uns natürlich nicht um alle eroberten Gebiete mit der gleichen Sorgfalt und dem gleichen Aufwand kümmern, also wollen wir unsere Möglichkeiten so gut wie möglich ausschöpfen. Außerdem ist mir die Macht dieser Kirche bewußt und ich denke, daß Ihr, unter der Voraussetzung der Änderung eures Credos, selbstredend, ein wertvoller Bündnispartner sein würdet.�
Sein wachsender Zorn hinderte Joro mehr und mehr daran, klar zu denken, aber er mußte sich zusammenreißen. Wenigstens, bis er sicher sein konnte, daß Ghaundar oder Albrecht in der Nähe waren.
�Wie kommt Ihr darauf, daß wir das Credo unserer Kirche ändern wollen würden?�
Fenriel gab ein arrogantes Lachen von sich.
�Weil Ihr ja wohl kaum glaubt, daß wir heidnische Kulte auf unserem Gebiet dulden werden. Zudem scheint es mir ja wohl kaum ein Problem darzustellen, immerhin habt ihr euch hier doch schon reichlich weltlich verhalten in den letzten Jahrhunderten.�
Ein schwarzer Schatten im Gewölbe über dem Priester brachte Joro sofortige Entspannung. Er stand auf und lächelte seinerseits ein sehr überhebliches Lächeln.
�Könnte ich lügen, sagte ich jetzt wohl so etwas wie �es tut mir zwar in der Seele weh, aber�. Doch das tut es nicht. Ich bin erst seit einigen Tagen im Amt und wie Ihr sicherlich draußen gesehen habt, ist die Belegschaft dieses Klosters erheblich gesunken.�
�Das ist mir nicht entgangen, ja. Es sind nicht viele Priester hier.�
�Stimmt�, fuhr Joro fort, �und das hat damit zu tun, daß ich sie alle aus dem Kloster treiben ließ. Diese Kirche befindet sich seit dieser Woche wieder auf dem Weg zurück zu ihren alten Bahnen.�
�Stellt das ein Hindernis dar?�
�Könnte man so sagen, ja. Außerdem bin ich wohl spätestens nach dem Vorfall in Noth nicht mehr im Geringsten dazu in der Lage für die goldene Legion auch nur ein wenig mehr als tiefe Verachtung zu empfinden. Selbst ein egoistischer und machtdurstiger Geist hätte das, was dort geschah als abstoßend empfunden.�
�Noth? Meint ihr dieses verkommene Loch in den Bergen?�
�Ich meine die Jäger- und Fallenstellersiedlung nordöstlich von hier, in der Tat.�
�Die Bewohner dieses Ortes haben mit Aufrührern und gefährlichen Verbrechern paktiert. Die Bestrafungsaktion war notwendig und erfolgreich�, sagte der Priester kalt, �obwohl ich Euch nicht Rechenschaft abzulegen habe.�
�Erfolgreich��, Joro schaute ihn höhnisch an, �wie Ihr meint��
�Werdet Ihr meinen Vorschlag überdenken?�
�Hmm, laßt mich überlegen. Ihr wollt in mein Heimatland einfallen, tausende unschuldige Menschen töten und mich dann zum Statthalter machen? Verzeiht, wenn ich nicht lache, aber das ist eine solche Unverschämtheit, daß ich es nicht einmal lustig finden kann, egal wie absurd es erscheinen mag.�
�Ihr enttäuscht mich. Aber was kann man von einem Menschen schon erwarten��
Joro war fast geneigt, zu erwähnen, daß er derjenige war, den die Hochelfen gesucht hatten, aber diese Information wollte er nicht geben, er hielt sie für zu gefährlich. Auch wenn in ihm der Wunsch brannte, sie aus der Welt zu schaffen, war es sicherlich besser, sie gehen zu lassen. Auf diese Art und Weise würde Bargum nicht das erste Ziel sein, daß sie angriffen.
Stattdessen wählte er eine andere Variante.
�Integrität und Patriotismus. Und eine gehörige Abneigung gegen Personen wie dich, Hochelf. Verlasse mein Haus und kehrt niemals wieder, denn das nächste Mal wirst du es nicht mehr lebend verlassen, das schwöre ich dir.�
Einer der Legionäre zog sein Schwert halb aus der Scheide, aber Fenriel gebot ihm, es wieder einzustecken.
�Nein! Wir werden uns nicht auf die Ebene dieser Barbaren herabbegeben. Wir gehen, Bischof, aber wenn wir wiederkehren, werdet Ihr bereuen, jemals so zu mir gesprochen zu haben.�
Ohne weitere Worte drehte sich der Priester um und rauschte aus der Halle, seine Leibwachen dicht hinter ihm.
Als das Eingangstor des Gebäudes zufiel, sprang Ghaundar von der Decke herab. Er klopfte seine vom Putz weiß gewordenen Hände ab und sah mit erhobener Augenbraue zu Joro.
�Was war das denn für ein Auftritt?�
�Wieviel hast du gehört?�
�Ich denke das Meiste. Haben die komplett den Sinn für die Realität verloren?�
�Hatten die den je?�
�Du fragst einen Drow nach dem Geisteszustand eines Hochelfen?�
�Vergiß, daß ich gefragt habe. Albrecht, lauschst du wieder irgendwo?�
Eine der Seitentüren ging auf und der Leichnam schlurfte herein.
�Es erübrigt sich wohl zu fragen, ob du mitgehört hast, oder?�, fragte Joro.
�Tut es. Ich kann nur sagen, daß ich so etwas Ähnliches wie Sorge verspüre, wenn ich darüber nachdenke, was dieser Mann da gerade gesagt hat.�
Ghaundar nickte.
�Ja. Nicht nur, daß die Invasion beschlossene Sache ist, auch sein Kommentar, daß es nur noch ein paar Monate dauern soll ist nicht erfreulich.�
�Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie schon so weit vorgedrungen sind. Er muß übertrieben haben. An Hanlar müssen sie doch auch noch vorbei und das ist doch recht groß, oder?�, Joro verzog das Gesicht.
Albrecht machte eine abwehrende Geste.
�Das ist alles Propaganda, er wollte dich einschüchtern. Aber es steht außer Frage, daß sie sehr schnell vorankommen. Wir sollten so schnell wie möglich zusehen, daß wir hier ein gutes Fundament aufbauen, auf dem wir eine einige, starke Kirche errichten. In Kriegszeiten hilft der Glaube gewaltig.�
�Wie weit bist du mit dem Buch?�
Der Leichnam winkte ab.
�Noch viel zu Nahe am Anfang, als daß ich jetzt über das Ende reden würde, aber ich gehe gleich wieder hoch und fahre fort.�
�Gut, dann gehe ich jetzt zum Fürsten und erzähle ihm, was hier gerade geschehen ist.�
�Ich komme mit.� Der Tonfall Ghaundars klang so besorgt, daß Joro nicht wagte, zu widersprechen.
Sie trennten sich und während Albrecht durch die Tür entschwand, durch die er gekommen war, gingen Ghaundar und Joro über den Hof in Richtung Haupttor.
�Hast du die tatsächlich allein hier hochgeführt?�
�Ja, wieso?�
�Omareth brächte dich um, erführe er das. Das war absoluter Leichtsinn. Ehrlich gesagt hätte ich selbst große Lust, dir eine dafür auf den Hinterkopf zu geben.�
�Ich wußte, daß sie mir nichts tun werden. Außerdem hatte ich meinen Hammer dabei.�
�Mit einem Hammer ohne Rüstung gegen vier vollgerüstete Soldaten und einen Hohepriester des Sonnengottes. Du spinnst, Joro.�
�Ja, du hast recht, es war nicht besonders klug�, der Bischof senkte verschämt den Kopf, �aber ich hatte irgendwie das Gefühl, daß es schon klappen würde.�
�Das hätte schnell das Gefühl eines Schwertes zwischen den Rippen werden können, du Dummkopf. Nächstes Mal entscheidest du dich in einer ähnlichen Situation hoffentlich klüger.� Es war nicht zu übersehen, daß Ghaundar sehr wütend war, was irgendwie so gar nicht zu ihm paßte.
Joro beschloß zu schweigen, denn er wollte nicht, daß der Drow noch zorniger wurde.
Wortlos stapften sie nebeneinander die Straße zum Schloß herunter, wobei Joro die ganze Zeit nach einem Thema suchte, um mit Ghaundar wieder ein positiveres Gespräch anzufangen, aber es fiel ihm keins ein.
Also betrat er schließlich mit einem flauen Gefühl im Magen das Schloß, gefolgt on Ghaundar, der von den Menschen auf dem Markt mehr als argwöhnisch beäugt wurde.
In der Halle stand Olgerich und diskutierte eifrig mit dem Hauptmann seiner Garde.
Als er die beiden eintreten sah, schaute er ernst in ihre Richtung.
�Gut, daß Ihr kommt, Eminenz, wir beide müssen uns dringend unterhalten.�
Der Fürst führte sie ohne Umschweife in seinen Thronsaal, der wesentlich kleiner war, als sein eigener, wie Joro bemerkte, und erzählte ihnen, daß Fenriel auch bei ihm vorstellig geworden war. Ein Austausch über den Inhalt des Gespräches erübrigte sich, denn Olgerich war nicht nur wütend, sondern, dem Blitzen in seinen Augen nach, mehr als entschlossen, zu handeln.
�Ich habe über Euren Vorschlag nachgedacht, Bischof Macun und ich kann Euch sagen, daß ich seid dem Auftritt dieser��, er rang nach Worten, �Person heute mehr als geneigt bin, die Idee sofort umzusetzen. Ich habe meinem Hauptmann bereits befohlen, nach Rekruten zu suchen. Außerdem werde ich heute Abend zum Marktschluß eine Ansprache an die Bürger halten und ihnen mitteilen, was auf sie zukommt. Das sollte einige von ihnen dazu bewegen, das Ihre für diese Stadt und unser Land zu tun.�
�Wünscht Ihr meine Anwesenheit?�, fragte Joro.
�Das wäre mir sehr recht, weil ihnen das vielleicht die Dringlichkeit des Ganzen aufzeigen wird.�
�Dann werde ich da sein�Ähm, wie lange ist noch Zeit bis dahin?�
�Zwei Stunden.�
�Gut, dann haben wir ja noch reichlich Zeit, andere Dinge zu besprechen. Ich war heute bei Meister Parek am Südtor und habe ihm den Auftrag erteilt, für die Obdachlosen der Stadt zu bauen.�
�Oh?�
�Wißt Ihr vielleicht einen guten Platz, an dem wir die Hütten errichten könnten?�
�Innerhalb der Stadtmauern wird das wohl kaum möglich sein, da ist nicht so viel Platz, aber ich denke am Südtor vor der Mauer sollte zumindest ein recht sicherer Ort sein.�
Es gefiel Joro nicht, ein Quartier außerhalb der Mauern zu haben, in dem nur Arme lebten, weil er es lieber gesehen hätte, wenn sie ein Teil der städtischen Gemeinschaft gewesen wären, aber der Fürst kannte seine Stadt besser als er, also akzeptierte er seine Entscheidung.
Aber es gab noch mehr, das ihm auf der Seele brannte.
�Ich habe gestern die Schatzkammer des Klosters inspiziert und denke, daß wir mehr als genug Geld haben, um uns besser früher als später notwendige Utensilien anzuschaffen, die wir vielleicht im Kriegsfall brauchen werden.�
Olgerich sah ihn fast traurig an.
�Ihr werdet mir hoffentlich verzeihen, wenn mich das in keiner Weise überrascht.�
�Keine Zeit und auch kein Sinn darin, das zu bewerten. Ich gebe zu, daß ich am Anfang an meinem Zorn fast erstickt bin, aber ich habe schnell begriffen, daß das Gold nun einmal existiert und ein Lamentieren über seine Herkunft wird niemandem nutzen. Es für gute Zwecke, in diesem Fall unsere, auszugeben, bringt uns weiter.�
�Da stimme ich Euch zu, Eminenz�, der Fürst seufzte, �immerhin habe ich den Rüstmeister bereits gesprochen und er hat eingewilligt, zu helfen.�
�Das ist wunderbar!�
�Ja, in der Tat. Nur einen Waffenschmied müssen wir jetzt noch finden.�
�Ich sagte ja schon, daß ich die Zwerge in der Enklave fragen werde, ich denke, daß sich da vielleicht etwas machen läßt.�
Ghaundar lächelte schief.
�Da bin ich aber mal gespannt, wie du Balthasar das aufs Brot schmieren willst.�
�Oh, eine nicht unerhebliche Menge Gold wird ihm bestimmt bei der Entscheidung helfen. An Rohstoffen sollte es unserem dicken König doch beileibe nicht mangeln, oder?�
�An Rohstoffen nicht, aber an gutem Willen mit ziemlicher Sicherheit.�
Joro nickte wissend und dachte dann weiter nach, was noch zu sagen sei.
�Es ist gestern eine Gruppe von Totengräbern gekommen, die der Herr zu uns geschickt hat. Das Kloster ist also nicht mehr ausgestorben sondern vielmehr mit neuem Leben gefüllt.�
Olgerich lächelte und meinte:
�Ich freue mich, das zu hören. Wie es scheint, haben Eure Taten dann doch nicht die
ganze Kirche zum Erliegen gebracht.�
�Nein�, meinte der Bischof mit entspannter Miene, �Es sieht ganz so aus, als seien wir auf dem richtigen Wege.�

Kapitel 25

Als Olgerich seine Ansprache an das Stadtvolk von Bargum richtete, bemerkte Joro mit einem Male, daß er nicht zuhörte. Obwohl die selbe Menge, die ihn erst Tage zuvor zum Bischof gewählt hatte dort unten vor dem Balkon stand und der Anblick kein Bißchen weniger erstaunlich war, konnte er sich irgendwie nicht konzentrieren.
Der Fürst merkte das wohl und beließ es daher dabei, hin und wieder in seine Richtung zu schauen, um eine Zustimmung, ob nun in Form einer Geste oder vielleicht auch eines Grunzens zu bekommen.
Auf die eine oder andere Weise gelang es Joro auch jedes Mal, seinen Einsatz nicht zu verpassen, aber er grübelte dennoch weiter. Zum Einen, was er sagen wollte, wenn der Fürst fertig war und zum Anderen, was ihn eigentlich mit einem Mal so übermannte. Die letzten Tage waren zwar durchaus nicht wenig anstrengend gewesen, aber zum Beispiel im Vergleich zum Marsch durch die Berge waren sie milde ausgefallen.
Olgerich beendete seine Ansprache und sah auffordernd zum Bischof herüber. Dem wurde mit einem Male bewußt, daß dies hier sozusagen seine erste Amtsansprache werden würde, allein, weil seine Inthronisation ja unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden hatte. Und die mehreren Hundert Männer, die kurz darauf aus dem Kloster kamen und wohl auch nicht glücklich darüber gewesen sein mußten, hatten sicherlich auch zu Fragen unter den Bürgern geführt. Er schrieb das, um sich zu beruhigen, dem folgsamen Geist gegenüber der Kirche zu, aber die Massen an sehr neu-, ja fast wissensbegierigen Augen, die da zu ihm hochschauten, ließen den Schluß zu, daß es dennoch Erklärungsbedarf gab.
�Habt Ihr schon von den Hütten erzählt?�, flüsterte er Olgerich zu.
�Glaubt Ihr ehrlich, daß das irgendwer hier noch nicht weiß? Das ist eine kleine Stadt, Eminenz.�
�Bei Celestus, bitte nennt mich nicht immer so.�
Aus dem Munde des Stadtfürsten kam ein leises Lachen, aber er entgegnete nichts mehr.
Joro wandte sich der Menge zu und suchte nach Worten.
�Zu..zunächst einmal begrüße ich euch alle, brave Bürger von Bargum.�
Unten gab es freudigen Jubel. Er fuhr fort.
�Wie ihr eben alle gehört habt, kommt eine Gefahr auf uns zu, der wir alle begegnen müssen. Wie ich aber sehe, sind die meisten von euch auch willens, ihr entgegenzutreten.�
Genaugenommen war er sich überhaupt nicht sicher, weil er nicht aufgepaßt hatte, wie die Leute unten reagiert hatten, also war es, nett ausgedrückt, ins Blaue geschossen. Dennoch halbwegs ein Treffer, denn die Menschenmenge machte entschlossene Gesichter und einige hoben die Fäuste und schrien Dinge wie �und ob!� oder �sollen sie doch kommen!�.
�Es sind allerdings in dieser Woche noch einige andere Dinge geschehen, die einer Erklärung bedürfen und ich bin gewillt, diese hier und heute zu geben�, er rückte seine Robe auf den Schultern zurecht und machte das, was er für ein wichtiges Gesicht hielt.
�Zum Ersten: Der Grund, warum ich alle Priester aus dem Kloster werfen ließ, ist, daß ich mich entschieden habe, die alten Wege der Kirche wieder herzustellen. Damit ging einher, daß ich alle rausgeworfen habe, die nicht an unseren Herren Celestus glauben.�
Joro machte eine Pause und freute sich über die vielen Jubelrufe unten auf dem Platz. Wie zu erwarten gewesen war, kamen diese nicht nur von den Armen, sondern auch von den reicheren Bürgern der Stadt.
�Zum Zweiten: Ich habe heute beim Zimmermann Parek eine ganze Reihe von Holzhütten für die Obdachlosen der Stadt in Auftrag gegeben. Er hat eingewilligt, diese alsbald zu bauen.�
�Und wer wird das bezahlen?�, kam eine Stimme aus der Menge.
�Ich�, antwortete der Bischof knapp.
Stille. Dann Gemurmel überall vor dem Schloß.
�Äh�, gab Joro leise an Olgerich, �freuen die sich nun oder nicht?�
�Nur nicht nachlassen, Eminenz�, der Fürst lächelte.
�Zum Dritten: Schon in Kürze werden wir ein neues Buch mit den Kirchenregeln für jeden zugänglich hier am Schloß anbringen lassen. Außerdem: Jeder junge Mann, der ein Interesse daran hat, im Kloster zu arbeiten, soll sich gerne bei uns melden, wir werden ihn uns dann einmal ansehen. Ich rede hier natürlich von bezahlter Arbeit�, fügte er noch hastig hinzu, da er unten eine ganze Reihe von Augenbrauen hochgehen sah.
�Wollt Ihr also sagen, daß die ganze Plagerei von früher, die ständigen Gebühren und die Frondienste für das Kloster alle vorbei sind?�, fragte ein Mann in der ersten Reihe.
�Das ist hiermit und für alle Zeit beschlossen und gesagt.�
Der Jubel, der unten auf dem Platz ausbrach, war unbeschreiblich. Hüte und Mützen flogen in die Luft und er konnte vor allem eine ganze Reihe ärmerer Bürger spontan miteinander tanzen sehen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Geräuschpegel insoweit gelegt hatte, daß er wieder das Wort ergreifen konnte.
�Ihr rechtschaffenen Bürger von Bargum. Ich freue mich zutiefst darüber, daß es euch von einer Last befreit, daß ihr nun alle frei von Zwang in dieser Stadt leben könnt. Bedenkt jedoch, daß der Herr Celestus meine Hände und mein Herz führt und mich damit beauftragt hat, dies alles zu tun. Er ist uns nahe und will uns nur Gutes.�
Auch wenn einige das wohl als Rückschlag in den Verkündigungen vom Balkon ansahen, verursachte es in erster Linie Diskussionen auf dem Platz.
Joro hatte allerdings genug und wollte nur noch seine Ruhe haben. Also hob er noch einmal die Hände und rief:
�Ich wünsche jedem von euch eine geruhsame Nacht und am morgigen Tage wollen wir beginnen, unseren Geist und unsere Stadt gegen das zu befestigen, was auf uns zugerollt kommt.�
Er nickte dem Fürsten zu und ging hinein ins Schloß. Ghaundar wartete schon, gelangweilt an eine der Säulen in der Gallerie über dem Eingangsaal gelehnt.
�Mit Reden habe ich schon, seit ich denken kann, niemals etwas anfangen können. Ist es eigentlich interessanter, selber eine zu halten?�
�Kannst du ja mal versuchen. Das Publikum ist immernoch da draußen.� Joro grinste.
�Wenn ich da jetzt rausgehe, ist denen alles egal, was ihr beide eben von euch gegeben habt.�
Olgerich kam ebenfalls herein und deutete seinem Diener, die Tür zum Balkon zuzumachen.
�Nette Ansprache, Em, äh, Herr Macun.�
�Dann schon lieber �Eminenz��, keuchte der Bischof, den amüsierten Drow neben sich ignorierend.
�Wie dem auch sei, ich freue mich, daß wir das hinter uns gebracht haben. Wollt ihr noch für einen kleinen Umtrunk bleiben?�
�Ich fürchte, daß ich wieder ins Kloster muß, Durchlaucht. Ich habe da noch etwas zu tun, daß wirklich wichtig für mich ist.�
�Kein Problem�, meinte Olgerich mit einem Lächeln, �der Wein in meinem Keller wird nicht vor Euch flüchten.�

Joro beschlich auf dem Weg zum Kloster wieder dieses Gefühl, das er auch auf dem Balkon gehabt hatte. Dieses Mal war es ihm allerdings schon klarer, was er zu tun hatte.
Das drückende Gefühl im Hinterkopf, daß ihn schon seit Tagen beschlich hatte sich am heutigen Abend nur konsequenterweise den Weg in seine Gedanken gefunden. Nun mußte er nur noch eine Möglichkeit finden, es umzusetzen.
Ghaundar, der ihn natürlich nicht offiziell auf der Straße begleitet hatte, huschte kurz vor dem Tor des Klosters an seine Seite. Die Höfe waren leer, aus der Kirche drangen leise Gesänge.
�Was ist eigentlich mit dir los?�
�War es so offensichtlich?�
�Du hast vorhin den Eindruck gemacht als wärest du nicht einmal in deinem Körper��
�Das ist nicht ganz falsch� Aber ich muß erst mit Toldor und Albrecht reden, bevor ich das machen kann, was ich unbedingt tun muß.�
Der Drow sagte eine Weile nichts, dann meinte er:
�Du willst in die Enklave zurück, nicht wahr?�
�Ja��
�Deinem Zögern entnehme ich, daß du weißt, daß das eine falsche Entscheidung ist. Und Celestus wird das auch nicht freuen.�
�Das weiß ich selbst�, Joro machte ein böses Gesicht, �aber ich ersticke hier. Und die Sehnsucht bringt mich fast um.�
�Du bist nicht einaml eine Woche hier und erstickst schon?�
�Da du noch nie verliebt warst, wirst du das kaum beurteilen können, oder?�
Ghaundar entgegnete nichts, aber Joro merkte, daß er zu weit gegangen war.
�Verzeihung, ich wollte dich nicht anmotzen�, er raufte sich die Haare, �aber ich drehe durch, wenn ich die ganze Zeit hier hocken muß und weiß, daß jemand anderes, der mir sehr viel bedeutet, wahrscheinlich vor Sorgen vergeht.�
�Ich bin nicht beleidigt, auch wenn der Tiefschlag nicht nötig war.�
�Verstehst du wenigstens, was ich dir sagen will?�
�Ja, natürlich�, der Drow wurschtelte sich eine Prise Kautabak unter die Oberlippe, �aber du bist nun einmal hier und hast einer Verantwortung nachzugehen.�
�Erinnere mich bitte daran��
�Es ist wie es ist. Jetzt kannst du nicht mehr zurück.�
Das wußte er selbst am Besten. Und die Schuldigkeit, die er gegenüber seinem Gott empfand war genauso groß wie die Alystin gegenüber.
Joro hielt mitten im Hof an und schaute erst nachdenklich in den Himmel, in dem die Sterne funkelten und dann sah er zu dem Drow neben sich.
�Vielleicht habe ich eine gute Idee, wie sich das machen ließe. Aber bevor der Plan nicht spruchreif ist, bleiben wir hier.�
Ghaundar überlegte.
�Soll ich vielleicht in die Enklave reisen und Bescheid sagen, daß mit dir alles in Ordnung ist?�
�Dann steht Alystin in einer Woche hier vor dem Klostertor. Außerdem, wo wir gerade von Verantwortung sprachen� Das alles werde ich ihr schon selbst erklären müssen, oder was denkst du?�
�Gut, das du so denkst�, der Drow lächelte, �ich hätte so oder so keinen ruhigen Augenblick, wenn du alleine hier bliebest.�
�Ich gehe jetzt erst einmal mit Albrecht reden, vor allem, weil ich wissen will, wie weit er vorangekommen ist.�

Sie trennten sich und während Ghaundar auf der Suche nach etwas Eßbaren in Richtung Küche flanierte, ging Joro in das Hauptgebäude und machte sich auf den Weg in die Schreibstube.
Er kam nicht weit, denn auf einem Treppenabsatz lehnte Celestus an der Wand.
Der Gott sagte nichts, sondern sah nur in seine Richtung.
Joro blieb stehen und sah ihn an. Ein Gefühl der peinlichen Berührung kam in ihm hoch, weil er wußte, was sein Gegenüber von ihm wollte. Er suchte nach Worten, aber das war nicht einfach. Schließlich gab er sich einen Ruck.
�Ich weiß, ich hätte zuerst mit dir darüber reden sollen, nicht wahr?�
Celestus schwieg.
�Aber wir haben schon vor ein paar Tagen darüber geredet, was in mir vorgeht und ich habe dir versprochen, daß ich beides ernst nehmen werde.�
Wieder kam kein Wort von seiten des Gottes und Joro merkte Trotz in sich aufsteigen. Dieser währte aber nicht lange, sondern wich schnell Hilflosigkeit.
�Was soll ich denn tun? Ich weiß genau, daß ich hier gebraucht werde. Aber an einem anderen Ort ist jemand, der sich mit Sicherheit jeden Tag Sorgen darum macht, wie es mir geht und was mir alles passiert.�
Der dunkle Mann ließ den Kopf hängen.
�Joro��
�Ja..?�
�Was glaubst du, damit bewirken zu können, wenn du fortläufst?�
�Ich habe nicht vor, davonzulaufen.�
�Sondern? Wie wäre deine Bezeichnung dessen, was du vorhast?�
�Das weiß ich selbst nicht so genau. Aber ich weiß, daß ich verrückt werde, wenn ich nicht bald zurück kann. Sobald das alles geklärt ist, wird mir auch nichts im Wege stehen, wieder nach Bargum zu kommen und das fortzuführen, was ich angefangen habe.�
Es war an Celestus, mit einem Sturm von Gedanken fertigzuwerden. Im Gegensatz zu dem Menschen vor ihm dauerte das aber nur den Bruchteil eines Wimpernschlages.
�Erinnere dich gut daran, worüber wir neulich nachts gesprochen haben. Ich habe dir ein Versprechen abverlangt, dessen Erfüllung ich von dir erwarte. Wie du das machst, ist mir am Ende gleichgültig, aber du solltest niemals vergessen, warum du hier bist und vor allem nicht wer du bist.�
Ohne ein weiteres Wort oder eine Geste war der dunkle Herr verschwunden und Joro stand allein auf der Treppe.

Zu diesem Zeitpunkt geschah zum ersten Mal in seinem Leben etwas, was er später immer wieder fürchtete, daß es wieder passieren könnte.
Die Zweifel und Schuldgefühle, die sich in ihm aufgestaut hatten, brachen in einer Heftigkeit auf ihn ein, daß er einfach auf die Knie fiel und anfing zu weinen wie ein geprügeltes Kind.
Er war gelähmt von dem Zwiespalt in dem er sich befand und konnte sich selbst überhaupt nichtmehr kontrollieren. Stattdessen lag er zusammengekrümmt auf dem Boden und schluchzte und heulte, als sei die Welt zusammengebrochen.
Jegliches Zeitgefühl war von ihm gewichen, daher wußte er nicht, wie lange er wohl dort gelegen hatte, aber plötzlich nahm er vor sich eine Gestalt wahr.
�Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mich manchmal freue, tot zu sein.�
Eine Hand kam zu ihm herunter und legte sich in seinem Nacken.
Es war als senkte sich ein Dolch in seinen Hals und die Kälte war so intensiv, daß seine Haare im Nacken mit einem Knistern gefroren. Aber der Schock ließ ihn auf der Stelle auf die Füße springen.
�Und, hat das geholfen?�, die kleinen roten Punkte unter der Maske seines Gegenübers funkelten fragend.
Immerhin war Joro bei sich. Sein Magen lief Amok, sein Bauch und sein Hals taten ihm weh und seine Augen waren mächtig geschwollen. Aber der Schmerz hatte ihn irgendwie ernüchtern lassen.
�D�danke� denke ich.�
�Kannst du mir dann einmal verraten, was das gerade für ein Anfall war?�
Von allen Personen auf der Welt war Albrecht ohne Zweifel derjenige, mit dem Joro sein Innerstes am Wenigsten teilen wollte. Aber in diesem Moment hätte er womöglich auch mit einem Frosch geredet. Zudem bemerkte er, daß er sich glücklich schätzen konnte, daß ihn keiner der Wandermönche so gesehen hatte. Hoffentlich.
�Laß uns in die Schreibstube gehen, wir müssen sowieso über ein paar Dinge reden.�
Oben angekommen, nahm Joro ziemlich gedankenlos einfach ein Tuch, daß bei einem der Schreibpulte lag � für gewöhnlich wurden diese benutzt, um den Löschsand von den Pulten zu wischen � und wischte sich erst einmal das Gesicht trocken. Sein Nacken fühlte sich an, als hätte er ihn sich des Nächtens steifgelegen, aber er wollte sich nicht beschweren, denn immerhin hatte ihm Albrecht, wenn auch auf ziemlich radikale Weise, damit beträchtlich geholfen. Jetzt hatte er zwar feinen Sand in den Augenwinkeln, aber dieser ließ sich einfach mit dem Ärmel abwischen. Er ging in sein Amtszimmer, brach auf dem Sessel zusammen und suchte nach Worten, während der Leichnam mit verschränkten Armen vor ihm in der Tür stand.
�Also� ich will nicht darum herumreden: ich muß hier weg.�
Albrecht legte den Kopf schief.
�Und wohin willst du gehen, wenn die Frage erlaubt ist?�
�Zurück in die Enklave. Ich habe da noch etwas zu erledigen, das, wie es mir scheint, mit jedem Tag weniger Aufschub duldet.�
�Ich weiß ja nichts Genaues, aber könnte es sein, daß es sich bei diesem etwas um eine Frau handelt?�
Joro blickte auf.
�Ja?�
�Kein Wunder, daß du wie ein Säugling auf der Treppe gelegen hast. Die einzigen beiden Möglichkeiten, die in Betracht kamen waren, daß entweder Celestus dir seinen Segen entzogen hat, oder eben eine Frau. Ersteres hätte ich allerdings nicht vermutet, also konnte es nur das sein.�
�Mach dich nur lustig über mich��
�Kann ich ja gar nicht. Also was genau ist das Problem?�
Es verging eine ganze Weile, bis Joro dem Leichnam alles erzählt hatte, was ihn belastete. Dann beendete er seinen Vortrag mit den Worten:
�Und was ich jetzt von dir wissen will ist: Erstens, wie weit du mit dem Buch bist und zweitens, ob du dir vorstellen kannst mit Toldor und Marinus zusammen hier solange die Stellung zu halten, bis ich wieder da bin.�
Albrecht röchelte leise.
�Noch nicht einmal eine Woche lang das Oberhaupt der Kirche und du willst Bargum schon wieder verlassen� Hattest du nicht den Eindruck erwecken wollen, daß du es besser machen wirst als deine Vorgänger?�
Starker Zorn kam in Joro hoch.
�Meinst du wirklich, daß ich mir dieser Problematik nicht bewußt bin? Warum habe ich wohl vorhin auf der Treppe gelegen?!�
�Ich nehme an, daß du dir auch schon eine Ausrede hast einfallen lassen, damit du kein schlechtes Gewissen haben mußt, wenn du von hier fortgehst?�
�Nein�, das Gesicht des Bischofs verfinsterte sich noch weiter, �es würde in diesem Falle auch keine Ausrede der Welt helfen, mich selbst davon zu überzeugen, daß ich das Richtige mache.�
�Dann laß es bleiben.�
�Du hast mir immernoch nicht geantwortet, Albrecht.�
�Nun gut. Zu deiner ersten Frage: Ich habe die Grundlagen heute Abend beendet. Das heißt, daß ich zumindest den wichtigsten Teil hinter mir habe.�
�Und zur zweiten?�
�Es ist mir egal, ob es dir paßt oder nicht, aber du bist hier für gewisse Fragen und Anlässe unentbehrlich. In zwei oder drei Wochen könnte man vielleicht darüber reden, aber zur Zeit� Da sehe ich keine Möglichkeit.�
Zu seiner eigenen Überraschung war diese Aussage es, die Joro ernüchtern ließ. Auch wenn er Albrecht nicht leiden konnte, war er sich bewußt, daß der Mann vor ihm alles um sich herum in einer neutralen, oder wohl besser ausgedrückt: in einer völlig emotionslosen Weise sah. So simpel und offensichtlich der Satz gewesen war, es war die richtige Medizin gewesen, um ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen.
�Danke. Das hat mir geholfen. Komisch, wie einfach das war��
Albrecht zuckte mit den Achseln.
�Ich werde dann jetzt mal ins Lager gehen und mir neue Tinte holen. Ein oder zwei neue Federkiele werden auch nicht schaden.�

Sehr viel später, es mußte schon nach Mitternacht sein, saß Joro allein in seinem Schlafgemach, daß er zwar immernoch nicht zum Schlafen benutzte, aber einfach näher an der Schreibstube gewesen war, als die kleine Zelle. Der Ofen war angeheizt und er hatte sich auf die Fensterbank gehockt, um aus dem großen Fenster zu sehen.
Im restlichen Kloster brannten keine Lichter mehr und selbst die Stadt war bis auf die Öllaternen auf der Hauptstraße nicht beleuchtet. Über dem großen Gebäudekomplex funkelten tausende von Sternen und hinaufblickend fühlte er nichts als Einsamkeit.
Innerlich betete er mit Inbrunst zu seinem Gott, daß es der Frau, nach der sein Herz rief gut ginge. Dann aber stand er bald auf und ging über den Hof zu seinem Bett, um sich schlafen zu legen.
Er war sich sicher, kurz vor dem Einschlafen noch in der Ferne eine hohe, klare Stimme singen gehört zu haben.

Es kam, wie Albrecht gesagt hatte. Aber nicht nur das, Joro fand auch Mittel und Wege, um sich immerhin ein bißchen Freiraum zu schaffen, wenn ihn der auch nicht dahinbrachte, wo er gerne gewesen wäre.
Eine ganze Reihe von Amtsgeschäften standen an. Unter anderem ernannte er, auf Rat von Albrecht, Marinus und Toldor hin, eine ganze Reihe von regulären Bischöfen aus den Reihen der Wandermönche, die im Kloster daraufhin wichtige Schlüsselrollen übernahmen, wie Schatzmeister, Lagerist und dergleichen.
Er ging auch oft in die Stadt zu Parek, um sich zu erkundigen, wie es mit den Hütten vorankam, aber auch zu Olgerich, um mit ihm darüber zu reden, wie die Vorbereitungen auf den Krieg liefen.
Dabei bemerkte er immer mehr und mehr, daß seine ständige Anwesenheit in der Stadt, zumindest tagsüber, einen sehr guten Eindruck auf die Bürger Bargums zu machen schien.
Nicht selten wurde er zu privaten Feiern eingeladen, einige Male brachte er auch Bürger der Stadt, die gestorben waren unter die Erde.
Dadurch, daß er sich in Arbeit stürzte, konnte er immerhin zeitweise verdrängen, daß ihn einige Dinge grämten. Zudem wurde sein Gebet am Fenster des Schlafgemachs eine Institution, die er jeden Abend vor dem Schlafengehen zelebrierte.

Ghaundar, der ja im Kloster keine Aufgaben hatte, freundete sich, sehr zum Erstaunen Toldors, recht gut mit Franz, dem Koch an. Seine Talente in der Jagd machten Franz erst hellhörig und dann sehr begeistert, da er ein ausgesprochener Freund der Zubereitung frischen Wildbrets war. Auf dieser Basis erreichte Ghaundar einen Sonderstatus, den vor ihm seit dem Eintreffen Franz� im Kloster niemand jemals eingenommen hatte:
Der Koch duldete ihn nicht nur in seiner Küche, sondern ließ sich von Ghaundar sogar bei der Arbeit helfen, auch wenn das eher sporadische Dinge, wie das Austauschen von Rezepten war.
Joro konnte nicht umhin, Ghaundar beizeiten eine Retourkutsche wegen der Blumensamen zu verpassen, was ihm endlich auch einmal wieder einen Punkt gegenüber den Witzeleien des Assassinen einbrachte.

Es vergingen in der Tat fast drei Wochen, bis eines Abends Olgerich, Ghaundar, Toldor, Marinus und Albrecht mit Joro an der Tafel im Speisesaal des Klosters saßen und eines ihrer wöchentlichen Abendessen einnahmen. Es hatte sich so eingebürgert, daß sie sich alle drei Tage abwechselnd im Kloster und im Stadtschloß trafen, um die aktuelle Lage zu diskutieren und abzuwägen, was als Nächstes zu planen sei.
Joro war ja schon in der Nacht seiner Wahl aufgefallen, daß dem Fürsten ein Joch von der Größe einer Scheune von den Schultern gefallen war, als Justin und damit die Herrschaft der alten Bischöfe buchstäblich vom Balkon fielen. In der daraufhin folgenden Zeit war der alte Mann geradezu aufgeblüht � hatte zugegeben auch ein bißchen an Gewicht zugenommen, woran Franz� Kochkünste wohl ihren Anteil hatten � und hatte sich mit einem Feuereifer auf alle Probleme gestürzt, die anstanden.
Auch Toldor, der, wie Joro nun wußte, schon fast die Neunzig erreicht hatte, machte einen lebendigeren Eindruck als bei ihrem ersten Treffen. Albrecht und er verbrachten jeden Tag sehr viel Zeit miteinander, entweder in der Bibliothek, um �nutzloses Gekritzel�, wie der Leichnam gerne Bücher nannte, die er niemals wiedersehen wollte, oder in der Schreibstube, um die neue Version der Kirchengesetze zu diskutieren. Von allen Anwesenden des Klosters schien Albrecht am ehesten geneigt, Toldors Ratschläge und Kritik anzunehmen. Die seltenen Momente, in denen Joro und er über Inhaltliches sprachen endeten entweder in einem sehr kurzen, ergebnislosen Wortgefecht, an dessen Ende sich der Leichnam durchsetzte, oder in einem mehrstündigen Disput, an dessen Ende Toldor meistens dem Bischof zur Hilfe kam und Albrecht widerwillig klein beigab.
Marinus war eher der Mann für�s Praktische. Er ging jeglichen Diskussionen über die philosophischen Elemente des Glaubens aus dem Wege und hatte sich quasi selbst in eine Position des Majordomus befördert. Er koordinierte alle Reparaturen und Verwaltungsaufgaben im Kloster. Außerdem hatte er damit begonnen, alle jungen Männer, die sich um Arbeit im Kloster, oder gar um einen klerikalen Posten beworben, unter die Lupe zu nehmen und im Zweifelsfall faule Äpfel auszusortieren. Wenn ihm einer als Mönchsanwärter passend erschien, schickte er ihn dann weiter an Albrecht und Toldor, die schließlich nur eine kleine Handvoll an Männern zu Joro schickten, der das letzte Wort hatte.
Alles in Allem hatte sich also alles in Richtung einer stabilen Organisation entwickelt.

