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Grabulski und Frau Bomanns gnadenlose Rache

 

Der Anruf

 

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei.

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es einer wütenden Frau nicht gefällt.

 

Wir kennen das ja alle.

Das Leben wäre im Grunde ganz passabel, gäbe es da nicht den Einen, der einen Aufstand macht, weil man mal zwei Minuten vor seiner Ausfahrt geparkt hat.

Oder diesen selbsternannten Racheengel, dem man mal auf die Füße gestiegen war, und der dieses bedauerliche, aber unausweichliche Vorkommnis zum Anlass nimmt, in völlig übertriebener Weise auf Vergeltung zu sinnen.

 

Die dreißigjährige Sekretärin Jenni Bomann gehörte zweifelsohne in letztgenannte Kategorie. Bis vor wenigen Tagen war Grabulski diese Person gänzlich unbekannt.

Bis zu jenem Abend vor einer Woche, als sein Telefon klingelte.

 

„Grabulski!“, hörte er eine jüngere, weibliche Stimme sagen: „Du hast Jürgen umgebracht. Dafür wirst du sterben!“

 

„Sind Sie betrunken?“, antwortete er verärgert.

 

„Keineswegs. Ich habe Jürgen Labermann geliebt. Du hast ihn getötet und damit auch mein Leben zerstört. Und ich werde ihn rächen. Bald.“

 

Bevor Grabulski etwas erwidern konnte, hatte die Unbekannte aufgelegt.

 

Scheiße, dachte er. Aber das war typisch Labermann. Da hat er mit seinem Geld einem jungen Ding den Kopf verdreht und ihm auch noch von dem Treffen in diesem idiotischen Kühlschrankmuseum erzählt. Und dabei meinen Namen erwähnt. Dass die Leute aber auch immer ihre dämliche Fresse aufreißen müssen.

 

Aber so clever, wie sie vielleicht dachte, war die wütende Lady nicht. Sie hatte vergessen, ihre Rufnummer zu unterdrücken. Grabulski fand Name und Adresse über die Rufnummernrückverfolgung. War das Internet doch mal zu was nütze.

Jenni Bomann, wohnhaft in Frankfurt/Main, Keplergasse, verriet ihm sein PC.

 

In der folgenden Nacht grübelte er über einem Plan, wie er die liebe Jenni zum Schweigen bringen könnte, falls sie ihm tatsächlich nach dem Leben trachtete. Soll sie doch nur kommen, machte er sich Mut, er würde auf der Hut sein. Grabulski, noch dazu vorgewarnt, zieht niemand über den Tisch. Eine Frau schon gar nicht.

 

Zwei Tage waren seit dem Anruf vergangen. Alles war wie immer. Das Frühjahr kämpfte heftig mit dem geschwächten Winter um die Vorherrschaft. Sechs Grad und Nieselregen an diesem Nachmittag, Mitte März, trugen nicht dazu bei, Grabulskis schlechte Laune und Angespanntheit zu besänftigen, als er auf dem Heimweg in seine Straße einbog. Vorsichtshalber parkte er sein Auto fünfhundert Meter von seinem Haus entfernt und ging zu Fuß, die Sinne geschärft und das Pfefferspray in seiner Jackentasche einsatzbereit.

 

Da fiel ihm zwanzig Meter vor seiner Haustür ein Geländewagen auf, ein schwarzer Volvo XC90 mit Frankfurter Kennzeichen, der am Straßenrand geparkt war. Labermanns Benz war auch in Frankfurt zugelassen. Zufall, oder trieb sich Jenni Bomann hier herum?

Grabulski schlenderte an dem Wagen vorbei und warf aus den Augenwinkeln einen Blick ins Innere. Die hinteren Scheiben waren abgedunkelt, so dass er nichts erkennen konnte.

Die vorderen Sitze und die Armaturenablage waren leer. Trotzdem ließ er Vorsicht walten.

An seinem Haus angekommen, ging er langsam weiter, als gehöre er gar nicht hier her. Den Kragen hoch geschlagen und die Mütze tief ins Gesicht gezogen, wagte er verstohlen einen Blick auf seine Fenster und bemerkte in diesem Moment, dass sich eine Gardine leicht bewegte.

Scheiße, dachte er, wenn das nicht der lästige Gardinengilb war, dann blieb nur eine Möglichkeit, und die könnte lebensgefährlich sein.

