Das Knarren der Tür wurde immer lauter. Nicht mehr lange und die Tür würde nachgeben. Sina war bereits über die Feuerleiter hinunter geklettert. Jevro wollte ihr gerade hinterher. Doch es war schon zu spät. Laute Schritte schallten aus den kleinen Flur ins Wohnzimmer. „Beeil dich“, flüsterte seine Mutter. Doch Jevro schüttelte den Kopf: „Es ist zu spät!“. Genau in diesem Moment standen sie in der Tür. Sie trugen eine Uniform als wäre das ehrenwert was diese Leute machten. Der Anführer hatte eine Art Medaille an der Schulter. Mit bösen Blick schaute er in die Runde. „Wo ist das Mädchen?“. „Ich weiß nicht wovon Sie reden!“, erwiderte Jevro schnell, bevor einer seiner Eltern irgendetwas sagen konnte was sie vielleicht verraten hätte. „Ihr wollt die Göre also beschützen. Na schön, einer reicht sowieso!“, meinte der Anführer der beim Anblick von Jevros muskulösen Körper breit grinste. Jevro wusste was nun kommen würde. Er hatte es schon gewusst, als diese Leute durch ihren Flur marschiert waren. „Du wirst mit uns kommen!“, meinte der Mann und rief gleichzeitig seine Leute in den Raum. Zehn muskulöse und schwer bewaffnete Männer stürmten den Raum. Kurz überlegte Jevro für seinen Stolz sich wenigstens ein bisschen zu wehren. Doch dann schaute er seine Eltern an und überlegte es sich anders. Wenn er sich wehren würde, würden sie seine Eltern vermutlich verletzen. Freunde hatten ihn von solchen Situationen schon oft genug erzählt und deswegen ließ er sich von den Kerlen packen und ging mit ihnen mit. „Wir müssen ihn da raus holen!“, schrie Sina und schritt dabei in der Wohnung hin und her. „Glaub uns, nichts mehr würde uns freuen als unseren Sohn wieder in Freiheit zu wissen. Doch du weißt genauso gut wie wir das dass nicht möglich ist.“, antwortete ihr Vater und hielt dabei seine weinende Frau in den Armen. „Er ist doch nur mitgegangen damit uns nichts geschieht! Wir können ihn doch jetzt nicht im Stich lassen!“. „Die Sklavenhändler sind zu mächtig.... Was können wir schon ausrichten?“, schluchzte ihre Mutter. „Ich werde es wenigstens versuchen.“, murmelte Sina verzweifelt. „Nein! Nein, das wirst du nicht!“, sagte ihr Vater und stand von den Sofa auf. „Jevro soll das nicht umsonst gemacht haben. Hast du verstanden?“. Er ging auf seine Tochter zu und starrte sie streng an. In diesen Moment wusste Sina genau das ihr Vater ihr die Rettung ihres Bruders niemals erlauben würde, geschweige denn sie dabei unterstützen. Sinas haselnussbraune Augen senkten sich auf den Boden: „Ja, ich habe es verstanden... Habt ihr was dagegen wenn ich mich jetzt zurückziehe? Ich wäre gerade gern allein.“. Ihre Mutter schüttelte den Kopf: „Nein wir haben nichts dagegen..“ Ihr Ehemann war wieder an ihre Seite zurückgekehrt und da er nicht zu widersprechen schien, zog sich deren Tochter in das einzige andere Zimmer zurück. Das Zimmer war klein. Nur zwei Betten und ein etwas größerer, jedoch selbst gebauter Schrank standen drinnen und mehr passte auch definitiv nicht rein. Sina lies sich auf ihr Bett fallen. Sie liebte ihren Bruder. Er war ihr großes Vorbild und jetzt war er weg und würde nie weder zu ihr zurück kommen. Es war eine schreckliche Vorstellung das er bald der Besitz von jemanden sein sollte. Was würden sie wohl mit ihn machen. Als kleines Mädchen hatte Sina mal einen Mann gesehen der von seinen Besitzer ausgepeitscht wurde, weil er die Schuhe seines Herren nicht sauber genug poliert hatte. Damals hatte Sina an den Schuhen von den Mann jedoch nicht den kleinsten Fleck entdecken können. Der Sklave hat sich so sehr vor seinen Herren gebuckelt, das man kaum einen eigenen Charakter erahnen konnte. Dieser Mann hatte nur dafür gelebt seinen Herren nicht negativ aufzufallen. Es war erbärmlich. Würde das jetzt auch aus Jevro werden ? Sina wusste das sie etwas dagegen unternehmen musste. Nachdem sie aus den Fenster geflohen war, hatte sie sich hinter großen Fässern, von der Brauerei gegenüber, versteckt. Von da aus hatte sie unbemerkt sehen können wie ihr geliebter Bruder abgeführt wurde. Doch nach kurzer Zeit hatte sie sie aus den Augen verloren und war wieder zu ihren Eltern gerannt, um zu überprüfen dass es ihnen gut ging. Dennoch hatte sie einen Hinweis, wo sie mit der Suche nach ihren Bruder anfangen sollte. Jede Sklavenhändler- Gruppierung hatte ein eigenes Symbol, dass die hochrangigen Mitglieder auf der Brust trugen. Kurz hatte sie das Symbol auf der Brust von einen von denen gesehen. Also müsste sie schnell herausfinden, wo die Basis dieser Gruppe war und dann konnte sie ihren Bruder irgendwie retten und das alles musste noch geschehen bevor sich ein Käufer für ihn fand. Ihr Plan stand fest. Die einzige Möglichkeit ihren Bruder zu retten, war selbst zum Sklavenhändler zu werden. Dafür musste sie sich jedoch als Mann ausgeben, denn keine Sklavenhändler- Gruppierung würde eine Frau beschäftigen. Sina wartete bis tief in die Nacht, dann öffnete sie die Schrankseite ihres Bruders und nahm eine kleine Auswahl an lockeren Oberteilen und die kleinsten Hosen ihres Bruders heraus. Im Badezimmer zündete sie einige Kerzen an, ging zu den Medikamentenschrank und nahm eine Rolle Verbandsmaterial raus. Sina stand vor den Spiegel, während sie ihr Schlafshirt über den Kopf zog. Zum Glück waren ihre Brüste nicht sehr groß, vermutlich würden sie nach dem zurück binden gar nicht mehr auffallen. Also legte sie die Mullbinde an und zog sie bei jeder umrundung ihrer Brust straffer. Das Ende klebte sie fest und betrachtete ihre Arbeit dann von allen Seiten. Einer groben Begutachtung würde es wohl stand halten. Nun kleidete sie sich komplett wie ihr Bruder. Die Hosen waren ihr zwar eigentlich auch noch zu groß, doch nicht in den Maße dass das wirklich auffallen würde. Bei den Oberteilen suchte sie sich eins aus, das sie ihrer Meinung nach am authentischsten als Jungen durch gehen lies. Jetzt waren ihre Haare dran. Es waren braune wellige Haare, die ihr bis zum Po reichten. Kurz schloss sie ihre Augen, denn dieser Schritt würde ihr Vorhaben endgültig besiegeln. Dann gab es kein zurück mehr. Entschlossen öffnete wieder ihre Augen, nahm die Schere und dann fielen die Haare für die sie schon einige bewundernde Blicke bekommen hatte zu Boden. Doch das war nicht alles, sie schnitt ihre Haare noch kürzer, so dass nur wenige Zentimeter übrig blieben. Jetzt waren ihre Haare sogar kürzer als die ihres Bruders. Ihre Verkleidung war nun fertig. Begutachtend drehte sie sich vor den Spiegel. Sie wirkte wie ein etwas zu weiblich geratener Junge. Doch wenn sie ihr Auftreten noch verändern könnte, würde sie vermutlich nicht auffallen. Sinas Gedanken überschlugen sich. Sie musste so viel beachten damit sie nicht als Mädchen erkannt wurde. „Okay ich schaffe das schon. Ich muss mich nur in einen Kerl hinein versetzen. Ich schaffe das!“, flüsterte sie immer und immer wieder, bis sie irgendwann denn Kopf schüttelte: „Das bringt doch nichts. Ich muss jetzt einfach loslegen.“. Daraufhin nahm sie sich einen Zettel, wo sie drauf schrieb: Wir werden uns alle wieder sehen. Ich habe euch lieb, und legte ihn auf ihr Bett, dann schlich sie sich aus den Fenster aus den sie heute schon einmal abgehauen war. Ihre Eltern schliefen tief und fest. Sinas Blick wurde traurig, denn sie war sich keineswegs so sicher ob sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte und auch nicht ob sie das überleben würde. Vielleicht war dieser Moment das letzte Mal das sie ihre Eltern sah. Dennoch musste sie es tun. Auf keinen Fall durfte sie ihren Bruder im Stich lassen. Er brauchte sie und sie würde es sich sonst ihr Leben lang vorwerfen. Das Symbol dass ihre nächsten Schritte leiten würde, war ein Adler in einen Käfig. Dieses Bild kannte sie. In der Stadt Schean gab es drei Unterkünfte dieser Gruppierung. Eine war ganz in der Nähe. Sie musste nur die Straße in Richtung des Stadtzentrums folgen, bis zu einer etwas heruntergekommenen Schule. Dann musste sie rechts abbiegen, an den Hotel, wo ihre Mutter als Empfangsdame arbeitete, vorbei. Sobald sie an den Sammelplatz mit einen Springbrunnen, der wie ein Wasserfall wirken sollte, ankam musste sie nur noch in die erste Gasse gehen und dann war sie auch schon an den Eingang. Es war ein gepflegtes Haus und wenn das Symbol nicht in Form eines Schildes neben der Tür hängen würde, käme man nicht auf die Idee das hier so dunkle Geschäfte abgewickelt wurden. Sinas Herz schlug bis zum Anschlag. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und wäre zurück nach Hause gelaufen. Doch das ging jetzt nicht mehr. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Obwohl ein solides Schloss an der Tür befestigt war, war sie nicht versperrt. Den Grund dafür entdeckte sie gleich nachdem sie den ersten Schritt ins Haus gemacht hatte. Sie war in einer Art Empfangsraum. Nicht weit vor ihr war ein Tresen hinter der ein Mann saß. Der Mann starrte sie mit einen kalten Blick an. Als Sina dennoch nichts sagte, fragte der Mann genervt: „Hast du dich verlaufen?“. Sina räusperte sich kurz und schüttelte dabei den Kopf. „Nein. Ich wollte in dieses Geschäft einsteigen... Wo kann ich mich vorstellen?“. Während sie sprach, konzentrierte sie sich darauf ihre Stimme möglichst tief zu halten. Jedoch wirkte sie deswegen etwas unbeholfen und ihre Haltung war für so ein Geschäft viel zu elegant. Offensichtlich fühlte sich der Mann etwas verarscht. „Verschwinde“, meinte dieser nur und widmete seine Aufmerksamkeit wieder etwas was vor ihm auf den Tresen lag. Geknickt verließ sie wieder das Gebäude. Während sie überlegte was sie nun am besten als nächstes unternahm, ging sie zu den Brunnen und setzte sich auf dessen Rand. Durch den kalten Stein wurde ihr erst bewusst dass sie fror. Die Kleidung ihres Bruders die sie angezogen hatte war zwar relativ dick, doch es war schon später Herbst und dann gingen die Temperaturen in der Nacht fast immer in den Minusbereich. Verschiedene Möglichkeiten wie sie mit der Situation jetzt umgehen sollte rasten durch ihren Kopf, das Meiste davon war jedoch nicht zu gebrauchen. Schließlich stand sie einfach wieder auf und ging zu einen anderen Sklavenhändler-Quartier. Durch das viele nachdenken war sie nicht im Ansatz weiter gekommen, also beschloss sie es einfach solange weiter zu versuchen, bis sie es irgendwo schaffte. Einer nach den anderen sagte ihr ab. Keiner zeigte auch nur das geringste Interesse an ihren Angebot dort zu arbeiten. Wenn sie so darüber nachdachte war das aber auch kein Wunder. Ein gepflegtes, zivilisiertes vermischt mit Angst und Nervosität konnten sie nicht gebrauchen. Die Sklavenhändler waren allesamt grob und zeigten nur in seltensten Fällen Manieren. Jede Frau wurde jedoch gegenteilig erzogen. Es war nicht einfach jahrelange Erziehung von einen auf den anderen Moment über Bord zu werfen. Bis jetzt hatte sie nicht mal Fortschritte gemacht, obwohl sie jetzt schon an elf Quartieren war. Wenn sie nicht bis ans andere Ende der Stadt laufen wollte musste sie sich bald verbessern. Verzweiflung überfiel sie. Tränen wollten sich aus ihren Augen nach draußen drücken. Mit ihrer Hand rieb sie über ihre Augen. Feuchtigkeit benetzte ihre Fingerspitzen. Als sie die Tränen dann mit ihren Handrücken wegwischte fiel ihr die Morgenröte in die Augen. Erschrocken öffnete sie komplett die Augen. War es schon so spät? Schnell wischte sie auch die letzten Reste ihrer Tränen von den Wangen. Irgendetwas war seltsam. Anspannung fuhr durch ihren ganzen Körper. Jemand beobachtete sie, das wurde ihr in diesen Moment klar. Ihr Blick schweifte über die Straße, bis sie seinen Blick traf. Der Mann schaute sie finster an, dann kam er auf sie zu. „Ey! Du da! Eben hast du dich noch als möglicher Sklavenhändler bei mir vorgestellt und jetzt flennst du hier rum. Ist das dein ernst?“. Schnell schätzte sie die Lage ab. Abstreiten würde nichts bringen, genauso wenig wie Erklärungen. Vielleicht vermutete er auch schon das sie eine Frau war. Männer durften solche Gefühle nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Genau genommen war es für Männer generell verpönt zu weinen. Es war ein Zeichen der Schwäche und das wiederum war inakzeptabel. Sie musste ihre Männlichkeit beweisen. „Männer zeigen ihren Stolz durch Stärke. Deswegen sind oft auch, aus der Sicht Fremder, sinnlose Prügeleien oder auch ernste Kämpfe. Du musst das nicht verstehen, meine Kleine. Eigentlich versteh ich es auch selber nicht.“, hatte ihr Bruder ihr einmal erklärt als er mit einer Schnittwunde über die Brust nach Hause gekommen war. Es war nur oberflächlich gewesen, doch damals hatte es Sina erschrocken. Das bedeutete wohl das sie jetzt mit diesen Muskelprotz kämpfen musste. Ihr Bruder hatte ihr das kämpfen beigebracht. Er wollte dass sie sich auch wenn er mal nicht gerade in ihrer Nähe war verteidigen konnte. Zudem hatte sie sich immer für solche Sachen interessiert. Natürlich hatten sie das nur im Geheimen gemacht, da es Frauen verboten war Kämpfen in jeglicher Form zu erlernen. „Bist du stumm, oder was. Wenn ich mit dir rede, hast du mir gefälligst zu antworten!