Sie saßen nun an der Tafel und unterhielten sich über dies und das, während Franz einen riesigen Servierwagen mit einem ganzen Rehrücken in die Halle schob. Ghaundar streckte voller Stolz seine Brust heraus, als Franz bemerkte, daß der Dunkelelf ihm dieses schöne Stück zwei Tage zuvor im Wald südlich von Bargum erlegt hatte.
Selbstredend war es wie immer zu viel für fünf Esser, aber das war man ja schon gewohnt. Die Reste wurden nach dem Abendessen immer an die anderen Klosterbewohner verteilt und für gewöhnlich war das eine Menge.
Olgerich berichtete davon, daß er bereits begonnen hatte, eine Miliz auszuheben und daß man sich über einen Mangel an Freiwilligen nicht beklagen konnte. Der Rüstmeister hatte schon kurz nach dem Fassen des Planes begonnen, seine Hufeisen beiseitezulegen und einfache Metallrüstungen für Fußsoldaten zu schmieden. Überhaupt rauchten in fast allen Handwerksbetrieben der Stadt rund um die Uhr die Schornsteine, denn die ganze Stadt war mit Eifer dabei, sich vorzubereiten.
Das brachte Joro spontan auf eine Idee.
�Hattet Ihr mir nicht vor einiger Zeit gesagt, daß es der Stadt an Eisen mangelt, Durchlaucht?�
�Ja, das ist in der Tat so. Die wenigen Vorräte, die es gab, sind leider komplett aufgebraucht. Außerdem ist es so, wie wir es bereits vermuteten. Die reisenden Händler wollen abnorme Summen für ihre Waren haben.�
�Das war ja zu erwarten�, mampfte Toldor, �wo Krieg ist, gibt es auch immer wieder unmoralische Gestalten, die das zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen versuchen. Das war auch schon zu Zeiten Welverins so.�
�Dann müssen ja einige Menschenhändler in der Zeit sehr reich geworden sein�, meinte Ghaundar mit hochgezogenem Mundwinkel.
Der Stadtfürst schluckte.
�Auch wenn ich das ungern sage, aber ich fürchte, daß meine Familie zu genau diesen Leuten gehört hat. Allerdings kann man das wohl über jeden sagen, der in den letzten Jahrzehnten in Daishan Handel betrieben hat.�
Joro lächelte.
�Habt Ihr euch schon eure Rune machen lassen, Olgerich?�
�Noch nicht, aber es wird mir immer mehr zur Angewohnheit, offen und ehrlich zu sein. Mir scheint, daß Ihr einen schlechten Einfluß auf mich habt�, fügte er mir einem Augenzwinkern hinzu, aber wahr offenbar auch gewillt, daß Thema schnell wieder in eine angenehmere Richtung zu lenken.
�Hattet Ihr nicht gesagt, daß ihr einen Freund habt, der uns mit Eisen versorgen könnte?�
�Naja, Freund ist wirklich nicht der richtige Ausdruck, aber ja, ich kenne jemanden, der ohne größeren Aufwand an einigen Nachschub kommen könnte.�
�Dann wäre jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt, um diesem Bescheid zu sagen. Ich habe heute Morgen eine Botschaft aus Hanlar bekommen. Und die hörte sich nicht gut an.�
Alle Augen richteten sich gleichzeitig auf den Fürsten und die Erwartung auf nähere Einzelheiten stand selbst auf dem mumifizierten Gesicht Albrechts geschrieben.
�Wie es aussieht�, fuhr Olgerich fort, �hat die Legion Hanlar erreicht und berennt dessen südliche Grenze. Sie haben es wohl immerhin geschafft, sie zunächst aufzuhalten, aber die Königreiche des Westens streiten sich immernoch um Kleinigkeiten, anstatt dem Kaiser zur Hilfe zu kommen. Es ist wirklich eine Schande, was da geschieht��
Joro war sich sicher, daß Omareth, auch wenn es durchaus den Gepflogenheiten seines eigenen Volkes ähnlich war, jetzt �Menschen�� gesagt hätte, wäre er anwesend gewesen.
�Es gibt noch etwas, was ich zu berichten habe�, fügte der Fürst hinzu, �Der Ältestenrat von Daishan hat eine außerordentliche Sitzung einberufen, zu der ich morgen aufbreche. Ich nehme einfach einmal an, daß dort entschieden werden soll, was wir tun können, um Hanlar zu helfen, oder was unser Plan wäre, sollte es fallen.�
Alle Anwesenden nickten vor sich hin, das Essen gedankenverloren entweder im Mund behaltend oder auf dem Messer wippend. Albrecht natürlich ausgenommen, der einfach nur regungslos dasaß.
Mit einem Blick auf Ghaundar meinte Joro:
�Wenn dem so ist, sehe ich es auch als sinnvoll an, wenn Ghaundar und ich zur Enklave gehen, um mit Balthasar zu reden und zu sehen, wie sich die Lage dort entwickelt hat. Vor allem, weil wir das Eisen brauchen�, innerlich hüpfte sein Herz vor Freude, weil er endlich einen triftigen Grund hatte, dort hinzugehen.
Natürlich wußten alle Anwesenden, daß er noch ganz andere Dinge im Kopf hatte. Aber vor allem Olgerich und Toldor rechneten es ihrem Bischof hoch an, daß er in den letzten Wochen die Zähne zusammengebissen hatte, obwohl es allen schon nach kurzer Zeit bekannt gewesen war, welche Probleme ihn umtrieben.
Man beendete den Tag mit einer Zusammenfassung der Lage und alle gingen in ihre Gemächer. Ghaundar sagte Joro noch, daß er morgens kommen und ihn wecken würde und Joro versprach, noch am Abend sein Bündel zu schnüren, um sofort abreisefertig zu sein.
Der Drow hätte nichts anderes von seinem Freund erwartet.

Es war schon dunkel geworden und wie jeden Abend saß Joro am Fenster im Schlafgemach des Bischofs und betete. Die Sehnsucht, die ihn in diesem Moment immer erfaßte war heute besonders schlimm und er konnte kaum an irgendetwas denken als an die Frau, die schon seit dem ersten Tag seine Gedanken immer wieder beherrschte.
Dabei kamen ihm zum ersten Mal Zweifel.
Von allem, was um ihn herum geschehen war, war die Tatsache, daß Alystin scheinbar Gefühle für ihn besaß sicherlich die unwahrscheinlichste. Es fiel ihm kein einziger Grund ein, warum sie sich eigentlich in ihn verlieben sollte. Sie war älter, erfahrener, klüger, schöner� eigentlich war sie ihm in so ziemlich jedem Punkt haushoch überlegen.
Es war auch sehr schnell gegangen, wenn man es mit einigem Abstand betrachtete.
Natürlich wußte er genau, was er an ihr mochte, nämlich eigentlich alles, bis auf ihren etwas harschen Jähzorn, aber andersherum�
Eine sanfte Stimme erscholl hinter ihm.
�Nun hast du dich durch dieses Tal gekämpft und beim Anblick des Gipfels vor dir fragst du dich plötzlich, ob du überhaupt dort hinaufsteigen willst? Du wärst ein schlechter Bergsteiger, Joro.�
Celestus saß auf einem der Sessel am Frühstückstisch.
�Hast du da etwas dran gedreht? Oder Eilistraee?�
Der Tonfall des Gottes hatte etwas ehrlich Verletztes an sich.
�Wie kommst du auf einen derartigen Gedanken?�
�Weil es mir so seltsam vorkommt. Eigentlich kennen wir uns kaum und ich habe auch nichts getan, daß eine solche Reaktion bei ihr hervorrufen könnte��
�Da irrst du dich gewaltig, Joro. Wirklich gewaltig.�
�Ach ja?�
�Ich bin aber nicht hier, um deine Beziehungen mit einer Sterblichen zu ergründen�, fügte Celestus mit einem Kichern hinzu, �sondern um dir zu danken, daß du die Stärke aufgebracht hast, hierzubleiben und das zu tun, was du tun mußt. Die Belohnung, in die Enklave zurückzukehren, gönne ich dir von ganzem Herzen.�
�Na, wenn das wirklich eine Belohnung ist��
�Ich weiß, was du meinst. Aber wenn du hier stark sein kannst, dann schaffst du das auch dort.�
Joro nickte und verabschiedete sich formell von Celestus, auch wenn ihm das albern vorkam, da der Gott ja sowieso immer in seinem Kopf hockte.
Aber er wollte in seine Zelle gehen und seine Sachen packen, bevor er müde genug wurde, um schlafen zu gehen.
Während er dabei war, die paar Kleinigkeiten in ein Tuch zu wickeln, die er sein persönliches Eigen nannte, ertappte er sich dabei, das Lied vor sich hinzusummen, daß die Drow am Sonnwendfest gesungen hatten.
Es klopfte und er sah auf.
�Herein!�
Hinein kam Toldor, ein kleines Buch in der Hand.
�Ich bringe Euch etwas mit, daß Euch auf Eurem Weg begleiten soll, Eminenz.�
�Oh, was ist es?�
�Albrecht und ich haben uns überlegt, daß wir das, was wir schon neu verfaßt haben, in einem kleinen Handbuch zusammenstellen sollten. Das hier ist das erste Exemplar und es ist mir eine Ehre, es Euch überreichen zu können.�
Joro war ehrlich gerührt und nahm vorsichtig, als sei es ein Neugeborenes, das Buch mit beiden Händen an sich.
�Ich kann dir nicht sagen, wie sehr mich das freut, Toldor.�
Dieser sah ihn glücklich an.
�Es ist gut, daß Ihr euch darüber freut, Eminenz. Ihr werdet es vielleicht auf Eurer Reise einmal brauchen�, er sah auf das Bündel, �Es zieht Euch mit der Kraft von hundert Rössern zu dieser Frau, nicht wahr?�
�Einhundert ist wohl untertrieben, Toldor�, gab Joro lächelnd zurück, �aber es stimmt, ich kann es kaum erwarten.�
�Dann wünsche ich Euch eine sichere Reise und alles Glück auf dieser Welt. Und kommt bald und gesund wieder.�
�Danke. Seht zu, daß der Laden hier läuft, während ich fort bin, Marinus und du.�
�Keine Sorge, Bischof Macun, das werden wir. Albrecht ist ja auch noch da.�
Beide lachten, weil sie beide um die Tatsache wußten, daß Joro mit Absicht dessen Namen nicht erwähnt hatte.
Der alte Mann verabschiedete sich von Joro und dieser war nun endgültig allein in seiner Zelle.
Er sah sich um.
Dieser kärgliche Raum war ihm seit seiner Ankunft vor einem Monat ein Zuhause gewesen, das in seiner Bedeutung der Hütte in der Enklave in vielen Aspekten gleichkam. Natürlich wäre er, hätte er wählen können, jederzeit lieber in der Hütte gewesen, aber was die Signifikanz für sein Leben anging war dieser Ort mindestens genauso wichtig, wie die kleine, runde Steinhütte in jenem Gebirgstal.
Seltsam.
Er zog die Robe über den Kopf und huschte so schnell er konnte unter die mit Federn gefüllte Leinendecke. Auch wenn der Frühling schon fortgeschritten war, wurde es nachts immernoch reichlich kalt und hin und wieder schneite es auch noch einmal.
Sehr zu seiner Verwunderung bemerkte er irgendwann in der Nacht, daß er trotz seiner innerlichen Aufgewühltheit tatsächlich eingeschlafen war und nahm diese Tatsache schon im nächsten Moment nicht mehr zur Kenntnis, als seine Augen sich schon wieder schlossen.


Kapitel 26

Joro fuhr hoch. Der erste Blick ging zum Fenster, draußen war es dunkel. Dann ging sein Blick zur Tür, unter deren Schwelle ein seltsamer Lichtschein hindurchfiel.
Es war ein seltsam goldener Glanz, der nicht wie normales Licht durch die Ritze leuchtete, sondern irgendwie unter ihr hindurch zu kriechen schien.
Zögerlich stand er auf, nahm den Hammer mit der rechten Hand und ging auf die Tür zu. Als er nur noch einen oder zwei Schritte von ihr entfernt war, schwang sie plötzlich auf und er sah vor sich auf dem Hof eine leuchtende Gestalt stehen.
Er erstarrte.
Es war kein Geringerer, als der alte Hochelf, von dem er einmal geträumt hatte, als er gerade in der Enklave angekommen war.
Mit milchigen Augen sah dieser in seine Richtung und musterte ihn unablässlich von oben bis unten.
�Was willst du von mir?�, rief Joro.
Der alte Mann legte ein hämisches Grinsen auf.
�Und du sollst der sein, der mir den Untergang bringt? Das ist ja wohl ein schlechter Witz des armseligen Götzen, den du anbetest.�
�Bist du der Prophet?�
�Wer sollte ich denn sonst sein, dummer Mensch.�
�Dann bist du gekommen, um es hier und jetzt auszukämpfen, ja?�
Ein boshaftes Lachen kam aus der Richtung des Hochelfen.
�Glaubst du etwa wirklich, daß ich mich mit deinesgleichen messen werde? Die Heiligkeit meines Körpers und meiner Seele werde ich wohl kaum mit deiner Unreinheit verschmutzen. Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du im Staube vor mir liegen und um Gnade winseln, bevor ich dich zu einem Haufen Asche verbrenne.�
Joros Geist ging einmal mehr seine eigenen Wege.
�Dafür, daß ich so unwichtig, unrein und klein bin, finde ich es erstaunlich, daß du dich hier herwagst.�
Im Gesicht des Alten war für einen Wimpernschlag Unsicherheit zu sehen, aber sie wich schnell wieder Blasiertheit.
�Ich ergötze mich nur in deiner Unvollkommenheit Mensch. Niemand wird die goldene Legion aufhalten, du nicht, dein Götze nicht und dieser armselige Mann, der sich Kaiser nennt schon gar nicht.�
�Wenn du dir dessen so sicher bist, warum läßt du dich nicht auf einen kleinen Kampf mit mir ein. Wir werden sehen, ob du Recht behältst.�
Der Prophet streckte seine Hand aus.
�Nicht zu diesem Zeitpunkt. Ich habe genug gesehen und finde mich nur in dem bestätigt, was mir Fenriel bereits mitgeteilt hat. Wir werden uns schon in einigen wenigen Monaten gegenüber stehen und dann wirst du nicht mehr einen solchen Ton vor mir anschlagen.�
Es war nun an Joro, einen arroganten Gesichtsausdruck anzunehmen.
�Ich schwöre dir, daß ich, solange ich nur einen einzigen Atemzug einsauge, alles tun werde, um dich aufzuhalten, du verdammter Dreckskerl. Und das schwöre ich bei allem, was mir lieb und teuer ist.�

Er wachte auf. Dieses Mal wirklich. Zunächst war er verwirrt, ob er nicht immernoch träumte, aber als er die Tür aufriß und dahinter Ghaundar schon auf der Bank hocken und warten sah, stellte er fest, daß er wach sein mußte.
�Äh� willst du so, also� Meinst du nicht, daß du dir noch etwas anziehen solltest?�
Joro machte eine Geste, die er von Omareth gelernt hatte, als dieser etwas betrunken gewesen war und die er mit den Worten �aber nur, wenn du wirklich böse bist� begleitet hatte.
Ghaundar war sichtlich überrascht und mußte dann brüllend lachen.
�Sag mal, was bringt dir dieser Mann eigentlich alles bei?�
�Ssussun! Laß mich halt erst anziehen.�
Er trottete wieder in die Zelle und zog sich das wattierte Unterzeug an. Ghaundar kam ihm hinterher und lehnte sich in die Türfüllung.
�Hast du noch geschlafen?�
�Besser, ich habe auch noch ganz besonders schöne Träume gehabt.�
�Wir sind ja bald da, dann kannst du das in voller Schönheit wach bewundern.�
�Nein, nicht das, du Dummkopf. Ich habe vorhin Besuch vom Propheten gehabt.�
�Wie bitte?�, Ghaundars Hände glitten zu seinen Dolchen und er schaute sich schnell um.
�Im Traum.�
�Ach so�, die Hände glitten wieder nach unten, �Und was hat er dir Wichtiges mittzuteilen gehabt?�
�Das übliche Gelalle, was wir auch schon von den anderen Hochelfen gehört haben. Aber ich denke, in diesem Falle wollte er sich selbst ein Bild davon machen, wer oder vielmehr was ich bin.�
�Meinst du er hat Angst vor dir?�
Joro hob die Schultern, während er sich in den linken Kettenstiefel zwängte.
�Was weiß ich denn. Es wäre zumindest das Naheliegendste, oder?�
�Schon� Vielleicht versucht er aber auch nur, dich einzuschüchtern.�
�Ich frage mich vielmehr�verdammt, ist das eng�wie er es schafft, mit einer Vision an diesen Ort hier zu kommen.�
Natürlich konnte Ghaundar da auch nur mutmaßen.
�Vielleicht hat Celestus ihn gewähren lassen, damit du dir ein Bild von deinem Gegner machen kannst.�
�Möglich�, mit Ghaundars Hilfe legte der Bischof die Kürasse an, �aber wenn das so ist, hat mich das, was ich gesehen habe auch nicht weiter erstaunt oder in meiner Haltung verändert.�
Der Drow trat ein paar Schritte zurück und sah Joro dabei zu, wie er noch den Schild auf den Rücken hängte und den Hammer am Gürtel befestigte.
�Dann ist es ja gut. Ich glaube auch kaum, daß es sinnvoll wäre, sich jetzt schon von ihm beeindrucken zu lassen.�
�Was soll denn hier �jetzt schon� heißen?�
�Er ist tausende Meilen von hier entfernt und sein Arm hat noch keine Macht über dieses Land. Also müssen wir ihn auch noch nicht als eine direkte Gefahr ansehen. Wenn wir alles getan haben, um uns auf ihn vorzubereiten, wird sich schon zeigen, ob er wirklich so groß ist, wie er tut.�
Joro war sich im Unklaren darüber, was Ghaundar damit meinte. Immerhin hatten sie schon einige Begegnungen mit der Legion gehabt und diese waren keineswegs sehr zivilisiert oder gar freundschaftlich verlaufen.
�Woher hast du plötzlich so eine Gelassenheit?�
�Weil ich gesehen habe, was du in den letzten Wochen hier erreicht hast�, sagte der Drow, während er sein Gepäck schulterte, �und weil ich mir denken kann, daß unsere Leute in der Enklave auch nicht untätig waren. Die Neugier, was dort wohl in unserer Abwesenheit geschehen ist, überwiegt fast meine Freude auf mein eigenes Bett.�
Es war dem Assassinen durchaus bewußt, daß er damit ein Thema angesprochen hatte, von dem er sich geschworen hatte, es so lange ruhen zu lassen, bis Joro selbst damit anfing, aber es war zu spät, diese Worte noch einmal zu korrigieren.
Der Bischof sagte nichts.
Vielleicht war das auch erst einmal besser so.

Auf dem ganzen Weg, den sie an diesem Tag liefen, veränderte sich das Tempo ständig mit Joros Gemütszustand.
War dieser besser, gingen sie für gewöhnlich ein wenig schneller, wenn er allerdings wieder einbrach, trottete er eher langsam vor sich hin.
In gewisser Weise erinnerte es Ghaundar an ihre erste Reise von Bargum zur Enklave und er fühlte einmal mehr den Impuls in sich, Joro verbal den Hosenboden strammzuziehen.
Nur kannte er ihn mittlerweile besser und wußte, daß es in diesem speziellen Fall keinen Sinn machen würde, ihn darauf hinzuweisen, daß sein Verhalten kontraproduktiv war. Auch fühlte sich der Drow reichlich hilflos, weil er nur erahnen konnte, welche Qualen in seinem jungen Menschenfreund vorgehen mußten. Innerlich freute es ihn natürlich, daß er dieses Problem selbst noch nie erlebt hatte, aber auf einen sehr emotionalen Charakter, wie es Joro einer war, konnte eine solche Zwickmühle nur die Hölle sein.
Also richtete er sich so gut es ging mit der Situation ein und ließ hin und wieder, wenn er es für einigermaßen angemessen hielt, einen kleinen Scherz los.
Joro grinste dann meistens kurz gequält und trottete dann wieder mit hängendem Kopf weiter vor sich hin.

Als sie am Abend des ersten Reisetages schließlich ein Lager errichtetet hatten, sagte Joro kurz leise: �Ich muß mal just alleine sein�� und verdrückte sich in den Wald.
Ghaundar war nach einiger Zeit schon drauf und dran, unruhig zu werden, da er befürchtete, daß der Bischof etwas Dummes tun würde, aber da kam dieser auch schon wieder.
Seine Augen waren rot und leicht geschwollen und er sagte nichts.
Ohne Zweifel war es jetzt an dem Drow, sich immer hilfloser zu fühlen. Jedoch sah er keinen Weg, wie er dieses Problem irgendwie überwinden sollte, daher nahm er ein Stück von dem Kaninchen, das über dem Feuer hing und reichte es Joro wortlos mit einem aufmunternden Nicken.
Dieser lächelte schwach und nahm es an.
Schweigend saßen sie eine Weile da und kauten, bis schließlich Joro endlich die Stille brach.
�Was auch immer geschieht, wenn wir wieder da sind, ich hoffe, daß ich es wenigstens überlebe.�
Ghaundar konnte nicht umhin, trotz der traurigen Stimmung zu grinsen.
�Ich glaube kaum, daß sie dich wirklich töten wird, Joro.�
�Das habe ich auch nicht in erster Linie gemeint. Worum es mir mehr geht ist, daß ich Angst habe, daß sie mich haßt. Das könnte mich auch umbringen.�
Ohne, daß er das wirklich wollte, zog sich dem Drow eine Augenbraue hoch.
�Ihr kennt euch beide gerade mal ein paar Wochen und ehrlich gesagt hat sich auch alles ziemlich schnell entwickelt, aber ich glaube, daß deine Leidenschaft vielleicht ein kleines Bißchen aus dem Ruder läuft.�
Joro wirkte beleidigt.
�Was soll�n das heißen?�
�Daß du es alles aufbauschst. Im Nachhinein wirst du das, was tatsächlich geschieht schon so betrachten, daß du das selbst so siehst. Indem du hysterisch wirst, hilfst du keinem, vor allem nicht deiner eigenen Seelenruhe.�
Erst hatte Joro einen spitzen Kommentar auf der Zunge, der in Richtung �meiner oder eher deiner� ging, aber sehr schnell bemerkte er, daß der Drow es nur helfend meinte. Also schluckte er den Impuls herunter und ließ nur wieder die Schultern hängen.
�Wahrscheinlich hast du Recht. Ich glaube ich lege mich einfach schlafen, morgen wird es wieder ein langer Marsch.�
�Eins muß ich dich noch fragen.�
�Was denn?�
�Nun� Ich habe bemerkt, daß du niemals ein Wort davon sagst, daß wir uns Pferde besorgen sollten. Ich gehe persönlich ja sowieso lieber zu Fuß, aber vor allem unter Menschen ist es doch eigentlich gebräuchlich, längere Strecken mit dem Pferd zu erledigen.�
�Mit Pferden ist das so eine Sache�, Joro lächelte schief, �ich bin ein furchtbar schlechter Reiter, auch wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, es auf dem Hof meiner Eltern ausreichend zu lernen. Außerdem scheinen Pferde irgendwie Angst vor mir zu haben.�
�Wie kommt das?�
�Das weiß ich nicht, aber das war schon so, als ich ein Kind war. Damals hat mein älterer Bruder Jorn versucht, es mir beizubringen, aber das Pferd ist aus unerfindlichen Gründen durchgegangen�Und wenn ich diesen Tieren nahe komme, werden sie irgendwie immer unruhig�Irgendwie glaube ich sogar, daß das seit meiner Berufung noch schlimmer geworden ist.�
Er gähnte und reckte sich, was die Schulterplatten der Rüstung dazu brachte, laut knirschend an der Halsberge zu schaben. Ein unangenehmes Geräusch.
�Naja, ich schlaf dann mal eine Runde. Weck mich bitte, wenn die Sonne aufgeht.�
Ghaundar nickte und ging noch in den Wald, um etwas Feuerholz zu holen.

Am frühen Morgen wachte Joro davon auf, daß ihm das Kondenswasser in seiner Maske den Hals herunterlief. Schnell klappte er sie hoch, nur um daraufhin nasse Haare zu bekommen.
Mißmutig grunzend riß er sich den Helm vom Kopf und warf ihn ein paar Schritte von sich.
Nicht gerade das, was er ein angenehmes Erwachen nennen würde.
Das Gleiche dachte wohl auf Ghaundar, als ihn ein schwarzer Adamantithelm nur um wenige Handbreit verfehlte und neben im ins Unterholz krachte.
Noch bevor er überhaupt richtig wach war, stand er auf den Beinen und eines seiner Wurfmesser schlug knapp über Joro im Baum ein, wo es ein vibrierendes Geräusch von sich gebend steckenblieb.
Jetzt waren immerhin beide wach, auch wenn der Dunkelelf erst ein paar Augenblicke verwirrt und gleichzeitig forschend um sich spähte.
Dann sah ihn Ghaundar bitterböse an, doch Joro winkte nur ab.
�Schon gut, meine Schuld. Ist nicht das erste Mal, daß ich erlebe, was passiert, wenn man Drow, die schlafen, zu nahe tritt. Ich denke, daß ich die Lektion jetzt endgültig gelernt habe.�
�Das ist auch besser so� Idiot.�

Sie sammelten ihre Sachen ein und marschierten weiter. Joro riß sich ein wenig mehr zusammen als am Vortag, auch wenn er über die Alpträume, die er in der Nacht gehabt hatte, nicht eine Sekunde nachdenken wollte, vor allem, weil diese so real gewesen waren.
Auf der anderen Seite wollte er Ghaundar damit auch nicht nerven, denn es war ihm schon klar, daß dieser von seiner derzeitigen Gemütsverfassung ziemlich angestrengt war.
Die halbherzigen Versuche Joros, selbst ein paar Witze zu machen, begegnete der Drow allerdings mit ausgesprochener Freude und verwickelte ihn über den Tag hinweg in einen humorvollen Dialog, der ihn nicht nur seine Probleme vergessen ließ, sondern ihm auf eine gewisse Fröhlichkeit schenkte.
Ghaundar mochte vielleicht nicht der Experte in Sachen Gefühlsfragen sein, aber als Unterhalter hatte er durchaus Qualitäten, was seine Wirkung ein weiteres Mal nicht verfehlte.
Am Abend des zweiten Tages hatte er Joro soweit, daß dieser endlich seine verkrampfte Haltung aufgab. Es hatte vor allem geholfen, daß er an das, was sie vorher miteinander erlebt hatten, erinnerte. Auch ein paar weitere Lektionen in der Gestensprache hatten einen guten Effekt gehabt.
Sie saßen am Feuer und aßen, als Joro mit einem Mal ein Gedanke kam.
�Ist dir eigentlich bewußt, wieviel in den letzten zwei Monaten geschehen ist? Ich bin jetzt neunzehn Jahre alt und in den vergangenen acht Wochen habe ich mehr erlebt, als in den ganzen Jahren davor.�
�Das muß sehr seltsam für dich sein, was?�, Ghaundar lächelte und schob sich eine Prise Kautabak unter die Lippe.
�Und wie. Jetzt kann ich plötzlich kurze Sätze in eurer Sprache sagen, halbwegs mit meinen Händen sprechen, fechten hab ich auch gelernt und bin weltliches Oberhaupt einer Religion��, er sah sich um, �Träume ich das hier eigentlich gerade?�
�Das möchte ich, insbesondere in Bezug auf meine eigene Lebenserwartung nicht hoffen. Aber da ich selber auch schlafen und träumen kann, gehe ich davon aus, daß dem wohl nicht so ist.�
�Rein logisch betrachtet ist das zwar kein schlüssiges Argument dafür, daß das hier kein Traum ist, aber ich lasse es einfach mal gelten�, Joro grinste frech.
�In zwei Tagen wirst du dann auch endlich deine Alpträume los sein, auf die eine oder andere Art und Weise�, Ghaundar wußte, daß er sich aus dem Fenster lehnte, aber er wollte das einfach noch einmal ansprechen, �und dann hast du auch wieder Ruhe. Mich interessiert vor allem, wie weit Balthasar und seine Leute sind.�
Joro überging seinen ersten Satz.
�Sie hatten einige Wochen Zeit. Und wenn du dich daran erinnerst, wie sie die Elementare in den Berg laufen ließen, kann ich mir durchaus vorstellen, daß sie vielleicht schon weitaus mehr gebaut haben, als wir uns bisher denken können.�
�Meinst du?�
�Hm. Überleg mal, was in Bargum geschehen ist. Ich glaube allmählich, daß wirklich gar nichts auf dieser Welt unmöglich ist. Eher wäre ich sogar bereit, mit dir zu wetten, daß wir, wenn wir in Sichtweite kommen, schon eine Befestigungsanlage finden werden, die alles übersteigt, was wir uns vorgestellt hätten.�
�Gut möglich. In zwei Tagen sehen wir es ja.�

Entgegen seinen Erwartungen konnte Ghaundar bemerken, daß Joros Reisetempo sich steigerte, je näher sie kamen. Es war ihm zwar nicht klar, ob er geradezu fatalistisch in sein Schicksal rannte oder ob er es einfach nur hinter sich bringen wollte, aber das Ergebnis war, was zählte, daher kamen sie sehr gut voran.
Sie passierten die Schlucht, in der sie damals von den Drow eingesammelt worden waren und Joro versetzte es einen leichten Stich, als er an diese Begegnung dachte, aber er verdrängte es schnell wieder.
Als sie sich schließlich dem Bergabhang näherten, an dem der Eingang zur Enklave gelegen war, verschlug es beiden die Sprache. Buchstäblich.
Der Wald war weitestgehend verschwunden, stattdessen durchzogen vier große Schanzen den Hang, deren Befestigungen nicht etwa Palisaden, sondern gut zwei Schritt hohe, in regelmäßigen Abständen mit kleinen Türmen versehene Mauern waren.
Oben am Hang waren die Häuser der Leute aus Noth zu erkennen, deren Umfang und Anzahl allerdings zugenommen hatte und in deren Mitte, ebenfalls auf Pfählen, ein großer Rundbau errichtet worden war.
Davor stand eine Reihe aus Türmen, in regelmäßigem Abständen voneinander, zwischen denen komischerweise keine Mauer zu sehen war.
Joro und Ghaundar waren beide ehrlich verblüfft.
�Man gut, daß ich nicht gewettet habe�, meinte der Drow, �denn das hätte ich beileibe nicht erwartet. Wir waren doch gerade einmal ein paar Wochen nicht hier��
Auch der Bischof war nicht weniger baff. Sicherlich hatte er gedacht, daß hier etwas geschehen sei, aber das Resultat überstieg das doch massiv.
�Dann laß uns mal hingehen und herausfinden, wie es aus der Nähe aussieht.�

Der Anblick war aus geringerem Abstand betrachtet noch überwältigender als aus der Ferne.
Und genau wie es Joro sich schon zusammengereimt hatte, waren die Mauern nicht etwa aus einzelnen Steinblöcken gefertigt, sondern im Stück aus dem geschmolzenem Erz, das die Duergar schon beim Eindringen in den Berg so eifrig dazu verwandt hatten, den Boden von verschlammtem Berghumus in einen begehbaren Untergrund zu verwandeln.
Die Türme waren ebenfalls so errichtet worden und der verflüssigte und wieder erhärtete Granit glitzerte mit seinen Quarzeinschlüssen in der Sonne als seien tausend Sterne in die Gebäude eingewebt worden. Die Oberfläche war allerdings nicht glattpoliert, obwohl sich Joro erinnerte, daß es im Kloster von Bargum im Bade seines Bischofgemaches einige Stufen aus hellem Granit gab, dessen Oberfläche so glatt war, daß man sich darin spiegeln konnte.
Er nahm an, daß das deshalb nicht geschehen war, um nicht durch Sonnenstrahlen zu viel Aufmerksamkeit auf das Areal zu lenken.
Wenn das überhaupt ging. Was hier stand war mehr als auffällig und imposant. Zumindest im Vergleich zu vorher.
Schon als sie auf nur etwa zweihundert Schritte heran waren, formierte sich oben ein kleiner Auflauf von Wachen, die mit bereiten Waffen auf sie herabsahen.
Doch Joro erkannte schon von Weitem, daß Bragan unter ihnen war und als sie näher kamen, winkte er zu ihnen herunter.
�Welch ein freudiger Tag! Der Totengräber ist zurückgekehrt!�
�Mich hat mal wieder keiner vermißt�, murmelte Ghaundar leise, aber mit einem Lächeln.
�Es ist gut, Euch wiederzusehen, Bragan! Wie ist es Euch ergangen?�
�Nun ja�, erwiderte der alte Mann mit einem Schmunzeln, �Ihr seht ja selbst, was hier alles geschehen ist, seit Ihr verschwandet.�
�Von Verschwinden kann doch eigentlich keine Rede sein, ich habe eine Nachricht hinterlassen, daß ich fortgehen muß�, meinte Joro, mit einem leicht schmollenden Gesichtsausdruck.
�Oh��, Bragan wirkte unsicher, �Das muß mir dann wohl entgangen sein. Wißt Ihr, es ist viel geredet worden in den letzten Wochen�Aber kommt doch erst einmal herein, oder wollt Ihr den ganzen Tag vor den Toren stehenbleiben.�
Auch wenn diese neue Information Joro eigentlich fast den Wunsch aufdrückte, lieber auf der Stelle kehrt zu machen und zu irgendeinem Ort zu gehen, der weder Bargum noch hier war, entschloß er sich dann doch in einem Impuls der Stärke, durch das sich öffnende Tor zu einzutreten.
Dieser Ort war eine Festung. Schon hinter dem ersten Ring waren Katapulte, Ballisten und andere Gerätschaften aufgebaut, deren Funktionsweise er nur erahnen, sie aber mit Sicherheit nicht zu unrecht ebenfalls als Waffen klassifizieren konnte.
Die seltsame Faszination, die es alles auf ihn hatte, ließ ihn kurzzeitig vollständig seine innere Anspannung vergessen und mit den leuchtenden Augen eines Kindes am Abend der Sommersonnwende, wenn es darum ging, Geschenke zu bekommen, lief er langsam und die Bilder in sich aufsaugend durch die größer werdende Menge von Menschen, Zwergen und Drow um ihn herum.
Bragan kam vom Wehrgang herunter und legte ihm zur Begrüßung die Hand auf die Schulter.
�Wie ich sehe in einem Stück. Ist es Euch gut ergangen?�
Ghaundar lächelte verschmitzt.
�Vor Euch steht der neue Erzbischof von Bargum, Bragan.�
Die Menge verstummte schlagartig. Viele schauten mit einem Male sehr mißtrauisch, einige andere knieten nieder.
�Oh. Mist�, der Drow zuckte unter Joros geradezu vernichtendem Blick zusammen.
Auch wenn er sich jetzt lieber Holzsplitter unter die Fingernägel hätte schlagen lassen, als sich erklären zu müssen, seufzte Joro und sprach:
�Es besteht kein Grund zur Aufregung, werte Anwesenden. Der lange Grund meiner Abwesenheit war nicht vornehmlich meine Wahl zum Bischof, sondern vielmehr eine Neuordnung im Kloster von Bargum. Ich habe in den letzten Wochen begonnen, dafür Sorge zu tragen, daß die unmenschlichen Forderungen und Wege dessen, was sich in den letzten Jahrhunderten Celestuskirche geschimpft hat, auf der Stelle aufhören. Die Kirchensteuer ist abgeschafft und es werden nur noch Männer als Mönche zugelassen, wenn sie sich einer Glaubensprüfung stellen.�
Das schien nicht zu reichen um die Zweifler in der Menge zu besänftigen, also setzte er noch Einen drauf.
�Außerdem habe ich sämtliche Priester, die bei meinem Eintreffen im Kloster waren davongejagt. Die Kirche fängt zur Zeit wieder ganz von vorne an und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, daß sie niemals wieder zu dem wird, was sie war, als ich zum ersten Male Fuß in die heiligen Hallen Bargums setzte.�
Bragan rümpfte die Nase.
�Dann werden wir einige Neuankömmlinge der letzten Wochen wohl auch aus diesen Mauern ausweisen müssen.�
�Was soll das heißen? Haben sich tatsächlich einige von denen hier eingenistet?�, Joro spürte Wut in ihm hochkochen.
�Nicht nur einige. Es müssen wohl so an die Einhundert sein.�
Joros Hand fuhr zu seinem Hammer und sein Schild glitt ihm wie von alleine auf den linken Arm.
�Ich bereite dem jetzt und auf der Stelle ein Ende.�
Auch wenn viele um ihn herum durch diesen plötzlichen Ausbruch in Unsicherheit gerieten, waren es vor allem die Duergar, in deren Augen etwas aufblitzte.
Ghaundar berührte ihn an Arm und flüsterte: �Joro��, aber dieser hörte nicht.
�Führt mich zu ihnen, Bragan. Sofort!�
Die Menschen in der Menge blieben stehen, aber der Unteroffizier der Duergar dieses Mauerabschnitts wies sofort gut ein Dutzend von ihnen an, Joro zu folgen.
Auch wenn ihm Ungutes schwante, ging Bragan voraus, in Richtung des zweiten Mauerringes und führte den Bischof, Ghaundar und die ihnen folgenden Duergar zu einem großen Holzhaus, dessen Wände geschwärzt waren und über dessen Doppeltür eine rote Sichel prangte.
Joro drehte sich zu dem Unteroffizier um und sagte nur: �Fackeln. Jetzt.� Dann schob er Bragan zur Seite, machte sowohl den Duergar als auch Ghaundar ein Zeichen, stehenzubleiben und schmetterte die Tür mit dem Hammer auf.
Auch wenn sie wieder hinter ihm zufiel, konnte man kurz daraufhin hysterische Schreie, einige dumpfe Schläge und berstende Geräusche hören.
Kurz darauf taumelte einer der Ex-Mönche mit einer gewaltigen Platzwunde am Kopf vor die Tür, schaute sich panisch um und rannte dann schreiend den Weg zum äußeren Tor herunter.
Es dauerte nicht lange, da kamen schon die nächsten herausgestürmt, viele von ihnen verletzt, und taten es ihm nach, was von den Duergar mit schallendem Lachen begleitet wurde.
Genaugenommen ergoß sich schon bald eine Flut von mehr oder minder verwundeten Männern aus der Tür, die alle so schnell sie konnten das Weite suchten.
Schließlich herrschte kurz Stille, dann hörte man im Haus Joro leise sprechen, was von einer Männerstimme ebenso leise beantwortet wurde. Jedoch erklang plötzlich ein metallischer Laut, woraufhin man Joro wütend brüllen hörte.
Sowohl die Zwerge, als auch Ghaundar zogen jetzt ihre Waffen, aber die Tür schwang mit einem Krachen auf, wobei einer der Türflügel aus den Angeln gerissen wurde und zu Boden fiel und ein Mann flog ein paar Schritte hindurch, dessen linkes Bein beim Aufschlagen auf den Boden in tausende kleiner Splitter zersprang.
Der verbliebene Türflügel schwang ein weiteres Mal auf und heraus trat ein Joro mit heruntergeklapptem Visier, der mit einer geradezu verächtlichen Geste seine schwarz wabernde Hand über eine stark blutende Wunde an seiner rechten Schulter hob, worauf sich diese einfach wieder schloß.
Er machte einige Schritte auf den am Boden liegenden Mann, der schmerzerfüllt stöhnte, zu und schaute dann auf ihn herab.
�War es das was du mir damals in Bargum sagen wolltest? Daß die Bruderschaft der Totengräber, wie du sie siehst, eine Bande von verdammten Strauchdieben ist, die sich auf Kosten anderer bereichert und auch vor Meucheln nicht zurückschreckt?�
Es kam keine Antwort, aber die erwartete Joro auch gar nicht. Stattdessen hob er den Hammer und ließ ihn auf den Kopf des Mannes niederfahren.
Dann blickte er auf und sah, daß -bis auf die Duergar, die offenbar ihren Spaß gehabt hatten-, die meisten Umstehenden einen verschrockenen Gesichtsausdruck hatten.
�Und genau das werde ich mit jedem machen, der meint, er könne so mit anderen Menschen, Zwergen oder was auch immer umgehen, ist das klar?!�
Zögerliches Nicken machte die Runde und Bragan, der immernoch nicht so ganz wieder bei sich war meinte:
�Äh, gut, ich denke, daß das Problem so auch gelöst ist.�
Ghaundar betrachtete die Leiche eine Weile und fragte dann trocken:
�Das war etwas Persönliches, nehme ich an?�
Während er den Hammer wieder an den Gürtel hängte und das Visier hochklappte, erwiderte Joro knapp: �Ja.�
Er bemerkte, daß wohl ein Holzsplitter eines der Tische, die er zerschlagen hatte durch das Visier geflogen sein mußte, und nur knapp neben seinem linken Auge in der Wange steckte. Ärgerlich zog er diesen heraus und warf ihn zu Boden und betastete die Stelle. Zumindest blutete sie nicht so stark.
�Und jetzt schafft diesen Knochensack in diese Behausung und brennt sie nieder!�
Die Duerger sammelten die Leiche auf und brachten sie in das Haus, um es dann mit den eilig geholten Fackeln in Brand zu setzen, deren Unteroffizier salutierte Joro mit Respekt.
Mit einem Gefühl der Betroffenheit versuchte Bragan das Thema zu wechseln und wies auf das große, runde Gebäude oben am Hang.
�Nun, nachdem dies hier geregelt wurde, könnte ich Euch vielleicht unser Gemeindezentrum zeigen, Bischof. Dort halten wir Ratssitzungen ab.�
Es klappte, Joro beruhigte sich ein wenig.
�Was für Sitzungen?�
�Nun, wie Ihr Euch sicherlich erinnert haben wir das Geschäft ausgehandelt, daß die Duergar und wir hier in Einvernehmen nebeneinander leben. Sie kümmern sich um die Verteidigung und wir uns um den Rest�, in Bragans Stimme schwang Erleichterung mit, da er es geschafft hatte, von dem soeben Geschehenen abzulenken.
�Und dort trefft ihr euch alle zur Entscheidungsfindung?�
�Nun� Balthasar, oder besser gesagt Torkum, der für ihn normalerweise verhandelt, ist ein sehr unbeweglicher Gesprächspartner, aber irgendwie schaffen wir es doch immer wieder, uns einig zu werden.�
Ghaundar grinste unverhohlen.
�Um mit einem Duergar zu verhandeln, sollte man schon selbst einer sein, sonst wird man über kurz oder lang wahnsinnig.�
�Ich weiß, was Ihr meint, Ghaundar. Manches Mal komme ich von einem dieser Treffen heim in meine Hütte und haue mir aus irgendeinem Grund spontan meinen Kopf gegen die Wand.�
Sie kamen an den Befestigungsring, von dem man aus der Ferne nur die Türme gesehen hatte. Zu Joros Überraschung waren dort auf dem Boden Metallplatten aus Adamantit, die genau zwischen den ebenfalls aus Granit bestehenden Befestigungen lagen.
Er blickte fragend zu Bragan, der ihn wissend anlächelte.
�Ihr fragt Euch sicher, was es damit auf sich hat, nicht wahr?�
�Richtig.�
�Hier hat sich Balthasar selbst übertroffen. Zunächst war mir die Funktionsweise selbst nicht klar, aber so wie es aussieht, hat er nicht eine Heimat für sich und seine Leute in den Berg getrieben, sondern den ganzen Berghang unterminiert.�
�Und weiter?�
�Hier unter den Platten lagern riesige Metalltore, die er wohl mit Hilfe irgendwelcher Maschinen, die durch vulkanische Aktivitäten tief unter der Erde und mithilfe von Wasserdampf hochgefahren werden können. Wie genau das funktioniert, kann ich Euch leider nicht erklären, aber Balthasar redet sehr gerne und meistens auch sehr lange darüber.�
�Also so eine Art letzte Befestigungsreihe, die ansonsten als Durchgang benutzt werden kann?�
�Nun, er sagte mir, daß seine Baumeister wohl errechnet haben, daß aufgrund der Schieflage des Hanges kein Bergfried errichtet werden kann. Daraufhin haben wir ihm gesagt, daß diejenigen unter uns, die nicht in seinem Höhlenlabyrinth unter dem Hang leben können trotzdem eine Rückzugsmöglichkeit brauchen, sollte eine Verteidigung schlecht stehen, also hat er lange mit seinen Leuten geredet und sie sind auf diese Idee gekommen.�
�Wurde es denn schon ausprobiert? Ich meine� funktioniert es zufriedenstellend?�
�In der Tat, das tut es.�
Sie gingen die Treppe zum Rundbau hoch und traten in das Gebäude, dessen Innenraum nur ein einziger, sehr großer war, in dem ohne Probleme einige Hundert Personen Platz hatten.
In der Mitte des Raumes war ein großer, runder Tisch, um den herum einige Holzsessel standen.
�Ich finde es ausgesprochen bemerkenswert, was hier in den letzten Wochen alles geschaffen wurde, Bragan�, sagte Joro mit ehrlicher Anerkennung in seiner Stimme.
�Ja, ich muß zugeben, daß die Duergar hier den Löwenanteil geleistet haben. Ihre Maschinen und die Künste ihrer Zimmerleute und Baumeister sind beachtlich. Allerdings muß man auch Meister Omareth eine hohe Leistung anrechnen, denn er hat vor allem was unsere Hütten und dieses spezielle Gebäude angeht, viel Arbeit getan.�

Das brachte Joro zurück an einen Punkt, über den er jetzt eine Weile nicht nachgedacht hatte, der ihm aber jetzt wieder ganz akut unter den Nägeln brannte.
Sie waren nun schon eine ganze Weile hier und weder Omareth noch Alystin hatten sich blicken lassen. Wobei er sich bei Alystin nicht ganz sicher war, ob er das überhaupt wollte, nicht, weil er sie nicht vermißt hatte wie ein Verrückter, sondern einfach, weil er allein bei dem Gedanken, wie sie möglicherweise reagieren würde, beinahe in Panik verfiel.