Grabulskis Sprint zurück zu seinem Wagen, hätte Usain Bolt vor Neid erblassen lassen. Als er den Motor startete, sah er seinen Verdacht bestätigt. Zwei dunkel gekleidete Typen

stürmten aus seiner Haustür und rannten auf den Volvo zu, dessen Blinker aufleuchteten.

Zum Glück war die Straße frei, sodass Grabulski ungehindert wenden konnte.

Nichts wie weg von hier, dachte er. Mein Vorteil ist, dass ich mich hier auskenne, die aber nicht – hoffentlich.

Fieberhaft überlegte er, wie er seine Verfolger abhängen könnte. Sein Polo würde in puncto Schnelligkeit dem Volvo unterlegen sein, also fiel eine Flucht über Landstraßen und Autobahnen flach. Er musste sein Heil in der Stadt suchen, um eine Möglichkeit zu finden, in einer schmalen Seitenstraße zu verschwinden. Die am nächsten gelegene Stadt war Oxberg. Das bedeutete jedoch fünf Kilometer Landstraße, aber dieses Risiko musste er eingehen.

Beim Blick in den Rückspiegel, erschien ihm sein Vorhaben plötzlich nicht mehr so vorteilhaft. Der Volvo kam immer näher. Er drückte das Gaspedal weiter runter, da bog hundert Meter vor ihm ein Linienbus aus einer Seitenstraße auf seine Fahrspur.

Bremsen oder Vollgas?

Grabulski entschied sich für Letzteres und überholte den Bus.

Mehrere Wagen kamen ihm entgegen, aber der Polo machte sich noch schmäler, als er schon war, und mit zusammen gepressten Lippen schaffte es Grabulski unbeschadet vor dem Bus einzuscheren. Glück gehabt!

Nun würde der Volvo Mühe haben, an dem Bus vorbei zu kommen, denn der Gegenverkehr ließ nicht nach. Aber er hatte immer noch keinen Plan, wo er sich verstecken könnte, als er auf Oxberg zuraste. Der Volvo hing immer noch hinter dem Bus fest, aber der würde fünfzig Meter nach dem Ortseingang die erste Haltestelle ansteuern.

Wohin, Grabulski?

Da fiel im die Pizzeria Peppone ein, deren Gästeparkplatz hinter dem Gebäude lag, und von der Straße nicht einsehbar war. Er musste nur ungesehen in die zweite Straße rechts einbiegen und nach dreißig Metern wieder rechts hinter die Pizzeria.

 

Der Regen war nun stärker geworden und in wenigen Minuten würde das letzte Licht des Tages vollends verschwunden sein. Als Grabulski auf dem Gästeparkplatz angekommen war, sprang er aus dem Polo und ging hinter der Motorhaube in Deckung. Wenn seine Verfolger gesehen hatten, wo er von der Straße abgebogen war, konnte er sein Testament machen.

Er schaute auf seine Armbanduhr und wartete. Eine Minute...zwei Minuten...drei Minuten... Aber nichts geschah.

 

Gut, doch wohin jetzt?

Mit dem Wagen wieder auf die Straße hielt er für keine gute Idee. Wo könnte er untertauchen? Welcher seiner Kumpel würde ihm Unterschlupf gewähren? Die Liste der möglichen Helfer war kurz, und er kam zu dem Schluss, dass diese beiden auch nicht wirklich in Frage kämen. Als er sich umschaute fiel ihm die Hütte am Angelteich ein.

Das waren zwei Kilometer Fußmarsch vom Parkplatz aus. Und dazu musste er nicht mal auf die Straße zurück. Hinter den Büschen, die die Rückseite des Parkplatzes begrenzten, war eine Wiese, die wiederum an ein Wäldchen grenzte, in welchem gut versteckt der kleine Angelteich lag. Es würde ihm keine Mühe bereiten, glaubte er, die Tür der Hütte aufzuhebeln. Dort säße er trocken und sicher und könnte alles Weitere überdenken.

 

Nach knapp dreißig Minuten hatte er unbemerkt die Hütte erreicht.

Das kleine Vorhängeschloss an der Tür kostete ihn zwar mehr Arbeit, als gedacht, aber letztlich gab es nach, und er war in Sicherheit. Völlig durchnässt, hungrig und frierend.