“, keifte der Kerl. „Ist es nicht nur Zeitverschwendung jemanden wie dir zu antworten? Wahrscheinlich verstehst du doch eh nur die Hälfte von dem was ich sage oder etwa nicht?“, war Sinas betont gelassene Antwort. „Was? Willst du mich verarschen oder was?“. Der Zorn stand ihn ins Gesicht geschrieben. Seine Adern stießen aus den Gesicht heraus, sodass es so aussah als könnten diese jeden Moment platzen. Seine Hand war schon zur Faust geballt, doch noch griff er sie nicht an, also musste sie noch ein bisschen so weiter machen. „Nö, möchte ich nicht. Aber es ist nett von dir das du meine Theorie noch bestätigt hast, sonst hätte ich bestimmt noch einige Zeit darüber nachgedacht.“ Es war so weit der Kerl kam auf sie zu gestürmt. Das Erste was sie von ihren Bruder gelernt hatte, war es auf die Schwachstellen ihrer Gegner zu achten. Reine Kraft war nicht alles. Das sah sie jetzt auch ihr Gegner hatte viele Muskeln und war auch ohne Frage wesentlich stärker als sie. Allerdings war er etwas schwer fällig und unüberlegt. Trotzdem hatte sie wesentlich weniger tatsächliche Kampferfahrung als ihr Gegner. Wie der Kampf ausgehen würde wusste sie nicht, aber zumindest hatte sie eine Chance. Die Faust von ihn schnellte hervor und zielte genau auf ihre Wange. Kurz bevor er sie traf ging Sina in die Hocke und der Schlag ging ins Leere. Noch während sie in die Hocke ging, machte sie einen Ausfallschritt nach links und rammte ihren Ellbogen so feste sie konnte in die Seite des Mannes. Als dieser sich zu ihr umdrehte setzte sie mit einen Schlag mitten in sein Gesicht nach. Blut floss aus seiner Nase, während sich auf seiner Stirn Zornes falten bildeten. Sina schlug erneut zu, doch dieses Mal fing er ihre Hand ab und quetschte sie schmerzhaft. Dann wollte er ihr denn Arm verdrehen, sodass sie in seiner Gewalt wäre. Diese Situation hatte sie schon tausend mal mit ihren Bruder trainiert. Wenn sie zulassen würde dass er sie so dreht, hätte sie nur eine äußerst geringe Chance das sie seinen Griff wieder entkommen konnte. Geschickt nutzte sie ihre Beweglichkeit und trat ihren Feind mit den anderen Bein direkt in den Nacken. Wie erwartet ließ er ihre Hand los und taumelte ein paar Schritte zurück. Sina nutze die Gelegenheit und trat mit ihren rechten Bein sein Kinn nach oben, wodurch er komplett da Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Dass war das Zeichen für einen solchen Kampf dass der andere gesiegt hatte. Erleichtert atmete Sina auf. Überrascht sah sie das um die beiden herum sich eine ganze Masse an Leuten versammelt hatten. In ihren Gesichtern spiegelte sich ganz eindeutig die Überraschung das hier ein junger Mann wo man kaum Muskeln erkennen konnte gegen diesen sichtlich starken Kerl gewonnen hatte. Genau genommen war sie selbst genauso verblüfft wie die anderen, denn bisher hatte sie ausschließlich Trainings kämpfe gehabt. Das sie ihren ersten realen Kampf gleich gewonnen hatte füllte ihr Herz mit Stolz. „Was glotzt ihr denn so? Noch nie zwei Männer kämpfen gesehen?“, gab sie in groben Ton von sich und überspielte damit ihre wahren Gefühle. Daraufhin zerstob sich die Menge, jeder ging wieder seinen eigenen Geschäften nach, bis auf einen Mann. Er war ungefähr zwei Köpfe größer als Sina, hatte einen Vollbart der so wie seine Haare Blond war. „Ich habe dich zuvor noch nie gesehen. Wer bist du Bursche?“, fragte der Mann grimmig. Angst doch noch entdeckt zu werden keimte erneut in ihr auf. Nach wenigen Sekunden schaffte sie es aber diese zu unterdrücken und ihre Rolle weiter zu spielen. „Wer will das wissen?“, war ihre vor Misstrauen triefende Gegenfrage. Kaum war die Frage ausgesprochen trat stolz in das Gehabe ihres Gegenübers. Sein Rücken streckte sich und er hob scheinbar automatisch das Kinn in die Höhe. „Ich bin Heren Dellan Ruh. Der Sohn des großen Srey Ruh, der den Sklavenhändlern der ganzen Stadt vorsteht. Er ist der Vorreiter...“. „Jaja, ich weiß wer Srey Ruh ist! Weitere Erklärungen sind überflüssig.“, winkte Sina schnell ab, da sie befürchtete das Heren sonst einen endlos erscheinenden Vortrag hallten würde. Verblüfft sah er sie an, anscheinend hatte er nicht damit gerechnet unterbrochen zu werden. Vermutlich wurde er sonst immer mit den selben Respekt behandelt wie sein Vater und vielleicht war es auch ein Fehler gewesen das nicht zu tun, aber jetzt war es zu spät. Jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen. „Also Heren willst du irgendetwas von mir, oder versuchst du nur Kontakte zu knüpfen?“. „Ich ... nun ja...“, stotterte Heren der offenbar nicht wusste wie er darauf reagieren sollte. „Also wolltest du nichts. Also ich habe keine Zeit um den ganzen Tag hier herumzustehen. Wenn du mir also nicht eine Arbeit in einen der Sklavenhäuser anbieten möchtest dann mache ich mich jetzt auf den Weg.“, meinte Sina mit einer gespielten Gleichgültigkeit. Es war als wenn plötzlich jemand anderes in ihren Körper wäre und ihre Schritte lenkte. Als wenn sie von außen auf ihren eigenen Körper schauen würde. Heren fand sein Selbstbewusstsein anscheinend wieder denn er nahm die Gleiche Position wie zuvor ein: „Wenn du eine Arbeitsstelle als Sklavenhändler möchtest, wie kommt es dass du mich nicht kennst? Mich kennt jeder in dieser Branche!“. „Wozu soll ich dich kennen? Ich habe Respekt vor Leuten die sich ihre Position selbst erarbeiten und nicht durch die Arbeit ihrer Familie deren Ruhm einheimsen. Natürlich wusste ich dass der große Srey Ruh einen Sohn hat. Aber ich habe mich einfach nicht weiter für dich interessiert.“. In Herens Gesicht spiegelte sich eine Flut von unterschiedlichen Gefühlen ab, bis er endlich eine Meinung entwickelt hatte wie er dazu stehen sollte. „Ich werde dich meinen Vater vorstellen. Komm mit.“, gab er emotionslos von sich, drehte sich auf den Absatz um und ging ohne nochmal auf Sina zu achten los. Angst kroch Sina bis ins Mark. In was für eine Situation hatte sie sich nur gebracht. Sollte sie ihn wirklich folgen? Aber was hatte sie schon für eine andere Wahl? Ein Seufzer entfuhr ihr, doch dann ging sie ihn einfach hinter her. Die ganze Strecke über dachte sie darüber nach was Heren vor hatte. Warum wollte er sie seinen Vater vorstellen. Heren blieb vor einen ganz normalen Haus stehen. Irgendwie war Sina enttäuscht, sie hatte gedacht wo immer sich Srey aufhalten würde, wäre immer pompös und auffällig. „Sind wir da?“, fragte sie deswegen in skeptischen Ton. Heren grinste: „Hast wohl was anderes erwartet. Da bist du denn doch wie die anderen.“. Heren kramte einen kleinen Schlüssel aus seiner Tasche und schloss die schmucklose Tür auf. Der Flur indem sie sich jetzt befanden, war bis auf eine Garderobe und Familiengemälde an den Wänden leer. Nur der Boden war aus etwas hochwertigeren Stein. Sie durchschritten gemeinsam den Flur und Sina beschlich immer mehr das Gefühl das er sie tatsächlich in das private Zuhause von den Ruhs geholt hatte. Die Frage war nur wieso? „Warte hier kurz!“, meinte Heren und ging in ein Zimmer von dem Sina vermutete dass es das Wohnzimmer war. Rechts ging eine Wendeltreppe ins obere Stockwerk, anscheinend war das gesamte Haus so ausgelegt das eine einzige Familie darin lebt und nicht so wie in den meisten Häusern zwei bis drei. Auf der linken Seite hing ein Gemälde mit den Antlitz von zwei Kindern. Der Junge darauf war vermutlich Heren und das Mädchen vermutlich eine Freundin oder eine entfernte Verwandte. Plötzlich wurde die Tür erneut aufgestoßen. Heren gebot ihr einzutreten und dieses Mal gehorchte Sina ohne Widerworte. Der Raum war überraschend klein. Zumindest wirkte es auf den ersten Blick so, was aber auch deshalb so wirkte, weil es in den Raum recht dunkel war. Die Fenster waren spärlich und schmal. Weswegen, obwohl die Sonne mittlerweile voll aufgegangen war, Kerzen angezündet waren. Der Boden war zwar relativ hell, doch dafür waren die Möbelstücke groß und sperrig, so wie sie vor vielen Jahren üblich waren. Vermutlich waren sie von Generation zu Generation weitergegeben wurden. An den Tisch der den Mittelpunkt des Raumes bildete saß Srey Ruh mit seiner Frau. Erst in diesem Moment fiel Sina auf das sie noch nie etwas von ihr gehört hatte. Anscheinend hielt Srey sie bewusst aus der Öffentlichkeit heraus. Sina blieb mit gebührlichen Abstand vor den Paar stehen und verneigte sich. Heren hob kurz die Augenbraue, doch dann wandte er sich seinen Vater zu: „Vater das ist der Mann von den ich dir gerade erzählt habe.“ Sina sah das in Sreys Gesicht Skepsis geschrieben stand. „Er wirkt nicht anders als alle anderen... Außer vielleicht schwächer.“. „Du hättest...“, setzte Heren an, doch sein Vater unterbrach ihn: „Also du hast Loier besiegt. Er ist ein starker Kämpfer und dich habe ich zuvor noch nie gesehen. Wer bist du? Und wo kommst du her?“. Sinas Herz schlug ihr bis zum Hals, doch sie versuchte die Anspannung möglichst gut zu überspielen. Ihre Geschichte musste nun überzeugen: „Mein Name ist Siret Mereno. Ich reiste bisher viel und bin nun zum zweiten Mal in Schean. Und da ich mittlerweile genug habe ständig umherzureisen habe ich beschlossen mich hier nieder zu lassen und mir Arbeit zu suchen.“ „Siret, also, warum hier und warum als Sklavenhändler?“, fragte der Mann während er sie so intensiv betrachtete als könne er in sie hinein sehen. „Ich bin hier geboren worden, zwar bin ich schon als Kleinkind hier weg gezogen, aber ich finde das die Heimatstadt am geeignetsten ist um sich nieder zu lassen. Wie auch immer, einen wirklich nachvollziehbaren Grund habe ich nicht.“, sagte sie Schulter zuckend. „Und warum ich Sklavenhändler werden möchte ist ich weiß das ich dafür geeignet bin und ich befehle gerne anderen was sie zu tun haben.“. „Noch eine letzte Frage: Wieso hast du dich nicht einfach bei meinen Sohn eingeschleimt um dein Ziel zu erreichen?“. Sreys Gesicht zeigte nun echtes Interesse, die Fragen vorher waren wohl nur so eine Art Vorgeplänkel. „Warum hätte ich das tun sollen? Er hat sich in meinen Augen noch nicht entsprechenden Respekt verdient. Ich sehe nicht ein wieso ich so tun sollte als ob. Wenn ich nur so eine Arbeit in dieser Stadt kriege, ziehe ich doch lieber in eine andere. Bin ich nur hier um für mein Fehlverhalten getadelt zu werden. Wenn das nämlich so ist würde ich das langsam gerne beenden. Ich habe wirklich besseres zu tun.“ . Sina beobachtete wachsam die Gesichtsausdrücke der Anwesenden. Sie wirkten recht zufrieden. Anscheinend testeten sie sie. Gerade wandte sie sich zum gehen als Srey sie zurück rief. „Vielleicht habe ich eine Arbeit für dich, allerdings musst du dich dafür noch beweisen. Interessiert?“. Bei Sina läuteten alle Alarmglocken, trotzdem drehte sie sich wieder um: „Um was für eine Probe geht es denn?“. Srey lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Wenn du es machst, wirst du es sehen. Du bist doch kein Angsthase oder etwa doch?“ „Natürlich nicht. Ich wüsste nur gern ob sich der Aufwand lohnt. Ich weiß ja nicht einmal in welche Position und wo ich genau dann arbeiten würde.“ „Na schön, wenn du die Prüfung bestehst dann wirst du Wächter mit Aufstiegschancen in einen Sklavenhaus deiner Wahl. Was sagst du?“, fragte Srey der sich sicher war das Siret zustimmen würde. Doch Sina schüttelte den Kopf: „Dann lehne ich ab. Ich möchte kein Türsteher werden. Die Meiste Zeit stehen die Kerle doch nur rum und müssen warten bis was passiert. Nein ich möchte mittendrin sein. Wenn das Angebot lauten würde Sklavenhändler mit guten Aufstiegschancen in einen Sklavenhaus meiner Wahl dann sähe die Sache schon wieder ganz anders aus!“. Srey streichte überlegend mit seiner Hand über die Wange. Einige Minuten des Schweigens machten Sina fast verrückt. Ihre Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis. Vielleicht hätte sie sein Angebot annehmen sollen, aber als Türsteher wäre sie nicht an ihren Bruder heran gekommen und bis sie bei der Arbeit aufgestiegen wäre, wäre ihr Bruder eventuell schon verkauft. Andererseits könnte es jetzt auch sein das sie gar keine Arbeit in einen Sklavenhas mehr kriegen würde und was würde sie dann machen. Vermutlich müsste sie dann den weitaus schwierigeren Weg, der auch noch eine geringe Erfolgsaussicht hatte, gehen. Sie müsste einbrechen und ihn dann so irgendwie raus holen. Ihre Planungen vertieften sich immer mehr in diese Möglichkeit, da sie um so länger ihr Gegenüber nachdenken musste die Wahrscheinlichkeit dass er zustimmen würde, als sehr gering einschätzte. „Wenn du denn Test mit Bravur bestehst stimme ich deiner Forderung zu.“. Ein Lächeln umspielte Sinas Lippen. „Also sei morgen bei Sonnenaufgang an der Mauer des großen Marktplatzes.“ „Ich werde da sein.“, erwiderte Sina, verbeugte sich leicht und ging wieder raus auf die Straße.