Er schaute sich um und nickte dann.
�Ich habe in den letzten Wochen oft genug in stillen Momenten dagesessen und mir Sorgen gemacht, wie sich hier die Lage wohl entwickelt haben mochte, aber wie ich sehe, waren diese Zweifel unbegründet und das freut mich maßlos.�
Bragan lächelte verlegen und machte fast einen Kratzfuß.
�Es ist nicht so, daß wir nicht auch einige Strapazen, oder zumindest strapaziöse Situationen gehabt hätten, aber ich kann euch zustimmen, daß das Ergebnis so oder so gewaltig ist.�
Hinter ihnen erscholl eine Stimme.
�Na, sieh doch mal einer an, was der Wind durch die Tür getragen hat.�
Joro fuhr herum und sah Omareth am Eingang stehen.
Es war ein unausprechlich gutes Gefühl, den alten Mann mit der schlechten Laune wiederzusehen, auch wenn ihm spontan ein ungutes Gefühl hochstieg, weil er in der Zeit in Bargum sein tägliches Training -gelinde gesagt- ein wenig vernachlässigt hatte.
Der Drow musterte Ghaundar und ihn eine Weile und grinste dann.
�Sieht so aus, als hätte ich glatt eine Wette verloren.�
Beide sahen ihn fragend an und er fuhr fort:
�Ich habe mit meinem Neffen Tluth gewettet, daß mindestens einer von euch beiden, solltet ihr zurückkommen, eine Gliedmaße weniger hat.�
�Was heißt denn hier �solltet��, erwiderte Ghaundar mit einem aufgesetzt bösen Gesicht.
Omareths Gesicht wurde etwas ernster.
�Aufgrund der wenigen Informationen, die wir über euer beider Verbleib hatten, konnte man eigentlich nur mutmaßen, was ihr macht.�
�Ich dachte, du hättest eine Nachricht hinterlassen, hast du das vorhin nicht gesagt?�, fragte Ghaundar Joro.
�Eigentlich schon�Fragt sich nur, wer die gefunden hat��
Omareths Blick sagte alles. Also war die Lage doch eher so schlimm, wie er vermutet hatte.
Es half nichts, er fragte einfach.
�Wie schlimm ist es?�
Offenbar wollte Omareth darauf nicht antworten, denn er schüttelte nur seinen gesenkten Kopf.
Eigentlich wollte Joro einfach nur noch allein sein, also sagte er an Bragan gewandt:
�Ich glaube es wäre am Günstigsten, wenn wir erst einmal ein wenig Ruhe bekommen. Wenn ich ausgeschlafen habe, werde ich wieder zu Euch kommen und dann können wir alles bereden, was ich in der letzten Zeit verpaßt habe. Ich bin sehr neugierig, die ganze Geschichte zu hören.�
Bragan nickte und Joro, Ghaundar und Omareth machten sich auf, um zum Portal zu gehen.
Sie sprachen kaum ein Wort auf dem Weg nach oben, es war fast, als sähen die beiden Drow das Gewitter, daß sich über Joros Kopf zusammenbraute.
Als sie auf die Plattform traten sah Omareth zu ihm nach oben und seltsamerweise bildete sich auf seinem Gesicht ein Lächeln.
�Aber weißt du, was ich dir hoch anrechne, Mensch?�
�Nein, was?�
�Daß du dich getraut hast, wieder hier herzukommen. Scheint fast so, als seiest du in diesem Punkt standhafter, als ich gedacht hätte.�


Kapitel 27


Irgendwie ermuntert, wenn auch wieder mit der Tatsache konfrontiert, daß Drow gegenüber Menschen offensichtlich eine negative Erwartungshaltung hatten, selbst wenn sie sie schon kannten, wechselten sie auf die andere Seite und der Anblick war um ein weiteres Mal sehr verblüffend.
Auch wenn der Schnee im Lande schon seit einiger Zeit begonnen hatte zu tauen, um Bargum lag gar keiner mehr, war sogar hier, weit im Norden, der Frühling ausgebrochen.
Die Landschaft, die Joro eigentlich nur verschneit oder bestenfalls verschlammt kannte, war mit einem Mal überzogen mit Gräsern und an vielen Stellen wuchsen unerwartet bunte Blumen in allen Farben zwischen den Halmen hervor.
Aus den Häuserschornsteinen drang vereinzelt Rauch hervor, denn entgegen der Tatsache, daß das Leben Einzug in das Tal hielt, war es nichtsdestotrotz immernoch reichlich kalt.
Joro verabschiedete sich kurz von seinen Begleitern, die ihn beide erwartungsvoll ansahen und ging zielstrebig zu seiner Hütte.
Wieder führte ihn sein erster Weg nicht in das Haus, sondern dahinter. Der Friedhof war genauso wie es bei seiner letzten Wiederkehr in ausgezeichnetem Zustand. Auf dem Grab von Omareths Neffen lag sogar ein Strauß frische Blumen, was ihm zeigte, daß es nicht nur eine Art Zuneigungsdienst war, hier für Ordnung zu sorgen, wenn die Drow den Ort besuchten.
Zufrieden und beruhigt darüber, daß hier alles so war, wie er sich das gewünscht hätte, ging er zum Eingang der Hütte und trat ein, wobei ihm nicht entging, daß nicht ein einziger Dunkelelf zwischen den Häusern unterwegs war.

Da war er also. Der Raum roch nach Holz, der Ofen war kalt und die Asche vergangener Tage lag auch noch darin. Er beschloß dies zunächst zu beheben, denn immerhin hatte er in weiser Voraussicht dafür gesorgt, daß sich auch innerhalb der Hütte eine gehörige Menge an trockenem Holz befand. Joro nahm das kleine Beil, das danebenlag und machte sich daran, ein paar Kienspäne zu spalten, um daraufhin anzufeuern.
Als er das Feuer leise im runden Korpus des eisernen Ofen knistern und bollern hörte, machte er ein zufriedenes Gesicht und begann, sein Reisegepäck auseinanderzunehmen.
Joro hatte es sich nicht nehmen lassen, die Notizen Albrechts und Toldors als erstes einzupacken, da er in großer Erwartung war, was sich alles geändert hatte.
Dennoch. Als das alles getan war, stand er im Raum und wußte nicht, wie es weitergehen sollte.
Er trat an das kleine Fenster neben dem Eingang und schaute hindurch, um das Haus zu erspähen, in dem Alystin lebte und dabei kam ihm ein flaues Gefühl im Magen hoch.
Sehnsüchtig glitten Joros Augen zu dem Buch, das er auf den Tisch gelegt hatte, aber der Anblick gab ihm nicht den erhofften Impuls der Ablenkung, den er sich so dringend gewünscht hätte. Dennoch. Durch die Tür zu schreiten und zu ihr herüberzugehen war keine Option. Teils, weil seine Schuldgefühle ihn daran hinderten, teils, weil ihm schlichtweg der Mut fehlte.
Eigentlich hätte er sich in diesem Moment gerne selbst geschlagen, weil die Sehnsucht, sie einfach nur zu umarmen stärker war, als überhaupt zu leben, aber auf der anderen Seite seine Angst davor, von ihr verstoßen zu werden, so immens auf ihn einwirkte, daß es ihn fast lähmte.
Jedoch.
Hatte sie ihm nicht selbst einmal gesagt, daß er aufhören sollte, sich dauernd zu entschuldigen? Nein, das war wohl eher Omareth gewesen, aber sie hatte das ähnlich ausgedrückt.
Joro ertappte sich mehrmals dabei, daß er die Hand auf der Klinke der Eingangstür hatte, dann hielt irgendwas ihn aber wieder davon ab, sie niederzudrücken.
Aber es konnte doch nur falsch sein, wenn er nach dem, wie von hier fortgegangen war, auch noch darauf wartete, daß sie die erste war, die etwas unternahm.
Er versuchte in seinem Geiste in der Verzweiflung, die er empfand, zu erfühlen, ob Celestus zugegen war, aber es verwunderte ihn nicht, daß dieser offenbar durch Abwesenheit, oder vielmehr durch gewähltes Ignorieren glänzte.
Es war wohl wieder einer dieser Momente, wo man erst einen Schritt tun und dann sehen mußte, worauf man getreten war.

Die Luft außerhalb der Hütte fühlte sich jetzt nicht kalt an, sondern als kratzten ihm die Krallen von Harpyien im Gesicht. Fast wie in einer Trance schleppte er sich, kaum Herr seiner Schritte, zu dem Haus mit dem kleinen Turm hinüber und stand schließlich mit bleiernen Füßen vor den drei Treppenstufen, die zur Tür heraufführten.
Er mußte seine Hand zwingen, sich zu heben und die Bruchteile eines Augenblickes, bis seine Knöchel auf dem Holz landeten erschienen ihm wie die Zeit eines ganzen Lebens.
Nichts geschah.
Joro klopfte noch einmal, aber auch jetzt vergingen unzählige Momente, in denen nichts passierte.
Die Stimme, die neben ihm erklang drang in seine Ohren, als kämen sie aus einer anderen Welt. Es war eine der anderen Priesterinnen, die wohl gerade zufällig vorbeigekommen war.
�Ich heiße Euch willkommen und es freut mich, daß Ihr ohne Schaden wieder hier angekommen seid, Joro Macun. Allerdings fürchte ich, daß die Hohepriesterin nicht zuhause ist, sie hat vor etwa zwei Stunden das Haus verlassen und keinem gesagt, wo sie hingeht.�
Er war ehrlich verwirrt.
�Oh, äh, ja, danke. Und ich bedanke mich für die freundliche Begrüßung.�
�Nichts zu danken�, die Drow lächelte, wobei ihn das Gefühl beschlich, daß es eher ein mitleidiges Lächeln war, aber konnte er seiner Wahrnehmung überhaupt noch trauen�
Joro sah sich um und war nun vollends unfähig zu entscheiden, was er tun sollte. Wie ein geprügelter Hund vor dem Haus warten wollte er auch nicht.
Also entschloß er sich, trotz seiner Leiden, wieder zu seiner Hütte zu gehen und wie ein Verurteilter, denn so kam es ihm vor, darauf zu warten, bis etwas geschah.
Doch als er so den Weg herunterlief kamen ihm die Gedanken, wie albern es sein mußte, die nächsten Stunden vor dem Fenster zu warten, ob sich vor Alystins Haus etwas tat.
Eher war es so, als richtete er sich während des Laufens immer weiter auf, während er realisierte, daß sein Verhalten tief ins Hysterische abgeglitten war und er mit einer Einstellung, die die Wahrheit einfach als das akzeptierte, was sich ihm bieten würde, weitaus besser liegen dran wäre.
Als er schließlich seine Hütte erreichte hatte er sich erfolgreich eingeredet, daß was auch auch geschähe, seine Ordnung hätte.
Kurz nachdem er eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, wurden alle diese Gedanken zerschlagen.
Auf einem der Stühle saß Alystin. Sie trug ihre normale Alltagskleidung, die aus einem Lederwams, einer Wildlederhose und entsprechenden Stiefeln bestand und die Farbe ihrer Augen versprach �bestenfalls- nichts Gutes.
Joro sagte nichts. Er starrte nur wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange.
Sie betrachtete ihn sehr lange und mit jedem Augenblick der verstrich wünschte sich Joro, daß seine Existenz negiert würde.
Dann endlich öffnete sie ihren Mund und sprach.
�Also hast du wenigstens den Mut besessen, nicht wie ein Dieb in der Nacht hier hereinzuschleichen und einfach so zu tun, als sei nichts geschehen?�
�Ich��
�Schweig! Wenn ich fertig bin, werde ich es dir schon zu verstehen geben!�
Joro schluckte unvermittelt.
Sie hob ihre Hand und er konnte den Zettel erkennen, den er vor seiner Abreise geschrieben hatte.
�Bist du wirklich der Ansicht, daß diese �Hinterlassenschaft� in irgendeiner Weise eine Beruhigung oder vielleicht gar ein Trost dafür gewesen sein könnte, für das, was du mit mir getan hast?�
Er setzte an, um etwas zu sagen, aber er erinnerte sich sofort, daß es keine gute Idee war, sie unterbrechen, auch wenn sie ihm de facto eine Frage gestellt hatte.
Auf ihrem Gesicht spiegelten sich eine Unmenge an Gefühlen wieder, ständig wechselnd zwischen hilfloser Wut und Enttäuschung.
�Ich habe für dich Partei ergriffen. Ich habe mich gegen alles gestellt, was diejenigen, die mir vertrauen jemals für richtig befinden würden und du verläßt diesen Ort einfach so, ohne nur ein einziges Wort zu sagen?�
Sie sprang auf und zerriß den Zettel, um ihn dann auf den Boden zu werfen.
�Alles das, nur für dich und dann tust du mir das hier an?!�
Ihre Augen funkelten in einem hellen Karmesinrot und sie rang nach Worten. Dann reckte sie das Kinn vor.
�Und alles, was ich von dir jetzt erwarten kann, ist dein übliches �Es tut mir leid�. Darauf, und da kannst du dir sicher sein, kann ich endgültig und vollständig verzichten�, sie musterte ihn kurz, �Also wenn du noch irgendetwas zu sagen hast, dann ist jetzt deine letzte Chance.�
Er schwieg und ihr Gesicht nahm einen verächtlichen Ausdruck an.
�Nichts Anderes habe ich erwartet. Leb wohl, Joro Macun.�
Sie ging zur Tür und öffnete sie, doch noch bevor sie hindurchtrat, sagte er leise:
�Ich liebe dich, Alystin. Und es hat keinen Tag gegeben, an dem ich nicht bei dir sein wollte.�
Statt darauf zu antworten, schnaubte sie nur und schlug die Tür hinter sich zu.

Joro hatte keine Ahnung, wie lange er noch dort gestanden hatte, aber dann wußte er, was er tun mußte. Langsam, mit dem größten Widerwillen, begann er, alle seine Habseligkeiten wieder in sein Bündel zu legen und fühlte mit vergehender Zeit immer mehr einen großen Abschied in sich. Nicht nur von diesem Ort, nein, es war vielmehr, als verabschiedete er sich von seinem Leben verabschieden. Irgendwie gab es in ihm das Gefühl einer Erleichterung, allerdings nicht im Positiven, sondern daß zumindest dieser Punkt geklärt war.
Er fragte sich, wie er wohl Ghaundar oder Omareth beibringen sollte, daß er gehen mußte, aber es war völlig undenkbar, daß er unter diesen Umständen noch an diesem Ort leben konnte.
Vielleicht hatte sie ja sogar recht und es war einfach seine Natur, sich davonzustehlen.

Irgendwie war es wohl ein Wink des Schicksals, daß es in diesem Moment an der Tür klopfte.

Es war Ghaundar.

Er sagte zunächst nichts, sondern kam einfach nur herein und setzte sich auf einen der Stühle.
Dann sah er Joro an.
�Also gehst du?�
�Ja.�
Der Drow schwieg und dachte nach. Dann sah er aus dem Fenster.
�Es ist unvermeidlich, nicht wahr?�
�Ja. Ist es.�
Ghaundar sah ihn wieder an und es schien, als regte sich tatsächlich so etwas wie Gefühle in ihm.
�Versteh mich nicht falsch, aber es ist eine Schande, daß du gehen willst.�
�Eine Schande?�
�Genau das. Nach allem, was geschehen ist, kann ich nicht umhin dich��, es fiel ihm nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, �als einen� Freund zu betrachten.�
Normalerweise hätte Joro es amüsant gefunden, wie sich der kleine, schwarze Mann vor ihm abrang, dieses Wort auszusprechen, aber jetzt war es nur noch eine weitere Nadel in seinem Fleisch und es trieb ihm nur noch mehr Tränen in die Augen.
�Das geht mir genauso, Ghaundar. Egal was auch immer mich dazu bringt, von hier fortzugehen, ich werde niemals die Zeit vergessen, die wir miteinander erlebt haben. Aber ich kann weder damit leben, noch jemals akzeptieren, was meine Reise nach Bargum hier ausgelöst hat. Es ist einfach besser, wenn sich unser aller Wege hier trennen.�
Selbst der Assassine schien nicht unberührt von der Situation, aber es war verblüffend, wie gut er sich trotzdem unter Kontrolle hatte.
�Dann werde ich zusehen, daß ich dich von Zeit zu Zeit in Bargum besuchen komme. Wenn der Krieg diese Lande erreicht werden wir sicherlich gut daran tun, wenn wir weiter Kontakt miteinander haben.�
�Ich gehe nicht nach Bargum.�
�Sondern?�
Joro starrte auf sein Bündel.
�Ich weiß es noch nicht. Irgendwohin.�
�Du läßt also noch mehr im Stich, als es bereits solche gibt, die sich so fühlen?�
Der Bischof lachte bitter.
�Als ob das einen Unterschied machte. Albrecht kann Bargum schon regeln. Und hier gibt es für mich keine Heimat mehr, also kann es mir und auch jedem anderen egal sein, wo ich am Ende bleibe.�
�Wenn du das so siehst, dann kann ich dich auch nicht aufhalten, oder?�
�Nein, das könnte mittlerweile nicht einmal Celestus selbst.�
Ghaundar ließ den Kopf hängen, stand dann aber auf und legte ihm die Hand an den Arm.
�Ich werde dich niemals vergessen, Joro Macun.�
�Ebenso. Mach es gut�Freund.�

Der Drow verließ die Hütte und Joro brach in Tränen zusammen. Als Alystin aus der Hütte gegangen war, hatte ihn nur der Schock noch aufrecht gehalten, aber Ghaundar nun auch noch Lebewohl sagen zu müssen war einfach zu viel gewesen.
Draußen wurde es schon dunkel, als er das erste Mal wieder hochsah und er fühlte sich nicht einmal mehr stark genug, einfach aus der Hütte zu laufen und von hier zu verschwinden, auch wenn es in seinem Kopf danach schrie, einfach diesen Ort hinter sich zu lassen.
Immernoch schluchzend fiel er auf sein Bett und kauerte sich dort zusammen, die Augen fest zugepresst.
Nichts auf der Welt hätte ihn jetzt mehr gefreut, als wenn Celestus seinen Pakt mit ihm jetzt und auf der Stelle aufgelöst hätte und er einfach an einer großen Wunde in seiner Brust verblutet wäre.
Nichts�

Irgendwo in seinem Kopf hörte er leise das Geräusch der Tür.

Die Decke seines Bettes hob sich und es schob sich ein Körper direkt vor ihn. Der Geruch war mehr als eindeutig, es konnte nur eine Person sein.
Träumte er?
�Was��, stammelte er leise, aber ein zarter Finger legte sich auf seinen Mund.
Es war ohne Zweifel ein sehr weiblicher Körper, der dort vor ihm lag und als er ihn durch Zufall berührte, bemerkte er, daß dieser nackt war.
Ihre Hüfte drängte sich unvermittelt an ihn und er wußte instinktiv, was das bedeutete.

Als er sie schließlich fest in den Arm nahm und mit beiden Händen fest umschloß, fühlte er, wie Tränen auf seinen Unterarm rannen. Aber das beunruhigte ihn nicht, sondern gab ihm ein stärkeres Gefühl der Nähe, als er es in seinem ganzen Leben jemals empfunden hatte.

Kapitel 28

�nur überboten von der unglaublichenen Erfüllung, als er an nächsten Morgen aufwachte und seine Arme immernoch fest um die Frau gelegt waren, die er liebte.
Sie schlief und atmete leise aus ihrem wunderschönen Mund, der doch viel zu oft Dinge sagte, die mit ihrer äußeren Erscheinung stark konkurrierten. Dieser Moment hatte etwas so Magisches an sich, daß er sich nicht traute, sich auch nur einen Fingerbreit zu bewegen, auch wenn sein rechter Arm, der unter ihrem Hals lag, wohl schon seit geraumer Zeit so stark eingeschlafen war, daß er ihn nicht mehr fühlte.
Nichts, aber auch gar nichts auf der Welt wäre ihm jetzt weniger wichtig gewesen, als der Zustand seines Armes. Hingegen lag er nur da und beobachtete sie, wie sich ihre Brust langsam hob und senkte. Ihre spitzen Ohren, ihr wunderschöner Hals und die Augenbrauen, die sich sanft unter ihrer Stirn wölbten. Er konnte nichts, aber auch wirklich gar nichts an ihr finden, daß er als häßlich bezeichnet hätte, und das war nicht einmal ein Ergebnis dessen, was sich in der letzten Nacht ereignet hatte, auch wenn ihm das ein warmes Gefühl in sehr interessanten Gegenden machte.
Mit einem Grinsen fragte sich Joro, wie Alystin wohl selbst reagieren würde, wenn sie aufwachte. Dieses Mal doch hoffentlich ohne einen Würgegriff oder dergleichen.
Er hatte sich wohl zu viel bewegt, denn ihre Augen öffneten sich langsam, mittlerweile wieder in der schönsten Lavendelfarbe der Welt.
Sie drehte sich zu ihm und ein Lächeln huschte auf ihr Gesicht.
Joro küßte sie sanft und fragte dann:
�Ich kann von ganzem Herzen sagen, daß ich die Entwicklung der letzten Nacht als ausgesprochen positiv bewerte.�
Sie sah ihn schnippisch an.
�Wenn du auch nur den Hauch einer Ahnung hättest, wie sehr ich mich gestern zusammengenommen habe...�
�Wann, als du zum ersten Mal in dieser Hütte warst oder beim zweiten?�
�Du bist frech, Joro. Und glaube ja nicht, daß ich nicht immernoch wütend auf dich bin.�
Die Farbe ihrer Augen strafte sie lügen, denn sie leuchteten wie eine Veilchenblüte in der Sommersonne, wobei im trotzdem nicht entging, wie das gemeint war.
Dennoch senkte er verschämt seinen Kopf.
�Ich hoffe doch stark, daß du weißt wie schwer mir das fiel. Aber ich hatte keine Ahnung, was auf mich wartete und ich hätte dich niemals in Gefahr bringen wollen.�
�Vielleicht hätte ich ja gewollt, daß du mich in Gefahr bringst.�
Er suchte erst nach Worte, die er darauf erwidern konnte, aber die gab es nicht, und während er schon wieder leichte Tränen in die Augen bekam, küßte er sie erneut, dieses Mal sehr lange.
Sie drehte sich auf den Rücken und legte sich entspannt auf das Kopfkissen.
�Zumindest könntest du mir erzählen, was in Bargum geschehen ist, wenn ich schon nicht selbst dabei sein durfte.�
�Ja, Moment, hrgnf!� Nachdem er einige Zeit damit beschäftigt war, seinen Arm herumzuwedeln, um wieder irgendwie Blut hereinzubekommen �begleitet davon, das Alystin kichern mußte-, legte er sich wieder neben sie und ließ sie sich an ihn kuscheln, so daß ihr Kopf auf seiner Schulter lag.
Dann begann Joro zu berichten, wie er in Bargum angekommen war und was er dort erlebt hatte. Hin und wieder entging es ihm nicht, daß Alystin Teile dessen, was er erzählte, unglaubwürdig zu finden schien, aber an diesen Stellen erklärte er ihr dann noch einmal genau, wie es sich ereignet hatte.
Als er schließlich fertig war, nickte sie nur und meinte dann:
�Da bist du einige Male beinahe über die Klinge gesprungen.�
�Das waren aber nicht die Situationen, in denen ich mich schlecht gefühlt hätte. Eher waren es die letzten zwei Wochen, in denen ich oft ganze Nächte nicht genug geschlafen habe, weil ich allein in meinem Zimmer saß und an dich denken mußte.�
�Du bist wirklich niedlich, Joro�, sie gab ihm einen sanften Schmatz auf die Wange.
�Alystin?�
�Ja?�
�Eins habe ich bis heute nicht verstanden.�
�Nämlich?�
�Wie kam es überhaupt dazu, daß wir hier gerade miteinander im Bett liegen?�
�Ich nehme an, daß du nicht speziell diesen Umstand meinst, sondern wie und vor allem warum ich mich in dich verliebt habe, nicht wahr?�, sie lächelte verschmitzt.
�Genau das. Als ich hier ankam habe ich nicht den Eindruck gehabt, daß wir jemals auch nur so etwas wie Freunde werden.�
�Als du hier angekommen bist wäre es mir in der Tat völlig egal gewesen, ob du lebst oder stirbst...�
�Aua.�
�Es ist so, wie es ist, Joro. Aber schon in den ersten Tagen habe ich dich Dinge vollbringen sehen, die ich niemals von einem Menschen erwartet hätte. Und mehr noch.�
�Was denn?�
�Es geht etwas von dir aus, eine bodenständige Ehrlichkeit. Und die zeigt, daß alles was du tust wirklich deiner Überzeugung entspricht und da sind wir beide uns sehr, sehr ähnlich. In vielem, was du hier getan hast, habe ich das Gefühl gehabt, daß ich in einen Spiegel sehe. Naja� Irgendwann ist dann plötzlich ein Funke geflogen��
�Eine sehr impulsive Entscheidung�, Joro lächelte sein glücklichstes Lächeln.
�Nicht schlecht für eine kleine Llothpriesterin, was?�
Sie rangelten eine Weile miteinander, was in einem langen Kuß endete. Dann blickte sie hinauf zum Fenster, was Joro gleich wieder ein leichtes Angstgefühl machte.
�Mußt du gehen?�
Alystin strich ihm über das Gesicht.
�Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, gehen zu müssen, dann läge ich hier jetzt nicht Joro. Aber vielleicht magst du ja mit in mein Haus kommen und ich mache uns beiden ein Frühstück?�
Wärme stieg in ihm hoch.
�Ja, sehr gerne!�

Als sie sich aus dem Bett schälte und dann nackt vor ihm stand, kamen ihm wieder Erinnerungen an die letzte Nacht, denn der Anblick war unglaublich. Sie hob einen langen Piwafwi von einer der Stuhllehnen und wickelte sich darin ein, während sie schmunzelnd zu ihm herüberblickte.
�Starrst du schon wieder, Joro Macun?�
�Ähh�, er wurde rot, �Ich meine� jetzt darf ich doch, oder?�
Sie wiegte den Kopf hin und her und legte übertrieben den Finger auf ihr Kinn.
�Doch, ja, ich glaube, daß du bewiesen hast, daß du starren darfst.�
Sein Gesicht hatte jetzt die Farbe eines gekochten Hummers.
Verlegen stand er ebenfalls auf und warf sich seine Alltagsrobe über, während Alystin zum Bündel ging und eine der Bischofsroben herausnahm, die er aus Bargum mitgebracht hatte.
�Ganz schön schmuck, Herr Bischof, Erzbischof, Verzeihung.�
�Nun ja�, meinte er verlegen, �mit diesem Pomp habe ich es ja nicht so, wie du sicherlich weißt.�
�Ich wette, daß es dir trotzdem steht.�
Joro lächelte schüchtern.
�Also, wollen wir?�
�Ja, laß uns gehen.�
Sie nahm ihn bei der Hand und sie traten vor die Hütte. Draußen war es eisig, die Sonne war noch nicht vollständig aufgegangen und unten im Tal lag eine Schicht kalter Luft über dem Boden, der auf manchen Grashalmen Rauhreif erzeugt hatte.
�Hast du gar keine Schuhe dabei?�
�Nein, ich habe mich gestern ziemlich spontan entschlossen, zu dir zu gehen.�
Joro freute sich ungemein, daß diese Entscheidung getroffen worden war, aber den Gedanken verfolgte er nicht weiter, sondern erquickte sich nur an der Tatsache, daß es geschehen war, wie es geschehen war.
Wortlos faßte er sie und hob sie auf die Arme.
Es schien ihr nicht recht zu sein, denn sie schaute verblüfft und leicht verärgert, aber er duldete keinen Widerspruch.
�Ich weiß, wie das mit Drowfrauen so ist, werte Hohepriesterin, aber ich werde nicht zulassen, daß du dich erkältest.�
Erst wollte sie protestieren, aber dann sah sie ihn ganz seltsam an und lächelte dann ganz keusch.
�Dann bin ich mal artig, Eminenz.�

Joro wurde sich schlagartig bewußt, daß dieses das erste Mal seit seiner Ankunft in der Enklave war, daß er eines der anderen Häuser zu sehen bekam. Bisher waren immer alle Drow zu ihm gekommen, wenn sie etwas von ihm wollten. Oder eben von alleine aufgetaucht, wenn etwas zu tun war. Nun aber betrat er zum ersten Mal eines ihrer Häuser und war gleichzeitig verblüfft, aber auch überrascht, wie es darin aussah.
Natürlich war Alystins Haus größer als seine kleine Hütte, genaugenommen war es sogar das größte Haus im Tal, also hatte es im Eingangsbereich einen im Vergleich geradezu riesigen Wohnraum, der nicht nur einen richtigen Herd, sondern auch einen Kamin, einen großen Diwan, der mit Seide bespannt war und einen runden Eßtisch mit acht Stühlen daran zu bieten.
Die Grundform des Raumes, die genau wie bei seinem Heim eine runde war, wurde an einer Seite des Raumes durch eine steinerne Wand mit einer Tür unterbrochen. Neben dieser Tür führte eine enge Wendeltreppe nach oben, wohl in den kleinen Turm.
�Die Treppe interessiert dich am meisten, was?�
�Hm?�
�Wenn ich die Art betrachte, wie du auf die Treppe schaust, habe ich die spontane Eingebung, daß sie dich sehr interessiert.�
Alystin hatte recht.
�Wohin führt sie denn?�
Ihr Blick wurde geheimnisvoll und ein bißchen neckisch.
�Wenn du ganz lieb zu mir bist, wirst du das vielleicht bald herausfinden.�
�Also ist es das Schlafzimmer, ja?�
Sie kicherte und machte sich daran, Dinge aus den Schränken um den Herd zusammenzusammeln, um daraus etwas zu kochen.
Joro sah sich um.
�Darf ich mich setzen?�
Die hochgezogene Augenbraue bedeutete ihm, daß die Frage dämlich gewesen war, also nahm er auf einem der Stühle am Eßtisch Platz.
�Immerhin weiß ich jetzt, was mein Großvater meinte, als er sagte �und ewig lockt das Weib���
Sie stütze ihre Arme auf die Hüfte und sah ihn betont entrüstet an.
�Was soll denn das jetzt wieder heißen?�
�Naja, ich kenne jetzt immerhin die Gründe für diesen Ausspruch�, Joro konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Überhaupt fühlte er sich unglaublich lebendig und glücklich.
Ihr Blick wechselte vom Aufgesetzten zu einem wissenden Ausdruck.
�Wenn ich jetzt böswillig wäre, könnte ich sagen, daß ich gerne noch einmal so alt wäre, wie du, mein Joro.�
�Als du so alt warst wie ich jetzt, warst du nichtmal eine Jugendliche, wenn ich das richtig verstanden habe.�
�Niemals um eine Antwort verlegen, was?�, sie drehte sich wieder um und setzte einen Kessel mit Wasser auf den Herd, �immerhin ist noch Glut im Ofen, sonst könnte das mit dem heißen Wasser noch ewig dauern.�
�Du bekommst hoffentlich nicht den Eindruck, daß ich das irgendwie vergleichen will�, meinte Joro, während er sich weiter umsah.
�Was, deine neunzehn Jahre und wie es war, als ich neunzehn war?�
�Das ist lange her, oder?�
Ohne sich umzudrehen, sah Alystin nach oben und überlegte eine Weile.
�Ja, das ist schon eine wirklich lange Zeit��
�Hm.�
�Was?�, sie lächelte.
�Ich habe von meinem Großvater gelernt, daß man Damen nicht nach ihrem Alter fragen darf, auch wenn ich den Grund niemals verstanden habe��
Alystin lachte laut.
�Du willst wissen, wie alt ich bin?�
�Magst du es mir sagen?�
Sie kam vom Herd herüber und setzte sich auf seinen Schoß.
�Versprichst du mir, nicht ohnmächtig zu werden, mein kleiner empfindsamer Joro?�
�Du behandelst mich wie ein Kleinkind�, schmollte dieser.
�Ich bin zweihunderachtundneunzig Jahre alt. Diesen Sommer werde ich sogar noch ein Jahr älter.�
Auch wenn er als Erstes den Impuls hatte, eine Ohnmacht vorzutäuschen, nur um sie zu foppen, hinderte ihn seine gute Daishanierziehung daran, etwas Unehrliches zu machen. Dennoch, das war ein harter Brocken. Das hieß konkret, daß Alystin schon zu dem Zeitpunkt, an dem sein Großvater geboren worden war, nach menschlichen Maßstäben ein hohes Alter erreicht hatte.
Änderte das etwas? Er schaute in ihr Gesicht. Nein. Es änderte überhaupt nichts, eher machte es ihn auf eine komische Art und Weise sogar stolz, daß sich jemand ihres Alters tatsächlich in ihn verliebt hatte.
�Du denkst wieder nach, nicht wahr?�
�Ja��
�Und, kannst du mit dieser Information leben?�, trotz ihres spielerischen Verhaltens stand Sorge in ihre Augen geschrieben.
Er befand, daß eine Antwort in diesem Moment unpassend gewesen wäre, stattdessen zog er sie zu sich heran und gab ihr einen sehr langen Kuß.
Sie wirkte erleichtert, lächelte wieder, stand auf und ging zurück zum Herd.
�Dein Haus ist schön, Alystin.�
�Danke�, sie knickste.
�Weißt du, daß ich hier noch niemals in irgendeinem Gebäude außer meiner eigenen Hütte war?�
�Ja, das wundert mich nicht.�
�Wieder so eine Drowgeschichte, nicht wahr?�
�Natürlich.�
�Also ist es wieder an der Zeit, sich geehrt zu fühlen, oder kann ich das einfach darunter verbuchen, daß wir uns letzte Nacht näher gekommen sind als Drow und Menschen das normalerweise tun?�
Alystin drehte sich um und legte den Kopf schief.
�Du kannst derlei Worte wirklich nicht mehr hören, was Joro?�
�Das Gespräch hatten selbst wir beide schon zu oft��
�Deshalb habe ich es ja vermieden, es auszusprechen�, ihr Gesichtsausdruck spiegelte große Zuneigung wider, als sie mit zwei großen Tontassen zum Tisch kam und ihm eine von beiden hinstellte, �Das hier ist ein Kräutertee aus einer seltenen Wurzel. Ich hoffe, daß er dir schmecken wird.�
Sie ging wieder zum Herd, um dort noch etwas mehr zuzubereiten und Joro nippte an dem Tee. Er schmeckte sehr würzig und erinnerte ihn ein wenig an die Süßholzwurzeln, die sein Großvater immer als Naschwerk in seiner Stube aufbewahrt hatte.
�Alystin?�
�Ja?�
�Habe ich dir heute schon gesagt, daß ich dich liebe?�
�Selbst wenn es so wäre, würde ich es bestreiten, denn das höre ich immer wieder sehr gerne.�
Sie brachte zwei Teller mit einem Getreidebrei, der mit Honig gesüßt war. Es schmeckte vorzüglich und Joro, der am Vortag, außer einem kleinen Happen Wegzehrung, nichts gegessen hatte, mußte sich bemühen, ihn nicht herunterzuschlingen wie ein Scheunendrescher, das hätte er als unhöflich empfunden.
Schließlich lehnte er sich zurück, nicht ohne zu bemerken, daß Alystin auch schon fertig war. Sie tupfte sich den Mund mit einem Saum ihres Piwafwi ab.
Dann sah sie ihm mit einem Feuer in ihren Augen an, das er vorher noch niemals bei ihr gesehen hatte.
�Und? Möchtest du einmal sehen, wohin die Treppe führt?�

Es mußte schon Nachmittag sein, als Joro schließlich erst einmal verschnaufen konnte. Alystins Schlafzimmer, ganz oben unter dem Dach des Turmes gelegen, der noch in einer Zwischenetage einen kleinen Raum mit Bücherregalen besaß, hatte eigentlich nur ein gewaltiges Bett in sich, das das Zentrum des Zimmers komplett für sich in Anspruch nahm.
Alystin war nach unten gegangen, denn sie hatte sich doch noch daran erinnert, daß sie noch etwas tun mußte, das keinen Aufschub erlaubte.
Eigentlich hätte er nichts dagegen gehabt, noch eine Weile, nunja� aber es war wohl wichtig und er wollte ihr nicht im Weg stehen, wenn sie etwas erledigen mußte.
Der Raum hatte eine Besonderheit an sich, nämlich, daß der obere Teil der Wände nicht etwa gemauert war, sondern aus Holzverschlägen bestand, die man hochklappen konnte. Auf die Art und Weise war es theoretisch möglich, quasi unter freiem Himmel zu schlafen, wenn man das wollte. Eine geniale Konstruktion, wie er fand.
Unten klopfte es an die Tür und er hörte, wie Alystin �Herein� sagte.
Joro hörte Omareths Stimme und konnte, auch wenn dieser wie immer sehr schnell in seiner Muttersprache redete, verstehen, daß es um ihn ging.
Ihr Antwort war offensichtlich in der Gebärdensprache, denn er hörte sie nichts sagen, aber Omareth machte einen verblüfften Laut. Schließlich schloß sich die Tür wieder und er hörte leise Schritte auf der Treppe.
Er mußte unwillkürlich grinsen, als sie wieder vor ihm stand, auch wenn die Tatsache, daß sie sich angezogen hatte, ihn irgendwie enttäuschte.
Sie lächelte und er fragte:
�Und? Mußt du heute im Laufe des Abends noch ein paar deiner Drohungen wahr machen?�
�Nein, nicht wenn die Leute hier wissen, was gut für sie ist��, sie rückte ihre Haare auf dem Hinterkopf zurecht und stieg dann auf das Bett, um ihn auf die Stirn zu küssen, � ich muß jetzt mal nach draußen und mich um ein paar Dinge kümmern. Wenn du magst kannst du hier auf mich warten.�
�So verlockend das klingt, ich glaube ich habe auch noch eine Gänge zu erledigen�, er richtete sich auf, �aber so schnell werden sie mich garantiert nicht wieder so weit von dir fortbringen. Das schwöre ich dir.�
Alystin flüsterte ein: �Das ist sehr, sehr schön, Joro� in sein Ohr und machte sich dann daran, die Treppe herunterzusteigen.
�Sehen wir uns heute Abend?�
Sie lachte.
�Da ist jemand auf den Geschmack gekommen, was?�
�Du weißt ganz genau, daß das nicht der Grund ist.�
�Weiß ich. Aber man wird doch noch scherzen dürfen, oder?�

Schließlich hatte er sich die Robe übergeworfen und ging aus dem Haus herüber zu seiner Hütte, nur um dort Ghaundar zu sehen, der an die Wand neben der Eingangstür lehnte.
Dem Assassinen war anzusehen, daß er schlecht geschlafen hatte, denn das äußerte sich für gewöhnlich darin, daß immer einige seiner Haarsträhnen nicht ordentlich auf dem Hinterkopf zusammengebunden waren. Auch stand sein Kragen schief und Ghaundar konnte man im Allgemeinen eine gewisse eitle Neigung nachsagen, was sein Äußeres anging.
�Weißt du eigentlich, wie ich heute aufgewacht bin?�
�Nein?�
�Indem Omareth in mein Haus kam, mir einen Eimer Wasser auf den Kopf gekippt hat und gut eine halbe Stunde so dermaßen auf mich eingeredet hat, daß ich immernoch nicht weiß, was er alles gesagt hat.�
�Worum gings denn im Großen und Ganzen?�
�Unter anderem darum, daß du doch nicht einfach so abgehauen bist wie ein räudiger Hund. Ich glaube, daß der alte Mann richtig glücklich war.�
�Der alte Mann? Ich glaube nicht, daß ich mich erinnern kann, daß du ihn jemals so genannt hast.�
�Unabhängig davon, daß er tatsächlich älter ist als ich, wird dir nicht entgangen sein, daß er sich vor allem so verhält wie einer, aber darum geht es doch auch gerade gar nicht.�
�Sondern? �warte mal, egal, ich weiß schon, worum es geht�, Joro klopfte dem Drow auf die Schulter und lächelte ihn an, �Ich freue mich auch darüber, wie sich alles entwickelt hat. Besser kann es kaum noch werden.�
Ghaundar schielte zu Alystins Haus herüber.
�Den ganzen Vormittag, was��
Des Bischofs Grinsen schaffte es fast, seine Ohren zu überwältigen.
�Ich verrate nichts.�
�Schon gut�wenigstens das dürfte eine Eigenart unseres Volkes sein, die du klaglos akzeptieren wirst��
Sie gingen beide in die Hütte und Joro zog sich erst einmal warme Unterkleidung unter seine Robe. Ghaundar saß derweil am Tisch und starrte in die Ferne.
�Weißt du, ich habe gestern abend wirklich gedacht, daß wir beide uns niemals wieder zu Gesicht bekommen.�
�Bist du in mich verliebt?�
Joro wich nur knapp einem Löffel aus, der noch auf dem Tisch gelegen hatte.
�Nein, du Dummbeutel, aber nach allem, was wir so hinter uns haben, wäre das ein reichlich alberner Schritt des Schicksals gewesen, meinst du nicht?�
�Ja, so habe ich das auch gesehen. Aber wenn sie mich wirklich verstoßen hätte, wäre das hier keine Heimat mehr für mich gewesen.�
�Darum geht es mir gar nicht. Ich bin eher erleichtert, daß die Geschichte hier noch nicht zuende geht. Immerhin ist es sehr unterhaltsam, in deiner Nähe zu sein.�
�Unterhaltsam��
�Ist es nicht so?�, der Dunkelelf pulte eine benutzte Prise Kautabak unter der Lippe hervor und warf sie in den kalten Ofen.
�Du bist wirklich süchtig nach dem Zeug, oder?�
�Alles deine Schuld.�
�Nein, es ist sicherlich schon so. Aber ich glaube auch, daß das Unterhaltsame daran für einen Außenstehenden erquickender ist, als für mich selbst.�
�Das werde ich nicht wagen, zu bestreiten�, Ghaundar schob sich eine neue Portion in den Mund.
Joro sah sich unschlüssig um. Eigentlich hatte er beschlossen, zu Bragan zu gehen und das Gespräch vom Vortag fortzusetzen, aber er wollte sich auch den Friedhof noch einmal aus der Nähe ansehen und und und� Viel zu viel auf einmal, um es alles zu erledigen.
�Was ist los?�, fragte der Drow.
�Ich weiß nicht genau. Es ist so viel zu tun und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.�
�Hm, in Anbetracht der Tatsache, daß die letzte Nacht ja scheinbar eine Art Offenbarung für dich war, sehe ich keinen Grund, warum du es nicht zumindest heute noch langsam angehen läßt und dich ausruhst. Wenn sich auch nur annähernd das ereignet hat, was ich vermute, dann wirst du auch in der kommenden Nacht kaum schlafen.�
�Ganz so war es ja nicht, aber ich glaube, daß du in den anderen Punkten Recht hast.�
�Dann mach erst mal das Naheliegendste und ich besorge uns beiden etwas zu essen.�
Ghaundar stand auf, verstaute seine Kautabakdose am Gürtel und ging nach draußen.

Also schnappte sich Joro seine Werkzeuge und ging hinter das Haus.
Zu seiner Überraschung konnte er dort Celestus schon auf ihn warten sehen.
Der Gott hatte es sich auf der Bank gemütlich gemacht und schien ihn gar nicht weiter zu beachten.
Natürlich war das nur gespielt, aber das hätte Joro auch gewußt, wenn seine Gedanken noch weiter in die Ferne gestreift wären, als sie es sowieso schon taten.
�Und, bist du mit dem Ausgang meiner Unternehmungen in Bargum zufrieden?�
Celestus drehte sich zu ihm.
�Was erwartest du von mir, daß ich antworten soll?�
�Zum Beispiel, daß du zufrieden bist und dich freust, daß sich auch hier alles in die richtige Richtung entwickelt.�
�Wenn du das Gefühl sowieso schon hast, wäre es doch überflüssig, daß ich das nocheinmal sage, oder?�
�Ein bißchen Lob ist Balsam für die Seele.�
Lachen scholl aus dem Gesicht des Gottes.
�Balsam für die Seele hattest du heute doch schon eine Menge, oder?�
�Du wirst mir doch hoffentlich nicht dabei zusehen, oder?�
Auch wenn das eine gute Basis für eine böse Stichelei gab, verkniff sich Celestus Derartiges.
�Nein. Das geht mich auch nichts an, du weißt, was wir darüber geredet haben. Die Kirche ist eine Sache, dein persönliches Glück eine andere.�
Joro versuchte, das Thema zu wechseln und sah betont zum Friedhof herüber. Die Saat, die er Wochen zuvor ausgebracht hatte, war aufgegangen, an einigen Stellen sogar konzentrierter, als er erwartet hätte.
�Gar nicht schlecht, wie sich das hier entwickelt hat, was?�, fragte sein Gott.
�Nein, wirklich nicht. Vor allem nicht, wenn man bedenkt, was Alystin ursprünglich davon hielt��
�Das sehe ich auch so. Nicht zu vergessen, was sie ursprünglich von dir hielt�Und ja, ich bin zufrieden mit deiner Arbeit in Bargum. Vor allem bin ich sehr glücklich darüber, daß du trotz der seelischen Pein so lange durchgehalten hast. Ich kann dich auch darüber informieren, daß Toldor und Albrecht in deiner Abwesenheit sehr gute Dienste leisten.�
�Ich werde bald dorthin zurückmüssen, nicht wahr?�
�Allzuviel Zeit hast du nicht, nein, aber auf der anderen Seite denke ich, daß du ein wenig Erholung verdient hast, also hetze dich nicht. Bargum ist nicht der Nabel der Welt und hier gibt es auch eine große Menge Menschen � und auch Drow, denen du etwas bedeutest.�
�Das weiß ich. Glaube mir ruhig, daß mein Kopf all dieses in sich trägt, aber irgendwie muß ich noch mein Herz damit in Einklang bringen.�
Celestus stand auf und ging zu einem der Gräber, von dem er eine Blume pflückte und daran roch.
�Ich habe noch etwas für dich, was dir vielleicht helfen könnte.�
�Was denn?�
�Nicht weit von Bargum gibt es eine alte Klosteranlage, die du besuchen solltest.�
�Auch Totengräber?�
�Nein, nicht wirklich, aber Menschen, die vielleicht auf deiner Seite stehen werden. In den kommenden Monaten wirst du jede Hand brauchen können, die mit anfaßt, wenn du weißt, was ich dir damit sagen will.�
�Also ist wieder diplomatisches Geschick gefragt?�
�Das kommt ganz darauf an, aber ich kann dir leider selbst nicht mehr sagen als das. Was daraus wird, wird allein daran liegen, was du tust.�
Der Gott verschwand und Joro war einmal mehr stark von der Tatsache genervt, daß Celestus zwar keine Probleme damit hatte, mit ihm über intime Dinge zu reden, aber ihm niemals klare Antworten gab, wenn etwas wichtig zu sein schien.
Er beschloß, daß das jetzt erstmal unwichtig war und nahm sich Hacke und Spaten, um einige kleinere Korrekturen vorzunehmen, die ihm wichtiger waren.
Die Zeit verstrich und er bemerkte Ghaundar und Omareth erst, als sich der Zimmermann betont laut räusperte.
�Oh, schon wieder zurück?�
�Ja, ich habe offiziell eine Bergziegenkeule spendiert�, Omareth hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
�Da bedanke ich mich aber bei dir. Gibt es einen besonderen Anlaß, der da einen Grund für bietet?�
�Sagen wir, daß du es dir verdient hast. Ghaundar, mach mal ein Feuer.�
Während der Assassine ein paar größere Holzstücke holte und Joro noch ein oder zwei Bündel Unkraut aus den Beeten zupfte, setzte sich Omareth hin stopfte seine Pfeife, darauf wartend, daß er sie am Feuer entzünden konnte.
Als die Keule schließlich über der Glut brutzelte, nahm er sich einen kleinen Span und lehnte sich dann genüßlich zurück, als hellblaue Rauchschaden aus dem Meerschaumkopf aufstiegen.
Joro lehnte die Hacke an die Hauswand und setzte sich zu den beiden Drow auf die Holzbank.
�Immerhin��
�Was?�, Ghaundar sah ihn an.
�Sie hat mich nicht umgebracht.�
�Auf die eine oder andere Art kommt das ja vielleicht noch.�
Sie mußten alle drei Kichern und dann saßen sie wieder da und schauten sinnierend vor sich hin, jeder wohl mit seinen eigenen Gedanken zum Thema.
Doch Joro fiel etwas ein.
�Sag mal, Omareth, wie ging es hier eigentlich voran während ich fort war.�
�Das hast du doch gesehen, als du gestern kamst.�
�Ich meine doch nicht die Gebäude�, der Bischof machte ein verärgertes Gesicht, �sondern wie es mit den Duergar, den Leuten aus Noth und mit den Drow aussieht.�
�Oh, das meinst du. Nun, die Menschen haben sich mit ihren zwergischen Nachbarn recht gut arrangiert, wie es scheint. Und wir hier im Tal haben schon einige Male mit ihnen zusammengesessen und diverse Dinge besprochen.�
�Zum Beispiel?�
�Bragan wollte unbedingt sichere Orte zum Fallenstellen und Jagen erschließen und wir haben einer Gruppe seiner Leute Zugang zum Tal und damit auch durch dessen Hinterausgang gewährt. Auf diese Weise bekommen wir auch Handelsware.�
�Das ist nicht falsch. Und was ist mit Balthasar? Steuert er auch etwas bei?�
�Am Anfang sah es wohl so aus, als wolle er seinen eigenen Plan verfolgen, aber sehr zu meinem Erstaunen hat er bemerkt, daß die Leute aus Noth sehr fleißig sind und auch gerne teilen. Aus dem dicken König wird vielleicht sogar noch irgendwann ein Gesellschafts-, äh, Zwerg.�
�Schwer zu glauben�, warf Ghaundar ein.
�Es ist aber scheinbar tatsächlich so.�
Joro streckte sich.
�Dann wird das, was ich ihm anzubieten habe, vielleicht auch nicht auf taube Ohren stoßen.�
�Und das wäre?�
�Wir brauchen Metall. Für Waffen und Rüstungen. Ganz zu schweigen von einem oder auch zwei Waffenschmieden. Geld spielt keine Rolle, nachdem ich die Schatzkammer des Klosters in Bargum gesehen habe, glaube ich, daß ich genug davon hätte, um Balthasars gesamtes Hab und Gut zu kaufen.�
�Ich hätte schon Interesse daran, von dir die ganze Geschichte noch einmal in Ruhe zu hören, aber ich denke, daß das eine ganze Weile dauern wird, oder?�
�In kurzen Worten: Ich bin hingekommen, gewählt worden, hab das ganze Kloster nach Hause geschickt und alles von vorne aufgekrempelt.�
�Ghaundar erwähnte vorhin, daß es auch ein Zusammentreffen mit einem Botschafter des Propheten gab?�
�Fenriel, ja. Ein ausgesprochen arroganter Kerl, der meinte, wir sollten uns schon einmal darauf einstellen, daß wir in Kürze ein Protektorat seien.�
�An Selbstvertrauen mangelt es der Legion auf jeden Fall nicht, das ist mal sicher��, Omareth zog betont laut die Nase hoch.
Die Keule war fertiggebraten und sie schnitten sich ein jeder einen Teil ab, Joro holte aus dem Faß, dessen Inhalt irgendwie seit seiner Abreise drastisch geschrumpft war, drei Humpen voll Bier.
�Hat da wer genascht?�
�Hm?�, Ghaundar sah ihn fragend an.
�Das Faß. Da ist nicht einmal mehr ein Drittel drin.�
Omareth lachte.
�Nein, ich denke eher, daß Ghaundar und du wahrscheinlich einfach nur gut zugelangt habt.�
Sie aßen mit Freuden die gut abgehangene Keule und Joro fühlte sich nach all der Zeit in Bargum endlich wieder zuhause. Gepaart mit dem, was sich letzte Nacht ereignet hatte, war ihm fast zum Schnurren zumute.
�Celestus hat mir übrigens wieder einen neuen Auftrag gegeben. Nur damit ihr es vorher alle wißt.�
Während Ghaundars Gesicht schmerzerfüllt wurde, stellten sich Omareths Nackenhaare auf.
�Keine Angst, dieses Mal wird Alystin alles bis ins kleinste Detail von mir erfahren und wenn sie mitkommen will, werde ich es ihr niemals verwehren.�
�Und wohin geht es dieses Mal�, meinte der Assassine mit betont schmerzerfüllter Stimme.
�Jetzt spiel hier nicht den Sterbenden. Wie es scheint gibt es wohl noch einen möglichen Verbündeten für uns.�
�Hat er gesagt wo genau?�
�Es soll nicht weit entfernt von Bargum ein altes Kloster geben, in dem Menschen leben, die uns helfen könnten. Mehr hat er nicht gesagt.�
Die beiden Drow sahen sich eine Weile ratlos an, dann ging Omareth ein Licht auf.
�Ahh! Er muß die Bruderschaft des Jarta gemeint haben.�
Auch das war, wie so Vieles, nichts, wovon Joro je gehört hätte.
�Was hat es mit der auf sich?�
�Hm, auch das könnte ein harter Brocken sein��
�Stimmt, ich glaube auch nicht, daß sich der Weg dahin lohnt�, pflichtete Ghaundar bei.
�Könnte mir vielleicht jemand sagen, warum?�, Joro wurde ungeduldig.
�Die Bruderschaft des Jarta ist nach ihrem Anführer benannt, der vor einigen Jahrhunderten ein Halbgott geworden sein soll�, erzählte Omareth, �Sie waren bis zu Beginn des Krieges gegen Welverin noch Kriegermönche, ziemlich fähige, um genau zu sein. Ich kann mich an einige Schlachten an der Oberfläche erinnern, bei denen sie ganze Truppenteile von uns in Grund und Boden gemetzelt haben.�
Wieder einmal berührte es Joro unangenehm, daran erinnert zu werden, das sein Freund einmal ein Heerführer derjenigen gewesen war, die später auch seine Familie umgebracht hatten, aber er schwieg und ließ ihn fortfahren.
�Auf jeden Fall habe ich gehört, daß sie nach dem Tode Welverins ihre Waffen niederlegten und einen Schwur geleistet haben, niemals wieder zu kämpfen.�
�Jetzt verstehe ich allmählich, warum es wohl unter Umständen keinen Sinn macht, dort hinzugehen.�
�Die Frage, die wir uns stellen sollten ist, warum Celestus sie erwähnt hat.�
Joro zuckte mit den Achseln.
�Er hat sich wie gewohnt nicht sonderlich ausführlich ausgedrückt, ich weiß nicht mehr, als ich euch schon erzählt habe�, er nahm noch einen Happen und fragte dann kauend: �Wie weit ist es denn bis zu ihrem Kloster?�
Ghaundar legte die Stirn in Falten.
�Wenn ich mich recht erinnere, dann sollte es gut eine Tagesreise südöstlich von Bargum sein.�
�Gut, dann werden wir, oder ich, wenn der nächste Besuch dort ansteht, einen Abstecher zur Bruderschaft machen.�
�Hast du schon geplant, wann du zurückgehen willst?�, fragte Omareth.
�Nein, aber ich denke, daß ich hier kaum länger als eine Woche bleiben können werde. Es gibt noch viel zu viel zu tun, an beiden Orten. Vorher muß ich allerdings noch dringend mit Balthasar über das Metall und die Schmiede verhandeln.�
�Ein vielbeschäftigter Mann, unser Joro��, Alystin kam um die Hütte gelaufen. Sie sah ziemlich zerzaust aus und ihre Lederweste hatte einige Risse und Kratzer in sich.
�Was ist passiert?�
�Nichts weiter. Nur ein Bär, der an den selben alten Bienenstock wollte wie ich. Er hat es sich anders überlegt�, sie sah auf die Keule, �Habt ihr noch etwas für einen weiteren hungrigen Magen über?�
�Sicherlich�, Joro stand auf, aber sie deutete ihm, sich wieder hinzusetzen, wieder mit dem selben Blick, den sie am Morgen gehabt hatte, als er sie auf den Arm nahm.
Sie schnitt sich ein Stück ab, biß hinein, nickte zufrieden und setzte sich auf einen flachen Stein, der vom Setzen der Wege zwischen den Gräbern übrig geblieben war.
�Und, worüber haltet ihr hier Kriegsrat?�
Ghaundar und Omareth hielten sich mit einer Antwort zurück, aber Joro ignorierte das, er hätte sowieso zuerst geredet.
�Wir werden bald wieder losziehen müssen. Ich habe eine neue Weisung von Celestus bekommen. Aber noch nicht so bald�, fügte er hastig hinzu.
Ihre Reaktion war stoisch.
�Wohin soll es denn gehen?�
�Die Bruderschaft von Jarta�, meinte Omareth, �Auch wenn ich eigentlich keinen Grund sehe, dort hinzugehen.�
�Ich glaube auch kaum, daß es hilfreich sein wird, wenn ausgerechnet wir da hingehen�, sagte Alystin zweifelnd.
Joro schüttelte den Kopf.
�Nein, ich glaube, daß ich euch am besten alle drei dabeihaben möchte.�
�Ach?�, sie klang verwundert, wenn auch ein bißchen spöttisch. Vielleicht hatte sie ja doch recht, wenn sie sagte, daß sie noch wütend auf ihn war.
�Ganz genau. Je mehr Drow dabei sind, desto besser. Wenn die da Veteranen des Krieges gegen Welverin sind, oder zumindest in dessen Erinnerung ausgebildet wurden, dann möchte ich ihnen zeigen, was und wer wir sind.�
�Wenn der Plan mal nicht fehlschlägt��, Ghaundar kratzte sich am Kopf.
�Ich sehe keinen Grund, warum wir es nicht versuchen sollten� Habt ihr eigentlich schon wieder den neuesten Stand der Vorgänge im Süden?�
Omareth nickte.
�Sie stehen vor Hanlar. Die kleinen Königreiche dazwischen sind bereits vollständig erobert. Ich denke, daß Kaiser Rilkin sie eine Weile aufhalten wird, seine Armee ist riesig, aber wenn die Königreiche im Westen nicht bald aufhören, sich gegenseitig darüber zu streiten, wer nun der Tollste von ihnen ist, wird es auch nicht ewig dauern, bis Hanlar fällt. Du kannst dir sicher denken, was das dann bedeutet��
�Ja. Daishan��, Joro seufzte, aber ihm kam ein Gedanke, �Wie kommt es eigentlich, daß du besser darüber Bescheid weißt als Fürst Olgerich?�
�Tjaa, wir Drow haben unsere Augen und Ohren eben überall!� Omareth grinste und Ghaundar machte ein verschwörerische Geste, woraufhin sie alle lachten.
�Wobei�, fügte der Zimmermann hinzu, �wie ich hörte, hat sich ihr Versuch, einen Stoßtrupp nach Orridin zu schicken, als eine sehr schlechte Idee herausgestellt.�
�Du weißt ja, was man in Daishan über Orridin sagt, Omareth� Wenn du nach Orridin gehen willst��
�Dann entscheide dich gleich dagegen�, kam es unisono von den Drow.
�Gut. Ihr wißt es.�
�Eigentlich ist es fast schade, daß wir die Druiden nicht fragen können, ob sie uns helfen.�
�Mein Großvater war einmal, in sehr, sehr jungen Jahren im Grenzgebiet unterwegs�, erzählte Joro, �Er ist zu dieser Heilquelle gegangen, moment, wie hieß die noch��
�Eichenvater?�, fragte Alystin.
�Ja genau, da soll vor Jahrhunderten einmal ein Gott seinen Wanderstab in die Erde getrieben haben und daraufhin ist dieser Baum gewachsen, unter dem eine Quelle hervorsprudelt.�
�Ja, die Geschichte kenne ich auch�, antwortete sie, �Ich war sogar schon einmal dort und habe Wasser geholt, als einer von Omareths unzähligen Verwandten hier ein sehr schlimmes Fieber hatte.�
�Das war aber gefährlich, oder?�
�Ich habe das Wasser bei Vollmond geschöpft und habe dann zugesehen, daß ich mich aus dem Staub mache. Aber du wolltest sicherlich weitererzählen.�
�Ja, stimmt. Also, er war dort eigentlich auch nur auf der Durchreise und wollte sehen, ob die Quelle wirklich Heilkräfte besitzt. Das Ergebnis war, daß er von drei Druiden des Bärenklans über die Grenze gehetzt wurde und beinahe ein Bein verlor.�
�Wenn ihr mich fragt, haben die alle einen gewaltigen Schaden in Orridin. Es wunderte mich nicht, wenn die Legion einfach einen großen Wall um das Land errichtete und sie dort ihren eigenen Kram machen ließe�, meinte Ghaundar abfällig.
�Vielleicht erleben wir das ja noch�, Omareth stand auf und streckte sich, �Morgen wird wieder trainiert, Joro.�
�Ist recht.�
�Gut. Dann werde ich jetzt erst einmal nach Hause gehen und mir anhören, worüber Illivara heute so flucht.�
�Viel Spaß dabei�, Alystin machte das zuckersüßeste Gesicht auf der Welt.
Ghaundar stand ebenfalls auf und steckte noch den letzten Happen Ziegenkeule in den Mund.
�Ich lasse euch beiden Täubchen mal alleine. Aber mir fällt gerade keine höfliche Ausrede ein, also wünsche ich euch einfach viel Spaß�, er grinste frech und machte sich dann auf den Weg.
Sie saßen nur noch zu zweit am Feuer und es war ein herrlicher Frühlingsabend, an dem es aufgrund des Bodens stark nach allerlei Bergkräutern und anderen Gewächsen roch.
�Äh, möchtest du dich nicht mit auf die Bank setzen?�
�Darf ich denn, mein Herr?�, Alystin klimperte mit den Augen.
�Ausnahmsweise!�
Sie setzte sich betont keusch neben ihn, die Hände auf ihren Schoß gelegt.
�Mal Schluß mit den Sperenzchen hier!�, Joro packte sie und setzte sie sich auf den Schoß.
Alystin kicherte, strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht und küßte ihn.
�Hast du Lust, zu��
Wortlos stand er auf, nahm sie hoch und ging mit ihr in die Hütte.


Kapitel 29


Nachdem die beiden am nächsten Morgen miteinander gefrühstückt hatten, trainierte Joro zum ersten Mal seit Wochen wieder mit Omareth.
Die Runden um das Dorf waren schon eine Qual gewesen, da er sich in der Nacht zuvor auch schon nicht gerade wenig bewegt hatte. Es war allerdings zum Glück nicht so, daß er wieder kurz vorm Zusammenbruch war, sondern eher, das er so starken Muskelkater hatte, daß es kaum zu ertragen war. Aber er kämpfte sich im wahrsten Sinne des Wortes durch und als sie schlußendlich fertig waren, fühlte er sich trotz seines ramponierten Körpers sehr wohl
�Na, wenigstens hast du nicht alles vergessen, was ich dir beigebracht habe. Aber ich bekomme den Eindruck, daß du schon eine ganze Weile nicht mehr trainiert hast, oder irre ich mich da?�, Omareth war auch ein wenig aus der Puste.
Joro keuchte.
�Keine Zeit gehabt�andauernd ist irgendetwas passiert��
�Wenn du das nächste Mal in Bargum bist, dann tu dir wenigstens selbst den Gefallen und laufe. Und wenn du noch einmal Zeit hast, dann kannst du ja Schattenfechten, die Grundschläge und Paraden kennst du schon und es kann nicht schaden, die bis zum Erbrechen zu üben. Auf die Art und Weise mußt du niemals nachdenken, wenn du in einen Kampf gerätst.�
�Werde ich mir merken. Jetzt muß ich mich erst einmal waschen und danach gehe ich mal durch das Portal und rede mit Balthasar. Gestern bin ich ja nicht dazu gekommen.�
�Zum Waschen oder zum Reden�, Omareth lachte dreckig.
�Beidem. Bis nachher, ich muß mich aufmachen.�

Joro wusch sich, lief noch kurz bei Alystins Haus vorbei, um ihr zu sagen, daß er zu Balthasar ging und machte sich dann auf durch das Portal.
Auf der anderen Seite war es im Gegenteil zur Enklave, wo die Sonne schien, bedeckt und nieselte leicht. Er stapfte den Pfad, der nunmehr eine richtige Straße war, herunter und nahm sich die Zeit, die Häuser der Menschen näher zu betrachten. Er freute sich auch zu sehen, daß aus Hannas Haus auch eine Rauchfahne aufstieg. Er nahm sich vor, sie auf den Rückweg noch einmal zu besuchen.
Was ihm vor allen Dingen auffiel war, daß es irgendwie wirkte, als seien noch mehr Menschen hier, als sie ursprünglich aus Noth mitgenommen hatten. Wahrscheinlich hatten sich noch andere, in den Bergen lebende Trapper und Jäger eingefunden, deren Heimat auch nicht mehr sicher war.

Langsam, aber zielgerichtet lief er auf den Eingang der Höhle zu, die die Duergar in den Berg getrieben hatten. Davor standen wieder einmal Posten in voller Plattenrüstung, aber alles andere hätte Joro auch verwundert.
Sie salutierten, als er vorbeiging und er trat in den Tunnel ein, der hinter der vier Mannshöhen Öffnung lag. Es war dunkel. Genaugenommen war es schon nach einigen Schritten so dunkel, daß er überhaupt nichts mehr sah.
�Celestus?�
�Ja, was gibt es?�
�Hm, kannst du mich irgendwie im Dunkeln sehen lassen?�
�Könnte ich sicherlich, aber das ist nicht notwendig. Beizeiten solltest du dir von Balthasar einmal erklären lassen, wie deine Rüstung genau funktioniert.�
�Was soll denn das bedeuten?�
�Du mußt einfach nur dein Visier herunterklappen und dir über die beiden Augenschlitze streichen. Mehr brauchst du jetzt erst einmal nicht zu wissen.�
Joro tat das und plötzlich änderte sich alles in seinem Gesichtsfeld. Ein violetten Impuls schoß in seine Augen und er konnte den Tunnel auf etwa dreißig oder vierzig Schritte Entfernung erkennen. Dahinter war alles nur ein schwach violetter Schleier.
�Das ist die Art, wie auch Drow im Dunkel sehen können, oder?�
�Richtig.�
Joro war beeindruckt. Auch wenn es praktisch schwarz-weiß war, konnte man dennoch alles erkennen, sogar ganz kleine Kiesel auf dem Boden. Er kniete sich hin und betrachtete einen davon fasziniert.
�Und, habt Ihr etwas Interessantes gefunden, Joro Macun?�
Neben ihm stand Torkum und grinste fröhlich.
�Ich erforsche gerade die wunderbare Welt der Dunkelsicht.�
�Oh, habt Ihr gerade herausgefunden, daß Eure Rüstung derlei Fähigkeiten für Euch bereithält?�
�Mir wurde sozusagen von höherer Stelle eingegeben, daß sie das kann.�
�Kann ich Euch vielleicht sonst noch irgendwie helfen?�
�Eigentlich ist es sogar sehr gut, daß Ihr hier zufällig vorbeikommt, denn ich möchte zu Eurem König, Torkum.�
�Wer sagt denn, daß ich durch Zufall hier bin. Die Wachen haben mir gesagt, daß Ihr möglicherweise einen Führer durch den Tunnel braucht.�
�Oh? Nun, wenn ich das richtig sehe, brauche ich den nun womöglich nicht mehr ganz so dringend, aber ich freue mich trotzdem über eine Begleitung. Immerhin weiß ich ja nicht, wo ich genau hin muß.�
Torkum machte eine einladende Geste und sie gingen weiter den Gang herunter.

Von ihrer Bauweise ähnelte die neue Behausung der alten Festung Balthasars, wobei allerdings auffiel, daß im Neubau ein gehörig größerer Wert auf Verzierungen gelegt worden war. In der Tat waren sogar an einigen Orten immernoch Steinmetze damit beschäftigt, Fresken und kleinere Statuen entweder direkt aus dem Stein zu hauen, oder sie aufzustellen.
Besonders fiel Joro ins Auge, daß der stilisierte Zwergenkopf, der den Eingang des Palastes in der Mitte markierte, im Vergleich zu vorher starke Ähnlichkeiten mit Balthasar selbst aufwies. In der alten Festung war es nur ein recht ebenmäßiges Abbild eines beliebigen Zwerges gewesen.
�Eindrucksvoll�, meinte Joro aus ganzen Herzen.
Es war nicht zu übersehen, daß Torkum sozusagen ein paar Fingerbreit wuchs, als er das hörte, aber obwohl die Duergaretikette hier eigentlich geboten hätte, daß er damit angab, verkniff er sich das, denn er war nun einmal nicht der Hausherr hier. Stattdessen führte der Marschall Joro in das Innere des Baues und auch hier stellte der Bischof fest, daß sich alles bis aufs Haar mit der Bergfestung glich, die er einige Wochen zuvor betreten hatte. Es fühlte sich auf seltsame Art und Weise an, als käme man nach Hause.
Beim Eintreten in den Thronsaal jedoch änderte sich diese Ansicht.
Ganz im Gegenteil zu vorher hingen an den Wänden teure Teppiche, die Fackelhalter waren aus Silber und der Boden war mit Eichenholz belegt.
Auch der Thron, auf dem wie so oft ein gelangweilter, sehr dicker Zwerg saß, war vergoldet und hatte anders als zuvor eine hohe Lehne mit einem Wappen darüber, in dem Edelsteine glitzerten. Dennoch war das äußere Erscheinungsbild Balthasars immernoch nicht königlich. Er trug zwar ein Samtwams und hatte auch einige goldene Ketten umhängen, aber seine Kleidung war gewohnt speckig und hatte auch hier und dort ein paar Risse oder Löcher.
Das Gesicht des dicken Königs erhellte sich unvermittelt, als er seine Rüstung, pardon, Joro hereinkommen sah.
�Na, sieh mal einer an, was die Götter mir heute für einen Gast beschert haben.�
�Es freut mich sehr, Euch in guter Verfassung zu sehen, Balthasar. Immerhin ist eine geraume Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal sahen.�
�Und wie ich vernommen habe, seid Ihr nicht nur zum Bischof gewählt worden, sondern Ihr habt auch dieses Ungeziefer aus meinem Vorgarten vertrieben. Ich schulde Euch um ein weiteres Mal einen Dank, auch wenn mir das nicht unbedingt recht ist.�
�Euch scheint es hier auch nicht gerade schlecht zu gehen, oder irre ich mich da?�
�Nun, ich habe mich entschieden, daß ich durch den Rückgewinn meiner Königswürde durchaus auch zeigen kann, daß ich einer bin. Vorher erschien mir das nicht angemessen. Habt Ihr Hunger?�
�Sicherlich. Ich habe heute schon trainiert, gegen ein Mittagessen hätte ich nichts einzuwenden.�
�Myellin! Wir haben einen Gast!�

Wie auch schon zuvor traf die Menge an Essen, das schließlich auf dem Tisch stand, nicht unbedingt genau die Anzahl derjenigen, die auch dort saßen, aber wenn sich Joro die Duergar im Großen und Ganzen so ansah, hatte er eigentlich noch niemals einen Einzigen von ihnen gesehen, der auch nur den geringsten Eindruck erweckte, unterernährt zu sein.
Dementsprechend hatte er auch kein schlechtes Gewissen, wenn er die Massen an Fleisch und Beilagen auf dem Tisch sah, Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Zwerge jemals Essen wegwarfen.
Sowohl Balthasar als auch Joro aßen eine Weile schweigend, bis der König schließlich zu ihm herübersah, seinen Bierkrug erhob und dann nickend mit ihm anstieß. Dann kratzte er sich durch eines der Löcher seines Wamses am Bauch und fragte dann, nach einem lauten Rülpser:
�Also habt Ihr es diesen dummen, trägen Menschen dort so richtig heimgezahlt, ja?�
�So könnte man es auch nennen. Auf jeden Fall habe ich sprichwörtlich den großen Besen genommen und einen wahren Frühjahrputz durchgeführt.�
�Es freute mich, kannte ich die ganze Geschichte, wenn Ihr die Muße habt, sie mir zu erzählen..?�
Joro nahm sich die Zeit. Als er fertig war, sah er so etwas wie Anerkennung auf Balthasars Gesicht.
�Eine gute Geschichte. Beinahe eines Zwerges würdig, allerdings wurde einfach zu wenig gekämpft, um sie dafür zu qualifizieren.�
�Eine Tragik, mit der ich wohl oder übel leben muß.�
�Besonders interessiert mich allerdings dieser Teil, in dem es darum geht, mich um Metall und Schmiede zu bitten.�
�Ja, das ist einer der Gründe, warum ich in erster Linie heute hier bin.�
�Und Ihr sagt, daß Ihr genug Gold habt, um dafür zu zahlen?�
�Wenn Ihr mir einen gerechten Preis anbietet, dann werde ich Euch gut bezahlen. Allerdings solltet Ihr Euch darüber im Klaren sein, daß ich nicht das ganze Geld des Klosters darauf verwenden kann, es Euch zu geben. Es wird noch genug andere Orte geben, an denen wir nicht umhin können, viel auszugeben.�
�Ich will ehrlich zu Euch sein, Macun. Stünde nicht ein riesiges Heer im Süden, daß kurz davor ist, hier oben alles zu Klump zu hauen, hätte ich keine Sekunde gezögert, Euch auszunehmen wie ein frisch geschlachtetes Wildschwein.�
�Darüber hege ich keinen Zweifel, Majestät, jedoch interessiert mich das nun folgende �Aber�.�
�Ein �Aber� lag mir gar nicht so sehr auf der Zunge. Vielmehr will ich zum Ausdruck bringen, daß ich versuchen werde, Euch gut zu behandeln. Soweit ich das tun kann, ohne vor meinen Volksgenossen das Gesicht zu verlieren.�
Joro fiel mit einem Male auf, daß im Eßsaal keine einzige Wache stand. Sonst hätte Balthasar sicherlich die letzten beiden Sätze niemals ausgesprochen.
�Und was schwebt Euch nun vor?�
�Nun, ich kann mit Sicherheit einen oder zwei Schmiede anweisen, für die Armee in Bargum Waffen zu produzieren, denn unsere Männer und sogar auch schon die Leute aus Noth sind so gut ausgerüstet, wie es irgend möglich war.�
�Das hört sich schon einmal sehr gut an. Und wie sieht es mit möglichen Metalllieferungen aus? Eine Schmelze gibt es in Bargum meines Wissens nach nicht, also bräuchten wir dort schon Rohmaterialien, die gleich verarbeitet werden können.�
�Das Problem wird sich nicht bieten, aber ich weiß keinen guten Weg, wie wir es dort hintransportieren sollen.�
Der König hatte recht. Es gab keine richtigen Straßen nach Bargum und durch die Berge führten im besten Falle ein paar steinige Pfade. Daher war wenn überhaupt nur ein Transport durch Träger oder durch Lastenvieh möglich und Letzteres hatten sie in der Enklave nicht.
Karren kamen wohl auch nur bedingt in Frage. Allerdings fiel ihm auf die Schnelle auch nichts Besseres ein.
Balthasar war von der Idee stärker angetan, als Joro erwartet hätte.
�Wenn wir vielleicht ein paar Ochsen finden könnten, die wir davorspannen, wäre das zumindest ein Anfang.�
�Woher sollen wir die denn nehmen?�
�Das müßtet Ihr schon selbst herausfinden, Macun.�
�Über den Preis werden wir uns einig?�
�Sicherlich. Ich werde einmal durchrechnen, wieviel ich Euch dafür abknöpfen kann, aber es wird sicherlich eine oder zwei Wochen dauern, bis wir eine Ladung zusammen haben�, der König grinste.
�Das ist eine gute Basis, Balthasar. Und ich schätze es sehr, daß Ihr mir helfen wollt. Auch wenn mir bewußt ist, daß Ihr Euch damit auch selbst helfen werdet.�
�Es ist das Blut, das durch meine Adern fließt, Macun. Man muß auf die Geister seiner Ahnen hören.�

Auf dem Weg aus der Höhle, den er dank seiner Maske alleine meisterte, dachte er noch eine Weile darüber nach. Auch wenn er sich darüber ärgerte, daß er vergessen hatte, Balthasar nach weiteren Fähigkeiten seiner Rüstung zu fragen, fühlte er sich gut mit der Gewißheit, daß er immerhin den ersten Schritt eines Handels für Bargum abgeschlossen hatte.