Er holte sein Feuerzeug hervor und schaute sich in seiner Zuflucht um. So gut es mit dem mageren Licht möglich war, welches das Flämmchen aussandte,

 

Die Hütte war nicht mehr, als eine grob gezimmerte Bretterbude und hatte einen rechteckigen Grundriss von etwa vier auf zweieinhalb Meter. Die Möblierung beschränkte sich auf zwei Tische, sechs Stühle und einen zweitürigen, bis an die Decke reichenden Schrank, neben dem ein paar Getränkekisten auf dem Boden standen.

Grabulski griff sich eine kleine Colaflasche und trank sie gierig leer.

 

An einer Seite der Bude war ein einflügeliges Fenster, das mit einem zweiteiligen Klappladen verschlossen war. Vorsichtig öffnete er es, hakte einen Laden aus, und schaute mit klopfendem Herzen nach draußen in die Dunkelheit. Von hier aus konnte er in die Richtung schauen, aus der er gekommen war. Außer den in er Ferne flackernden Lichtern von Oxberg war nur Schwärze. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass ihm niemand gefolgt war. Das einzige Geräusch, das an seine Ohren drang, war das Prasseln und Plätschern des Regens auf das Holzdach und den angrenzenden Teich.

Er schloss Laden und Fenster wieder und setzte sich auf einen der Stühle.

 

Schöne Scheiße, dachte er. Wie komme ich wieder heil aus dieser Bredouille raus?

Wie ernst meint es diese Bomann und ihre Leute? Wie weit würden sie gehen?

Wollten sie ihn wirklich umbringen? Oder ihm nur eine Abreibung verpassen?

Egal, sagte sich Grabulski, ich lasse es nicht darauf ankommen.

Ich habe doch ihre Adresse, also warum fahre ich nicht zu ihr und mache ihr, wenn es sein muss mit Gewalt klar, dass niemand so mit mir umspringen kann.

Er fasste den Entschluss, noch vor Tagesanbruch zurück zu seinem Wagen zu gehen und Richtung Frankfurt zu fahren.

 

Nachdem er nun sicher war, wie es weiter ging, verlor sich seine Aufregung und das alte Selbstvertrauen gewann die Überhand.

Da es keine andere Möglichkeit gab, schob er ein paar Stühle zur Seite und legte sich auf den roh gezimmerten Bretterboden zum Schlafen. In ein paar Stunden musste er frisch und ausgeruht sein, um die notwendigen Schritte einzuleiten, die ihm die Selbstbestimmung über sein Leben zurück geben würden.

Wenige Augenblicke später war er eingeschlafen.

 

Ein scharfer Schmerz jagte durch Grabulskis Körper, als ihn der Tritt einer Stiefelspitze auf die kurze Rippe aus seinen Träumen riss.

„Steh auf du Penner!“, hörte er eine heisere Stimme.

Wie von tausend Taranteln gestochen schnellte Grabulski hoch und sah nur undeutlich, wie ein Schatten auf seinen Kopf zuraste.

Dann versagten seine Sinne.

 

 

 

Charlys Haus

 

Am Horizont begann die Sonne allmählich ihren Dienst. Die Wolken waren in der Nacht weiter gezogen. Die Luft war kühl und feucht. Der grasbewachsene Boden vor der Anglerhütte hatte den Regen nicht mehr aufsaugen können, weshalb sich überall kleine Pfützen gebildet hatten.

 

Grabulski kämpfte im offenen Meer um sein Leben. Immer wieder ging er unter und schluckte Wasser, kam wieder hoch, hustete, rang nach Luft und ging wieder unter.

Da spürte er plötzlich festen Boden unter seinen Händen, drückte sich mit letzter Kraft nach oben und sog gierig die kalte Luft in seine Lungen.

Aus seinem Albtraum erwacht, hob den Kopf und öffnete mühsam die Augen. Er hatte mit Mund und Nase in einer Pfütze gelegen. Als ein dumpfer Schmerz ihn aufstöhnen ließ, setzte er sich auf und griff an seine Stirn. Ein dicke Beule hatte sich dort gebildet. Langsam rappelte er sich hoch. Seine Hose und seine Jacke hatten sich mit Feuchtigkeit vollgesogen.Frierend wie ein Schneider, begann er am ganzen Leib zu zittern.

 

„Verschwinde von hier und schlaf deinen Rausch sonst wo aus!“

Der Mann stand in der offenen Tür der Hütte und erhob drohend einen armlangen Ast.

„Aber...“

„Verschwinde! Ich sag's nicht noch mal!“, kam die heisere Stimme wütend durch den Vollbart des mit Parka und Jeans bekleideten Mannes.