Heute war sie ihren Ziel ihren Bruder zu retten ein gutes Stück näher gekommen. Sie musste es nur irgendwie schaffen den Test was auch immer das war zu bestehen. Sie hätte nie damit gerechnet das sie bei den Versuch ihren Bruder zu retten Srey Ruh persönlich treffen würde. Dieser Mann galt in den höheren Kreisen als brilliant, denn er hatte dafür gesorgt dass die Sklavenhäuser in Terju zusammenarbeiten und sich der Großteil auch zusammenschließt. Dies hatte viele Vorteile für Geschäftsleute aus dieser Branche und ein paar wenige für die Sklaven selbst. Nachteile gab es durch die Veränderungen die er vor sechs Jahren verursacht hatte zwar kaum, aber dennoch hatte Sina eine Abneigung gegen diesen Mann. Vermutlich lag es aber nur daran dass sie generell gegen Sklaverei war und Srey mit an dessen Spitze stand. Ihn den Großen zu nennen fand Sina ebenso unangebracht, denn solche Titel sollten ihrer Meinung nach an Helden vergeben werden oder an Revolutionäre. Aber bei Srey konnte sie weder das eine, noch das andere erkennen. Geistesabwesend schlenderte sie durch die Straßen Scheans. Ein Ellbogen knallte in ihre Rippen, noch bevor sie darauf reagieren konnte fuhr die Frau sie an: „Was soll das hast du keine Augen im Kopf?“. „Es tut mir leid“, erwiderte sie knapp. Nachdem die Frau kopfschüttelnd weiter gegangen war, setzte auch Sina ihren Weg fort. Jedoch wusste sie nicht wohin sie überhaupt gehen sollte, schließlich konnte sie nicht nach Hause, hatte kein Geld für eine Pension und würde vor morgen auch nichts erhalten. Ihre Schritte hatten sie automatisch in Richtung ihres Zuhauses geführt. Das Haus dem sie jetzt gegenüber stand, war ihr Leben lang ihr Zufluchtsort gewesen. Egal was passiert war oder wie schlecht es ihr auch ging, hier hatte sie immer Verständnis gefunden. Sehnsüchtig schaute sie in die Fenster. Schemenhaft erkannte sie ihre Eltern wie sie immer wieder auf und ab gingen. Natürlich wusste sie das ihre Eltern sich um sie sorgten, doch sie konnte nicht zu ihnen um alles zu erklären. Jemand könnte sehen wie sie in das Gebäude rein oder raus geht und dann war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie aufflog. Stattdessen ging sie daran vorbei, bog rechts ab und ging dann eine schmale, etwas vermoderte Treppe hinunter. Solche Treppen gab es zwei Dutzend in der Stadt. Sie waren angefertigt worden um unterhalb der Stadt Bäder zu bauen. Damals sollte die Stadt aufgewertet werden, da sich die Besucherzahl immer mehr verringert hatte. Mitten in den Arbeiten hatte ein Erdbeben in der Stadt viele Schäden angerichtet. Selbst für die Bäder die unbeschädigt waren, war kein Geld mehr vorhanden gewesen. Es gab wesentlich wichtigeres wofür das Geld eingesetzt werden musste. Irgendwann war das Projekt dann in Vergessenheit geraten, zumal mittlerweile wieder mehr Touristen kamen. Nun wurden die unfertigen Bäder von Kindern für Mutproben genutzt und von heimatlosen Menschen als Notunterkunft. Niemand verweilte hier gern. Das Bad zu den sie jetzt hinabgestiegen war, war im Gegensatz zu den meisten anderen, schon recht weit fortgeschritten gewesen. Die meisten Säulen die die Decke trugen waren fertig mit Marmor verkleidet. Dieser sollte die Holzbalken vor Nässe schützen und einen edlen Eindruck hinter lassen. Die Decke war auf die gleiche Weise gefertigt. Holz war nur noch bei den Wänden, den teil des Bodens wo das eigentliche Bad entstehen sollte, sowie zwei der Balken zu sehen. Dennoch sah es nur in den ersten Bereich, wenn man von dem morschen Holz an einigen Stellen absah, annehmbar oder auch nur relativ sicher aus. Sobald man weiter rein ging, sah man einige Stellen die bei den Erdbeben damals zusammengebrochen waren. In den letzten Teil der damals das Highlight werden sollte konnte man eigentlich gar nicht mehr rein gehen. Als Kind hatten die Freunde ihres Bruders einmal von ihr verlangt, dass sie in eine der wenigen Spalten rein klettere und eine halbe Stunde dort ausharre. Damals hatte sie gedacht dass sie dann nicht nur von ihren Bruder sondern auch von dessen Freunden akzeptiert würde. Doch das war ein Irrtum gewesen und als ihr Bruder davon erfahren hatte, war dieser sauer auf sie gewesen und hielt sie seitdem stets von seinen Freunden fern. Aber heute hatte sie nicht vor, weiter als bis zu den ersten Teil, in den sie sich jetzt befand vorzudringen. Sina ging zu einen der Marmorsäulen und setzte sich dort hin. Noch war kein anderer hier, doch der Tag war mittlerweile schon etwas weiter fortgeschritten und bald würden alle guten Plätze belegt sein.
Eine halbe Ewigkeit schien Sina nun schon an dieser Mauer zu warten. Die Mauer war eins der wenigen Überbleibsel aus der Zeit, wo Schean nur halb so groß war. Sinas Blick schweifte von der einen Seite des Marktplatzes zur anderen Seite, doch Srey war nirgendwo zu sehen. Zu ihren Missfallen wurde der Marktplatz stattdessen immer voller und unübersichtlicher. Wenn Srey nicht bald kam, würde sie wohl gar nicht mitbekommen wenn er dann schließlich da war. Oder hatte er sich vielleicht einen Spaß mit ihr erlaubt? Nein, so hatte er nicht auf sie gewirkt. Sie musste einfach Geduld haben, sagte sie sich. Als die Sonne jedoch komplett aufgegangen war, hatte sie immer mehr Schwierigkeiten die Hoffnung nicht gänzlich zu verlieren. Die Menschen um sie herum wurden immer geschäftiger. Schon nach kurzer Zeit hatten die meisten ihre Schläfrigkeit abgeschüttelt und zeigten wahren Eifer. Auch die Sklavenhändler hatten ihren Stand aufgebaut und präsentierten ein paar ihrer Sklaven. Der Marktplatz war nicht ihre Haupteinnahmequelle, aber sie leistete ihnen gute Dienste um das Interesse der Leute zu wecken. Deshalb wurden hierfür nur ansehnliche Sklaven verwendet. Sie seufzte und ließ ihren Blick erneut über den Marktplatz schweifen, als ihr Blick wieder bei den Sklaven ankam erstarrte sie. Es war als wenn ihr gesamtes Blut in den Adern plötzlich gefroren wäre. Ungläubig blinzelte sie und schaute erneut dorthin. Aber sie hatte sich nicht geirrt. Ihr Bruder war bei den Sklaven die vorgeführt wurden. Plötzlich tropfte etwas auf ihre Brust. Erschrocken schaute sie an sich runter. Blut. Es tropfte erneut. Dieses Mal hatte sie es mitbekommen, es kam von ihrer Unterlippe. Offenbar hatte sie sich als sie ihren Bruder dort gesehen hatte so stark auf die Unterlippe gebissen, das ein Stück davon abgegangen war. Schnell holte sie ein Tuch aus ihrer Tasche und entfernte das Blut aus ihren Gesicht. Ständig kam ihr in den Kopf das sie etwas tun musste. Oft waren die Sklaven die auf den Markt kamen, am Abend schon verkauft. Das durfte nicht geschehen. Sina ging auf den Stand zu, doch bevor sie ankam stellte sich ihr jemand in den Weg. Es war Srey. Entsetzt hielt sie einen Moment inne, doch dann schlüpfte sie doch noch in ihre Rolle. Mit einer hochgezogenen Augenbraue brummte sie: „Ich habe nicht mehr damit gerechnet das heute noch jemand kommt.“. Doch Srey zuckte lächelnd mit den Schultern: „Ich bin ja auch viel beschäftigt, da kann sowas schon mal passieren.“. „Selbst dann kann man jemanden schicken der den Termin verschiebt... Können wir denn jetzt diese Probe machen? Ich habe nämlich besseres zu tun als den ganzen Tag hier zu vergeuden.“ Das Grinsen wich noch immer nicht aus Sreys Gesicht, während Sina versuchte eine Lösung zu finden wie sie es verhindern konnte das ihr Bruder verkauft würde und gleichzeitig ihre Fassade aufrecht zu halten. Beides für sich genommen war schon schwer genug, doch zusammen schien es ihr so gut wie unmöglich und doch funktionierte es nur zusammen. „Wir reiten aus. Die Pferde stehen hinten am Ende des Marktes. Komm mit.“, sagte Srey und drehte sich um. Der Weg führte vorbei an den Sklavenstand. Eilig holte sie ein kleines Stück Papier, das sie extra für so einen Anlass mitgenommen hatte, aus ihrer Hosentasche. Ihren Zeigefinger drückte sie feste auf die Wunde an ihrer Lippe und kritzelte dann auf das Papier: Nicht verkaufen, Sina. Dann faltete sie es kurz und folgte Srey, jedoch in gewissen Abstand. Jevro stand zum Glück links außen in der hintersten Reihe, deswegen hatte sie ihn eben auch nur auf den zweiten Blick gesehen. Sina ging nah an den Sklaven vorbei dadurch würde, so hoffte sie, ihr Vorhaben weniger auffällig sein. Es waren nur zwei Sklavenhändler da. Einer beriet gerade einen möglichen Kunden und der andere ging die Reihen ab. Sie hatte ihre Schritte nun so angepasst dass sie bei ihren Bruder ankommen würde wenn der Händler den schlechtesten Blick auf diese Ecke hatte. Der Augenblick passte perfekt. Absichtlich rempelte sie ihren Bruder an. Jevro wollte sich gerade beschweren, dass sie doch besser aufpassen solle. Wenn sich Jevro über etwas ärgerte machte er fast immer die gleichen Gesten mit der Hand. Und gerade als er wieder diese Geste machen wollte drückte sie ihn den Zettel in die Hand. Dabei zwinkerte sie ihn kurz zu und hoffte das er verstand. Doch sie befürchtete das er sie nicht erkannt hatte, so konnte sie nur hoffen das er dennoch auf den Zettel reagierte und das er auch wusste wie. Obwohl sie voller Sorge war und am liebsten bei ihm stehen bleiben würde um ihn alles zu erklären, ging sie ohne sich noch einmal umzudrehen weiter. Für den Moment hatte sie alles in ihrer Macht stehende getan, jetzt musste sie sich auf die vor ihr liegende Prüfung konzentrieren, was es auch immer sein sollte. Die Stadt lag nun hinter ihnen. Nachdem sie durch das Tor der Stadtmauer hindurch geritten waren hatte Srey seinen Hengst zu einen leichten Trab angetrieben und Sina tat es ihn gleich. Auch wenn sie, um ein Gespräch zu vermeiden, ein Stück hinter ihm ritt. Ihre Gedanken kreisten immer noch um ihren Bruder und die Nachricht. Plötzlich zügelte Srey sein Pferd und sie wäre fast an ihn vorbei geritten. Abrupt brachte sie das Pferd das ihr geliehen wurden war zum stehen. „Soll hier die Prüfung stattfinden?“, fragte sie und sah sich dabei um. Sie waren mitten in einen der wenigen nicht bebauten Gebiete Terjus. Nur Felder und ein paar kleine Wiesen zierten die Umgebung. Die Wege glichen mehr Trampelpfaden. Es war wenig Platz vorhanden, denn Feldern durfte kein Schaden zugefügt werden, denn sie waren im Notfall die Einzige Möglichkeit wie Terju ohne die anderen Länder existieren konnte. „Um genau zu sein hier.“; meinte Srey und deutete auf die kleine Wiese, vor der sie gerade zum stehen gekommen waren. Dann holte er zu näheren Erklärungen aus und stieg dabei ab. Sina tat es ihm gleich und folgte ihn, etwas unsicher ob sie das Pferd ohne es irgendwo fest zu machen einfach da stehen lassen konnte, auf die Wiese. „Ich erkläre dir eben wie die Prüfung aussehen wird und bevor wir anfangen machen wir sie an einen Holzpfahl der am Ende meines Feldes steht fest.“, erklärte er als er Sirets Blick sah. „Also grob genommen sollst du mich besiegen, jedoch gibt es da weitere Regeln zu beachten. Wir benutzen keinerlei Waffen und keiner von uns darf den Rand der Wiese übertreten. Verstanden?“. Sirets Blick schweifte über die Wiese, wie alle anderen war sie klein. Zu klein für einen vernünftigen Kampf, was wiederum bedeutete dass das ihr Hauptproblem werden würde. Noch nie zuvor hatte sie auf Grenzen Rücksicht nehmen müssen. „Ist das ein Problem für dich?“, fragte Srey genervt. Siret verneinte und sie begannen zu kämpfen. Siret setzte bei diesen Kampf auf ihre Wendigkeit und ihre Ausdauer, denn sie wusste dass Srey wesentlich mehr Erfahrung hatte und auch viele Tricks kannte. Dennoch war er nicht mehr der jüngste und würde nach einiger Zeit müde werden. Das war der Punkt an dem Siret den Kampf für sich entscheiden wollte. Sie musste nur aufpassen das sie vorher nicht den Rand überschritt. Einige Zeit schien ihr Plan auch zu funktionieren. Doch dann änderte Srey plötzlich seine Taktik. Scheinbar hatte er ihren Plan durchschaut, denn er wurde sehr viel defensiver. Nach kurzer Zeit hatte sich der Kampf so eingespielt das sie sich einen gegenseitigen Schlagabtausch lieferten, der keinen von beiden besser da stehen ließ. Erst nach einer Stunde intensiven Kampfes machte sich bei Srey langsam das Alter bemerkbar. Siret schien den Kampf zu gewinnen. Sreys Faust schnellte hervor, doch Siret bückte sich nur kurz, schnappte sich den Arm von Srey, drehte ihn zur Seite und trat ihn zweimal hinter einander in den Bauch. Dann erst ließ sie ihn los. Srey taumelte kurz nach hinten und Siret hoffte schon das er über die festgesetzte Grenze taumeln würde und der kräftezehrende Kampf endlich vorbei wäre, doch so weit kam es nicht. Srey fasste sich schnell wieder und ging zu einen erneuten Angriff über. Mittlerweile konnte Siret Sreys Vorhaben vorhersehen. Offenbar war Srey zwar außerhalb des Kampffeldes ein großer Denker, konnte aber im Eifer des Gefechts nur seine festgefahrene Kampfart umsetzen. In diesen Moment wollte Srey mit der rechten Hand vortäuschen Sirets Seite zu attackieren, aber in Wirklichkeit, ihr Kinn mit seinen Fuß nach oben schleudern. Sie wusste auch schon wie sie das abwehren würde. Und zwar wollte sie während sie die Faust mit ihrer Hand aufhielt, eine halbe Brücke rückwärts machen, wodurch sie ohne Probleme den Fuß von Srey ausweichen würde. Doch gerade als sie in der Bewegung war sich so weit nach hinten zu lehnen stürzte etwas aus der Luft an ihr vorbei. In dem Moment in den sie deswegen inne gehalten hatte, wurde sie auch schon getroffen. Die Wucht des Tritts lies sie über den Boden schledern. Schnell stand sie wieder auf und bemerkte dass sie nur haarscharf vorm Ende der Wiese angehalten hatte. Srey griff sie immer wieder neu an. Sie war in der defensive. Ihre Versuche wieder die Oberhand in den Kampf zu bekommen scheiterten jedes mal. Mitten in einer Kampfbewegung blieb sie plötzlich stehen, so als wollte sie sich ergeben. Srey war irritiert und fragte etwas enttäuscht: „Möchtest du aufgeben?