Draußen war es schon früher Abend und er ließ die Maske auf, um auszuprobieren, wie sie in schwachem Licht funktionierte. Er mußte feststellen, daß die Reichweite der Dunkelsicht leider auch im Zwielicht nicht höher war, als bei völliger Finsternis. Das erklärte auch, warum er selten erlebte, daß Ghaundar, Omareth oder Alystin in der Dämmerung ihre Nachtsicht benutzten, was man daran sehen konnte, daß ihre Augen -ähnlich wie in Situationen, in denen sie zornig waren- dann leicht rötlich leuchteten.
Er behielt sie trotzdem auf, einfach um sich an die ungewohnte Sicht zu gewöhnen.
Der Platz vor dem Eingang der Höhle war erstaunlich belebt, es waren viele Menschen und Duergar dort und es überraschte Joro, daß die Gruppen auch untereinander sprachen und nicht beide Völker füreinander standen, ohne sich gegenseitig zu behelligen.
Es war also so etwas wie eine Gemeinschaft entstanden, entgegen all den Unkenrufen Ghaundars und Omareths.
Ohne Zweifel fühlte sich Joro dadurch noch wohler, als er es eh schon in sich trug.
Sein Blick fiel auf Hannas Haus und er entschied sich, ihr nun einen Besuch abzustatten.
Auf sein Klopfen hin hörte er eine leise Stimme darin, die ihn aufforderte, einzutreten.
Hanna saß auf ihrem Hocker und aß, als sie ihn sah, versuchte sie, auszustehen, aber Joro gebot ihr, sitzenzubleiben.
�Ich hoffe, daß ich dich nicht störe, werte Hanna.�
�Nein, sicherlich nicht, willst du etwas zu essen haben, Joro?�
Joro lehnte dankend ab und setzte sich zu ihr an den Tisch. Ihr Anblick brachte ihn zum Lächeln, auch wenn er nicht genau wußte warum, es war wohl ein Impuls tief aus seiner Seele.
�Aber ich kann dir doch nicht einfach so etwas voressen, Junge. Nimm dir wenigstens etwas aus dem Topf.�
Wie hatte Balthasar so richtig gesagt, man mußte auf die Geister seiner Ahnen hören. Und einer Daishani in ihrem eigenen Haus das Angebot abzulehnen, etwas zu essen, war eine schlimmere Beleidigung, als die Eltern eines Einheimischen zu diffamieren.
Also nahm er sich, schweren Magens, eine Kelle aus dem Topf, der auf dem Herd stand und setzte sich mit ihr an den Tisch.
�Und, geht es dir gut?�, ihre Frage kam zwischen zwei großen Löffeln Suppe.
�Gut, danke. Was machen deine Knochen?�
�Denen geht es dank der Priesterin schon etwas besser. Sie hat mir ein paar Kräuter gegeben, die die Schmerzen lindern.�
�Es freut mich, daß Alystin dir geholfen hat, als ich fort war.�
�Sie ist eine unglaublich nette Person..Für eine Drow auf jeden Fall.�
Joro lächelte schief.
�Vielleicht hast du ja gemerkt, daß man das nicht allgemein sagen kann.�
Hanna blickte kurz von ihrem Teller auf, überlegte und aß dann nickend weiter.
�Richtig, das kann ich nicht bestreiten. Ich glaube sie hat sich große Sorgen gemacht, weil du so lange fort warst. Sie hat mehrere Male gesagt, daß sie dir hinterherreisen will, aber ich habe ihr gesagt, daß ich keinen Zweifel habe, daß du wieder in einem Stück hier ankommst.�
�Das�das war sehr nett von dir, Hanna.�
�Ich hatte einfach nur Vertrauen in unseren Herren Celestus.�
Joro bemerkte, daß ihm diese Aussage ein unangenehmes Gefühl bereitete, auch wenn er sich vordergründig darüber freute.
Hanna hingegen hatte aufgegessen und betrachtete ihn aufmerksam.
�Eigentlich ist es ein großes Wunder�, meinte sie.
�Was denn?�
�Ich hätte niemals für möglich gehalten, daß ich einmal mit dem Erzbischof von Bargum an einem Tisch säße.�
�Es ist ja nicht so, daß das irgendwas daran ändert, wer ich bin, Hanna.�
�Für mich ändert es aber etwas, Joro. Auch wenn ich dich jetzt nicht mit Eminenz anrede, bist du dennoch eine wichtige Person.�
�Immerhin nennst du mich noch bei meinem Vornamen. Das ist mir schon eine Menge wert�, Joro lächelte, �Es freut mich allerdings noch wesentlich mehr, daß es dir gut geht.�
Hanna lächelte auch. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck zu Verschmitztheit.
�Wie hat sich denn deine eigene Beziehung zu der Priesterin verändert?�
�Deine Intuition überrascht mich.�
�Intu�was?�
�Ich meinte deine Einfühlungsgabe.�
�Wenn ich mich daran erinnere, wie sie sich gefühlt hat, muß deine Rückkehr mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen sein.�
�War sie. Aber wir haben da einen guten Weg gefunden, die Probleme zu lösen�, Joro grinste über beide Ohren, �Ich bin wirklich glücklich mit dem Ausgang.�
Hanna antwortete nicht, sondern lächelte nur wissend zurück.
Sie sahen beide eine kleine Weile sinnierend vor sich hin, jeder mit seinen eigenen und sehr persönlichen Gedanken zu dem Thema beschäftigt, dann blickte sie auf.
�Es wird gemunkelt, daß wir bald angegriffen werden. Muß ich mir Sorgen machen?�
�Wer redet denn davon?�
�Alle hier oben im Dorf. Die Dunkelzwerge erwecken auch den Eindruck, als hätten sie diese Sorge.�
�Soweit ich weiß, steht die Legion noch an der Südgrenze von Hanlar, also glaube ich kaum, daß hier in nächster Zeit ein Angriff zu erwarten ist. Aber ich werde mich einmal schlau machen, was die Späher davon halten, wenn du willst.�
�Das wäre nett von dir, aber ich will dich nicht dabei stören, das zu tun, was dir wichtig ist.�
Er legte seine Hand auf ihren Arm und lächelte sie an.
�Keine Angst, das belastet mich nicht zusätzlich.�

Joro verabschiedete sich herzlich von ihr und machte sich wieder auf den Weg in die Enklave selbst. Es war mittlerweile schon später Nachmittag und er fühlte sich sehr müde, was durch die Menge an Essen in seinem Magen auch noch verstärkt wurde. Während er den Weg vom Portal zu seiner Hütte herunterschlenderte, meldete sich Celestus zu Wort.
�Mir ist nicht entgangen, daß du dich vorhin unwohl fühltest, Joro. Machst du dir keine Gedanken, warum das wohl so gewesen ist?�
�Nein, das brauche ich nicht.�
�Warum denn nicht, wenn die Frage erlaubt ist?�
�Weil ich genau weiß, warum das so ist, oder muß ich jetzt wieder ein Bekenntnis aussprechen, damit du weißt, daß ich es verstanden habe?�
�Du mußt nicht gleich aggressiv werden, Joro. Es ist vielmehr so, daß ich mir wünschte, daß du auch über die Hintergründe nachdenkst, als eine Tatsache einfach zu akzeptieren. Das ist doch sonst auch nicht deine Art.�
�Also gut. Es tut mir leid, daß ich aufgeben wollte, aber wie du dir sicherlich denken kannst, war mir in diesem Moment so oder so egal, ob ich lebe oder nicht. Insofern hätte mich auch eine Bestrafung deinerseits nicht gekümmert.�
�So lange du wenigstens einen Sinn für Schuld und Unrecht hast, was deine eigenen Taten angeht, habe ich noch Vertrauen zu dir. Du tust gut daran, es so bleiben zu lassen.�

Celestus schwieg jetzt, aber der letzte Satz hatte gesessen. Auch wenn sich Joro erst ins Bett gelegt hatte, um kurz zu schlafen, hielt ihn das Grübeln wach. Er stand wieder auf und hockte sich hinter der Hütte auf die Bank, innerlich darauf hoffend, daß Ghaundar oder Omareth vorbeikämen, was aber nicht geschah. Den Kopf an die Hüttenwand gelehnt, starrte er hinauf zu einem der Berggipfel in der Nähe und seufzte.
Es war nicht zu verleugnen, daß der Gott recht hatte. Immerhin hatte dieser ihm gegenüber ein Versprechen gegeben und eingehalten. Also war es auch an Joro, seines nicht zu brechen. Weshalb er aber so schnell dazu gekommen war, das zu vergessen, machte ihn nachdenklich. Vielleicht war es genau das gewesen, was Celestus ihm in jener Nacht in Bargum sagen wollte, als er ihn dazu brachte, es auch laut auszusprechen. Damit er sich bewußt wurde, daß dies hier kein Spiel war. Genaugenommen war das ganze Leben kein Spiel und die Tatsache, daß er noch atmete ein Geschenk und nicht nur ein glücklicher Zufall. Warum also hatte er in dem Moment, in dem er sich entschloß, fortzugehen also nicht das nötige Gottvertrauen gehabt, daß es ihm an nichts fehlen würde, egal was passierte?
Sein Blick fiel nach unten auf seine Hände.
Er hatte in seinem Leben nicht viel gearbeitet. Auf dem Heimathof war es zwar öfter einmal vorgekommen, daß er dabei helfen mußte, einen Zaun zu reparieren, oder das Vieh von der Weide zu treiben, aber im Gegensatz zu seinen Geschwistern hatte er nicht jeden Tag im Schweiße seines Angesichts geschuftet. Auch in der Zeit nach dem Tode seiner Eltern war die Arbeit als Tagelöhner meistens auch eher in die Richtung des Viehhütens gegangen.
Aber jetzt hatte er plötzlich Hornhaut an seinen Fingern. Vom Graben, vom Kämpfen�
Joro wußte, daß sich mehr verändert hatte, als nur seine Hände, aber sie standen in diesem Moment fast sinnbildlich für diese ganze Verwandlung seiner selbst.
Vielleicht konnte ihm das als Erinnerung dienen, wenn er einmal wieder in Zweifel geriet. Trotzdem war er heilfroh, daß es nicht anders gekommen war. Ohne Alystin hätte er sich kaum noch ein glückliches Leben vorstellen können, daher war die Wendung, die geschehen war vielleicht das größte Glück seines Lebens.
Neben seiner Rettung durch Celestus. Nein. Joro raufte sich die Haare. Genau das hatte Celestus die ganze Zeit gemeint. Alystin nahm in seinem Kopf den ersten Platz ein und danach folgte erst einmal eine Weile nichts anderes auf der Liste. Aber eben das widersprach dem Versprechen, das der Gott ihm abverlangt hatte. Außerdem fiel ihm auf, daß bei seiner Wiederbelebung ein solches Versprechen offenbar nicht nötig gewesen war, außer dem �ja�, das er sagen mußte. Der Sinneswandel des Gottes war also vermutlich durch Joros allgemeine Veränderung zustandegekommen.
Joro stand auf und streckte sich, dann holte er den Spaten aus dem Hütte und begann, ein kleines Loch zu graben. Dann ging er zurück, holte das Bündel, das immernoch teilweise geschnürt auf dem Tisch lag und brachte es zum Friedhof.
Als er die Erde über dem Loch wieder verschloß, meinte Celestus:
�Ich kann nur ahnen, warum du das tust, denn du denkst gerade sehr wenig. Aber wenn ich richtig liege, dann war das eine gute Überlegung.�
�Es wird mich immer daran erinnern, was ich falsch gemacht habe�, Joro mußte unwillkürlich grinsen, �Außerdem werde ich so diese miese, alte Wollrobe los, die ich irgendwie aus Sentimentalitätsgründen behalten hatte, auch wenn sie so dermaßen kratzt, daß es sich anfühlt, als sei sie mit Disteln gefüttert.�


Kapitel 30

Eigentlich hatte Joro, nachdem er fertig geworden war, zu Alystin gehen wollen, aber er stellte sich die Frage, ob es nicht besser sei, ein wenig die Distanz zu wahren, zumindest tagsüber.
Auch wenn sein Herz dagegen rebellierte, war ihm durchaus bewußt, daß er mehr Sinn für Verantwortung lernen mußte. Ganz zu schweigen davon, daß er auch immernoch viel zu lesen hatte, also überredete er sich selbst, das Buch, was ihm Toldor noch zugesteckt hatte, ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.
Im Rohbau kannte er das ja alles schon, daher fielen ihm auch einige der Änderungen auf, die Albrecht hineingearbeitet hatte. Irgendwie war es auch interessant, daß seine eigene Anregung, nämlich dafür zu sorgen, daß es alles in einer Schriftsprache niedergelegt wurde, die auch ein ungebildeter Mensch verstand, umgesetzt wurde. Albrecht mochte vielleicht manchmal arrogant wirken, aber er war auch verflucht intelligent. Joros Ansatz hatte er sofort verstanden und begonnen, ihn umzusetzen.
Es mußte schon einige Zeit vergangen sein, als es leise an der Tür klopfte.
�Herein!�
Alystin trat ein, einen Strauß Kräuter unter den Arm geklemmt. Sie wirkte erschöpft, aber wenigstens hatte sie nicht wieder ein Bär angefallen.
Als sie Joro über dem Buch sitzen sah, mußte sie lächeln.
�Na, arbeitest du fleißig?�
�Ich muß doch schließlich über das Bescheid wissen, was die Leute theoretisch von mir erwarten.�
Sie setzte sich auf einen der Stühle und seufzte laut.
�Ist etwas?�, fragte Joro besorgt.
�Nein�eigentlich nichts Weltbewegendes. Aber es gibt ein paar Fälle von Fieber hier und wir haben alle Hände voll zu tun damit.�
�Hm, ihr habt doch eine ganze Menge Priesterinnen hier, oder etwas nicht?�
Ihr Gesicht verzog sich ein wenig.
�Wenn ich �ein paar� sage, dann meine ich gut drei Dutzend. Bei manchen von ihnen ist das Fieber sehr hoch und uns sind die Kräuter ausgegangen. Also habe ich heute fast den ganzen Mittag und Nachmittag damit verbracht, welche suchen zu gehen.�
�Ist es ernst?�
�Nein, eher eine Frühjahreskrankheit. Du weißt schon� es wird schneller warm und die Leute ziehen sich zu wenig an. Passiert immer mal wieder.�
�Kenne ich noch von früher� ja.�
Er fuhr innerlich auf, als sich seine Herkunft meldete.
�Verdammt, verzeihe mir, magst du vielleicht etwas essen oder trinken?�
Zunächst schien bei ihr ebenfalls ihre Abstammung mit ihren Gedanken zu kollidieren, aber dann ließ sie die Schultern hängen, lächelte zu ihm hoch und sagte:
�Ja, etwas zu trinken wäre nicht schlecht��
Joro war nicht entgangen, wie sie das gesagt hatte, außerdem mußte sie wissen, daß sie Gast im Hause eines Daishani war, also brachte er auch Brot und Schinken auf den Tisch und holte ihr etwas von der Flasche Drowwein, die er bis zum heutigen Tage nicht ausgetrunken hatte. Ghaundar hatte damals recht gehabt, das Zeug war äußerst gewöhnungsbedürftig, aber er hatte in der Zwischenzeit erfahren, daß das Gebräu auch geöffnet praktisch unverwüstlich war. Darauf vertraute er jetzt einfach.
Er goß ihr etwas Wein in einen Becher und legte ihr auch einen Teller hin, woraufhin sie �er hatte es nicht anders erwartet- ihren Dolch zog und mit einem fast schüchtern wirkenden Lächeln auch ein Stück Brot nahm und etwas vom Schinken abschnitt.
Während sie so saßen und schweigend eine Weile aßen, konnte Joro nicht umhin, immer wieder zu ihr herüberzuschielen. Er sah sie gerne an und ihm entging nicht, daß Alystin seine Blicke nicht nur wahrnahm, sondern, daß sie ihr auch gefielen.
Schließlich war sie fertig und lehnte sich seufzend zurück, nahm den Becher mit dem Wein und nahm einen tiefen Zug daraus.
Joro grinste.
�Es ist immer wieder ein erhebendes Gefühl nach getaner Arbeit einen guten Bissen zu essen, oder?�
Alystin nickte und stellte den Becher auf den Tisch.
�Das ist es, allerdings ist meine Arbeit leider noch nicht fertig. Ich muß noch zwei Hausbesuche machen.�
�Wenn du Hilfe�schon gut, ich halte die Klappe.�
�Bist du nachher noch wach, wenn ich zurückkomme?�, fragte sie zuckersüß.
�Sicherlich. Ich habe noch eine ganze Menge zu Lesen vor mir.�
�Schön. Es wäre doch unhöflich, sich nicht auch für ein Essen zu bedanken, oder?�

Zugegeben, mit der Konzentration war es jetzt ein wenig schwierig geworden, aber er las trotzdem weiter, wenn es auch nicht einfach war.

Joro hatte das Gefühl, gut voranzukommen. Über tägliche Ordnung des Lebens eines Totengräbers, die zugegeben nicht sonderlich umfangreich war, wurden auch die Rituale des Segnens, des Gebets und der Totenliturgie behandelt. Ihm fiel dabei auf, daß es sich dabei nur um Anregungen handelte und mitnichten um Vorschriften.
Ehre den Toten, schütze die Lebenden, zerstöre den Untot. Damit war es auf den Punkt gebracht.
Das Leben im Kloster hingegen war im Gegenzug ziemlich straff geregelt. Albrecht bestand auf eine klare Hierarchie, eine verantwortungsvolle Haltung jedes Priesters gegenüber den Gläubigen und, auch wenn es Joro erstaunte, eine Besteuerung aller Dienstleistungen.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals gerne Geld für ein Begräbnis ausgegeben zu haben, aber im Zusammenhang mit dem Kloster, daß ja auch Essen und dergleichen brauchte, erschien es ihm sinnvoll, wenigstens einen festen Satz an Gebühren zu nehmen, damit der Erhalt des Gebäudes und der Bewohner desselben gesichert war.
Draußen war es schon lange dunkel, als es an der Tür klopfte und eine sehr müde blickende Alystin hereinhuschte.
�Na, bist du fertig?�
�Vollkommen��
Joro legte seinen Federkiel beiseite, stand auf und ging zu ihr herüber, um sie lange in den Arm zu nehmen. Dann gab er ihr einen Kuß und fragte: �Und? Wollen wir schlafen gehen?�
Ein völlig verständnisloser Blick kam von unten zu ihm herauf.
�Was heißt hier schlafen gehen?�

Es war kurz vor Sonnenaufgang, als Joro mit voller Rüstung wieder einmal ums Dorf schnaufte. Zu seiner Überraschung gesellte sich Ghaundar nach zwei Runden zu ihm und lief mit ihm mit.
�Ich hab dich noch niemals so früh am Morgen wach gesehen, außer es war irgendwas im Busch�, keuchte der Bischof.
�Ach, du kennst uns Drow doch, bei uns ist immer etwas im Busch�, gab der Dunkelelf zurück, �Siehst du? Genau das, was ich sage.� Ghaundar deutete auf einen kleinen Strauch, aus dem hastig ein Murmeltier das Weite suchte.
Joros Lachanfall brachte ihn zum Anhalten, denn das raubte ihm das letzte Bißchen Atem.
Natürlich dauerte es eine ganze Weile, bis er sich endlich beruhigt hatte, dann schaute er keuchend zu Ghaundar hoch.
�Ich kann so nicht arbeiten�Gibt es einen speziellen Grund, warum du mitläufst?�
�Ach, ich dachte ich sollte dir mal ein paar Neuigkeiten zukommen lassen, denn ich hab heute morgen mit einem Händler geredet, der hier haltgemacht hat.�
�Wie, hier?�
�Naja, draußen vor dem Portal.�
�Sowas� ich wußte nicht, daß hier Händler unterwegs sind.�
�Ich denke mal, daß das einer derjenigen gewesen sein muß, die früher nach Noth gekommen sind. Eigentlich auch erst einmal egal, denn er hat mir etwas Wichtiges erzählt.�
�Was denn?�
�Nun� wie es scheint haben wir etwas mehr Zeit, als wir dachten. Hanlar hält sich tapfer und obwohl die Legion wirklich sehr zahlreich ist, verteidigt das Kaiserreich seine Grenzen mit aller Macht. Der Mann hat außerdem gesagt, daß sie sogar einige Erfolge mit der Rückeroberung hatten.�
�Das ist trotzdem schon viel zu nah. Ich glaube wir sollten so schnell wie möglich zu diesem Orden gehen.�
�Heute?�
Joro sah ihn verblüfft an und nickte dann fröhlich.
�Ja, warum nicht, ich geh Alystin Bescheid sagen und packe dann meinen Kram.�
�Gut, ich sage dann Omareth, daß er sich sein Training heute sparen kann.�

Auf dem Zeremonienplatz vor dem Haus der Hohepriesterin war eben jene gerade dabei, mit einem guten Dutzend anderer Drowfrauen eine angeregte Unterhaltung zu führen. Als diese Joro kommen sahen, verstummten sie und sahen in seine Richtung, was auch Alystin aufschauen ließ.
�Können wir Euch irgendwie helfen, Eminenz?�
�Äh, Ghaundar und ich haben gerade beschlossen, daß wir aufbrechen wollen und deshalb komme ich vorbei, um di.., Euch das zu sagen.�
�Und Ihr wollt, daß ich mitkomme?�
�Ja, natürlich�, Joros Gesicht verfinsterte sich, da er sich vorgeführt fühlte.
�Gut, dann beende ich noch mein Morgenkonzil hier und dann gehe ich meine Sachen packen�, Alystin zeigte nach außen keine Gefühlsregung.
An seiner Hütte angekommen, nahm er ein Tuch für ein neues Bündel, das Buch und die Dose mit dem Kautabak und etwas von dem haltbareren Essen, das in seiner Hütte noch vorrätig war. Es war verblüffend, wie wenig persönliche Gegenstände er doch besaß. Außer der Maske, dem Buch und dem Tabak kam da nicht viel zusammen. Die Roben vielleicht noch, aber davon würde er nur die eine mitnehmen, die er gewöhnlich über der Rüstung trug. Wobei die Ärmel an den Schultern aufgrund der Sichelverzierungen des Plattenpanzers schon reichlich abgewetzt waren, also konnte er sie auch genausogut abtrennen, dadurch war es auch einfacher sie anzuziehen.
Eigentlich�
Irgendwo mußte er etwas roten Stoff auftreiben, eine schöne Sichel auf der Brust würde sich gut machen.
Er nahm den Schild, hängte ihn sich auf den Rücken und verstaute das Bündel oben zwischen der Schiene und der Halsberge.
Als Joro die Hütte verließ, sah er Ghaundar und Omareth schon den Weg herunterlaufen, von Alystin war noch nichts zu sehen.
�Es ist ja eine Freude, daß wir dich nicht mehr immer aus deinem Bau scheuchen müssen, wenn wir los wollen�, Omareth war offensichtlich nicht besonders gut gelaunt.
�Ich habe mich beeilt. Habt ihr schon was von Alystin gesehen?�
Ghaundar schüttelte den Kopf.
�Du hast ihr aber gesagt, daß wir aufbrechen wollen, oder?�
�Ja. Sie meinte, sie müsse noch das Morgenkonzil oder etwas in der Art abhalten und dann würde sie beginnen, ihr Bündel zu schnüren.�
Omareth grunzte und setzte sein Gepäck ab, das dieses Mal noch größer war und wiederum deutlich ein kleines Faß enthielt wie damals, als sie zu Balthasar gingen.
�Das wird dann noch eine Weile dauern. Ich hoffe stark, daß sie uns nicht allzulange warten läßt�, er zog die Nase hoch, �in der Zeit hätten wir noch trainieren können.�
Joro sah ihn schief an.
�Gehe ich recht in der Annahme, daß du gerade ausgesprochen unausgeglichen bist?�
�Jupp.�
�Deine Frau?�
�Jupp.�
�Deshalb das Faß?�
�Noch eine dumme Frage und ich hole mir den Knüppel, Joro�, es war nicht zu übersehen, daß seine Augen leicht rötlich wurden.
Der Bischof schluckte und versuchte, das Thema zu wechseln.
�Wie weit ist es denn etwa, wißt ihr das?�
�Haben wir dir gestern gesagt��, knurrte der General, auch wenn seine Augen wieder ihr typisches blasses Grün annahmen.
�Ach ja, stimmt eine Tagesreise südöstlich von Bargum� Aber das sollte dann doch auch nicht viel weiter als zur Stadt selbst sein�, Joro hatte immernoch Angst, sich vielleicht noch weiter in Schwierigkeiten zu reden.
Ghaundar sprang ein: �Es wird etwa fünf Tage dauern. Das Kloster liegt auf einem Berg und darum herum sind Sümpfe. Da werden wir nicht sonderlich schnell vorankommen. Aber immerhin sind um diese Jahreszeit die Mücken noch nicht so eine Plage.�
Es erscholl ein Räuspern an einem der Häuser und als sie sich umblickten, standen dort Alystin und eine ihrer Novizinnen. Omareth stöhnte auf.
�Muß das sein, Alystin?�
�Hohepriesterin in diesem Falle, wenn ich bitten darf. Irruit kommt mit, ich will, daß sie etwas von der Außenwelt zu sehen bekommt�, sie wandte sich an die Drow, die merklich kleiner war als sie und sehr kurz geschorene Haare hatte, �Novizin, ich möchte dir offiziell Joro Macun vorstellen, den Bischof von Bargum. Als solchen wirst du ihn auch Titulieren, solange wir unterwegs sind. Der Ehrentitel für sein Amt lautet bei den Menschen �Eminenz�.�
Irruit verbeugte sich etwas unbeholfen und sagte: �Es ist mir eine Ehre, Eminenz.�
Auch wenn Joro eigentlich etwas einwenden wollte, kam von Alystin ein ausgesprochen bedrohlicher Blick, was ihn erst stocken ließ, ihn dann aber dazu bewegte, ein, wie er fand, majestätisches Nicken in die Richtung der Novizin zu geben und knapp �Danke� zu sagen.
Bei näherer Betrachtung war ihm schon klar, warum Alystin wert darauf legte. Auch wenn sicherlich schon jeder in der Enklave wußte, daß die Hohepriesterin und er auch durchaus schon die eine oder andere Nacht miteinander verbracht hatte, war es ihm immernoch präsent, daß sie ihm mehr als einmal gesagt hatte, daß sie ihre Stellung und Bedeutung innerhalb der Enklave be- und vor allen Dingen einhalten mußte.
Außerdem stellte er verblüfft fest, daß Irruit die erste andere Person hier war, die ihm auch namentlich vorgestellt wurde, von Illivara, die ja eher nur auf ihn eingeschimpft hatte, einmal abgesehen. Ein bedeutsamer Moment.
Irruit mußte wohl nicht nur wesentlich jünger als die anderen Drow sein, sondern hatte auch ausgesprochen helle, gelbe, fast weiße Augen, wie er sie bei anderen noch nicht gesehen hatte. Es hatte fast etwas raubtierhaftes an sich. Und ihre Körpergröße� sie war sogar kleiner als Ghaundar, der Joro gerade einmal bis knapp unter das Brustbein reichte.
Omareth war ihre Anwesenheit sichtlich unangenehm, aber er wagte nicht, ihn zu fragen, denn die dunklen Wolken, die praktisch über dessen Kopf schwebten ließen schon kleine Blitze zucken. Zudem schwieg er jetzt und lud sich stattdessen sein Bündel wieder auf seinen Rücken, dessen Gurt er dann über seine Brust legte.
�Gehen wir?�, der Zorn in seiner Stimme sprühte fast Funken.
�Ja. Vor der Abenddämmerung möchte ich wenigstens schon ein paar Meilen hinter uns haben. Es sind nur knapp zehn Tage bis zum Vollmond und da muß ich wieder hier sein, wie ihr sicherlich wißt�, Alystins Stimme hatte eine ziemlich eindeutige Entschlossenheit in sich, die nach Joros Annahme daher rührte, daß die Novizin dabei war.
Mit einem gemeinsamen Zelt wurde es also vermutlich nichts.
�Joro��
�Ja, Herr?�
�Du bist manchmal ein dummer Junge.�

Sie hatten die Befestigungsanlage gerade eine knappe Stunde hinter sich gelassen, als es anfing zu regnen. Joro mochte Regen und genoß es immer dann besonders, wenn er durch die Berge gehen mußte. In einer schwarzen Metallrüstung mit einer schwarzen Robe darüber wurde es mitunter reichlich heiß, wenn keine Bäume in der Nähe standen.
Auch Omareth schien der Regen ein wenig das Gemüt zu kühlen, denn mit jedem Schritt, auf dem ihm das Wasser auf den Kopf fiel hob sich seine Miene ein kleines Wenig und als eine weitere halbe Stunde vergangen war, meinte er plötzlich mit einem Grinsen:
�Wenigstens habe ich es geschafft, das Faß aus dem Haus zu bekommen, ohne daß es Illivara gemerkt hat.�
�Wenn sie es herausfindet, wird sie dir hinterher einen Einlauf geben, an den du dich noch lange erinnerst, Ilharn.�
Omareths Gesicht fiel wieder nach unten und er stieß ein paar Flüche aus.
Alystin zischte mit sehr böser Miene etwas Leises, das Joro nicht verstand und die junge Drow schaute beschämt zu Boden und murmelte: �Jorah, Sharess.�
Das Wort Ilharn kannte Joro, es bedeutete so etwas wie �Hausherr�, allerdings sagte das nur, daß Irruit mit Omareth verwandt sein mußte, nicht in welchem Grade. Erstaunlicherweise wußte er nicht einmal, ob Omareth eigentlich Kinder hatte.
Im weiteren Verlauf ihres Marsches sprach kaum jemand etwas, was leider auch daran lag, daß Ghaundar wie immer ein paar hundert Schritte vor ihnen durch die Landschaft huschte, um Ausschau zu halten. Wäre er näher gewesen, hätte er einen Weg gefunden, die angespannte Lage etwas zu entschärfen und Joro traute sich dies selbst nicht zu. Es fiel ihm viel zu sehr auf, daß er immernoch nicht genug über die Drow wußte und er war sich unsicher, wie er sich verhalten sollte.
In einem passenden Moment jedoch, als er zu Alystin herübersah und sie seinen Blick erwiderte, formte sie mit den Händen, von den anderen beiden ungesehen �Ich habe dir immer gesagt, daß es nicht leicht werden wird. Verliere nicht den Mut, ich liebe dich.�
Das entspannte ihn ein wenig, auch wenn das anhaltende Schweigen ihm trotzdem auf das Gemüt schlug.
Der Regen verschwand und mit einem Mal fing Irruit an zu singen, woraufhin Alystin sofort einstimmte. Es tat gut, ein Wenig Fröhlichkeit in die Sache zu bringen, und auch wenn Joro ums erneute Mal den Text nicht kannte, summte er zumindest mit, selbst Omareth murmelte leise vor sich hin, auch wenn nicht ganz erkenntlich war, ob er vor sich hinfluchte oder ebenfalls das Lied sang. Das war allerdings eher unwahrscheinlich, denn die meisten Lieder der Enklave waren, wie Joro gelernt hatte, religiöse.

Nach gut drei Stunden des Marsches kam ihnen Ghaundar entgegengesprintet, was die anderen vier dazu brachte, sich sofort auf den Boden zu werfen. Als er etwa auf 20 Schritte heran war, ließ er sich mit einer Seitwärtsrolle hinter einen Findling fallen.
Auch wenn Joro zunächst nichts erkannte, hörte er schon sehr bald etwas. Aus einem kleinen Waldstück vor ihnen drangen krachende Geräusche und einige Bäume knickten ab, wobei ein riesiger, kahler Schädel mit grauer Haut zwischen den Wipfeln der Tannen und Birken hervorkam.
�Ich habe ihn erst gesehen, als ich schon fast auf seinem Bauch stand. Verdammt, ich hoffe er hat mich nicht bemerkt�, gestikulierte Ghaundar in ihre Richtung.
�Was ist das�, gab Joro zurück, �ein Riese?�
Ghaundars rechte Augenbraue ging nach oben.
�Schon gut�, murmelte Joro leise, aber Ghaundar gestikulierte wild ein �Schnauze!�
Der Kopf hielt kurz inne und schaute zu ihnen herüber. Dann drehte er sich wieder in eine andere Richtung und stapfte aus dem Waldstück. Joro mußte bei dem Anblick schlucken, denn selbst die Tatsache, daß das Haupt dieses Wesens über gut fünf Schritte hohe Bäume gereicht hatte, war schon erstaunlich gewesen. Nun aber zu sehen, wie sich ein derart großer Körper, der unglaublich muskulös und nur von einem Lendenschurz bedeckt war, mit ausgesprochen hoher Geschwindigkeit vorwärts bewegte, war wirklich atemberaubend. Jeder Schritt erzeugte eine Erschütterung im Boden, die selbst aus der recht großen Entfernung noch zu spüren war.
Erst als der Riese hinter einem weit entfernten Hügel verschwunden war, stand Ghaundar wieder auf. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen und er meinte:
�Verdammt, das war knapp�, und zu Joro gewandt fuhr er fort, �und das nächste Mal, wenn wir nur Gestensprache benutzen, hältst du deinen Mund, das hat nämlich Gründe, weißt du?�
Der Bischof schluckte.
�Ich hätte niemals erwartet, daß er uns von hier aus noch hören kann, das waren doch fast fünfhundert Schritte��
�Steinriesen können unglaublich gut hören, ich bin mir sicher, daß ihn das Gesinge aufgeweckt hat. Eigentlich ein Wunder, daß er nicht die Idee hatte, nachzusehen��
�Wenn ich gewußt hätte, daß sich ausgerechnet hier Steinriesen herumtreiben, hätte ich niemals, aber wirklich nie gesungen�, Alystin war verwirrt, �was macht denn einer von denen so weit im Süden?�
Omareth hatte sich aufgerappelt und rückte sein Gepäck zurecht.
�Wenn ihr mich fragt, tippe ich darauf, daß die Legion etwas damit zu tun hat.�
Zuzutrauen wäre ihnen das, da war sich Joro auch sicher.

Den weiteren Weg unterhielten sie sich nur noch mit Gesten, was auch dem Lernen zugute kam.

Es wurde schneller Abend, als man es gedacht hatte, aber wenn man etwas zu tun hatte , und wenn es auch nur Laufen war, ging es einem ja immer so, wie Joro fand. Das Lager war, wie immer an einer Wasserstelle und mit Sichtschutz durch Bäume, schnell aufgeschlagen und Ghaundar ging noch auf die Suche nach einer Abendmahlzeit.
Irruit und Alystin waren ebenfalls auf einen kleinen Kräuterexkurs gegangen, sodaß Omareth und er alleine waren. Der General hatte sein Gepäck, so schnell er konnte, vom Rücken genommen als der Moment kam zu rasten. Auch wenn Omareths Unter- soviel Muskeln wie Joros Oberarme besaßen, hatte ihn die Last des Fasses angestrengt, was ihm anzusehen war.
Während der Priester damit beschäftigt war, Feuer zu machen, schlug Omareth das Spundloch ein und goß sich etwas vom Inhalt in seinen Holzbecher. Nach einem tiefen Schluck rülpste er betont laut und grunzte dann zufrieden.
�Manchmal benimmst du dich ausgesprochen unelfisch, Omareth�, meinte Joro schmunzelnd, während er auf den Feuerstein schlug.
�Was soll denn das nun wieder heißen�, fragte der Drow mit einer hochgezogenen Augenbraue.
�Naja, die Menschen denken immer, daß die Elfenvölker alle elegant und wohlerzogen sind.�
�Ja, und alle Drow sind Massenmörder� Wenn ich furzen könnte, täte ich das jetzt.�
�Schon gut� Darf ich dich etwas fragen?�
�Sie ist meine Adoptivtochter.�
�Oh�, der Funke sprang endlich und Joro pustete ein paar Male auf den Zunder, bis das Feuer leicht anfing zu knistern, �Deshalb warst du auch dagegen, daß sie mitkommt, nicht wahr?�
�Illivara hat sie als Wachhund abgerichtet. Es war auch ihre Idee, daß sie eine Priesterin werden soll, obwohl sie dafür noch viel zu jung ist!�, der Drow nahm sich noch einen Becher aus seinem Faß, leerte ihn und zögerte kurz, ob er ihn zu Boden schmeißen sollte.
�Sie ist noch sehr jung, oder?�
�Keine Vierzig��, Omareth füllte den Becher erneut und reichte ihn Joro, der sich neben ihn auf den Baumstamm setzte, den der General extra zu diesem Zwecke dort hingerückt hatte.
Auf Menschen umgerechnet war Irruit also etwa zwischen sieben und acht Jahren alt.
�Als ich so alt war wie sie� naja, du weißt, was ich meine� da habe ich auch schon auf dem Hof meines Vaters das Vieh gehütet�, meinte Joro unbeholfen.
Erst wollte Omareth eine zynische Antwort geben, aber als er zu dem Menschen herübersah, bemerkte er den ehrlichen Wunsch, hilfreich zu sein, in dessen Augen und ließ stattdessen die Schultern hängen.
�Daß der Vergleich hinkt, weißt du sicherlich auch, aber ich verstehe was du meinst. Womöglich ist es auch eher der Einfluß, den Illivara auf sie hat, der mich stört��, er sah auf den Becher, �wenn du nichts trinkst, tu ich es.�
Joro nahm sich einen guten Schluck und mußte furchtbar husten. Die Annahme, es sei Ale, bestätigte sich mitnichten. Was auch immer in diesem Faß war, es mußte ausgezeichnet brennen.
Omareth kommentierte das mit einem Kichern und nahm sich selbst einen großen Schluck aus dem Becher.
�Branntwein. Hab ich mir von Balthasar besorgt, die Duergar brennen den aus� ich wills gar nicht wissen. Hauptsache er hat Biß.�
�Meiner Meinung nach hat der gut ein Wolfsrudel��
�Ja, ist das nicht fein?�
Ghaundar kam zu ihnen, einen toten Hasen in der Hand, den er wortlos Joro gab, welcher seinen Dolch zückte und begann, ihn zu häuten.
Auch der Assassine nahm einen Schluck aus dem Becher, unterdrückte einen Hustenreiz und wischte sich die Tränen aus den Augen.
�Wo hast du denn das Zeug her, Omareth? Von den kleinen, grauen?�
�Jawoll.�
�Abartig�, Ghaundar rotzte seinen Kautabak ins Feuer, �Aber platzsparend, wie ich deine Gemütslage einschätze.�
�Ich muß zusehen, daß ich noch genug in mich hineinbekomme, bevor unsere beiden Damen wiederkommen, weil Irruit mich sonst am nächsten Baum festbindet.�
�Ja, am Hals�, lachte Ghaundar und schob sich eine neue Portion in den Mund.
Omareth entgegnete nichts, sondern nahm mit betont gemütlichem Gesichtsausdruck noch einen weiteren Schluck aus dem Becher.
Joro war fertig mit dem Häuten des Hasen, weidete ihn aus und sah sich dann nach Ästen um, auf denen er den Hasen über das Feuer bringen konnte.
Er sah sich dabei um, aber von den beiden Drowfrauen war nirgends etwas zu sehen. Aber er machte sich keine Sorgen, er wußte, daß Alystin auf sich aufpassen konnte und bei Irruit hatte er nicht den Hauch eines Zweifels, daß diese auch sehr gut wußte, wie sie auf Gefahr zu reagieren hatte.
Als er schließlich zum Lagerplatz zurückkehrte, saß Ghaundar alleine dort und er hörte Omareth im Zelt rumoren.
Sein fragender Blick wurde vom Assassinen mit einem Achselzucken kommentiert.
�Er meint, er geht lieber ohne Essen ins Bett und hat den Rest des Tages seine Ruhe.�
�Die Sonne ist doch noch nicht einmal untergegangen.�
�Das ist mir egal�, kam es aus dem Zelt, � ich brauche meinen Schönheitsschlaf.�
Sie hängten das Essen über das Feuer und warteten eine Weile, bis dann endlich Alystin und Irruit wiederkamen. Letztere sah sich sofort um und Alystin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
�Omareth liegt schon auf seiner Matte�, meinte Ghaundar knapp, �Er war müde.�
Die beiden Frauen sahen zu Joro, aber der schluckte und wurde rot.
�Zwingt mich bitte nicht, darauf etwas zu entgegnen, das wäre ungerecht.�
Alystin schmunzelte und sagte: �Na, dann werden wir Ghaundars Version einmal gelten lassen. Wie ich sehe haben wir ein schönes Abendessen. Wir haben ein paar Kräuter gefunden, die es noch besser machen werden.�
Es schmeckte vorzüglich und es entging Joro auch nicht, daß die einzelnen Pflanzen, mit denen der Hase sowohl inwendig, als auch durch Einreiben von außen gewürzt worden war, auch noch eine belebende Wirkung hatten.
Bis lange nach Sonnenuntergang saßen sie noch dort und erzählten sich Anekdoten, obwohl Irruit schon kurz nachdem es dunkel geworden war von Alystin ins Zelt geschickt wurde.
Ghaundar verabschiedete sich irgendwann auch und so waren nur noch Joro und seine Angebetete am Feuer.
Joro gab einen sehnsüchtigen Blick in ihre Richtung, aber sie gestikulierte �Keine gute Idee, leider�. �Verdammt!�, gab er zurück.
�Ich kann euch fuchteln hören�, grunzte Omareth im Halbschlaf.