 

Grabulski gab auf. In seinem desolaten Zustand hatte es keinen Sinn, mit dem rabiaten Kerl zu diskutieren. Vielleicht ergab sich ja später mal die Gelegenheit, dem Idioten aufs Maul zu hauen.

Tief einatmend blickte er sich um. Als er begriff, wo er sich befand, und was geschehen war, fielen ihm die Geschehnisse des Vortages wieder ein Er besann sich darauf, dass er noch ein Hühnchen mit einer gewissen Jenni zu rupfen hatte.

Mit unsicheren Schritten stapfte er in die Richtung, aus der er am Abend zuvor gekommen war. Die Dämmerung war dem Morgen noch nicht gewichen, so waren ihm die Laternen und die noch spärliche Anzahl der erleuchteten Fenster von Oxberg eine willkommene Orientierungshilfe.

Trotz seiner vorläufig geglückten Flucht, musste er höchste Vorsicht walten lassen.

Aber zuerst wollte er zu seinem Auto und sich zu Hause waschen und saubere Klamotten anziehen. Hinter dem Parkplatz der Pizzeria angekommen, schob er vorsichtig die Zweige eines Strauches auseinander. Da stand sein blauer Polo auf dem sonst leeren Hinterhof. Grabulski stieg ein, startete den Motor und drehte die Heizung hoch. Doch war es wirklich eine gute Idee, nach Hause zu fahren? Was, wenn seine Verfolger sein Haus beobachteten? Oder, was noch wahrscheinlicher war, in seinem Haus auf ihn warteten? Andererseits war er ausgekühlt und seine Kleidung schmutzig und vollkommen durchnässt. Was also konnte er tun?

 

Langsam fuhr er vom Parkplatz und bog nach links in die Seitenstraße ab, um sich gleich darauf nach rechts zur Stadtmitte in den spärlich fließenden Verkehr einzufädeln.

Fieberhaft überlegte er, ob er nicht doch mit einem der beiden ehemaligen Kollegen, mit denen er für seine Verhältnisse einigermaßen klar kam, Kontakt aufnehmen sollte, um sie um Hilfe zu bitten.

Rudi Loringer wäre der geeignetste Kandidat. Grabulski hielt an einer Bushaltestelle und wählte auf seinem Handy Rudis Nummer.

 

„Ja?“, meldete sich Rudi.

„Ich bin's“, antwortete Grabulski. „Du, ich hab Ärger mit Labermanns Freundin. Du erinnerst dich, der Typ, dem ich die Tennishalle oben am alten Sportplatz besorgt hatte.“

 

„Und?“

 

„Die ist mit zwei Gorillas hinter mir her, und ich bräuchte ne Dusche und frische Klamotten.“

 

„Sonst gerne, aber bin gestern erst aus der Klinik raus. Knapp am Infarkt vorbei. Geh selbst auf dem Zahnfleisch. Sorry.“

 

„Okay“, sagte Grabulski, legte auf und dachte schade, Rudi ist sonst ne Bank. Scheint ihm wirklich beschissen zu gehen.

Da fiel ihm Charly ein. Das könnte die Lösung sein.

Mit Charly Hell bekam er sich einst in die Haare, weil der ihn fälschlicherweise beschuldigte, dass er Charly beim Chef wegen eines schlampig ausgeführten Auftrages angeschwärzt hätte.

Aber ein abwesender Charly ist ein guter Charly. Grabulski schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Sie zeigte sechs Uhr fünfzehn. Charly müsste um diese Zeit an seinem Arbeitsplatz sein. Seine Schicht begann um sechs. Und Martina, Charlys Frau, brachte ihn täglich zur Arbeit und fuhr von dort aus direkt zu dem Backshop, in dem sie quasi ihre eigenen Brötchen verdiente. Ihr Haus müsste also für Stunden verwaist sein, und ihre Terrassentür dürfte kein Hindernis darstellen.

Grabulski erkannte, nicht nur durch seine Windschutzscheibe, wieder Licht am Horizont.

 

Eine viertel Stunde später hatte er Oxberg hinter sich gelassen und bog auf die Landstraße Richtung Völlkerburg ab, um Charly und Martinas Dusche und Kleiderschrank einen Besuch abzustatten. Ihm war trotz voll aufgedrehter Heizung immer noch kalt und sein Schädel brummte, als hätte er die Nacht in einem Eimer Schnaps verbracht.