“. Siret schüttelte den Kopf und griff im gleichen Moment wieder an. Der Kampf war wieder einigermaßen ausgewogen. Doch kurz nachdem Siret dies gelungen war, trat sie bei einen erneuten Angriff mit den hinteren Fuß über die Grenze. Der Kampf war vorbei. Beide waren erschöpft wollten es den anderen aber nicht all zu deutlich zeigen. „Du hast dich gut geschlagen, aber dennoch verloren.“, Srey verneigte sich kurz zum Zeichen der Anerkennung vor Siret und bot ihn dann an das sie noch einen Abschlussausritt machen könnten. Siret ging, dankbar dafür das sie dann sitzen konnte, darauf ein. Durch den Kampf waren beide so erschöpft das keiner von ihnen ein Wort sagte. Sie ritten so weit dass sie schon die Stadt Gerlu sehen konnten. Von außen war sie nicht viel anders als Schean, doch da sie erst einige Jahrzehnte nach Schean erbaut worden war,war sie etwas besser intakt und hatte etwas gröber gearbeitete Gebäude. Das Land hatte Wohnplätze gebaut und unter anderen mit Gerlu diese zu möglichst geringen Preis geschaffen. Ein Poltern riss Sina aus ihren Gedanken und ihr wurde schlagartig bewusst warum sie überhaupt hier war. Hektisch sah sie in die Richtung aus der das Poltern gekommen war. Srey war nicht mehr auf seinen Pferd. Eine Gruppe Banditen hatten ihn vom Pferd gezogen und ein kräftiger Mann mit schmierigen Haaren hielt Srey eine Klinge an den Hals. „Hey, du da!“, sagte ein drahtiger Mann der der Anführer zu sein schien. „Du wirst jetzt tun was ich dir sage, sonst töten wir Srey Ruh!“ Siret sagte nichts, stattdessen schaute sie den drahtigen Mann unberührt an. Dieser war dadurch jedoch nicht beunruhigt, der kräftige jedoch offensichtlich schon, denn er drückte die Klinge fester an die Kehle von Srey, sodass seine Haut der Klinge fast nachzugeben schien. „Du wirst unser Bote sein! Als erstes wirst du Sreys Frau ausrichten dass sie eine Millionen Naio uns aushändigen soll, wenn sie ihren Mann lebend wieder sehen will.“. Als Siret keine Anstalten machte zu gehen, brüllte er: „Hast du verstanden, Bursche?“. Siret schaute, noch immer zu ruhig für den Geschmack der Banditen, zwischen den beiden Hauptakteuren hin und her. Der Bandit der Srey bedrohte drückte die Klinge mittlerweile so feste zu das ein paar Tropfen Blut hinunter fielen. Siret zuckte mit den Schultern: „Von mir aus.“. Sie drehte sich und konnte dabei sehen dass sich die Klinge nicht mehr in der Haut von Srey steckte, jedoch immer noch drohend davor schwebte. Als sie sich schon fast komplett gedreht hatte, holte sie einen Dolch heraus, den sie vorsichtshalber unter ihren Pullover versteckt hatte, drehte sich in der Bewegung wieder zurück und schleuderte den Dolch mitten ins Auge von den kräftigen Kerl. Er fiel auf der Stelle um. Siret lief zu Srey , holte den Dolch aus den Kopf des Banditen und zog den baffen Srey mit zu den Pferden. Die Banditen wollten gerade weglaufen, da überlegte es sich ihr Anführer scheinbar anders. Er blieb stehen, drehte sich zu den beiden um, die bereits wieder aufgesessen hatten und rief: „Ruh! Unsere Abmachung! Wir haben stärkere Verluste erlitten als abgesprochen. Die Entschädigung muss erhöht werden!“. Obwohl er sich bemüht hatte selbstsicher aufzutreten, hatte er ein Zittern in der Stimme nicht verbergen können. Siret sah fragend und auch etwas wütend zu Srey herüber: „Was hat das zu bedeuten?“. Srey, der sichtlich in Verlegenheit war, murmelte: „Das wollte ich dir gerade erklären.“. Dann richtete er sich an den Banditenführer: „Ja, damit habe ich nicht gerechnet... Wir werden wohl noch mal darüber reden müssen. Komm morgen Abend zu unseren Treffpunkt.“ Dieser nickte und folgte seinen Kameraden. „Was für ein Abkommen?“, platzte es aus Siret raus. „Stärke und Taktik entscheidet nicht nur über...“, setzte Srey zur Erklärung an, doch Siret unterbrach ihn: „Willst du mir damit sagen, ich habe einen Mann getötet, um eine Prüfung zu bestehen.“ „Naja, du warst ja der Meinung ich wäre in Lebensgefahr... Ich bin ja nicht davon ausgegangen dass du den Kerl direkt tötest.“ „Ich hätte ihn ja auch in den Bauch geschossen, doch da standest du! Wovon bist du dann ausgegangen? Wie hätte ich das Problem deiner Meinung nach lösen sollen?“, fragte sie ihn vorwurfsvoll. Srey holte tief Luft, dann antwortete er: „Meine Theorie war, das du entweder das tust was sie dir sagen und vielleicht eine bessere Gelegenheit abwartest oder weg gehst und dann von hinten den Mann angreifst.“ Siret schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber dadurch hätte die Gefahr bestanden, dass sie sich in ihr Revier zurück ziehen und sie dadurch Heimvorteil hätten. Zudem bestand die Gefahr dass sie dich töten und deine Leiche verschwinden lassen und die Bestechung solange fortsetzen bis sie damit keinen Erfolg mehr haben. Mir schien diese Lösung am sichersten. Außerdem hätte ich es nicht mit der ganzen Bande aufnehmen können und im Fernkampf bin ich nun mal am Besten.“ Srey schaute zu Boden: „Anscheinend bin ich in der Entwicklung wirksamer Strategien etwas eingerostet.“ „Und wer waren diese Kerle? Arbeiter von dir?“, erkundigte sich Siret wieder im nüchternen Tonfall. Srey schüttelte den Kopf: „Solche Leute würde ich nicht einstellen! Das war tatsächlich eine Diebesbande. Ich habe ihnen einiges an Geld versprochen, doch das werde ich wohl jetzt noch weiter erhöhen müssen. Vielleicht werde ich ihnen tatsächlich eine Millionen geben müssen...“. Einige Zeit ritten sie erneut stumm neben einander her. Ein jeder schwer damit beschäftigt, dass soeben erlebte zu verdauen. Fast waren sie wieder an der Wiese an der der erste Teil der Prüfung stattgefunden hat. Schlagartig konnte Siret einer Frage nicht mehr ausweichen: „Habe ich die Prüfung jetzt eigentlich bestanden?“. „Oh ja! Und zwar völlig eindeutig! Du kannst morgen anfangen.“. Srey verstummte und sein Gesicht nahm einen überlegenden Ausdruck an. „Möchtest du in einen bestimmten Sklavenhaus arbeiten?“. „Ich kenne die Namen der einzelnen Häuser noch nicht. Aber als ich mir einige davon angesehen habe, hat mir das mit den Symbol, wo der Adler im Käfig ist am meisten gefallen.“. „Hawkwar, also. Na schön, den kannst du da als Sklavenhändler arbeiten. Sobald du mehr Erfahrung hast, wirst du eine höhere Position und beratende Position an meiner Seite einnehmen. Sei morgen bei Sonnenaufgang dort, ich werde dich bei den Hawkwar- Führer vorstellen.“, meinte Srey, verabschiedete sich und ritt, da sie in der Zwischenzeit wieder in die Schean angekommen waren, davon.
Sina konnte kaum glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatte. Alles lief gut, zu gut. Einer von Sreys Männern trat an die Trense des Pferdes auf dem Sina gerade saß. Sie stieg ab, schaute den Jungen, der ungefähr in ihren Alter sein musste fragend an. Dieser stammelte schnell: „Meister Ruh hat mir aufgetragen, das Pferd seiner Frau wenn ihr zurück seit, zurück zu den Stallungen zu bringen.“. Sina schaute den Jungen eindringlich an. Sie kannte ihn wirklich. Als sie noch kleiner waren, hatten sie manchmal zusammen gespielt. Irgendwann war er nicht mehr getroffen. Und jetzt trafen sie sich hier wieder. Vermutlich war er einer von Sreys Sklaven. Es war seltsam der Junge war, wenn sie sich richtig erinnerte sogar ein Jahr älter als sie. Trotzdem kam es ihr so vor als wenn sie Erwachsen wäre und ein Kind ansah. Der Grund war wohl, das John, so hieß er, sich mehr zurück gezogen hatte und eine geduckte Verhaltensweise an den Tag legte, während sie über sich hinaus wuchs. „Sir?“, fragte John ängstlich. „Ja, das ist okay. Habe dank.“, sagte sie schnell. Er führte das Pferd daraufhin ab und auch Sina setzte ihren Weg fort. Bald war der Markt zu Ende, wenn sie viel Glück hatte, würde sie vorher noch überprüfen können, ob ihr Bruder schon verkauft war. Um so näher sie den Markt kam, des so größer wurde ihre Angst. Viele hatten schon ihre Stände abgebaut und manche waren gerade dabei es ihnen nach zu machen. Der Sklavenstand stand jedoch noch. Solche Stände wurden meistens als letztes abgebaut, denn manche Leute genierten sich so öffentlich zu zeigen dass sie genug Geld hatten um sich Sklaven zu kaufen. Die Reihen waren deutlich leerer geworden. Aber sie hatte Glück ihr Bruder war noch da. Gerade in diesen Moment sah sie das ein potenzieller Käufer auf ihren Bruder zu ging. Beinahe wäre sie hingestürzt um ihn aufzuhalten, da sah sie das er plötzlich angewidert stehen blieb. Jevro hatte den Kopf schief gelegt und verzog irgendwie das Gesicht. Sina musste sich anstrengen um aus der Entfernung zu erkennen was ihr Bruder machte. Doch dann konnte sie es erkennen, er tat so als wäre er verrückt. Er ließ seine Augen unkontrolliert hin und her rollen und zuckte öfters mit den Kopf. Der Interessent ging im weiten Bogen wieder weg. Erleichtert schaute sie wieder zu ihren Bruder. Kaum hatte sich der Mann von ihm entfernt war sein Gesichtsausdruck wieder vollkommen normal. Lang würde er dieses Spiel nicht durch halten. Aber bei den Tempo wie sie voran kam musste er das ja auch gar nicht. Heute würde er jedenfalls nicht mehr verkauft werden. Mit dieser Gewissheit schlenderte Sina zu den gleichen Versteck in dem sie sich die Nacht zuvor aufgehalten hatte. Dieses Mal waren die Besten Plätze schon weg. Sie hatte weiter rein gehen müssen und saß nun unter einen kaputten Brett. Der Marmor war hier noch nicht verwendet worden und die Stabilisierung die das Holz bewirken sollte wirkte unsicher auf Sina. Ganz zu schweigen davon das es schon ein Loch hatte durch das Wasser auf sie herunter tropfte.
Sie ging immer wieder auf und ab. Es war ein Problem gewesen sich für ihren ersten Arbeitstag angemessen zu kleiden. Durch die undichte Stelle im Holz hatte sie, um die Kleidung nicht unnötig zu verschmutzen, sich versucht so hin zu legen dass sie nichts abkriegte. Dadurch war die Kleidung zwar noch gerade so annehmbar, aber dafür war sie jetzt etwas steif. Srey kam lächelnd auf ihn zu, begrüßte ihn jedoch sehr formell. Während sie ins Gebäude gingen erklärte er ihr einiges über die Sklavenentwicklung in dieser Stadt, doch Sina hörte nicht wirklich zu. Sie war abgelenkt und versuchte möglichst unauffällig ihren Bruder irgendwo zu entdecken. Als sie irgendwann vor einer Tür stehen blieben, die besonders kunstfertige Schnitzereien enthielten, wusste Sina das sie die Suche nach ihren Bruder wohl zurückstellen musste. Srey klopfte an die Tür wartete aber nicht bis er herein gebeten wurde. „Miro, schön dich zu sehen!“, meinte Srey noch immer fröhlich. Er trat in den Raum und Siret folgte seinen Beispiel. „Srey Ruh, es ist immer wieder eine Ehre für mich dich hier begrüßen zu dürfen.“, sagte Miro, doch Siret merkte das diese Worte nicht ganz ehrlich gemeint waren. Sowas war wohl der Grund für den zweiten Test gewesen. „Wer ist dein Begleiter?“, fragte Miro etwas zögerlich. „Das ist Siret Mireno. Er wird hier als Sklavenhändler anfangen. Zeig ihm alles und gib ihn ein vernünftiges Zimmer. Ich halte viel von diesen jungen Mann. Also erwarte ich dass er gut ausgebildet wird.“, erwiderte Srey „Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Die Götter seien mit euch.“. Miro und Siret verneigten sich kurz. Kurz darauf waren sie allein in den Zimmer. Erwartungsvoll sah Siret Miro an, der seinen Gesichtsausdruck nach zu urteilen keine Lust hatte jetzt jemanden einzuweisen. Doch er hatte keine andere Wahl, da Srey es ihn persönlich aufgetragen hatte. Seufzend stand er von seinen Schreibtisch auf: „Am besten gebe ich dir erst die Kleidung die du zukünftig tragen wirst. Dann kannst du dich auf deinen Zimmer frisch machen, während ich noch Arbeit beenden muss.“. Miro musterte ihn kurz und nahm dann einen ganzen Stapel Kleidung aus einen der Schränke, die in einen Nebenraum seines Büros standen. Siret konnte kaum glauben dass das alles für sie sein sollte. Es waren mehr Klamotten als sie und ihr Bruder je besessen hatten, auch wenn das Meiste sich sehr stark ähnelte oder gar gleich war. Sie riss ihren Blick von den Stapel los und heftete ihn auf Miro. Miro war ein junger Mann, vermutlich gerade zwanzig. Es war ungewöhnlich das jemand der so jung war, schon so eine Position hatte. Gemeinsam gingen sie aus seinen Büro raus und die weiten Gänge des Hauses entlang. Sein Gang war selbstsicher und bestimmt. Siret vermutete das er es gewohnt war das sagen zu haben. Dennoch waren seine Züge nicht hart. Ihr Zimmer war etwas größer als das Zimmer was sie sich bis vor kurzen mit ihren Bruder bewohnt hatte. Zudem war ein kleines Bad und eine Küche an den Raum angeschlossen, die sie für sich allein nutzen konnte. „Das ist einer unserer besten Räume. Normalerweise kriegt ein einfacher Sklavenhändler nicht so einen Raum. Ich hoffe du weist dass zu schätzen. Ich habe noch ein bisschen was zu erledigen. Wir treffen uns in zwei Stunden in meinen Büro wieder.“ Daraufhin drehte sich Miro um und ging hinaus. Nach einer Stunde hatte sich Sina mit ihren vorübergehenden neuen Zuhause vertraut gemacht und war frisch geduscht. Auch die neuen Sachen hatte sie angezogen. Die Hose war in Ordnung, denn sie war locker genug, das niemand etwas vermissen würde. Aber das Oberteil war etwas problematischer. An der Taille war es sehr eng und im Brustbereich war es zwar lockerer, aber nicht so locker das ihre Brüste nicht bei einer falschen Bewegung auffallen würden. Sina drehte sich immer wieder vor den Spiegel und probierte mehrere Bewegungen aus. Es war zu auffällig. Sie zog das Oberteil wieder aus, machte den Verband um ihre Brust wieder auf, nur um ihn enger wieder darum zu wickeln. Dann nahm sie denn Verbandskasten, der in ihren Badezimmer hing und wiederholte den Vorgang. Nur das sie die zweite Schicht bis runter zu ihrer Taille wickelte. Erneut zog sie das Oberteil an. Dieses Mal konnte man wenn man sich nicht stark darauf konzentrierte nichts erkennen. Nur ihre Taille würde auffallen, die wenn sie tatsächlich ein Mann wäre, doch sehr schmal war. Ihre zarten Arme waren zu ihren Glück durch lockere Ärmel bedeckt. Da sie aber immer noch eine Stunde Zeit hatte beschloss sie etwas durch die Gänge zu schlendern und sich mit der Umgebung vertraut zu machen. Und wenn sie dabei viel Glück hatte würde sie ihren Bruder finden.
