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Grabulski und Herrn Labermanns eiskaltes Hobby

 Panta rhei – alles fließt.

Alles ändert sich – nichts bleibt wie es ist. Nicht die Welt und nicht der Mensch.

 

Ist Ihnen das auch schon mal passiert, dass sie einen Verwandten, Nachbarn, Schulfreund, nach Jahrzehnten wieder sehen, und sie sich nach kurzer Zeit fragen, was sie an ihm einmal sympathisch fanden?

 

Letztes Jahr schlenderte ich an einem sonnigen Vormittag über den Wochenmarkt.

An einem Obststand schaute ich mir das Apfelangebot an und griff nach einem Boskop, um ihn zu beschnuppern, als sich ein anderer Kunde, direkt neben mir, den gleichen Apfel ausgesucht hatte. Unsere Hände berührten sich. Erschrocken zog ich meine Hand zurück.

Ich finde es zum Kotzen, wenn einem Andere ungefragt derart plump betatschen.

Angewidert warf ich dem Aggressor, einen wütenden Blick zu, da ging dieser auch schon zur nächsten Attacke über und griff nach meinem Arm.

 

„Grabulski? Bist du das?“, fragte der Grabscher.

 

Mannhaft stellte ich mich der Gefahr und blickte dem Feind ins Auge.

Der bestand im Wesentlichen aus einem rundlichen Typen im feinen Zwirn, etwa meine Größe, mit Glatze und Brille und strahlte mich an. „Erkennst du mich denn nicht?“, fragte er.

 

Der Trick war nicht neu. Ich überlegte, in welcher Tasche mein Portemonnaie steckt, und hielt die Hand drauf.

 

„Ich bin's! Der Jürgen Labermann aus der Saarstraße“, sagte die Glatze und machte mit weit ausgebreiteten Armen einen Schritt auf mich zu.

Er stand da, wie ein Angler am Stammtisch, der mit seinem letzten Fang prahlen wollte.

Aber jetzt fiel bei mir der Groschen. Der Labermann! Natürlich. Er war in unserer Abschlussklasse der Rudi Dutschke für Anfänger. Ein guter Kumpel, anarchisch, frech, unbequem. Wir hatten damals viel Spaß und jede Menge Ärger.

 

„Wo sind deine Haare, Labermann?“, sagte ich und streckte ihm, seinen Umarmungsversuch ignorierend, meine von ihm bereits kontaminierte Hand hin.

 

„Immer noch der alte Stänkerer“, sagte Labermann lächelnd.

Wir schüttelten uns die Hände.

 

„Man tut, was man kann.“

 

Sie kennen das. Was machst du? Wo wohnst du? Bis du verheiratet? Hast du Kinder?

Es sind immer die gleichen Fragen in solchen Situationen.

So war es auch bei Labermann und mir. Zwei mal hatte er geheiratet und zwei mal war er geschieden, erzählte er mir. Sein Geld verdiente er mit dem Verkauf von Billigwaren aus Fernost. „Ich hab letztes Jahr mit zwölf Angestellten knapp zwanzig Millionen Umsatz gemacht. Alles, was du zum Leben brauchst, kannst du bei mir kaufen. Außer Autos und Frauen, wegen der vielen Reklamationen ha ha.“

 

Dass wir uns an diesem Ort getroffen hatten, war Zufall, da er seine Firma in Frankfurt hatte, aber

zu jener Zeit für ein paar Tage Gast in seinem Elternhaus hier im Ort war.

 

Er hatte mich in ein Café eingeladen, in dem wir eine geschlagene Stunde über alte Zeiten sprachen. Doch irgendwas war anders. Da war nicht mehr das Gefühl der einen Seele in zwei Körpern, das bedingungslose Vertrauen, das Wissen um die gemeinsamen Feinde wie Eltern, Lehrer, Staat, Kapital, und der gemeinsame Wille, gegen diese Feinde zu kämpfen mit allen Waffen, die für uns erreichbar waren. Da saß ein völlig anderer Mensch vor mir. Das lag nicht an den äußerlichen Veränderungen Labermanns. Eher lag es daran, dass er die Seiten gewechselt hatte, seinen Reichtum zur Schau stellte und stolz darauf war. Die goldene Armbanduhr, sein teurer Anzug, die Schuhe - alles roch nach Geld.