Am nächsten Morgen war Joro überrascht, als er feststellte, daß er als erster wach geworden war. Leise bewegte er sich aus dem Zelt, so gut das mit angelegter Rüstung ging, wobei Omareth sich mehrfach schnaufend � wohl auch demonstrativ � umdrehte.
Eigentlich war er dem alten, dicken Duergarkönig für seine geniale Arbeit dankbar. Denn während die Drow nur in ihren typischen Kettenhemden schliefen, die den Komfort wohl kaum einschränkten, konnte er sich beim Liegen in dem Plattenpanzer, den er trug, kaum drehen. Wohl aber verhinderte die geniale Verarbeitung der Rüstung erstaunlicherweise, daß er Druckstellen bekam, oder daß er nicht gemütlich auf dem Rücken liegen konnte.
Draußen war es, wie immer in dieser Region, morgens sehr feucht und sehr kalt.
Er konnte nicht lange geschlafen haben, denn die Glut des Feuers war im Inneren noch nicht erloschen und so legte er einen etwas trockeneren Ast darauf, um es wieder zum Brennen zu bringen. Joro rieb die Hände aneinander und blies hinein. Es war wirklich schweinekalt.
Hinter ihm ging das Zelt der beiden Frauen auf und Irruit kam heraus. Sie sah verschlafen aus und trotzdem verbeugte sie sich knapp, als sie ihn sah. Dann ging sie herüber zum kleinen Bach, drehte sich zu ihm um und ihr stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben.
�Ich gehe mal einen kleinen Spaziergang im Wald machen, Irruit. Keine Sorge�, Joro lächelte.
�Danke�, sagte sie erleichtert und mit einem leicht koketten Augenklimpern.

Das Waldstück war nicht sonderlich groß, denn auch wenn die Gegend um Bargum schon nicht mehr in der Taiga lag, war der Untergrund hier noch sehr felsig. Eine Tagesreise von hier ging es vom Bergplateau herab in die Senke, in der Bargum lag und dort waren die Böden besser. Joro hielt inne. Er dachte wirklich wie ein Bauer. Nun, wenn er schon einmal stand, konnte er auch Wasser lassen. Wie das bei Männern bei dieser Beschäftigung in der freien Natur so üblich ist, erkundigte er sich zunächst nach der Windrichtung, drehte ihr den Rücken zu und ließ dann seinen Blick in die Runde schweifen.
Dabei fiel sein Blick erst, als er schon dabei war, abzuschlagen, auf ein rotes Augenpaar zwischen den Bäumen. Das Sirren in seinem Hinterkopf sagte ihm, was das zu bedeuten hatte. Ein Shura? Hier?
Fast verlegen ließ Joro den Rock seiner Kriegsrobe wieder fallen und machte sich dann daran, auf den Geist zuzugehen.
�Sie sind wirklich keine Gefahr für mich, nicht wahr?�
�Nein.�
�Gut. Vorher fragen ist immer besser als danach.�

Der Shura bewegte sich keinen Haarbreit, als Joro auf ihn zuging, fixierte ihn aber weiterhin mit diesen roten Punkten, die dort waren, wo sein Gesicht sein mußte. Auf gut zwei Schritte herangekommen, sah er sich um, auch wenn er den Geist nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Der Untergrund war mit Moos und heruntergefallenen Ästen übersät, aber schon nach wenigen Blicken erkannte er das Ende eines Knochens aus dem Boden ragen. Er kniete sich nieder und sah dann den Geist an.
�Das bist du, nicht wahr?�
Als Antwort kam ein Gefühl aus Trauer, Wut und Verzweiflung.
�Keine Sorge, ich werde dich ordentlich begraben.�
Starke Ablehnung durchzog seinen Geist.
�Wie wäre es mit einem Handel? Ich begrabe deine Überreste, aber lasse dich noch so lange verbleiben, bis du deine Bestimmung erfüllt hast?�, �Das ist doch in Ordnung?�, fügte er in Gedanken hinzu. Zögerlich veränderte sich die Ablehnung in Hoffnung und der Zorn war wieder deutlicher im Vordergrund.
�Wenn du es für das Richtige hältst, werde ich dir nicht sagen, was du zu tun hast, Joro�, sagte Celestus.

Joro begann, das Moos mit einem größeren Stock fortzukratzen und legte in kurzer Zeit ein Skelett frei, das auf gar keinen Fall einem Menschen gehören konnte. Für einen Elfen war es aber auch zu groß, für einen Zwergen zwar breit genug, aber die Knochen waren zu lang. Ein Ork vielleicht?
Die Ketten aus Tierzähnen, die zwischen den Rippen lag, brachte ihn dazu, anzunehmen, daß es also entweder ein Barbar aus dem fernen Norden oder tatsächlich ein Ork gewesen sein mußte. Als er die Kette berührte, sandte ihm der Shura plötzlich ein Gefühl von starker Sehnsucht in den Geist. Joro blickte auf und sah ihn fragend an. Die roten Augen waren nicht mehr auf ihn, sondern auf die Kette gerichtet.
Dann sah das Geisterwesen wieder zu Joro und mit einem Mal drangen Bilder, Szenen in sein Bewußtsein, was ihn, trotz, daß er in der Hocke saß, taumeln ließ.
Eine weite Eiswüste, auf der sich eine Gruppe Orks auf großen Wölfen schnell vorwärtsbewegten. Die Landschaft konnte Joro intuitiv als diejenige erkennen, in der er sich gerade befand.
Sie ritten auf eine andere Gruppe von Humanoiden Gestalten zu, die beim Näherkommen als Menschen in groben Fellrüstungen zu erkennen waren.
Die nächste Szene fand in einem Wald statt, das mußte dieser hier sein. Ein großer Mann mit unglaublich langem Bart rannte auf ihn zu und holte mit einer Axt aus. Danach wurde es dunkel. Dann erschien mit einem Male ein helles Licht und eine durchscheinende Gestalt mainfestierte sich langsam, ein Orc mit einem Rentierschädel auf dem Kopf, der auf Joros Brust deutete und dann schräg hinter sich.
Der Bischof fand sich auf dem Rücken liegend wieder, vollkommen durchgeschwitzt und keuchend. Ghaundar kniete neben ihm und wedelte ihm Luft zu.
�Alles in Ordnung mit dir? Was hast du denn da gefunden?�, er setzte an, nach der Kette zu greifen.
�Nicht!�, Joros Schrei ließ Ghaundar zusammenzucken und ihn entgeistert anstarren.
Der junge Mann richtete sich auf, ergriff die Kette und sah zu dem Shura.
�Der alte Ork, das bist du, nicht wahr?�
�Man hat mich ja schon mit vielem bedacht, aber�, murmelte Ghaundar.
�Nicht du. Jetzt ist es mal einen Moment an dir, den Mund zu halten.�
Der Drow zuckte erneut zusammen und schaute dann halb beleidigt, halb interessiert zu Joro, der offensichtlich mit der Luft sprach.
Zwei rote Augenpaare, immernoch auf Joro gerichtet, machten eine leicht nickende Bewegung, dann schauten sie in eine andere Richtung, von der er annahm, daß es die gleiche war, wie in der Vision.
�Ghaundar? Welche Himmelsrichtung ist dort?�
�Darf ich jetzt wieder reden?�
�Welche Himmelsrichtung?�
�Ost Nordost.�
�Merken, danke�, wieder zu dem Shura gewandt fragte er: �Was ist dort?�
Ein Gefühl der Geborgenheit, der Wärme und des Stolzes überlagerte kurzfristig den kochenden Zorn, der immer gegenwärtig war.
�Deine Heimat? In Ordnung, ich werde sie dort hinbringen.�
Auch wenn sich kurz Zweifel einschlich, konnte Joro sich nicht erwehren, eine starke Bitte in dem zu fühlen, was der Shura ihm schickte.
�Gut. Dann ist es abgemacht. Und jetzt werde ich dich begraben.�

Joro stand auf und der Shura verblasste. Dann begann er, das restliche Moos und Einiges an Erde von den Knochen zu graben.
�Darf ich dann auch irgendwann erfahren, was hier gerade vor sich geht? Die anderen waren schon voll Sorge, daß dir etwas geschehen ist�, Ghaundar klang ungeduldig und immernoch ein wenig beleidigt.
�Hilf mir lieber mal, Steine zu sammeln, der gute Mann muß begraben werden.�
�Deine Leidenschaft zu Graben würde manchmal einem Zwerg alle Ehre machen�, meinte der Drow, während er sich daran machte, ein paar Brocken zu holen, �mit wem hast du denn gesprochen? Dem Geist vom dem Toten� hey, das ist ja ein Orkskelett!�
�Ork oder nicht, der wird begraben�, Joro richtete sich kurz auf und wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab, � Ich habe mit ihm ein Geschäft gemacht.�
Ghaundar sah ihn verwundert an.
�Du weißt aber schon, daß man mit Untoten keine Geschäfte machen sollte?�
�Ich hab in Bargum seit einigen Wochen schon Geschäfte mit einem Untoten am laufen. Außerdem ist das hier ein Rachegeist, was Celestus nicht per se als untot bezeichnet.�
�Und was ist mit der Kette?�, Ghaundar brachte noch einen größeren Stein heran.
�Die bringe ich seinen Leuten wieder. Sie ist wichtig, soweit ich das verstanden habe�, Joro begann, die Steine über das Skelett zu schichten.
Der Drow stand da und sah ihn an, als hätte er gerade beiläufig erwähnt, eine Liebesbeziehung mit einem Wildschweinschinken zu haben.
�Was denn?�
�Du willst wegen einer Knochenkette zu einer Orksiedlung? Sonst geht es dir gut?�
�Es geht ihm gut?�, Alystins Stimme klang besorgt, sie kam mit den anderen beiden Drow hinter Ghaundar zwischen den Bäumen herbeigelaufen.
�Nein, wohl nicht, auch wenn im körperlich nichts fehlt.�
�Mir geht es auch geistig sehr wohl gut�, meinte Joro ärgerlich und legte betont langsam und akkurat einen flachen Stein auf den Haufen vor sich, �Nur weil ich einem Toten ein Versprechen gegeben habe, muß das noch lange nicht heißen, daß ich jetzt den Verstand verliere.�
�Um was für ein Versprechen handelt es sich denn dabei?�, fragte die Priesterin interessiert.
�Er will diese Knochenkette da zu einem Orkstamm im Norden bringen�, meinte Ghaundar.
Alystins und Irruits Blicke ähnelten denen des Assassinen kurz zuvor und Omareth zeigte Joro ziemlich deutlich den Vogel.
�Ist auch nicht viel verrückter, als ein Mensch, der bei Dunkelelfen lebt, oder?�, Joro schmollte.
�Darüber reden wir noch einmal, wenn wir diese Reise hier fertig haben�, sagte Alystin mit bestimmendem Ausdruck in den Worten, �Jetzt sollten wir erst sehen, daß wir weiterkommen.�
Joro sah sich noch einmal um, bevor er den anderen folgte, aber der Shura war und blieb verschwunden. Er meinte aber, Celestus in seinem Hinterkopf fröhlich summen zu hören.

Entgegen der sonstigen Route, die einen schmalen Pass herunter in die Ebene Norddaishans beinhaltete, knickten sie deutlich nach Süden ab und liefen am Rande des Gebirgsplateau weiter.
Auch hier oben gab es einen Pfad, aber er war weniger ausgetreten als der andere und mitunter aus der Nähe kaum zu erkennen, auch wenn sich, wenn der Blick gegen Horizont ging, eine dünne Linie auf der Landschaft abzeichnete.
Die Luft war außergewöhnlich klar an diesem Tag und die Sicht reichte weit, also fragte Joro irgendwann Omareth, ob man denn den Berg schon sehen könne, auf dem sich die Bruderschaft des Jarta befand.
Daraufhin deutete der Drow auf einen kleineren Berg, der sich am Rande des Plateaus in den Himmel reckte und stark bewaldet war. Um ein Bauwerk zu sehen, war es zu weit, außerdem lag eine Wolke dicht über dem Gipfel, wodurch außer einem grünen Schleier, der durch den Wald gebildet wurde, nichts zu erkennen war.
�Morgen?�
�Eher übermorgen, wenn wir gut vorankommen und du nicht wieder was zum Buddeln findest.�
Joro überging das. Stattdessen fiel ihm auf, daß es unglaublich erfrischend war, endlich einmal wieder mit seinen Freunden durch die Wildnis zu ziehen, anstatt in einem Zimmer über Büchern zu brüten. Die frische Luft, die nicht nach altem Papier roch, sondern nach Pflanzen und irgendwie auch � soviel Pathos gestand er sich zu � Freiheit.

Das Räuspern in seinem Kopf überging er auch.


Kapitel 31


Nach einem üppigen Abendessen, das aus zwei erlegten Murmeltieren bestand, eines wäre nach dem gerade beendeten Winterschlaf ein wenig mager gewesen, Joro mußte aufgrund dieses Wortspieles innerlich grinsen, saßen sie am Feuer und sogen die Wärme in sich auf, während die Luft nach und nach mit dem Verschwinden der Sonne wieder beißend kalt wurde.
�So�, meinte Alystin, nachdem sie sich einen Schluck aus Omareths Faß gegönnt hatte, der, wie schon am Tag zuvor früh ins Bett gegangen war, �Wie war das jetzt mit dem Orkstamm?�
Joro erzählte von seiner Begegnung mit dem Ork, oder besser gesagt dessen Geist.
Irruit sah ihm dabei ausgesprochen interessiert zu und stütze sich mit den Ellenbogen auf die Knie.
�Interessant. Aber glaubst du, daß dir dieser alte Orkschamane auch wohlgesonnen war? Vielleicht will er dich nur zum Instrument seiner damaligen Aufgabe machen, wann auch immer das war�, sagte Alystin zweifelnd.
�Es ist seltsam, aber unter der ganzen Maskerade des Hasses, die diese Geister ihrer Natur wegen tragen, erschien er mir eigentlich eher als ziemlich� ich weiß nicht so recht��
�Sympathisch?�
�Nein, das war es nicht� Eher�Harmlos?�
�Harmlose Orks�, Ghaundar rümpfte die Nase, �Das hört sich ja fast so an wie spendable Duergar.�
�Oder liebenswerte Drow?�, gab Joro bissig zurück.
�Das kannst du nicht immer als Totschlagargument benutzen, Joro�, Alystin seufzte, �Aber ich weiß, worauf du hinauswillst.�
�Mehr, als es zu versuchen, kann ich auch nicht. Ich vertraue auf den Willen und den Schutz meines Gottes. Wenn er nicht will, daß ich dort hingehe, werde ich es auch nicht machen. Bisher ist er allerdings sehr zufrieden mit der Idee.�
�Dann sollten wir es vielleicht wirklich ausprobieren, auch wenn sich mir allein bei dem Gedanken schon der Magen umdreht��, Alystin sah zu Irruit, die immernoch Joro anstarrte, �Solltest du nicht schon lange schlafen?�
�Oh, verzeiht mir, Sharess, natürlich�, sie machte vor Joro einen Knicks und verschwand dann im Zelt.
Dieser saß mit einem Grinsen, so breit wie sein Gesicht, auf dem Stein, den er vorher am Feuer warm gemacht hatte und setzte dann eine unschuldige Miene auf.
�Sowas gefällt dir, was?�
Wortlos stand er auf, gab ihr einen leichten Kuß auf die Stirn und sagte: �Ich gehe jetzt auch schlafen, träum was Schönes.� Der Geruch ihrer Haare ließ ihn fast eine Dummheit begehen.

Joro schlief unruhig in dieser Nacht. Die Visionen des alten Orks geisterten immer und immer wieder durch seine Träume und er begann, sich zu fragen, welche Geschichte eigentlich dahintersteckte. Er wachte mittendrin auf und grübelte im Halfschlaf darüber nach. Irgendetwas sagte ihm, daß das eine sehr alte Begebenheit sein mußte und er fragte sich zudem, ob sie nicht wieder einmal mit seiner Rüstung oder Nuktu oder der Celestuskirche zu tun hatte.
�Du bemerkst immer wesentlich mehr, als man dir in deiner mitunter tolpatschigen Art anmerken würde, Joro�, Celestus war amüsiert.
�Also habe ich mal wieder recht?�, er seufzte innerlich resigniert.
�Das mußt du wieder einmal selbst herausfinden. Aber ich kann dir versichern, daß du nicht völlig auf dem Holzweg bist.�
�Da freue ich mich aber, daß ich mich auf dich verlassen kann, Herr. Was wäre ich nur ohne dich?�
�Weniger Sarkasmus und mehr Schlaf, Joro. Morgen wird ein weiterer, aufregender Tag in deinem Leben.�

Dieses Mal war er, wie so oft, der letzte, der wach wurde. Eigentlich weckte ihn ein, wohl gewollter, Rippenstoß seitens Omareth, aber die anderen waren auch bereits aufgestanden.
�Wir müssen los, im Norden braut sich ein Sturm zusammen und Alystin will bis zu dessen Ankunft hier den Berg erreicht haben.�
�Hattest du gestern nicht gesagt, daß wir da erst morgen ankommen?�
�Was ist dir lieber, ein wenig schneller marschieren, oder hier ein paar Tage im Sturm festsitzen, der uns vielleicht alles wegbläst?�
�Hast ja recht, ich steh ja schon auf.�
Draußen war schon alles zusammengepackt und Omareth baute in einem Rekordtempo das zweite Zelt ab.
Joro sah sich um und konnte tatsächlich weit im Norden eine schwarze Wolkenfront erkennen. Es sah bedrohlich aus, es war wohl wirklich besser, so weit wie möglich voranzukommen, bevor das Unwetter sie erreichte.
Sobald alles verstaut war, ging es auch schon los, an diesem Tage in höherem Marschtempo und sie alle drehten sich häufig um, um zu sehen, wieviel Raum noch zwischen ihnen und den Wolken war.
Auch eine Rast am Mittag fiel aus, stattdessen aßen sie im Laufen ein wenig Brot. Joros Kondition wurde dabei auf eine große Probe gestellt, denn trotz des Sturmes, der aus dem Norden kam, war es bis zum frühen Nachmittag immernoch eher sonnig, außerdem wirkte sich erneut das Gewicht seiner Rüstung sehr stark aus. Wobei� Irgendwie war sie nicht mehr ganz so schwer, wie er zugeben mußte. Wenn er bedachte, wieviel Zeit er in dieser Metallschale verbracht hatte, war sie fast wie eine zweite Haut geworden. Eine schwere und bisweilen etwas umständliche, fürwahr, aber wenn er es sich nicht gerade vor Augen führte, bemerkte er die Rüstung eigentlich kaum noch.
Je näher der Abend kam, desto stärker wurde der Wind und die Luft bekam ihren typischen Geruch, den sie immer annahm, wenn sich Regen näherte. Es entging Joro nicht, daß Omareth sich überrascht zeigte, daß er dies warnahm, aber dem Drow war auch klar, daß Joro kein Stadtmensch war, sondern seine Kindheit in der rauhen, wenn auch halbwegs besiedelten Natur Daishans verbracht hatte.
Es wurde auch zunehmend kälter, was den Schweiß unter Joros Waffenrock, tief unter den Metallplatten und den Ketten, ein klammes, widerwertiges Gefühl erzeugen ließ. Instinktiv lief er noch schneller.
Es stimmte, was ihm die Drow damals auf dem Weg zu Balthasars Festung gesagt hatten. Man konnte in den Bergen tatsächlich sehr weit blicken, aber die Entfernungen täuschten gewaltig. Der kleine Berg, auf den Omareth am Vortag gezeigt hatte, war zwar mittlerweile fast zum Greifen nahe, aber irgendwie erreichten sie seinen Fuß nicht. Joro orientierte sich in der Wildnis immer an Landmarken, besonderen Steinen, Bäumen und dergleichen, aber er wußte nicht mehr, wieviele dieser Orte sie nun schon hinter sich gelassen hatten.
Sicherlich, sie kamen voran, aber die Wolkentürme hinter ihnen wurden immer größer und gleichzeitig begann es schon zu nieseln.
�Wie weit ist es noch�, fragte Joro besorgt.
Omareth kratzte sich den Bart und schaute zum Himmel.
�Wenn wir Glück haben, dann nur noch ein paar wenige Meilen. Aber ich denke mittlerweile, daß wir sehr naß sein werden, wenn wir dort ankommen.�
Sie waren noch eine gute Stunde weiter gegangen, als der Nieselregen sich langsam aber sicher zu echten Tropfen verdichtete. Joro bemerkte aber gleichzeitig auch mit einiger Erleichterung, daß langsam vereinzelt Bäume in der Ebene vor dem Berg standen und es ging jetzt auch sanft bergauf.
Omareth hatte mehr und mehr angefangen, sich hastig umzusehen und hatte einige Male, wenn Ghaundar nah genug war, einige hektische Gesten in seine Richtung gemacht, die zu schnell waren, als daß sie Joro verstand, aber er vermutete, daß er den Assassinen dazu anhielt, möglichst schnell einen Ort zum Rasten zu suchen.
Als die ersten Sturmböen anfingen und alle begannen, sich wirklich unwohl zu fühlen kam Ghaundar ihnen winkend entgegengelaufen.
In immer stärker werdendem Wind liefen sie, so schnell sie ihre vom Gewaltmarsch geschundenen Beine noch trugen, hinter Ghaundar her, der sie zu einem Findling führte, der eine flache Form hatte und so im Boden steckte, daß sie darunter Schutz fanden. Die Drow konnten darunter noch fast stehen, aber Joro mußte sich bücken.
�Ein Geschenk des Himmels�, seufzte Alystin, als sie sich unter dem Stein auf die Erde sinken ließ.
In der Tat. Der Findling war zudem am Hang einer Senke, wodurch zusätzlich Wind abgelenkt wurde. Joro fiel noch etwas auf, denn auf dem Boden war eine kleine Kuhle, in der zwischen dem kurzen Hochlandgras und Moos die Erde schwärzer wirkte als sonst. Er nahm zwischen zwei Fingern eine kleine Menge hoch und zerrieb es zwischen seinen Fingern. Zweifelsohne Holzkohle.
Ghaundar hatte es auch bemerkt, denn er tat das Gleiche.
Als ihn Joro ansah, nickte er nur. �Eindeutig, ja.�
�Während ihr noch am rumfummeln seid, habe ich hier hinten eine kleine Menge sehr trockenen Holzes gefunden�, knurrte Omareth hinter ihnen, �und ich wäre sehr über ein wenig Hilfe erfreut, das auch nach vorne zu bringen.�
Tatsächlich hatte jemand einen Vorrat angelegt. Sogar kleine Spreißel zum Entfachen eines Feuers waren dort unter einer Moosdecke gelagert. Aber wenn man sich das Wetter so ansah war es eher unwahrscheinlich, daß dieser jemand jetzt noch hier auftauchen konnte, über ihnen brach die Hölle los.
Nur mit Mühe gelang es Ghaundar und Joro, das Feuer überhaupt zum Brennen zu bringen, Omareth, Irruit und Vierne hielten so gut sie konnten mit ihren Piwafwis den Wind ab, während Joro den Feuerstein schlug und Ghaundar sanft versuchte, mit leichten Pusten eine Flamme zu erzeugen. Es dauerte schier endlos, aber der grimmige Wille aller Anwesenden, nicht bei diesem Wetter ohne wenigstens ein kleines Bißchen Wärme unter dem riesigen Felsen zu hocken, dessen Durchmesser ohne Zweifel acht bis zehn Schritte betragen mußte, brachte schließlich eine Flamme hervor, denn endlich war ein kleiner Moment ohne starke Böen gekommen und die ersten kleinen Äste begannen zu knistern.
Erleichterung machte sich breit und Joro hockte sich im Schneidersitz erschöpft auf den Boden. Er hatte Blasen an den Füßen, die er sich gar nicht ansehen wollte und sein Rücken, aber vorallem seine Schultern taten ihm von der Last der Rüstung weh.
Omareth reichte ihm die kleine Flasche mit Öl, die er auch schon zuvor dabeigehabt hatte und Joro nahm sie wortlos. Vielleicht war es doch besser, sich die Blasen anzusehen, als hinterher entzündete Füße zu haben. Es war schlimmer, als er erwartet hatte und Omareth sagte nichts, als er mit dem Öl nicht gerade sparsam war.
�Wie weit sind wir heute gekommen�, fragte der Bischof, während er sich unter schlecht unterdrücktem Ächzen und Stöhnen die Füße einrieb.
�Es sollten gut vierzig Meilen gewesen sein und ich bin wirklich froh, daß wir es geschafft haben, ohne, daß uns der Sturm völlig erwischt hat�, sagte Alystin, die mit Irruit deutlich näher am Feuer saß, als die Männer.
�Vierzig Meilen? Kein Wunder, daß meine Füße so aussehen��, Joro stöhnte erneut, auch wenn das dieses Mal auch ein Ausdruck der Erschöpfung war.
Ghaundar sah sich um. �Es ist eigentlich schade, daß wir nicht mit den Stangen, die wir haben, die Zeltbahnen an den Seiten aufstellen können, um den Wind noch ein Wenig weiter auszusperren, aber ich denke, daß sie einfach zu schnell umgeweht werden würden.�
Alystin seufzte und nickte.
Joro war fertig mit Einreiben und gab Omareth mit einem �Danke�, in dem wirklich sein ganzes Herz mitschwang die Flasche zurück. Dann stellte er seine Stiefel zum Trocknen ans Feuer, öffnete sein kleines Bündel und nahm etwas Reiseproviant heraus, um darauf herumzukauen. Es war ein Stück Trockenfleisch, daß aufgrund der Witterung eigentlich eher als Feuchtfleisch bezeichnet werden mußte, aber es schmeckte zu diesem Zeitpunkt und mit einem anstrengenden Tag im Rücken so gut, als sei es ein Festbraten.
Unwillkürlich grinste er.
�Ghaundar?�
�Was denn?�
�Stell dir jetzt mal vor, wir hätten Franz hier.�
�Bei allen Göttern��, setzte der Drow an, aber ihm lief ein Speichelfaden aus dem linken Mundwinkel, was ihn erst zum Abwischen und dann zu einem Lachen brachte, �mußt du so etwas gerade jetzt sagen?�
�Franz ist der Koch aus Bargum, nicht wahr?�, fragte Alystin.
�Ja. Und er hat eine unnachahmliche Art, jegliche Menschen um sich herum zur Völlerei zu verleiten�, Ghaundar lachte fröhlich.
Joro nickte ebenso fröhlich.
�Wenn wir hier fertig sind, werde ich euch alle nach Bargum einladen. Ihr habt mir schon so viel Gutes getan, ich finde, daß es an der Zeit ist, diese Gefallen einmal zu erwidern.�
Es entging ihm nicht, daß sowohl bei Omareth, als auch bei Alystin die Stirn spontan in Falten geworfen wurden, doch er war sich seiner Sache sicher.
�Keine Angst. Niemand dort wird euch mit Argwohn oder gerade Haß entgegentreten, nicht wahr, Ghaundar?�
�In der Tat. Außerhalb des Klosters herrscht weitestgehend immernoch der strenge Geist des Krieges gegen Welverin, aber die Totengräber und vor allem Toldor und Franz sind sehr herzliche Menschen. Von Olgerich ganz zu schweigen.�
�Dann verstehe ich das jetzt einfach einmal als offizielle Einladung, Eminenz�, Alystin lächelte wieder, �aber bis dahin werden wir uns wohl noch mit etwas einfacherer Kost begnügen müssen.�

Sie aßen schweigend ihre Wegzehrung und Ghaundar legte sich dann sofort schlafen, er war immerhin wahrscheinlich in seinem ewigen Hin und Her noch zehn Meilen mehr gelaufen als die anderen. Joro war schon früh aufgefallen, daß sowohl Alystin als auch Omareth Teile seines Bündels trugen, damit er mobiler sein konnte, aber das änderte nichts daran, daß er einen Tag mit einer abartigen Roßkur hinter sich hatte. Es erklärte zudem, warum Ghaundar im Gegensatz zu Omareth, der sich immer eher gemächlicher bewegte, geradezu schmächtig wirkte. Natürlich täuschte das, denn der Assassine war sicherlich trotzdem stärker als Joro, und der Zimmermann ein wirklicher Brocken, aber das ständige Laufen brauchte einfach andere Muskeln als zum Beispiel das Tragen von schweren Lasten.
Irruit war an Alystins Schulter eingeschlafen und wachte nicht einmal mehr von den Donnerschlägen auf, die über ihnen tobten. Das war irgendwie niedlich, fand Joro.
Omareth hatte das Faß wieder ausgepackt und reichte seinen Trinkbecher herum. Alystin nahm aus ihrer Kräutertasche eine Prise kleiner Blätter und ließ sie in den Branntwein fallen, nur um ihn dann zunächst an den Zimmermann zu geben, der ihn dann an Joro weiterreichte. Schließlich nahm sie selbst noch einen Schluck davon.
�Das wird helfen, Kraft zu gewinnen, auch wenn das keine Dauerlösung ist.�
�Eine Droge?�, vermutete Joro.
�Nein, eher ein Mittel, daß Kräfte aktiviert, die tief im Körper schlummern. Morgen wird noch einmal anstrengend, wenn wir auf den Berg steigen müssen, aber da werden wir hoffentlich nicht mehr den Sturm im Nacken haben.�
Der Bischof sah sich in der Runde um und dachte nach. Omareth und Alystin waren für ihn irgendwie anders als Ghaundar, oder, auch wenn er sie nicht gut kannte, Irruit.
Wenn er sich diese beiden Dunkelelfen ansah, wußte er, daß sie sowohl das männliche, als auch das weibliche Oberhaupt der Enklave darstellten. Sie hatten beide eine Aura der Ernsthaftigkeit und der Besonnenheit, unabhängig von der mürrischen, teils aggressiven Art Omareths und Alystins, äh, naja.
Es war ihm nicht entgangen, daß er, trotz seiner neuen Verantwortung und der Wende, die sein Leben in den letzten Monaten durchgemacht hatte, bei beiden eine Unnahbarkeit spürte, die er bei Ghaundar nicht fühlte, nicht auf privater Ebene, eher auf charakterlicher. In Omareths Fall fand er das absolut angebracht, aber es machte ihm bei Alystin Sorgen, vor allem, weil die emotionale Lage zwischen den beiden ja durchaus dem entgegen stand.
Er wischte diesen Gedanken sofort beiseite und wurde sich spontan darüber bewußt, daß diese beiden sehr alten Personen in vielerlei Hinsicht eine Art Vorbilder waren, die er unter Menschen, bis auf seinen Großvater, niemals gehabt hatte.
Joro fiel dabei auf, daß er erstaunlicherweise aber auch Albrecht gegenüber ein ähnliches Gefühl hatte, der bei Alystins Geburt schon seit fast dreihundert Jahren tot war. Was bedeutete das konkret?
Omareth legte seinen Kopf schief und Joro bemerkte jetzt erst, daß ihn sowohl Alystin als auch der Zimmermann beide ansahen. Sie hatten wohl beide auch nachgedacht, vielleicht sogar über ihn.
�Was denkst du, Joro?�
�Hm�, er rang nach Worten, aber schließlich kam seine Herkunft einmal mehr in ihm durch, �mir ist gerade klargeworden, daß ihr beide meine Vorbilder seid.�
Beide waren überrascht.
�Wie meinst du das�, fragte Alystin, mit ehrlichem Erstaunen in der Stimme.
�Die Art wie ihr lebt, wie ihr Gefahren und Probleme meistert. Es ist nicht zu übersehen, daß euer beider Alter sicherlich einen großen Anteil daran trägt. Vielleicht sollte ich es besser �Erfahrung� nennen.�
�Und das macht uns zu �Vorbildern��, meinte Omareth, mit leichtem Zweifel in der Stimme.
�Irgendwie schon, ja�, Joro blickte nachdenklich auf seine Hände, � ich habe nicht annähernd so viel erlebt wie ihr beiden und bei Vielem reagiere ich wie ein hilfloses Kind�, er sah wieder auf, � genaugenommen möchte ich nicht einmal wissen, wie oft ihr mir schon direkt oder indirekt das Leben gerettet habt.�
Alystin lächelte unwillkürlich.
�Vielleicht ist es ja ganz natürlich, daß wir �Alten� auf euch �Junge� aufpassen, oder?�, sie machte eine Andeutung in Irruits Richtung, die mit halboffenem Mund an ihrer Schulter vor sich hinschlief.
�Ich habe auf jeden Fall noch eine Menge zu lernen, das ist sicher.�
Omareth richtete sich auf und spähte in die Dunkelheit, die immer wieder von Blitzen nur für Momente in ein surreales Licht getaucht wurde.
�Glaub mir, daß es schon mehr als einen Sinn hat, daß ich dich regelmässig um unser Dorf jage. Dabei bekommst du nicht einmal ein Hundertstel dessen als Drill auf deine Schultern geladen, als ich es als junger Mann ertragen mußte. Auch wenn mich Celestus nicht persönlich darum gebeten hätte, wäre ich schon sehr bald auf diese Idee gekommen.�
�Dafür möchte ich dir danken, auch wenn wir ja schon durchaus unsere Probleme damit hatten��
Der Zimmermann sah kurz zu Alystin und dann wieder zu Joro, die beide leicht zu lächeln anfingen, nachdem dieser es ausgesprochen hatte.
�Das wird mir jetzt zu viel, ich gehe auch schlafen.�
Nun saßen nur noch Joro und Alystin am Feuer und wieder einmal hätte der junge Mensch ohne zu zögern eine Gliedmaße gegeben, um mit ihr allein zu sein, aber das war eben nicht möglich. So saßen sie einfach nur da und sahen sich gegenseitig sehr lange an, denn er konnte seinen Blick nicht von diesen großen, runden, lavendelfarbenen Kreisen nehmen, die sich in ihrem Gesicht befanden.
Sie lächelte schließlich und sagte: �Wir sollten auch langsam schlafen gehen, Joro. Es war ein langer Tag.�
Er seufzte und nickte.
�Ja, du hast recht. Schlaf gut und träum was Schönes.�
�Du auch.�

Es war fast unwirklich, daß Omareth das nicht kommentierte.

Joro legte sich auf den kargen Boden, der immerhin trocken war und wickelte sich in seinen Umhang ein. Während um ihn herum die Regentropfen auf den Stein und auf den Boden schlugen, schlief er fast sofort ein.

�Also das nenne ich einen schnellen Wetterwechsel.�
Ghaundar hatte das so laut gesagt, daß Joro hochfuhr.
Die Sonne stand schon über dem Horizont und der Himmel war so strahlend blau wie eine Kornblume.
�W�wie spät ist es?�
�Spät genug�, kam es aus Omareths Richtung, � aber wir sollten erst einmal gut frühstücken. Ghaundar? Kannst du vielleicht nach etwas Ausschau halten, das sich braten läßt?�
�Sicherlich, ich gehe gleich los.�
Joro war etwas überrascht, daß die Drow nicht sofort weitergehen wollten, vor allem, weil sie sich an einer Lagerstätte befanden, die offenbar schon von anderen genutzt worden war. Normalerweise vermieden sie derlei Gefahren. Vielleicht steckte ihnen aber auch nur der gestrige Tag in den Knochen und es war ja mehr als bekannt, daß Drow niemals offen zugaben, erschöpft zu sein. Gegen ein gutes Frühstück hatte er so oder so nichts einzuwenden, also vertraute er darauf, daß sie schon wußten, was sie taten.
Ghaundar machte sich auf und verschwand hinter dem Findling, Alystin und Irruit zogen los und suchten wohl wieder Kräuter und Omareth blieb zurück und zündete sich eine Pfeife an.
�Ihr habt es nicht so eilig mit der Bruderschaft von Jarta in Kontakt zu kommen, liege ich da falsch?�, es war nur eine Eingebung, aber Joro sprach es aus, da es ihm spontan in den Kopf kam.
�Das Mal an deinem Hals ist eine Plage für die Welt, Eminenz�, Omareths Ton war völlig emotionslos.
�Also habe ich recht?�
�Teilweise vielleicht. Aber in Anbetracht der Tatsache, daß wir gestern einen Marsch hingelegt haben, der für zwei Tage reicht, können wir heute auch noch warten, bevor wir weiterlaufen. Immerhin schaffen wir es selbst noch zum Kloster, wenn wir erst heute Mittag losgehen.�
�Wann ist die Sonne denn aufgegangen?�
�Vor kurzem erst.�
Zu dieser Jahreszeit bedeutete das, daß es nicht mehr sehr weit bis zum Mittag sein konnte.
�Sind wir schon so nah?�
�Sieh einmal unter dem Stein hervor, aber paß auf, daß du unten in der Senke nicht im Schlamm versinkst. Es hat noch bis kurz vor dem Sonnenaufgang sehr stark geregnet.�
Am Vortag war der Regen so dicht gewesen, daß Joro schon lange bevor sie hier angekommen waren nicht mehr weiter als einige hundert Schritte weit sehen können hatte. Jetzt, bei klarer Luft, war er erstaunt, wie nahe sie jenem Berg schon gekommen waren, es war in der Tat nicht mehr weit.
�Omareth?�
�Ja?�
�Seid ihr nervös?�
Es schien für einen Moment so, als wolle der Zimmermann es abstreiten, aber dann schüttelte er den Kopf.
�Du weißt genau, daß es nicht gerade eine Drowtradition ist, sich auf andere zu verlassen. Selbst wenn du mir jetzt ins Gesicht springt, unterbewußt werden wir wohl alle zudem ein Problem damit haben, daß wir uns auf einen Menschen verlassen müssen�, er zog Rotz hoch und spuckte aus, �Verdammt, du hast einen schlechten Einfluß auf mich.�
�Was soll denn das heißen?�
�Du bringst mich immer wieder dazu, Dinge zu sagen, die ich mir nicht einmal selbst eingestehe.�
Joro mußte grinsen, aber er wollte beim Thema bleiben.
�Ich habe eine klare Vorstellung davon, was ich will und was ich nicht will. Außerdem weiß ich auch gut, wann und wie ich mich auf meinen Gott verlassen kann und in diesem Falle ist es wieder einmal klar, daß er mit dem Zaunpfahl gewunken hat.�
Omareth lächelte gequält.
�Dir ist schon klar, daß wir nicht hier wären, wenn wir nicht genau das erwarteten. Allerdings ändert das nichts an einem sehr schlechten Gefühl.�
�Warum ist das nun so etwas besonderes? Zu Balthasar sind wir auch gelaufen, obwohl ihr alle wußtet, daß das ein großes Risiko sein könnte.�
Es zeichnete sich ein innerlicher Kampf auf dem Gesicht des Drow. Joro beschloß, ihm auf die Sprünge zu helfen.
�Das hier ist ein besonderer Fall, oder?�
�Wenn du das so nennen willst��
�Warum ist es das?�
�Du läßt sowieso nicht locker, oder?�
�Nein. Ich will dich zwar nicht piesacken, aber es interessiert mich schon.�
�Sagen wir es so: Vielleicht ist es so, daß die Bruderschaft von Jarta für viele von uns das ist, was für dich diejenigen meiner Leute sind, die deine Eltern getötet haben. Ohne diese Männer hätte Welverin sein Vorhaben vielleicht erfolgreich beendet.�
Dieser Gedankengang war Joro bisher fremder gewesen, als er es sich eingestanden hätte. Aber wenn Omareth schon einmal in der richtigen Stimmung war�
�Hast du viele Freunde verloren?�
�Drow, die im Unterreich leben haben keine Freunde. Das weißt du so gut wie ich.�
Sie tauschten einen Blick aus, der mehr sagte, als es weitere Worte vermocht hätten. Joro wußte, was Omareths Problem war, aber er wollte nicht weiter bohren.
Er selbst war noch nicht geboren gewesen, als der Drow schon als erwachsener Mann mehrere Jahrzehnte im Krieg kämpfte und er wollte sich auch gar nicht vorstellen, wieviele seiner Leute der General in seinem Leben hatte sterben sehen.
Anders zu sein war eine Sache, aber immerhin fühlten doch die meisten Menschen auch eine Verbundenheit zu ihrem Volk oder sogar genauer zu dem Land, in dem sie lebten.
Nicht zu vergessen die Tatsache, daß er bereits als Junge praktisch von jedem Erwachsenen erzählt bekommen hatte, daß die Drow fleischgewordene Dämonen waren, die man nicht am Leben lassen durfte.
Joro sah zu Boden und nickte nur.
�Es ist schon gut. Ich weiß es zu schätzen, daß ihr zumindest mir vertraut.�
Der Zimmermann erwiderte nichts, sondern nickte ebenfalls.