Eine Woche war sie jetzt schon hier, doch ihren Bruder hatte sie immer noch nicht zu Gesicht bekommen. Immer wenn sie Zeit dafür hatte, durchstreifte sie das Gebäude. Bisher war es ohne Erfolg gewesen und auch bei den wenigen Lektionen, von Miro, an den Sklaven selber, waren stets Sklaven anwesend die schon sehr lange hier waren und das alles kannten. Jetzt war allerdings eine der Lektionen in denen sie Miros Stimme lauschen musste, wie es eine Schülerin bei einen Lehrer tat. Nie hatte sie mitbekommen das Miro sich solche Mühe bei anderen Anfängern gab. Natürlich wusste Siret genau woran das lag. Schon zweimal hatte Sreys Sohn sie besucht und einmal hatte Srey selber nach gesehen ob ihre Ausbildung seinen Wünschen entsprechend von statten ging. Siret hatte ihn offenbar schwer beeindruckt, denn er lies keinen Zweifel daran erkennen. Die anderen Anfänger würdigte er nicht einmal eines Blickes. Ständig spürte Siret die eifersüchtigen Blicke die auf ihr ruhten. So wie auch jetzt. Das Sklavenhaus hatte in seiner Mitte einen Garten, wo spezielle Übungen abgehalten wurden. Dies war jedoch keiner dieser Übungen. Sie saß zusammen mit Miro auf einer Decke und er erzählte davon wie freie Menschen zu Sklaven wurden. Obwohl sie seiner Stimme normalerweise gerne lauschte, hatte sie bei diesen Thema Probleme ihn zuzuhören. Das an den Fenstern um sie herum immer wieder Leute stehen blieben und sie anstarrten, machte es auch nicht besser. Einige tuschelten sehr offensichtlich über sie. Keiner verstand warum Siret eine Sonderbehandlung bekam und ihr wäre es auch wesentlich lieber gewesen wäre das nicht der Fall. Viel zu viel Aufmerksamkeit lag auf ihr. Wie sollte sie unter solchen Umständen ihren Bruder hier heraus schaffen und still und heimlich verschwinden, ohne das es auffiel? Hatte ihr Plan jetzt etwa so gut funktioniert das er wieder nicht funktionierte? „Siret? Hörst du mir überhaupt zu?“, brummte Miro etwas verärgert. Schlagartig war sie aus ihrer Gedankenwelt geschmissen wurden und musste nun mehr oder weniger erklären warum sie diese Sonderbehandlung nicht wert schätzte. „Es tut mir leid Miro... Ich bin heute nicht ganz bei mir.“, meinte Siret mit ehrlichen Bedauern, denn sie wollte Miro nicht verärgern. Obwohl es eigentlich vollkommen egal war, war es ihr sehr wichtig dass er sie bzw. ihn, schließlich dachte er ja sie wäre ein Junge, mochte. „Na schön das war diese Woche vielleicht auch etwas viel. Ich gebe dir den Rest des Tages frei.“, erwiderte er trocken, stand auf und ging davon. Ein Hauch von Bedauern regte sich in ihr, während sie Miro hinterher sah. Sein für Männer relativ langes Haar wog bei jeder Bewegung auf und ab. Seine knielangen Hosen, die er heute trug, zeigten seine durch trainierten Waden. Als ihr bewusst wurde wie lange sie ihn hinter her starrte und das sie immer noch beobachtet wurde, riss sie den Blick von ihm los. Sie hatte den restlichen Tag also frei. Das bedeutete sie hatte einige Zeit um ihren Bruder zu finden. Damit es nicht auffiel das sie nach jemanden suchte, tarnte sie es als Lernmethode. An jeder neuen Stelle suchte sie sich einen erfahrenen Sklavenhändler den sie ein paar Fragen stellte, dann hielt sie sich noch etwas in der Station selber auf und ging erst dann weiter.
Nach fast drei Stunden hatte sie es geschafft. Jevro war auf einer Lernstation für Sklaven. Vermutlich weil er um nicht verkauft zu werden immer wieder Fehlverhalten gezeigt hatte. So sehr ihr Verlangen jetzt auch war sofort zu ihren Bruder zu gehen musste sie sich hier wie die Ganze Zeit zuvor verhalten. Sie gab sich die größte Mühe gelassen zu wirken, während ihr Herzschlag sich um das dreifache beschleunigt haben musste. Auch ihr Bruder hatte sie bemerkt. Aus den Augenwinkel konnte sie erkennen dass er immer wieder verstohlen zu ihr schaute. Sie wusste nur nicht ob er wirklich erkannt hatte dass sie Sina war oder ob er einfach glaubte Sina habe sie geschickt. Doch wenn sie Glück hatte würde sie es bald erfahren. „Warum sitzt der da hinten alleine?“, fragte sie schließlich den Mann den sie zuvor schon ein paar andere belanglose Fragen gestellt hatte. „Die anderen können ihn nicht einschätzen. Und wir ehrlich gesagt auch nicht. Die meiste Zeit ist er völlig normal und auch mehr als tauglich. In so einen Zustand könnten wir mit ihn einen recht guten Preis erzielen. Doch dann hat er anscheinend irgendwelche Aussetzer. Immer wieder stellt er verrückte Sachen an und keiner weiß wieso.“ „Kann ich mich mal zu ihm setzen? Ich würde gern so einen Problemfall mal selber kennen lernen?“, fragte Siret und holte schnell einen kleinen Notizblock heraus. Schulterzuckend meinte ihr Gesprächspartner: „Von mir aus. Ich kann dir aber nicht garantieren dass tatsächlich so ein Fall eintritt. Wie gesagt er ist die meiste Zeit über normal.“ „Ich würde es trotzdem gerne mal probieren.“, erwiderte Siret. Als darauf ein erneutes Schulter zucken kam ging sie zu der Ecke in der Jevro saß. Er saß ziemlich abseits von den anderen und der Händler schenkte den beiden kaum Interesse. Erleichtert setzte sie sich ihren Bruder gegenüber, zwar wäre sie ihren Bruder am liebsten um den Hals gefallen, doch das hätte mit Sicherheit irgendjemand mit bekommen. „Du hast mir damals den Zettel gegeben... mit Sinas Unterschrift.... und dein Gesicht... bist du etwa...“. Bevor Jevro aussprechen konnte unterbrach ihn Sina in Flüsterstimme, denn auch wenn die anderen etwas weiter weg saßen wollte sie nicht riskieren dass dieses Thema jemand auch nur ansatzweise mitbekam: „Ja, ich bin´s. Ich versuche dich hier raus zu holen, jedoch muss ich noch eine Gelegenheit organisieren in der das möglich ist. Also wäre es gut wenn du noch länger dafür sorgst das du nicht verkauft wirst. Ich weiß das ist bestimmt nicht leicht, aber nur so kann ich dir helfen.“ Ihr Bruder nickte Gedanken verloren: „Du hättest dich nicht so in Gefahr begeben dürfen. Ich bin gegangen um dich zu schützen! Wissen unsere Eltern wo du bist?“ Dieses Mal hatte er die Stimme so sehr gesengt dass ihre Bedenken dass das Gespräch jemand mit bekommen könnte gering waren. „Nicht direkt ich habe ihnen nur leichte Hinweise darauf hinterlassen was ich vor habe und einen Zettel dass sie sich keine Sorgen machen sollen.“ Ihr Bruder schenkte ihr einen seiner vorwurfsvollen Blicke und fügte ironisch hinzu: „Das wird sie ja sehr beruhigen.“. „Ich hatte keine andere Wahl.“, verteidigte sie sich. „Und jetzt gib mir lieber einen Tipp was ich sagen kann wenn ich gefragt werde worüber wir geredet haben:“. „Was hast du denn gesagt wieso du dich zu mir setzen wolltest?“, fragte er, obwohl ihn ganz offensichtlich lieber gewesen wäre wenn er zu den anderen Thema mehr antworten bekommen hätte. „Ich habe vorgetäuscht das ich so eine Art akademisches Interesse für Problemfälle wie dich hätte.“. „Ein Akademisches Interesse? Du hast es schon immer verstanden Ausreden zu finden. Wie wäre es wenn du behaupten würdest, dass ich erst immer nur ausweichende Antworten auf verschiedene Fragen von dir gegeben habe und nachdem du mich gefragt hast ob ich verheiratet bin, kam nur noch wirr warr aus meinen Mund. Ich kann gleich ja etwas verstört tun dann stützt das deine These. Zudem denken die dann das meine `Ausrutscher´ Grund eines traumatischen Erlebnisses sind und es vielleicht bald wieder weg geht. Ich habe nämlich schon gehört wie sich zwei von denen darüber unterhalten habe dass ich bestimmt Irre sei und hier dann auch fehl am Platze.“.
Die Zeit schien zu rasen. Kaum hatte ein Tag begonnen war er auch schon wieder vorbei. Es gab Tage, da dachte Sina sie würde die ganze Zeit wo sie Siret war nur Träumen. An anderen Tagen dachte empfand sie ihre Vergangenheit als unwirklicher als das Jetzt. Wie so oft schon an diesen Tag schaute sie aus den Fenster. Zwei Monate war sie nun schon hier. Ihre Leistungen waren so gut das ihre Ausbildung frühzeitig für beendet erklärt werden sollte. Miro hatte einen Antrag dafür bei Srey abgegeben. Dieser beinhaltete einen ausführlichen Bericht über ihren derzeitigen Kenntnisstand. Miro war der Meinung das alles andere mit der Erfahrung alleine zu ihr finden würde. Ihren Ziel würde sie dadurch ein gutes Stück näher kommen und es war gut das es jetzt geschah denn bald würden sie Jevro verstoßen. Natürlich hatte sich sein Verhalten nicht gebessert und so verschwendete er nur Platz und Nahrung. Entweder würden sie ihn in ein Irrenhaus stecken oder er würde in eine der Minen kommen, um harte körperliche Arbeit zu erledigen bis er Tod umfiel. Aus beiden Situationen würde sie ihn nicht mehr herausbekommen. Ihr höchstes Ziel war es ihren Bruder zu helfen. Deswegen war es gut dass sie endlich in eine Position kam in der das auch möglich war. Auch wenn es bedeutete dass sie Miro wesentlich weniger oder vielleicht sogar gar nicht mehr sehen würde. Sina schrak bei diesen Gedanken zusammen. In der letzten Zeit kamen ihr zu oft Gedanken dieser Art. Er war ein sehr attraktiver Mann und auch charakterlich harmonisierte sie mit ihn sehr gut. Dennoch war er außerhalb ihrer Reichweite, zumal er dachte Sina wäre ein Mann. Wenn Miro sie mochte dann nur als Freund. Die Kutsche kam angerollt und Miro stieg zusammen mit Srey hinaus. Die beiden hatten heute über ihre Beförderung entschieden. Noch nervöser als zuvor ging Sina, die sich innerlich schon wieder auf ihre Rolle als Siret vorbereitete, in den Besprechungsraum in den sie warten sollte auf und ab. Knirschend öffnete sich die Tür und Siret blieb abrupt stehen. Formell begrüßte sie die beiden. Srey ergriff das Wort und hielt eine kleine Rede . Damit wollte er seine Ehrerbietung Siret gegenüber deutlich machen, doch nach den Worten dass sie nach so kurzer Zeit schon aufstieg, musste sie ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich darauf verschwenden, nicht daran zu denken wie wenig sie Miro nun sehen würde. Deswegen war sie glücklich als Srey endete und sich wieder auf den Weg machte. „Ich gratuliere dir auch. Bei der letzten starken Verkürzung der Zeit, hatte derjenige immer noch etwas über ein halbes Jahr gebraucht.“. „Naja, ich hatte ja auch eine Sonderbehandlung.“ „Glaub mir die meisten von denen würden bei der gleichen Behandlung immer noch mindestens ein Jahr brauchen.“. „Miro? Dir ist doch klar das ich hier keine Freunde habe. Jeder einzelne Skavenhändler ist neidisch auf mich.“. Miros Miene wurde plötzlich ernst, doch er nickte nur knapp, daraufhin fuhr Siret fort: „Kann ich dich um einen Rat bitten?“. Sirets Herz raste. „Natürlich wenn ich dir helfen kann werde ich das tun.“ „Wenn du ein schwerwiegendes Geheimnis hättest und dich in jemanden verliebt hättest, der aber vom Stand nicht zu dir passte und der durch dieses Geheimnis etwas grundlegen des nicht über dich wüsste. Was würdest du tun?“. Siret wich Miros Blick nicht aus, aus Angst sich zu verraten. „Das käme ja auf das Geheimnis an. Was ist denn das Geheimnis?“, fragte er überlegend. „Ich kann es dir nicht sagen. Sagen wir es so, mit den Geheimnis wäre eine Beziehung unmöglich. Ohne das Geheimnis, wäre noch immer der Standesunterschied. Es wäre aber dennoch irgendwie machbar. Wenn das Geheimnis gelüftet würde, würde dadurch aber ein Familienmitglied in Gefahr geraten.“. Siret war vollauf auf Miro konzentriert. Jede Bewegung und selbst jedes Zucken nahm sie war. „Das scheint eine ganz schön komplexe Angelegenheit zu sein in der du dich befindest. Kannst du deinen Verwandten den nicht erst in Sicherheit bringen und das Geheimnis danach lüften?“ „Schwierig. Es würde vermutlich schwierig werden ein Wiedersehen einzufädeln. Das hängt alles irgendwie zusammen.“. „Und wenn du das Treffen schon vorher organisierst?“. Miro war offenbar wirklich bemüht ihr zu helfen. Bedeutete dass das er ihn mochte? Wenn er ihn mochte, würde er Siret denn als Sina lieben? „Aber da ist ja immer noch das Problem mit den Stand. Ich mein mir ist das ja egal, aber ich weiß nicht wie es anders herum aussieht...“. Je nachdem wie Miro hierauf antwortete wusste Siret ob sie als Sina eine Chance bei ihm hätte und somit ob sich der ganze Aufwand den sie für ihn betreiben wollte lohnte. „Also hat sie wohl einen höheren Stand als du. Ich denke nicht das es wichtig ist aus welchen Stand man kommt. Ich selbst komme aus einfachen Verhältnissen...“ „Du bist doch auch noch nicht alt, wie bist du denn so schnell Führer von einen der Sklavenhäuser geworden?“. Ein Lächeln huschte über Miros Lippen: „Ich bin derjenige der ein halbes Jahr gebraucht hat und die weiteren Aufstiege gingen dann auch recht schnell. Aber darum geht es jetzt nicht. Frauen die nur darauf achten aus welchen Verhältnissen man kommt oder welchen Stand man bekleidet, sind einfach nichts?“. „Hast du denn eine Freundin die das auch so sieht?“. Bis Miro antwortete schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. „Ich hatte vor einiger Zeit eine feste Freundin, als ich mich mit ihr Verloben wollte hat sie nach meinen Stammbaum gefragt. Ich war völlig fertig, doch ich hätte es ahnen können. Sie wollte immer zu den angesagtesten Feiern und tragen wollte sie darauf nur die teuerste Kleidung. Auch ich sollte mich immer in Schale werfen. Wenn Liebe nicht blind machen würde, hätte ich mich wohl schon nach einer Woche von ihr getrennt. Naja, ich will dir keine Angst machen es sind ja nicht alle Frauen so und wer nicht wagt der nicht gewinnt.“ „Das tut mir leid. Ich wollte keine alten Wunden aufreißen.“, sagte sie mit echten Kummer in der Stimme. „Keine Sorge dass hast du nicht und außerdem tut es auch mal gut mit jemanden richtig reden zu können. Und jetzt organisiere ein Treffen mit deiner Angebeteten, bring deinen Verwandten in Sicherheit und dann geh zu den Treffen. Verzögerungen bringen gar nichts, glaub mir!“. Siret stand auf, ging auf die Tür zu, drehte sich dann aber wieder um: „Sind wir Freunde?“. Überrascht sah Miro Siret einige Augenblicke an: „Ich denke schon.“. „Dann lass uns ein privates Treffen vereinbaren. Nachdem dass alles erledigt ist würde ich auch dir gerne mein Geheimnis enthüllen.“