Immer wieder schaute er besorgt in den Rückspiegel. Aber von dem schwarzen Volvo war glücklicherweise nichts zu sehen. Sollten sich doch die Dummköpfe in seiner Wohnung ihre Ärsche platt sitzen. In ein paar Stunden würde er sich Jenni Bomann vorknöpfen, während ihre Häscher in zweihundert Kilometer Entfernung vor Langeweile ihre Schlagringe polierten.

 

Der Himmel war diesig, und aus dem nahen Wald stiegen Nebelschwaden hoch.

Die Sonne war durch den grauen Dunst nur zu erahnen, als Grabulski in die Fontanestraße einbog, in der sein Ziel lag. Langsam fuhr er an dem Haus von Martina und Charly Hell vorbei. Es war, wie er es erhofft hatte. Die Rollläden waren hoch gezogen und hinter den Fenstern brannte kein Licht. Also hatte er freie Bahn. Das fleißige Ehepaar Hell würde sich als großzügiger, wenn auch unfreiwilliger Gastgeber erweisen.

 

Nach ein paar Metern wendete er und parkte den Polo zwei Häuser von Charlys Haus entfernt. Es schien perfekt. Keine Menschenseele war auf der Straße, und auch kein neugieriger Nachbar schaute aus dem Fenster. Mit eiligen Schritten verschwand er hinter Hells Anwesen und nahm die Terrassentür ins Visier. Nun musste es schnell gehen.

Und lautlos.

 

Die Tür war wie erwartet geschlossen. Auf den ersten Blick sah er auch kein geeignetes Werkzeug in der Nähe herumliegen. Wie auch? Martina und Charly waren die Ordnung in Person. Dann musste es eben mit Gewalt gehen. Grabulski warf sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. Nach dem dritten erfolglosen Versuch, nahm er den Fuß zu Hilfe.

Die Tür gab nach. Aber so ganz geräuschlos wie erwünscht ging das nicht vonstatten. Bevor er eintrat, vernahm er, dass irgendwo in der Nachbarschaft ein Laden hoch gezogen wurde. Er hielt inne und lauschte, doch es blieb ruhig.

Von innen drückte er die einflügelige Tür nur bei und zog den Vorhang zu. Hinter dieser Tür stand er nun in dem geräumigen Wohnzimmer der Familie Hell.

Bevor der Ärger mit Charly in der Firma begann, war er ein, zwei mal zu Besuch in diesem Haus, und so erinnerte er sich, dass sich das Badezimmer im oberen Stockwerk befand.

 

Fünf Minuten später war er geduscht und suchte im Schlafzimmer nach passender Kleidung. Charly und Grabulski waren etwa gleich groß, allerdings hatte Charly ein paar Kilo mehr auf den Rippen. Was soll's? Besser, die Klamotten waren etwas zu weit, als zu eng, befand Grabulski. Nachdem er Socken, Pulli, Hose und Jacke gefunden hatte, zog er sich eilig an. Seine Unterhose wollte er lieber nicht wechseln. Wenn sie auch sauber gewaschen waren, konnte er sich nicht überwinden, einen von Charlys Slips anzuziehen. Seine Schuhe waren zwar innen noch feucht, aber er hatte den außen klebenden Schlamm im Eilverfahren mit Klopapier abwischen können.

Seine eigenen Kleider stopfte er in einen Müllbeutel, den er im Badezimmerschrank gefunden hatte. Die Mütze zog er tief ins Gesicht. Nun hieß es, so schnell wie möglich weg von hier.

Da meldete sich sein Magen mit einem schmerzhaften Ziehen. Seit dem gestrigen Mittag hatte Grabulski nichts mehr gegessen. Er lief die Treppe hinunter zur Küche und schnappte sich hastig zwei Scheiben Toastbrot, die zur Not auch ungeröstet schmecken mussten. Aus dem Kühlschrank klaute er ein paar Scheiben Salami, die er sich gierig in den Mund schob. Die halb volle Milchflasche, die in der Kühlschranktür stand, trank er leer.

Den Müllbeutel unter den Arm geklemmt, begab er sich ins Wohnzimmer, von wo aus er auf dem gleichen Weg, den er gekommen war, schnellstens zu verschwinden gedachte.

 

Doch als er das Zimmer betrat, traf ihn fast der Schlag.