Und daran, dass er nur von sich sprach. Was er alles erreicht hatte, seine Häuser, seine Autos, alles war wichtig, Das war nicht mehr der witzige, geistreiche, kämpferische Jürgen aus der Abschlussklasse, dem es völlig gleichgültig war, dass seine Hosen fleckig waren und das T-Shirt ein Loch hatte. Er legte damals keinen Wert auf saubere Fingernägel und gekämmte Haare.

Für unsere Clique war er damals die Verkörperung der Revolution gegen das Establishment.

Er machte stets das Gegenteil von dem, was die verhasste Gesellschaft von ihm erwartete.

Der Mensch, der mir damals im Café gegenüber saß, war der in teures Tuch gehüllte, von sich selbst über die Maßen überzeugte Herr Labermann, der aus seinem Vermögen keinen Hehl machte.

Von dem Zeitpunkt an, als ich ihm sagte, dass ich immer noch der Arbeiterklasse angehörte, bekam seine Stimme einen überheblichen Touch.

 

„Du hast es vermasselt. Da kommst du auch nicht mehr raus, Grabulski.“

 

Wie dem auch sei. Bei der Suche nach meiner ehemaligen Sympathie für ihn, wurde ich an diesem Tag nicht fündig.

Als wir uns später verabschiedeten, fragte er mich, ob ich nicht wüsste, wo er hier in der Nähe eine kleine Halle mieten könne.

„Weißt du“, erklärte er. „Ich sammle alte, gut erhaltene Kühlschränke. Nur so, als Hobby. In Frankfurt sind die Hallenmieten irrsinnig teuer. Und wo sie jetzt untergebracht sind, wird’s langsam eng. So zweihundertfünfzig, dreihundert Quadratmeter. Kannst ja mal gucken.“

 

„Du sammelst Kühlschränke?“, kicherte ich und schüttelte den Kopf.

 

„Ja, das versteht unser kleiner Grabulski natürlich nicht, ha ha. Der sammelt Bierdeckel, stimmts?“

 

„Das wäre genauso idiotisch, aber weniger kostspielig“, sagte ich.

 

„Wer stets klein denkt, wird nie Großes erreichen, mein Freund“, antwortete er gönnerhaft.

 

„Ist ja gut, Labermann. Denk an deinen Blutdruck“, sagte ich und war geschockt, wie ein Mensch sich so verändern kann. Trotzdem versprach ich ihm, der alten Zeiten wegen, mich nach einem geeigneten Platz für sein merkwürdiges Hobby umzuhören. Er gab mir Visitenkarte und private Handynummer. Danach ging jeder seines Weges.

Vom Saulus zum Paulus, dachte ich. Geld verdirbt den Charakter.

 

Vier Wochen später, fand ich in meiner Tageszeitung eine interessante Anzeige. Ich machte mit dem Inserenten einen Termin und schaute mir das Objekt an. Es war eine ehemalige Tennishalle, die seit Jahren nicht mehr benutzt wurde. Ich informierte Labermann und beide wurden sich einig.

 

„Wenn ich meine Kühler eingeräumt habe, lade ich dich ein. Dann zeig ich dir meine Schätze und bringe einen guten Tropfen mit“, versprach er am Telefon.

 

Danach vergingen mehrere Wochen, bis mich Labermann wieder anrief. „Ich bin ab vierzehnten übers Wochenende wieder in meiner alten Heimat. Komm doch samstags gegen siebzehn Uhr zu der Halle und lass dich überraschen.“

 

Ich war tatsächlich überrascht. Zunächst ließ mich Labermann zwanzig Minuten am Treffpunkt im Regen stehen, dann kam er standesgemäß in einem schwarzen Benz GLK angerauscht, als wären russische Geldeintreiber hinter ihm her. Als er sich aus der Protzkutsche wuchtete, hielt er ein Holzkistchen in der manikürten Hand.