Sina wartete ab bis sie sie das nächste mal frei hatte, dann ging sie mittags in die Stadt. In einen Geschäft kaufte sie neue Kleidung. Es war eine von den momentan modernen Männerhosen, jedoch vorsichtshalber eine Nummer zu groß. Dazu kaufte sie noch einen Gürtel und einer Jacke mit einer Kapuze, die ziemlich weit ins Gesicht ragte. Sina wusste nicht ob sie schon Paranoid war, aber sie wollte nicht das irgendjemand mitbekam das sie sich verkleidete. Also tat sie die neuen Sachen in eine Tasche und ging weiter durch die Stadt. In einen überfüllten Café ging sie dann in eine der Toiletten, zog sich darin um und ging im Schutze der Menge wieder aus den Café hinaus. Die Kapuze hing soweit in ihren Gesicht, dass sie kaum jemand erkennen würde. Schnell zog sie sich in die engen Gassen, die sowieso selten benutzt wurden zurück. Durch die Gassen schlenderte sie in Richtung ihres richtigen Zuhauses. Unsicher schaute sie sich um, niemand war zu sehen. Schnell huschte sie durch die Tür und die Treppe bis zu der Wohnungstür ihrer Eltern hinauf. Eilig klopfte sie an. Zwei weitere Male klopfte sie. Es schien niemand zu öffnen. Was sollte sie machen wenn die beiden unterwegs waren? Auf keinen Fall konnte sie riskieren ein zweites Mal hier her kommen. Gerade als sie nach der Türklinke greifen wollte, wurde die Tür geöffnet. „Wir haben kein Geld, tut mir leid.“, sagte ihr Vater und wollte die Tür schon wieder schließen. Doch Sina hielt die Tür mit ihrer Hand auf und kam einfach rein. Als ihr Vater dagegen protestieren wollte, sagte sie leise: „Einen Moment ich werde euch alles erklären.“. Leise schloss sie die Tür und nahm die Kapuze ab. Ihre Haare waren noch immer so kurz wie sie sie am Anfang geschnitten hatte, denn sie hatte sie regelmäßig nach geschnitten. „Ich bin es Sina.“, sagte sie sie und es tat gut ihre Stimme mal nicht verstellen zu müssen. Obwohl sie sich mittlerweile schon so daran gewöhnt hatte dass sie bei ihrer Schauspielerei kaum darüber nachdenken musste. Ihre Mutter hielt sich vor Schock die Hand vor den Mund, während ihr Vater auf sie zu kam: „Sina? Bist du es wirklich?“. Seine Hände streiften ihr Gesicht. Kurz darauf flog ihre Mutter ihr um den Hals. Beide waren schwer gezeichnet von der letzten Zeit. Ihre Haut hatte einen ungesunden Grauton angenommen. Die Augen, besonders von ihrer Mutter waren gerötet und von Falten gerade so umrundet. Außerdem waren beide viel zu dünn geworden. „Ja, ich bin es. Ihr seht nicht gut aus.“, sagte Sina bedrückt. „Wir haben uns Sorgen gemacht. Was hat das alles zu bedeuten? Sina warum bist du gegangen?“, sagte ihre Mutter den Tränen nahe. Sina nahm sie in den Arm und erklärte: „Verzeiht. Ich musste es tun. Jevro braucht Hilfe. Er ist schließlich für uns dorthin gegangen. Aber ich habe eine Lösung gefunden.“. Sina griff in ihre Jackentasche und holte ein dickes Bündel an Geldscheinen raus. Ungläubig starrte ihr Vater auf das Geld: „Woher hast du das?“. „Ich arbeite als Sklavenhändler. Jevro ist noch in den Hawkwar. Ich habe ihn gesagt er soll dafür sorgen dass er nicht verkauft wird. Jetzt habe ich genug Geld zusammen gespart dass ihr ihn da raus holen könnt. Ihr müsst euch jedoch beeilen, denn er wird wenn sich sein Verhalten nicht ändert entweder ins Irrenhaus oder in die Minen gebracht.“ „Du arbeitest als Sklavenhändler?“, fragte ihre Mutter ungläubig. „Ja, aber so viel Zeit haben wir nicht. Ich habe zwar heute frei, aber da ich sonst eher wenig draußen unterwegs bin, würde es auffallen, wenn ich heute zu lange weg bleiben würde. Nachdem alles geklärt ist und Jevro bei euch ist werde ich euch das alles genauer erklären können. Tut mir leid für den Moment muss das reichen.“. „Wir haben ein bisschen gespart, du musst uns nicht das ganze Geld was du gespart hast geben.“, erklärte ihr Vater. Doch Sina schüttelte nur den Kopf: „Seid ihr deswegen so dünn? Nein kauft euch lieber was anständiges zu Essen von den übrigen Geld. Ich brauche es nicht. Mein Verdienst ist gut und ich kriege dort eigentlich schon alles was ich brauche. Außerdem werdet ihr einiges für Jevro brauchen. Obwohl er in ihren Augen nicht in diesen Zustand nicht viel Wert hat, werden sie das euch nicht wissen lassen und ihr dürft euch nicht anmerken lassen dass ihr das wisst, denn sonst werden sie Verdacht schöpfen dass eine absichtliche Preisverringerung durch Seiten des Sklaven statt gefunden hat.“. Etwas sprachlos schauten die beiden ihre Tochter an. Zwar hatte Sina in der Zwischenzeit Geburtstag gehabt, doch es kam ihnen so vor als wäre sie um Jahre gereift. Sie wirkte richtig erwachsen. Schließlich hatte Sina den Eindruck ihre Eltern ausreichend beruhigt zu haben. Sie zog sich ihre Kapuze wieder über den Kopf und verabschiedete sich. Sina hatte sich in einen Café erneut umgezogen, doch obwohl sie sehr vorsichtig gewesen war, hatte sie seitdem das Gefühl beobachtet zu werden. Immer wieder schaute sie sich um. Unruhe machte sich in ihr breit. Obwohl sie am liebsten schnell zurück zu den Sklavenhaus gelaufen wäre, zwang sie sich sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, weder beschleunigte sie ihre Schritte, noch ging sie auf direkten Weg dorthin. Einmal als sie sich erneut umdrehte, sah sie im Augenwinkel etwas schnell in einer nahe liegenden Gasse verschwinden. Sie versuchte sich einzureden dass jemand in den Moment einfach gerade zufällig abgebogen war, dennoch konnte sie sich dem Gefühl verfolgt zu werden nicht vollkommen erwehren. Als sie dann endlich ankam, war sie froh die Tür hinter sich schließen zu können und ging dann auch auf direkten Weg in ihr Zimmer.
Am nächsten Morgen machte sie sich auf den Weg zu Ailon. Sie sollte ihn heute auf den Sklavenmarkt behilflich sein. Ailon war ihr gegenüber, so hatte sie zumindest das Gefühl, nicht ganz so negativ eingestellt. Siret sollte zu Track drei kommen. Dieser war in der Nähe vom Eingang. Er war noch nicht da. Einige Minuten vergingen, bis er schließlich auftauchte. Wortkarg gab er ihr zu verstehen dass sie nun die Sklaven abholen würden. Fast eine gesamte Stunde verging bis sie alle zusammen hatten. Als sie dann wieder zum Eingang gegangen waren, kamen ihre Eltern gerade die Tür rein. Sie beachtete sie jedoch gar nicht und glücklicherweise taten sie es ihr gleich. Ohne ein weiteres mal zu Sina zu gucken gingen sie zum Empfang und erklärten sie haben gespart um ihren Sohn frei zu kaufen. Mehr bekam Sina nicht mit, denn sie brachen zum Markt auf.
Während den ganzen Tag, hatte sich Ailon eigenartig verhalten. Immer wieder hatte er sie angestarrt. Er hatte sie fast mehr beobachtet als die Sklaven die sie bewachten und auch mehr als die Kunden an die sie verkaufen wollten. Obwohl Sina sich größte Mühe gegeben hatte das nicht weiter zu beachten, hatte sie damit je mehr Zeit vergangen war immer größere Schwierigkeiten gehabt. Schließlich hatte sie ihn gefragt ob irgendwas nicht stimme. Ailon hatte, knapp wie immer, gesagt das er etwas seltsam finde, war jedoch nicht weiter drauf eingegangen. Zwar hatte sie ihn gefragt was er meine, doch obwohl sie sicher war das er das gehört haben musste, tat er so als habe er nichts mitbekommen. Sina hatte es darauf beruhen lassen, war jedoch verunsichert. Was wenn das Gefühl von gestern, doch nicht nur so ein Gefühl war und sie tatsächlich jemand verfolgt hatte? Wenn ja wer war das und was hatte er dadurch herausbekommen? War sie aufgeflogen?
Nach einer schlaflosen Nacht beschloss sie die anderen im Auge zu behalten. Vielleicht erkannte sie an den Verhalten der anderen ob entsprechende Gerüchte im Umlauf waren. Lange würde sie hier eh nicht mehr bleiben, sie brauchte nur eine Gelegenheit in der sie Miro alles erklären konnte. Ein Treffen mit ihn hatte sie bereits organisiert. Die nächsten vier Tage hatte er zwar keine Zeit, aber in fünf Tagen wollten sie zusammen ausreiten. Einige Pferde hatte jedes Sklavenhaus zur Verfügung und die oberen Sklavenhändler durften, wenn sie es vorher beantragten, diese auch für private Zwecke nutzen. Siret war zwar noch nicht hochrangig, aber sie war ein Günstling von Srey und verstand sich gut mit Miro. Bei diesen Ritt würde sie ihm alles erklären und danach war dieses Leben komplett vorüber. Es war schon seltsam. In dieser Rolle war sie erfolgreicher gewesen als sie in ihren normalen Leben je war. Offenbar lagen ihr Berufe die nur Männer machen durften mehr als die wenigen Berufe die Frauen ausüben durften. Erneut überkam sie das starke Gefühl beobachtet zu werden. Vorsichtig sah sie von den Buch über den sie gerade hing auf und tatsächlich sah sie einige Gesichter die sich eilig von ihr weg drehten. Irgendetwas wussten sie. Aber bestimmt nicht alles, denn wenn sie ahnen würden dass eine Frau bei ihnen arbeitete und auch noch bei den Oberen sehr beliebt war würden sie irgendetwas unternehmen. Miro bekam hoffentlich noch nichts davon mit, denn wenn er die Wahrheit von anderen erfahren würde, wäre das Vertrauen dass sie zueinander aufgebaut hatten zerstört. Auch wenn sie es ihn sagen konnte, ohne dass er es vorher schon von anderen gehört hatte, würde es schwer werden sein Vertrauen zu behalten. Doch so bestand zumindest eine Chance darauf. Die vier Tage wurden für Sina fast schon zur Qual. Sobald sie aus ihren Zimmer kam, wurde sie von irgendwoher beobachtet. Kritische Augen bewachten sie bei jeden ihrer Schritte. Fast jeder ihrer Kollegen behandelte sie noch schlechter als vorher und selbst die Sklaven warfen ihr seltsame Blicke zu. Sina fand das einige davon abwertend auf sie herab sahen. Obwohl sie die Gefangenen waren die auf Siret hören mussten. Doch seit sie bei ihren Eltern war und sie unter ständiger Beobachtung stand, fiel es ihr unglaublich schwer Siret zu spielen. Als wenn die ganze Zeit vorher nicht gewesen wäre, fühlte sie sich in ihr Dasein als Sina zurückgeworfen.
Ein letztes Mal ging sie den langen Flur, von ihren Zimmer zum Hinterausgang des Gebäudes. Dort waren auch die Stallungen und wie sie Miro kannte wartete er bereit dort. Egal wie das Gespräch ausgehen würde, ihr Leben als Siret war hiermit vorbei. Nie wieder würde sie in dieses Sklavenhaus gehen und freiwillig auch in kein anderes. Dieser Abschnitt ihres Lebens endete mit den heutigen Tag. Vorfreude und Wehmut kämpften in ihr um die Oberhand. Sie musste nicht mehr schauspielern, allerdings hieß das auch dass sie einen Beruf finden musste den Frauen ausüben durften und der ihr trotzdem so viel abverlangte, dass sie ständig die Gelegenheit hatte über sich hinaus zu wachsen. Das was sie hier erlebt hatte, hatte ihr erst gezeigt wie sehr sie die Herausforderung liebte und das sobald sie ihr altes Leben zurück hatte, diese wieder vollkommen erlöschen würde, machte sie traurig. Doch kaum trat sie aus der Tür in den Hinterhof, wurden diese beiden Gefühle von Angst und Nervosität abgelöst. Wie erwartet stand Miro neben den Stallungen und wartete auf sie. Nach einer knappen Begrüßung holten sie sich zwei Stuten und ritten los. Im Schritt durchquerten sie die Stadt. Kaum lag die Stadtmauer hinter ihnen, galoppierten sie los. Beide Stuten hatten schön lange Beine und waren dadurch besonders schnell. Der Wind wehte in ihre Gesichter. Je weiter sie ritten umso mehr verschwand Sinas Nervosität. Irgendwann kamen sie an einen der wenigen Orten in ganz Terju an, wo mehrere Bäume beieinander standen. Die Bezeichnung Wald war dafür zwar nicht passend, doch da es eine der größten `Ansammlungen´ von Bäumen hier war, wurde es von den Einheimischen so genannt, doch alle die einmal in einen anderen Land gewesen waren runzelten dabei die Stirn. Miro und Sina zügelten ihre Pferde und stiegen ab. Kaum war Sina abgestiegen stieg wieder Nervosität in ihr auf. Die Pferde ließen sie hier einfach grasen, denn hier gab es so viel grün das sie nicht befürchten mussten, dass diese auf Felder gingen oder gar davon trabten. Hier konnten sie sich ungestört unter vier Augen unterhalten. Und so setzten sie sich unter einen Baum mit dicken Stamm. Seine breiten Blätter spendeten ihnen Schatten. Kaum fähig das eigentliche Thema des Gespräches anzusprechen, redete Sina mit Miro über alle möglichen nicht wirklich wichtigen Dinge. Bis Miro scheinbar genug davon hatte: „Beenden wir langsam mal das Vorgeplänkel und kommen zu den eigentlichen Grund dieses Treffens. Du wolltest mir dein Geheimnis sagen?“. „Ja“, sagte Sina unsicher. „Ich habe doch gesagt das ich vorher nicht in Schean gelebt habe, das war gelogen. Ich habe nie woanders gelebt?“. „Ist das alles?“, fragte Miro sichtlich verwirrt. „Nein... das ist nur ein kleiner Teil meines Geheimnisses. Mein Bruder ist durch finanzielle Nöte zum Sklaven geworden. Ich musste alles tun, um ihn da wieder raus zu holen. Keine Sorge was das angeht habe ich nichts unrechtes getan. Ich habe nur Geld von meinen Verdienst gespart und meinen Eltern zukommen lassen, so dass sie ihn kaufen konnten. Und...“, plötzlich stockte Sina, denn Miros Augen waren bei ihren Schilderungen schmal und äußerst skeptisch geworden. „Ist dein Bruder Jevro? Der der verrückt gespielt hat und vor fünf Tagen von seinen Eltern gekauft wurde und plötzlich wieder völlig normal ist?“ „Ich habe ihn nicht gesagt er soll verrückt spielen. Ich habe nu...“, dieses Mal unterbrach Miro sie direkt. „Jevro hat keinen Bruder.“, sagte er mit vorwurfsvollen Ton. „Dazu wollte ich gerade noch kommen.“. Miro schien ihr kaum noch zuhören zu wollen denn obwohl sie zu weiteren Erklärungen ausholen wollte, forderte er: „Beweis dass du ein Mann bist!“ „Was?“, fragte sie entsetzt. „Du sollst beweisen dass du ein Kerl bist!“. „Ich wollte dir gerade erklären, dass das nicht so ist... Um meinen Bruder zu helfen habe ich keine andere Lösung gesehen.“. Sina sah Miro ins Gesicht und erkannte das es keinen Sinn machte es ihn erklären zu wollen. Nachdem sie bestätigt hatte das sie kein Mann war hatte sich sein Gesichtsausdruck immer mehr verändert. Sein Blick war abwesend und seine Pupillen zuckten unruhig hin und her. Vermutlich entschied er gerade wie er mit der Situation umgehen würde. Angst schlich sich in ihre Gedanken. Würde er sie verraten? Doch auf eine Antwort brauchte sie nicht lange warten, denn kurz nachdem ihr dieser Gedanke gekommen war, sah sie wie sich sein Blick verhärtete und Feindseligkeit in seine Züge trat. Ein paar Sekunden hatte sie Zeit sich darauf einzustellen und den Schmerz in ihren Herzen zu unterdrücken, dann blickte er mit klaren Blick auf und in diesen Moment wurde ihr klar dass sie hier weg musste. Sie drehte sich um und rannte los, bis sie bei ihrer Stute angekommen war. Mit den Dolch, den sie während des Laufs unter ihrer Kleidung hervorgeholt hatte, durchtrennte sie die Zügel der Pferde. Miro kam hinter ihr her gelaufen, er hatte sie fast schon eingeholt. Doch jetzt war sie schon auf den Rücken der Stute. Es war möglich. Sie konnte es schaffen. Schnell gab sie der Stute auf der Miro geritten war einen Klapps, so das es davon galoppierte. Nun wollte sie ihr Pferd ebenfalls zum Galopp bringen, doch Miro stand direkt vor ihr. „Du wirst jetzt nicht abhauen!“, sagte er und nahm die kaputten Zügel, die lose herunter baumelten, in die Hand. Sina hatte noch nie verstanden wozu man die brauchte. Sie ritt viel lieber nur mit der Mähne zwischen ihren Fingern. Und in diesen Moment empfand sie die Zügel noch mehr als sonst als störend. „Ich habe dir vertraut und du hast mein Vertrauen mit Füßen getreten.“, warf ihr Miro vor. „Ich habe dein Vertrauen ausgenutzt? Meinst du das ernst? Ich habe dir gesagt das ich ein verhängnisvolles Geheimnis habe und das ich es dir sobald ich es kann erzählen werde! Warum also soll ich dein Vertrauen missbraucht habe? Bist nicht du es der mich jetzt verraten will?“. Obwohl in ihrer Stimme die Wut lag, die sie eigentlich empfinden sollte, war es nur Trauer die sie empfand. Doch auch diese trübten ihre Sicht für die Situation nicht und so verschleierte sie mit ihrer gespielten Wut, dass sie den Schließmechanismus der Trense öffnete. Miro bemerkte nichts davon, denn sein verletzter Stolz ließ ihn wie in einen Tunnel sehen. Er musterte ihr Gesicht, offenbar verstand er nicht dass er mit jemanden befreundet sein konnte und dabei nicht bemerkt hatte dass es kein Mann war mit den er manchmal sehr vertraute Gespräche geführt hatte. Irgendwie verstand sie ihn ja, dennoch musste sie hier weg. Er konnte es nicht verstehen. „Es tut mir leid.“, sagte sie. Ihre Stimme verstellte sie nun nicht mehr. Die Zeit der Schauspielerei war nun vorbei stattdessen würde sie von nun an auf der Flucht sein. Viel Zeit um sich mit diesen Gedanken anzufreunden blieb ihr nicht. Sie gab ihren Pferd die Sporen und lenkte es ganz knapp an Miro vorbei. Dabei fiel die gelöste Trense klirrend auf den Boden. Im Ritt hörte sie wie Miro etwas brüllte, doch sie konnte es nicht verstehen. Dennoch galoppierte sie einfach weiter, denn es gab kein zurück mehr.