Eine Frau stand in der geöffneten Terrassentür und rief: „Halt! Stehen bleiben!“

Sie schien zu allem entschlossen.

 

Nun war Grabulski noch nie jemand, der etwas auf das Geschrei einer hysterischen Frau gab. Jedoch das Ding, welches diese Person in der Hand hielt, und vor allem das, was ihn am Ende dieses dünnen, langen Dinges fest im Blick hatte, ließ ihm den Atem stocken.

Ein Schäferhund fletschte gefährlich knurrend die Zähne.

Diesen Umstand interpretierte Grabulski folgerichtig nicht als freundlichen Morgengruß.

Zu allem Überfluss waren in diesem Augenblick in der Ferne Polizeisirenen zu hören.

 

 

Das Ende

 

„Rühren Sie sich nicht von der Stelle, sonst lasse ich den Hund los“, drohte die Frau.

„Die Polizei ist unterwegs.“

 

Wie soll ich den Bullen erklären, was ich hier tue? Grabulski ging in Gedanken alle Möglichkeiten durch, während er den Hund nicht aus den Augen ließ. Blieb er hier, und offenbarte sich der Polizei, fingen die womöglich an, genauer über die gefüllte Cola-Truhe nachzuforschen. Also gab es nur eine Option: Raus hier!

Die Polizeisirenen kamen näher.

 

Das Pfefferspray aus der Jackentasche ziehen und drei Schritte auf den Köter zuhechten, war eine fließende Bewegung. Der Hund heulte auf und riss Frauchen die Leine aus der Hand. Die zweite Ladung erwischte die neugierige Nachbarin unterhalb ihrer Dauerwelle, sodass sie sofort außer Gefecht war.

„Stehen bleiben!“, kreischte sie unnötigerweise dem fliehenden Grabulski hinterher.

 

Als dieser den Motor des Polo startete, sah er das erste Blaulicht in die Fontanestraße einbiegen. Langsam, wie es sich in der Dreißiger-Zone gehört, fuhr er dem Arm des Gesetzes entgegen, der sich aus Unkenntnis der Sachlage nicht um ihn kümmerte.

Nun hieß es, ab nach Frankfurt.

Durch diesen kleinen Zwischenfall, würde er sich nicht von seinem Plan abbringen lassen.

Dass die Polizei mittlerweile erfahren haben könnte, mit welchem Auto er unterwegs ist, hielt er für wenig wahrscheinlich. Die Nachbarin wurde sicherlich erst durch den Einbruchslärm auf ihn aufmerksam.

Was aber, wenn ihn doch jemand beim Reingehen, oder Hinausrennen beobachtet hatte? Grabulskis Euphorie über den geglückten Coup von eben war schnell verflogen. Je länger die Sache dauerte, desto größer wurde sein Drang, diesem Miststück in Frankfurt den Schwanenhals umzudrehen. Aber wo sollte er ein anderes Auto herbekommen?

Nein!Quatsch!, schalt er sich. Kein weiteres Risiko eingehen.

 

Aber tanken musste er noch. Und zuvor zum Geldautomaten. Vielleicht würde er heute Jenni Bomann ja gar nicht antreffen, dann müsste er sich ein Zimmer nehmen.

Da war es besser, er füllte vorher noch sein Portemonnaie. Er mochte keine Zahlungen mit Kreditkarte. Nur Bares ist Wahres.

Möglicherweise ist ja ein mehrtägiger Aufenthalt von Nöten, dachte er. Auf fremdem Terrain ist es immer klug, in Ruhe die Lage zu sondieren. Er steuerte die nächste Tankstelle an, von der er wusste, dass sie über einen Geldautomaten verfügte.

Ob die zwei Volvo-Typen wieder abgedampft sind, oder liegen sie noch vor meinem Haus auf der Lauer? Was soll's? Ich werde mich vielleicht später, nachdem ich Jenni gehäutet habe, ihrer annehmen.

 

Bei der Tankstelle angekommen, steuerte er den Polo neben das Gebäude.

Der Geldautomat war nun keine zehn Schritte entfernt. Grabulski stieg aus und schaute sich vorsichtig um.

An den Zapfsäulen standen zwei PKW, die von ihren Fahrern betankt wurden. Ein weißer Ford-Transit mit der Werbeaufschrift einer Wäscherei fuhr langsam an eine Dieselzapfsäule. Ein roter Audi verließ gerade das Gelände.