Ghaundar kam nach einer Weile zurück und war nicht sonderlich gut gelaunt. Der Grund dafür war, daß er nur zwei, wenn auch fette, Bergratten gefangen hatte, alles andere als ein Festschmaus.
�Wenn ich daran denke, daß wir gerade erst gestern von Franz geredet haben, ist die Ausbeute meiner Versuche hier klar eine Untertreibung��, er kratzte sich am Kopf, �Naja, besser als nichts.�
�Kein guter Anfang für einen Tag��, Omareth grübelte immernoch.
Auch wenn er zunächst verwirrt zwischen seinen beiden Freunden hin und hersah, zuckte Ghaundar schließlich mit den Schultern und machte sich daran, die Ratten essensfertig zu machen.

Es wurde weiter eine Weile geschwiegen, aber die wachsende Unruhe in Omareth brachte ihn schließlich dazu, aufzustehen und erst einmal einen kleinen Rundgang zu machen.
�Irgendetwas, das ich vielleicht wissen sollte?�, fragte Ghaundar vorsichtig.
�Nichts Neues und auch nichts Besonderes. Es ging mal wieder um das alte Leid mit Drow und Menschen.�
�Du mußt den alten Mann schonen. Er hat da ziemlich feste Strukturen in seinem Kopf, wie dir nicht entgangen sein dürfte.�
�Wieviel älter als du ist er eigentlich?�
�Weniger, als du vielleicht denkst. Aber ich habe auch immer weniger Verantwortung auf meinen Schultern getragen als er, daher kann ich es mir leisten, etwas lockerer über die Welt nachzudenken. Omareth macht sich immer viel zu viele Sorgen über noch viel mehr Dinge.�
�Also war er in eurem Gespann immer der Denkende und du der Ausführende?�
Joro hätte erwartet, daß Ghaundar diese gezielt stichelnde Anmerkung rigoros verneint hätte, aber zu seiner Überraschung meinte er nur mit einem fröhlichen Lächeln: �Richtig� und fuhr mit der Zubereitung des Essens fort.
Alystin und Irruit kamen einige Zeit später, als das Frühstück schon fertig war, wieder zum Lager und waren in ein hitziges Gespräch verwickelt, das, wie bei den Drow so üblich, in unglaublicher Geschwindigkeit und auch unter Zuhilfenahme von Gesten vonstatten ging.
Als sie angekommen waren gab Alystin ihrer Novizin ein Zeichen und diese nickte und verstummte.
�Ahh, wie ich sehe, können wir�Ogott, was ist das denn?�, die Hohepriesterin verzog das Gesicht.
�Das ist alles, was ich finden konnte. Es muß wohl leider reichen�, Ghaundar machte ein unzufriedenes Gesicht.
�Solang es satt macht, ist es wohl in Ordnung�, sie wandte sich an Irruit und sagte, �wasch dir lieber noch schnell die Hände in einer der Pfützen da unten, das Bleikraut ist immerhin schwach giftig gewesen.�
Die junge Drow zog los und Alystin setzte sich ans Feuer.
�Wo ist eigentlich Omareth?�
�Wir hatten vorhin ein kurzes, aber wohl nicht ganz angenehmes Gespräch miteinander�, antwortete Joro, �er mußte sich die Beine vertreten und wohl auch etwas nachdenken.�
�Was war das Thema?�
�Das Thema. Neu aufgelegt.�
�Oh��, Alystin verzog das Gesicht, �ich nehme an, daß das wohl auch in der Zukunft wohl noch oft genug stattfinden wird.�
Joro wollte nicht weiter darüber reden, deshalb seufzte er nur und nahm sich ein Stück Ratte vom Feuer.
Schmeckte irgendwie nach Kaninchen.

Omareth blieb noch eine Weile fort, dann kam er schließlich zurück und huschte so schnell und elegant er konnte unter den Stein.
�Ich glaube, daß wir Besuch bekommen werden. Es ist wohl besser, wenn ich mich erst einmal verziehe.�
Alystin und Ghaundar nickten und auch wenn Joro erst Einspruch einlegen wollte, verkniff er es sich. Es hatte ohnehin das Gefühl, als hätte er Omareth heute schon zu viel genervt.
Tatsächlich sahen sie schon einige Zeit später drei Gestalten am Berghand auftauchen, die in ihre Richtung gingen.
Die Unruhe, die sich bei den anderen drei Drow entwickelte, zeigte Joro, daß er handeln mußte, also stand er auf und sagte: �In Ordnung, ich gehe ihnen entgegen und werde mit ihnen reden. Wenn es keine Probleme gibt, werde ich sie hier herbringen, wenn doch, dann komme ich allein zurück.�
Ghaundar, aber vor allem Alystin sahen ihn sehr dankbar an. Omareths Abgang war ihm mit einem Male auch klar, denn natürlich mußte die Bruderschaft von Jarta wissen, wer er war und die Mönche würden sicherlich negativ auf ihn reagieren. Zumindest solange sie nicht wußten, was die Situation genau zu bedeuten hatte.

Im Näherkommen konnte Joro die drei Personen, die dort den Hang herabstiegen, als Männer in weißen Leinenroben erkennen, die an den Füßen nur leichte Sandalen trugen, denkbar ungeeignet für Bergwanderungen. Auch trugen sie keine Waffen, was dem entsprach, was die Drow über sie gesagt hatten.
Joro ging ihnen entgegen und schließlich trafen sie sich auf einem kleinen Hügel.
Die Gruppe aus drei Mönchen bestand aus einem Mönch mittlerer Statur, einem großen Bauch und roten Haaren und einem Mann, der er eine erstaunlich dunkle, wenn auch nicht so stark wie bei einem Drow, Haut und schwarze Haare hatte. Ein Daishani war das nicht und Joro hatte auch noch niemals einen Menschen gesehen, der so dunkle Haut hatte.
Der dritte im Bunde war der Anführer, der ihm sofort die Hand reichte
Er war so groß wie Joro, hatte einen kahlrasierten Schädel und einen grauen Vollbart, der bis auf die Brust reichte. Trotz dieses Äußeren wirkte er sehr lebendig und jung.
�Mein Name ist Hrynn, ich bin der Vorsteher des Klosters. Als mir unserer Ausguck meldete, daß sich ein Totengräber auf dem Weg zu uns befindet, war ich zunächst zwar überrascht, aber nachdem, was ich in letzter Zeit über Bargum gehört habe, wollte ich es mir nicht nehmen lassen, Euch persönlich zu begrüßen.�
�Es ist mir eine Ehre, ich bin Joro Macun und äh, ich bin der neue Bischof��
Hrynns Gesicht erhellte sich beträchtlich.
�Das ist ja wunderbar! Kommt mit mir, ich werde euch zu unserem Heiligtum führen!�
�Nun��
�Gibt es ein Problem?�, der Mönch sah ihn verwundert an.
�Ja� Nein, eher vielleicht�, Joro rang nach Worten, �Diese Situation ist etwas schwieriger, als Ihr bisher wißt, werter Abt.�
�Ich verstehe nicht..?�
Auf dem Hals des Abtes war das Mal, daß ihn als Daishani auszeichnete, also wagte Joro einen Ausfall.
�Werdet Ihr mir versprechen, daß Ihr, egal, was ich Euch jetzt sagen werde, nicht überreagiert, sondern bis zum Ende zuhört und dann bewertet, was ich Euch sagte?�
Es war offensichtlich, daß der Abt zunehmend verwirrt war, aber er nickte.
�Wir sind ein Orden des Friedens und der Zurückhaltung, Ihr müßt mich nicht fürchten, Eminenz. Vor allem nicht, wenn das, was man über Euch sagt, der Wahrheit entspricht.�
�Ihr wißt um die Veränderungen, die in Bargum stattfanden?�
�Sicherlich. Toldor ist ein sehr guter Freund von mir, schon seit Jahren und er hat mir einen sehr langen Brief geschrieben, vor etwa zwei Wochen. Er ist voll des Lobes über Euch und versicherte mir, daß Ihr direkt von Celestus gesandt wurdet.�
�Gut. Das war in etwa das, was ich hören wollte, eigentlich sogar mehr als das.�
�Also? Was genau ist das Problem?�
�Hat er Euch erzählt, wie ich in Bargum ankam?�
�Ja, er sagte, daß Ihr dort eintraft und Euch zur Wahl stelltest und��
Joro unterbrach ihn.
�Hat er von meinem Begleiter gesprochen?�
Hrynn hob eine Augenbraue.
�Ich bin mir nicht sicher��
�Nun, es ist so, daß ich dort in Begleitung eines Drow erschien. Dieser ist mein bester Freund und ich lebe mit ihm und seinen Leuten zusammen etwa drei bis vier Tagesmärsche von hier.�
Es war Joro unmöglich, eine Gefühlsregung im Gesicht des Mönches zu erkennen, aber die anderen beiden sahen sich verblüfft an und legten beide die Stirn in Falten.
�Das�das ist ungewöhnlich�, Hrynns Stimme zeigte, daß er unsicher war, wie er darauf reagieren sollte.
�In der Tat, das ist es. Allerdings fürchte ich, daß das noch nicht alles ist�, Joro flüchtete weiter nach vorne, �Es ist so, daß nicht nur dieser eine, sondern die ganze Drowgemeinschaft dort zu einer Art Familie für mich geworden ist.�
Die Körperhaltung Hrynns wurde abwehrender.
�Ohne Euch kränken zu wollen, Eminenz, aber ich beginne mich zu fragen, warum Ihr eigentlich hier seid.�
Joro stand mittlerweile der Schweiß im Nacken.
�Hrynn, ich will nicht weiter darum herumreden. Ich bin hier, weil ich eine Weisung von Celestus erhalten habe, mit Euch zu reden.�
�Und weiter?�
�Die Drow, bei denen ich lebe, unterscheiden sich von den Anhängern und Gefolgsleuten Welverins völlig. Sie sind Anhänger der Mondgöttin Eilistraee, freundlich, fröhlich und ausgesprochen liebenswert.�
Auf dem Gesicht des Abtes spielten sich nach wie vor keine Regungen ab.
�Ich nehme an, Ihr habt einige von ihnen mit Euch gebracht und wollt mir das irgendwie beibringen?�
�Ja�, Joro wischte sich den Schweiß von der Stirn, �das ist der Fall. Ehrlich gesagt wäre es mir sogar ein wichtiges Anliegen, daß Ihr sie kennenlernt, damit Ihr Euch überzeugen könnt, daß ich die Wahrheit über sie spreche.�
�Dann hatte unser Späher in der Tat recht, als er etwas von Drow erwähnt hat��, Hrynn seufzte, �Was genau haben sie denn mit der Weisung Celestus� zu tun?�
�Es geht um die Legion.�
Der Abt atmete spürbar aus und senkte dann das Kinn auf die Brust.
�Das ist eine gewaltige Ladung, die Ihr mit Euch bringt, Eminenz. Nicht nur den alten Krieg in Form unserer Erzfeinde, sondern auch den neuen, dem wir uns entziehen.�
�Ich bin mir dessen bewußt. Mir wurde schon vorher mehr als ausgiebig geschildert, was man über eure Bruderschaft in Bezug auf die Drow und den Krieg gegen Welverin wissen muß. Auch wußte ich schon vorher von euer aller Gelübde.�
�Aber Ihr habt Euch dennoch auf den Weg gemacht?�
�Es ist nicht so, daß ich eine Wahl hätte.�
�Wieviele Drow sind es?�
�Vier, von denen drei diejenigen Personen sind, die mir in meinem Leben am nächsten stehen und die über jeden bösen Willen und jegliche Grausamkeit erhaben sind.�
Es freute Joro, ein Daishani zu sein, denn Hrynn konnte sich sicher sein, daß er nicht log. Wohl aber blieben diesem Zweifel.
�Seit Ihr Euch dessen völlig sicher? Auch, daß sie Euch nicht täuschen?�
�Habt Ihr jemals von einem Drow gehört, der einem Menschen das Leben rettet, werter Abt?�
Hrynn sah wieder auf.
�Nein. Habe ich in der Tat niemals.�
�Diese dort haben das schon öfter getan, als ich zählen kann. Zudem würde ich jederzeit für jeden von ihnen mein eigenes Leben geben.�
�Ihr macht mich wider Erwarten neugierig, Eminenz.�
�Mir war bewußt, daß Ihr nicht erfreut sein werdet, wenn ich Euch eröffne, daß ich sie mitgebracht habe, aber sie waren auch nicht entspannt, was die Situation angeht. Ich denke ernsthaft, daß eine Begegnung dem Abbau alter Feindschaften sehr zuträglich wäre.�
�Denkt Ihr das��
Joro verspielte seinen letzten Trumpf.
�Meine Eltern und alle meine Geschwister sind vor knapp neun Monaten von einer Drowhorde ermordet worden, Hrynn. Glaubt Ihr nicht, daß ich einer der Ersten wäre, der Probleme mit ihnen hätte?�
Das saß. Zum ersten Mal ein Gefühl im Gesicht des Mönches, ein kleiner Anflug von Schmerz und dann Bewunderung.
�Ihr habt mich überzeugt, Eminenz, dann holt sie zu uns.�
�Vielleicht ist es eine bessere Idee, wenn wir zu ihnen gehen. Als Geste halte ich das für sinnvoller.�
�Meint Ihr?�
�Ja. Wenn ich es auf den Punkt bringen soll: Sie haben genauso viel Vorbehalte, wie Ihr bis eben noch hattet. Außerdem muß ich gestehen, daß ich vorhin mit ihnen abgemacht habe, daß wir zu ihnen kommen, wenn alles soweit glatt läuft.�
Auf Hrynns Gesicht zeichnete sich ein gütiges Lächeln ab.
�Dann wollen wir sie nicht enttäuschen. Ich bin gespannt, was mich erwartet.�
Er gab den anderen beiden Mönchen ein Zeichen, zurückzubleiben. Die beiden wollten protestieren, aber er sagte nur knapp: �Ich vertraue ihm� und wies dann Joro an, vorauszugehen.
Auf dem Weg zurück zum Findling konnte Joro schon von Weitem sehen, daß Omareth immernoch nicht wieder da war. Vielleicht war es auch besser so, denn das dürfte der letzte Sargnagel sein, wenn es nicht gelänge, Hrynn vollends zu überzeugen. Er konnte Alystin und Ghaundar aus der Ferne miteinander reden sehen, als er aber näher kam und sie den Abt und ihn bemerkten, sahen sie beide nervös in seine Richtung.
Die Drow standen beide auf und gingen ihnen entgegen, aus seinen Augenwinkeln konnte Joro erkennen, daß sich Hrynn ein wenig anspannte.
Sie kamen nahe heran und erst Alystin, dann Ghaundar reichten dem Abt die Hand, Irruit hielt sich im Hintergrund. Bei dem Assassinen hielt Hrynn kurz inne.
�Ich muß sagen, daß ich mich zunehmend unwohl fühle, mit dem, was Ihr hier tut, Eminenz.�
Joro sah ihn fragend an, dann wandte er sich Ghaundar zu.
Dessen verkrampftes Lächeln hätte Milch zum Gerinnen gebracht.
�Oh nein� Sagt mir bitte nicht, daß ihr beide euch kennt��, stöhnte der Bischof.
�Es ist schon eine ganze Weile her, Hrynn��, der Krampf in Ghaundars Gesicht blieb bestehen.
�Mir wäre es auch nicht unangenehm gewesen, wenn diese Weile bis zu meinem Tode bestanden hätte�, der Abt wandte sich an Joro, �Wißt Ihr, wer das ist?�
�Ja. Weiß ich. Aber ich stehe zu dem, was ich Euch vorhin sagte.�
�Das erscheint mir beinahe unmöglich.�
�Ohne Ghaundar wäre ich schwerlich Bischof geworden. Er war eine große Hilfe.�
�Dann wäre ja wohl auch geklärt, wer den alten Bischof getötet hat, als er Euch ans Leder wollte, oder liege ich da falsch, Eminenz?�
�Nein, das ist richtig, aber erspart Euren Gedanken bitte, wieder in die falsche Richtung zu wandern. Ghaundar ist über jeden Verdacht erhaben�, Joro deutete auf Alystin, �Dies ist die Hohepriesterin der Eilistraee.�
Hrynns Verhalten änderte sich überraschend, denn er verbeugte sich tief vor der Drow.
�Verzeiht, daß ich Euch nicht gebührend begrüßt habe, werte Priesterin, aber wie Ihr selbst gut wißt, ist dieses Treffen insgesamt ein wenig ungewöhnlich.�
Alystin versuchte ein souveränes Lächeln.
�Ich habe vergessen mich vorzustellen, aber Ghaundars Gegenwart hat das wohl auch mehr oder minder verhindert.�
�Nun, es verwirrt mich und macht mich zugleich mißtrauisch, daß der Bischof von Bargum in Begleitung von Dunkelelfen hier erscheint, aber ich denke, er hatte einen guten Grund dafür.�
Joro schaute sich um, wandte sich dann aber wieder dem Mönch zu.
�Den hat er. Ich war sofort der Ansicht, daß Ihr bei dem Anliegen, wessenthalben ich hier bin von Anfang an die volle Wahrheit wissen sollt. Außerdem will ich, daß Ihr mich als Menschen so versteht, wie ich bin und diese Drow sind für mich die wichtigsten Bezugspersonen in meinem Leben.�
Hrynn betrachtete Ghaundar kritisch.
�Es fällt mir schwer, das einzusehen, aber wie mir scheint haben sich Eure Wege wohl geändert, Veldrin�Sreen.�
Das Kinn des Drow reckte sich ein wenig nach vorne.
�Genaugenommen waren es niemals wirklich meine Wege, Fürst Hrynn. Das ist einer der Gründe, warum ich heute an der Oberfläche lebe.�
Im Gesicht des hageren Daishani spiegelten sich eine Unzahl von verschiedenen Gefühlen wider und er schaute unterbewußt abwechselnd zu Joro und dann zu Ghaundar, um die Aussagen beider irgendwie mit einander vereinbaren zu können.
Aber es war noch nicht alles gesagt und in Joros Magen tobte sich der Wurm des Unbehagens aus, daß es eine Freude war. Für den Wurm zumindest.
�Hrynn� das ist noch nicht alles.�
�Ihr mutet einem alten Mann eine Menge zu, Eminenz.�
�Wie mir scheint, ist die letzte Information wohl die schwerwiegendste. Vielleicht möchtet Ihr Euch setzen?�
Es war nicht zu übersehen, daß Hrynn sich kurz Gedanken machte, ob er sich in der Gegenwart seiner alten Erzfeinde die Blöße geben konnte, sich durch Hinsetzen verwundbar zu machen, aber er nickte dann nur stumm und setzte sich im Schneidersitz auf einen Findling.
�Nun, was ist es?�
�Unser Anführer ist jemand, den Ihr wohl noch besser kennt, als Ghaundar. Ich mache mir zudem große Sorgen, daß er der Grund sein könnte, daß Ihr schweigend aufsteht und niemals wieder mit mir redet.�
Hrynn sah zu Boden.
�Ich kann es mir schon denken. Wo Ghaundar Veldrin�Sreen ist, kann sein Bruder nicht weit sein.�
�Er ist mein Cousin�, maulte Ghaundar, aber Alystin stieß ihm in die Rippen.
Der Abt sah nach oben und rief: �Kommt heraus, Omareth, Ihr braucht Euch nicht weiter zu verstecken!�
�Ich habe mich nicht versteckt�, der General kam hinter dem großen Stein hervor, �ich habe hier gesessen und gesoffen.�
Beim Anblick des Drow huschte ein kurzer Ausdruck des Haßes über das Gesicht Hrynns, der schnell einer konsequenten Gleichmütigkeit wich.
Omareth kam zu ihnen herüber und stellte sich vor Hrynn.
Der Anblick hatte etwas Komisches an sich, fand Joro, denn der große Daishani, der auf einem gut kniehohen Stein saß, war immernoch gut einen Kopf größer als der Drow, der vor ihm stand.
Beide Männer starrten sich eine Weile an und die Stille wurde beinahe unerträglich.
�Vielleicht solltest du Hrynn erzählen, wie und warum du aus dem Unterreich gegangen bist�, Joro kratzte sich am Kopf.
Omareth lächelte ihn schief an.
�Und du meinst, daß er das glauben wird, ja?�, er wandte sich wieder zu Hrynn, �Bei der Vergangenheit, die mich mit diesem Mann verbindet, wird er mir sicherlich nicht einmal glauben, daß der Himmel blau ist.�
Der Abt nickte. �Da muß ich ihm recht geben, auch wenn mir alleine das schon ein saures Gefühl im Magen macht.�
�Dann werde ich es eben erzählen. Immerhin bin ich ein Daishani.�
�Nur weil Ihr eine Geschichte für wahr haltet, muß sie es nicht sein, Eminenz.�
�Werdet Ihr mir glauben, daß ich keinen Grund zu der Annahme habe, daß mich Omareth und Ghaundar angelogen haben, Hrynn?�
�Würdet Ihr das schwören?�
�Sofort und ohne zu zögern. Ihr wißt, was ich Euch vorhin über sie gesagt habe.�
�Dann erzählt es mir selbst, Omareth.�
Der Drow wirkte überrascht, aber dann reckte er sich und machte ein sehr ernstes Gesicht.
�Wenn es einen Grund gibt, warum der Krieg wirklich entschieden wurde, dann liegt es daran, daß Welverin getötet wurde.�
�Das ist mir bekannt�, Hrynn nickte.
�Es ist allerdings nunmehr so, daß er nicht, wie viele Gerüchte sagen, durch eine Invasion oder dergleichen aus dieser Welt geschafft wurde, sondern, weil ich ihm eigenhändig seinen Kopf vom Hals geschlagen habe.�
Hrynn legte den Kopf schief, aber Omareth sprach weiter: �Ich habe ihn nachts in seinem Schlafzimmer überrascht, während Ghaundar draußen die Wachen beschäftigte. Der Kampf hat fast eine Stunde gedauert und er hat mir um ein Haar die Kehle zerschnitten�, er deutete auf die Narbe an seinem Hals, � Ohne einen Trick am Ende wäre ich selbst gestorben und ich bin bis heute ausgesprochen glücklich, daß es funktioniert hat.�
Hrynn legte den Kopf auf die Brust und atmete hörbar aus.
�Ihr seid wie eine Lawine, Macun. Ich�ich weiß nicht was ich darauf entgegnen soll. Ihr seid nicht einmal eine Stunde hier und vor mir steht der grausamste und gerissenste General, den Welverin jemals hatte und sagt mir, das ausgerechnet er derjenige war, der Daishan nach fast vierhundert Jahren Krieg den Frieden gebracht hat.�
�Ich entschuldige mich, falls ich Euch überfordere, Hrynn, aber ich mußte dem Vorschlag meines Gottes folgen und hier herkommen.�
�Ja� Celestus ist seit Generationen bekannt dafür, die Menschen in Schwierigkeiten zu bringen.�
�Ach?�
�Nun� Ich muß das erst einmal verdauen�, Hrynn blickte wieder hoch, �Es�es wird wahrscheinlich Einspruch geben, aber die Gastfreundschaft unseres Volkes verlangt von mir, daß ich euch alle einlade, mit in unser Heiligtum zu kommen.�
�Wir können auch hier kampieren und uns morgen wieder treffen, falls Euch das lieber ist, Hrynn�, Alystin versuchte zu vermitteln, auch wenn es ihr eigentlich sowieso lieber war, nicht dort hinzugehen.
Sein Lächeln war säuerlich.
�Nein, ich bestehe darauf. Ich kann dem Bischof von Bargum und seine Gefolgschaft nicht zumuten, draußen in der Wildnis schlafen zu müssen.�
�Und seine Freunde�, sagte Joro mit Nachdruck.
�Natürlich, verzeiht mir, Eminenz.�
Hrynn stand auf und deutete ihnen, ihm zu folgen.
Die Drow packten ihre Bündel und Joro nahm seines ebenfalls auf, dann gingen sie hinter dem Abt in Richtung Kloster.
Als sie sich den anderen beiden Mönchen näherten, spannte sich deren Körperhaltung an, aber Hrynn winkte ab.
�Diese fünf sind unsere Gäste. Also sollten wir sie auch als solche behandeln.�
Einer der beiden, der rothaarige, sah ihn fassungslos an.
�Das kannst du doch nicht ernst meinen, Hrynn.�
�Doch Bolar, ich meine es ernst. Sie werden hier bleiben, wie mir scheint, hat Bischof Macun ein dringendes Anliegen und diese Vier sind seine Freunde.�
�A�aber sie sind��
�Das ist nicht zu übersehen, mein Bruder, aber wenn der Bischof sagt, daß sie seine Freunde sind, dann werden wir das auch akzeptieren, oder?�
Es gefiel dem Mönch mit Namen Bolar nicht, aber er bemühte sich, ein höfliches �Ja, du hast recht.� herauszuwürgen, dann drehte er sich um und stapfte davon.
�Ihr müßt ihn entschuldigen, er ist noch sehr jung und noch nicht lange bei uns�, sagte der Mann mit der dunklen Haut, �mein Name ist Cilian und ich heiße Euch alle willkommen.�
Die Drow starrten ihn alle an, als sein ein Wunder geschehen.
Alystin trat vor und reichte ihm die Hand zum Gruß.
�Ich danke Euch, Cilian��, sie drugste herum, �mir war nicht bewußt, daß, nun��
Cilian lachte.
�Ihr seid erstaunt, daß meine Haut fast so dunkel ist wie die eurige, nicht wahr?�
�Ja, schon� aber ihr seid kein Halbdrow, nicht wahr? Eure Ohren��
�Nein�, er lächelte immernoch, �ich komme vom Ostkontinent, alle von meinem Volk sehen dort so aus.�
�Was es nicht alles gibt�, meinte Omareth knapp.
�Gehen wir?�, fragte Hrynn, �Ich möchte nicht trödeln, denn ich denke, daß Bolar sicher dafür sorgen wird, daß schon kurz nach seiner Ankunft da oben alle einen Aufstand beginnen.�

Kapitel 32


Der Weg zum Kloster führte einen Trampelpfad durch den immer dichter werdenden Bergwald hoch, mitunter waren in einzelne Findlinge, die halb im Boden steckten, Stufen eingemeißelt. Weil der Wind immer stärker wurde, sah Joro oft besorgt durch die Kronen der Tannen, aber der Himmel war nur leicht bewölkt und die Sonne schien immernoch vereinzelt bis auf den Waldboden.
Es war kühl im Schatten und er mochte das. Seine Unterkleidung war zwar immernoch leicht feucht vom Vortag, aber es war besser leicht durchnäßt durch den Schatten zu laufen, als wieder in der Sonne stapfen zu müssen. Außerdem roch der Boden auch hier oben in den Bergen herrlich nach Moos und Erde.
Er wurde aus seiner Nachdenklichkeit geholt, als ihn Alystin leicht an der Schulter berührte, dort wo die Platten von Kettenzeug unterbrochen waren.
�Was ist?�
Sie machte eine Geste, die ihm bedeutete, nicht zu reden und gestikulierte dann: �Bist du wirklich der Ansicht, daß das hier eine gute Idee ist?�
�Ja. Es muß sein�, gab er zurück.

Der Pfad verengte sich irgendwann in einer schmalen Schlucht und endete vor einem kleinen Sandsteinbogen, in den ein Tor eingelassen war. Es war inmitten einer Mauer, die die Schlucht auf beiden Seiten abschloß. Hrynn öffnete es und der Blick auf eine mit Kopfsteinpflaster belegte Straße, die den Berg noch weiter hochführte, wurde freigegeben.
Der Wald war auch hier auf den Schluchtseiten sehr dicht, aber Joro erkannte ein burgähnliches Gebäude, das oben in den Hang gebaut war.
Mit einem Lächeln deutete der Abt hinauf und sagte: �Dort leben wir. Es ist kein Palast, wie das Kloster in Bargum, aber es erfüllt seinen Zweck.�
�Ich gestehe, daß ich nicht sehr viel über Euren Orden weiß, Hrynn, könnt Ihr mir nicht ein wenig erzählen?�
Während sie die Straße erklommen, begann der Mönch zu reden.
�Nachdem der Krieg gegen Welverin vorbei waren, haben wir uns geschworen, unsere Waffen für immer niederzulegen. Kampf hat immer nur ein Ziel, nämlich das Vernichten des Gegners. Es gibt jedoch niemanden, der das erreicht, ohne dabei das Leben der Eigenen zu riskieren und am Ende auch das einiger von ihnen zu opfern. Bei der letzten Offensive des Königs sind mehr als die Hälfte aller Daishani getötet worden, wenn auch die wenigsten im Kampf�, er schielte zu Omareth, der aber nur stur geradeaus sah. �Seht es einfach so�, fuhr er fort, �daß wir einfach des Tötens müde wurden. Stattdessen zogen wir uns zurück und übten uns in Genügsamkeit, widmeten uns dem Weg zur Erkenntnis und versuchten, Erlösung zu finden, indem wir nicht mehr das Leben verschwendeten, sondern versuchten, es zu achten.�
�Das hört sich danach an, als hättet Ihr eine sinnvolle Entscheidung getroffen, wenn Ihr mich fragt.�
�Ist das so?�, Hrynn sah ihn von der Seite an, �Könnte man nicht aus sagen, daß wir uns aus der Verantwortung gestohlen haben, obwohl wir das stärkste Regiment dieses Landes waren?�
Joro war überrascht.
�Ist das Eure tatsächliche Meinung?�
�Das war eine Frage, keine Feststellung.�
�Sie suggerierte aber, daß Ihr diesen Gedanken entweder selbst hattet, oder euch zumindest damit auseinandergesetzt habt.�
�Gut beobachtet, Eminenz�, Hrynn lachte leise, �Aber nun sind wir erst einmal angekommen und müssen uns mit einer anderen Frage befassen.�
Sie näherten sich dem Eingangsportal des Gebäudes, vor dem bereits gut zwei Dutzend anderer Mönche, alle in weißen Roben, standen und auf sie warteten.
Für einen Moment wunderte sich Joro fast, daß sie keine Waffen trugen, aber das hätte natürlich nicht dem Credo der Bruderschaft entsprochen.
Als die Sieben auf etwas zwanzig Schritte heran waren, trat Bolar aus der Menge hervor und deutete nur stumm auf sie.
Keiner der Mönche sprach ein Wort, was eine große Spannung in der Luft erzeugte, aber noch bevor sich Joro etwas abringen konnte, trat Cilian einen Schritt vor und sagte:
�Diese Leute sind unsere Gäste. Es handelt sich dabei um den neuen Erzbischof von Bargum und seine Freunde.�
�Wer hat denn das entschieden, wenn ich fragen darf?�, fragte ein älterer Mönch.
�Stellt ihr das Wort eines Daishani, zudem eines Totengräbers und Bischofs, etwa in Frage?�
Ein Murmeln durchzog die Reihen der Mönche.
�Und wer kann uns garantieren, daß sie uns nicht alle im Schlaf erdolchen werden?�, Bolars starrte erzürnt in Cilians Richtung.
Joro reichte es. Er ging schnellen Schrittes auf Bolar zu und baute sich vor ihm auf. Dieser reichte ihm gerade einmal bis zur Brust.
Er kniff die Augen zusammen und starrte dem dicken Mann in die seinen, ohne eine Weile ein Wort zu sagen. Der scheinbare Ausbruch hatte bei den Mönchen Unruhe verursacht, aber keiner wagte, Einspruch zu erheben.
Schließlich öffnete Joro den Mund und sagte leise, aber so deutlich, daß alle es hören konnten: �Wenn du es noch ein einziges Mal wagst, meine Freunde zu beleidigen, werde ich meine Fassung verlieren, Dickerchen. Du kannst dir sicher sein, daß du das nicht erleben willst, das schwöre ich dir, bei Celestus!�
Bolar gab sich nicht geschlagen.
�Du kommst hier her und wagst es, so mit dem Gastgeber zu reden?�
�Erstens, bist du hier nicht �der� alleinige Gastgeber und zweitens, wenn du schon an das Gastrecht dieses Landes erinnern möchtest, was fällt dir zum Thema Gastfreundlichkeit ein?�
Einige der Mönche fingen an zu grinsen, Hrynn ebenfalls.
Es hatte gesessen, Bolar schnappte erst nach Luft, dann ging er wortlos durch die Reihen ins Gebäude.
Hrynn klopfte Joro auf die Schulter und lachte.
�Wie mir scheint, lebt ein wacher Geist in Euch, Eminenz�, er wandte sich an die Drow, �und den Anhängern der Eilistraee sagt man das Gleiche nach, ich denke, daß wir genügend Gelegenheit haben werden, das näher kennenzulernen.�
Irrte sich Joro da, oder taute der alte Haudegen gar ein bißchen auf?