Schon ein paar Minuten später bekam sie darauf eine Antwort. Miro hatte ihr nichts mitteilen wollen. Zwischen den Bäumen hatten sich einige ihrer alten Kollegen versteckt gehalten. So wie Sina das feststellen konnte mussten es ungefähr ein Dutzend sein. Einer schien zurück zur Stadt zu reiten um Meldung zu erstatten, einer fing Miros Stute wieder ein und alle anderen nahmen ihre Verfolgung auf. Sina trieb die Stute unentwegt an. Sie schaffte es einen kleinen Abstand aufzubauen. Stundenlang dauerte die Hetzjagd. Sina kam an ihre Grenzen und auch ihre Stute vor Erschöpfung schon Schaum vor der Schnauze. Ein Plan musste her. Gerade als sie dass dachte tauchte die Stadt Hergre vor ihr auf. In Hergre war immer ein geschäftiges Treiben und es dürfte für ihre Verfolger schwierig werden sie in den Menschenmengen weiter zu verfolgen.
Vor der Stadt, die aus irgendeinen Grund keine Stadtmauer hatte, ließ sie die Stute frei und setzte ihren Weg zu Fuß fort. Verblüfft sah sie das von vielen Seiten Reisende in die Stadt kamen. Ohne eine Mauer gab es nur wenig Hindernisse die das Eindringen in die Stadt verhinderten. Zwar war das für den Handel gut, doch unwillkürlich musste sich Sina fragen, wie diese Leute ihre Stadt im Falle eines Angriffs verteidigen wollten. In ihrer Situation war es jedoch nur vorteilhaft. Sie reihte sich in eine Karawane ein die gerade erschöpft an der unsichtbaren Grenze zwischen Stadt und freiem Land vorbei gingen. Keiner aus der Karawane beachtete sie groß, zwar schauten sie manche kurz etwas seltsam an, doch nach ein paar Sekunden war das Interesse an ihr auch schon wieder verschwunden. Ein Pferd das einen Karren mit Getreidesäcken zog kam an ihr vorbei. Da kam ihr ein Gedanke. Neugierig ließ sie den Blick über die Karawane schweifen und tatsächlich da war einer. Einige Meter vor ihr waren mehrere Karren mit Stoffen und auch zwei mit fertiger Kleidung. Obwohl sie geglaubt hatte ihre gesamten Energiereserven aufgebraucht zu haben, hatte sie jetzt, wo sie ein Etappenziel direkt vor ihrer Nase hatte, einen neuen Schub von Energie. Schon beschleunigte sie ihre Schritte, ging an den Pferd das sie vorhin überholt hatte vorbei und überholte noch einige andere Händler. Schließlich kam sie bei den Karren mit Kleidung an. Als sie bei einen sympathisch aussehenden Mann ankam und anscheinend dafür da war die Ware zu beschützen, passte sie sich dessen Tempo an. „Wenn gehören diese Sachen?“. Verwirrt sah der Mann sie mit seinen kastanienbraunen Augen an: „Wieso willst du das Wissen?“. „Ich würde gern ein Geschäft mit ihm abschließen. Also wo kann ich ihn finden?“. „Wir sind noch nicht angekommen, also werden auch noch keine Geschäfte abgewickelt.“, meinte der Mann und wollte sich schon von ihr abwenden. „Aber ... da verfolgen mich Männer. Sie wollen mich töten. Mein Bruder hat gesagt ich soll mich verkleiden und fliehen. Doch sie haben mich enttarnt... ich wollte mich neu verkleiden und mich in einer großen Stadt verstecken. Aber sie sind so nah... Wenn ich warte bis wir in der Stadt sind werden sie es mitkriegen und mich töten... Bitte?“, flehte Sina. Wieder einmal hatte sie lügen müssen, doch in der Miene des Mannes konnte sie sehen dass sie ihr Ziel dadurch erreicht hatte. „Also schön. Wir sind ja fast da, ich denke mein Bruder wird einen kleinen Geschäft vorher schon nicht so abgeneigt sein. Hast du denn Geld?“. „Ja das habe ich.“, meinte Sina erleichtert. Sie hatte ihr gesamtes Geld was sie noch besaß mit genommen. Jetzt war sie froh, dass sie so Geistes gegenwärtig gewesen war und sich aufgrund des ungewissen Ausgangs des Gespräches darauf gefasst gemacht hatte nicht mehr zurück zu können. „Dann komm mit.“. Er führte sie zu einer Kutsche, sprach kurz mit den Wachen die neben dieser her liefen. Die Kutsche hielt an und er gebot ihr einzusteigen. Nachdem sie drinnen war setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung. Vor ihr saß ein Mann mit ernster Miene und eine Frau, die zwar nicht besonders schön war, aber dennoch ein einnehmendes Lächeln hatte. Die beiden begrüßten Sina, dann fing der Bruder des Geschäftsmannes an ihm Sinas etwas veränderte Situation zu erklären. „Warum verfolgen dich diese Männer?“, fragte der Geschäftsmann. Sina senkte den Blick: „Der Anführer von ihnen... er wollte etwas von mir das ich nicht wollte....“. Schon wieder musste sie lügen, doch mit der Wahrheit würde sie hier nicht weiter kommen. Der Betrug eines Geschäftsmannes um seine Ware wurde, egal um was für eine Art Ware es sich handelte, von allen Händlern gleich gesehen. Wenn sie die Wahrheit sagen würde, auch wenn ihre Absicht noch so edel war, würden sie Sina eher ausliefern anstatt ihr zu helfen. Hoffentlich hatte das Lügen bald mal ein Ende, wünschte sie sich und konnte durch diesen Gedanken ein paar Tränen raus drücken. Eilig, als wenn sie sich dafür schämen würde, wischte sie ihre Tränen von der Wange. Es verfehlte seine Wirkung nicht. „Du kannst ein paar Sachen von mir haben. Wir müssten ungefähr dieselbe Größe haben.“, schlug die Frau vor und ergänzte: „Dann müsste mein geliebter Mann nicht gegen seine wertvollen Prinzipien verstoßen. Außerdem müssten wir dann nicht anhalten um in den Karren etwas passendes zu finden. Das wäre doch auch sicher in deinen Interesse oder?“. Knapp nickte Sina und die Frau schickte ihren Mann und dessen Bruder hinaus. Überrascht das diese Frau ihren Mann so viel sagen konnte ohne dass dieser deswegen sauer wurde, konnte sie ihren Blick kaum von der Kutschentür wenden, aus der die beiden gerade hinaus gegangen waren. Sie mussten nun laufen denn erneut hatte sich die Kutsche in Bewegung gesetzt. Grinsend fragte die Frau: „Überrascht? Das liegt daran das mein Mann nicht von hier stammt. Nicht alle Männer haben so ein starkes Ego, dass die Frau nichts zu sagen hat. Aber jetzt genug davon, wir haben ja andere Probleme oder?“ Erstaunt schaute sie in den kleinen Spiegel den die Frau, die sich als Sally vorgestellt hatte, wohl immer dabei hatte. Schon so lange hatte sie sich nicht mehr in Frauenkleidung gesehen, dass sie jetzt wo sie wieder welche an hatte das Gefühl hatte als wenn sie noch weiblicher geworden wäre. Die Kleidung fühlte sich überraschend richtig an ihren Körper an. Dadurch dass sie die Mullbinde gelöst hatte drückte nichts mehr auf ihre Brüste. Das Kleid das sie nun trug war sehr Körper betonend. An ihrer Brust und Taille lag es eng, aber nicht bedrückend, an und ab ihrer Hüfte fiel es in sanften Falten hinunter. Sally befestigte noch ein Band, das am Ende zu einer Schleife gebunden wurde, an diesen Übergang. Ihre klumpigen, schweren Männerschuhe hatte sie gegen zierliche Ballerinas eingetauscht. Das sanfte Blau der Kleidung fiel auch nicht zu sehr auf. Das Problem war nur dass ihre immer noch viel zu kurzen Haare sich nicht ins Gesamtbild einfügen wollten. „Das ist wirklich ein Problem...“, meinte Sally überlegend. Dann kramte sie erneut in ihren Sachen und holte einen Hut hervor. „Er passt zwar nicht ganz so gut zum Rest, aber immerhin verdeckt er diese Haare.“. Es war ein grauer recht unauffälliger Hut der nur mit drei weißen Federn geschmückt war. „Ich bin dir wirklich sehr dankbar. Wie viel möchtest du für die Sachen haben?“, fragte Sina, die langsam befürchtete dass sie diese Einzelstücke nicht bezahlen konnte. „Sagen wir, ich habe etwas bei dir gut. Und bis das sich ausgeglichen hat bleiben wir in Kontakt ja?“. Einsamkeit spiegelte sich in ihren Augen wieder und Sina konnte nicht anders als dies zu bejahen. Auch wenn sie nicht die leiseste Ahnung hatte wie sie die nächste Zeit überstehen sollte, geschweige denn ob sie nachdem sie diese Stadt verlassen hatte jemals hier her zurück kehren würde. Kurz danach war sie auch schon wieder unterwegs. Ihre Verfolger hatten sie nie als Frau kennen gelernt und selbst Sina erkannte sich in der neuen Kleidung kaum wieder. So etwas elegantes hatte sie noch nie angehabt. Etwas entspannter ging sie durch die Stadt, kaufte ein paar Vorräte und vorsichtshalber auch Kleidung zum wechseln. Doch sie konnte auch nicht zu Fuß weiter reisen und wohin sollte sie überhaupt reisen. Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Flucht machte sie sich Gedanken um ihre Zukunft. Wo konnte sie denn ein neues Leben anfangen? Obwohl sie sich viele Gedanken darüber machte kam sie zu keiner Entscheidung, das Einzige was sie wusste war dass sie hier nicht bleiben konnte. Ihre Verfolger wussten dass sie sich hier aufhielt. Wenn sie hier bleiben würde war es nur eine Frage der Zeit bis sie sie erwischten. Dennoch suchte sie sich erstmal eine Bleibe für die Nacht. Es war schon spät und wenn eine Dame sich bei völliger Dunkelheit alleine auf eine Reise begab war das in jeden Fall sehr auffällig und natürlich auch gefährlich.