Auf der Straße floss der Verkehr ruhig an der Tankstelle vorbei. Polizeisirenen waren keine zu hören. Alles war gut. Niemand schien sich um ihn zu kümmern. Er ging zum Automaten und schmälerte den Inhalt seines Kontos. Als er seine Geldbörse eingesteckt hatte, spitzte er wieder die Ohren und ließ die Augen wandern. Ständig hatte er das Bild des schwarzen Volvos im Kopf. Aber so sehr er sich auch anstrengte, dieses Bild passte zu keinem derzeit sichtbaren Objekt.

 

Er setzte sich in sein Auto, um es zu den Zapfsäulen zu fahren. Als er den Zündschlüssel ins Schloss stecken wollte, hörte er neben sich einen Diesel.

Dann ging alles ganz schnell.

Aus dem weißen Wäscherei-Transit sprang jemand heraus, gleichzeitig öffnete ein Vermummter die Beifahrertür des Polo, und zeigte Grabulski seine Knarre.

Die Fahrertür wurde aufgerissen. Starke Hände zerrten ihn vom Sitz und drängten ihn in die geöffnete Seitentür des Transit. Die Typen trugen Sturmhauben und blieben während der ganzen Aktion stumm.

Grabulski zappelte wie ein Wurm an der Angel. Er versuchte zu treten und zu schlagen, aber dann bekam er selbst einen schmerzhaften Tritt in die Kniekehle. Als er daraufhin seine Zähne einsetzen wollte, drückte man ihm ein getränktes Tuch auf Nase und Mund.

Der Wurm zappelte noch kurz, dann verschwand sein Geist im Schlummerland.

 

Die muffige, nach Fäulnis schmeckende Luft lag wie ein klebriger Belag auf seiner Zunge und seinen Bronchien. Er träumte, in einem dunklen Verlies gefangen zu sein, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Die Dunkelheit wich zögernd einem milchigen Licht.

Grabulski zwang sich, seine Augen zu öffnen.

 

„Er kommt“, sagte eine Männerstimme.

 

„Wurde aber auch Zeit, Grabulski“, sagte eine Frau.

 

Grabulski blinzelte und sah in zwei ihm unbekannte Gesichter. Ihm war übel und in seinem Kopf steckte ein Pfund Watte.

Die Frau hielt ihm ein Glas Wasser an die Lippen. Als er es festhalten wollte, merkte er, dass seine Hände auf seinem Rücken gefesselt waren. Wieder blinzelte er und erkannte, dass er auf einem Stuhl saß, und dass seine Füße an den Stuhlbeinen gefesselt waren.

 

„Erkennst du die Halle wieder?“, fragte die Frau und schlug ihm so heftig auf die Wange, dass er beinahe das Gleichgewicht verlor.

 

Scheiße, dachte Grabulski. Der Geruch. Labermanns Tennishalle. Verdammt, jetzt haben sie mich an den Eiern. Er schaute sich um, und bemerkte neben der Blondine in Jeans und kurzer Lederjacke, noch zwei Typen, komplett in schwarz gekleidet. Alle drei trugen Handschuhe. Die Halle war leer.

Die Kühlschränke hat diese Tussi bestimmt schon zu Geld gemacht, aber so schnell gebe ich nicht auf, dachte er.

 

„Ist das die Halle, die ich Jürgen vermittelt habe?“, fragte Grabulski demütig.

 

„Richtig“, sagte die Blondine. „Und hier hast du ihn getötet.“

Die zweite Ohrfeige kam noch heftiger als die erste. Grabulski aber war entschlossen, das unschuldige Opfer zu spielen. Schmerzen hin, Wut her. Es gab keine Beweise gegen ihn. Er brauchte sie nur davon überzeugen, dass sie einen Unschuldigen massakrierten.

 

„Aber nein“, jammerte Grabulski. „Davon weiß ich nichts.“

 

„Du lügst!“, schrie die Blondine. „Hier stand seine Kühlschranksammlung und hier hast du ihn elend ersticken lassen, du Bastard!“ Der dritte Schlag kam so hart, dass er ihn fast ausknockte.

 

Grabulski schmeckte Blut in seinem Mund. Er drückte ein wenig davon mit der Zunge über seine Lippen. Mit halb geschlossenen Augen suchte er den Blick von Jenni Bomann. Frauen halten einem solchen Anblick nicht lange stand, wusste Grabulski.