Sie wurden in das Gebäude geführt, das innen spartanisch eingerichtet war. Der Eingangsraum war zeitgleich Versammlungshalle und Eßsaal, an einem Ende war ein kleines Podium mit einem Pult. Außer kruden Holztischen und �bänken stand keinerlei Einrichtung zwischen den Säulen des Gewölbes.
Durch eine Tür an der Stirnseite der Halle drank Wasserdampf und Essensgeruch, was Joro spontan daran erinnerte, an diesem Tage noch nichts Richtiges gegessen zu haben. Wenn, so wie er vermutete, die Mönche, bis auf eine roothaarige, dicke Ausnahme, typische Daishani waren, durfte es nicht lange dauern, bis sie etwas zu essen bekämen, was ihn ums wiederholte Mal daran erinnerte, wie sehr er seine Heimat liebte.
Hrynn deutete Joro und den Drow, sich hinzusetzten, woraufhin die anderen Mönche alle um sie herum platznahmen.
Nach und nach kamen auch noch andere in die Halle und setzten sich, womit es immer mehr Augen wurden, die erwartungsvoll in ihre Richtung sahen.
Joro ertrug es nicht, zu sehen, wie seine Freunde vor Anspannung fast umkamen. Vor allem Irruit vibrierte förmlich vor Aufregung. Sein Blick wandte sich auf Alystin, die ihm begegnete. Er legte alles, was er an Güte und Überzeugungskraft aufbringen konnte in seinen Gesichtsausdruck und sie nickte unmerklich. Ihre linke Hand legte sich beruhigend auf das Bein der jungen Drow, die sich dadurch ein wenig entspannte.
Hrynn brach die Stille und stellte die Anwesenden vor. Die Folge war noch längeres, ausgesprochen verblüfftes Schweigen.
Aber es geschah etwas, daß Joro am wenigsten vermutet hätte: Omareth stand auf und sah in die Runde, wobei alle Mönche unwillkürlich zusammenzuckten.
�Wenn es nach mir gegangen wäre, hättet ihr mich hier niemals zu Gesicht bekommen. Es ist allein dieser Mann dort�, er deutete auf Joro, �der mich dazu gebracht hat, überhaupt den Weg zu diesem Ort anzutreten.�
�Und warum hättet Ihr ihm folgen sollen, Veldrin�Ssreen?�, fragte einer der Mönche.
�Weil ich ihm etwas schulde, unter anderem mein Leben. Außerdem��, Omareth rang nach Worten, �außerdem hat er bewiesen, daß er unseres Vertrauens würdig ist.� Er setzte sich wieder hin und fügte noch in Gesten, an Joro gewandt, hastig hinzu: �Wehe du drehst mir aus diesen Worten jemals einen Strick, ich warne dich.�
�Ich finde es bemerkenswert, daß Ihr meint, er müsse Eures Vertrauens würdig sein�, warf ein anderer Mönch ein.
Joro antwortete an Stelle seines Freundes.
�Da ich bei den Drow lebe und mich dort zuhause fühle, bedarf es ihres Vertrauens, um mich dort willkommen fühlen zu dürfen, meint ihr nicht?�
Ein �Hört, hört!� zog durch die Reihen der Mönche.
�Und was habt Ihr getan, daß es dazu kam?�, fragte Cilian höflich, der neben Hrynn auf einer Bank saß, die auf der anderen Seite des Tisches stand.
�Darauf werde ich antworten�, sagte Alystin und stand ebenfalls auf. Sie erzählte in knappen Worten, wie Joro zu ihnen gestoßen war und wie sie gemeinsam Noth gerettet hatten.
�Spätestens seit dem Tag, an dem er unsere Toten begrub wußte ich, daß er ein besonderer Mensch ist. Aber obwohl er wissen mußte, daß er nicht bereit für einen Kampf war, hat er sich für die Menschen von Noth und auch für uns in der vordersten Reihe in die Schlacht gestürzt, um so viele Leben zu retten, wie es ihm möglich war. Unsere Göttin fordert von uns Hingabe für die Gerechtigkeit und den Schutz der Unschuldigen. Joro erfüllt, wie ich meine, sogar ohne Nachzudenken jederzeit diese Forderung. Ich hege keinen Zweifel an seiner Rechtschaffenheit.�
Hrynn legte den Kopf schief.
�Also versteht Ihr Leichtsinn und blinde Hingabe als einen Grund, Vertrauen zu geben?�
�Nein. Was zählt ist das gute Herz, und das schlägt stärker in ihm, als ich es jemals bei einem Menschen erlebt habe. Alles andere ist eine Frage der Erfahrung.�
Vielerorts im Saal konnte man starkes Nicken sehen.
�Verzeiht, wenn Ihr diese Frage als beleidigend empfindet, aber ich möchte Klarheit haben�, fuhr der Abt fort, �was Ihr mir sagen wollt, ist, daß Omareth und Ghaundar Veldrin�Sreen heute Anhänger einer Göttin sind, die das Gegenteil von dem verlangt, was sie für Jahrhunderte ihres Lebens taten?�
Omareth und Ghaundar sahen beide zu Joro, wohl gewiß, daß sein Wort mehr zählen würde, als das ihrige. Aber er weigerte sich, daß letzte Wort zu haben, alleine schon aus Respekt vor den beiden. Also schüttelte er den Kopf. Dabei sah er aus dem Augenwinkel, daß Hrynn offenbar jede auch nur kleinste Geste beobachtete, die stattfand.
Die beiden Drow nickten deutlich in Hrynns Richtung und Ghaundar fügte �Das ist die Wahrheit� hinzu.
Es trat eine Stille ein, die lange anhielt. Die Vorstellung von langsamen Mühlrädern in den Köpfen der Mönche beschlich Joro und er mußte unwillkürlich grinsen. Alystin sah kurz tadelnd in seine Richtung, aber er ließ sich nicht beirren. Hier waren Krusten zu durchbrechen, die aus Blut, Gewalt und Tränen bestanden. Wenn es auch nur langsam geschah, war es immerhin besser, als geschähe es niemals.
Schließlich gab sich der Abt einen Ruck und schaute in die Runde.
�Ihr habt alle gehört, was diese Leute sagen. Es mag unglaublich klingen, aber ich habe den Eindruck, daß hier großartiges Geschehen ist.�
Bolar, der lange Zeit im Hintergrund gesessen und geschwiegen hatte, stand auf, in der Absicht, etwas zu sagen. In seinem Gesicht spiegelten sich verschiedene Emotionen, die in starker Konkurrenz standen. Joro überlegte, was die Hintergründe dafür sein konnten, denn bei seinem Alter hatte der Mönch den Krieg sicherlich nicht mehr miterlebt, vielleicht allerdings, genau wie er selbst einige persönliche Tragik erfahren müssen. War es nun ein Kampf des Gelernten mit der Realität? Oder vielleicht vielmehr eine Unvereinbarkeit dessen, was er fühlen wollte und was er damit in Einklang bringen mußte?
Der dicke Mann blieb noch eine Weile stumm, rang nach Worten.
Hrynn ging zu ihm herüber und nahm ihn bei den Schultern.
�Es ist uns allen bewußt, daß es besonders für dich ein schwerer Tag sein muß, Bruder Bolar, aber jeder hier will hören, was du sagen willst. Bemühe dich nicht darum, es in eine Sprache zu bringen, die andere vielleicht hören wollen, sondern sage frei heraus, was dir am Herzen liegt.�
Es tat sich einiges im Gesicht des Mönches, unter anderem, daß sein Kinn sich nach vorne schob.
�Wir alle hier sind direkt oder indirekt die Opfer dessen, was Welverin mit unserer Heimat gemacht hat. Ich kann viele Geschichten hören, ich kann vieles als gegeben hinnehmen und manchmal werde ich vielleicht auch akzeptieren, daß sich Einiges anders abspielt, als ich es mir vorstellen könnte. Aber das, was wir hier heute zu hören bekommen hört sich nach einer einzigen Lüge an. Ich frage mich dabei, ob es dazu dienen soll, uns zu schaden, oder ob diese Leute einfach geisteskrank sind.�
Die Reaktion der anderen Mönche, die sich Bolar sicherlich erhofft hatte, blieb völlig aus. Nur einer oder zwei von ihnen runzelte die Stirn.
Joro stand ebenfalls auf und senkte den Kopf. Dann hob er ihn und sagte:
�Mein Vater, meine Mutter, meine Brüder, meine Schwestern. Jeder, der auf dem Hof meines Vaters lebte�, er bemühte sich, so vielen der Mönche in die Augen zu sehen, wie er konnte, �Jeder einzelne dieser Menschen kam vor knapp einem Dreivierteljahr ums Leben, getöten von den Marodeuren, die unser Land durchstreifen. Ich habe lange Zeit nicht gewußt, wohin ich soll, oder was meine Bestimmung sein wird. Dann, eines Tages standen plötzlich vier von ihnen vor mir und einer schoß mir direkt ins Herz.�
Er schwieg, spontan von einem Gefühl des Schocks befallen, denn er hatte nie richtig darüber nachgedacht. Dann fuhr er zögernd fort:
�Es ist unerheblich, was man für Erfahrungen macht im Leben, falls eine neue Situation auftritt, die diese als nichtig erweisen. Zumindest kann ich nach dem, was mir geschehen ist, auch so urteilen.�
Hrynn lächelte und gab einem Mönch, der an der Küchentür stand, ein Zeichen. Dieser drehte sich sofort um und ging, um Essen zu holen.
�Es war viel der Rede�, meinte der Abt, �nun aber soll es erst einmal viel des Essens sein.�

Was folgte, war ein ausgesprochen üppiges Mahl. Joro stellte sich verdutzt die Frage, woher die Mönche in dieser Einsamkeit derartig viele verschiedene Speisen in dieser Menge bekamen, aber es sollte ihm Recht sein. Inklusive der Bergratten, die sie noch am Morgen gegessen hatten, war die Reisekost wie immer nicht sonderlich reichhaltig ausgefallen und das hatte auch an den Kräften gezehrt.
Sie aßen alle mit großen Hunger und als sie fertig waren, streckte sich Joro auf der Bank, um dann einmal in die Runde zu sehen.
Die Mönche hatten zwar alle die gleiche weiße Robe an, aber sie waren mitunter sehr verschieden in ihrem Äußeren und wohl auch ihrer Herkunft. Cilian war mitnichten eine Ausnahme, es waren auch einige Männer zugegen, die von den Barbarenstämmen aus dem fernen Nordwesten abstammten. Sie waren sehr hellhäutig und hatten grobe Gesichtszüge. Zwei von ihnen, offenbar Zwillinge, waren Halbelfen und es war auch einer dabei, bei dem sich Joro sicher war, daß er einen orkischen Vorfahren gehabt haben mußte.
Frauen gab es hier keine.
Für eine angeblich daishanische Eliteeinheit waren diese Männer doch ein sehr zusammengewürfelter Haufen. Wohl aber sah er, daß jeder von ihnen, auch der Halbork, die Rune trug.
�Ein bunter Haufen, was?�, Hrynn hatte ihm zugesehen.
�Ja, in der Tat��
�Nicht das, was Ihr erwartet hättet?�
�Ich habe eigentlich gar nichts Spezielles erwartet. Vielmehr hatte ich eher großes Interesse daran, herauszufinden, warum mir Celestus antrug, hier herzukommen.�
�Na, ich hoffe doch, daß sich euer Interesse nun nicht erledigt hat.�
�Nein, hat es nicht. Ich bin von eurer Art zu leben fasziniert, immerhin seid ihr hier in einer kompletten Einöde und es scheint euch an nichts zu fehlen. Außer an Frauen vielleicht.�
Einige Mönche lachten und Cilian sagte mit einem Grinsen:
�Wenn man nur hart genug arbeitet, denkt man über derlei Dinge nicht mehr sonderlich nach, Eminenz. Zudem haben wir ein Gelübde der Keuschheit abgelegt.�
Omareth grunzte leise und das brachte Joro dazu, leise zu lachen. Wenn er sich die Ehe des Generals ansah, konnte er sich vorstellen, daß dieser fast mit so etwas liebäugeln mußte.
�Erheitert Euch der Gedanke?�, Cilian war von Joros Reaktion überrascht.
�Nein, nein. Ich hatte nur gerade eine Eingebung� Allerdings muß ich sagen, daß ich mir das schlecht vorstellen könnte, so ganz ohne��
Der General grunzte wieder, diesmal deutlich lauter und Ghaundar brach in lautes Lachen aus und Alystin sah sie beide tadelnd an.
Hrynn schmunzelte.
�Wie ich sehe, seid ihr wirklich eine kleine eingeschworene Gemeinschaft. Es freut mich zu sehen, daß es auch anders geht, als es in der Vergangenheit geschehen ist.�
Joro zuckte mit den Achseln.
�Ich habe Euch nichts Anderes erzählt als genau das.�
�Es geschehen noch Zeichen und Wunder, was Cilian?�
Der schwarzhäutige Mönch nickte.
�Ja, es ist schon erstaunlich. Als ich heute morgen aufstand, hätte ich mir wohl kaum vorstellen können, daß all dieses hier geschehen würde.�
Es erscholl ein zustimmendes Murmeln im Raum und der Abt richtete sich auf.
�Da Ihr nun hier seid, möchte ich Euch gerne fragen, was der eigentliche Grund Eures Kommens ist, Eminenz.�
�Das werdet Ihr Euch doch schon denken können, oder?�
Die Mönche im Raum sahen alle fragend in seine Richtung. Natürlich hatte er nur Hrynn erzählt, weshalb er gekommen war, also mußte er es ihnen wohl noch einmal sagen. Dessen Ansprache hatte sicherlich auch genau das als Intention gehabt.
�Nun, ich kam hierher, weil, wie ihr alle wißt, an der Südgrenze Hanlars eine größere Gefahr steht, als es Welverin jemals für unser Land gewesen ist. Eine goldene Welle dringt nach Norden, die fast unaufhaltsam ist. Wir werden jeden Mann brauchen, den wir bekommen können, um zu verhindern, daß sie sich des ganzen Kontinentes bemächtigen.�
Bolar, der die ganze Zeit über in einer Ecke gesessen und geschwiegen hatte, ergriff das Wort.
�Da seid Ihr umsonst hier hergekommen, Bischof. Keiner von uns wird jemals wieder eine Waffe in die Hand nehmen.�
Zustimmendes Gebrumme erfüllte den Raum.
Joro verzog das Gesicht.
�Wenn es nicht eine ausweglose Lage wäre, hätte ich den Weg auch sicherlich nicht auf mich genommen, zumindest nicht mit diesem Anliegen. Ich will euch auch gar nicht bitten, irgendetwas zu tun, was gegen euren Glauben verstößt. Vielmehr geht es mir darum, jedwede Form von Hilfe zu bekommen, die erbracht werden kann. Die Legion wird außerdem mit völliger Sicherheit keinen Umweg um euer Kloster machen, oder euch gar ignorieren.�
�Ihr habt zweifelsohne Recht, Eminenz,� sagte Hrynn, �aber wir werden uns an keinem Krieg beteiligen, egal ob aktiv oder passiv. Wenn es unser Schicksal ist, daß wir von der Legion vernichtet werden, dann soll und wird das so geschehen.�
Omareth rümpfte die Nase.
�Habt Ihr nicht heute Mittag noch gesagt, daß Ihr Euch nicht vorstellen könntet, daß jemand wie ich andere Wege geht als früher?�
�Das ist richtig, Herr Veldrin�Sreen und es entgeht mir auch nicht, worauf Ihr hinauswollt.�
�Warum ist es Euch dann bei mir schwergefallen, es zumindest glauben zu wollen, aber Ihr selbst seid heute ein Mann, der in verhältnismäßiger Armut, nur mit einer Kutte bekleidet in den Bergen lebt?�
Der Abt senkte seinen Kopf in deutlicher Demut.
�Ihr habt recht. Es muß an der Fehlerhaftigkeit des menschlichen Wesens liegen, daß ich nicht gewillt war, das einzusehen.�
Es war Omareth anzusehen, daß er sich kurz fragte, ob es sich bei dieser Aussage um einen zynischen Kommentar oder eine ehrliche Gefühlregung Hrynns handelte. Doch sowohl ihm als auch Joro war klar, daß der alte Mann es so meinte, wie er es sagte, zumal Hrynn zu keinem Zeitpunkt einen aggressiven Eindruck machte.

Unmerklich hatte sich die Sonne vom Himmel geschlichen und ein paar Mönche zündeten Öllampen an. Die Stimmung jedoch war auf dem Nullpunkt angekommen, Joro machte sich wirklich die ersten Gedanken, ob die Reise nicht ein kompletter Fehlschlag geworden war.
Dennoch wollte er nicht einfach klaglos aufgeben.
�Es ist mir sehr wohl bewußt, daß ihr alle ein Gelübde abgelegt habt, das es euch verbietet, an kriegerischen Handlungen teilzunehmen, aber mir geht es auch nicht darum, daß ihr an unserer Seite kämpfen sollt. Vielmehr würde ich mich über jede helfende Hand freuen.�
Cilian legte den Kopf schief.
�Wie meint sähe denn Eure Idee davon aus, was wir tun sollten?�
Joro rang mit den Armen.
�Nun� vielleicht helfen, Waren zu transportieren, oder sich um Verwundete kümmern, es gibt doch so viel zu tun��
�Krieg ist Krieg�, murmelte Bolar in der Ecke und hatte wieder zustimmendes Murmeln auf seiner Seite.
Hrynn stand auf.
�Es ist Euch sicherlich klar, daß wir das erst beraten müssen, Eminenz. Ich würde vorschlagen, daß ich Euch jetzt zu den Räumen führe, in denen ihr heute schlafen werdet. Wir werden uns im Laufe der Nacht beraten und Euch an Morgen dann unsere Entscheidung mitteilen�, er ging auf einen der Ausgänge des Saales zu und deutete ihnen, ihm zu folgen.

Der Abt brachte sie zweite Obergeschoß des Gebäudes, wo ein langer Gang mit vielen Türen war.
�Es sind Zellen wie im Kloster von Bargum. Nicht so luxuriös wie Eure Gemächer dort, aber ich denke, daß es nach mehreren Nächten in den Bergen schon einen gewissen Komfort geben wird.�
�Ihr würdet Euch wundern, wie lange Joro noch in seiner Zelle geschlafen hat, Hrynn�, meinte Ghaundar.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Abtes.
�Nein, ich glaube, das wundert mich gar nicht. Ich wünsche euch allen eine geruhsame Nacht, der Sturm ist ja glücklicherweise sehr schnell weitergezogen.�
Omareth sah sich fragend um.
�Welche Zimmer sind denn für uns bestimmt?�
�Die ganze Etage steht leer, also könnt Ihr Euch eins aussuchen, Herr Veldrin�Sreen.�
Mit diesen Worten verabschiedete sich Hrynn und stieg wieder die Treppe nach unten.
Irruit ging zögernd auf eine der Türen zu und öffnete sie.
�Das ist aber ein sehr kleiner Raum.�
Ghaundar schaute ihr über die Schulter und lachte.
�Das ist kein Schlafraum, das ist der Abort.�
Sie sah ihn ungläubig an.
�Machst du Scherze?�
�Nein, das ist er wirklich�, meinte Alystin, �die Menschen sind ein wenig robuster mit so etwas, daher machen sie einfach einen Erker in die Wand und das Loch, nun� es geht einfach nach unten heraus.�
�Und wenn unten jemand steht?�
�Wie heißt es noch? Alles Gute kommt von oben��, Omareth hatte eine der Zellen erst kritisch beäugt und sich dann entschlossen einzutreten, �Oh Gott ist das Bett hart.�
Joro stand unschlüssig im Gang.
�Was ist mit dir los?�, fragte Alystin.
�Ich weiß nicht, was ich von alledem halten soll. War es vielleicht wirklich ein Fehler hier herzukommen?�
�Einen Versuch war es wert�, meinte Ghaundar knapp, �und egal, wie sie sich entscheiden, kannst du dir am Ende nicht vorwerfen, es nicht wenigstens versucht zu haben.�
�Ja�Du hast natürlich recht, aber ich bin trotzdem nicht zufrieden.�
�Leg dich ersteinmal hin und morgen wissen wir ja, wie es ausgeht.�
�Wohl oder übel�, Joro seufzte, �Dann mal eine gute Nacht ihr vier��
�Schlaf gut�, sagte Alystin lächelnd.


Kapitel 33


Mitten in der Nacht wurde Joro wach. Er hatte schlecht geschlafen und sich die ganze Zeit unruhig auf dem Brett, das sich eine Pritsche schimpfte, umhergewälzt. Von seiner Gemütlage und der praktischen Unfähigkeit zu schlafen getriebe, sprang er schließlich auf die Füße. Seine Rüstung stand neben dem Bett und er hatte nur seine Robe an.
Die Füße taten immernoch weh, aber der kalte Steinboden unter den nackten Sohlen linderte den Schmerz ein wenig.
Er trat auf den Gang hinaus und schaute sich um. Die Drow schliefen alle, die Türen waren zu und da er mitbekommen hatte, daß Alystin und Irruit sich eine Zelle teilten, gab es auch keine Gelegenheit, zu ihr zu schlüpfen. Sie nahm ihre Verantwortung sehr ernst, das war sicher.
Einem spontanten Impuls folgend, ging er die Treppen herunter zum Speisesaal.
Im Kamin prasselte immernoch ein Feuer und er setzte sich davor. Die Zelle war sehr kalt gewesen und das Wärme schaffte eine wunderbare Abwechslung.
Hrynns ruhige Stimme erscholl hinter ihm.
�Ihr könnt nicht schlafen, Eminenz?�
Joro fuhr herum und sah den Abt in einer Ecke des Raumes auf einer Bank sitzen, vor sich einen Bierkrug auf dem Tisch.
�I..ich hatte Euch nicht bemerkt, Hrynn, verzeiht mir die Unhöflichkeit.�
�Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen, ich hätte auch etwas sagen können, aber ich war in Gedanken vertieft.�
Der Abt stand auf und kam zu Joro herüber, auf halbem Wege hielt er jedoch inne.
�Darf ich Euch etwas zu Trinken anbieten?�
�Gerne.�
Hrynn verschwand kurz in der Küche und kam dann mit einem zweiten Krug zurück, den er neben Joro auf den Tisch stellte. Dann setzte er sich zu ihm.
�Ihr seid unzufrieden, nicht wahr?�, fragte der Abt.
�Ja. Sehr.�
�Worüber genau?�
�Viele Faktoren. Zunächst ärgert es mich, daß ich meine Freunde zu Statisten gemacht habe, denn sie waren heute schwerlich mehr als das.�
�Ich habe sie nicht so empfunden, auch wenn mir nicht entgangen ist, daß sie sich hier sichtlich unwohl fühlen, was ja auch verständlich ist.�
�Mir kommt es eben so vor. Außerdem frage ich mich, ob ich nicht von vorneherein hätte wissen müssen, daß ihr so reagieren würdet, wie ihr es getan habt.�
�Wenn ich mir überlege, welche Motive Euch treiben, dann wundert es mich nicht, daß Ihr den Weg trotzdem auf Euch nahmt�, Hrynn nahm einen Schluck aus dem Krug, �aber Ihr habt insofern Recht, als daß unsere Entscheidung eindeutig sein würde.�
�Ihr habt Euch schon entschieden, oder?�
�Wir werden morgen eine geheime Abstimmung durchführen, aber macht Euch nicht zu große Hoffnung, daß sie zu Euren Gunsten ausgeht.�
�Woher kommt eure derartig drastische Entscheidung?�
Der Abt atmete tief ein und erzählte dann:
�Ich bin der Sohn eines Landgrafen, dessen Anwesen weit südlich von Bargum, nahe der Grenze nach Hanlar liegt. Ihr könnt Euch denken, daß ich eine dementsprechende Ausbildung erhielt, als ich ein Junge , und später ein junger Erwachsener war. Mein Vater hatte ein großes Vermögen mit Holzwirtschaft verdient, daher stellte er viele Truppen für den Kampf gegen die Drow und so wurde ich der Kommandant eines kleinen Regiments. Es waren sehr gute Männer und wir haben uns schnell einen Namen gemacht.�
�Aber das war nicht die Bruderschaft von Jarta, oder?�
�Nein, die Mönche traf ich erst, als ich schon dreißig war, da hatte ich schon zwölf Jahre als Kommandant hinter mir. Ich schloß mich ihnen an, als mein Regiment in einer aussichtslosen Schlacht, in der wir in einen Hinterhalt geraten waren, aufgerieben wurde. Außer mir hat nur Cilian das Massaker überlebt.�
�War er ein Söldner?�
�So etwas in der Art. Eher ein reisender Abenteurer, der in den Krieg verwickelt wurde. Seine persönlichen Gründe möchte ich aber nicht anführen, sie sind sehr privater Natur.�
�Ich verstehe�, Joro nahm einen Schluck und Hrynn fuhr fort:
�Als wir auf die Mönche stießen, haben sie uns sofort aufgenommen, unser Ruf war uns vorausgeeilt und wir wurden schnell wichtige Mitglieder der Gemeinschaft. Als der Großmeister des Ordens, ein Mann aus Lirdwig, im Südwesten Daishans, bei einem Scharmützel getötet wurde, hat man mich zum neuen Anführer des Ordens berufen. Seitdem hatte ich das Kommando über alle Mönche.�
�Wieviele waren es?�
�An die fünfhundert, damals gab es über zwanzig Ordenshäuser in Lande. Alles sehr gut ausgebildete und fähige Männer. Als der Krieg vorbei war, zählten wir nur noch fünf Dutzend.�
Joro runzelte die Stirn.
�Omareth hat mir erzählt, daß die Bruderschaft der Schrecken seiner Truppen war, zumindest hat er das so ähnlich ausgedrückt. Wie kommt es, daß so viele gestorben sind?�
Hrynn knirschte mit den Zähnen und unterdrückte einen Laut des Ärgers.
�Meuchler. Sie haben uns nur noch einzeln angegriffen und wenn ich mich nicht irre, sind sogar einige meiner Leute durch Euren Freund Ghaundar aus dem Leben geschieden�, mit einem Blick auf Joros erhobene Augenbraue fügte er hinzu: �Keine Sorge, ich werde nicht wieder mit alten Vorurteilen anfangen, zumindest in dem Punkt habt ihr vier mich überzeugt.�
�War das der Grund, warum Ihr am Ende so desillusioniert wart?�, fragte der Bischof.
�Ja, unter anderem. Ich habe viel zu viele gute Freunde sinnlos sterben sehen. Als der Krieg dann mit einem Male vorbei war, haben wir lange zusammengesessen und beraten, wie unsere Zukunft aussehen soll. Cilian war der erste, der den Vorschlag machte, uns für immer aus dem Leben voller Gewalt zurückzuziehen und ich muß zugeben, daß ich praktisch sofort seiner Meinung war�, in Hrynns Stimme klang ein großer Schmerz mit.
�Verzeiht mir den Vergleich, aber es hört sich ein wenig so an, als hättet Ihr Euch zurückgezogen, um Eure Wunden zu lecken.�
�Das ist ein durchaus treffender Vergleich, denn es war am Anfang sicherlich so�, meinte der Abt.
�Und heute?�
�Heute haben wir erkannt, daß ein Leben, in dem man sich darauf beschränkt, nach dem inneren Selbst zu suchen und die Existenz auf dieser Welt mit jedem Atemzug zu genießen, wertvoller ist, als sich dauernd mit Alltagssorgen oder sogar dem Töten und Getötetwerden zu verbringen. Das Leben ist heilig und sollte auch so behandelt werden.�
�Andere töten zu lassen, weil man selbst nicht helfen will ist aber doch das Gegenteil von dem, was Ihr gerade gesagt habt, oder etwa nicht?�, Joro wagte einen Vorstoß.
�Dieses Argument habe ich heute abend oft gehört, Eminenz�, Hrynn lächelte, �Aber unser Gelübde ist eindeutig, wir werden niemals wieder an einem Krieg teilnehmen.�
�Werdet Ihr verstehen, wenn ich es als dumm empfinde, wenn man sich lieber töten läßt, als sich zu verteidigen?�
�Natürlich verstehe ich das. Aber Ihr könnt auch nicht ignorieren, daß Gewalt immer dazu führt, eine Kette von nachfolgender Gewalt zu erzeugen. Frieden ist niemals von langer Dauer, weil Rache eine urtümliche Eigenschaft ist, die jedem Volk auf unserer Welt zueigen ist. Wenn nicht irgendwann jemand diesen Kreis durchbricht, hört das Töten niemals auf.�
�Also war das der Hauptgrund für eure gemeinsame Entscheidung?�
Hrynn nickte.
�Ja, genau das war er. Es gibt hier im Kloster niemanden, der nicht mindestens einen guten Grund hätte, jetzt nach oben zu gehen und Eure Freunde auf der Stelle zu töten.�
Joro schreckte zusammen, aber der Abt winkte ab.
�Keine Sorge, niemand wird das tun. Außerdem bin ich mir sicher, daß die vier da oben genau wie Ihr wenig Schlaf bekommen werden. Innerlich werden sie nämlich genau das erwarten.�
�Es ist erstaunlich, daß ihr so standhaft seid in dem, was ihr da glaubt. Ich bete allerdings, daß ihr es nicht irgendwann bereuen müßt.�
�Ich auch, jeden Tag�, Hrynn trank einen Schluck Bier.
�Wirklich?�
�Überrascht?�, der Abt lachte, �Ich bin vielleicht ein Idealist, Eminenz, aber bitte haltet mich nicht für einen Dummkopf. Ich kenne unsere Welt sehr gut und ich habe in meinem Leben die schlimmsten Abgründe gesehen, zu denen intelligente Wesen fähig sind.�
Joro ließ die Schultern hängen.
�Zugegeben habe ich mehrmals überlegt, was ich wohl sagen könnte, das Euch umzustimmen in der Lage wäre. Aber es wird mir mehr und mehr bewußt, daß Ihr eine Absicht gefaßt habt, die Ihr bis zum letzten Tropfen Blut verfolgen werdet.�
�Eine gute Formulierung. Wenn Ihr so wollt, ist dies jetzt unser Krieg, in dem wir zu kämpfen haben.�
Der Bischof stand auf und trank seinen Krug leer.
�Wie auch immer Ihr Euch morgen entscheiden werdet, es war mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Hrynn.�
�Gleichfalls. Es tut gut zu sehen, daß die alte Kirche von Bargum ihren Meister gefunden hat. Ich wünsche Euch noch eine geruhsame Nacht.�

Joro stieg wieder die Treppen hinauf und legte sich auf seine, jetzt wieder kalte Pritsche. Er starrte an die Decke und fühlte sich aufgrund seines Mißerfolges ausgesprochen niedergeschlagen.
Die Tür machte ein fast unhörbares Geräusch und mit einem Mal lag Alystin auf ihm, drückte sich fest an ihn und gab ihm einen sehr leidenschaftlichen Kuß.
Als sie von ihm abließ, sah er freudig zu ihr hinauf.
�Meine Dame, wie komme ich zu der Ehre?�
�Ich habe das mal dringend gebraucht. Irruit schläft endlich, aber ich habe nicht viel Zeit. Wie ist dein Gespräch mit Hrynn gelaufen?�
�Woher weißt du davon?�
�Ghaundar hat vorhin bemerkt, daß du aus deiner Zelle gekommen bist und hat kurz nachgesehen, was du machst.�
�Ihr schlaft alle nicht, oder?�
�Omareth sitzt mit seinem Faß unter dem linken Arm und seiner Axt in der rechten Hand auf seiner Pritsche und singt leise alte Kriegslieder, und Ghaundar hat, soweit ich weiß, auch noch kein Auge zugetan. Ich selbst habe die letzten zwei Stunden damit verbracht, Irruit in den Schlaf zu wiegen. Sie hat furchtbare Angst.�
Das machte Joro betroffen.
�Ich weiß, daß ich mich nicht immer entschuldigen soll, Alystin, aber es tut mir leid, wenn ich euch alle in eine solch fürchterliche Lage gebracht habe.�
�Wir sind alle erwachsen, Joro. Wenn wir nicht gewollt hätten, wären wir nicht mitgekommen�, sie strich ihm lächelnd über die Wange.
�Und Irruit?�
�Die ist schon viel zu lange in der Isolation der Enklave gewesen, sie kennt praktisch nichts anderes. Es wird Zeit, daß sie auch einmal die Welt außerhalb zu Gesicht bekommt.�
�Hm�, seine Hände wanderten ihren Körper herab, aber sie schüttelte den Kopf.
�Keine Zeit, ich muß wieder hinüber.�
�Schade�, er war ehrlich enttäuscht.
�Wir sind ja bald wieder zuhause�, sie lachte leise und warf ihm mit einem feurigen Blick zu.
�Alystin?�
�Ja?�
�Habt ihr das Gefühl gehabt, daß ich euch hier für etwas benutze?�
�Nein, wie kommst du denn darauf?�
�Ich weiß nicht, ich hatte irgendwie den Gedanken.�
�Mach dir nicht zu viele Sorgen, Joro. Es war einen Versuch wert, ich nehme an Hrynn hat dir auch vorhin noch einmal gesagt, daß sie nicht mit uns kommen, oder?�
�Ja. Er ist nicht umzustimmen.�
�Dann hat es nicht sein sollen. Morgen gehen wir zurück.�
�Ja��
Sie stand auf und ging zur Tür.
�Schlaf gut, mein Joro��
�Ich liebe dich.�
Alystin kiekste leise und verließ dann die Zelle.

Am nächsten Morgen fühlte sich Joro wie gerädert. In der Zelle konnte es kaum wärmer als knapp über dem Gefrierpunkt sein und als beim Bewegen der Füße die Kruste auf den offenen Stellen unter seiner Sohle aufbrachen, brannten sie in der Kälte. Er zog seine Strümpfe an und begann dann, das Unterzeug der Rüstung anzulegen. Innerlich schlug er sich vor die Stirn, daß er nicht zumindest dieses in der Nacht angelassen hatte, damit hätte weniger gefroren.
Als er gerade damit beschäftigt war, die Schulterplatten mit ihren Lederstreifen am Unterzeug zu befestigen, ging die Tür auf und Omareth trat ein. Seine Augen waren unterlaufen und er sah auch sonst völlig übermüdetet und auch leicht verkatert aus, aber wie so oft bemühte er sich um eine majestätische Haltung.
Wortlos half im der Drow, die Rüstung zu komplettieren und setzte sich dann seufzend auf die Pritsche.
�Wenn ich wieder zuhause bin, werde ich mir kleine Wollkugeln mit Wachs in die Ohren stopfen und mich für drei Tage in meinem Schlafzimmer einsperren. Da kann Illivara schreien und toben, wie sie will, ich brauche dringend Ruhe.�
�Verständlich, die letzte Nacht war auch für mich nicht einfach.�
�Hat dein kleiner Plausch um Mitternacht wenigstens ein positives Ergebnis zustandegebracht?�
Joro schüttelte den Kopf.
�Nicht, wenn es darum geht, ob sie uns helfen. Aber ich habe Hrynn besser verstehen gelernt und weiß jetzt auch, warum er das macht, was er macht.�
�Das konnte er auch als General schon sehr gut�, Omareth gähnte und kratzte sich unter der Achsel, �Wenn er etwas angefaßt hat, dann hat es auch geklappt.�
Er sah sich um und schaute dann zu Joro hoch, der gerade seinen Schild auf den Rücken gehängt hatte.
�Dann machen wir uns also heute wieder allein auf den Heimweg?�
�Sieht fast so aus�, Joro verzog den Mund, �Aber wie Ghaundar schon richtig gesagt hat: wenigstens haben wir es versucht.�
�Ja, das stimmt. Ich gehe jetzt mein Bündel holen.�

Als Joro hinter Omareth auf den Gang trat, warteten dort schon Ghaundar, Alystin und Irruit. Die junge Drow sah noch ramponierter aus als Omareth, bemühte das aber zu kaschieren, indem sie kontinuierlich zu Boden sah.
�Die Frage, ob ihr gut geschlafen habt, spare ich mir heute mal.�
�Danke, sehr liebenswürdig�, Ghaundar schaute ihn böse an, grinste aber dann.
�Also, gehen wir nach unten?�, fragte Joro.
�Sie warten schon auf uns, eine geraume Weile und in andächtigem Schweigen�, erwiderte der Assassine.
�Dann gehe ich einmal stark davon aus, daß sie schon abgestimmt haben..�

Tatsächlich waren die Mönche alle im Speisesaal versammelt und warteten schweigend, bis alle fünf anwesend waren. Dann stand Cilian auf und ging lächelnd auf Joro zu.
�Wir haben uns entschieden und es war eindeutig.�
�Das habe ich mir schon gedacht, Cilian, aber ich danke jedem einzelnen in diesem Raum, daß er sich dazu bereiterklärt hat, sich darüber Gedanken zu machen.�
�Der Dank ist mit Freude angenommen. Es schmerzt mich, daß wir Euch nicht helfen konnten, aber ich wünsche Euch den Segen Jartas, auf allen Wegen, auf denen Ihr gehen mögt.�
Joro verbeugte sich vor ihm und dann einmal vor der Versammlung der Mönche.
�Lebt wohl, werte Freunde, Celestus sei mit euch allen.�
Die Mönche geleiteten sie noch zum Tor, dann winkten sie ihnen, als sie zu fünft den Berg herabstiegen.
Sie waren schon eine Weile gegangen und näherten sich dem Findling, unter dem sie die Nacht zuvor verbracht hatten, als Ghaundar, der ausnahmsweise nicht in der Vorhut lief, plötzlich meinte: �Wo war eigentlich Hrynn?�
�Stimmt, der wäre doch eigentlich derjenige gewesen, der uns verabschieden würde?�, Alystin war ebenfalls erstaunt.
Omareth jedoch deutete auf den Findling, von dem, bei näherem Hinsehen eine kleine Rauchfahne aufstieg.
�Vielleicht ist dort drüben die Antwort.�

Auf dem selben Stein, auf dem er am Vortag gesessen hatte, saß Hrynn, die Arme auf die Beine gestützt.
In einer Plattenrüstung, mit einem weißen Waffenrock, auf dessen Brust und Rücken ein dunkelblauer, achtzackiger Stern prangte. Neben ihm steckte ein gewaltiger Zweihänder im Boden, dessen Klinge einen Wellenschliff hatte.
Zu Joros Überraschung deutete ihnen Omareth, anzuhalten und ging dann allein auf Hrynn zu.
Dieser hatte ihn wohl bemerkt, aber bewegte sich keinen Fingerbreit.
Der Drow stellte sich vor ihn und nahm die Axt vom Rücken, was nicht nur Joro dazu brachte, sich unbewußt anzuspannen.
Aber anstatt den Menschen anzugreifen, rammte er sie mit dem Kopf nach unten in den Boden und schaute Hrynn dann lange an.
�Was hat Euch dazu gebracht, es Euch anders zu überlegen?�
�Die Frage ist vielmehr wer mich dazu gebracht hat.�
�Erzbischof Macun?�
�Nein, Omareth. Ihr wart es.�
Omareth verlor kurz die Fassung und starrte den Mann ungläubig an.
�Wie meint Ihr das?�
�Ich habe Euch solange ich denken kann gehaßt, Veldrin�Sreen. Es gab keinen Tag, an dem ich nicht bereut habe, daß ich Euch nicht tötete, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber als ich Euch gestern wiedersah und bemerkte, in welchem Verhältnis Ihr zu diesem Mann dort drüben steht, habe ich begonnen, nachzudenken.�
�Es bedurfte so wenig, daß Ihr Euer Gelübde brecht?�
Hrynns Augen wurden zu Schlitzen.
�Wieviel hat es bedurft, daß Ihr nicht mehr unschuldige Frauen und Kinder niedermetzeln laßt?�
�Ich habe das niemals gerne getan, aber ich hatte auch keine andere Wahl�, Omareth schnaubte verächtlich, �Entweder sie starben, oder Welverin hätte meinen Kopf auf einem Tablett serviert bekommen. Was meint Ihr, das der Grund war, warum ich stattdessen seinen genommen habe?�
�Seht Ihr? Und mir ist gestern klar geworden, daß man nicht anders kann, als seiner Natur zu folgen. Meine Natur war es von meiner Jugend an, diejenigen zu beschützen, die meines Schutzes bedürfen und ich würde mich noch mehr grämen, als jemals in meinem Leben, wenn auch nur ein einziges Kind, ein einziger Bauer oder eine einzige Frau stirbt, weil ich untätig hier in den Bergen gesessen habe.�
�Mit anderen Worten, Ihr habt offiziell die Bruderschaft verlassen?�, fragte Omareth zweifelnd.
�Nicht einmal eine halbe Stunde, nachdem ich mit dem Erzbischof geredet hatte. Cilian hat es sofort verstanden und mir sogar noch geholfen, meine Rüstung anzulegen. Seitdem bin ich hier.�
�Und wohin führt Euer Weg nun?�
Hrynn sah ihn sehr ernst an.
�Wenn ich mich recht erinnere, seid Ihr fünf hier hergekommen, um uns darum zu bitten, euch im Kampf gegen die Legion beizustehen, nicht wahr?�
�Das ist richtig.�
�Dann bitte ich Euch hiermit formell darum, mich in Eure Armee aufzunehmen, General.�
Der ehemalige Abt stand auf wollte vor Omareth niederknien, aber dieser ergriff ihn am Unterarm und hielt ihn oben.
�Wenn das Euer Wille ist, seid Ihr ein Gleicher unter Gleichen, Hrynn. Ich heiße Euch willkommen.�

Der Mönch konnte trotz seines Alters ohne Probleme mit ihnen mithalten und auch wenn anfangs kaum gesprochen wurde, begannen Omareth und er irgendwann, leise miteinander zu reden. Sie gingen ein gutes Stück voraus, deshalb konnte Joro nicht hören worüber sie sprachen, aber er hatte das Gefühl, daß die beiden sich wahrscheinlich gegenseitig ein halbes Leben zu erzählen hatten.
�Da haben sich zwei gefunden�, Alystin schmunzelte.
�Ich glaube das auch fast�, meinte Joro, �auch wenn mich überrascht, daß ausgerechnet Hrynn derjenige war, der für uns entschieden hat. Vor allem weil er der Einzige ist und weil ich es von ihm am wenigsten erwartet habe.�
�Du hast gehört, was er gesagt hat. Ich habe von vornherein das Gefühl gehabt, daß er ein Mann ist, der sehr viel nachdenkt und meine Intuition ist meistens sehr akkurat.�

Auch im Laufe der Rückreise blieb das Bild, wie es jetzt war. Omareth und Hrynn diskutierten eine Menge über die Vergangenheit und es stellte sich heraus, daß der Mönch schon in seinen frühen Sechzigern war. Joro bekam nicht viel davon mit, was sie miteinander sprachen, aber er war sich sicher, daß die beiden reinen Tisch machen mußten. Hrynn war ein Mann der gerne allen Dingen auf den Grund ging und Omareth� Nun, zumindest dachte Joro noch am Anfang, daß dieser nur seine Ehre irgendwie wieder herstellen wollte, aber es lief wohl eher darauf hinaus, daß die beiden das, was ihnen beiden auf verschiedenen Seiten eines großen Grabens geschehen war, miteinander austauschten, um jeder für sich am Ende besser damit leben zu können. Es war offensichtlich, daß Joro den �alten Mann� seit jeher falsch einschätzte. Sein herrisches Auftreten und seine mürrische Art waren nicht etwa wirklich sein Wesen, sondern vielmehr das Resultat dessen, was in seinem Leben geschehen war. Ghaundar tat das auf seine Weise mit seinem krampfhaften Possenreißen.
Und Alystin�Also wenn es das war, dann wollte sich Joro darüber nicht beschweren.
Hrynn blieb bei der Ankunft in der Menschensiedlung vor der Enklave zurück und Bragans Leute nahmen ihn ausgesprochen freundlich auf. Wie sich herausstellte, kannte Bragan den alten General noch von früher und er lud ihn sogar ein, in seinem Haus zu wohnen.

Es folgten ein paar sehr schöne Tage, die damit endeten, daß Joro wohl oder übel seine Sachen packen mußte, um nach Bargum zu gehen. Auch wenn es dessen nicht bedurft hatte, wies ihn eine Botschaft von Albrecht darauf hin, daß seine Anwesenheit nach den mittlerweile fast drei Wochen mehr als nötig sei, aber nach einem Gespräch mit Balthasar, der ihm mitgeteilt hatte, daß die Erzladung praktisch fertig war, hatte er sich schon entschlossen, daß er nun zurückmußte.
Der Abschied von Alystin tat ihm weh, aber er hatte sich an sein Versprechen erinnert und bat sie darum, kurze Zeit später nachzukommen und Omareth mitzubringen, denn Ghaundar bestand darauf, ihn wieder zu begleiten.
�Damit du keine Dummheiten machst�, war seine kurze und unwiderrufliche Erklärung.

Die Sonne im Nacken brach Joro Macun, Erzbischof von Bargum, im Vierten Monat des ersten Jahres des großen Krieges zu seiner Amtsresidenz auf.


ENDE TEIL 1


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Tag der Veröffentlichung: 03.06.2008

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