Im Graben
Er liegt im Schützengraben. Es ist dunkel. Man hört nur ein Donnern, das so laut ist wie mehrere Bombeneinschläge. Man könnte aber auch meinen, dass ein heftiges Gewitter die Erde erbeben lässt. Er weiß es nicht genau. Der Mann fühlt wie das Beben und der Druck der Einschläge durch seinen Körper rauschen. Er erkennt die Wirklichkeit des Donners als eine Mischung aus Ängsten, Gefühlen, Konflikten und Geschrei.
Der Lärm rauscht über das Feld. Er ist so dicht und ohrenbetäubend. Durch seine Masse werden sogar die Berge in die Knie gezogen. Der Mann, im Mittelpunkt des Geschehens, will etwas sagen, er stammelt jedoch nur etwas vor sich hin und man kann seine Stimme nicht hören. Es plagen ihn immer wieder die beiden Wörter „wie“ und „warum“. Er liegt verzweifelt und einsam in seinem Graben und stellt sich die Frage: „Wieso bin ich immer wieder in diesem schrecklich engen und todbringenden Graben?“
Hinter ihm liegt seine ganze Geschichte. Alles was ihm je wichtig war oder was ihn irgendwann einmal erschüttert hatte. Hier neben seinem Leben liegt auch die Geschichte der Welt mit all seinen Höhen und Tiefen. Hinter ihm liegt alles was schön und hässlich ist. Alles was erschaffen, zerstört, aufgebaut, entwickelt, erlebt, geträumt, geliebt, gehasst und verstanden wurde und somit die Gegenwart kennzeichnet.
Der Mann schützt sich im Graben, denn von beiden Seiten knallt und donnert es gefährlich. Wenn er kurz nach vorne späht, so sieht er wieder Ängste, Gefühle, Konflikte und er nimmt ein unüberhörbares Geschrei war. Es ist egal ob er nach vorne oder zurück sieht, da sich beide Seiten enorm ähneln.
Er hält kurz inne, denn da in der Ferne braust sich etwas Unbekanntes, ja etwas noch nie da gewesenes, auf. Es glänzt so schön und strahlt in irgendeiner Art Hoffnung aus. Riesengroß verkörpert es das Schöne und Friedliche. Der Mann traut seinen Augen kaum, in Worten kann er es gar nicht richtig fassen. Wahrscheinlich wird es auch jeder anders sehen und dementsprechend beschreiben. Doch wenn er dieses große und schöne glänzende Ding, das in der Ferne schimmert, sieht, so möchte er an eine Hoffnung glauben. Er ist berauscht vom wiederkehrenden Glauben an den Frieden. Plötzlich erkennt er seine miserable Lage und er schaut sich noch einmal um. Er sieht nichts als Elend auf beiden Seiten. Er fragt sich: „Wo soll das nur hinführen?“ Nun fühlt er, dass er nicht mehr lange Zeit hat, denn sein Graben wird nicht mehr lange halten. So muss er sich also entscheiden, ob er die hintere Seite mit ihren Ängsten, Konflikten und dem Geschrei weiter spiegeln will, oder ob er das erstrebenswerte Unbekannte mit Glück, Gefühl und Liebe erreichen will.
Der Graben bricht fast zusammen, nun halten ihn nur noch ein paar Stangen und der Mann kann sich nicht entscheiden. Er hat nur noch ein paar Augenblicke Zeit. Wegen Leid und Nervosität erschöpft, glaubt er an keine Hoffnung mehr, doch plötzlich, im letzten Augenblick, fliegt eine Taube vor sein Gesicht. Die Taube gibt ihm neue Kraft und er entscheidet sich. Nun hat er seine Entscheidung getroffen, auf die wir alle bereits hofften.
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2014
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