 

„Sie irren sich“, brachte er Blut spuckend hervor. „Ich hatte zwar einen Termin mit Jürgen, aber ich konnte wegen einer Krankheit nicht kommen. Glauben Sie mir doch.“

 

„Pah! Das sind doch alles Ausflüchte“, sagte Jenni Bomann. Aber Grabulski registrierte einen Funken Unsicherheit in ihren Augen. Und fügte hinzu:

„Welches Motiv sollte ich denn gehabt haben, meinen alten Schulfreund umzubringen?“

 

„Das weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Vielleicht hatte er Geld bei sich, das du ihm geklaut hast“, fauchte sie und fing an, wie ein Tiger im Käfig vor Grabulskis Nase hin und her zu laufen. Die beiden Men in black standen unbeweglich wie Statuen fünf Meter von Grabulski entfernt und starrten ihn an.

 

„Ich versuchte, ihn telefonisch zu erreichen, um ihm abzusagen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Glauben Sie mir, ich war nie zusammen mit Jürgen hier drin.“

Grabulski hustete und sabberte Blut. Er fand, dass er seine Rolle perfekt spielte.

 

Jenni Bomann blieb stehen und schien nachzudenken. Dann machte sie einen Schritt auf ihn zu. „Dann sag mir mal, wo der teure Whisky in der Holzkiste abgeblieben ist? Das war sein Geschenk für dich, weil du ihm diese Halle hier besorgt hast. Den hast du doch damals mitgenommen, stimmt's?“

 

Grabulski ließ wieder die Lider etwas sinken und schaute seinem Gegenüber tief in die funkelnden Augen. „Ich weiß nichts von einem Whisky. Glauben Sie mir.“ Blut rann ihm aus dem Mund übers Kinn.

 

„Es war ein sehr alter Glenlivet, den auch Jürgen und ich gerne vorm Kamin getrunken haben.“ Jenni Bomann liefen plötzlich Tränen über die Wangen. Abrupt drehte sich sich um und schlug beide Hände vor ihr Gesicht. Ein leises Schluchzen drang durch ihre Finger.

 

„Das tut mir leid“, raunte Grabulski. „Aber ich habe mit Jürgens Tod nichts zu tun.“

 

Einer der beiden Schwarzgekleideten ging zu Jenni Bomann und flüsterte ihr ins Ohr.

Dann kam der zweite Mann dazu und nickte heftig mit dem Kopf.

Grabulski beobachtete die Szene misstrauisch, konnte aber nicht verstehen, um was es ging.

 

„Ist das sicher?“, fragte die Frau ihre Begleiter mit fester Stimme. Beide Männer sahen sie an und nickten stumm.

Dann drehte sie sich mit versteinerter Miene zu Grabulski um und streckte ihre rechte Hand aus. In diesem Moment erschien vor Grabulskis geistigem Auge, warum auch immer, eine Peitsche. Aber dies war kein Traum.

Einer der Männer griff in seine Manteltasche, zog eine zerknüllte Plastiktüte und ein weißes Klettband heraus. Beides legte er in Jenni Bomanns leere Hand.

 

„Was wird das jetzt?“, schrie Grabulski. „Hören Sie auf, Sie machen einen Fehler!“

„Die Jungs haben den Whisky und die Holzkiste in deiner Wohnung gefunden“, fauchte Jenni Bomann. „Großer Fehler, Grabulski!“

 

Mit zusammengepressten Lippen stülpte sie die Tüte wortlos, aber energisch über Grabulskis Kopf. Der versuchte mit heftigen Bewegungen seinem Schicksal zu entgehen, aber er hatte keine Chance. Jenni Bomann verschloss die Öffnung der Tüte um Grabulskis Hals mit dem Klettband.

 

„Ich bin unschuldig“, kreischte Grabulski. Seine Stimme klang hysterisch. Die Luft unter der Kunststoffhaube ging rasend schnell zur Neige. Er drehte den Kopf, damit sein Mund sich nicht immer wieder an der Tüte festsaugte. Doch seine Gegenwehr ließ rasch nach. Seine Arme und Beine wehrten sich kaum noch gegen die Fesseln.

 

Jenni Bomann wandte sich wortlos von ihm ab und verließ mit ihren Begleitern den Schauplatz.

Dumpf fiel die Hallentür ins Schloss.

Das kurzatmige Keuchen Grabulskis wich nach und nach einer tiefen Ruhe.

 

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Tag der Veröffentlichung: 30.03.2016

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