Am nächsten Morgen brach sie sehr früh auf. Nach kurzer Zeit hatte sie Stallungen gefunden, de ihre Pferde an Reisende verkauften. Solche Geschäfte gab es in jeder zweiten Stadt in Terju. Das Land war für Touristen und Händler ausgelegt. Hergre war dazu noch eine von den wichtigsten Städten in diesen Gebiet. Der Preis für das Pferd war unnatürlich hoch, doch Sina sah dies als ihre einzige richtige Chance um irgendwann wieder normal leben zu können. Also bezahlte sie, auch wenn sie dadurch kaum noch etwas von ihren Geld übrig hatte. Die Frau mit der sie das Geschäft gemacht hatte, führte sie, nachdem sie ein paar Fragen zu der, wie sie es nannte, Funktionalität des Pferdes gestellt hatte in einen der Ställe. Sie lagen direkt hinter den Haus und waren alle mit Nummern beschriftet. Es wirkte wie ein Lager. Sina schaute sich die Pferde genau an, bis sie schließlich vor einen Wallach stehen blieb. Es war ein Fuchs mit einer unregelmäßigen Blässe, zwar war seine Statur nicht ganz so viel versprechend für einen schnellen Ritt wie die von einigen anderen hier in den Stall, doch seine traurigen großen Augen, hatten sie irgendwie dazu gebracht das sie sagte: „Ich nehme denn hier!“. Überrascht sah die Geschäftsfrau sie an: „Schätzchen, dieser Wallach steht hier nur noch weil wir keinen extra Stall für die Pferde haben die zum Abdecker kommen. Wenn du auf einen Preisnachlass spekulierst so etwas mache ich nicht. Können wir uns jetzt die Pferde ansehen die für so eine Reise tatsächlich in Frage kommen?“. Schockiert sah Sina zu den Wallach. Mit ihrer Hand streichelte sie über seinen Kopf: „Warum soll er denn zum Abdecker?“. Die Frau seufzte, ergab sich aber ihren Schicksal. „Er ist nicht besonders schnell, stark oder schön.“. Sinas Blick wanderte über das Pferd, der Kopf des Pferdes hing die meiste Zeit nach unten. Seine Rippen, wie auch sein Rückgrat schauten mehr hervor als bei allen anderen Pferden hier. Als die Pferdehändlerin ihren Blick sah, fürchtete sie wohl um ihren guten Ruf, denn sofort erklärte sie ihr: „Dieses Pferd macht nur Ärger, wenn er in der Nähe von anderen Pferden ist stiftet er ständig Unfrieden und wenn er allein ist ist er nur sehr schlecht. Er macht halt mehr Arbeit als dass er Vorteile schafft.“. Obwohl Sina nicht wusste ob das wirklich eine gute Entscheidung war, gab sie der Frau die Hand: „Dann sind wir uns einig. Ich nehme diesen Wallach. Hat er einen Namen?“. „Trouble.“, sagte die Frau und bestätigte das Geschäft mit einen Handschlag. Sina runzelte die Stirn, öffnete Troubles Box und ging hinein. Sanft tätschelte sie seinen Hals. Während Sina sich mit ihn bekannt machte ging die Verkäuferin noch mal in ihr Haus und kehrte mit einen großen Rucksack zurück. Die Frau war so froh dieses Pferd ohne Abdeckerkosten los zu sein dass sie ihr einiges an Hafer und ein paar Wasserflaschen dazu schenkte. Dankend nahm Sina den Rucksack an. Nun war alles bereit, sie konnte aufbrechen.
Einige Tage war sie nun schon mit Trouble unterwegs. Mittlerweile war er aufgetaut. Sein Kopf hing nicht mehr traurig herab, manchmal wieherte er sogar fröhlich und sprang herum wie ein junges Pferd. Doch obwohl Trouble sie oft zum lächeln brachte wusste sie noch immer nicht wo sie hin sollte. Zwar hatte sie noch keine Anzeichen entdeckt dass ihre Verfolger ihre Spur gefunden hatten, doch auch so wollte sie endlich wieder irgendwo länger als eine Nacht bleiben. Zurzeit ritt sie zwischen zwei aneinander grenzenden Städten hindurch. Der Weg war gerade so breit das eine große Kutsche hindurch passte. Zwar könnte sie jetzt in irgendeiner Stadt untertauchen. Dabei wären ihre Chancen gar nicht mal so schlecht das sie sie nie fanden. So viele Städte wie es in Terju gab, würden sie nach ein, vielleicht zwei, Monaten aufgeben. Dennoch sträubte sich irgendetwas in Sina dagegen. In einer fremden Stadt ein neues Leben aufzubauen und dann so weiter zu machen wie sie vor Monaten aufgehört hatte, wäre vernünftig. Was sollte sie auch sonst machen? Seit sie geboren wurden war und die Hebamme sagte: „Es ist ein Mädchen.“,war ihr Weg vorgezeichnet gewesen. Sie sollte Hausarbeit machen, einen viel verdienenden Mann heiraten und vielleicht neben den Kindern, noch ein bisschen Geld als Näherin oder Köchin verdienen. Irgendetwas aufregendes oder zumindest abwechslungsreiches war ihr nicht vorherbestimmt. Was konnte sie schon anderes tun als sich den Willen der Gesellschaft zu beugen? Obwohl sie das alles wusste ritt sie an beiden Städten vorbei und galoppierte erneut an.
Stunden später konnte sie ein paar Berge erkennen. Der Einzige Ort der gar nicht genutzt wurde. Man konnte ihn weder bebauen, noch Vieh dort weiden lassen oder irgendein Gemüse anbauen. Zum Glück gab es in ganz Terju nur einen einzigen Ort der so unwirtschaftlich war. Umgangssprachlich wurde dieser Ort Gebirge des Chaos genannt. Niemand kümmerte sich um diesen Ort. Es hieß er wäre vollkommen verlassen. Ohne das sie es merkte ritt sie auf die Berge zu. Kurz bevor sie dort ankam zügelte sie Trouble. Was wollte sie denn da? Es brachte ihr doch nichts jetzt einfach irgendwohin zu reiten wo niemand war, schließlich musste sie ein neues Leben aufbauen. Einige Minuten rang sie mit sich und beschloss dann doch erst mal auf ihr Bauchgefühl zu hören. Oft genug hatte sie das getan was die Gesellschaft von ihr erwartet hatte. Jetzt konnte sie doch erst mal die Freiheit genießen. Wann würde sie schon das nächste mal so eine Gelegenheit bekommen? Im Schritt ließ sie Trouble weiter gehen. Neugierig schaute sie zu den hohen Bergen. An einen der Berge war ein schmaler Pfad, den ein Pferd gerade noch so besteigen konnte, ohne eine hohe Absturzgefahr zu haben. Sina ließ Trouble dort hoch gehen. Der Pfad war spiralförmig um den Berg herum aufgebaut. Ab und zu trat Trouble falsch auf, sodass ein paar kleinere Steine runter fielen. Erst als das häufiger passierte, merkte sie dass der Weg immer schmaler geworden war. Vorsichtig stieg sie von Trouble ab und kramte aus ihren Rucksack ein Seil heraus. Die Händlerin hatte es ihr verkauft, da Sina ohne Trense reiten wollte, hatte sie etwas haben wollen womit sie Trouble irgendwo festbinden konnte. Zwar war er ihr gegenüber recht zutraulich geworden, doch sie war sich immer noch nicht sicher ob er, wenn sie ihn nicht fest band, über Nacht abhauen würde. Und jetzt wusste sie genauso wenig ob er ihr folgen würde. Also warf sie das Seil mit einer vorgefertigten Schlaufe die um den Hals des Wallachs passte über seinen Kopf und ging dann vor. Obwohl Sina eigentlich noch weit genug vom Rand entfernt war, tastete sie sich mit der linken Hand an der Wand entlang, während sie ihre rechte, fest an ihren Körper gepresst, das Seil hielt. Ständig schaute sie in die Tiefe, auch wenn sie sich immer wieder von neuem vornahm das zu unterlassen. Noch nie war sie so weit oben gewesen. Eigentlich hatte sie noch nie etwas höheres als einen Hügel bestiegen. Immer öfter überlegte sie umzudrehen, doch dann nahm sie das Seil in ihrer Hand überdeutlich war und wusste dass das nicht möglich war. Ein Pferd konnte sich auf so engen Raum nicht drehen und sie hatte ihn hierhin geführt. Nun musste sie weiter gehen bis sie eine Stelle fand die etwas breiter war und wo sich auch Trouble umdrehen konnte. Plötzlich verlor sie die Balance, jedoch konnte sie sich schnell wieder fangen. Erschrocken schaute sie nach links. Dort wo sie sich die ganze Zeit abgestützt hatte war keine Wand. Dort war ein breiter Weg der scheinbar ins innere des Berges führte und obwohl sie sich vorher vorgenommen hatte bei der nächstbesten Möglichkeit umzudrehen und zurück zu reiten, siegte erneut die Neugier. Vorsichtig führte sie Trouble in das Innere des Berges. Überall an den Wänden und an der Decke leuchteten Diamanten und Edelsteine, von manchen der Steine ging ein Licht aus als wenn in ihren inneren ein Feuer brennen würde. Es waren nicht sehr viele, aber dadurch dass die anderen dieses Licht reflektierten, war es nicht wirklich dunkel. Nachdem sie eine gefühlte Stunde durch den Berg gegangen war, hörte sie aus der Ferne Stimmen. Für einen Moment erstarrte sie. Leise band sie Trouble an einen der heraus stehenden Steine fest und ging alleine weiter. In der Hoffnung nicht bemerkt zu werden, schlich sie eng an die Wand gequetscht weiter. Immer wieder schnitt sie sich dadurch ins Fleisch, denn die Steine waren zum Teil scharfkantig. Sie beachtete die Schmerzen jedoch gar nicht und schlich weiter voran. Schließlich konnte sie eine ganze Gruppe von Menschen erkennen. Anscheinend hatten sie gerade eine Art Versammlung. „Und wie willst du das anstellen? Wir sind dafür nicht genug Leute und die Menschen da draußen werden sich uns ja wohl auch kaum anschließen. Es ist unmöglich.“, sagte einer und viele andere stimmten ihn leise zu. „Mit dieser Einstellung wären wir nicht einmal hier. Wir bereiten uns jetzt schon seit zehn Jahren vor. Natürlich ist unsere Anhängerschaft nicht so gewaltig gewachsen. Aber wir haben schon einige für uns gewinnen können und wenn du warten möchtest bis wir genug Leute haben, dass wir das ohne große Probleme schaffen können, dann wirst du wohl solange warten müssen bis du Tod bist. Angst ist ein zu mächtiges Mittel, als das du es bei so vielen gleichzeitig unterdrücken könntest. Dennoch hast du, wie auch jeder andere hier natürlich die Wahl. Die einfache Lösung wäre natürlich aufzugeben bevor wir richtig angefangen haben. So würde dann alles so bleiben wie es ist und vermutlich würde das auch Jahrzehnte oder Jahrhunderte so bleiben. Bis sich eben eine Gruppe bildet die sich das was wir jetzt geplant haben traut. Ihr könnt aber auch dabei bleiben und eventuell bei der Revolutionierung unseres Reiches behilflich sein. Wobei es allerdings nicht wahrscheinlich ist dass wir alle überleben. Jedoch hätten wir es dann wenigstens versucht. Ich meine das sind wir unseren Söhnen und vor allem unseren Töchtern doch schuldig oder nicht? Wir wollen doch alle das sich etwas ändert sonst wären wir nicht hier!“, erwiderte ein anderer, der der Anführer dieser Gruppe zu sein schien.
Neugierig lehnte sie sich noch ein Stück nach vorne, um besser hören zu können. Diese Leute konnten sie nicht sehen, denn sie versteckte sich hinter einer Ecke und schielte nur ab und an um die Ecke. Viel wichtiger war ihr was diese Leute sagten. Dennoch lugte sie immer wieder um die Ecke, bis ihr schließlich zwei große schwarze Augen entgegen starrten. Ein erstickter Schrei entfuhr ihrer Kehle und ganz plötzlich wurde es still um sie herum. Wut stieg in ihr hervor. Wie hatte ihr das passieren können? Sie hätte niemals schreien dürfen. Und weswegen? Sie schaute auf das Wesen was sie angestarrt hatte. Es war ein Mastag, ein Nagetier, dass Flügel hatte und dessen Schwanz mit Federn bestückt war. Die Pfoten schienen in Krallen überzugehen. Entsetzt über sich selber, das sie sich über ein gerade mal dreißig Zentimeter großes Tier so sehr erschreckt hatte, sah sie dem Tier noch einmal ins Gesicht. Den Kopf hatte es schräg gelegt, als ob es sich über diese Situation genauso wundern würde wie sie. Das eine Ohr hing bei dieser Position ein bisschen nach unten. Da Mastag sehr große Ohren hatten, war das wohl immer so wenn sie den Kopf nicht gerade hielten. Der Anführer dieser Gruppe kam mit ernsten Gesicht auf sie zu, weswegen sie ihre Aufmerksamkeit von den kleinen Tier abwandte. „Hey du! Komm her! Woher wusstest du wo wir sind und wer hat dich geschickt?“ „Was? Niemand hat mich geschickt. Ich bin hier zufällig vorbei gekommen.“, verteidigte sich Sina. Der Mastag schnatterte kurz und lief dann zu den Mann der auf sie zu kam. Kurz vor ihm blieb es stehen und richtete sich auf. Es sah aus als würde es um etwas betteln. Prompt bestätigte sich dieser Verdacht den er ließ eine Nuss runter fallen. Zufrieden schnappte sich der Mastag diese und fing an sie aufzumümeln. „Natürlich ein junges Ding wie du, kommt rein zufällig an den Gebirge des Chaos vorbei. Und kommt dann ohne jeglichen Schutz da hoch spaziert und das ausgerechnet auf unseren Berg und dann auch noch zufälliger Weise in unsere Stollen. Für wie blöd hältst du uns eigentlich?“, erwiderte er belustigt. „Ich bin geflohen, weil ich in Schean dafür gesorgt habe, dass mein Bruder jetzt kein Sklave mehr ist. Miro und vermutlich auch Srey sind nun wütend, weil sie das natürlich so sehen als wenn ich ihr Ware gestohlen hätte, auch wenn er im Prinzip rechtmäßig zurück gekauft wurde. Auf jedenfall wollte ich deswegen so weit wie möglich von da weg und da es mich nicht unbedingt zu meinen alten Leben, oder etwas ähnlichen zurück gezogen hat, hatte ich spontan entschlossen durch die Berge zu reiten. Naja und das war nun eben zufällig in euren Versteck.“, erklärte Sina die es für am besten hielt in dieser Situation die Wahrheit zu sagen. Skeptisch schloss ihr gegenüber seine Augen zu Schlitzen: „Wenn du hierhin geritten bist, wo ist dann dein Pferd?“. „Es steht in der Mitte zwischen hier und den Eingang. Ich hatte Stimmen gehört und da ich nicht wusste ob hier Banditen oder ähnliches sind, wollte ich nicht gehört werden. Aber ihr seid doch Revolutionäre oder? Ihr wollt in diesen Land etwas verändern, oder?“, wollte Sina wissen. Wütend brauste ihr Gesprächspartner auf: „Ich stelle hier die Fragen! Und ich möchte jetzt wissen warum du wirklich hier bist. Schließlich bist du ein Mädchen. Wie sollst du diese Blutsauger denn auch nur um ein bisschen ihres Geldes gebracht haben?“. Sina zog leicht an ihren, noch immer sehr kurzen, Haaren: „Ich habe mich als Mann verkleidet. Es war nicht einfach aber mein Bruder hat mir einiges beigebracht.“ Gerade wollte er sie wieder beschuldigen zu Lügen, da legte ihn ein anderer die Hand auf die Schulter und meinte: „Also, ich glaube ihr. Als ich in Hergre war, habe ich davon gehört dass eine Gruppe von Sklavenhändler eine junge Frau sucht die als Mann verkleidet ist und ich glaube einer davon hieß Miro.“. Noch immer skeptisch widersprach der größere erneut: „Das bedeutet doch aber noch nicht dass der Rest ihrer Geschichte stimmt. Viel...“. Weiter kam er nicht, denn der kleine Mann mit den grauen Haaren unterbrach ihn: „Lass es gut sein! So wie ich das Mädchen verstanden habe möchte sie sich uns anschließen und wir können nun wirklich nicht wählerisch sein was unsere Anhänger angeht. Das ist doch so oder Kleine?“. „Wenn ihr für mehr Freiheiten, gegen Sklaverei und für mehr Frauenrechte kämpfen wollt dann bin ich dabei!“, war Sinas ehrliche Antwort. „Wie soll uns denn ein Kind behilflich sein?“, fragte einer aus der Menge und ein Raunen der Zustimmung wurde breit. „Ich kann kämpfen. Wenn ihr daran zweifelt könnt ihr mich gerne testen!“
Ende
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2013
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