„Hab noch deine Prämie besorgen müssen, sorry. Hier, für deine Mühe. Ein feines Stöffchen aus den schottischen Highlands. Ich hoffe, du weißt es zu schätzen.“

Mit einem jovialen Lächeln, drückte er mir das Teil vor die Brust und schloss die Hallentür auf.

Der muffige Geruch im Innern der Halle, der mir bereits aufgefallen war, als ich sie mit dem Vermieter inspiziert hatte, schien noch stärker geworden zu sein. Mit flinken Fingern drückte Labermann mehrere Lichtschalter in einem Sicherungskasten. Klickend und flackernd begannen die Leuchtstoffröhren an der Hallendecke ihren Dienst. Ich stellte die Whisky-Box auf den Boden, um mich unbelastet der anstehenden Führung zu widmen.

 

Am anderen Ende der ansonsten leeren Halle, sah es aus wie auf dem Wertstoffhof – nur etwas geordneter. Etwa fünfundzwanzig unterschiedlich große Kühlschränke in diversen Farben und Ausführungen, waren dort nebeneinander in zwei Reihen aufgestellt.

Wie Grabsteine – nur etwas bunter.

 

„Oh, ein Friedhof für Friergeräte“, sagte ich, während wir auf die Artefakte zugingen.

 

„Lästern ist immer Ausdruck des Neides“, antwortete Labermann. „Du hast keine Ahnung, welche Werte du da vor dir siehst.“

 

„Stimmt. Aber du wirst es mir sicher gleich sagen.“

 

„Hier“, sagte Labermann, als wir vor seinen Lieblingen standen. „Das ist eine Rarität. Ein Frigidaire Adam Opel. Ja, da staunt der Unwissende. Die Adam Opel AG baute nicht nur Nähmaschinen, Fahrräder und Autos. Bis Ende der 1950er stellte sie auch Kühlschränke her.“

 

„Ich höre und staune.“

 

„Dieses Teil in rostbraun hat mich inklusive Transport tausend Euro gekostet. Der Bauknecht daneben immerhin noch fünfhundert.“

 

Ich nickte stumm und tat beeindruckt.

 

„Da, die beiden Ate und BBC würde ich dir für siebenhundert anbieten – bei Selbstabholung versteht sich. Oder hier. Schau dir dieses Prachtstück an.“ Labermann ging zu einer leuchtend roten Kühltruhe mit Coca-Cola-Schriftzug.

„Eine Original-Kühltruhe der Firma Silo. Gibt's heute gar nicht mehr. Noch mit Schloss, anstatt der heute vorgeschriebenen Magnetverschlüsse. Wegen der Erstickungsgefahr, verstehst du? War schweineteuer.“

 

„Für dich doch kein Problem“, sagte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

 

„Ich werde das Gefühl nicht los, Grabulski, dass du dich insgeheim über mich lustig machst. Die ganze Sammlung hat einen Einkaufswert von mindestens fünfzehntausend Euro, du Ignorant.“

 

Labermann war jetzt sichtlich verärgert. Wahrscheinlich war er es gewöhnt, dass man ihm die Füße küsste, wenn einem die Ehre zuteil wurde, eine persönliche Führung durch sein Kühlschrank-Mausoleum zu bekommen. Das reizte mich nur umso mehr, ihm meine Verachtung zu zeigen. Ich schüttelte mitleidig den Kopf. „Was ist nur aus dem Revoluzzer Labermann geworden? Du verkörperst heute all das, was wir damals bekämpft haben.“

 

„Was ist aus dir geworden, Grabulski? Ein Loser, der einem hart arbeitenden, erfolgreichen Geschäftsmann keinen Respekt entgegen bringt“, ereiferte er sich und knallte mir seine Fäuste vor die Brust.

 

Ohne Zögern platzierte ich ihm einen rechten Schwinger exakt auf die Kinnspitze.

Er fiel wie vom Pferd getreten nach hinten und verschwand in der geöffneten Cola-Truhe, woraufhin der Deckel mit einem dumpfen Geräusch zuknallte.

 

Mit der Whisky-Kiste unterm Arm verließ ich die Halle, nachdem ich brav das Deckenlicht ausgeschaltet hatte.

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von Pixabay

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Tag der Veröffentlichung: 11.03.2016

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